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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die siebente Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

(Vom 7. Juni 1926.)

A. Einleitung.

In der letzten Botschaft des Bundesrates*) an die Bundesversammlung betreffend die Internationale Arbeitsorganisation wurde über die dritte und vierte Internationale Arbeitskonferenz berichtet. Die vorliegende Botschaft befasst sich nunmehr mit der siebenten Arbeitskonferenz. Vorerst soll aber in aller Kürze über die fünfte und sechste Tagung orientiert werden, die im Herbst 1928 und Frühling 1924 in Genf stattgefunden haben.

An der f ü n f t e n T a g u n g der Internationalen Arbeitskonferenz waren 42 Staaten vertreten. Die schweizerische Delegation setzte sich folgendermasseu zusammen: a. Eegierungsvortreter : Herr Fürsprech Pfister, Direktor des eidgenössischen Arbeitsamtes, Bern; Herr Dr. Wegmann, eidgenössischer Fabrikinspektor, Zürich; b. Arbeitgebervertreter : Herr Gh. Tzaut, Ingenieur, Genf; c. Arbeitervertreter : Herr Ch. Schürch, Sekretär des Schweizerischen. Gewerkschaftsbundes, Bern, Ferner war der Delegation eine Anzahl technischer Berater beigegeben.

Auf der Tagesordnung der Konferenz von 1923 stand als einziges Traktandum die «Festsetzung allgemeiner Grundsätze für die Arbeitsaufsicht».

-Die Verhandlungen der Konferenz führten zur Annahme des «Vorschlages über allgemeine Grundsätze für die Einrichtung der Aufsicht, welche die Anwendung der Gesetze und Vorschriften zum Schutze der Arbeitnehmer sicherstellen soll» (siehe Beilage III).

*) Siehe Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die dritte und vierte Internationale Arbeitskonferenz vom 4. Mai 1923, Bundesbl. 1923, Bd. II, S. 69.

796 Die in diesem Vorschlag vorgesehenen Massnahmen sind rein administrativer Natur und fallen daher ausschliesslich in die Kompetenz des Bundesrates. Sie entsprechen übrigens den in der .Schweiz bestehenden Vorschriften, soweit der Bund selbst die Arbeitsaufsicht ausübt, mit dem Unterschied allerdings, dass unsere Vorschriften eine Berichterstattung alle zwei Jahre vorsehen, während der Vorschlag jährliche Berichterstattung verlangt. Das schweizerische System lässt sich jedoch leicht"durch einfache Verwaltungsmassnahmen.

mit. dem Vorschlag in Einklang bringen.

Der Bundesrat hat daher am 28. November 1924 in folgendem Sinne Beschluss gefasst : «Die Abschnitte I, II und III des Vorschlages geben zu keinen besondern Massnahinen Anlass. Den im Abschnitt IV des Vorschlages geäusserten Wünschen betreffend die Berichte der Aufsichtsbeamten wird in der weiter unten beschriebenen Art und WeiseRechnungg getragen. Das eidgenössische .Volkswirtschatsdepartementt ' wird beauftragt, sich zur Präzisierungeiniger -die Berichte derAufsichtsbeamtenh berührender Einzelfragenana das Internationale Arbeitsamt zwendenn und darauf mit dem Politischen Departement in Verbindung zu treten zwecks Mitteilung der in Ausführung .des Vorschlages .getroffenen Massnahinen an das Generalsekretariat des Völkerbundes gemäss Art. 405, AI. 6, des Versailler Vertrages. Endlich ist der Bundesversammlung über die Stellungnahme des Bundesrates zum Vorschlag und über die von ihm getroffenen Massnahinen Kenntnis zu geben, sei es im Geschäftsbericht oder in einem Sonderbericht über die Internationalen Arbeitskonferenzen, die seit 1923 stattgefunden haben.» .

·'· Was die Berichte der Aufsichtsbeamten und .besonders deren jährliche Veröffentlichimg betrifft, wurde folgende Lösung in Aussicht genommen, um dem Vorschlag Rechnung zu tragen. Organe des Bundes für die Arbeitsaufsicht sind einmal das .der Abteilung für Industrie und Gewerbe des Volkswirtschaftsdepartements unterstellte eidgenössische Fabrikinspektorat und feiner .die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, der- insbesondere die Unfallverhütung obliegt. Diese beiden Organe, die nur alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit Bericht erstatten, sollen zukünftig dem eidgenössischen Arbeitsamt alljährlich einen Bericht mit den im Vorschlag verlangten Angaben liefern. Diese Angaben sind
in den regelmässigen zweijährigen Berichten ohnedies enthalten.

Für die. dazwischenliegenden Jahre genügen kürzere Berichte mit den notwendigsten, ' den Anforderungen des Vorschlages entsprechenden Angaben.

Das eidgenössische Arbeitsamt hat dann jeweils diese Angaben zu einem Gesamtbericht zusammenzufassen und in einer noch zu bestimmenden Form, zu veröffentlichen.

Gemäss dem .Beschluss des Bundesrates hat das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement das in Aussicht genommene System der Berichterstattung dem Internationalen Arbeitsamt unterbreitet. Nach.dessen Auffassung entspricht es dem Vorschlag. Daraufhin hat das eidgenössische -Politische Departement iin Einverständnis mit dem Volkswirtschaftsdepartement:

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ain 6. März 1925 dem Generalsekretariat; des Völkerbundes mitgeteilt, dass die Schweiz dem Vorschlag betreffend die Arbeitsaufsicht zustimme und ihn durchführen werde, soweit der Bund eine eigene Arbeitsaufsicht ausübe.

In Anbetracht dessen, dass hierbei nur Verwaltungsmassnahmen in Frage kommen, hat die Bundesversammlung über den Vorschlag betreffend die Arbeitsaufsicht keinen Beschhiss zu fassen. Der Bundesrat wollte jedoch nicht unterlassen, ihr von seinen Vorkehrungen zur Orientierung Kenntnis zu geben.

· An der sechsten Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz waren 40 Staaten vertreten. Die schweizerische Delegation setzte sich wie folgt zusammen: a. Begierungsvertreter:.

Herr Fürsprech · Pfister,.'Direktor des eidgenössischen Arbeitsamtes, Bern ; Herr Dr. Giorgio, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, Bern;" " b. Ärbeitgebervertreter : ..

.

Herr Ch. Tzaut, Ingenieur, Genf; c. Arbeitervertreter: . · · Herr Ch. Schüren, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Bern..

.

Ausserdem kam eine Anzahl technischer Berater hinzu.

Die Verhandlungen führten nur bei einer der vier auf der Tagesordnung stehenden Fragen zur Annahme eines endgültigen Beschlusses; es ist dies der «Vorschlag betreffend die Benützung der Freizeit der Arbeiter». Bezüglich der andern drei Fragen nahm die Konferenz Vorentwürfe zu Übereinkommen an," verschob jedoch die Schlussabstimmung darüber auf die Konferenz des ; Jahres 1.925.

Der Vorschlag betreffend die Benützung der Freizeit der Arbeiter, der als Beilage IV zu dieser Botschaft abgedruckt ist, enthält ein äusserst weitschichtiges Programm, dessen Verwirklichung nur zum Teil Sache der Gesetzgebung und insbesondere der Bundesgesetzgebung ist. Im Bahmen seiner Kompetenzen hat der Bund bereits in weitgehendem Masse das seine getan, um die im Vorschlag geäusserten Wünsche zu erfüllen, sei es-auf dem Wege der Gesetzgebung oder durch Gewährung angemessener Beiträge an Einrichtungen, die im Dienste einer vorteilhaften Benützung der Freizeit stehen. Soweit die eine oder andere Idee des Programmes noch der Verwirklichung durch die Bundesgesetzgebung bedarf, wird dies nicht sofort durch ein Spezialgesetz geschehen können, sondern vielmehr durch Berücksichtigimg anlässlich des weitem Ausbaus der Sozialgesetzgebung, Die Verwirklichung der einzelnen Programmpunkte des Vorschlages ist in erster Linie nicht · Sache des Bundes, sondern der privaten Initiative der

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interessierten Verbände sowie der Kantone und Gemeinden. Es wird ganz besonders Sache der Verbände sein, ihren Einfluss bei den Kantonen und Gemeinden geltend zu machen, damit diese im Bereich ihrer Zuständigkeit das Zweckdienliche vorkehren. Vom Bund aus kann dies nicht direkt geschehen, weil ihm die Kompetenz hierzu fehlt. Zudem steht die Frage der Freizeitbenützung in so engem Zusammenhang mit den persönlichen Neigungen des einzelnen und mit den von Ort zu Ort verschiedenen Bedürfnissen und Bedingungen, dass die wesentliche Förderung einer vorteilhaften Verwendung.

der Freizeit schon aus diesem Grunde nicht durch die .zentrale Verwaltung erfolgen kann, sondern ihren Ausgangspunkt in den konkreten lokalen Verhältnissen nehmen muss.

Der Bundesrat stellte demzufolge am 17, Juli 1925 fest, dass der Vorschlag keinen Anlass zu sofortigen besondern gesetzliehen Massnahmen des Bundes gebe, und beschloss, ihn im Wortlaut den Kantonsregierungen sowie den Berufsverbänden und den Institutionen, die sich mit der Frage der Benützung der Freizeit befassen, zuzustellen, damit diese nach Massgabe ihrer Kräfte und Befugnisse die darin enthaltenen Anregungen berücksichtigten.

Dieser Beschluss wurde sodann am 26. August 1925 dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Kenntnis gebracht.

Ausserdem wurde das eidgenössische Arbeitsamt beauftragt, .den ganzen Fragenkomplex weiter zu verfolgen, Anregungen entgegenzunehmen, gege-.

benenfalls auch selbst initiativ vorzugehen und sich zur Förderung der Angelegenheit mit den Verbänden in Verbindung zu setzen, Von Seiten der Arbeitnehmer wurde dem Vorschlag von Anfang an reges Interesse entgegengebracht. Dieses Interesse fand seinen besondern Ausdruck in der am 17. Dezember 1925 von Herrn Nationalrat Oprecht und Mitunterzeichnern eingebrachten Motion, wodurch der Bundesrat eingeladen wurde, «im Sinne des Vorschlages der Internationalen Arbeitskpnferenz 1924 betreffend die Benützung der Freizeit der Arbeiter beförderlich die notwendigen Gesetzesentwürfe einzubringen». - .

Die Motion gelangte in der Sitzung des Nationalrates vom 20. April 192G zur Behandlung. In semer Antwort legte der Vertreter des Bundesrates die von diesem eingenommene Haltung dar, wie sie oben charakterisiert worden ist. Er wies darauf hin, dass die im Vorschlag aufgeworfenen Probleme nur zum Teil in
das Kompetenzgebiet des Bundes fallen, und dass zur Hauptsache andere Instanzen -- die Verbände sowie die Kantone und Gemeinden -- berufen seien, sie zu lösen. Soweit der Bund zuständig sei, befasse er sich augenblicklich mit verschiedenen Programmpunkten, die der Vorschlag enthalte (z. B, Tuberkulosegesetz, Gesetzesvorlage über die Verbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen). Sodann solle in einer demnächst stattfindenden Konferenz zwischen dem eidgenössischen Arbeitsamt und den interessierten Verbänden der ganze Fragenkomplex eingehend geprüft werden. Diesen in einem oder einigen Gesetzentwürfen zu erledigen, sei jedoch nicht möglich;

799 daher müsse der Bundesrat die in der Motion enthaltene allgemeine Einladung ablehnen. Im Einverständnis mit dem Motionär -wurde hierauf die Motion in Form eines Postulats entgegengenommen mit folgendem Wortlaut: «Der Bundesrat wird eingeladen, zur gegebenen Zeit darüber zu berichten, was er im Sinne des Vorschlages der Internationalen Arbeitskonferenz 1924 betreffend die Benützung der Freizeit der Arbeiter vorzukehren gedenkt.» Das eidgenössische Arbeitsamt, dem die weitere Verfolgung des Problems zusteht, wird nunmehr in erster Linie die hiervor bereits angedeutete Konferenz mit den interessierten Verbänden einberufen. Aufgabe dieser Konferenz wird es sein, eine gegenseitige Aussprache und eine Abklärung über den Aufgabenkreis der privaten Organisationen einerseits, der Gemeinden, Kantone und des Bundes anderseits herbeizuführen. Es ist zu erwarten, dass von dieser Konferenz allerlei Anregungen ausgehen werden, die das Arbeitsamt zur Prüfung entgegennehmen wird. Es wird auch.Sache des Arbeitsamtes sein, alles auf dem Gebiete der Freizeitbenützung Geleistete zu sammeln und weitern Kreisen zur Kenntnis zu bringen. Wie schon der Vorschlag selbst zum Ausdruck bringt, ist die Verbreitung der Kenntnisse alles dessen, was auf dem Gebiete der Freizeitbenützung besteht und geschieht, eines der besten Mittel, um dem Ideal einer möglichst rationellen Verwendung der Freizeit näher zu kommen... Eine solche Materialsammlung wird dann dem Arbeitsamt auch die Grundlage für die Berichterstattung an das Internationale Arbeitsamt geben.

Schliesslich wird sich aus diesem Vorgehen auch ergeben, ob besondere Massnahmen des Bundes gesetzgeberischer oder administrativer Art notwendig sein werden. Auf diese Weise ist dem Postulat Oprecht Genüge geleistet, und es kann daher abgeschrieben werden. Das hindert nicht, dass über den weitern Verlauf des ganzen Fragenkomplexes in den jährlichen Geschäftsberichten oder in Bonderberichten Bericht erstattet werden soll.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die vorliegende Berichterstattung nur orientierende« Charakter hat und weitere Beschlüsse der Bundesversammlung zurzeit nicht in Frage kommen können.

B. Die siebente Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

(19. Mai^lO. Juni 1925.)

I.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hatte für die siebente Internationale Arbeitskonferenz folgende Tagesordnung aufgestellt : 1. Entschädigimg bei Betriebsunfällen.

2. Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung von Betriebsunfällen.

3. Ü4stündige wöchentliche Betriebsruhe in Glashütten mit Wannenöfen.

4. Nachtarbeit in Bäckereien.

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·

.

,

·

Ausserdem hatte die Konferenz den-jährlichen Bericht des Direktors sowie einen allgemeinen · Bericht über die Sozialversicherung entgegenzunehmen, einzelne Bestimmungen der Geschäftsordnung abzuändern und die alle drei Jahre erfolgende Neuwahl des Verwaltungsrates vorzunehmen.

Die unter Ziff. 2 bis 4 hiervor genannten Verhandlungsgegenstände kamen zum zweitenmal vor die Konferenz. Nachdem nämlich die Konferenz vom Jahr 1922 beschlossen hatte, das System der jährlichen Tagungen beizubehalten, wurde eine Resolution angenommen und dem Verwaltungsrate zum Studiuni überwiesen, worin der Vorschlag gemacht wurde, die Konferenz habe sich inskünftig abwechselnd an einer Tagung, ausschließlich mit der Vorbereitung zu befassen, an der andern dagegen nur mit der. Beschlussfassung. An- den vorbereitenden Tagungen sollte über die "Entwürfe von Übereinkommen allgemein diskutiert und darüber mit einfachem Mehr abgestimmtwerden: an den andern sollte bei der Schlussabstimmung über den endgültigen Wortlaut eine Zweidrittelsmehrheit für die Annahme erforderlich sein. Durch dieses Verfahren wollte man eine bessere Vorbereitung der Übereinkommen und damit auch eine Einschränkung ihrer Zahl anstreben.

Der Verwaltungsrat war jedoch der Ansicht,.die Tagungen, an denen lediglich die Schlussabstimmung stattzufinden hätte, würden vielfach nur geringem Interesse begegnen, und beschloss daher, jede Tagimg der Konferenz sowohl der Vorbereitung als auch der Beschlussfassung zu -widmen.

Dieses System gelaugte zum erstenmal zur Anwendung an der Konferenz des Jahres 192-4. Es wurde beschlossen, den Artikel 10 der Geschäftsordnung der Konferenz vorläufig abzuändern im Sinne folgender Bestimmungen: Die Konferenz beschliesst. bei jedem Übereinkommen oder Vorschlag, dessen Wortlaut in den Verhandlungen festgelegt worden ist, ob noch im Laufe der gleichen Tagung zur Schlussabstimmung geschritten oder ob diese auf die nächste Tagung verschoben werden soll. Im Falle der Verschiebung wird der Text allen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Kenntnis gebracht, denen so die Möglichkeit . gegeben ist, die Abänderungen vorzuschlagen, die notwendig erscheinen, um die Ratifikation zu erleichtern. Der Vorschlagsausschuss hat an der nächsten Tagung der Konferenz über die Abänderungsvorschläge Bericht zu erstatten, worauf die
Schlussabstimmung vorgenommen wird.

Demgemäss führte die Behandlung der unter Ziff. 2--4 hiervör genannten Verhandlungsgegenstände im Jahre 1924 nur zu vorläufigen Beschlüssen, während endgültige Beschlüsse erst an der Konferenz des Jahres 1925 gefasst wurden.

II.

Die schweizerische Delegation für die Konferenz des Jahres 1925 setzte sich wie folgt, zusammen : -

SOI 1. Begierungsvertreter: a. Delegierte: Herr Fürsprech H. Pfister, Direktor des eidgenössischen Arbeitsamtes, Bern; Herr Dr. Giorgio, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherung, Bern; .

b. Technische Berater: .

Herr Dr. Oertli, Chef der Bechtsabteilung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, Luzern ; Herr Dr. Decoppet, Sekretär des eidgenössischen Arbeitsamtes, Bern; Herr J. Maillard, eidgenössischer Fabrikinspektor, Lausanne.

2. Arbeitgebervertreter : a. Delegierter: Herr Ch. Tzaut, Ingenieur, Genf; b. Technische Berater: Herr Dr. Cagianut, Präsident des Schweizerischen Baumeisterverbandes, Zürich; Herr P. Bambal, Ingenieur, Mitglied des Direktionskomites der «Union des industriels en métallurgie du canton de Genève», Genf; Herr E. Turrettini, Präsident der genferischen Handelskammer, Genf; Herr Dr. 0. Sulzer, Industrieller, Winterthur; Herr G. Bernard) Advokat, Genf.

3. Arbeitervertreter: a. Delegierter: Herr Ch. Schürch, Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Bern ; b. Technische Berater: Herr J. Schlumpf, Vizepräsident der schweizerischen Unfallversicherungsanstalt in Luzern, Bern; Herr E. Baumann, Präsident der Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände, Luzern; Herr Berrà, Sekretär des «Office chrétien-social genevois», Genf; Herr B. Bobert, Sekretär des Metall- und Uhrenarbeiterverbandes, Genf; Herr M. Willhelm, Präsident des internationalen Verbandes der Lebensmittelarbeiter, Zürich.

Die Verschiedenartigkeit der auf der Tagesordnung stehenden Verhandlungsgegenstände erforderte die Ernennung einer grössern Anzahl technischer Berater, deren sich die Delegierten im Bedarfsfalle sollten bedienen können.

Da indessen die Einberufung der technischen Berater nur im Bedürfnisfalle vorgesehen war, brauchten sich einige von ihnen tatsächlich nicht nach Genf zu begeben.

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802 Gleich wie in den vorausgehenden Jahren verlangten die Arbeitnehmerverbände, die Minderheiten repräsentieren, eine Vertretung in der Arbeiterdelegation. Da die Tagesordnung die Ernennung einer Eeihe technischer Berater erforderte, konnte ihrem Wunsche entsprochen werden. Als Vertreter dieser Verbände wurde gewählt Herr M. Berrà, Sekretär des «Office chrétien-, social genevois» in Genf.

Von den 56 Staaten, die der Internationalen Arbeitsorganisation angehören, hatten sich 46 an der Konferenz vertreten lassen. Es waren insgesamt 827 Vertreter anwesend, davon 144 Delegierte.

Das Bureau der Konferenz wurde wie folgt bestellt : Präsident : Herr Dr. E. Bene§, ehemaliger Ministerpräsident und nunmehriger Aussenminister der Tschechoslowakei; Vizepräsidenten: Herr Bello Codesido, Begierungsvertreter von Chile; Herr Ch. Tzaut, Arbeitgebervertreter der Schweiz, und Herr E. Poulton, Arbeitervertreter Grossbritanniens.

III.

Über die Behandlung der verschiedenen auf der Tagesordnung stehenden Fragen ist folgendes zu sagen: 1. Entschädigung bei B e t r i e b s u n f ä l l e n . -- Inbezug auf diese Frage nahm die Konferenz von 1925 folgende Beschlüsse an (Beilage V, Ziff. l bis 5): .

: V 1. Entwurf eines Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen; 2. Vorschlag über die Mindestsätze der Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen; 3. Vorschlag über die Rechtsprechung in Streitigkeiten bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen; 4. Entwurf eines Übereinkommens über die Entschädigung aus-Anlass von Berufskrankheiten ; 5. Vorschlag über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten.

2. Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeiter bei Entschädigung von Betriebsunfällen. -- Ein Vorschlag der ersten Internationalen Arbeitskonferenz von Washington im Jahre 1919 verlangte, dass jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation den auf seinem Gebiete beschäftigten ausländischen Arbeitern und ihren Familien die Wohltat der eigenen Arbeiterschutzgesetzgebung zusichere -- alles auf Grundlage der Gegenseitigkeit und gemäss den im gemeinsamen Einverständnis zwischen den beteiligten Ländern festzusetzenden Bedingungen.

Durch Beschluss der Konferenz von Washington war sodann die.«Internationale Auswanderungskommission» eingesetzt worden, damit sie sich in einem Bericht u. a. auch über die Massnahmen zum Schutze der in einem aus-

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ländischen Staate niedergelassenen Arbeitnehmer äusspreche. Auch sie fasste eine Kesolution, in der sie die Staaten einlud, in weitgehendem Masse die eingewanderten Arbeiter und ihre Angehörigen gleich zu behandeln wie die eigenen Staatsangehörigen.

Einerseits auf diese Besolution gestützt, anderseits von der Erwägung geleitet, dass die Frage der Gleichbehandlung ein zu umfangreiches Problem darstelle, um sofort in seiner Gesamtheit behandelt zu werden, beschloss der Verwaltungsrat, vorläufig nur die Gleichbehandlung in der Unfallentschädigung ins Auge zu fassen und diese Teilfrage auf die Tagesordnung der Konferenz des Jahres 1924 zu setzen. Das Ergebnis war die Annahme eines Vorentwurfes zu einem Übereinkommen bei erster Lesung im Jahre 1924 und sodann im Jahre 1925 die Annahme eines -endgültigen Entwurfes mit folgendem Titel: «Entwurf eines Übereinkommens über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen» (Beilage V, Ziff. 6). Ausserdem nahm die Konferenz von 1925 einen Vorschlag über den gleichen Gegenstand an (Beilage V, Ziff. 7), 8.-Die. 24stündige wöchentliche B e t r i e b s r u h e in Glashütten mit Wannenöfen, -- In dieser Präge handelte es sich darum, die für die Arbeiter in Glashütten mit Wannenöfen übliche individuelle, abwechslungsweise eintretende wöchentliche Buhezeit durch eine gemeinsame Buhezeit der ganzen Belegschaft zu ersetzen und zu diesem Zweck eine 24stündige wöchentliche Stillegung des Betriebes vorzuschreiben. Die Verhandlungen an der Konferenz des Jahres 1924 ergaben jedoch, dass man von einer übereinstimmenden Auffassung über die Möglichkeit einer solchen Betriebsruhe weit entfernt war. Es vollzieht sich nämlich gegenwärtig in der Glasfabrikation ein Umwandlungsprozess. Das alte System der Glasbläserei macht mehr und mehr einem mechanischen oder halbmechanischen Verfahren Platz. Dieses neue Verfahren ist für die Arbeiter weniger gesundheitsschädlich, scheint sich jedoch mit einer obligatorischen wöchentlichen Stillegung des Betriebes nicht ohne schwere technische und wirtschaftliche Unzukömmlichkeiten vertragen zu können. Würden also die Glashütten, die dieses neue Verfahren eingeführt haben, einem Übereinkommen unterworfen, das eine wöchentliche Betriebsruhe zwingend vorschreibt, so bestände die
Gefahr, dass hierdurch in der Glasfabrikation die Entwicklung zur mechanischen Betriebsform, die immerhin einen Fortschritt bedeutet, gehemmt würde. Würde dagegen ein solches Übereinkommen auf die mechanisierten Betriebe keine Anwendung finden, so stellt sich die Frage, ob die Aufstellung eines Übereinkommens überhaupt gerechtfertigt sei.

Trotzdem nahm die Konferenz des Jahres 1924 in dieser Frage den Entwurf eines Übereinkommens an, der an der Tagung von 1925 zur Schlussabstimmung gelangen sollte. Bei der zweiten Lesung zeigten sich jedoch die gleichen Meinungsverschiedenheiten und Befürchtungen, wie anlässlich der ersten Lesung, so dass die Schlussabstimmung nicht die Zweidrittelsmehrheit ergab, die für die Annahme des Vorentwurfes erforderlich gewesen, wäre.

804 4. N a c h t a r b e i t in Bäckereien. -- Die Frage der Nachtarbeit in Bäckereien ist vor der Internationalen Arbeitsorganisation zum ersten Male aufgeworfen worden in einer ^Resolution, die der Konferenz im Jahre 1921 durch den schweizerischen Arbeitervertreter Oh. Schürch und verschiedene andere Arbeiter- sowie Begierungsvertreter als Mitunterzeichner unterbreitet worden war. Durch diese Eesolution wurde der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes eingeladen, die Frage des Verbots der Nachtarbeit in Bäckereien zu prüfen und auf die Tagesordnung einer spätem Konferenz zu setzen. Nach Beendigung der Vorstudien setzte der Verwaltungsrat diese Frage auf die Traktandenliste der Konferenz von 1924 unter der allgemeinen Fassung «Nachtarbeit in Bäckereien». Aus den Verhandlungen der Konferenz von 1924 ging der «Vorentwurf eines Übereinkommens über die Nachtarbeit in Bäckereien» hervor. Geinäss den Bestimmungen betreffend die doppelte Lesung verschob die Konferenz die Schlussabstimmung darüber auf die Tagung von 1925. Diese nahm dann endgültig den «Entwurf eines Übereinkommens über die Nachtarbeit in Bäckereien» an (Beilage V, Ziff. 8).

S.Allgemeiner Bericht über die Sozialversicherung.--Dieser Bericht, den das Internationale Arbeitsamt im Auftrag seines Verwaltungsrates abgefasst hatte, verfolgte den Zweck, an der Konferenz von 1925 eine allgemeine Aussprache über das Gesamtproblem der Sozialversicherung herbeizuführen und so den Untersuchungen der Internationalen Arbeitsorganisation auf dem Gebiete der Sozialversicherung eine bestimmte Bichtung zu geben.

Die Konferenz nahm gestützt auf diesen Bericht folgende Besolution7 an : «Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation geht von folgenden Erwägungen aus : Die Erhaltimg einer gesunden und kräftigen Arbeiterschaft ist nicht nur für die Lohnarbeiter selbst, sondern auch für die Gesamtheit der auf die Steigerung ihrer Produktionsfähigkeit bedachten Industriegemeinschaften von grösster Bedeutung.

Dieses Ziel kann nur erreicht werden durch andauernde, systematische Anstrengungen, die darauf gerichtet sind, jede vermeidbare Einbusse oder Verminderung der Erwerbsfähigkeit oder Erwerbsmöglichkeit der Arbeitnehmer zu verhüten.

Eine auf sozialer Gerechtigkeit beruhende Arbeitsordnung erfordert ferner die Organisation eines
wirksamen Schutzes gegen die Gefahren, welche die Existenz der Arbeiter und ihrer Familien bedrohen.

Ein solcher Schutz wird am besten durch die Einführimg der Sozialversicherung erzielt, die den Versicherten genau bestimmte Bechtsansprüche gewährt.

Die Konferenz stellt ferner fest, dass verschiedene Staaten ihre arbeitende Bevölkerung gegen die beruflichen und ausserberuflichen Gefahren geschützt haben durch die Schaffimg einer nahezu die gesamte Lolmar.beiterschaft und ihre Familien umfassenden Sozialversicherung, und dass hieraus folgende Grundsätze herzuleiten sind: 1. Die Sozialversicherung gibt den Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles Anspruch auf Sach- und Geldleistungen, die ihnen die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet. lat aber diese Bückkehr ins Erwerbsleben nicht möglich, so wird ihnen und ihren Familien, wenn nicht eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens, so doch wenigstens ein nach der Auffassung ihrer Zeit und ihres Landes angemessenes Existenzminimum oder das als Voraussetzung zu einer derartigen Lebenshaltung Erforderliche garantiert.

805 2. Die Sozialversicherung bestreitet ihre Leistungen in der Hegel aus Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie aus öffentlichen Subventionen.

Eine Ausnahme hiervon bilden die Entschädigungen für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, die gewöhnlich aussehliesslich zu Lasten der Betriebsinhaber gehen.

3. Die Sozialversicherung schafft durch Bildung umfassender Gefahrengemeinschaften, deren Verwaltungsaufgaben entweder durch die unmittelbar beteiligten Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder durch den Staat unter Mitwirkung der Beteiligten besorgt werden, ein Werk, das dazu beiträgt, den Versicherten zur Vorsorge zu erziehen und so seine Lebensbedingungen zu verbessern.

In Anbetracht aller dieser Erwägungen ist die Konferenz nicht nur bestrebt, Hindernisse aus dem Wege zu räumen, vor die sich j ene Staaten gestellt sehen könnten, die ihre Sozialversicherung auszubauen und zu vervollkommnen wünschen, sondern sie möchte darüber hinaus sämtlichen Staaten durch Bekanntgebimg der bisher auf dem Gebiete der Sozialversicherung gemachten Erfahrungen nützliche Dienste leisten.

Sie erinnert boi diesem Anlass an die auf den frühern Konferenzen gefassten Beschlüsse, worunter namentlich an diejenigen über die Arbeitslosigkeit, über die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft sowie über die Entschädigung bei Arbeitsunfällen und beschliesst wie folgt : 1. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes ist aufzufordern, auf die Tagesordnung einer der nächsten Konferenzen (wenn möglich auf diejenige von 1927) die Frage der Krankenversicherung und -- mit Rücksicht auf die nahen Beziehungen zwischen den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung -- auf die Tagesordnung der gleichen oder einer spätem Konferenz die Frage der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung zu setzen.

2. Das Internationale Arbeitsamt wird eingeladen, seine bisherige Berichterstattung über die Sozialversicherung fortzusetzen sowie sämtliches Nachrichtenmaterial über die folgenden Gegenstände zu sammeln und weiterzuleiten : a. über die gesetzgeberische Tätigkeit auf allen Gebieten der Sozialversicherung; Z), über die in den einzelnen Staaten und in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung erzielten Ergebnisse, namentlich mit Bezug auf die der "Versicherung unterstellten Berufsgruppen, die Zahl der
Versicherten und Anspruchsberechtigten, die Art und den Umfang der Entschädigungsleistungen, die Höhe der Versicherungsbeiträge und ihre Verteilung auf die verschiedenen Gruppen von Beitragszahlern, die Verwendung der Reserven sowie die Ausgaben der Versioherungsinstitutionen für Versicherungsleistungen und für Verwaltungskoeten.

Die vom Internationalen Arbeitsamt zu erteilenden Aufschlüsse sollen sich soweit als möglich für jeden Staat und für jeden Versicherungszweig auf folgende Punkte erstrecken: a. die der Versicherung unterstellten Berufsgruppen und die Zahl der Versicherten, wobei neben der Art des Berufes anzugeben ist, welche Stellung der Versicherte im Beruf einnimmt -- ob er selbständig, Angestellter oder Arbeiter ist -- sowie endlich, ob es sich um eine Zwangs- oder um eine freiwillige Versicherung handelt; b. die der Versicherung nicht unterstellten Berufsgruppen und die Zahl der nicht versicherten Personen; c. die Sach- und Geldleistungen, deren Umfang, Bezugsdauer und die Voraussetzungen der Bezugsberechtigung ;

806 d. die Aufbringung der Mittel in ihrer Verteilung auf den Staat oder eine andere öffentliche Körperschaft, auf die Arbeitgeber und auf die Versicherten ; e. die jährliche Gesamtleistung seitens jeder einzelnen der drei genannten Gruppen von Beitragszahlern und das Verhältnis der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zu den Lohnzahlungen; /. die genaue Art der zentralen und örtlichen Verwaltung der Versicherung; g. der jährliche Auf wand für Versicherungsleistungen und für Verwaltungsskosten, die Zahl der Empfänger von Sach- und Geldleistungen sowie der Einfluss der Ausgaben für die Sozialversicherung auf die -wirtschaftliche Lage des Landes ; h. die Verwendung von Reserven der Sozialversicherung zur Hebung der Volksgesundheit ; i. die Erziehungsmethoden für die Ausbreitung der Lehre und Praxis der Sozialversicherung.»

6. Erneuerung des Verwaltungsrates. -- Wie bereits aus der Botschaft des Bundesrates betreffend die dritte und vierte Internationale Arbeitskonferenz *) zu ersehen ist, hat die Konferenz des Jahres 1922 den Art. 893 des Versailler Vertrages und die entsprechenden Artikel der andern Friedensverträge abgeändert. Gestützt auf den Bundesbeschluss vom 21. Juni 1924**) hat der Bundesrat am 1. November 1924 das Generalsekretariat des Völkerbundes von der -formellen Ratifikation der zu Artikel 393 des Versailler Vertrages beschlossenen Abänderungen durch die Schweiz in Kenntnis gesetzt.

Da noch nicht die genügende Zahl von Ratifikationen vorlag, um dorn Beschluss betreffend Abänderung von Art. 393 Rechtskraft zu verleihen, schritt die Konferenz des Jahres 1925 auf Grund des alten Artikels 898 zu der alle .drei Jahre vorzunehmenden Neuwahl des Verwaltungsrates. Neben den acht -Staaten, denen die grösste industrielle Bedeutung zukommt und die von Rechts wegen Anspruch auf einen Sitz im Verwaltungsrat haben -- es sind dies in alphabetischer Reihenfolge: Belgien, Canada, Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Japan, Indien und Italien --, wurden die verbleibenden vier Regierungssitze folgenden Staaten zugesprochen : Argentinien, Norwegen, Polen und. Spanien. Die Änderung, welche die Gruppe der Regierungsvertreter im Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes erfahren hat, beschränkt sich somit darauf, dass Argentinien an Stelle von Chile und Norwegen an Stelle von Finnland getreten ist. Der schweizerische Arbeitgebervertreter, Herr Ch. Tzaut, und der schweizerische Arbeitervertreter, Herr Ch. Schürch, wurden .zu Ersatzmitgliedern ihrer Gruppe gewählt.

Ç. Stellungnahme zu den Beschlüssen der siebenten Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz.

· Nach Art. 405, Absatz 5, des Vertrages von Versailles ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, innerhalb eines Jahres oder zum mindesten nicht später als 18 Monate nach Schluss der Konferenz die Entwürfe von Übereinkommen und *) Siehe Bundesblatt 1923, Bd. II, S. 72 und 86 ff.

**) Siehe Gesetzsammlung, Bd. 40, S. 467.

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Vorschläge der Stelle oder den Stellen zu unterbreiten, die für die Beschlussfassung darüber zuständig sind. Im Gegensatz zu den Beschlüssen der fünften und sechsten Tagung der Konferenz, die lediglich Verwaltungsinassnahmen erforderten und daher in die Zuständigkeit des Bundesrates fielen, befassen «ich die Beschlüsse der siebenten Tagung mit Problemen, die nur auf dem Wege der Gesetzgebung gelöst werden können ; sie sind infolgedessen mit den Anträgen des Bundesrates der Bundesversammlung au unterbreiten.

L Entschädigung bei Betriebsunfällen.

(Beilage V, Ziff. 1--5.)

1. Entwurf eines Ü b e r e i n k o m m e n s ü b e r die Entschädigung aus Anlass von B e t r i e b s u n f ä l l e n . ·-- Dieses Übereinkommen stellt die Grundsätze für die Entschädigungen fest, welche die ratifizierenden Staaten den von einem Betriebsunfall betroffenen Arbeitnehmern oder ihren Hinterbliebenen zuzusichern haben. Der Geltungsbereich des Übereinkommens erstreckt sich auf Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge in öffentlichen und privaten Betrieben, Unternehmungen oder Anstalten jeglicher Art, wobei jedoch die .Staaten befugt sind, Ausnahmen vorzusehen für Personen, die nui1 zu gelegentlichen und dem Betriebszwecke fremden Arbeiten verwendet werden, ferner für Heimarbeiter, für Familienangehörige des Arbeitgebers und für Arbeitnehmer, die nicht Handarbeit verrichten und deren Arbeitsverdienst eine durch die Gesetzgebung zu bestimmende Grenze übersteigt. Das Übereinkommen bezieht sich weder avif die Landarbeiter noch auf die Seeleute und Fischer, noch auf Personen, für die eine besondere Begelung gilt, die mindestens der in der Übereinkunft vorgesehenen gleichwertig ist. Hinsichtlich der Entschädigungen bestimmt das Übereinkommen, dass sio dem verletzten Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen in Form einer Bente auszurichten sind; doch lässt es auch eine Kapitalabfindung zu, falls don zuständigen Behörden genügende Sicherheit für eine zweckmässige Verwendung der Abfindungssumme geboten wird. Ausserdem ist vorgesehen, dass der verletzte Arbeitnehmer Anspruch hat auf ärztlichen und chirurgischen Beistand, auf Versorgung mit Arznei, auf Lieferung und ordnungsmässige Erneuerung der Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe sowie auf eine Zusatzentschädigung, falls die Erwerbsunfähigkeit derartig ist, dass der Verletzte ständig fremder Hilfe bedarf. Endlich sind durch die Gesetzgebung der einzelnen Staaten die erforderlichen Massnahmen zur Handhabung der Überwachung und zur Nachprüfung der Entschädigungen vorzusehen sowie die geeigneten Vorkehrungen zu treffen, um die Zahlung der Entschädigung, insbesondere bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder des Versicherungsträgers, sicherzustellen.

Es gilt nun zu untersuchen, ob die Bundeagesetzgebung mit dem Übereinkommen im Einklang steht. Das Übereinkommen bezieht sich «auf Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge in öffentlichen und privaten Betrieben, Untemeli-

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mungen oder Anstalten jeglicher Art», während das Bundesgesetz vom 18. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung (Art. 60) und Art. 60Ws und Art. 60ter des Bundesgesetzes vom 18. Juni 1915 betreffend -die Ergänzung dieses Gesetzes nur die Fabriken und diejenigen sonstigen "Betriebe der obligatorischen Versicherung unterstellen, die mit besondern Unfallgeiahren für die beschäftigten Arbeitnehmer verbunden sind.

In allen andern Punkten entspricht das Bundesgesetz durchaus dem Übereinkommen. Trotzdem rnüsste die Schweiz, bevor sie an dessen Batifikation überhaupt denken könnte, ihre Gesetzgebung auf dem Gebiete der Unfallversicherung ändern und insbesondere die Handelsunternehmungen und gewissekleinere Gewerbebetriebe, die heute noch nicht versichert sind, in die obligatorische Versicherung einbeziehen. Ob das Bundesgesetz in diesem Sinne abzuändern sei, ist eine Frage, die nicht für sich allein und auch nicht von heute auf morgen entschieden werden kann. Sie wird gleichzeitig mit der Frage einer Totalrevision des Gesetzes geprüft werden müssen, die schon verschiedentlich Gegenstand von Besprechungen gewesen ist, ohne dass man aber bis dahin zu einem positiven Ergebnis gelangt wäre. Dringendere Aufgaben, wie di& Einführung der Alters- und Hinterbliebenenversieherung, haben den Gesetzgeber in Anspruch genommen und die Revision der Unfallversicherung in den Hintergrund gedrängt. Erst wenn die Arbeiten hierfür wieder aufgenommen, werden, wird sich auch entscheiden lassen, ob und wieweit die Schweiz in der Lage ist, ihre Gesetzgebung mit den internationalen Bestimmungen in Einklang zu bringen und -- je nachdem der Entscheid ausfällt -- das Übereinkommen zu ratifizieren.

· : Unter, diesen Umständen beantragt der Bundesrat, von einer Beschlussfassung über die Ratifikation des Übereinkommens betreffend die Entschädigung aus Aiilass von Betriebsunfällen abzusehen, bis die Arbeiten für die Revision des.

Unfallversicherungsgcsetzes beendigt sind.

· 2. Vorschlag über die Mindestsätze der Entschädigung aus Anlass von B e t r i e b s u n f ä l l e n , -- Ziffer I dieses Vorschlages setzt als Minimalsatz für das Krankengeld und die Invalidenrente zwei Drittel des Verdienstes des Verunfallten fest. Falls die dauernde oder vorübergehende Erwerbsunfähigkeit bloss eine teilweise ist, wird die Entschädigung
entsprechend dem Mass der noch verbleibenden Erwerbsfähigkeit herabgesetzt. Das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung geht in dieser Beziehung weiter als der Vorschlag. Es sieht ein Krankengeld von achtzig Prozent des Lohnes und eine Invalidenrente von siebzig Prozent des Jahresverdienstes des Versicherten vor (Art. 74 und 77).

Ziffer II des Vorschlages bestimmt, dass verletzte Arbeitnehmer, deren Zustand ständige fremde Hilfe erforderlich macht, Anspruch auf eine Zusatzr entschädigung haben, die mindestens die Hälfte der bei dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Entschädigung beträgt. Das Bundesgesetz sieht vor, dass in diesem Falle die Rente bis auf die Höhe des vollen

809 Jahresverdienstes gebracht werden kann (Art. 77). Die Eente für dauernd« gänzliche Erwerbsunfähigkeit beträgt in der Schweiz siebzig Prozent des Jahresverdienstes. Würde man dazu eine Zusatzentschädigung in der im Vorschlag festgesetzten Höhe gewähren, so erhielte der Versicherte eine Gesamtentschädigung von hundertfünf Prozent seines Jahresverdienstes -- ein Ergebnis, das nicht in der Absicht des Vorschlages liegen kann. Nach diesem beträgt die Entschädigung bei dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit zwei Drittel des Jahresverdienstes, so dass auch in den Fällen, wo eine Zusatzentschädigung von fünfzig Prozent zu gewähren ist, die Gesamtentschädigung hundert Prozent des Jahresverdienstes nicht übersteigt. Das Bundesgesetz dürfte somit dem Sinn des Vorschlages entsprechen, Ziffer III zählt die Gruppen von Hinterbliebenen auf, die bei Unfällen mit tödlichem Ausgang entschädigungsberechtigt sind. Es sind dies: a. der überlebende Ehegatte. Im Gegensatz zum Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung (Art. 84) enthält der Vorschlag keine Bestimmung, wonach der überlebende Ehegatte nur bis zur Wiederverehelichung einen Eentenanspruch besitzt und der Witwer diesen Anspruch zudem nur geltend machen kann, sofern er bereits dauernd erwerbsunfähig ist oder es .binnen fünf Jahren nach dem Tode der Ehefrau wird ; b. die Kinder des Verstorbenen unter 18 Jahren oder -- ohne Rücksicht auf ihr Alter -- die Kinder, die infolge irgendwelcher Gebrechen erwerbsunfähig sind. Nach dem Bundesgesetz (Art. 85) läuft die Eente der Kinder --· ausser wenn diese dauernd erwerbsunfähig sind -- nur bis zum zurückgelegten sechzehnten Altersjahr; c. die Verwandten des Verstorbenen in aufsteigender Linie (Eltern oder Grosseltern), sofern sie mittellos sind und der Verstorbene für ihren Unterhalt gesorgt hat oder zu ihrem Unterhalt verpflichtet war. Nach dem Bundesgesetz (Art. 86) ist der Anspruch der Verwandten in aufsteigender Linie lebenslänglich und an keine derartigen Bedingungen geknüpft; d. die Enkel und Geschwister des Verstorbenen unter 18 Jahren oder -- ohne Bücksicht auf ihr Alter -- die Enkel und Geschwister des Verstorbenen, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen erwerbsunfähig sind* sofern sie elternlos oder die Eltern unfähig sind, für deren Unterhalt zu sorgen. Das Bundesgesetz gibt den Enkeln
des Verstorbenen überhaupt keinen Eentenanspruch und lässt den Anspruch der Geschwister mit dem zurückgelegten sechzehnten Altersjahr endigen (Art.86).

Nach dem Vorschlag dürfen die Hinterlassenenrenten zusammen nicht weniger als zwei Drittel, nach dem Bundesgesetz nicht mehr als sechzig Pro.zent des Jahresverdienstes des Versicherten betragen (Art. 87).

In Ziffer IV des Vorschlages endlich wird der Wunsch ausgesprochen, es möchten für die berufliche Wiederanlernung oder Umschulung verletzter Arbeitnehmer durch die Gesetzgebung geeignete Massnahmen getroffen und hierzu dienliche Einrichtungen von den Eegierungen gefördert werden. In

810 der Schweiz sind Vorkehrungen solcher Art der privaten Initiative der Betriebsinhaber überlassen; immerhin steht es der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt frei, auch ihrerseits diejenigen Massnahmen zu treffen, die ihr geboten erscheinen.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass die Bundesgesetzgebung, abgesehen von einigen Bestimmungen mehr sekundärer Bedeutung, in den meisten wichtigen Punkten nicht nur die "Wünsche, des Vorschlages erfüllt, sondern sogar darüber hinausgeht. Eine vollkommene Übereinstimmung könnte nur durch eine Eevision des Bundesgesetzes erreicht werden. Diese musa jedoch, wie bereits unter Ziff. l ausgeführt worden ist, einem spätem Zeitpunkt vorbehalten werden. In diesem Moment wird dann auch die Präge zu prüfen sein, ob und wieweit die Unstimmigkeiten zwischen dem Vorschlag und der Bundesgesetzgebung behoben werden können.

Zusammenfassend kann gesagt werden-, dass das eidgenössische Krankenuhd Unfallversicherungsgesetz bereits in weitem Masse den Anforderungen des Vorschlages entspricht. Was die Punkte betrifft, in denen noch leichte Un·stimmigkeiten bestehen, wird die Eevision.des genannten Gesetzes Gelegenheit geben,,zu prüfen, ob dieses dem Vorschlag anzupassen sei, 8. Vorschlag über die Eechtsprechung in Streitigkeiten bei Entschädigung aus Anlass von B e t r i e b s u n f ä l l e n . -- Nach diesem Vorschlag sind Streitigkeiten über die Entschädigung bei Betriebsunfällen vorzugsweise Sondergerichten oder Schiedsausschüssen zu überweisen, die --· mit oder ohne Beiziehung von Berufsrichtern --· aus einer gleichen Zahl von Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammengesetzt sind. Kommen solche Streitigkeiten jedoch vor die ordentlichen Gerichte, so haben diese in allen Fällen, in denen eine berufliche Frage streitig ist, Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Sachverständige anzuhören.

Zunächst ist hervorzuheben, dass im Gegensatz zu einer Ordnung der Unfallentschädigung, die auf dem Grundsatz der zivilrechtlichen Haftpflicht beruht, das schweizerische System den Unternehmern und Arbeitern auf die Gestaltung und Durchführung der Unfallversicherung einen gewissen Einfluss einräumt. Die obligatorisch Versicherten und ihre Arbeitgeber, die Inhaber der Betriebe, sind im Verwaltungsrat der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt angemessen vertreten;
auch können die Berufsverbände verlangen, in einer Eeihe von Fragen angehört zu werden (Art. 43 und 47).

Was die eigentlichen Streitigkeiten betrifft, hat das Bundesgesetz den Kantonen vorgeschrieben, ein einziges Gericht zu bezeichnen und einen möglichst einfachen und raschen Prozessweg vorzusehen. Dagegen fehlt dem Bunde die Zuständigkeit, über die Organisation der Eechtspflege und das Verfahren der Kantone weitergehende Bestimmungen aufzustellen. Vielmehr handelt es sich hier um Befugnisse, die den Kantonen vorbehalten sind. Diese zur Befolgung der im Vorschlag empfohlenen Grundsätze zu nötigen, ist der Bund nicht in der Lage.

811 Da der Bund somit nicht zuständig ist, die zur Durchführung des Vorschlages erforderlichen besonderen Massnahmen zu treffen, sieht der Bundesrat Buch davon ab, solche zu beantragen.

4. Entwurf eines Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten. -- Dieses Übereinkommen stellt die Berufskrankheiten bezüglich der Entschädigung den Betriebsunfällen gleich und verpflichtet die Staaten, die das Übereinkommen ratifizieren, als Berufskrankheiten die Krankheiten und Vergiftungen zu betrachten, die verursacht sind durch Blei sowie dessen Legierungen und Verbindungen, durch Quecksilber sowie dessen Legierungen und Verbindungen und durch die Ansteckung durch Milzbrand. Dabei gilt die Voraussetzung, dass derartig« Krankheiten und Vergiftungen bei Arbeitnehmern auftreten, die entweder einem Gewerbe oder Beruf angehören, wo die genannten Stoffe verarbeitet werden, oder die der Ansteckung durch Milzbrand ausgesetzt sind.

Art. 68 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 1911 über die Kranken- und Unfallversicherung stellt ebenfalls die Berufskrankheiten den Betriebsunfällen gleich und überträgt dem Bundesrat die Aufstellung eines Verzeichnisses der Stoffe, deren Erzeugung oder Verwendung solche Krankheiten verursachen.

Ein derartiges Verzeichnis wurde in der Verordnung Ibia über die Unfallversicherung vom 20. August 1920 aufgestellt. Es enthält neben vielen andern Stoffen auch das Quecksilber und seine Verbindungen sowie das Blei mit seinen Legierungen und Verbindungen, erwähnt jedoch die Ansteckung durch Milzbrand nicht. Dies ist der einzige Punkt, in dem das Übereinkommen und die Bundesvorschriften nicht miteinander übereinstimmen. Es stellt dies jedoch kein ernstliches Hindernis dar für die Eatifikation der Übereinkunft, da der Bundesrat bereit ist, die Ansteckung durch Milzbrand gemäss Art. 68 des genannten Bundesgesetzes ebenfalls unter die Berufskrankheiten aufzunehmen und die Verordnung Ibis über die Unfallversicherung in diesem Sinne abzuändern. Die Ansteckung durch Milzbrand spielt übrigens in der Schweiz für die Unfallversicherung keine grosse Bolle.

Das Übereinkommen kann gemäss Art. 8 nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum erstenmal in Kraft tritt, gekündigt werden ; die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Generalsekretariat
des Völkerbundes ein. Da also die Übereinkunft nicht auf unbestimmte Dauer oder auf länger als fünfzehn Jahre abgeschlossen wird, unterläge ein Batifikationsbeschluss der Bundesversammlung nicht dem Referendum.

Auf Grund vorstehender Ausführungen werden die eidgenössischen Bäte «ingeladen, den Bundesrat zur Batifizierung des Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten zu ermächtigen und zu diesem Zweck den dieser Botschaft beiliegenden Entwurf eines Bundesbeschlusses anzunehmen (Beilage 1).

812 5. Vorschlag über die Entschädigung aus Anlass von B e r u f s krankheiten. -- Dieser Vorschlag lädt die Staaten ein, sie möchten, sofern nicht bereits eine entsprechende Einrichtung besteht, ein einfaches Verfahren einführen, um das Verzeichnis der gesetzlich als Berufskrankheiten geltenden Erkrankungen gegebenenfalls überprüfen zu können.

Wie soeben ausgeführt wurde, überträgt Art. 68 des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung dem Bundesrat die Aufstellung des Verzeichnisses der Stoffe, deren Erzeugung oder Verwendung Berufskrankheiten verursachen. Es genügt somit eine einfache Verordnung des Bundesrates, um das von ihm in seiner Verordnung Ibis über die Unfallversicherung vom 20. August 1920 aufgestellte Verzeichnis abzuändern oder zu ergänzen. Dieses Verfahren entspricht dem Wunsche des Vorschlages.

Da also die Bundesgesetzgebung mit dem Vorschlag übereinstimmt, sind keine besondern Massnahmen zu treffen, um ihm zur Durchführung zu verhelfen.

II.

Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung von Betriebsunfällen.

(Beilage V, Ziff. 6 und 7.)

I . E n t w u r f eines Übereinko.mmens über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer A r b e i t n e h m e r bei Entschädigung aus Anlass von B e t r i e b s u n f ä l l e n , -- Folgendes sind die wichtigsten Bestimmungen dieses Übereinkommens: Jeder Staat, der die Übereinkunft ratifiziert, verpflichtet sich, den Staatsangehörigen jedes andern, das Übereinkommen ratifizierenden Staates, die auf seinem Gebiet einen Betriebsunfall erlitten haben, oder ihren Hinterbliebenen die gleiche Behandlung bei der Entschädigung infolge von Betriebsunfällen einzuräumen wie seinen eigenen Staatsangehörigen. Diese Gleichbehandlung ist ohne Eücksicht auf den Wohnsitz zu gewähren. Soweit dabei Zahlungen in Frage kommen, die ein Staat oder dessen Staatsangehörige im Auslande zu leisten hätten, sind die entsprechenden Massnahmen nötigenfalls durch Sonderabkommen zwischen den beteiligten Staaten zu vereinbaren, Ausserdem sind die Staaten, die das Übereinkommen ratifizieren, zur gegenseitigen Unterstützung verpflichtet, um die Anwendung der Übereinkunft und die Ausführung der Gesetze und Verordnungen über die Entschädigung bei Betriebsunfällen zu erleichtern. Die Staaten endlich, welche die Ratifikation beschliessen, trotzdem sie noch keine Einrichtungen für die Entschädigung oder Versicherung mit bestimmten Leistungen bei Betriebsunfällen besitzen, sind gehalten, eine derartige Begelung innerhalb drei Jahren nach der von ihnen vollzogenen Eatifikation einzuführen.

Nach Art. 90 des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung haben die in der Schweiz wohnenden Angehörigen fremder Staaten und ihre Hinterlassenen Anspruch auf die gleichen Versicherungsleistungen wie die

818 Schweizerbürger, sofern* die Gesetzgebung ihres Heimatstaates den Sehweizerbürgern inbezvig auf Fürsorge gegen Krankheit und Unfall Vorteile bietet, die denjenigen des Bündesgesetzes gleichwertig sind. Der Bundesrat bezeichnet diejenigen Staaten, bei denen diese Voraussetzung zutriff-t. Die versicherten Angehörigen der andern Staaten haben in vollem Umfang Anspruch auf die Krankenpflege und das Krankengeld, während die Invalidenrente und die Hinterlassenenrenten bei diesen Versicherten nur drei Vierteile des normalen Betrages erreichen und der Anspruch auf die Hinterlassenenrente überdies auf den Ehegatten und die Kinder beschränkt bleibt.

Unter der Herrschaft der Bundesgesetzgebung über die Haftpflicht aus Fabrik- und Gewerbebetrieb wurden die Ausländer noch gleich behandelt wie die Schweizerbürger. Wenn das Bundesgesetz über die Kranken- und Unfallversicherung die in Art. 90 vorgesehene ungleiche Behandlung eingeführt hat, so geschah dies aus einem doppelten Grunde. Erstens sollte dadurch verhindert werden, dass ausländische Arbeitskräfte, angelockt" durch die hohen schweizerischen Entschädigungsansätze, den schweizerischen Arbeitsmarkt überschwemmten; zweitens wollte man damit das Ausland veranlassen, den ·dort niedergelassenen Schweizern günstigere Bedingungen auf dem Gebiete der, Unfallversicherung einzuräumen. Der Art. 90 hat jedoch schon seit seinem Inkrafttreten viel zu reden gegeben. Heute steht man unter dem Eindruck, dass die darin enthaltene Unterscheidung sich auf die Dauer nicht werde aufrechterhalten lassen.

Nach unserer Auffassung ist die Entschädigung bei Betriebsunfällen als «ine Folge des Arbeitsvertrages zu betrachten, und demgeniäss sind Ausländern und Staatsbürgern grundsätzlich die gleichen Entschädigungsansprüche zuzuerkennen. So haben die meisten Staaten den Grundsatz der Gleichbehandlung ausländischer und einheimischer Arbeitnehmer bei der Entschädigung infolge von Betriebsunfällen in ihre Gesetzgebung aufgenommen.

Sodann hat die Bestimmung in Art. 90 dazu geführt, dass z, B. Italien seinen Staatsangehörigen die Auswanderung nach der Schweiz nur unter der Bedingung gestattet, dass ihnen die gleichen Unfallentschädigungen gewährt werden wie den Schweizerbürgern. Da nach dem Bundesgesetz im vorliegenden Fall die Gleichstellung nicht möglich ist, sind die schweizerischen
Unternehmer genötigt, Zusatz Versicherungen abzuschliessen, um die Entschädigungen, welche die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt den italienischen Staatsangehörigen gewährt, zu ergänzen. Dies trifft ganz besonders für das Baugewerbe zu. Die Folge davon ist, dass die Unternehmer, die nach dem Bundesgesetz für die Ausländer die gleichen Prämien bezahlen müssen wie für die Schweizerbürger, doppelt belastet sind, weil sie auch noch die Kosten einer ZusatzverSicherung zu bestreiten haben. Daher verlangen die hiervon betroffenen Unternehmer seit langem die Aufhebung der in Art. 90 gemachten Unterscheidung.

Dazu kommt, dass die Verbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich auf Befragen hin für die Ratifikation des Übereinkommens ausgesprochen haben.

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Dabei haben die Arbeitgeberverbände allerdings betont, dass ihre Zustimmung sich streng auf die Gleichbehandluug in .der Unfallversicherung beschränke und nicht etwa der Einführung dieses Grundsatzes aufvdem ganzen Gebiet der Sozialversicherung gelte.

Endlieh ist zu berücksichtigen, dass seit Inkrafttreten des Bundosgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung die Gesetzgebung der meisten andern Staaten bemerkenswerte Portschritte gemacht hat und dass daher manche Erwägungen, die seinerzeit die in Art. 90 vorgesehene ungleiche Behandlung rechtfertigten, heute nicht mehr die gleiche Bedeutung haben.

Es sprechen somit Erwägungen internationaler und nationaler Art für die Eatifikation des Übereinkommens. Die Erfahrung hat jedoch gelehrt, dass die Eatifikation der internationalen Arbeitsübereinkommen "durch die verschiedenen Staaten sich nur langsam vollzieht. Es wird also eine gewisse Zeit vergehen, bis das Übereinkommen über die Gleichbehandlung in der Unfallentschädigung allgemein ratifiziert ist. Sodann verpflichtet die Batifizierung dieser Übereinkunft nur zur Gleichbehandlung der Angehörigen derjenigen Staaten, die gleichfalls ihre Eatifikation angemeldet haben. Unter diesen Umständen dürfte vielleicht die Schweiz in den Fall kommen, Sonderabkommen über die Gleichbehandlung in der Unfallentschädigung abzuschliessen, sei es mit Staaten, die im gegebenen Zeitpunkt die Konvention noch nicht ratifiziert haben, oder mit solchen, die sie überhaupt nicht ratifizieren.

Aus diesen Gründon rechtfertigt es sich, den Bundesrat zu ermächtigen, das Übereinkommen zu ratifizieren und ausserdem internationale Vereinbarungen über die Gleichbehandlung ausländischer und einheimischer Arbeitnehmer in der Unfallentschädigung abzuschliessen.

In finanzieller Hinsicht würde der Grundsatz der Gleichbehandlung weder für die Unternehmer noch für die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt neue Lasten zur Folge haben. Dagegen würde der Bund, dem gegenwärtig gemäss Art. 90 die Differenz zwischen den Leistungen an die Ausländer und denjenigen an die Schweizer zugute kommt, dieses Vorteils verlustig gehen. E& ergab dies alljährlich einen Betrag von rund Fr. 500,000, die dem Bunde für Eechnung seiner Beiträge an die Anstalt gutgeschrieben wurden.

Wie weiter oben ausgeführt wurde, sind bezüglich der Eatifikation des.
Übereinkommens gewisse Bedenken geäussert worden. So wurde geltend gemacht, durch die Eatifikation könnte unter Umständen ein Präzedenzfall geschaffen werden für die Ausdehnung der Gleichbehandlung auf andere Zweigfr der Sozialversicherung. Der Bundesrat glaubt diese Bedenken verstreuen zu können. Es muss nämlich scharf unterschieden werden zwischen der Entschädigung bei Betriebsunfällen, die im Grunde genommen eine Folge des ArboitsvertragoB ist, und dora öffentlich-rechtlichen System der Sozialversicherung. Verzichtet die Schweiz auf die Eegelung, die sie inbezug auf die Behandlung der Ausländer in der Unfallversicherung seinerzeit getroffen hat, so ver-

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pflichtet sie sich damit keineswegs, den Grundsatz der Gleichbehandlung auch für die Altere-, Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung anzuerkennen.

Da derartige internationale Übereinkommen und Vereinbarungen durch die Eatifikation und Publikation ohne weiteres zu materiellem Landesrecht werden und keiner besondern Vollziehungsvorschriften bedürfen, ist ihre Durchführung gesichert, ohne dass Art. 90 des Bundesgesetzes abgeändert werden muss.

Nach Art. 10 des Übereinkommens über die Gleichbehandlung in der Unfallversicherung kann dieses nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum erstenmal in Kraft tritt, gekündigt werden ; die Wirkung der Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Generalsekretariat des Völkerbundes ein. Das Übereinkommen wird also nicht auf unbestimmte Dauer oder eine Dauer von mehr als fünfzehn Jahren abgeschlossen, so dass ein Eatifikationsbeschluss der Bundesversammlung nicht dem Eeferendum unterworfen wäre.

Natürlich würden auch die Sonderabkommen, zu deren Abschluss der Bundesrat ermächtigt würde, nur auf eine Dauer von weniger als fünfzehn Jahren abgeschlossen, so dass für sie das Eeferendum ebenfalls nicht in Frage käme.

Unter diesen Umständen ersucht der Bundesrat die Bundesversammlung um die Ermächtigung, zu gegebener Zeit den Entwurf eines Übereinkommens über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen zu ratifizieren und auch mit einzelnen Staaten Sonderabkommen im gleichen Sinne abzuschliessen. Zu diesem Zwecke wird der Bundesversammlung beantragt, beiliegenden Entwurf eines Bundesbeschlusses anzunehmen (Beilage II).

2. Vorschlag über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen. ·-- Während nach Art. .4 des Übereinkommens über die Gleichbehandlung in der Unfallentschädigung die Staaten, welche die Übereinkunft ratifizieren, verpflichtet sind, sich gegenseitig zu unterstützen, um die Anwendung des Übereinkommens sowie die Ausführung der Gesetze und Verordnungen über die Entschädigung bei Betriebsunfällen zu erleichtern, enthält Ziffer I des Vorschlages, um den es sich hier handelt, eine JKeihe von Bestimmungen über die für die Durchführung der Übereinkunft zu treffenden staatlichen
Massnahmen.

Diese bezwecken: a. Personen, denen ein Entschädigungsanspruch nach den Gesetzen eines Staates zusteht, die aber in dem Gebiet eines andern Staates wohnen, den Bezug der ihnen gebührenden Beträge zu erleichtern und die Beobachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungsbedingungen zu gewährleisten;

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b. bei Streitigkeiten über die Atiszahlung selbst oder über die Herabsetzung der Entschädigung an eine bezugsberechtigte Person, die ausserhalb des Landes wohnt, in dem ihr Anspruch auf die Entschädigung entstanden ist, die Einleitung des Verfahrens vor den Gerichten dieses Landes zu ermöglichen, ohne dass die Anwesenheit der betreffenden Person erforderlich ist; c, Steuer- und Gebührenbefreiungen, die kostenlose Ausstellung amtlicher Schriftstücke und sonstige Vergünstigungen, welche die Gesetzgebung eines Landes den Staatsbürgern gewährt, auch den Ausländern einzuräumen.

ad a: Diese Bestimmung entspricht der von der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt mit Ermächtigung des Bundesrates bereits befolgten.

Praxis; ihre Durchführung dürfte daher keinerlei Schwierigkeiten bereiten.

ad &: Diese Frage betrifft, soweit es sich um das Verfahren in erster Instanz handelt, das kantonale Zivilprozessrecht und liegt somit ausserhalb der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. In zweiter Instanz hat das Ausbleiben einer Partei für diese keinen Eechtsnachteil zur Folge, soweit nicht der Bundesbeschluss vom 28. März 1917 betreffend die Organisation und das Verfahren des eidgenössischen Versicherungsgerichts Ausnahmen vorsieht (Art. 45, AI. 2). Immerhin ist das Gericht befugt, im Beweisverfahren von Amtes.wegen die persönliche Befragung der Parteien anzuordnen und die Partei, die ohne .genügende Entschuldigung ausbleibt, zu den Kosten und zu einer Entschädigung an die Gegenpartei zu verurteilen. Die zweite Vorladung wird unter der Androhung erlassen, dass die Tatsache, über welche die Befragung hätte stattfinden sollen, bei -wiederholtem ungerechtfertigtem Ausbleiben als bewiesen angenommen werden könne (Art. 84--86).

ad c: Art. 121 des Bundesgesetzes über die Kranken- und Unfallversicherung verpflichtet die Kantone, dafür zu sorgen, dass einer bedürftigen Prozesspartei auf ihr Verlangen die Wohltat des unentgeltlichen Bechtsbeistandes gewährt werde und ihr die Kautionen, Expertenkosten, Gerichtsgebühren und Stempeltaxen zu erlassen seien. Dabei wird kein Unterschied zwischen Schweizer bürgern und Ausländern gemacht. Weitere Vergünstigungen, wie sie die kantonalen Gesetze vorsehen können, entziehen sich der Zuständigkeit des Bundes.

Der Bundesbeschluss betreffend die Organisation und das Verfahren des
eidgenössischen Versicherungsgerichtes sodann sieht vor -- und zwar ebenfalls ohne zwischen Ausländern und Schweizerbürgern zu unterscheiden ---, dass einer Partei die unentgeltliche Verbeiständung gewährt und sie von der Kautionspflicht sowie von der Bezahlung der Gerichtskosten befreit werden kann.

Endlieh ist darauf hinzuweisen, dass einige der im Vorschlag aufgestellten Vergünstigungen in der'Schweiz bereits in Geltung »Lud, und zwar auf "Grund der internationalen Übereinkunft vom 17. Juli 1905 betreffend Zivilprozesslecht.

.

817 In Ziffer II des Vorschlages wird der Wunsch ausgesprochen, dass diejenigen Staaten, die noch keine Einrichtungen für die Entschädigung oder Versicherung mit bestimmten Leistungen infolge von Betriebsunfällen besitzen, den ausländischen Arbeitnehmern die Möglichkeit gewähren, die Vergünstigungen der Gesetzgebung ihres Heimatstaates über die Entschädigung bei Betriebsunfällen z u gemessen.

' . . . - . . . . .

Die Schweiz wird von dieser Bestimmung nicht berührt, da sie durch Bundesgesetz vom 13. Juni 1911 die obligatorische Unfallversicherung eingeführt hat.

Aus den vorstehenden Ausführungen ist ersichtlich, dass-- abgesehen von den in die Zuständigkeit der Kantone fallenden Fragen -- der Bund die Anregungen des Vorschlages bereits verwirklicht hat.

Infolgedessen sind keine besondern Massnahmen zu treffen, um dem Vorschlag über die Gleicb-behandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen Folge zu geben.

III.

Nachtarbeit in Bäckereien.

(Beilage V, Ziff. 8.)

Der Entwurf eines Übereinkommens über die Nachtarbeit in Bäckereien -verbietet die Herstellung von Brot, Feinbackwerk oder ähnlichen aus Mehl "bereiteten Erzeugnissen zur Nachtzeit. Dieses Verbot erstreckt sich auf die .Arbeit sämtlicher Personen, Betriebsinhaber wie Arbeiter, die an der Herstellung der genannten Erzeugnisse beteiligt sind. Unter «Nacht» ist dabei ein .Zeitraum von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden "zu verstehen, ·der die Zeit von 11 Uhr abends bis 5 Uhr morgens oder -- wenn Klima oder Jahreszeit es rechtfertigen, oder wenn die beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sich darüber einigen -- die Zeit von 10 Uhr abends bis 4 Uhr morgens einschliesst. Vorbehalten sind die dauernden oder vorübergehenden .Ausnahmen, die durch die Gesetzgebung der einzelnen Staaten zugelassen werden können für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten, zur Sicherung der wöchentlichen Ruhezeit und um aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit oder Erfordernissen dos Gemeinwohls Eechnung zu tragen. Ausnahmen sind ferner zulässig, wenn höhere Gewalt vorliegt, wenn ein Unglücksfall eingetreten ist ·oder droht, sowie wenn dringliche Arbeiten an Maschinen oder Betriebseinlichtungen vorzunehmen sind.

In der Schweiz wird die Frage der Nachtarbeit in Bäckereien schon seit «inigen Jahren diskutiert. Wie sie zu lösen sei, ist ein stark umstrittenes Problem, das auf zahlreiche Schwierigkeiten stösst. Es ist bis dahin nicht gelungen, eine Einigung zwischen den Betriebsinhabern und den Arbeitern zu erzielen.

Die Verhandlungen hierüber werden noch .weitergeführt.

Gemäss dem Übereinkommen erstreckt sich das Verbot der Nachtarbeit nicht nur auf die Arbeiter, sondern auch auf die Betriebsinhaber. Die Konferenz Bundesblatt.

78. Jahrg.

Bd. I.

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818 giog nämlich von .der Ansicht aus, das Übereinkommen werde an Wirksamkeit verlieren, wenn die Betriebsinhaber von seinem Geltungsbereich ausgenommen würden. Diese Einbeziehung der Betriebsinhaber hat nun aber den Widerstand der Arbeitgeberschaft hervorgerufen, die der Internationalen Arbeitskonferenz das Eecht bestreitet, die internationale Regelung der Arbeitsverhältnisse auch auf die Arbeit der Betriebsinhaber auszudehnen. Auf Verlangen der Arbeitgebervertreter .beschloss der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes, den Völkerbundsrat zu ersuchen, die Frage dem Ständigen Internationalen Gerichtshof zu unterbreiten. Am 17. März 1926 fasste der Völkerbundsrat den Beschluss, diesem Begehren zu entsprechen. Der Ständige Internationale Gerichtshof wird sich demgemäss über folgende Frage auszusprechen haben: «Ist die Internationale Arbeitsorganisation befugt, bei der Eegelung von Arbeitsverhältnissen die persönliche Arbeit der Betriebsinhaber einzuschliessen, wenn dies zum Schutze der Lohnarbeiter notwendig ist?» Sollte der Ständige Internationale Gerichtshof die Frage verneinen, so würde dadurch voraussichtlich das vorliegende Übereinkommen hinfällig werden, und das Verbot der Nachtarbeit in Bäckereien müsste zu nochmaliger Beschlussfassung neuerdings als Traktandum auf die Tagesordnung der Internationalen Arbeitskonferenz gesetzt werden. Da die Vorarbeiten für eine gesetzliche Eegelung der Materie in der Schweiz noch nicht beendigt sind und ·sich die Sachlage je nach dem Entscheid des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vollständig ändern kann, schien es angezeigt, zum Übereinkommen nicht Stellung zu nehmen, bevor die Antwort des Internationalen Gerichtshofes vorliegt. Immerhin hält es der Bundesrat für angezeigt, der Bundesversammlung das Übereinkommen im Wortlaut vorläufig zur Kenntnis zu bringen mit dem Vorbehalt, ihr zu gegebener -Zeit einen Sonderbericht über die Frage zu unterbreiten.

Infolgedessen beantragt er, die Beschlussfassung über den Entwurf eines Übereinkommens betreffend die Nachtarbeit in Bäckereien bis zur Vorlage dieses Sonderberichtes zu verschieben.

Bern, den 7. Juni 1926.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates: Der Bundespräsident: Häberlin.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

819 (Entwurf.)

Beilage /.

Bundesbeschluss betreffend

die Ratifikation des von der siebenten Internationalen Arbeitskonferenz beschlossenen Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten.

*

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung.von Art. 85, Ziffer 5, der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 7. Juni 1926,

beschliesst: I. Der Bundesrat wird ermächtigt, den Beitritt der Schweiz zu dem von der siebenten Internationalen Arbeitskonferenz beschlossenen Übereinkommen über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten zu erklären.

II. Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

820 (Entwurf.)

Beilage IL

Bundesbeseliluss betreffend

die Ratifikation des von der siebenten Internationalen Arbeitskonferenz beschlossenen Übereinkommens über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen, Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 85, Ziffer 5, der Bundesverfassung," nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 7. Juni 1926, .beschliesst : I. Der Bundesrat wird ermächtigt :a. zu gegebener Zeit den Beitritt der Schweiz eu dein von der siebenten Internationalen Arbeitskonferenz beschlossenen Übereinkommen über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen zu erklären; b. mit einzelnen Staaten Sonderabkommen über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer in der Unfallentschädigung abzuschliessen.

II. Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

Beilage III.

Internationale Arbeitskonferenz.

Fünfte Tagung Genf, 22. bis 29. Oktober 1923.

Von der Konferenz angenommener

Vorschlag,

Bemerkung zur deutschen Übersetzung.

Die deutsche Übersetzung des nachstehenden Torschlages -- im Urtext lautet er französisch und englisch -- entspricht dem Text, der durch Vertreter Deutschlands, Österreichs, der Schweiz sowie des Internationalen Arbeitsamtes gemeinsam festgesetzt wurde.

822

Torschlag über

allgemeine Grundsätze für die Einrichtung der Aufsicht, welche die Anwendung der Gesetze und Vorschriften zum Schutze der Arbeitnehmer sicherstellen soll.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und am 22. Oktober 1923 zu ihrer fünften Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation einigte sich über die Annahme verschiedener Anträge für die Feststellung allgemeiner Grundsätze für die Arbeitsaufsicht, den Gegenstand ihrer Tagesordnung.

Sie entschied sich dafür, dass diese" Anträge in die Form eines Vorschlags zu fassen seien, und nimmt demgemäss am 29. Oktober 1923 den nachstehenden Vorschlag an.

Er ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung zu unterbreiten, damit sie ihn gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge auf dem Wege der nationalen Gesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten lassen.

Da der Vertrag von Versailles und die anderen Friedensverträge unter den Massnahmen und Grundsätzen, die von besonderer und dringender Bedeutung für das körperliche, sittliche und geistige Wohlergehen der Arbeitnehmer sind, auch den Grundsatz aufstellt, dass jeder Staat für einen besonderen Arbeitsaufsichtsdienst Vorsorge treffen soll, an dem auch Frauen teilnehmen, um die Durchführung der Gesetze und Vorschriften zum Schutze der Arbeitnehmer zu gewährleisten; da die auf der ersten Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz gefassten Entschliessungen einzelne Länder, in denen besondere Umstände obwalten, vor die Notwendigkeit stellen, einen Aufsichtsdienst einzurichten, sofern dies noch nicht geschehen ist ; da die Einrichtung eines AuMchtsdienstes dann besonders dringend wird, wenn vod einer Konferenz beschlossene Übereinkommen durch Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert und demgemäss in Kraft gesetzt werden ;

823 da anderseits die Einrichtung eines Aufsichtsdienstes zwar · zweifellos als eines der wirksamsten Mittel empfohlen werden kann, um die Durchführung von Übereinkommen und anderen Verpflichtungen zur Eegelung der Arbeitsverhältnisse zu sichern, jedes Mitglied aber innerhalb seines Hoheits- oder .Zuständigkeitsgebietes für die Ausführung von ihm ratifizierter Übereinkommen allein verantwortlich ist und daher selber nach Masagabe der örtlichen Verhältnisse diejenigen Aut'sichtsmassnahmen bestimmen muss, die ihm die Übernahme dieser Verantwortung gestatten; da es, um die bereits gewonnenen Erfahrungen den Mitgliedern bei der Einrichtung oder Umbildung ihres Aufsichtsdienstes nutzbar zu machen, trotzdem wünschenswert ist, die allgemeinen Grundsätze zu bezeichnen, welche sich in der Praxis für die einheitliche, gründliche und wirksame Durchführung von Übereinkommen sowie ganz allgemein aller Arbeiterschutzmassnahmen als die besten erweisen, empfiehlt die Allgemeine Konferenz, in der Meinung, dass es jedem Lande vollständig überlassen sei, inwieweit es diese Grundsätze auf bestimmte Tätigkeitsgebiete anwenden will,und unter besonderer Berücksichtigung der bisher gewonnenen langen Erfahrungen mit der Gewerbeaufsicht, jedem Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, die folgenden Grundsätze und Regeln in Erwägung zu ziehen :

I. Gegenstand der Aufsicht.

1. Die Hauptaufgabe des Aufsichtsdienstes, der von jedem Mitgliede gernäss dem unter Nr. 9 im Artikel 427 des Vertrages von Versailles verkündeten Grundsatze einzurichten ist, besteht darin, die Durchführung der Gesetze und Bestimmungen sicherzustellen, welche die Arbeitsverhältnisse und den Schutz der Arbeitnehmer bei der Ausführung ihrer Arbeit betreffen (Arbeitszeit und Ruhepausen; Nachtarbeit; Verbot der Beschäftigung bestimmter Personen mit Arbeiten, die gefährlich oder gesundheitsschädlich sind oder zu denen sie sich körperlich nicht eignen; Gesundheitsschutz, Unfallverhütung usw.).

2. Soweit es möglich und wünschenswert erscheint, können den Aufsichtsbeamten weitere Aufgaben übertragen werden, sei es, weil ihnen eine damit verbundene Uberwachungstätigkeit keine besondere Mühe macht, sei es zur Verwertung der Erfahrungen, die ihnen ihr Hauptamt vermittelt. Diese Aufgaben, die nach den Anschauungen, Überlieferungen und Gewohnheiten der einzelnen Länder verschieden sein mögen, können den Aufsichtsbeamten unter der Voraussetzung übertragen werden: a. dass sie die Erfüllung ihrer Hauptaufgaben in keiner Weise beeinträchtigen, b. dass sie ihrer Art nach eng verknüpft sind mit dem Hauptziele : Gewährleistung des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeiter, c. dass sie in keiner Weise das Ansehen und die Unparteilichkeit in Präge stellen, deren die Aufsichtsbeamten in ihren Beziehungen zu den Arbeitgebern und Arbeitnehmern bedürfen.

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II. Aufgaben und Befugnisse der Aufsiehtsbeamten.

A. Allgemeines.

3. Die mit ordnungsmässigen Ausweisen versehenen Aufsichtsbeamten sollen auf Grund der Gesetze befugt sein, a. jederzeit bei Tag und bei Nacht eine örtlichkeit zu besuchen und zm besichtigen, wenn sie mit gutem Grunde annehmen tonnen, dass dort Personen beschäftigt werden, die unter dem Schlitze des Gesetzes stehen^ .und bei Tage jede örtlichkeit zu betreten, wenn sie mit gutem Grunde annehmen können, dass sie ein Betrieb oder Teil eines Betriebes ist, der ihrer Überwachung untersteht. Dabei wird vorausgesetzt, dass die.

Beamten, ehe sie weggehen, wenn möglich dem Arbeitgeber oder einem seiner Vertreter von ihrem Besuche Kenntnis geben, b. ohne Zeugen das Personal der Betriebe zu befragen und zur Erfüllung ihrer Aufgaben sich um Auskunft auch an alle anderen Personen zu wenden, deren Zeugnis sie für notwendig erachten, ferner die Vorlage aller durch die Arbeitsgesetze vorgeschriebenen Verzeichnisse und Unterlagen zu' verlangen.

4. Die Aufsichtsbeamten sind durch Eid oder in anderer, der Verwaltungspraxis oder den Gewohnheiten des Landes entsprechenden Weise und unter Androhung strafrechtlicher oder disziplinarischer Ahndung zu verpflichten, Fabrikations-, Betriebsgeheimnisse und Arbeitsverfahren überhaupt, die bei Ausübung ihrer Befugnisse zu ihrer Kenntnis kommen, nicht preiszugeben.

5. Unter Berücksichtigung der Verwaltungs- und Bechtsordnung einesjeden Landes und unter dem Vorbehalte der etwa erforderlich erscheinenden Prüfung durch die vorgesetzte Behörde sollen die Aufsichtsbeamten ermächtigt sein, Verstösse gegen die Gesetze, die sie feststellen, unmittelbar vor die zuständigen Gerichte zu bringen.

In Ländern, in denen dies der geltenden Bechtsordnung nicht zuwiderläuft, sollen die Berichte der Aufsichtsbeamten bis zum Beweise des Gegenteils ala beweiskräftig gelten.

6. In Fällen, in denen unmittelbares Einschreiten nötig ist, um die Betriebseinrichtungen oder Betriebsanlagen den gesetzlichen Bestimmungen anzupassen, sollen die Aufsichtsbeamten befugt sein, selbst anzuordnen (oder, wenn dieses Verfahren nach der Verwaltungs- und Bechtsordnung des Landes nicht angängig sein sollte, bei den zuständigen Behörden den Erlass von Anordnungen zu beantragen), dass innerhalb einer festgesetzten Frist diejenigen Abänderungen in
der Einrichtung oder. Anlage auszuführen sind, welche für die vollständige und genaue Einhaltung der Gesetze und Bestirnmungen über den Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer unerlässlich sind.

825 In Ländern, in denen die Anordnungen der Aufsichtsbeamten ohne weiteres vollziehbar sind, kann ihre Durchführung nur durch Berufung an eine höhere Verwaltungsbehörde oder an ein Gericht ausgesetzt werden; unter keinen Umständen .aber sollen die zum Schutze der Arbeitgeber gegen willkürliche Auflagen getroffenen Bestimmungen die Durchführung solcher Massregeln behindern können, die vom Aufsichtsbeamten zur Abwendung unmittelbarer und ordnungsmässig nachgewiesener Gefahren getroffen worden sind.

B. Sicherheit.

.

7. Wenn es auch unerlässlioh ist, den Aufsichtsdienst mit allen für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen gesetzlichen Befugnissen auszustatten, so ist es für eine fortschreitende Steigerung seiner Wirksamkeit doch ebenso wichtig, dass sich dieser Dienst entsprechend den Bestrebungen in den ältesten und erfahrungsreichsten Industriestaaten mehr und mehr für die Anwendung der geeignetsten Sicherheitsmassnahmen zur Verhütung von Unfällen und Krankheiten sowie dafür einsetzt, dass die Arbeit durch eindringendes Verständnis, Aufklärung und Zusammenwirken aller Beteiligten immer gefahrloser, gesünder und sogar leichter wird. Die nachstehenden Mittel scheinen geeignet, diese Entwicklung in allen Ländern zu fördern : a. Alle Unfälle sind den zuständigen Behörden anzuzeigen, und es soll eine der wesentlichsten Aufgaben der Aufsichtsbeamten sein, Erhebungen über Unfälle, besonders solche schwerer oder häufiger wiederkehrenderArt, vorzunehmen, um die geeignetsten Verhütungsmassnahmen festzustellen.

b. Die Aufsichtsbeamten sollen die Arbeitgeber über die besten Mustereinrichtungen zum Schutze der Gesundheit und Sicherheit belehren und beraten.

c. Die Aufsichtsbeamten sollen die Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Betriebsleitern und Arbeitnehmern zur Erweckung des Sinnes für persönliche Vorsicht, zur Durchführung von Schutzmassnahmen und zur.

stetigen Verbesserung der Sicherheitseinrichtungen anregen.

d. Die Aufsichtsbeamten sollen bemüht sein, die Massnahmen zum Schutze der Gesundheit und Sicherheit durch systematisches Studium der technischen Verfahren für die innere Betriebseinrichtung, durch besondere Untersuchung bestimmter Fragen des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit sowie auf jede sonstige Weise zu verbessern und zu vervollständigen.

e. In denjenigen Ländern, in denen man es vorgezogen hat, eine vom Aufsichtsdienste völlig unabhängige Organisation der Unfallversicherung und -Verhütung zu errichten, sollen deren Beamte nach den vorstehenden Grundsätzen handeln.

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III. Organisation der Aufsicht.

A. Gliederung des Personals.

8. Damit die Aufsichtsbeamten mit den Betrieben, die sie besichtigen, sowie mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern eine möglichst innige Fühlung gewinnen, und damit sie einen möglichst grossen Teil ihrer Zeit wirklich dem Besuche von Betrieben widmen können, sollen ihre Amtssitze, soweit die Verhältnisse des Landes es gestatten, in den Industriebezirken hegen. .

9. In Ländern, die in Aufsichtsbezirke eingeteilt sind, sollen die Aufsichtsbeamten der einzelnen Bezirke, um eine gleichmässige Handhabung der Gesetze in allen Bezirken und einen möglichst hohen Wirkungsgrad der Aufsicht zu gewährleisten, unter Leitung eines besonders befähigten und erfahrenen Aufsichtsbeamten stehen. "Wo die Bedeutung der Industrie eines Landes die Ernennung von mehreren leitenden Aufsichtsbeamten erfordert, sollen diese von Zeit zu Zeit zusammenkommen, um über Fragen der Anwendung der Gesetze und der Verbesserung der Arbeitsverhältnisse zu beraten, die sich in den ihnen unterstellten Bezirken ergeben.

" 10. Der Aufsichtsdienst soll der unmittelbaren und ausschliesslichen Aufsicht einer staatlichen Zentralbehörde unterstellt sein und nicht der Kontrolle einer Ortsbehörde unterliegen oder von einer solchen bei Erfüllung seiner Aufgaben irgendwie abhängig sein, · 11. Mit Bücksicht auf die schwierigen wissenschaftlichen und technischen Fragen, die sich aus den Verhältnissen der neuzeitlichen Industrie hinsichtlich der Verwendung gefährlicher Stoffe, der Beseitigung von Staub und schädlichen Gasen, der Verwendung von Elektrizität usw. ergeben, ist es wesentlich, dass der Staat zu deren Behandlung. Fachleute mit Kenntnissen und besonderer Erfahrung auf dem Gebiete der Heilkunde, des Ingenieurwesens, der Elektrotechnik u. a, heranzieht.

12. Entsprechend dem im Artikel 427 des Vertrages von Versailles enthaltenen Grundsatze sollen dem Aufsichtsdienste sowohl Frauen wie Männer als Aufsichtsbeamte angehören. Wenngleich für bestimmte Fragen und Zweige der Arbeit die Aufsicht offensichtlich besser Männern, für andere wieder mit grösserem Vorteil Frauen anvertraut wird, so sollen die weiblichen Aufsichtsbeamten doch im allgemeinen dieselben Befugnisse und Aufgaben haben und dieselbe Stellung einnehmen wie die männlichen, vorausgesetzt, dass sie die nötige Vorbildung
und Erfahrung besitzen. Auch sollen sie die gleiche Möglichkeit des Aufrückens in höhere Stellen haben.

B. Befähigung und Ausbildung von Aufeichtsbeamten.

13. Der komplizierte Charakter der neueren industriellen Arbeitsverfahren und Betriebseinrichtungen, die Art der den Aufsichtsbeamten bei Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen anvertrauten Vollzugs- und Verwaltungs-

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aufgaben, die Wichtigkeit ihrer Beziehungen zu Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zu den Verbänden der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer wie auch zu den örtlichen und Gerichtsbehörden erheischen es, dass die Aufsichtsbeamten über ein hohes Maas technischer Vorbildung und Erfahrung verfügen, eine gute Allgemeinbildung besitzen und durch ihre Charaktereigenschaften und Fähigkeiten imstande sind, das allgemeine Vertrauen zu gewinnen.

: 14. Das Personal des Aufsichtsdienstes soll fest angestellt und unabhängig von Veränderungen in der Eegierung sein. Die Aufsichtsbeamten sollen eine Stellung einnebmeh und eine Besoldung erhalten, die ihre Unabhängigkeit gegenüber allen äusseren Einflüssen verbürgen ; sie dürfen an den ihrer Aufsicht unterstellten Betrieben in keiner Weise beteiligt sein.

15. Vor ihrer endgültigen Anstellung haben die Aufsichtsbeamten zur Prüfung ihrer Eignung und zur Einführung in ihre Aufgaben eine Probezeit durchzumachen. Die endgültige Anstellung darf nach Ablauf dieser Zeit nur erfolgen, wenn sie ihre Eignung für den Dienst eines Aufsichtsbeamten einwandfrei dargetari haben.

16. Wenn ein Land in Aufsichtsbezirke eingeteilt ist, und besonders wenn seme Industrien verschiedener Art sind, ist es erwünscht, dass die Aufsichtsbeamten, namentlich während der ersten Jahre ihres Dienstes, in angemessenen Zeiträumen den Bezirk wechseln, damit sie genügende Erfahrung im Aufsichtsdienst erlangen.

C. Grundsätze und Verfahren des Aufsichtsdienstes.

17. Da bei einer staatlichen Aufsicht die Besichtigungen der einzelnen Betriebe durch die Aufsichtsboamten notwendigerweise mehr oder weniger selten vorgenommen werden, ist es wesentlich: a. den Grundsatz anzunehmen und streng zu beobachten, dass die Unternehmer und die Betriebsbeamten für die Befolgung der gesetzlichen Bestimmungen verantwortlich sind und dass im Falle vorsätzlicher Gesetzesübertretung oder einer groben Nachlässigkeit ohne vorhergehende Verwarnung durch den Aufsichtsbeamten gegen sie eingeschritten werden kann.

Dieser Grundsatz findet keine Anwendung auf solche besonderen Fälle, für welche das Gesetz vorschreibt, dass zunächst eine Aufforderung zur Durchführung bestimmter Massnahinen an den Unternehmer ergehen muss; 6. dass in der Eegol die Besichtigungen der Aufsichtsbeamten ohne vorhergehende Benachrichtigung des Arbeitgebers
erfolgen, Es ist wünschenswert, dass der Staat durch geeignete Massnahmen dafür sorgt, dass die Arbeitgeber, die Betriebsbeamten und die Arbeitnehmer mit den gesetzlichen Bestimmungen und den dem Schutze von Gesundheit und Sicherheit dienenden Massregeln vertraut sind, so z. B., indem der Arbeitgeber verpflichtet wird, in seinem Betriebe einen Auszug der gesetzlichen Bestimmungen anzuschlagen.

828 18. Wenn auch anerkannt wird, dass die einzelnen Betriebe nach Umfang und Bedeutung sehr verschieden sind und dass sich besondere Schwierigkeiten in Ländern und Gebieten ländlichen Charakters ergeben können, wo die Betriebe weit auseinander hegen, so ist es doch wünschenswert, dass nach Möglichkeit jeder Betrieb von einem Aufsichtsbeamten mindestens einmal jährlich in Augenschein genommen wird, abgesehen von besonderen Besuchen, die' zur Prüfung von Beschwerden oder aus sonstigen Gründen vorgenommen werden mögen ; grosse Betriebe sowie solche Betriebe, deren Leitung vom Gesichtspunkt des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer unbefriedigend ist, ebenso Betriebe, in welchen gefährliche oder gesundheitsschädliche Arbeiten verrichtet werden, sollen viel öfter besucht werden. Es ist erwünscht, dass bei Feststellung schwerer Unregelmässigkeiten in einem Betriebe bald ein erneuter Besuch des Aufsichtsbeamten in diesem Betriebe stattfindet, um festzustellen, ob die Unregeknässigkeiten behoben wurden.

.

D. Mitwirkung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer.

19. Es ist wesentlich, dass den Arbeitnehmern und ihren Vertretern jede Erleichterung gewährt wird, um alle Mängel und Gesetzesübertretungen in den Betrieben, in denen sie beschäftigt sind, den Aufsichtsbeamten ungehindert anzuzeigen. Jede Beschwerde dieser Art soll, soweit möglich, vom Aufsichtsbeamten sofort untersucht und unbedingt vertraulich behandelt werden.

Dem Arbeitgeber oder seinen Angestellten soll auch keinerlei Andeutung gemacht werden, dass die Besichtigung durch eine Beschwerde veranlagst wurde.

20. Um die volle Mitarbeit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer und ihrer" Verbände an einer möglichst wirkungsvollen Förderung des Schutzes der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer zu erzielen, ist es erwünscht, dass die Aufsichtsbehörde von Zeit zu Zeit mit den Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerverbände über die zweckmässigen Massnahmen auf diesem Gebiete berät.

IV. Berichte der Àufsichtstoeamten.

21. Die Aufsichtsbeamten haben regelmässig ihrer Zentralbehörde nach einheitlichen Grundsätzen bearbeitete Berichte über ihre Tätigkeit und deren Ergebnisse vorzulegen. Die genannte Behörde soll baldmöglichst,, jedenfalls innerhalb eines Jahres nach Schluss des Berichtsjahres, einen Jahresbericht veröffentlichen, der eine allgemeine Übersicht über die von den Aufsichtsbeamten erstatteten Mitteilungen enthält; als zeitliche Grundlage für alle diese Berichte soll einheitlich das Kalenderjahr dienen.

22. Tier allgemeine Jahresbericht soll ein Verzeichnis der Gesetze und Verordnungen über die Begelung der Arbeitsverhältnisse enthalten, die während des Berichtsjahres erlassen worden sind.

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23. Der Jahresbericht soll überdies zahlenmässige Zusammenstellungen enthalten, die notwendig sind, um über die Organisation und die Tätigkeit des Aufsichtsdienstes sowie über die erzielten Ergebnisse alle Unterlagen zu bieten.

Die Angaben sollen, soweit möglich, Auskunft erteilen über: a. die Stärke des Personals des Aufsichtsdienstes und seine'Gliederung; b. die Zahl der durch die Gesetze und Vorschriften erfassten Betriebe, nach Industriezweigen gegliedert und mit Angabe der Zahl der beschäftigten Arbeiter (Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder); . c, die Zahl der in jeder Industriegruppe vorgenommenen Besichtigungen mit Angabe der Zahl der in den besuchten Betrieben beschäftigten Arbeiter (hierbei ist die Zahl anzugeben, die bei der ersten Besichtigung im Jahre festgestellt worden ist), ferner die Zahl der mehr als-einmal während des Jahres besuchten Betriebe; d. die Zahl und Art der den zuständigen Stellen angezeigten Verstösse gegen Gesetze und Vorschriften und die Zahl und Art der durch die zuständigen Stellen verhängten Strafen; e. die Zahl, Art und Ursache der gemeldeten Unfälle und Berufskrankheiten, nach Industrien geordnet.

Beilage IV.

Internationale Arbeitskonferenz.

Sechste Tagung Genf, 16. Juni bis 5. Juli 1924.

Von der Konferenz angenommener

Vorschlag.

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Bemerkung zur deutschen Übersetzung.

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Die deutsche Übersetzung des nachstehenden Vorschlages -- im Urtext lautet er französisch und englisch -- entspricht dem Text, der durch Vertreter Deutschlande, österreichs, der Schweiz sowie des Internationalen Arbeitsamtes gemeinsam festgesetzt wurde.

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Vorschlag betreffend

die Benützung der Freizeit der Arbeiter.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und bier am 16. Juni 1924 zu ibrer secbsten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 5. Juli 1924, den nachstehenden Vorschlag an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Benützung der Freizeit der Arbeiter, eine Frage, die als erste auf der Tagesordnung der Tagung steht, ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Vorschlages zu fassen.

Der Vorschlag ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen, damit sie ihn gemass den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge auf dem Wege der Landesgesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten lassen.

Da die Arbeitskonferenz, als sie auf ihrer ersten, in Washington abgehaltenen Tagung ein Übereinkommen über die Arbeitszeit beschloss, in erster Linie den Arbeitern ausser den zum Schlafe nötigen Stunden noch genügend Zeit zur Verwendung nach eigenem Ermessen zu sichern gedachte -- also «Freizeit» im eigentlichen Sinne des Wortes; : : .

da ferner die Arbeiter während ihrer Freizeit ganz nach Belieben in freier Betätigung ihre körperlichen, geistigen und sittlichen Fähigkeiten entwickeln können -- ein Streben, das für den Fortschritt der Kultur von höchster Bedeutung ist ; da ferner eine vernunftgemässe Verwendung dieser Freizeit dem Arbeiter erlaubt, seine Beschäftigung zu wechseln und die im Beruf erforderliche Ausspannung der Kräfte wieder auszugleichen, somit seine Leistungsfähigkeit zu steigern, den Ertrag seiner Arbeit zu vergrössern und dergestalt dem Achtstundentag erst den vollen Erfolg zu sichern vermag; da es ferner tei aller Verschiedenheit der Gebräuche und örtlichen Verhältnisse in den einzelnen Ländern zweckmässig erscheint, die Grundsätze und Methoden festzusetzen, die allgemein schon heute als die wirksamsten gelten können, wenn die beste Benützung der Proizoit ormöglioht worden soll, und da es ·wünschenswert ist, die wechselseitige Kenntnis dessen, was unternommen und dessen, was versucht wurde, von Land zu Land zu verbreiten;

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da endlich diese Erwägungen in dem Augenblicke besonders dringlich werden können, in dem die Eatifizierung des Übereinkommens über die Arbeitszeit von den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation ins Auge gefasst wird, macht die Allgemeine Konferenz folgende Vorschläge:

I. Sicherung der Freizeit.

Da es notwendig ist, dasa in den Ländern, in denen die Arbeitszeit gesetzlich, durch Kollektivverträge oder in anderer Weise beschränkt worden ist, den Arbeitnehmern der ungeschmälerte Genuss der ihnen derart vorbehaltenen Freistunden gesichert bleibe, damit aus dieser Beform alle Vorteile gezogen werden können, die von ihr sowohl die Lohnempfänger als auch die Allgemeinheit erwarten ; ' da es ferner notwendig ist, dass einerseits die Arbeiter den Wert der ihnen gesicherten Freizeit voll erfassen und unter allen Umständen für deren uneingeschränkte Sicherung eintreten, anderseits die Arbeitgeber stets danach streben, zwischen dem Lohn und den Lebensbedürfnissen der Arbeiter ein richtiges Verhältnis herzustellen, das die letzteren der Notwendigkeit enthebt, während der Freizeit weitere entlohnte Berufsarbeit zu suchen; hält die Konferenz es für angebracht, auf die von einzelnen Ländern in dieser Eichtung unternommenen Versuche hinzuweisen, obwohl sie anerkennt, dass es sehr schwierig ist, die Beachtung von Vorschriften zu überwachen, die darauf abzielen, jede weitere entlohnte Berufsarbeit bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber nach Ablauf der gesetzlichen Arbeitszeit zu untersagen, und dass derartige Massnahmen unter Umständen sogar die Freiheit zu beeinträchtigen scheinen, die der Arbeiter in der Verfügung über seine Freizeit besitzen soll.

Sie schlägt vor, dass die Regierungen den Abschluss von Kollektivverträgen fördern und erleichtern, wodurch den Arbeitern als Gegenleistung für die gesetzliche Arbeitszeit normale Lebensbedingungen zugesichert und auf Grund freien Übereinkommens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Massnahmen getroffen werden, durch welche die Arbeiter davon abgehalten werden können, bezahlte Nebenarbeit zu suchen.

Da anderseits den Arbeitern, denen die unverkürzte Dauer ihrer Freizeit derart gesichert, ist,1 die bestmögliche Ausnutzung dieser Freizeit in jeder Hinsicht erleichtert werden soll, schlägt die Konferenz vor: a. dass jedes Mitglied unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Wirtschaftslebens, der örtlichen Bräuche, der Fàgenschaften und Neigungen jeder einzelnen Arbeitergruppe Mittel und Wege prüfe, die es gestatten, den Arbeitstag derart einzuteilen, dass eine möglichst ununterbrochene Dauer der Freizeit gewährleistet wird; Bundeablatt. 78. Jahrg. Bd. I.

62

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fc, dass eine zweckmässigo Verkehrspolitik mit Tarifermässigungen und Fahrplanbegünstigungen den Arbeitern gestatte, die Dauer des Weges - zwischen Wohnung und Arbeitsstätte möglichst abzukürzen, und dasa die Berufsverbände von den Verkehrsbehörden oder von privaten Verkehrsunternehmungen hei den Beratungen über die besten Massnahmen einer derartigen Verkehrspolitik in weitgehendem Masse zugezogen werden.

U. Freizeit und Sozialhygiene.

Da die Frage betreffend die Benützung der Freizeit der Arbeiter nur im Zusammenhang mit allen Massnahmen der Hygiene ind sozialen Wohlfahrt betrachtet werden kann, die von der Allgemeinheit zugunsten aller Staatsbürger getroffen werden, schlägt die Konferenz den Mitgliedern vor, ohne im einzelnen jede der grossen Wohll'ahrtsaufgaben zu prüfen, deren Lösung eine Verbesserung des Loses der Arbeiterschaft herbeiführen kann: a. dass die persönliche Gesundheitspflege gefördert werde, besonders durch Errichtung oder Förderung der Errichtung von Badeanstalten, Volksschwimmbädern usw. ; b. dass gesetzliche Massnahmen ergriffen oder private Bestrebungen gefördert werden, die der Bekämpfung des Alkoholismus, der Tuberkulose, der Geschlechtskrankheiten und des Glücksspiels dienen;

m. Wonnungsfürsorge.

Da es im Interesse der Arbeiterschaft und der Allgemeinheit liegt,, alles zu begünstigen, was eine harmonische Entwicklung des Familienlebens der Arbeiter zu sichern geeignet ist, und da das beste Mittel zum Schutze der Arbeiter gegen die obengenannten Gefahren darin besteht, ihnen ein passendes Heim zur Verfügung zu stellen, schlägt die Konferenz vor, die gesunden und billigen Wohnstätten, welche die wesentlichen Bedingungen der Gesundheitspflege und der Wohnlichkeit erfüllen, zu vermehren, sei es in Gartenstädten, sei es in den Stadtgebieten selbst, nötigenfalls durch Zusammenwirken der Staats- und der Ortsvevwaltungen, .

IV. Einrichtungen zur Benützung der Freizeit.

Ohne eine Auswahl zwischen den zahllosen Einrichtungen treffen zu wollen, die den Arbeitern Gelegenheit zu freier Betätigung nach eigenem Geschmacke gewähren und deren Entwicklung übrigens von den Sitten 'und Gebräuchen jedes Landes sowie jeder Gegend abhängt, lenkt die Konferenz die Aufmerksamkeit der Mitglieder dennoch auf den Umstand, dass eine Zersplitterung der Bestrebungen verhindert werden muss, die eintritt, wenn Ein-

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richtungen geschaffen werden, die nicht einem ausgesprochenen Bedürfnis dienen. Sie betont, dass es von grosser Bedeutung ist, bei Gründung und Erweiterung solcher Einrichtungen den Erwartungen, Neigungen und besonderen Verhältnissen der verschiedenen Gruppen der Arbeiterschaft Bechnung zu tragen, für die diese Einrichtungen geschaffen werden.

Immerhin empfiehlt die Konferenz unter den Einrichtungen, die zur harmonischen und glücklichen Entwicklung der Einzelnen und der Familie sowie zum Fortschritt der Gesamtheit beizutragen geeignet sind, besonders jene, deren Zweck es ist, a. die haushohe Wirtschaftsführung und das Familienleben des Arbeiters zu heben (Arbeitergärten, Schrebergärten, Kleintierzucht usw.), womit die günstigen Wirkungen der Erholung durch die Hoffnung auf einen selbst geringen wirtschaftlichen Vorteil für die Familie gesteigert werden ; ö. die körperliche Kraft und die Gesundheit des Arbeiters durch Übung von Sport zu fördern, der den in die weitestgehende Arbeitsteilung moderner Industrie eingegliederten jungen Arbeitern Gelegenheit zur freien Entfaltung ihrer Kräfte gibt und sie mit neuer Spannkraft und neuem Wetteifer erfüllt; G. die berufliche, hauswirtschaftliche und allgemeine Bildung zu fördern (Bibliotheken, Lesesäle, Vorträge, Kurse zur beruflichen und allgemeinen Fortbildung usw.), die einem der dringendsten Bedürfnisse der Arbeiter Bechnung trägt und die zugleich die sicherste Bürgschaft des Fortschritts für alle Wirtsohaftsgemeinschaften bedeutet.

Die Konferenz empfiehlt ferner den Mitgliedern die Förderung solcher Bestrebungen durch Gewährung von Beiträgen an Organisationen, die eich mit der sittlichen, geistigen und körperlichen Ausbildung der Arbeiterschaft befassen.

V. Freiheit in der Benutzung der Einrichtungen und Zusammenfassung der Bestrebungen.

Da seit langen Jahren das ständige Streben der Lohnarbeiter aller grossen Industrieländer dahin ging, sich die Freiheit und Unabhängigkeit in ihrem Dasein ausserhalb der Fabrik oder der Werkstätte»zu sichern, und da sie sich gegen jede fremde Einmischung in ihr Privatleben ganz besonders empfindlich zeigen; da ferner die Lebhaftigkeit dieses Gefühls sie sogar dazu geführt hat, jede nationale oder internationale Massnahme auf dem Gebiete der Benützung der Freizeit aus Furcht vor etwaiger Beeinträchtigung ihrer Freizeit
zu bemängeln, regt die Konferenz, in voller Würdigung der Absichten, die bei der Gründung von Einrichtungen zur Förderung einer guten Benützung der Freizeit der Arbeiter vorwalten, bei den Mitgliedsstaaten an, alle diejenigen, welche sich für derartige Einrichtungen einsetzen, darauf aufmerksam zu machen, dass die persönliche Freiheit der Arbeiter gegen alle Methoden oder Bestrebungen go-

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schützt werden muss, die darauf hinzielen könnten, der Arbeiterschaft die Benützung irgendeiner bestimmten Einrichtung mittelbar oder unmittelbar aufzuzwingen.

In der weiteren Erwägung, dass diejenigen Einrichtungen zur Benützung der Freizeit am besten lebensfähig und wirksam sind, die von den Nutzniessern selbst gegründet und ausgebaut worden sind, und bei aller Erkenntnis, dass in vielen Fällen (so bei der Anlage von Arbeitergärten, bei der Förderung des Sports, bei Einrichtungen für Fortbildung) die öffentlichen Körperschaften oder die Arbeitgeber mit Eücksicht auf ihre finanzielle oder anderweitige Beihilfe eine Art Aufsichtsrecht in Anspruch nehmen könnten, schlägt die Konferenz vor, dass aller Bedacht genommen werde, um jede Beeinträchtigung der Freiheit der Nutzniesser zu vermeiden.

Ohne eine systematische Organisierung der Nutzung der Freizeit ins Auge zu fassen, schlägt die Konferenz, durch einige günstige Versuche hierzu ermutigt, den Mitgliedern vor, die Einsetzung von Bezirks- oder Ortsausschüssen in Erwägung zu ziehen, welche besonders aus Vertretern der öffentlichen Körperschaften sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände und der Genossenschaften zu bestehen hätten, und deren Aufgabe es wäre, die verschiedenen Bestrebungen auf dem Gebiete der Erholung und der Benützung der Freizeit zusammenzufassen und in Einklang zu bringen.

Die Konferenz schlägt gleichfalls den Mitgliedern vor, eine rührige und wirksame Werbetätigkeit zu betreiben, damit in allen Ländern die Überzeugung geweckt werde, dass eine vernünftige Benützung der Freizeit durch die Arbeiter notwendig ist.

Beilage V.

Internationale Arbeitskonferenz.

Siebente Tagung Genf, 19. Mai bis 10, Juni 1925.

Von der Konferenz angenommene

Entwürfe von Übereinkommen und Vorschläge.

Bemerkung zur deutschen Übersetzung.

Die deutsche Übersetzung der nachstehenden Beschlüsse -- im Urtext lauten sie französisch und englisch -- entspricht dem Text, der durch Vertreter Deutschlands, Österreichs, der Schweiz sowie des Internationalen Arbeitsamtes gemeinsam festgesetzt wurde.

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Ton der Konferenz angenommene Entwürfe von Übereinkommen und Vorschläge.

Seite

1. Entwurf eines Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen ··*...'.

2. Vorschlag über die Mindestsätze der Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen 3. Vorschlag über die Rechtsprechung in Streitigkeiten bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen 4. Entwurf eines Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten 5. Vorschlag über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten 6. Entwurf eines Übereinkommens über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen 7. Vorschlag über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen 8. Entwurf eines Übereinkommens über die Nachtarbeit in Bäckereien

889 848 845 847 851

852 855 857

839 1.

Entwurf eines

Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 10. Juni 1925, den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen, eine Präge, die zum ersten Verhandlungsgegenstand der Tagung gehört, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen.

Das Übereinkommen ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge zur Batifizierung vorzulegen.

Artikel !..

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, Arbeitnehmern, die einen Betriebsunfall erlitten haben, oder ihren Hinterbliebenen zum mindesten gemäss den Bestimmungen dieses Übereinkommens eine Entschädigung zu sichern.

Artikel 2.

Die Gesetze und Verordnungen über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen sind anzuwenden auf Arbeiter, Angestellte und Lehrlinge in öffentlichen und privaten Betrieben, Unternehmungen oder Anstalten jeglicher Art.

Doch bleibt es jedem Mitglied unbenommen, in seiner Gesetzgebung die etwa notwendig erscheinenden Ausnahmen vorzusehen für: a. Personen, die zu gelegentlichen und dem Botriebszwecke fremden Arbeiten verwendet werden;

b. Heimarbeiter;

840

c. Familienangehörige des Arbeitgebers, die aussehliesslich für seine Kechnung arbeiten und in seinem Haushalte leben; d, Arbeitnehmer, die nicht Handarbeit verrichten und deren Arbeitsverdienst eine durch die Gesetzgebung zu bestimmende Grenze übersteigt.

Artikel 3.

Dieses Übereinkommen bezieht sich nicht auf: 1. Seeleute und Fischer, für die ein späteres Übereinkommen Vorsorge treffen soll; 2. Personen, für die eine besondere Regelung gilt, die mindestens der im vorliegenden Übereinkommen vorgesehenen gleichwertig ist.

Artikel 4.

Dieses Übereinkommen ist nicht anwendbar auf die Landwirtschaft, für welche das von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer dritten Tagung angenommene Übereinkommen über die Entschädigung der Landarbeiter bei Arbeitsunfälleri in Kraft bleibt.

Artikel 5.

Hat der Unfall dauernde Erwerbsunfähigkeit oder den Tod zur Folge, so wird die Entschädigung dem. verletzten Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen in Form einer Eente gewährt.

Doch kann diese ganz oder teilweise durch Zahlung einer Abfindung abgelöst werden, falls den zuständigen Behörden genügende Sicherheit für eine zweckmässige Verwendung der Abfindungssumme geboten wird.

Artikel 6.

Bei Erwerbsunfähigkeit beginnt die .Entschädigungsleistung spätestens am fünften Tage nach dem Unfall, gleichviel, ob der Arbeitgeber, eine Einrichtung der Unfallversicherung oder eine solche der Krankenversicherung zur Leistung verpflichtet ist.

Artikel 7.

Hat der Unfall eine solche Erwerbsunfähigkeit zur Folge, dass der verletzte Arbeitnehmer ständig fremder Hilfe bedarf, so ist eine Zusatzentschädigung zu gewähren.

Artikel 8.

Zur Handhabung der Überwachung und zur Nachprüfung der Entschädigung sind durch die Gesetzgebung die erforderlichen Massnahmen vorzusehen.

841

Artikel 9.

Dio verletzten Arbeitnehmer haben Anspruch auf ärztlichen Beistand und auf die infolge des Unfalls erforderliche chirurgische Behandlung und Versorgung mit Arznei. Die daraus erwachsenden Kosten sind von dem Arbeitgeber, den Einrichtungen der Unfallversicherung oder den Einrichtungen der Kranken- oder Invalidenversicherung zu tragen.

·*

Artikel 10.

Verletzte Arbeitnehmer haben gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Träger der Versicherung Anspruch auf Lieferung und ordnungsmässige Erneuerung der benötigten Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe. Die Gesetzgebung kann in Auanahmefallen an Stelle der Lieferung und Erneuerung der Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe die Gewährung einer Zusatzentschädigung zulassen; sie ist bei der Festsetzung oder Nachprüfung der Entschädigung, und zwar mit dem mutmasslichen Betrage der Anschaffungsund Erneuerungskosten der Körperersatzstücke und orthopädischen Behelfe.

KM bemessen.

' · · Die Gesetzgebung soll die notwendigen Vorkehrungen treffen, damit Missbräuche bei der Erneuerung von Ersatzstücken und Behelfen vermieden und die Zusatzentschädigungen ihrem Zweck entsprechend verwendet werden.

Artikel 11.

Die Gesetzgebung hat -- unter Berücksichtigung der besondern Verhältnisse des einzelnen Landes -- die geeigneten Vorkehrungen zu treffen, damit unter allen Umständen dio Zahlung der Entschädigung an die verletzten Arbeitnehmer oder ihre Hinterbliebenen insbesondere bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers oder des Versicherungsträgers sichergestellt wird.

Artikel 12.

Die förmlichen Batifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der andern Friedensvcrträge dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen, Artikel|13.

Dieses Übereinkommen tritt in Kraft, sobald die Batifikationen von zwei Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

Es bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Ratifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

842

In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 14.

Sobald die Eatifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Er gibt ihnen gleichfalls Kenntnis von der Eintragung der Katifikationen, die ihm später von andern Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 15.

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 18 verpflichtet sieh jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, die Bestimmungen der Artikel l, 2, 8, 4, 5, 6, 7, 8, 9,10 und 11 spätestens am 1. Januar 1927 anzuwenden und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Artikel 16.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es in schien Kolonien, Besitzungen und Protektoraten gemäss den Bestimmungen des Artikels 421 des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Artikel der andern Friedensverträge anzuwenden.

Artikel 17, Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum erstenmal in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung dieser Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 18.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Nachprüfung oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

.

Artikel 19.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

S43

2.

Vorschlag über die

Mindestsätze der Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen,

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf «inberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 10. Juni 1925, den nachstehenden Vorschlag an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Mindestsätze der Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen, eine Frage^ die zum ersten Verhandlungsgegenstand der Tagung .gehört, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Vorschlages zu fassen.

Der Vorschlag ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation :üur Prüfung vorzulegen, damit sie ihn auf dem Wege der Gesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten lassen, gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge.

Die allgemeine Konferenz schlägt jedem Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation die folgenden Grundsätze und Bichtlinien Vor: I.

Bei Erwerbsunfähigkeit infolge eines Unfalls sollen die Gesetze oder Verordnungen die Leistung von Entschädigungen zum mindesten in nachstehendem Ausmasse festsetzen: 1. bei dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit eine Eente im Betrage von zwei Dritteln des Jahresarbeitsverdienstes des verletzten Arbeitnehmers; 2. bei dauernder teilweiser Erwerbsunfähigkeit einen Bruchteil der bei dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Bente, der dem Masse der durch den Unfall verursachten Einbusse an Erwerbsfähigkeit entspricht; 3. bei vorübergehender völliger Erwerbsunfähigkeit ein Tag- oder Wochengeld im Betrage von zwei Dritteln des für die Berechnung der Entschädigung massgebenden Grundlohnes des verletzten Arbeitnehmers ; 4. bei vorübergehender teilweiser Erwerbsunfähigkeit einen Bruchteil des boi vorübergehender völliger Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Tag- oder

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Wochengeldes, der dem Masse der durch den Unfall verursachten Einbusse an Erwerbsfähigkeit entspricht.

Erfolgt die Entschädigung in Eorm einer einmaligen Abfindung, so darf diese Summe nicht niedriger sein als der Kapitalwert der entsprechenden Eente.

II.

Verletzte Arbeitnehmer, deren Zustand ständige fremde Hilfe erforderlich macht, haben Anspruch auf eine Zusatzentschädigung, die mindestens die Hälfte der bei dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit zu gewährenden Entschädigung beträgt,

III.

Bei Unfällen mit tödlichem Ausgang sind mindestens folgende Hinterbliebene entschädiguugäberechtigt : , 1. der Ehegatte; ' ' ' 2. die Kinder des Verstorbenen unter 18 Jahren oder -- ohne Eücksicht auf ihr Alter --· die Kinder, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen erwerbsunfähig sind; · .

3. die Verwandten des Verstorbenen in aufsteigender Linie (Eltern- oder Grosseltern), sofern sie mittellos sind und der Verstorbene für ihren Unterhalt wesentlich gesorgt hat oder zu ihrem-Unterhalt verpflichtet war; 4. die Enkel und Geschwister des Verstorbenen unter 18 Jahren oder -- ohne Eücksicht auf ihr Alter -- die Enkel und Geschwister des Verstorbenen, die infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen erwerbsunfähig-sind, sofern sie elternlos oder die Eltern unfähig sind, für deren Unterhalt zu sorgen.

Wird die Enschadigung in Form einer Eente geleistet, so soll der Höchstbetrag der sämtlichen Hinterbliebenen gewährten jährlichen Leistungen nicht niedriger sein als zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen.

Wird die Entschädigung in Form einer Abfindung geleistet, so soll der Höchstbetrag der an sämtliche Hinterbliebenen zu zahlenden Abfindung nicht niedriger sein als der Kapitalwert einer Eente, die zwei Dritteln des Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen entspricht.

IV.

Für die berufliche Wiederanlernung oder Umschulung verletzter Arbeitnehmer ist durch geeignete Massnahmen der Gesetzgebung vorzusorgen.

Einrichtungen, die hierzu dienen, sind von den Regierungen zu fördern.

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3.

Vorschlag über die

Rechtsprechung in Streitigkeiten bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen.

Die vom Verwaltungsrat dès Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 10. Juni 1925, den nächstehenden Vorschlag an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Bechtsprechung in Streitigkeiten über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen, eine Frage, die zum ersten Verhandlungsgegenstand der Tagung gehört, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Vorschlages zu fassen.

Der Vorschlag ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen, damit sie ihn auf dem Wege der Gesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten lassen, gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge. .

In Erwägung, dass Streitigkeiten über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen nicht nur die Auslegung des Wortlautes von Gesetzen und Verordnungen zum Gegenstand haben, sondern auch berufliche Fragen, die eine gründliche Kenntnis der Arbeitsverhältnisse voraussetzen, Fragen, die beispielsweise die Natur des Betriebs, die ihm eigentümlichen Gefahren, die Beziehung zwischen der Beschäftigung und dem Unfall, die Art der Lohnberechnung, den Grad der Erwerbsunfähigkeit, die Möglichkeit des Berufswechsels betreffen, in Erwägung ferner, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber die nötigen Fachkenntnisse und Erfahrungen besitzen und dass ihre Mitwirkung bei den für die Rechtsprechung in Entschädigungsangelegenheiten zuständigen richterlichen Behörden zu einer den Grundsätzen der Billigkeit möglichst entsprechenden Beilegung der Streitfragen führen dürfte; in Erwägung endlich, dass in vielen Ländern die Mitwirkung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei solchen Behörden möglich ist, ohne dass die bestehende Gerichtsverfassung grundsätzlich dadurch berührt würde,

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schlägt die Allgemeine Konferenz jedem Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation die nachstehenden Grundsätze und Eichtlinien vor.

I.

Streitigkeiten über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen sind vorzugsweise Sondergerichten oder Schiedsausschüssen zu überweisen,.

die -- mit oder ohne Beiziehung von Berufsrichtern --- aus einer gleichen Zahl von Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammengesetzt sind ; diese Vertreter sind entweder durch die Berufeverbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu ernennen, oder auf Vorschlag dieser Verbände oder von den Vertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei anderen sozialen Körperschaften zu.

bestellen, oder durch gesonderte Wahlkörper der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu wählen.

II.

Werden mit Streitigkeiten über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen die ordentlichen Gerichte befasst, so haben diese auf Antragder einen oder anderen Partei Vertreter der Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Sachverständige in allen Fällen anzuhören, in denen eine berufliche Frage, insbesondere die Bestimmung des Grades der Erwerbsunfähigkeit, streitig ist..

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4.

Entwurf eines

Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 10. Juni 1925, den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten, eine Frage, die zum ersten Verhandlungsgegenstand der Tagung gehört, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Entwurfs zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen, Das Übereinkommen ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge zur Eatifiziérung vorzulegen.

Artikel 1.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, Arbeitnehmern, die durch Berufskrankheiten erwerbsunfähig geworden sind, oder ihren Hinterbliebenen eine Entschädigung nach den allgemeinen Grundsätzen seiner Gesetzgebung über die Entschädigimg aus Anlass von Betriebsunfällen zu sichern.

Die Entschädigungssätze dürfen nicht geringer sein als diejenigen, welche die Gesetze des Landes für die aus Betriebsunfällen entstandenen Schäden vorsehen. Mit dieser Einschränkung steht es jedem Mitglied frei, bei der gesetzlichen Eegelung der Entschädigung für die in Frage stehenden Krankheiten und bei der Unterstellung dieser Krankheiten unter die Gesetzgebung über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen die zweckdienlichen- Änderungen und Anpassungen vorzunehmen.

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» Artikel 2.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, als Berufskrankheiten die Krankheiten und Vergiftungen zu betrachten, die durch die im nachstehenden Verzeichnis angeführten Stoffe verursacht sind, falls derartige Krankheiten oder Vergiftungen bei Arbeitnehmern der im Verzeichnis an entsprechender Stelle angeführten Gewerbe oder Berufe auftreten und, durch die Beschäftigung in einem .der Gesetzgebung des Landes unterstellten Betrieb hervorgerufen worden sind.

Verzeichnis der Erkrankungen und Giftstoffe:

der entsprechenden Gewerbe und Verfahren :

Vergiftungen durch Blei, dessen Legierungen und Verbindungen sowie unmittelbare Polgen dieser Vergiftungen.

Behandlung bleihaltiger Erze, einschliesslich bleihaltiger Bückstände in Zinkwerken.

Vergiftungen durch Quecksilber, dessen Legierungen und Verbindungen sowie immittelbare Folgen dieser Vergiftungen.

Einschmelzen von altem Zink und Blei zu Barren.

Herstellung von Gegenständen aus geschmolzenem Blei oder bleihaltigen Legierungen.

Polygraphische Gewerbe.

Herstellung von Bleiverbindungen.

Herstellung und Ausbesserung elektrischer Akkumulatoren.

Zubereitung und Verwendung von bleihaltigen Emaillen.

Polieren mit Bleispänen oder bleihaltigen Stoffen.

Anstreicharbeiten, bei denen bleihaltige Streichmittel, Kitte oder Farben, zubereitet oder gebraucht werden.

Behandlung von quecksilberhaltigen Mineralien.

Herstellung von Quecksilbern erbindungen.

Herstellung von Mess- und Laboratoriumsapparaten.

Zubereitung der Bohstoffe für die Hutmacherei.

Feuervergoldung.

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Ansteckung durch Milzbrand.

Verwendung von Quecksilberpumpen für die Herstellung von Glühlampen.

Herstellung von Knallquecksilberzündern.

Arbeiten bei milzbrandverseuchten Tieren.

Behandlung von Tierleichen oder tierischen Abfällen.

Ehi- und Ausladen sowie Beförderung solcher Waren.

Artikel 8.

Die förmlichen Batifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der andern Friedensverträge dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 4.

Dieses Übereinkommen tritt in Kraft, sobald die Ratifikationen von zwei Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

Es bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Ratifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Ratifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 5.

Sobald die Ratifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Er gibt ihnen gleichfalls Kenntnis von der Eintragung der Ratifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 6.

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 4 verpflichtet sich jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, die Bestimmungen der Artikel l und 2 spätestens am i. Januar 1927 anzuwenden und die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Bundesblatt. 78, Jahrg, Bd. I.

63

850

Artikel 7.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es in seinen Kolonien, Besitzungen und Protektoraten geinäss den Bestimmungen des Artikels 421 des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Artikel der anderen Friedensverträge anzuwenden.

Artikel 8.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von fünf Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum ersten Male in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung dieser Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 9.

Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Nachprüfung oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 10.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

851

5.

Vorschlag über die

Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 10. Juni 1925, den nachstehenden Vorschlag an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten, eine Frage, die zum ersten Verhandlungsgegenstand der Tagung gehört, sowie ferner auf ihren Besehluss, diese Anträge in Form eines Vorschlages zu fassen.

Der Vorschlag ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen, damit sie ihn auf dem Wege der Gesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten lassen, gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der andern Friedensverträge.

In Erwägung, dass es zwar jedem Staate freisteht, in seiner Gesetzgebung ein vollständigeres Verzeichnis aufzustellen, als es in Artikel 2 des Entwurfs eines Übereinkommens über die Entschädigung aus Anlass von Berufskrankheiten enthalten ist, schlägt die Konferenz vor, dass jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, sofern nicht bereits eine entsprechende Einrichtung besteht, ein einfaches Verfahren einführe, um das Verzeichnis der gesetzlich als Berufskrankheiten geltenden Erkrankungen gegebenenfalls überprüfen zu können.

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6.

Entwurf eines

Übereinkommens Dber die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung, versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 5. Juni 1925, den nachstehenden Entwurf eines Übereinkommens an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen, eine Frage, die zum zweiten Verhandlungsgegenstand der Tagung gehört, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen.

Das Übereinkommen ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gernäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge zur Batifizierung vorzulegen.

Artikel 1.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, den Staatsangehörigen jedes anderen, das Übereinkommen ratifizierenden Mitgliedes, die auf seinem Gebiet einen Betriebsunfall erlitten haben, oder ihren Hinterbliebenen die gleiche Behandlung bei der Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen zu gewähren wie seinen eigenen Staatsangehörigen.

Diese Gleichbehandlung wird den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Hinterbliebenen ohne Bücksicht auf ihren Wohnsitz gewährt. Soweit indes Zahlungen in Frage kommen, die ein Mitglied oder dessen Staatsangehörige diesem Grundsätze genmss im Auslande zu leisten hätten, sind die entsprechenden Massnahmen nötigenfalls durch Sonderabkornmen zwischen den beteiligten Mitgliedern zu vereinbaren.

853 Artikel 2.

Durch besondere Vereinbarung zwischen den beteiligten Mitgliedern kann bestimmt werden, dass auf die Entschädigung aus Anlass von Unfällen solcher Arbeitnehmer, die nur vorübergehend oder mit Unterbrechungen im Gebiete eines Mitgliedes für Eechnung eines im Gebiete eines anderen Mitgliedes gelegenen Unternehmens beschäftigt sind, die gesetzlichen Vorschriften des letztgenannten Staates Anwendung finden sollen.

Artikel 3.

Die Mitglieder, die dieses Übereinkommen ratifizieren und die noch keine Einrichtungen für die Entschädigung oder Versicherung mit bestimmten Leistungen aus Anlass von Betriebsunfällen besitzen, erklären sich einverstanden, eine derartige Regelung innerhalb drei Jahren nach der von ihnen vollzogenen Batifikation einzuführen.

Artikel 4.

Die Mitglieder, die dieses Übereinkommen ratifizieren, verpflichten sich zur gegenseitigen Unterstützung, um die Anwendung des Übereinkommens und die Ausführung der Gesetze und Verordnungen über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen zu erleichtern. Sie verpflichten sich ferner, alle Abänderungen der geltenden Gesetze und Verordnungen über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen dem Internationalen Arbeitsamt mitzuteilen, welches den anderen beteiligten Mitgliedern davon Kenntnis geben wird.

Artikel 5.

Die förmlichen Katifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

Artikel 6.

Dieses Übereinkommen tritt in Kraft, sobald die Batifikation von zwei Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

Es bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Batifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Ratifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist.

Artikel 7.

Sobald die Ratifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der General-

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sekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen .

Arbeitsorganisation mit. Er gibt ihnen gleichfalls Kenntnis von der Eintragung der Katifikationen, die i1nr\ später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

.

" · .

Artikel 8.

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 6 verpflichtet sich jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, die Bestimmungen der Artikel l, 2, 3 und 4 spätestens am 1. Januar 1927 anzuwenden una. die zu ihrer Durchführung nötigen Massnahmen zu treffen.

Artikel 9, Jedes Mitglied der' Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es in seinen Kolonien, Besitzungen und Protektoraten gemäss den Bestimmungen des Artikels 421 des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Artikel der anderen Friedensverträge anzuwenden.

Artikel 10.

- Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum ersten Male in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die "Wirkung dieser Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 11.

. Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Nachprüfung "oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

·Artikel 12.

Der französische und der englische Wortlaut dieses Übereinkommens .sind in gleicher Weise massgebend.

855

7.

Vorschlag über die

Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen.

Die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufene und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 5. Juni 1925, den nachstehenden Vorschlag an.

Sie stützt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen, eine Frage, die zum zweiten Verhandlungsgegenstand der Tagung gehört, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Vorschlages zu fassen.

Der Vorschlag ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation zur Prüfung vorzulegen, damit sie ihn auf dem Wege der Gesetzgebung oder in anderer Weise in Kraft treten lassen, gemäss den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge.

I.

Um die Anwendung des Übereinkommens über die Gleichbehandlung einheimischer und ausländischer Arbeitnehmer bei Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen zu erleichtern, schlägt die Konferenz vor, dass jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation die notwendigen Massnahmen treffe, a. um Personen, denen ein Entschädigungsanspruch nach den Gesetzen eines Mitgliedes zusteht, die aber in dem Gebiet eines anderen Mitgliedes wohnen, den Bezug der ihnen gebührenden Beträge zu erleichtern und die Beobachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Zahlungsbedingungen zu gewährleisten ; 6. um bei Streitigkeiten, die sich daraus ergeben, dass die Entschädigung nicht geaahlt, die Zahlung eingestellt uder der Betrag der geschuldeten Entschädigung herabgesetzt wurde, einer Person, die ausserhalb des Gebietes wohnt, in dem ihr Anspruch auf die Entschädigung entstanden

856 ist, die Einleitung des Verfahrens bei den zuständigen Gerichten dieses Landes zu ermöglichen, ohne dass ihre Anwesenheit erforderlich ist; c. um Steuer- und Gebührenbefreiungen, die kostenlose Ausstellung amtlicher Schriftstücke oder sonstige Vergünstigungen, die von den Gesetzen eines Mitgliedes bei der Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen gewährt werden, unter denselben Bedingungen auch den Staatsangehörigen der anderen Mitglieder einzuräumen, die das erwähnte Übereinkommen ratifiziert haben.

- II.

Die Konferenz schlägt vor, dass in den Ländern, die noch keine Einrichtungen für die Entschädigung oder Versicherung mit bestimmten Leistungen aus Anlass von Betriebsunfällen besitzen, die Eegierungen bis zur Einführung solcher Einrichtungen den ausländischen Arbeitnehmern die Möglichkeit gewähren, die Vergünstigungen der Gesetzgebung ihres Heimatstaates über die Entschädigung aus Anlass von Betriebsunfällen zu geniessen.

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8.

Entwurf eines

Übereinkommens Über die Nachtarbeit in Bäckereien, Die vom Verwa}tungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufece und hier am 19. Mai 1925 zu ihrer siebenten Tagung versammelte Allgemeine Konferepz der Internationalen Arbeitsorganisation des Völkerbundes nimmt heute, am 8. Juni 1925, den nachstehendem Entwurf eines Übereinkommens an.

Sie stutzt sich dabei auf ihren Beschluss über die Annahme verschiedener Anträge betreffend die Nachtarbeit in Bäckereien, eine Frage, die den vierten Verhandlungsgegenstand der Tagung bildet, sowie ferner auf ihren Beschluss, diese Anträge in Form eines Entwurfes zu einem internationalen Übereinkommen zu fassen.

Das Übereinkommen ist den Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation gemäss derf Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge zur Eatifizierung vorzulegen.

Artikel 1.

Vorbehaltlich der in den Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommens vorgesehenen Ausnahmen ist die Hefstellung von Brot, Feinbackwerk oder ähnlichen aus Mehl bereiteten Erzeugnissen zur Nachtzeit verboten.

Dieses Verbot erstreckt sich auf die Arbeit sämtlicher Personen, Bitriebsinhaber wie Arbeitnehmer, die an der Herstellung der genannten Erzeugnisse beteiligt sind; es bezieht sich indes nicht auf die hauswirtschaftliche Erzeugung durch Angehörige des Haushaltes für ihren Eigenverbrauch.

Das vorliegende Übereinkomme.! findet keine Anwendung auf die HersteEung von Biskuits im grosseri. Es bleibt den einzelnen Mitgliedern überlassen, nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände die Erzeugnisse zu bestimmen, die im Sinne dieses Übereinkommens unter den Begriff «Biskuit» fallen.

Artikel 2.

Als «Nacht» im Sinne dieses Übereinkommens gilt ein Zeitraum von mindestens sieben aufeinanderfolgenden Stunden. Anfang und Endes dieses Zeitraumes sind in jedem Lande von der zuständigen Behörde nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände festzusetzen ; er hat die Zeit von 11 Uhr

858 abends bis 5 Uhr morgens einzuschliessen. Wenn Klima oder Jahreszeit es rechtfertigen, oder wenn die beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sich darauf einigen, kann an Stelle der Zeitspanne von 11 Uhr abends bis 5 Uhr morgens die Zeitspanne von 10 Uhr abends bis 4 Uhr morgens treten.

Artikel 3.

Nach Anhörung der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände kann die zuständige Behörde jedes Landes folgende Ausnahmen von den Bestimmungen des Artikels l zulassen: a. dauernde Ausnahmen für Vorbereitungs- und Ergänzungsarbeiten, soweit diese notwendigerweise ausserhalh der normalen Arbeitszeit verrichtet werden müssen, mit dem Vorbehalt jedoch, dass für diese Arbeiten nicht mehr als die unbedingt erforderliche Anzahl Arbeitnehmer und dass kerne Jugendlichen unter 18 Jahren verwendet werden; b. dauernde Ausnahmen, die mit Eücksicht auf die besonderen Bedingungen des Bäckereigewerbes in tropischen Ländern erforderlich sind; c. dauernde Ausnahmen zur Sicherung der wöchentlichen Buhezeit; d. vorübergehende Ausnahmen, um aussergewöhnlicher Häufung der Arbeit oder Erfordernissen des Gemeinwohls Rechnung zu tragen.

Artikel 4.

Ausnahmen von den Bestimmungen des Artikels l sind ferner zulässig, wenn ein Unglücksfall eingetreten ist oder droht, wenn dringliche Arbeiten an den Maschinen oder den Betriebseinrichtungen vorzunehmen sind, oder wenn höhere Gewalt vorliegt, jedoch nur soweit solche Ausnahmen erforderlich sind, um eine ernstliche Störung des regelmäßigen Betriebes zu verhüten.

Artikel 5.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert, hat alle geeigneten Massnahmen zur allgemeinen und wirksamen Durchführung des im Artikel l vorgesehenen Verbotes zu treffen und zu diesem Zwecke die Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sowie deren Verbände zur Mitarbeit heranzuziehen, entsprechend dem von der Internationalen Arbeitskonferenz auf ihrer fünften Tagung (1928) angenommenen Vorschlag.

Artikel 6.

Die Bestimmungen des vorhegenden Übereinkommens treten erst am 1. Januar 1927 in Kraft.

Artikel 7.

Die förmlichen Ratifikationen dieses Übereinkommens sind nach den Bestimmungen des Teiles XIII des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Teile der anderen Friedensverträge dem Generalsekretär des Völkerbundes zur Eintragung mitzuteilen.

859 Artikel 8.

Dieses Übereinkommen tritt in Kraft, sobald die Eatifikationen von zwei Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation durch den Generalsekretär eingetragen worden sind.

Es bindet nur diejenigen Mitglieder, deren Eatifikation beim Sekretariat eingetragen ist.

In der Folge tritt für jedes andere Mitglied dieses Übereinkommen mit dem Tage in Kraft, an dem seine Eatifikation beim Sekretariat eingetragen worden ist, Artikel 9.

Sobald die Eatifikation durch zwei Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation beim Sekretariat eingetragen ist, teilt der Generalsekretär des Völkerbundes dies sämtlichen Mitgliedern der Internationalen Arbeitsorganisation mit. Er gibt ihnen gleichfalls Kenntnis von der Eintragung der Eatifikationen, die ihm später von anderen Mitgliedern der Organisation mitgeteilt werden.

Artikel 10.

Jedes Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation, das dieses Übereinkommen ratifiziert, verpflichtet sich, es in seinen Kolonien, Besitzungen und Protektoraten gemäss den Bestimmungen des Artikels 421 des Vertrages von Versailles und der entsprechenden Artikel der anderen Friedensverträge anzuwenden, Artikel 11.

Jedes Mitglied, das dieses Übereinkommen ratifiziert hat, kann es nach Ablauf von zehn Jahren, gerechnet von dem Tage, an dem es zum ersten Male in Kraft tritt, durch eine an den Generalsekretär des Völkerbundes zu richtende und von ihm einzutragende Anzeige kündigen. Die Wirkung dieser Kündigung tritt erst ein Jahr nach ihrer Eintragung beim Sekretariat ein.

Artikel 12, Der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes hat mindestens alle zehn Jahre einmal der Allgemeinen Konferenz einen Bericht über die Durchführung dieses Übereinkommens zu erstatten und darüber zu entscheiden, ob seine Nachprüfung oder Abänderung auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt werden soll.

Artikel 13.

Der französische imd der englische Wortlaut dieses Übereinkommens sind in gleicher Weise massgebend.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die siebente Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz. (Vom 7. Juni 1926.)

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