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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde der Gebrüder Sulzer in "Winterthur und der Schweiz. Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur gegen die Anwendung des zürcherischen Gesetzes betreffend das Lehrlingswesen auf Fabriken.

(Vom 29. November 1907.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde der Gebrüder Sulzer in Winterthur und der Schweiz. Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur gegen die Anwendung des zürcherischen Gesetzes betreffend das Lehrlingswesen auf Fabriken, auf den Bericht seines Justiz- und Polizeidepartements und seines Industriedepartements, folgenden Beschluss gefasst:

A.

In tatsächlicher Beziehung wird festgestellt: In der Volksabstimmung vom 22. April 1906 ist im Kanton Zürich ein Gesetz über das Lehrlingswesen angenommen worden, das am 28. April 1906 in Kraft trat. Die hier hauptsächlich in Betracht kommenden §§ l--5, 7--18 und 25, Absatz 2 des Gesetzes, lauten wie folgt:

550 § 1. Als Lehrling im Sinne dieses Gesetzes gilt jede minderjährige männliche oder weibliche Person, welche in einem handwerksmässigen oder industriellen Betriebe, in einer Lehrwerkstätte, einer Fachschule oder in einem Handelsgeschäft einen bestimmten Beruf erlernen will.

In streitigen Fällen entscheidet die Direktion der Volkswirtschaft.

§ 2. Der Eintritt in die Lehre bei einem Gewerbetreibenden mit handwerksmässigem oder industriellem Betriebe ist dem Lehrling, gestattet nach Erfüllung der Primarschulpflicht gemäss den Bestimmungen des Gesetzes betreffend die Volksschule vom 11. Juni 1899 (§§ 14 und 46).

In ein Handelsgeschäft darf ein Lehrling erst nach Schluss des Schuljahres eintreten, in welchem er das 15. Altersjahr beendigt.

§ 3. Für jedes Lehrverhältnis ist ein schriftlicher Lehrvertrag in drei Exemplaren auszufertigen. Die Ausfertigungen sind vom Lehrmeister, vom Inhaber der elterlichen Gewalt, oder vom Vormund unter Zustimmung der Vormundschaftsbehörde, und vom Lehrling eigenhändig zu unterzeichnen.

Die vertragschliessenden Parteien und die Direktion der Volkswirtschaft erhalten je ein Exemplar des Vertrages. Der Direktion der Volkswirtschaft ist auch von allen Änderungen im Vertragsverhältnis Mitteilung zu machen.

§ 4. Der Lehrvertrag soll enthalten die Angabe des zu erlernenden Berufes oder der Berufsspezialität, die Dauer der Lehrzeit, die gegenseitigen Vergütungen und die Dauer der Probezeit, innerhalb welcher es jedem Teil frei steht, das Vertragsverhältnis unter Einhaltung einer wenigstens dreitägigen Kündigungsfrist aufzulösen.

§ 5. Der Lehrmeister ist verpflichtet, für das körperliche und geistige Wohl des Lehrlings nach besten Kräften zu sorgen und ihn in der durch den Zweck der Ausbildung gebotenen Reihenfolge in den Kenntnissen und Fertigkeiten seines Geschäftsbetriebes heranzubilden. Er muss entweder selbst oder durch einen geeigneten Stellvertreter die Ausbildung des Lehrlings leiten.

Zu ändern als beruf liehen Dienstleistungen darf der Lehrling nur verwendet werden, soweit der Lehrvertrag es ausdrücklich gestattet und sofern die Erlernung des Berufes darunter nicht Schaden leidet.

551 Wohnt der Lehrling bei seinem Lehrmeister, so ist dieser verpflichtet, für einen gesundheitlichen Anforderungen entsprechenden Schlafraum und für ein eigenes Bett zu sorgen.

Erhält der Lehrling eine Vergütung, so darf dieselbe nicht nach dem Akkordsystem berechnet werden.

§ 7. Die tägliche Arbeitszeit des Lehrlings darf 10 Stunden nicht übersteigen. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken.

Vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit ist nur zulässig bei periodisch wiederkehrenden, ausserordentlichen Arbeiten, wie Rechnungsabschlüssen und Inventuren, ferner bei Nachholung von Arbeit bei Betriebsstörung, bei Arbeitsüberhäufung in der Saison, bei Bestellungen anlässlich unvorhergesehener bestimmter Ereignisse, zur Abwendung von grossem Schaden, drohender Materialverderbnis und Verhütung der Arbeitslosigkeit anderer.

Zu Überzeitarbeit dürfen nur Lehrlinge im Alter von mehr als 16 Jahren verwendet werden. Die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit darf höchstens zwei Stunden und nicht mehr als 75 Stunden im Jahr betragen.

§ 8. Lehrlinge dürfen weder zur Arbeit an Sonn- und Festtagen, noch zur Nachtarbeit herangezogen werden. Als Nachtarbeit gilt die Arbeit in der Zeit zwischen 8 Uhr abends und 6 Uhr morgens.

§. 9. Der Regierungsrat wird auf dem Verordnungswege die Berufsarten bezeichnen, in denen Lehrlinge auch nachts und an Sonn- und Festtagen beschäftigt werden dürfen. Diese Bewilligung darf nur erteilt werden, wenn der geordnete Betrieb ohne Sonntags- und Nachtarbeit nicht möglich ist und die Teilnahme an der letzteren der Berufslehre dient.

Die regelmässige Sonntagsarbeit darf die Dauer von sechs Stunden nicht übersteigen. Dieselbe Vorschrift gilt auch für jede Nachtarbeit. Dem Lehrling muss in jedem Falle eine lOstündige ununterbrochene Ruhezeit gewährt werden.

§ 10. Es ist verboten, den Lehrlingen über die gesetzliche Arbeitszeit des Geschäftes hinaus weitere Arbeit nach Hause mitzugeben.

§ 11. Wenn am Wohnorte des Meisters oder in geringer Entfernung davon gewerbliche oder kaufmännische oder allgemeine Fortbildungsschulen bestehen, ist der Lehrling, insofern er nicht

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eine andere gleichwertige Anstalt besucht oder schon besucht hat, zum Besuche der Schule oder der Fächer, welche seiner beruflichen Ausbildung förderlich sind, verpflichtet. Der Lehrmeister hat ihm die hierfür nötige Zeit einzuräumen, und zwar für den Unterricht, der in die Arbeitszeit fällt, wenigstens vier Stunden wöchentlich. Diese Unterrichtsstunden sind in der zulässigen Arbeitszeit Inbegriffen.

Ebenso ist dem Lehrling die nötige Zeit für den Religionsunterricht freizugeben.

§ 12. Nach Beendigung der vertraglichen Lehrzeit hat der Lehrmeister dem Lehrling eine Bescheinigung über Art und Dauer der Lehre auszustellen, sowie auf Verlangen ein Zeugnis über Fleiss und Betragen.

§ 13. Eine Vereinbarung, durch welche der Lehrling für die Zeit nach der Beendigung des Lehrverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt wird (Konkurrenzklausel), ist nicht zulässig.

§ 14. Der Lehrvertrag kann vor Ablauf der vereinbarten Lehrzeit aus wichtigen Gründen von jeder Seite aufgehoben werden. Über das Vorhandensein solcher Gründe entscheidet der Richter nach freiem Ermessen.

Liegen diese Gründe in einem vertragswidrigen Verhalten des einen oder ändern Teils, so hat er Schadenersatz zu leisten, dessen Höhe der Richter unter Würdigung aller Umstände nach freiem Ermessen festsetzt.

§ 15. Glaubt der eine Teil Grund zu einer vorzeitigen Auflösung des Dienstvertrages zu haben, so untersucht auf Begehren der einen oder ändern Partei die Direktion der Volkswirtschaft, nötigenfalls unter Mitwirkung der kantonalen Kommission für das Fabrik- und Gewerbewesen oder der Kommission für das Handelswesen, oder einer Abordnung dieser Kommissionen die Verhältnisse und bestrebt sich, eine Verständigung herbeizuführen.

Gelingt ihr dies nicht und erweist sich die Beschwerde als begründet, so kann sie vorbehaltlich des richterlichen Entscheides die Entlassung oder Wegnahme des Lehrlings vorsorglich verfügen : a. wenn dem Lehrling die körperliche oder geistige Befähigung zum Berufe fehlt, wenn er trotz Mahnungen des Lehrmeisters es am erforderliehen Fleisse fehlen lässt, wenn er

553 sich gegen den Lehrmeister oder dessen Angehörige fortgesetzt ungebührlich benimmt, wenn er dieselben böswilligerweise schädigt oder wenn er strafrechtlich verurteilt wird :i O b. wenn der Geschäftsinhaber nicht durch eigene Kenntnis des Berufes oder durch Sorge für geeignete Stellvertretung die nötige Garantie für zweckmässige Heranbildung des ihm anvertrauten Lehrlings bietet oder seine Pflichten gegen denselben vernachlässigt, insbesondere den Vorschriften der §§ 5, 11 und 19 nicht nachkommt.

§ 16. Das Recht, Lehrlinge zu halten, kann Personen entzogen werden, die sich wiederholt grober Pflichtverletzung gegen die ihnen anvertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben, . oder gegen welche Tatsachen vorliegen, die sie in moralischer Beziehung zur Erziehung eines Lehrlings als ungeeignet erscheinen lassen.

§ 17. Die Entziehung erfolgt durch Verfügung der Direktion der Volkswirtschaft.

Sie wird bis auf fünf Jahre ausgesprochen.

Treten die in § 16 genannten Voraussetzungen während des Bestandes eines Lehrlingsverhältnisses ein, so entscheidet die Direktion unter Berücksichtigung der Interessen des Lehrlings, ob die Lehre noch beendet werden darf.

§ 18. Bestreitet der Geschäftsinhaber, dass ein genügender Grund für Entzug des Rechts, Lehrlinge aufzunehmen, vorhanden sei, so kann er hierüber einen gerichtlichen Entscheid verlangen.

Dieses Begehren ist der Aufsichtsbehörde (§ 26) innert 14 Tagen nach der Zustellung der Verfügung schriftlich zu erklären. Diese hat darauf die sämtlichen Akten innert 14 Tagen dem zuständigen Bezirksgericht zum Entscheide zu übermitteln.

Auf Klagen dieser Art finden die Bestimmungen über den Bevogtigungsprozess Anwendung.

§ 25, Abs. 2. Der Regierungsrat ist befugt, nach Anhörung der Berufsverbände auf dem Verordnungswege für einzelne Berufsarten nähere Bestimmungen über das Lehrlingswesen, insbesondere über die Dauer der Lehrzeit und die in einem Betriebe zulässige Maximalzahl von Lehrlingen, zu erlassen.

Im Oktober 1906 wurden die Gebrüder Sulzer und die Schweiz. Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur vom

kantonalen Bureau für Gewerbewesen eingeladen, gemäss § 3 des Lehrlingsgesetzes ihre Lehrv.erträge einzusenden. Beide Firmen weigerten sich, dies zu tun und rekurrierten, als die Volkswirtschaftsdirektion auf der Durchführung der genannten. Gesetzesbestimmung behaarte, an den Regierungsrat.

Die Schweiz. Lokomotiv- und Blaschinenfabrik stellte das Begehren, der Regierungsrat wolle erklären, dass die Bestimmungen des kantonalen Lehrlingsgesetzes vom 22. April 1906 bei der Rekurrentin nicht zur Anwendung gelangen und für ihren Betrieb einzig und allein die vom Bunde erlassenen Bestimmungen der Fabrikgesetzgebung massgebend sein sollen.

Die Rekurrentin begründete ihr Begehren unter Berufung auf den Entscheid des Bundesrates vom 6. Januar 1905 (vergi.

Bundesbl. 1906, I, 720, lit. e) damit, dass ihr Betrieb nur dem Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 unterstellt sei ; den kantonalen Behörden fehle die Kompetenz zum Erlass von Bestimmungen, die in die Rechtssphäre des Bundes eingreifen.

Die Gebrüder Sulzer verlangten Gutheissung ihrer Beschwerde in dem Sinne, dass ihr Geschäft dem Lehrlingsgesetz überhaupt oder wenigstens dem ersten Abschnitt (praktische Berufslehre) und dem § 25, Absatz 2, eventuell jedenfalls nicht den §§ 5, Absatz 3, 7 bis 11, und 25, Absatz 2, des Gesetzes unterstellt werde.

Zur Begründung führten sie aus, dem Kanton fehle in erster Linie die Kompetenz zur Regelung des zivilrechtlichen Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Lehrling ; denn der Lehrvertrag sei ein Dienstvertrag und falle als solcher unter das Obligationenrecht, welches in Art. 349, Ziffer 2, die Bundesgesetzgebung über die Arbeit in den Fabriken vorbehalte. Aber auch zum Erlass öffentlichrechtlicher Bestimmungen über das Lehrverhältnis der Fabriklehrlinge sei der Bund gemäss Art. 34 der Bundesverfassung ausschliesslich zuständig. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut der Verfassungsvorschrift als aus ihrer Entstehungsgeschichte und bisherigen Anwendung. Jedenfalls seien die Kantone auf all den Gebieten nicht mehr kompetent, die der Bund bereits gesetzlich geregelt habe, also namentlich nicht auf dem Gebiet des Arbeiterschutzes der Lehrlinge ; hierfür sei das Fabrikgesetz massgebend, gleichgültig, ob dieses Gesetz die Materie erschöpfend behandle oder nicht.. Unter allen Umständen aber widerstreite das Verbot der Akkordlöhnung des Lehrlings in § 5, Alinea 3,

555 des Lehrlingsgesetzes dem Bundesrecht, da der Bund in allen Lohnfragen zur Gesetzgebung kompetent sei, und das gleiche gelte von den §§7 bis 11, soweit sie sich auf die Arbeitsdauer beziehen, und von der Festsetzung der Maximalzähl der Lehrlinge in einem Betriebe durch Regierungsratsbeschluss gemäss § 25, Absatz 2, des Lehrlingsgesetzes.

Der zurcherisehe Regierungsrat hat diese Beschwerden in zwei Entscheiden, vom 22. November und 6. Dezember 1906, abgewiesen und dabei im wesentlichen folgendes geltend gemacht: Das Lehrlingsgesetz stehe nicht im Widerspruch mit Art. 34 der Bundesverfassung, denn es enthalte sich jedes Übergriffs auf Gebiete, die durch das eidgenössische Fabrikgesetz geregelt seien.

Wo es solche Gebiete berühre, wie bei der Normierung der Arbeitszeit der Lehrlinge, da werde entweder, wie in § 7, die einschlägige Bestimmung des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken vorbehalten, oder das kantonale Gesetz befinde sich in Übereinstimmung mit dem Bundesgesetz. Das genannte Bundesgesetz behandle wohl die Beschäftigung minderjähriger Arbeiter in Fabriken, nicht aber das Lehrlingsverhältnis als solches. Dieses könne daher durch kantonales Gesetz geregelt werden. Das eidgenössische Fabrikgesetz verbiete den Kantonen ebensowenig, ihre Lehrlingsgesetze auf Fabriklehrlinge anzuwenden, wie es ihnen verbiete, ihre Baugesetze auf Fabrikbautcn anzuwenden. Diese Auffassung stehe im Einklang mit der bundesrätlichen Botschaft vom 6. Dezember 1875 zum Entwurf des Fabrikgesetzes, insbesondere mit ihren Ausführungen zu Art. 19 des Entwurfs (vergi.

Bundesbl. 1875, IV, 959/60), das Lehrlingsverhältnis gehöre zu den dort erwähnten, im Fabrikgesetz nicht geregelten Verhältnissen der Fabrikarbeit, die der kantonalen Gesetzgebung und Administration offen bleiben. Der gleichen Auffassung, wie die Botschaft, haben auch die eidgenössischen Räte Ausdruck gegeben, wie sich aus dem Bericht der nationalrätlichen Kommission vom 4. Mai 1876 und aus den Protokollen der Beratung des Art. 34 der Bundesverfassung ergebe. (Vergi. Kommentar des schweizerischen Industriedepartements zum Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken S. 295.)

Auch mit den Vorschriften des Schweiz. Obligationenrechtes stehe das Lehrlingsgesetz nicht im Widerspruch. Der Lehrvertrag sei kein gewöhnliches Dienstverhältnis,
das bloss nach dem Obligationenrecht zu beurteilen wäre, sondern ein Vertrag, bei dem eine bevormundete Person beteiligt sei. Da nun die Kantone zur Gesetzgebung im Gebiet des Vormundschaftswesens

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kompetent seien, so können sie auch die Form und den .Inhalt solcher Verträge durch Vorschriften regeln, die den Zwecken der vormundschaftlichen Fürsorge entsprechen. Dies sei im ersten Gesetzesabschnitt ^Praktische Berufslehrea geschehen, wo bei Festlegung dei- Arbeitszeit der Lehrlinge (§ 7) eine Kollision mit den eidgen. Normen durch Vorbehalt des Fabrikgesetzes vermieden worden sei. Die Bestimmung über die Maximalzahl der Lehrlinge in § 25, Absatz 2, sei durchaus als eine die Regelung des LehrverLrages bezweckende aufzufassen und greife als solche nicht in das vom Fabrikgesetz geregelte Gebiet über. Auch das Verbot der Akkordlöhnung in § 5, Absatz 3, widerstreite dem Fabrikgeset» nicht; denn Art. 9 des Fabrikgesetzes beschlage nur das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem ordentlichen Arbeiter; diese Bestimmung könne auf die Beziehungen zwischen Fabrikbesitzer und Lehrling ebensowenig angewendet werden, als auf den in der Fabrik arbeitenden Haussohn. (Kommentar des schweizerischen Industriedepartements zum Fabrikgesetz S. 47, Nr. 38.)

Bndlich rechtfertigen sich die Vorschriften des Lehrlingsgesetzes auch vom Standpunkte des der kantonalen Gesetzgebungskompetenz unterstehenden Unterrichtswesens. Der Sorge für eine richtige gewerbliche Ausbildung der Lehrlinge seien nicht nur die Bestimmungen über Lehrlingsprüfungen gewidmet, sondern beispielsweise auch § 11 des Gesetzes, der die Verpflichtung zum Besuche der Fortbildungsschule, enthält. Über diese Materie habe der Bund gar nicht legiferieren können. Es zeige sich also auch hier wieder, dass die Gesetzgebungskompetenz in öffentlichrechtlicher Beziehung, auch wenn es sich um die Regelung des Verhältnisses zwischen dem Fabrikbesitzer und den in seinem Betrieb beschäftigten Personen handelt, nicht ausschliesslich dem Bund zustehe, wie die Rekurrenten meinen. Daher könne ein industrieller Betrieb sehr wohl im allgemeinen dem eidg. Fabrikgesetz, bezüglich der Lehrlinge aber dem kantonalen Gesetz unterstellt sein, ohne dass Konflikte entstünden, sofern nur das kantonale Gesetz, wie das zürcherische, keine Vorschriften über solche Gebiete aufstelle, die von der Bundesgesetzgebung schon geregelt sind.

II.

Mit Eingabe vom 29. Dezember 1906 beschweren sich die Gebrüder Sulzer und die Schweiz. Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur über diese Entscheide beim Bundesrat und stellen folgende Begehren :

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Der Bundesrat wolle erklären, a. es sei das zürcherische Lehrlingsgesetz vom 22. April 1906 auf Fabriklehrlinge überhaupt nicht anwendbar; ö. eventuell sei das genannte Gesetz, abgesehen von Abschnitt 2 (Lehrlingsprüfungen) auf Fabriklehrlinge nicht anwendbar; c. es seien die §§ 3, 4 (Form und Inhalt des Lehrvertrages), 5, Alinea 3 (Verbot der Akkordlöhnung), 13 (Verbot der Konkurrenzklausel) und 15 (provisorische Entlassung), weil sie mit der Bundesverfassung, Art. 64. und mit dem Obligationenrecht im Widerspruch stehen, sowie die §§ l--5, 7--18 und 25, Alinea 2, weil sie mit der Bundesverfassung, Art. 34, und dem Fabrikgesetz im Widerspruch stehen, auf Fabriklehrlinge nicht anwendbar.

Zur Begründung führen die Rekurrenten im wesentlichen folgendes aus: Der erste Abschnitt des Gesetzes enthalte in den §§ l--18 hauptsächlich Bestimmungen öffentlichrechtlicher Natur zum Schutz des Lehrlings gegen Ausbeutung durch den Lehrherrn, so namentlich in den §§ 2, 5, 7--10, 11, 12, 14, 15, 16--18, daneben aber auch Vorschriften privatrechtlicher Natur, die das Obligationenrecht ergänzen oder abändern sollen, so namentlich in den §§ 3, 4, 5, Alinea 3, 13 und 15. Zuzugeben sei, dass eine genaue Scheidung der Bestimmungen in die beiden Kategorien schwer falle.

Der zweite Abschnitt (§§ 19 -- 24) regle die Lehrlingsprüfungen.

Aus dem dritten (§§ 25--32), die Aufsicht und Vollziehung regelnden Abschnitt sei die Bestimmung in § 25, Alinea 2, hervorzuheben, wonach der Regierungsrat durch Verordnung die Dauer der Lehrzeit für einzelne Berufsarten regeln und die in einem Betrieb zulässige Maximalzahl der Lehrlinge bestimmen kann.

Zu entscheiden sei die Frage, ob dieses Gesetz im ganzen oder eventuell in welchen Teilen auf die dem Fabrikgesetz unterstehenden Betriebe anwendbar sei.

Der Lehrvertrag sei nach der in der- Gerichtspraxis feststehenden Anschauung vorwiegend obligationenrechtlicher Natur.

Auf dem Gebiete des Obligationenrechts, wie des Zivilrechts überhaupt, gebe Art. 64 der Bundesverfassung dem Bund die ausdrückliche Gesetzgebungskompetenz ; für die kantonale Gesetzgebung sei daneben nur noch insoweit Raum, als sie durch das Obligationenrecht ausdrücklich anerkannt werde. Soweit also das

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Lehrlingsgesetz Normen obligationenrechtlicher Natur enthalte, seien sie nicht nur für die Rekurrenten, sondern überhaupt unverbindlich.

Ohne allen Zweifel sei der Bund nach Art. 34 der Bundesverfassung ausschliesslich zur Normierung der Verwendung von Kindern in den Fabriken zuständig. Da aber die Lehrlinge keinesfalls den erwachsenen Personen zugezählt werden können, so fehle den Kantonen auch die Kompetenz dazu, die Beschäftigung der Lehrlinge in Fabriken durch Vorschriften öffentlichrechtlicher .Natur zu regeln. Für diese Auffassung spreche die Entstehungsgeschichte des Art. 34 der Bundesverfassung sowie die Praxis des Bundesrates. (Vergi, insbesondere Kommentar des schweizerischen Industriedepartements zum Fabrikgesetz, Art. 20, 8. 294/96 und Bundesbl. 1906, I, 720.) Auch habe kein anderer Kanton bisher die Fabrikbetriebe unter sein Lehrlingsgesetz gestellt.

Von den Bestimmungen des Lehrlingsgesetzes über den Schulunterricht der Lehrlinge (§§ H und 19--24), könne jedenfalls § 11 angesichts des Wortlauts von Art. 16, Abs. 2, des Fabrikgesetzes auf Fabriklehrlinge nicht angewendet werden.

Sofern der grundsätzliche Standpunkt der Rekurrenten nicht gutgeheissen werden könnte, so wäre die Anwendbarkeit der einzelnen Bestimmungen des Gesetzes auf sie im Sinne des Beschwerdebegehrens c zu prüfen und festzustellen.

1IL Aus der Antwort des Regierungsrates vom 7. März 1907 auf die Beschwerde ist folgendes hervorzuheben : Soweit die Beschwerde sich auf eine Verletzung von Art. 64 der Bundesverfassung und des schweizerischen Obligationenrechts stütze, sei nicht der Bundesrat zuständig, sondern das Bundesgericht.

Die nach Ansicht der Rekurrenten privatrechtlichen Bestimmungen des Lehrlingsgesetzes können nicht vom Standpunkt des Art. 34 der Bundesverfassung angefochten werden ; denn diese Verfassungsbestimmung übertrage dem Bund nur die Befugnis zum Erlass öffentliehrechtlicher, polizeirechtlicher Vorschriften über Fabrikarbeit. Es könne daher auch nur. öffentliches kantonales Recht mit der Fabrikgesetzgebung des Bundes kollidieren, nicht privates. . Soweit die Fabrikgesetzgebung des Bundes Haftpflichtbestimmungen enthalte, stütze sie sich auf Art. 64 der Bundesverfassung und bilde eine Modifikation der Haftpflichtbestimmungeri des Obligationenrechts.

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Allein auch auf öffentlichrechtlichem Gebiet stehe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz nicht im ganzen Umfang zu. Die Entstehungsgeschichte des Art. 34 der Bundesverfassung zeige dies aufs deutlichste. Die Motion Joos vom Jahre 1868 habe die Aufstellung schützender Bestimmungen für die in Fabriken beschäftigten Kinder von Bundes wegen verlangt, und zwar namentlich in Bezug auf das Eintrittsalter und die Maximalarbeitszeit. Sie hatte also die Kinder nur als Arbeiter im Auge, sie bezweckte eine Arbeiterschutzgesetzgebung des Bundes und auf diesem Boden stehe sowohl Art. 34 der Bundesverfassung als das Fabrikgesetz, wodurch das, was bisher kantonal verschieden war, einheitlich gestaltet wurde. Der Schutz der Minderjährigen und der Erwachsenen, die sich nicht selbst helfen können, gegen übermässige Arbeit und gesundheitsschädlichen Gewerbebetrieb, also der Schutz der Genannten als Arbeiter, das sei einzig Sinn und Zweck der ganzen Fabrikgesetzgebung des Bundes von Anfang an gewesen und bis heute geblieben. Deshalb heisse es in der bundesrätlichen Botschaft zum Entwurf des Fabrikgesetzes: ,,Nur die Verhältnisse der Fabrikarbeit, welche in diesem Gesetz nicht geregelt sind, bleiben der kantonalen Gesetzgebung und Administration offen etc.a Und in Art. 16, Absatz 2T des Fabrikgesetzes werde ausdrücklich gesagt, dass die Fabrikat1 b e i t dem Kinde Zeit zum Besuch des nötigen Schulunterrichts lassen solle. Die Regelung des Lehrlingswesens dagegen sei gar nicht im Sinn der damaligen Zeit gelegen und der eidgen. Gesetzgeber habe weder beim Erlass des Art. 34 der Bundesverfassung noch beim Erlass des Fabrikgesetzes daran gedacht, wie sich denn auch im Vorbild des Bundesgesetees, im glarnerischen Gesetz von 1864, keine Spur hiervon finde. Die Lehrlingsgesetzgebung sei keine eigentliche Arbeiterschutzgesetzgebung ; denn sie habe nicht das Verhältnis des Arbeiters zum Arbeitgeber, sondern die Stellung des Lernenden zum Lehrmeister zum Gegenstand, betreffe also den Arbeiter, der gewissennassen seinen Arbeitgeber zum Zweck seiner Ausbildung in Anspruch nehme. Allerdings müsse auch in diesem Verhältnis der Untergebene vor Ausbeutung durch den Lehrherrn geschützt werden, hier aber speziell im Interesse seiner Ausbildung. Die Lehrlingsgesetzgebung beschlage also nicht das der Regelung durch den Bund anheimgegebene
Arbeitsverhältnis,, sondern das der eidgenössischen Normierung noch nicht unterworfene Lehrverhältnis, und deshalb trete bei ihr die kantonale Gesetzgebungskompetenz in ihr Recht.

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Der Bundesrat spreche in seiner bei Salis Bundesrecht, V, Nr. 2197, zitierten Antwort auf eine Anfrage des Arbeiterbundes Glarus selbst von kantonalen Fabrikpolizeigesetzen betreffend solcher Verhältnisse, deren Regelung nicht der Bundesgesetzgebung vorbehalten ist. Zu diesen der kantonalen Regelung offenstehenden Verhältnissen gehöre eben das Lehrlingswesen.

Indem er den Art. 2 seines Beschlusses vom 13. Dezember 1897 betreffend Vollziehung von Art. 15 und 16 des Fabrikgesetzes als auf Lehrlinge nicht anwendbar erkläre, zeige der Bundesrat unzweideutig, dass er das Lehrlingsverhältnis von der Fabrikgesetzgebung ausnehmen und damit dem Bereich der kantonalen Gesetzgebungskompetenz zuweisen wolle. In seiner Äusserung zur Motion Cornaz vom 17. Juni 1889, welche auch die Regelung des Lehrlingswesens durch obligatorische, industrielle Beruf'sverbäude bezweckte, behaupte der Bundesrat nirgends, diese Materie sei, wenigstens für Fabriken, dem Bundesrecht vorbehalten und auch bei dem Versuch, dem Bund im Jahr 1892 das Recht der Gewerbegesetzgebung, einschliesslich des Lehrlingswesens, zu übertragen, sei hiervon nicht dio Rede gewesen.

Was die kantonale Gesetzgebung anbelangt, so haben die Kantone Neuenburg, Freiburg, Genf, Waadt, Glarus, Zug und Bern Lehrlingsgesetze erlassen und sie zum Teil ausdrücklich auch auf Fabriken anwendbar erklärt. Die Gutheissung der Beschwerde würde also nicht nur den Kanton Zürich, sondern auch diese ändern Kantone treffen, und zwar um so schwerer, als sozusagen alle bedeutenderen Betriebe mit Lehrlingen dem Fabrikgesetz unterstehen und die weitaus grösste Zahl von Lehrlingen in Fabriken beschäftigt sind.

Einerseits sei also die kantonale Lehrlingsgesetzgebung an sich zulässig, anderseits aber können auch die einzelnen Bestimmungen des zürcherischen Gesetzes vor dem Bundesrecht bestehen. Denn, wenn sie sich auch naturgemäss mit der Regelung der ,,Arbeit"1 des Lehrlings befassen, so geschehe dies doch nur zum Zwecke der Ausbildung des Lehrlings und deshalb bleiben sie in den Schranken der kantonalen Kompetenzsphäre.

Die Beschwerde sei daher teils wegen Inkompetenz des Bundesrates, teils materiell abzuweisen.

IV.

Da die Rekurrenten gleichzeitig an das Bundesgericht rekurriert hatten, so wurde zwischen den beiden Rekursbehörden der Meinungs-

561 austausch gemäss Art. 194 des Bundesgesetzes über die Organisation, der Bundesrechtspflege eröffnet. Er führte dazu, dass der Bundesrat die Beschwerde zu entscheiden habe, soweit sie sich auf eine Verletzung des Art. 34 der Bundesverfassung und des Fabrikgesetzes stützt, während das Bundesgericht prüfen werde, ob das zürcherische Lehrlingsgesetz dem Art. 64 der Bundesverfassung und dem Obligationenrecht widerstreite ; der Bundesrat solle zuerst entscheiden.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I. Gemäss der mit dem Bundesgericht getroffenen Kompetenzausscheidung hat der Bundesrat bloss zu prüfen, ob das zürcherische Gesetz betreffend das Lehrlingswesen vom 22. April 1906 mit Art. 34 der Bundesverfassung und mit dem Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 in Widerspruch stehe ; ob es mit Art. 64 der Bundesverfassung und mit dem Bundesgesetz über das-Obligationenrecht in Einklang stehe, wird das Bundesgericht entscheiden.

II. Art. 34, Absatz l, der Bundesverfassung, den die Rekurrenten anrufen, erteilt dem Bunde, ohne selber Vorschriften darüber aufzustellen, die Kompetenz, einheitliche Bestimmungen über die Arbeit in den Fabriken zu erlassen. Nach anerkanntem Rechtssatz bleiben die Kantone kompetent, die durch die Bundesverfassung der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Gebiete gesetzgeberisch zu regeln, so lange der Bund von seiner Kompetenz nicht Gebrauch gemacht hat (vgl. Bundesratsbeschluss in Sachen Doeppen und Konsorten vom 22. März 1907, Bundesbl. 1907, II, 386 ff.).

Es fragt sich also bloss, ob das zürcherische Lehrlingsgesetz mit dem Gesetz in Widerspruch steht, das der Bund in Ausführung von Art. 34 der Bundesverfassung erlassen hat ; die Verfassungsbestimmung selbst gibt den Rekurrenten keinen Rechtstitel zur Beschwerde.

III. Auf die Frage, ob das Bundesgesetz vom 23. März 1877 auch auf Lehrlinge, die in Fabriken verwendet werden, anwendbar sei, und ob es jede abweichende oder ergänzende Regelung durch die kantonale Gesetzgebung ausschliesse, gibt die EntstehuDgsgeschichte des Gesetzes nicht ausdrücklich Antwort.

In den Verhandlungen der Räte wurde mehrmals auf die Lehrlinge Bezug genommen (Bericht der Minderheit der ständerätlichen Bundesblatt. 59. Jahrg. Bd. VI.

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562 Kommission vom 23. November 1876, Bundesbl. 1876, IV, 553), was darauf schliesaen lässt, dass man sie auch unter das Fabrikgesetz stellen wollte; die Frage wurde aber damals nie grundsatzlich entschieden.

Das Fabrikgesetz macht, wo es nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, keinen Unterschied zwischen den Lehrlingen und den ändern Fabrikarbeitern. Der Begriff ,,Arbeiter" umfasst jede in der Fabrik beschäftigte Person. Der Bundesrat hat in konstanter Praxis das Gesetz in dieser Weise ausgelegt. Wenn für die Lehrlinge etwas anderes gelten sollte, müsste das Fabrikgesetz revidjert werden. Alle Bestimmungen des zürcherischen Gesetzes über Rechtsverhältnisse, die schon im Fabrikgesetz, wenn auch nur durch dispositive Vorschriften, geregelt sind, sind daher mit diesem unvereinbar. Die einzelnen Bestimmungen des zürcherischen Gesetzes sind daraufhin zu prüfen.

IV. Die Definition des Lehrlings in § l, Absatz l, des zürcherischen Lehrlingsgesetzes hat nichts Bundesrechtswidriges.

Absatz 2 wäre unzulässig, wenn er der Direktion der Volkswirtschaft die endgültige Entscheidung darüber zuweisen wollte, welche Personen als Lehrlinge nach dem kantonalen Lehrlingsgesetze und welche bloss nach dem eidgenössischen Fabrikgesetze zu behandeln seien; er braucht aber, seinem Wortlaute nach, diesen Sinn nicht zu haben, und es genügt daher, festzustellen, dass gegenüber den Entscheidungen der zürcherischen Verwaltungsbehörde die Rechtsmittel an die eidgenössische Rekursbehörde wegen Verletzung von Bundesrecht vorbehalten bleiben.

§ 2 gestattet den Eintritt in die Lehre erst nach erfüllter Primarschulpflicht, d. h. laut den §§ 14 und 46 des zürcherischen Gesetzes betreffend die Volksschule, auf das verwiesen wird, nach Schluss desjenigen Schuljahres, in weichern der Schüler das 14., ausnahmsweise das 15. Altersjahr erreicht hat. Da Art. 16 des Fabrikgesetzes nur vorschreibt, dass Kinder unter 14 Jahren nicht zur Arbeit in den Fabriken verwendet werden sollen, und diese Bestimmung sowohl zu gunsten der Fabrikbesitzer als zu gunsten der Kinder gelten muss, so ist das zürcherische Gesetz bundesrechtswidrig insofern, als es Kindern über 14 Jahren verbietet, bei einem Fabrikbesitzer in die Lehre zu treten.

§ 3 schreibt vor, wie der Lehrvertrag abzufassen sei, und dass er der Direktion der Volkswirtschaft mitzuteilen sei; diese Vorschrift widerspricht keiner Bestimmung des Fabrikgesetzes und ist daher zulässig.

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§ 4 regelt die Kündigung in einer von den Vorschriften des Art. 9 des Fabrikgesetzes abweichenden Weise, indem er die Probezeit mit dreitägiger Kündigung einführt und für die übrige Dauer der Lehrzeit in Verbindung mit § 14 die Kündigung nur noch aus wichtigen Gründen gestattet. Die Vorschrift ist daher auf Fabriken nicht anwendbar. Die Vorschrift dagegen, dass der Lehr vertrag die Angabe des zu erlernenden Berufes oder der Berufsspezialität enthalten soll, steht mit dem Bundesgesetz nicht in Widerspruch. Dass die Bestimmung des Art. 344 0. R. betreffend Probezeit auf Fabrikarbeiter nicht anwendbar sei, hat der Bundesrat in einem Rekursentscheid vom 25. Juni \ 896 festgestellt (Bundesbl. 1896, III, 637 ; Kommentar S. 1681.

§ 5, Absatz 3. Das Verbot des Akkordlohnes ist mit dem Fabrikgesetz, das denselben zulässt, nicht vereinbar.

Die §§ 7 bis 9 enthalten Bestimmungen über die Arbeitszeit der Lehrlinge ; diese Vorschriften können auf Lehrlinge in Fabriken nicht angewendet werden, da das Bundesgesetz die Arbeitszeit in Fabriken auch für Lehrlinge über oder unter 18 Jahren abschliessend ordnet. § 7 des zürcherischen Gesetzes behält auch selbst die Bestimmungen des Fabrikgesetzes vor, und dieser Vorbehalt, wenn er vom Gesetz nicht so gemeint sein sollte, muss auch für die folgenden §§ 8 und 9 gelten.

§ 10 steht im Einklang mit Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend die Samstagsarbeit in den Fabriken vom 1. April 1905 und ist daher nicht zu beanstanden.

§ 11 steht mit dem Fabrikgesetz nicht in Widerspruch, sofern er sich nur auf Lehrlinge unter 16 Jahren bezieht.

Art. 16, Absatz 2, des Fabrikgesetzes bestimmt, dass die Fabrikarbeit den Schul- und Religionsunterricht nicht beeinträchtigen soll, und überlässt es den Kantonen, die Schulpflicht zu bestimmen ; der zilrcherische Gesetzgeber hat nur von diesem Rechte Gebrauch gemacht, indem er die Lehrlinge anhält, gewerbliche, kaufmännische oder allgemeine Fortbildungsschulen zu besuchen.

Da aber das Fabrikgesetz die Schulpflicht, nur für Kinder bis zum vollendeten sechzehnten Jahre vorbehält, so darf das kantonale Gesetz die Fabrikbesitzer nicht verpflichten, junge Leute über 16 Jahren die Fortbildungsschulen besuchen zu lassen.

Mit der gleichen Einschränkung auf Lehrlinge unter 16 Jahren ist auch der 2. Absatz dieses Paragraphen mit Art. 16, Absatz 2, des Fabrikgesetzes vereinbar.

§§ 12 und 13 stehen mit dem Fabrikgesetz nicht in Widerspruch.

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§ 14 ist mit Art. 9, Absatz l, des Fabrikgesetzes aus dem gleichen Grunde, wie § 4, nicht vereinbar.

Dem § 15, der das Verfahren bei vorzeitiger Auflösung des Lehrvertrages regelt, steht Art. 9, Absatz 2, des Fabrikgesetzes entgegen, da hier unter ,,allen übrigen Vertragsverhältnissena auch der Lehrvertrag verstanden ist.

Die §§ 16 bis 18 über die Entziehung des Rechtes, Lehrlinge zu halten, berühren keinen durch das Fabrikgesetz geregelten Gegenstand.

§ 25, Absatz 2, endlich, ermächtigt den Regierungsrat, auf dem Verordnungswege für einzelne Berufsarten nähere Bestimmungen über das Lehrlingswesen, insbesondere über die Dauer der Lehrzeit, und die in einem Betriebe zulässige Maximalzahl von Lehrlingen zu erlassen. Wenn es den Kantonen gestattet ist, den Lehrvertrag zu regeln, so steht auch nichts im Wege, dass sie die Dauer der Lehrzeit bestimmen; die Beschränkung der Lehrlinge eines Betriebes ist eine vorsorgliche Massregel, die dem Fabrikgesetz ebenfalls nicht widerspricht. Im übrigen bleibt es den Rekurrenten vorbehalten, die auf Grund des § 25, Absatz 2, erlassenen Verordnungen mit dem staatsrechtlichen Rekurse anzufechten, wenn sie etwas Bundesrechtswidriges enthalten sollten.

Demgemäss wird erkannt: 1. Die Begehren a und b des Rekurses werden abgewiesen.

2. Das Begehren c, soweit es sich auf die §§ 2, 4, 5, Absatz 3, 11, 14 und 15 bezieht, wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen ; soweit es sich auf die §§ l, 3, 7--10, 12, 13, 16--18 und 25, Absatz 2, bezieht, abgewiesen; soweit es sich endlich auf Art. 64 der Bundesverfassung und auf das Bundesgesetz über das Obligationenrecht stützt, wird darauf wegen Inkompetenz nicht eingetreten.

B e r n , den 29. November 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

^«V=ä.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde der Gebrüder Sulzer in "Winterthur und der Schweiz. Lokomotiv- und Maschinenfabrik in Winterthur gegen die Anwendung des zürcherischen Gesetzes betreffend das Lehrlingswesen auf Fabriken. (Vom 29. November 1907...

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1907

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