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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Rudolf Widmer in Othmarsingen gegen den Bundesratsbeschluss vom 22. Juli 1907 betreffend die Verweigerung des Armenrechtes durch die Kantone Uri und Aargau.

(Vom 8. November 1907.)

Tit.

Rudolf Widmer hat sich wegen einer angeblich in der Kämmelei des Friedrich Müessli in Altdorf, Kanton Uri, zugezogenen ,,Nervenverstreckung" an die Regierung des Kantons Uri mit dem Ansuchen gewendet, ihm das Armenrecht zur Durchführung des Prozesses gegen die Versicherungsgesellschaft Zürich zu gewähren, bei welcher er gegen Fabrikunfälle versichert gewesen sei. Da die Regierung die Gewährung des Armenrechtes ablehnte, weil die Bestellung des Armenanwaltes dem Wohnsitzkanton obliege, Petent aber nicht im Kanton Uri, sondern im Kanton Aargau, Othmarsingen, wohnhaft sei, wandte Widmer sich mit seinem Gesuch an die Behörden des Kantons Aargau. Diese, das Bezirksgericht Lenzburg und das aargauische Obergericht, wiesen ihn ab, weil derjenige Kanton zur Bestellung des Armenanwaltes verpflichtet sei, vor dessen Gerichten der Anspruch eingeklagt werde, im vorliegenden Fall aber weder der Anspruch des Petenten auf Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag noch sein Haftpflichtanspruch gegen den Fabrikbesitzer Müessli im Kanton Aargau eingeklagt werden könne.

1061 Widmer ergriff gegen die abweisenden Verfügungen der beiden Kantone am 28. Februar 1907 die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat. Wir haben die Beschwerde mit Beschluss vom 22. Juli 1907, welcher im Bundesbl. 1907, IV, 655 ff. in extenso veröffentlicht ist, abgewiesen, weil die vom Rekurrenten angestrengte Klage nicht zu denjenigen gehöre, für deren Durchführung das erweiterte Haftpflichtgesetz (Art. 6) vom 16. April 1887 das Armenrecht gewähre.

Mit Eingabe vom 3. September 1907 zieht Widmer unsern Beachluss rechtzeitig an die Bundesversammlung weiter, weil sich im Beschlüsse ,,sehr viele Irrtümer eingeschlichen haben"1 ; eine andere Begründung der Beschwerde gibt er nicht.

Wir beschränken uns dem gegenüber, Sie auf unsern Beschluss selbst zu verweisen. Wir fügen noch bei, dass, auch wenn der Rekurrent das Armenrecht anstatt zur Durchführung der Klage gegen die Versicherungsgesellschaft zur Durchführung der Haftpflichtklage gegen die Fabrik Müessli verlangt hätte, und der Bundesrat den Kanton Uri oder Aargau zur Gewährung desselben verhalten hätte, das Armenrecht für den Rekurrenten wertlos gewesen wäre, weil die Haftpflichtklage gegen die Fabrik Müessli gemäss Artikel 12 des Haftpflichtgesetzes vom 25. Brachmonat 1881 bereits verjährt war, als Widmer seine staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat einreichte.

Die Regierungen der Kantone Uri und Aargau, denen wir die Eingabe Widmers zur Vernehmlassung zugestellt haben, haben sich auf ihre frühern Ausführungen berufen.

Wir beantragen Ihnen, Tit., die Abweisung der Beschwerde.

B e r n , den 8. November 1907.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Kingier.

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Bundesblatt. 69. Jahrg. Bd. V.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Rudolf Widmer in Othmarsingen gegen den Bundesratsbeschluss vom 22. Juli 1907 betreffend die Verweigerung des Armenrechtes durch die Kantone Uri und Aargau. (Vom 8. November 190...

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1907

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48

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13.11.1907

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1060-1061

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