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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Carlo Ganna von Brusino-Arsizio, betreffend Verweigerung eines Gasthauspatents.

(Vom 22. März 1907.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Carlo Ganna, von Brusino-Arsizio, betreffend Verweigerung eines Gasthauspatents ; auf den Antrag des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 28. Februar 1905 hat Carlo Ganna in Brusino-Arsizio dem Bundesrate eine Eingabe zukommen lassen, die sich gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons Tessin vom 16. Januar 1905 richtete, durch welchen dem Ganna das verlangte Gasthauspatent für seinen Neubau in Brusino-Arsizio verweigert worden war.

Der Bundesrat fasste diese Eingabe als einen gewöhnlichen Wirtschaftsrekurs auf und wies sie mit Entscheid vom 14. April 1905 als unbegründet ab, weil in Brusino-Arsizio kein Bedürf-

1-27 nis nach einer neuen Wirtschaft bestehe. Die auf Antrag des schweizerischen Finanz- und Zolldepartements vom Bundesrate mit Schreiten vom 10. Januar 1905 beim Regierungsrate des Kantons Tessin erhobenen zollpolizeilichen Einwendungen gegen die Eröffnung einer Wirtschaft in dem zwischen der schweizerischen Zollstation und der schweizerisch-italienischen Grenze gelegenen Neubau Gannas sind in diesem Entscheide nicht berücksichtigt.

Mit Eingabe vom 2. Mai 1905 an die Bundesversammlung verlangte Ganna die Aufhebung des bundesrätlichen Entscheides, weil er einen solchen durch seine Eingabe vom 28. Februar 1905 gar nicht habe provozieren wollen (vgl. den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 22. Juni 1905 ; Bundesbl. 1905, IV, 519). Die Bundesversammlung trat der Auffassung des Rekurrenten bei und wies mit Beschluss vom 21. Dezember 1905/20. März 1906 die Angelegenheit, unter Aufhebung des bundesrätlichen Entscheides vom 14. April 1905, zu neuer Behandlung an den Bundesrat zurück. Daraufhin hat der Bundesrat am 3. April 1906 auf Antrag seines Justiz- und Polizeidepartements dem Vertreter Gannas, Advokaten Francesco Azzi in Lugano, zu Händen seines Klienten folgendes Schreiben übermittelt : JMit Beschluss des Nationalrates vom 21. Dezember 1905, des Ständerates vom 20. März 1906 ist der Entscheid des Bundesrates vom 14. April 1905 in Sachen Ganna betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatents aufgehoben und die Angelegenheit zu neuer Behandlung an den Bundesrat zurückgewiesen worden. Die Eingabe Gannas vom 28. Februar 1905 ist demnach nicht als ein Rekurs anzusehen, sondern als ein blosses Gesuch, welches dahin geht, der Bundesrat wolle dem Staatsrate des Kantons Tessin mitteilen, dass er sich dem Wirtschaftsbegehren Gannas nicht widersetze. Da sich der Bundesrat an Hand der Eingabe Gannas nicht von der Unbegründetheit der zollpolizeilichen Bedenken überzeugen konnte, die er in seinem Schreiben vom 10. Januar 1905 beim Staatsrat des Kantons Tessin gegen die Erteilung eines Patentes für Gannas Haus in .Brusino-Arsizio geltend gemacht hat, so kann er dem Begehren Gannas keine Folge geben."

Aus Versehen ist dem Regierungsrat des Kantons Tessin vom Entscheid der Bundesversammlung und - -von dem obigen Schreiben des Bundesrates nicht offiziell Kenntnis gegeben worden.

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Als nun Ganna mit Eingabe vom 7. Januar 1907 beim Regierungsrat des Kantons Tessili neuerdings um ein Herberggpatent für sein Haus in Brusino-Arsizio einkam, trat der Regierungsrat mit Beschluss vom 15. Februar 1907 auf das Gesuch nicht ein, weil die Beschwerde Gannas bei der Bundesversammlung noch pendent sei.

II.

Mit Eingabe vom 20. Februar 1907 beschwert sich Ganna beim Bundesrat gegen diesen Entscheid und stellt folgende Begehren : 1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und dem Rekurrenten das verlangte Patent zu erteilen, eventuell : 2. Der Regierungsrat sei einzuladen, einen neuen Entscheid auf Grund der Akten zu fällen.

Zur Begründung führt der Rekurrent im wesentlichen folgendes aus : Die tatsächlichen Angaben seiner frühern Eingaben seien nie widerlegt worden und er berufe siöh deshalb neuerdings auf sie. Unrichtig sei die Behauptung des Regierungsrates, in Brusino-Arsizio beständen schon genug solcher Wirtschaften, wie der Rekurrent eine eröffnen wolle. Denn Ganna verlange ein Patent mit Beherbergungsrecht und eine solche Konzession sei bisher für Brusino-Arsizio noch nicht verliehen worden.

Bis heute finde dort also niemand ein ordentliches Nachtlager und eine Pension mit den Bequemlichkeiten, die heutzutage verlangt werden. Diesem mangelhaften Zustande solle das vom Rekurrenten geplante Gasthaus abhelfen, für welches somit ein unleugbares Bedürfnis bestehe.

Das Schreiben der Bundeskanzlei vom 3. April 1906, durch welches das ursprüngliche Begehren Gannas aus zollpolizeilichen Gründen abgewiesen werde, greife willkürlich in die Kompetenz des Regierungsrates des Kantons Tessin ein und verletze die durch Art. 31 der Bundesverfassung gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit. Deshalb habe der Rekurrent in seinem neuen Rekurs vom 7. Januar 1907 verlangt, dass ihm dieselbe Freiheit der Gewerbeausübung zugestanden werde, wie jedem andern Schweizer. Die Behauptung im Entscheide des Regierungsrates vom 15. Februar 1907, die frühere Ein-

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gäbe des Rekurrenten sei noch nicht erledigt, entbehre jeder Begründung, denn die Bundesversammlung habe darüber Beschluss geìasst, und mit dem Schreiben der Bundeskanzlei vom 3. April 1906 sei die ganze Angelegenheit erledigt worden.

Deshalb müsse der angefochtene Entscheid vom 15. Februar 1907 aufgehoben und der Regierungsrat eingeladen werden, einen neuen Entscheid auf Grund der Art. 3l und 4 der Bundesverfassung zu fällen und dem Rekurrenten das verlangte Patent zu erteilen.

Was die zollpolizeilichen Bedenken gegen die vom Rekurrenten geplante Herberge betreffe, so brauche man hierüber keine Worte zu verlieren. Der Zoll sei eine dem Volke feindliche Einrichtung und die Zollverwaltung habe keine andern Kompetenzen als die, die Grenzen zu überwachen.

III.

Diese Beschwerde wurde dem Bundesrate vom Regierungsrat des Kantons Tessin mit einem Begleitschreiben vom 23. Februar 1907 zugeleitet, das zugleich eine Beantwortung der Beschwerde enthält. Der Regierungsrat führt aus, er stelle es dem Bundesrate anheim, zu entscheiden, ob diese Beschwerde, die statt einer sachlichen Begründung zumeist nur Verleumdungen der öffentlichen Behörden enthalte, überhaupt angenommen werden könne. Der Regierungsrat habe materiell auf das Patentgesuch Gannas vom 7. Januar 1907 nicht eintreten können, weil ihm von der Erledigung der frühern Beschwerde Gannas nie Mitteilung gemacht worden sei und auch der Rekurrent hiervon nichts gesagt habe.

Wie auch der Rekurrent anerkenne, müsste eigentlich dem Regierungsrat zunächst Gelegenheit gegeben werden, über das neue Patentgesuch Gannas materiell zu entscheiden. Um aber überflüssigen Zeitverlust zu vermeiden, erkläre er schon jetzt, ·dass er das Gesuch auch materiell abweisen müsste, erstens, weil alle in den früheren Entscheiden und Rechtsschriften des Regierungsrates gegen das erste Patentgesuch Gannas geltend gemachten Einwendungen auch heute noch gültig seien, zweitens, weil seit der Abweisung des ersten Patentgesuches Gannas drei weitere Begehren um Bewilligung einer neuen Wirtschaft in Brusino-Arsizio auf Grund der Bedürhiisklausel abschlägig beschieden worden seien.

Bundesblatt. 59. Jahrg.

Bd. IV.

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130 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Die Beschwerdeschrift enthält allerdings einige ungebührliche Stellen. Allein, da die Angelegenheit im übrigen spruchreif ist, so sieht der Bundesrat, um keine Zeit zu verlieren, von der Rückweisung des Rekurses an den Beschwerdeführer zur Korrektur dieser Stellen ab.

II.

Der Regierungsrat des Kantons Tessin hat sich in seinem Entscheide vom 15. Februar 1907 geweigert, auf das Patentgesuch Gannas einzutreten, weil er annahm, die frühere Eingabe Gannas an die Bundesrekursbehörden sei noch nicht erledigt. Bei dieser Annahme befand sich der Regierungsrat, ' allerdings unverschuldeterweise, in einem Irrtume, und der einzig auf diesem formellen Grund beruhende Entscheid ist daher hinfällig. Die Beschwerde Gannas müsste daher eigentlich gutgeheissen und der Regierunggrat des Kantons Tessin eingeladen werden, einen materiellen Entscheid über das neue Patentgesuch Gannas zu fällen. Allein da der Regierungsrat in seinem Schreiben vom 23. Februar 1907 erklärt hat, er würde das neue Patentgesuch Gannas aus den gegenüber dem frühern Begehren geltend gemachten Gründen und wegen der seither vorgekommenen Abweisungen von Patentgesuchen für die Gemeinde Brusino-Arsizio auch materiell abweisen, so kann der Bundesrat, ohne umständliche und zeitraubende Rückweisung der Angelegenheit an den Regierungsrat, einen Entscheid fällen.

Dies um so mehr, als in den anlässlich des ersten Patentgesuches Gannas eingereichten Rechtsschriften des Rekurrenten und des Regierungsrates die Gründe, welche für und gegen die Erteilung der Bewilligung sprechen, genügend auseinandergesetzt worden sind, und der Rekurrent in seiner neuen Beschwerde keinerlei neue Gründe angeführt hat.

III.

Aus den anlässlich der frühern Eingabe Gannas an den Bundesrat gelangten Rechtsschriften des Rekurrenten und des

131 Regierungsrates des Kantons Tessin ergibt sich, dass in Brusino-Arsizio, einem armen Dorf von 335 Einwohnern, 8 Wirtschaften bestehen, so dass schon auf 42 Seelen eine Wirtschaft kommt. Unter diesen Umständen ist es klar, dass dort kein Bedürfnis nach einer neuen Wirtschaft besteht. Nun macht Ganna allerdings geltend, er verlange ein Patent mit Beherbergungsrecht, und für ein Gasthaus, wo Fremde ordentliche Unterkunft finden können, sei in Brusino-Arsizio ein Bedürfnis vorhanden, da dort überhaupt kein Gasthaus bestehe.

Doch ist dieses Argument im vorliegenden Fall nicht stichhaltig. Denn einerseits handelt es sich um eine arme Gemeinde, in welcher nach dem Zeugnisse des Rekurrenten selbst in seinen frühern Rechtsschriften ein nennenswerter Verkehr nicht stattfindet, und anderseits liegt Gannas Neubau zirka 3 km. von der Ortschaft entfernt, dicht an der italienischen Grenze, näher hei der italienischen Ortschaft Porto-Ceresio als bei Brusino-Arsizio. Selbst wenn also in Brusino-Arsizio ein Bedürfnis nach einer Herberge vorhanden wäre, so käme der weitentlegene Neubau des Rekurrenten für die Befriedigung dieses Bedürfnisses nicht in Betracht. Angenommen auch, die neue Strasse von Porto-Ceresio nach Brusino-Arsizio, die gegenwärtig im Bau begriffen ist, bringe für letztern Ort eine etwelche Steigerung des Verkehrs, so wird Ganna bei dem von ihm geplanten Gasthausbetrieb in der Hauptsache doch stets auf den damit verbundenen gewöhnlichen Wirtschaftsbetrieb angewiesen sein. Die Verneinung der Bedürfnisürage durch die Behörden des Kantons Tessin erscheint daher gegenüber dem Rekurrenten sowohl, als gegenüber den Patentbewerbern, die nach ihm abgewiesen worden sind, durchaus gerechtfertigt.

IV.

Übrigens müsste dem Rekurrenten, selbst wenn die Bedürfnisfrage zu bejahen wäre, das Patent dennoch verweigert werden. Wie das schweizerische Finanz- und Zolldepartement festgestellt hat, würde die Errichtung eines Gasthauses im Neubau des Rekurrenten den Zolldienst beeinträchtigen und den Schmuggel ausserordentlich begünstigen (vgl. Entscheid des Bundesrates in Sachen Kyburz contra Aargaii ; Bundesbl. 1903, II, 497/98).

132 Auch aus diesem Grunde rechtfertigt sich die Verweigerung des Patentes.

Demgemäss wird erkannt: Die Beschwerde wird abgewiesen.

Bern, den 22. März 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der II. Vizekanzler: Gigandet.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Carlo Ganna von Brusino-Arsizio, betreffend Verweigerung eines Gasthauspatents. (Vom 22. März 1907.)

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1907

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05.06.1907

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