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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die neuen Bildungs- und den Forschungsartikel der Bundesverfassung (Art. 27, 27"IB und 27TM*TM) (Vom 19. Januar 1972)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, Wir haben Ihnen am 27. September 1971 über das Volksbegehren für Schulkoordination der Jugendfraktion der Schweizerischen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei vom 1. Oktober 1969 (BEI 1971 II 1001) Bericht erstattet und Ihnen empfohlen, dem Volke die Verwerfung dieser Initiative zu beantragen.

Gleichzeitig haben wir Ihnen eine Botschaft über die Revision der Schulartikel der Bundesverfassung und einen formulierten Entwurf zu einem Bildungs- und einem Forschungsartikel in Aussicht gestellt. Wir beehren uns, Ihnen hiemit diese Vorlage zu unterbreiten.

l Einleitung und Übersicht Die Bundesverfassung von 1874 geht vom Prinzip der kantonalen Schulhoheit aus. Dieser Grundsatz wurde allerdings erst im Artikel 27«uater über die Stipendien, der im Jahre 1963 in die Verfassung aufgenommen wurde, ausdrücklich genannt. Im geltenden Artikel 27 werden dem Bunde beschränkte Kompetenzen auf den Gebieten der Hochschule und der Primarschule zugewiesen; er enthält ferner Bestimmungen über die staatliche Leitung der Primarschulen und über die Wahrung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in den öffentlichen Schulen. Artikel 27bls sieht Bundesbeiträge an den Primarunterricht vor. Eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Grundlage für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung fehlt bis jetzt.

Seit 1874 haben sich die Verhältnisse im Bildungswesen grundlegend verändert. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine beschleunigte Entwicklung ein. Es steht fest, dass auch in Zukunft die Wandlungen in Gesellschaft und Wirtschaft einen Ausbau unseres Bildungswesens sowie Reformen und Neuerungen bedingen werden. Dieser Tatsache muss die Verfassung Rechnung tragen. Sie hat eine tragfähige Basis zu bilden für ein Schul- und Bil-

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dungswesen, das den Anforderungen der nächsten Jahrzehnte gerecht wird.

Die zweckmässige Lösung dieser Probleme beeinflusst massgeblich die Zukunft unserer Jugend und damit auch das Schicksal unseres Staates.

Bevor wir den Wortlaut der neuen Verfassungsartikel begründen, erachten wir es als angezeigt, in grossen Zügen die Lage unseres Schulwesens zu schildern - und zwar sämtlicher Stufen vom Kindergarten bis zur Hochschule und zur Erwachsenenbildung - und auch eine Übersicht über die Lage der Forschung in der Schweiz zu geben. Dabei erkennt man, dass die Kantone und die Gemeinden den Schulen stets grösste Aufmerksamkeit geschenkt haben. Auch heute noch nimmt der Stand unserer Schulbildung im internationalen Vergleich eine günstige Stellung ein, Dass insbesondere die guten Leistungen unserer Volksschulen während Jahrzehnten eine feste Ausgangsbasis für die schweizerische Qualitätsproduktion und damit für den wirtschaftlichen Aufschwung bildeten, ist allgemein bekannt. Es darf auch hervorgehoben werden, dass die Schulträger sich bemühen, die Erkenntnisse der Pädagogik und die Fortschritte der Wissenschaft zu berücksichtigen. Reformen von unterschiedlicher Tragweite werden laufend unternommen und neue Versuche eingeleitet. Eine führende Stellung nimmt seit einigen Jahren die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ein. Ihr gelang die Aufstellung des interkantonalen Konkordats über die Schulkoordination, das nicht allein die Schulgesetzgebung in wichtigen organisatorischen Punkten vereinheitlicht, sondern das auch die Angleichung der Schulstrukturen anstrebt und damit zu inneren Reformen Anlass geben wird. Trotz diesen Bemühungen und Erfolgen blieben zahlreiche Probleme ungelöst; vor allem aber sind neue grosse Anstrengungen unerlässlich, um den Ansprüchen der Zukunft gewachsen zu sein.

So stellen wir Lücken fest besonders bei neueren Formen der Schulung, wie bei den Sonderschulen, bei der Erwachsenenbildung, bei der Weiterbildung der Berufstätigen aller Erwerbszweige und bei den Nachdiplomstudien. Vor allem finanzschwache und Gebirgskantone vermögen die Lasten, die ein auf allen Stufen ausgebautes Bildungswesen nach sich zieht, kaum mehr zu tragen. Es entsteht damit die Gefahr eines Bildungsgefälles, das weder sachlich noch politisch verantwortet werden kann. Aber auch für die finanzstarken
Kantone fallen vor allem die rasch wachsenden Aufwendungen für die Hochschulen stark ins Gewicht. Es darf nie übersehen werden, dass sie die Universitäten nicht nur im Interesse ihrer eigenen Bevölkerung führen, sondern dass sie stets mehr auswärtige Studierende als Kantonsangehörige ausbilden. Dass die Forschung für einen modernen Industriestaat von grösster Bedeutung ist, braucht nicht besonders betont zu werden. Für unser rohstoffarmes Land, das nur mit Spitzenprodukten auf dem Weltmarkt konkurrieren kann, ist sie lebenswichtig. Die Grundlagenforschung wird fast ausschliesslich von der öffentlichen Hand finanziert. Auch in der anwendungsorientierten Forschung muss der Staat mitwirken, insbesondere dort, wo es sich um Forschungen über Fragen des allgemeinen Wohls handelt, wie beim Umweltschutz, der Sozial- und Präventivmedizin usw. Angesichts der Tragweite dieser Verpflichtungen erscheint eine klare und einwandfreie verfassungsrechtliche Basis als unerlässlich.

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Das Bildungswesen befindet sich weltweit in Bewegung. Im In- und im Ausland eingeleitete Experimente wie auch insbesondere die Ergebnisse der Bildungsforschung werden zu neuen Konzeptionen führen. In dieser Situation muss eine Neufassung der Bildungsartikel mit grosser Umsicht vorgenommen werden. Entscheidend ist, dass die vorgeschlagenen Bestimmungen so flexibel gehalten werden, dass sie wohl weitgehende Verbesserungen im Bildungswesen erlauben, jedoch keine Entwicklungen verbauen.

Als wesentlichste Neuerungen schlagen wir vor: - Die Statuierung des Rechts auf eine der Eignung entsprechende Ausbildung. Die Aufnahme dieses Grundrechts in unsere Verfassung bildet zweifellos einen markanten Fortschritt. Das neue Grundrecht findet seine Schranken an der Eignung; es verleiht im Rahmen des bestehenden Bildungssystems einen Anspruch auf Ausbildung. Dem Einzelnen zur Bildung zu verhelfen könnte hingegen nicht dem Staat auferlegt werden.

- Entsprechend der tatsächlichen Entwicklung und ausgehend vom gewandelten Verständnis der föderativen Staatsordnung wird das Bildungswesen als gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen festgelegt. Bund und Kantone haben in enger Zusammenarbeit diese zentrale Verpflichtung zu erfüllen. Dieses Vorgehen bietet gleichzeitig die einzigartige Gelegenheit, mit der immer wieder geforderten, sachgerechteren Neuverteilung der Staatsaufgaben wenigstens in einem Teilbereich Ernst zu machen. Wenn auch die Hauptverantwortung für das Bildungswesen weiterhin bei den Kantonen bleiben wird, so hat künftig doch der Bund vermehrte Aufgaben zu übernehmen. Es geht vor allem darum, anstelle vielfach überlagerter und zersplitterter Zuständigkeitsregelungen in sich geschlossene Verantwortungsbereiche nach Massgabe der Leistungskraft und der Einwirkungsmöglichkeiten der verschiedenen Träger des Bildungswesens zu definieren.

Auf diese Weise dürfte allein durch den Verzicht auf «Giesskannensubventionen» mit dem gleichen finanziellen Aufwand ein Mehr an Leistung erzielt werden. Ein gemeinschaftliches Vorgehen soll ferner ein isoliertes Nebeneinander von Bundesregelungen und kantonalen Ordnungen ausschliessen.

- Der Bund wird als zuständig erklärt, Grundsätze aufzustellen für Gestaltung und Ausbau des Mittelschulwesens, des höheren Bildungswesens und der Erwachsenenbildung sowie für die Gewährung
von Ausbildungsbeihilfen. Dass eine solche Grundsatzgesetzgebung nötig ist, beweisen eindeutig die Erfahrungen mit der heutigen Maturitäts-Anerkennungsverordnung, mit dem Hochschulförderungsgesetz und mit dem Bundesgesetz über Beiträge an kantonale Stipendien. Das neue Gebiet der Erwachsenenbildung wird durch Rahmenbestimmungen des Bundes gefördert und gefestigt werden können. Die jetzige Zuständigkeitsordnung für die Berufsbildung wird nicht verändert. Weiterhin im alleinigen Kompetenzbereich der Kantone bleibt die Ausbildung im vorschulpflichtigen Alter und während der obligatorischen Schulzeit.

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- Nach geltendem Verfassungsrecht kann der Bund Beiträge ausrichten an die Primarschulen, die Berufsschulen, die Hochschulen sowie an Stipendienaufwendungen. Diese historisch gewachsene Auswahl muss heute unter dem Gesichtspunkt einer sachgerechten Aufgabenverteilung grundsätzlich überprüft werden können. Deshalb wird eine allgemeine Förderungskompetenz des Bundes vorgeschlagen, die den Weg für eine funktionelle Abgrenzung der Trägerschaft für die verschiedenen Bereiche des Bildungswesens freimachen soll.

- Dem Bund wird die Kompetenz übertragen, die wissenschaftliche Forschung zu fördern. Damit ist gegenüber bisher keine grundsätzliche Neuerung verbunden. Im Bereiche der Forschung hat der Bund primär dafür zu sorgen, dass seine eigenen Forschungsbedürfnisse sowie diejenigen der Allgemeinheit befriedigt werden und dass sich die Forschung an höheren Bildungsstätten entwickeln kann.

Von den neuen verfassungsrechtlichen Bestimmungen wird nur Artikel 27 Absatz l über das Recht auf eine der Eignung entsprechende Ausbildung unmittelbare Wirkungen zeitigen. Im übrigen wird erst die Ausführungsgesetzgebung Einflüsse auf das schweizerische Bildungswesenausüben. Ihre Vorbereitung wird in enger Fühlungnahme mit den Kantonen und mit allen interessierten Kreisen erfolgen. Im komplexen und schwierigen Bereich des Bildungswesens darf nicht übereilt legiferiert werden. Es wird sich auch aufdrängen, Prioritäten festzulegen und zuerst für diejenigen Sachgebiete neue Bundesregelungen aufzustellen, wo bereits Erfahrungen vorliegen. Im Vordergrund für Ausführungserlasse stehen deshalb das berufliche Bildungswesen, die Hochschulen, die Mittelschulen (Maturitätsregelung) sowie die Stipendien und ändern Ausbildungsbeihilfen. Auch für die Forschung dürfte ein schrittweiser Ausbau der Gesetzgebung realistischer sein als die sofortige Inangriffnahme eines allgemeinen Forschungsgesetzes.

Wir legen Ihnen getrennte Entwürfe zu Bundesbeschlüssen einerseits über die Revision der Bildungsartikel (27 und 27blB) und anderseits über einen Forschungsartikel (27«uater) vor. Es empfiehlt sich, die Möglichkeit einzuräumen, die Revision der Schulartikel zu befürworten und auf einen Forschungsartikel zu verzichten oder umgekehrt die Förderung der Forschung zu bejahen und den jetzigen Text der Schulartikel zu belassen.

Abschliessend sei
hervorgehoben, dass wir die neuen Artikel 27 und 27bu nicht mehr als Schul-, sondern als Bildungsartikel bezeichnen. Dadurch soll dem gewandelten Verständnis des Bildungswesens Ausdruck verliehen werden. Bildung ist kein einmaliger mit der Schul- und Berufsbildung abgeschlossener Prozess, sondern ein Vorgang, den der Mensch unaufhörlich aufnehmend und gestaltend erlebt. Wenn auch die ständige Weiterbildung Sache des frei entscheidenden Individuums bleibt, so ist doch der Staat aufgerufen, zur Schaffung der Voraussetzungen beizutragen.

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2 Die Lage des schweizerischen Schulwesens Über die Lage unseres Schulwesens und der sich auf den verschiedenen Schulstufen stellenden Probleme möchten wir zusammenfassend folgendes ausführen.

21 Die Vorschulstufe Unsere kantonalen Schulgesetze erwähnen - mit Ausnahme derjenigen von Basel-Stadt und Genf- diese Stufe nicht. Wo Kindergärten bestehen, sind sie von Gemeinden, gemeinnützigen oder kirchlichen Institutionen oder von Privaten getragen, und der Besuch ist freiwillig. Eine Ausnahme macht wiederum der Kanton Genf, wo eine grundsätzlich obligatorische Vorschule besteht, die - oft auch räumlich - der Schule angegliedert ist.

Die Bildungsforschung befasst sich seit einigen Jahren vermehrt mit dieser Stufe. Ihre Ergebnisse zeigen, dass im Kindergarten ein wichtiger, später kaum mehr nachholbarer Bildungsprozess stattfindet, der insbesondere dem von Hause aus wenig angeregten Kind eine gezielte Förderung bietet, die ihm später ein Mitgehen im Schulunterricht erleichtert. Somit trägt der Kindergarten wesentlich zur allseits geforderten und angestrebten Chancengleichheit im Bildungswesen bei.

Es ist allerdings festzuhalten, dass der Kindergarten die Erziehung durch das Elternhaus nicht ersetzen, sondern nur ergänzen kann und Versäumnisse während der ersten Lebensjahre nicht zu kompensieren vermag.

Ob eigentlicher Schulstoff- Lesen, Schreiben, Rechnen - schon auf der Vorschulstufe unterrichtet werden soll, ist eine entwicklungs- und lernpsychologische sowie eine methodische Frage, die wohl nicht allgemein verbindlich entschieden werden kann. Beachtung verdient das Anliegen der modernen Pädagogik, schon auf der Vorschulstufe alle seelisch-geistigen Kräfte und insbesondere die sprachliche Ausdrucksfähigkeit des Kindes zu fördern, gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der Bildungschancen. Eine ebenso wichtige Aufgabe erfüllt der Kindergarten sodann dadurch, dass er das Kind lehrt, sich erstmals in eine andere als die häusliche Gemeinschaft einzugliedern, und dass er ihm bei Spiel und Beschäftigung Kontakte mit der belebten und unbelebten Natur vermittelt, die es bei den heutigen Wohn- und Lebensgewohnheiten im Kreise der Familie oft nicht mehr erleben kann.

Das Angebot an Kindergartenplätzen ist gesamtschweizerisch betrachtet ungenügend. In grösseren Ortschaften muss die Kindergartenzeit
auf ein Jahr vor den Schuleintritt beschränkt werden, ohne dass es dadurch möglich wird, allen Gesuchen um Aufnahme zu entsprechen. In zahlreichen Gemeinden bestehen überhaupt noch keine Kindergärten, 22 Die Primarschule Das in Artikel 27 BV verankerte Obligatorium des Primarschulunterrichts hat dazu geführt, dass die Probleme, die sich auf dieser Bildungsstufe stellen, stets einem starken Interesse der Öffentlichkeit begegnen. Die Primarschule ist in unserem Volke besonders tief verwurzelt.

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Abgesehen vom Obligatorium hat der Bund in bezug auf das Primarschul wesen nur wenige Bestimmungen aufgestellt. Artikel 27 BV verpflichtet die Kantone, für einen genügenden Primarunterricht zu sorgen, der ausschliesslich unter staatlicher Leitung stehen soll. Die öffentlichen Schulen müssen ferner von den Angehörigen aller religiösen Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung der Glaubensund Gewissensfreiheit und unentgeltlich besucht werden können. Der Bund hat darauf verzichtet, Kriterien aufzuste] len, nach denen das « Genügen » des Primarunterrichts zu beurteilen ist. Angesichts der kulturellen und sprachlichen Vielgestaltigkeit unseres Landes wurde es als richtig angesehen - und die Erfahrung hat diese Auffassung bestätigt - den Kantonen in bezug auf die Anforderungen, die an einen ausreichenden Primarunterricht zu stellen sind, möglich grosse Freiheit zu lassen.

Auch mit der Einführung von Bundessubventionen für die Primarschulen im Jahre l902 (Art. 27bls BV) wurde keine Aufsichts- und Normsetzungskompetenz des Bundes verbunden. Die Subventionen sind lediglich an die Auflage geknüpft, dass sie zu einem bestimmten Teil der Schulung Behinderter zugute kommen sollen. Im übrigen dienen die heute nicht mehr stark ins Gewicht fallenden Beiträge namentlich der Finanzierung von Lehrmitteln für die italienisch- und romanischsprachigen Gebiete und stellen auch noch eine Hilfe an die durch das Schulwesen besonders belasteten Bergkantone dar.

Wenn das allgemeine Bildungsniveau der Schweiz einen Vergleich mit dem Ausland nicht zu scheuen braucht, so kommt das wesentliche Verdienst der obligatorischen Schule zu, die jeder durchlaufen hat. Dass sich grundsätzlich die Kantone ihre Schule «nach Mass» zimmerten, gewährleistete ein organisches Wachstum und war und ist gerechtfertigt, sofern tatsächlich verschiedene Verbältnisse herrschen. In unserem Jahrhundert ist jedoch eine schrittweise Annäherung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse der Kantone vor sich gegangen. Manche früher zweifellos begründeten Unterschiede lassen sich heute schwerlich mehr rechtfertigen.

So ist z. B. die von allen Schülern gemeinsam zu durchlaufende Primarschulzeit immer noch verschieden geregelt. Sie beträgt im Kanton Waadt drei, in Bern und Basel-Stadt vier, in Zürich und in der Ostschweiz dagegen sechs Jahre. Dies
hat zur Folge, dass je nach Kanton die manchmal das spätere Leben präjudizierende Wahl der weiterführenden Schule um volle drei Jahre auseinanderliegen kann. Wenn man bedenkt, dass sowohl langjährige Erfahrungen mit Schülern wie die moderne Bildungsforschung zur Empfehlung führen, den Entscheid über die einzuschlagende Laufbahn möglichst hinauszuschieben, um auch Begabungen, die sich erst später zeigen, gerecht zu werden, können sich jene Schüler, die sich früher als die ändern entscheiden müssen, benachteiligt fühlen. Aufweiterein die Augen springende Unterschiede haben wir in unserem Bericht vom 27. September 1971 hingewiesen.

Ausser der Verschiedenheit der kantonalen Schulsysteme stellen sich im Bereiche des Primarschulwesens noch weitere Probleme. Wir nennen vorab den Lehrermangel, Besonders betroffen sind abgelegene Gebiete, in denen meistens

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auch die Besoldung unterdurchschnittlich ist. Aber selbst in der Stadt Zürich war es zu Beginn des Schuljahres 1971 nicht möglich, alle Klassen mit Lehrern zu versehen. Von den Kantonen organisierte Sonderkurse für Berufstätige vermochten nur ungenügend Abhilfe zu schaffen. Weiterhin ist es nötig, Lehrkräfte über die Altersgrenze hinaus im Schuldienst zu behalten. Eine Lösung wird auch darin erblickt, allenfalls verheiratete Lehrerinnen wieder für die Schule zu gewinnen.

Darüber hinaus dürfte es angezeigt sein, Massnahmen zu prüfen, um das Ansehen des Lehrerberufs zu heben. Wir werden auf diese Fragen unter Ziffer 24 (Lehrerbildung) zurückkommen.

Gewiss lassen sich durch den Einsatz moderner technischer Unterrichtsmittel (audiovisuelle Einrichtungen, Computer, Schulfernsehen) auf lange Sicht Lehrkräfte einsparen. Diese Hilfsmittel dienen aber in erster Linie einer Ergänzung des Unterrichts. Man muss sich bewusst sein, dass ihre Verwendung nur sinnvoll ist, wenn sie von Spezialisten vorbereitet und betreut werden, die wenigstens in der Mehrzahl der Fälle- aus dem Lehrkörper stammen.

Die Förderung des Lehrernachwuchses ist jedenfalls eines der vordringlichsten Anliegen der Bildungspolitik. Es betrifft dies allerdings nicht nur die Primarschulstufe, doch verdient sie besondere Aufmerksamkeit, da ihr Gedeihen unerlässliche Voraussetzung für den Bildungserfolg auf allen ändern Stufen ist.

Ein ebensowenig auf die Primarschule beschränktes Problem ist dasjenige der Räumlichkeiten. Wenn es auch bis jetzt dank den Anstrengungen von Gemeinden und Kantonen gelungen ist, jedem Kinde einen Platz in der Schule zu gewährleisten, wenn auch seit Kriegsende grosszügige neue Schulbauten entstanden sind, so ist doch nicht zu übersehen, dass auf diesem Gebiete mancherorts noch ein Nachholbedarf besteht. Einmal mehr befinden sich die Berggebiete in einer besonders schwierigen Lage, da dort wegen der finanziellen Verhältnisse in vielen Gemeinden keine aufwendigen baulichen Einrichtungen möglich sind.

Die Kosten für Schulbauten belasten die dafür verantwortlichen Gemeinwesen - Kantone und Gemeinden - sehr stark. Die Verwirklichung moderner pädagogischer und medizinischer Erkenntnisse - vermehrter Einbezug der Leibeserziehung in das allgemeine Schulprogramm, Förderung der musischen Ausbildung, Ergänzung und Intensivierung
des Unterrichts mit technischen Hilfsmitteln - scheitert oft daran, dass damit aufwendige Bauten verbunden sind. Es gilt hier, Mittel und Wege zu finden, um einen zeitgemässen Ausbau unserer Primarschulen zu gewährleisten.

So sehr die bauliche Einrichtung einer Schule den Unterrichtserfolg beeinflusst, so wird doch das viel wichtigere eigentliche Schulklima durch die Lehrkräfte geprägt, deren Erfolg wiederum wesentlich von der Qualität der verwendeten Lehrmittel abhängt. Zu Kritik hat die Tatsache Anlass gegeben, dass eine fast unübersehbare Vielfalt von Lehrmitteln in unseren Schulen besteht. Damit sind erhebliche Nachteile verbunden: Erfahrene Lehrkräfte werden dem aktiven Schuldienst entzogen, weil sie mit der Herstellung neuer Lehrmittel beauftragt sind, Beschränkte Auflagezahlen erhöhen den Stückpreis und zwingen dadurch zu einer nicht mehr allen Ansprüchen genügenden Ausstattung. Um dies

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zu vermeiden, muss die Auflage vergrössert und entsprechend länger im Gebrauch behalten werden, was zur Folge hat, dass längere Zeit unter Umständen rasch veraltende Schulbücher Verwendung finden.

Dabei lässt sich nicht übersehen, dass unser dezentralisiertes System die Herstellung einer Reihe hervorragender Lehrmittel ermöglicht hat und erlaubt, auf begrenztem Raum Experimente durchzuführen, die bei einer zentralistischen Lenkung unterbleiben müssten.

Deshalb, und auch mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit des Landes, erscheint es nicht wünschbar, auch nur für die einzelnen Sprachregionen einheitliche Lehrmittel für alle Fächer herzustellen. Zu begrüssen ist aber im Rahmen des Möglichen eine interkantonale Zusammenarbeit bei der Auftragserteilung für Lehrmittel, wie sie sich im Schosse der Erziehungsdirektorenkonferenz angebahnt hat. Schliesslich ist zu erwähnen, dass das private Verlagsgewerbe seinen Beitrag an die Vereinheitlichung der Lehrmittel leistet, wenn es solche herstellt, die den Anforderungen mehrerer Kantone genügen.

Die obligatorische Schulzeit, die auf Grund des Konkordats über die Schulkoordination für die ganze Schweiz auf neun Jahre ausgedehnt werden soll, kann in allen Kantonen entweder ausschliesslich in der Primarschule oder teilweise in einer Schule der Sekundarstufe, mit oder ohne Anschluss an höhere Mittelschulen, zurückgelegt werden.

Abschliessend möchten wir auf die Gliederung unserer Primarschulen eintreten. So verschieden die Primarschule in der Schweiz geregelt ist, besteht doch insofern Einheitlichkeit, als fast überall die drei oder vier ersten Jahre dem Unterricht in der Muttersprache, den einfachen Rechenoperationen, der Heimat- und Naturkunde, Turnen, Gesang und Zeichnen gewidmet sind. Abweichungen von dieser Grundform sind allerdings möglich. Eine gewisse Unterschiedlichkeit hat in den letzten Jahren die Einführung des modernen Mathematikunterrichts mit sich gebracht. Auch die Diskussion über den günstigsten Zeitpunkt für den Beginn des Fremdsprachenunterrichts hat zu ungleichen Entwicklungen geführt: Während im allgemeinen auf der Elementarstufe noch keine Fremdsprache unterrichtet wird, setzt im Kanton Wallis in einigen französischsprachigen Klassen - vorerst versuchsweise, aber mit beachtlichem Erfolg - der Deutschunterricht schon in der ersten Klasse ein.
Die anschliessende Stufe - etwa vom vierten bis sechsten Schuljahr - hat verschiedene Zielsetzungen, je nachdem ob sie noch alle Schulpflichtigen umfasst oder ob bereits eine Selektion stattgefunden hat, bei der ein grösserer oder kleinerer Prozentsatz von Schülern in eine andere Schule - Progymnasium, Sekundärschule, Bezirksschule - übergetreten ist. Die Tendenz geht dahin, den Beginn des Fremdsprachenunterrichts einheitlich in diese Stufe zu verlegen. Die französischsprachigen Kantone stehen vor dem Abschluss dieser Koordinationsbestrebungen. Umstritten ist der Zeitpunkt, in welchem der Entscheid für die eine oder andere weiterführende Schule oder für das Verbleiben in der Primarschule fallen und nach welchen Kriterien er sich richten soll. Ein gemeinsamer Unterricht aller Schulpflichtigen durch mehrere Jahre - der eine Berücksichtigung der individuel-

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len Fähigkeiten der fortgeschritteneren und der eher zurückgebliebenen Schüler keineswegs verunmöglicht - hat seine unbestreitbaren Vorteilein sozialer Hinsicht und entspricht dem Bestreben, allen Schülern - ungeachtet ihrer Herkunft - gleiche Bildungschancen zu vermitteln. Die Ostschweizer Kantone mit ihrer sechsjährigen gemeinsamen Primarschule kommen in dieser Hinsicht dem heute als Lösung zur Diskussion stehenden System der Gesamtschule recht nahe.

Die letzten Jahre der Primarschule (etwa siebtes bis neuntes Schuljahr) dienen der Vorbereitung auf die Berufswahl. Während früher für den Eintritt in eine Berufslehre im allgemeinen eine Sekundarschulbildung vorausgesetzt wurde, finden jetzt auch Absolventen der Primarschule Aufnahme in vielen Berufen. Dieser Entwicklung hat sich die Oberstufe der Primarschule anzupassen. Bestrebungen zu ihrer Reform sind im Gange. Es gilt, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen handwerklich-praktischem und allgemeinbildendem Unterricht zu finden. Der Schüler soll in die Lage versetzt werden, seine Berufswahl in Kenntnis aller ihm offenstehenden Möglichkeiten zu treffen.

23 Die Mittelschule Wenn über den Begriff der Primarschule im allgemeinen noch Übereinstimmung herrscht, so ergeben sich bei der Betrachtung der weiterführenden Stufe bereits erhebliche terminologische Schwierigkeiten, und dies nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der einzelnen Sprachregionen. Die welsche «Ecole secondaire » entspricht nicht der deutschschweizerischen « Sekundärschule », das Genfer «College» ist etwas wesentlich anderes als das innerschweizerische «Kollegium», während «Collège» und «Gymnase» in verschiedenen welschen Kantonen das gleiche bezeichnen. «Gymnasium» heissen in einzelnen Kantonen alle zur Maturität führenden Schulen, in anderen nur jene literarisch-altsprachlicher Richtung, Die Vielfalt der Begriffe hat die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren veranlasst, der Schaffung einer einheitlichen Terminologie besondere Beachtung zu schenken.

In der nachstehenden Darstellung wird auf jene Mittelschulen eingegangen, die zur Maturität führen, sowie auf die ausserhalb der Primarschule darauf vorbereitenden Schulen. Zu diesen gehören Sekundär- und Bezirksschulen, Progymnasien, sofern sie den Schülern den Übertritt an eine weiterführende Schule ermöglichen, Die
Lehrerseminarien, die sich mit Recht ebenfalls als Mittelschulen betrachten, sind Gegenstand eines besonderen Abschnittes dieser Botschaft (vgl.

Ziff. 24).

Obwohl die Mittelschule im Gegensatz zur Primarschule in der Bundesverfassung nirgends erwähnt ist, hat sie sich in einer einheitlichen Richtung entwikkelt. Dies geschah unter dem massgeblichen Einfluss der bundesrechtlichen Regelung des Medizinstudiums und der dafür vorausgesetzten Maturität.

Artikel 33 BV stellt es den Kantonen anheim, die Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten von einem Ausweis der Befähigung abhängig zu machen, während sich der Bundesgesetzgeber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass

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derartige Ausweise für die ganze Eidgenossenschaft gültig erworben werden können, Dass ein solches Bundesgesetz über die Anforderungen an die wissenschaftlichen Berufe nicht in absehbarer Zeit verabschiedet werden könnte, liess sich schon beim Erlass dieser Verfassungsbestimmung voraussehen. Deshalb wurde in Artikel 5 der Übergangsbestimmungen zur BV die Vorschrift aufgenommen, dass der Erwerb eines von einem oder mehreren Kantonen ausgegebenen Fähigkeitsausweises bis zum Erlass der diesbezüglichen Bundesgesetzgebung zur Ausübung der entsprechenden wissenschaftlichen Berufsart in allen Kantonen berechtige. Auf Grund dieser Bestimmung sind z. B. diplomierte Rechtsanwälte zur Berufsausübung in allen Kantonen zugelassen. Diese Regel hat sich bewährt, so dass keine Veranlassung besteht, ein Bundesgesetz über den Anwaltsberuf zu erlassen. Anders verlief die Entwicklung im Bereiche der Medizinalberufe (Humanmedizin, Zahnmedizin, Veterinärmedizin, Pharmazie). Hier erliess der Bund im Jahre 1877 das in Artikel 33 BV vorgesehene Gesetz (BG vom 19. Dez. 1877 betreffend die Freizügigkeit des Medizinalpersonals in der Schweiz. Eidgenossenschaft, BS 4 291). Gestützt darauf erging dann das - inzwischen mehrmals revidierte - Reglement für die eidgenössischen Medizinalprüfungen, das die fachlichen Anforderungen an einen in der Schweiz tätigen Arzt, Apotheker usw.

enthält. Es erwies sich nun, dass die medizinischen Fakultäten nur dann ein gleichmässiges und gutes Ausbildungsniveau gewährleisten konnten, wenn die Studierenden mit einigermassen einheitlichen und hohen Ansprüchen genügenden Voraussetzungen ins Studium eintraten. Damit war es gegeben, dass der.

Bund Vorschriften für die Zulassung zum Studium, eben über die Maturität, aufstellte. Er hatte sich dabei allerdings einer Regelung des Mittelschulwesens zu enthalten, da ihm hiefür die verfassungsrechtliche Zuständigkeit fehlte, und musste sich darauf beschränken, auf dem Verordnungswege die Bedingungen festzulegen, unter denen ein von einer Schule ausgegebenes, von einem Kanton anerkanntes Maturitätszeugnis zur Zulassung zu den eidgenössischen Medizinalprüfungen und damit zum Medizinalstudium berechtigt. Dabei herrschte von Anfang an die Überzeugung vor, dass eine breite Allgemeinbildung für das Medizinalstudium und insbesondere für die Ausübung eines
Medizinalberufes unerlässlich ist.

Die vom Bunde gestellten Anforderungen für die Aufnahme zum Medizinalstudium haben dazu geführt, dass die schweizerischen Hochschulen die Inhaber vom Bunde anerkannter Maturitätsausweise grundsätzlich zu allen Studien zulassen. Die beiden Bundeshochschulen sind sogar von Gesetzes wegen verpflichtet, die Inhaber solcher Maturitätsausweise prüfungsfrei aufzunehmen. Die eidgenössische Maturität verbürgt somit die allgemeine Hochschulreife. Die Kantone sind deshalb bestrebt, ihre Mittelschulen auf das vom Bunde anerkannte Ziel auszurichten.

DiegeltendeMaturitätsanerkennungsverordnungstammtausdemJahrel968 (MAV vom 22, Mai ) 968, AS 1968 693). Sie nennt drei Maturitätstypen : A mit besonderer Berücksichtigung der alten Sprachen, B Latein und moderne Sprachen, C Mathematik und Naturwissenschaften. Bei allen Typen steht im Mit-

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telpunkt des Unterrichts die Pflege der Muttersprache und einer zweiten Landessprache. Auch vermitteln sie alle eine eingehende Einführung in das Bildungsgut und in die besondere Denkweise sowohl der sprachlich-historischen als auch der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer. Es bestehen heute in sämtlichen Kantonen Schulen der Typen A und B, deren Zeugnisse eidgenössisch anerkannt sind, während in einigen kleineren Kantonen noch kein Typus C geführt wird.

Die zitierte Verordnung gibt dem Bunde das Recht, ja verpflichtet ihn,Unterricht und Prüfungen der Schulen im Hinblick auf die Erteilung und Aufrechterhaltung der eidgenössischen Anerkennung ihrer Maturität zu besuchen.

Diese Aufgabe obliegt der Eidgenössischen Maturitätskommission. Im übrigen haben die Schulträger - in den meisten Fällen die Kantone oder auch Gemeinden, weltliche und geistliche Körperschaften - eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Insbesondere hat der Bund bis anhin davon abgesehen, Mindestdauer und Stundenzahl für den Unterricht der einzelnen Fächer vorzuschreiben. Es obliegt der Maturitätskommission zu prüfen, ob Änderungen des Ausbildungsganges die Erreichung des oben beschriebenen Ziels, der allgemeinen Hochschulreife, gefährden.

Die Kantone sind frei, andere als die eidgenössisch anerkannten Maturitätstypen zu führen, und es ist Sache der einzelnen Universitäten, ob sie die Inhaber solcher Zeugnisse immatrikulieren wollen. Wir erwähnen als Beispiel die Handelsmaturität, die an allen Hochschulen zum Studium der Wirtschaftswissenschaften berechtigt, während für die anderen Fakultäten gewisse-unterschiedliche Vorbehalte bestehen.

Die heutige Ordnung des Maturitätswesens hat, so verwirrlich sie auch gelegentlich den Aussenstehenden erscheinen mag, doch dazu geführt, eine gewisse Einheitlichkeit in der Qualität der Mittelschulbildung zu gewährleisten, ohne diese zu uniformieren. Den Mittelschulen ist durchaus die Möglichkeit geboten, ihr «génie propre», das für den Erfolg gymnasialer Bildung eben auch von grossem Wert ist, zu entwickeln. Dadurch und durch die Führung anderer als der unter eidgenössischer Aufsicht stehender Schultypen tragen die Kantone zu einer dynamischen Entwicklung des Mittelschulwesens bei. Reformen können sich derart auf kleinem Räume bewähren, bevor sie allgemein verbindlich erklärt werden,
wozu die Bereitschaft vielleicht fehlen würde, wenn nicht auf konkrete Erfahrungen verwiesen werden könnte. Bei einer Revision der Zuständigkeiten im Mittelschulwesen, die sachlich sicher gerechtfertigt ist, muss diesem Umstand Rechnung getragen werden.

Die schweizerischen Mittelschulen haben seit Kriegsende einen starken Ausbau erfahren. Nicht nur wurden bestehende Schulen erweitert, es setzte vor allem in den grösseren Kantonen eine Dezentralisation ein. Neue Zweigschulen erfassen heute auch Jugendliche aus abgelegeneren Gebieten. Die Zunahme der Maturanden (1950: 2424, 1970:5959) zeigt, dass der Ruf nach Erschliessung der brachliegenden Bildungsreserven, nach Verwirklichung gleicher

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Ausbildungschancen für die Bewohner aller Gegenden, bei den Kantonen Gehör fand. Dabei erweist es sich immer wieder, dass neue Schulen nicht nur enstprechend dem Bedürfnis zu konzipieren sind, das sich in einer gegebenen Region zeigt, sondern dass eine anziehende Wirkung von Neugründungen mitzuberücksichtigen ist, die dem Mittelschulbesuch Schichten erschliesst, in denen früher eine solche Ausbildung gar nicht zur Diskussion stand. Schulen, die vor einem Jahrzehnt vermeintlich grosszügig ausgestattet wurden, genügen heute dem Schülerandrang nicht mehr. Noch mussten zwar nirgends Schüler aus Raumgründen zurückgewiesen werden. Es trifft auch nicht zu, dass mittels einer verschärften Aufnahmepraxis versucht wurde, die Schülerzahlen den Raumverhältnissen anzupassen. Aber bereits ist auch in grösseren Städten ein vernünftigen Anforderungen bezüglich Raum und Einrichtungen angepasster Unterricht nicht mehr durchwegs gewährleistet. Dazu kommt ein wenigstens abseits der grossen Zentren immer noch spürbarer Lehrermangel, obwohl sich hier die Situation eher gebessert hat.

Auf der ändern Seite haben die Hochschulen ihren Ausbau nicht so schnell vollzogen wie die Mittelschulen. Rückweisungen von Maturanden liessen sich bisher nur dadurch vermeiden, dass die freie Zulassung ausländischer Studenten, früher eine Selbstverständlichkeit, eingeschränkt wurde und dass Kurse und Übungen manchmal bis über die Grenze, die noch einen sinnvollen Unterricht erlaubt, belegt werden. Der weitere Ausbau unserer Mittelschulen wird sich nicht umgehen lassen.

Neben den offensichtlichen Raum- und Einrichtungsfragen, somit finanziellen Problemen, dürfen die ideellen Probleme nicht übersehen werden, vor die sich die heutige Mittelschule gestellt sieht: Entspricht die von ihr vermittelte Allgemeinbildung dem, was unsere Heranwachsenden im künftigen Leben brauchen ? Ist das für die Aufnahme eines Hochschulstudiums unerlässliche Fachwissen zu erarbeiten, wenn die Schule noch anderes als nur Lernstoff vermitteln will ? Wird die Schule ihrer Aufgabe gerecht, auch die charakterlichen Qualitäten zu fördern? Man versteht den Ruf nach Stoffabbau, wenn man an die gewaltige Ausweitung der Naturwissenschaften, aber auch an die zunehmende Komplexität der Geisteswissenschaften, etwa der neusprachlichen Literatur, denkt. Gleichzeitig wird aber
mit guten Gründen die Aufnahme neuer Fächer in die Lehrpläne und die stärkere Betonung bereits bestehender gefordert: Gesellschaftskunde, Psychologie, Staatsbürgerkunde, musische Fächer, Sport.

Der Ausweg aus dem Dilemma liegt nach unserer Auffassung nicht darin, dass auf einzelne Fächer radikal verzichtet wird, womit die allgemeine Hochschulreife zugunsten einer beschränkten Fakultätsreife aufgegeben würde. Es besteht keineswegs die Ansicht, jeder Maturand eigne sich zu jedem akademischen Studium. Da sich aber zeigt, dass gegen die Hälfte aller Maturanden keine oder nur eine vermeintliche Klarheit über das zu ergreifende Studium hat, muss man verhindern, dass der Zeitpunkt der Studienwahl vorverlegt

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wird, was unausweichlich der Fall wäre, wenn die Mittelschule nur noch auf einzelne Fakultätsreifen vorbereiten würde. Es ist immer wieder zu betonen, dass die heutigen Maturitätstypen wohl verschiedenen Begabungsrichtungen entsprechen, aber nicht auf bestimmte Studienrichtungen vorbereiten. Die Tatsache, dass sich an den Fakultäten die Absolventen verschiedener Maturitätstypen treffen, ist von beträchtlichem Wert für die Qualität unseres akademischen Nachwuchses.

Es ist unerlässlich, dass sich ein intensiver und ständiger Dialog zwischen Mittel- und Hochschule anbahnt; zu diesem Zweck haben sich in den letzten Jahren in allen Hochschulkantonen und auf gesamtschweizerischer Ebene Kommissionen «Gymnasium - Universität» gebildet. Es geht hier um die dauernde Überprüfung des Bildungsziels der Mittelschulen, wie auch um die Überprüfung der von den Hochschulen vorausgesetzten Fähigkeiten.

Der Anteil der Schüler, die eine einmal begonnene Mittelschulbildung nicht abschliessen, ist relativ hoch (gesamtschweizerische Statistiken bestehen darüber nicht, wohl aber Erhebungen an einzelnen Orten). Unbestreitbar muss die Mittelschule eine gewisse Selektion treffen. Je grosszügiger sie in ihrer Zulassungspraxis ist, desto mehr muss sie später ungeeignete Schüler auf einen ändern Bildungsweg weisen. Die Betreuung der Schüler - vor allem jener aus bildungsfernen Schichten - ist von grosser Bedeutung. Eine Berufsberatung, die allen Ratsuchenden zur Verfügung steht, vermag mitzuhelfen, die Schüler einem ihrer Eignung entsprechenden Bildungsgang zuzuführen und die Fälle von Versagen an der Mittelschule zu vermindern.

24 Die Lehrerbildung Wir müssen uns in diesem Abschnitt im wesentlichen auf Bemerkungen zur Ausbildung der Primarlehrer beschränken. Voranstellen möchten wir jedoch knappe Hinweise auf die Lehrerbildung der anderen Stufen.

Die Sekundarlehrerausbildung erfolgt im allgemeinen an den Hochschulen im Rahmen eines speziellen Ausbildungsganges, der Inhabern von Maturitätszeugnissen und - unter bestimmten Bedingungen - von Primarlehrerpatenten offen steht. Einzig der Kanton St. Gallen führt eine nicht mit der Hochschule verbundene Sekundarlehramtsschule. Die Kantone sind frei in der Gestaltung der Wählbarkeitsbedingungen ihrer Sekundarlehrer, setzen aber in der Regel die genannte Ausbildung voraus.
Die Ausbildung zum Mittelschullehrer erfolgt ebenfalls an den Hochschulen, und zwar im Rahmen eines vollen akademischen Studiums. Sie schliesst ab mit einem Staatsexamen, das sich sowohl auf die wissenschaftliche wie auf die praktisch-didaktische Befähigung erstreckt. Angesichts des immer noch spürbaren Lehrermangels setzen die Kantone dieses Examen nicht mehr unbedingt voraus, sondern betrachten ein mit einem akademischen Grad abgeschlossenes Studium als gleichwertig. Der Bund achtet im Hinblick auf die Anerkennung von

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Maturitätszeugnissen darauf, dass die an Mittelschulen unterrichtenden Lehrkräfte sich über ein abgeschlossenes Hochschulstudium ausweisen.

Die Universitäten Basel, Bern, Genf und Lausanne sowie die ETHZürich bilden in 4-8semestrigen Kursen Fachturnlehrer für Schulen aus, die mit dem Eidgenössischen Turn- und Sportlehrerdiplom I oder II abschliessen.

Erwähnt sei sodann die Ausbildung von vorwiegend ausserhalb der Schulen tätigen Sportlehrern an der Eidgenössischen Turn- und Sportschule in Magglingen. Sie erfolgt in einem zweijährigen Studienlehrgang und schliesst ebenfalls mit einem eidgenössischen Diplom ab.

Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit führt für die ganze Schweiz Kurse durch für die Ausbildung von Lehrkräften an Berufsschulen.

Nähere Ausführungen hiezu finden sich unter Ziffer 25 dieser Botschaft.

In den genannten Bildungsgängen sind zur Zeit Reformen im Gang, die im Zusammenhang mit der Hochschulreform einerseits, der Reform der Schulen und der Berufsbildung anderseits zu betrachten sind. Das gleiche gut auch für die Primarlehrerausbildung. Wenn wir uns diesem Sektor nunmehr speziell zuwenden, so deshalb, weil er von der Anzahl der davon Betroffenen her gesehen am wichtigsten ist und grundlegende Bedeutung für das gesamte Bildungswesen hat.

Die Ausbildung der Primarlehrer obliegt den Kantonen. Eine direkte Einflussnahme des Bundes besteht nur in der turnerischen und turnpädagogischen Ausbildung (Art. 9 der Verordnung vom 7. Jan. 1947 über die Förderung von Turnen und Sport). Die in dieser Verordnung enthaltenen Bestimmungen sollen durch die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 27«ulniules BV abgelöst werden.

Sie werden materiell kerne Änderung erfahren.

Die Kantone kennen im wesentlichen drei Formen der Primarlehrerbildung : 1. Das Lehrerseminar, das - als Internat oder Externat geführt - Jugendliche im Anschluss an die obligatorische Schulzeit während vier bis fünf Jahren auf den Lehrerberuf vorbereitet. Vorausgesetzt wird eine Sekundarschulbildung.

2. Das an eine Maturität anschliessende Oberseminar, das in einem Kurs von etwa 3 Semestern zum Primarlehrerdiplom führt.

3. Der Hochschule angeschlossene Lehrerbildungskurse, die Inhabern einer Maturität offenstehen.

Träger der Ausbildung sind die Kantone oder religiöse Gemeinschaften, wobei dem Staat, der auch über die
Lehrbefähigung bestimmt, die Oberaufsicht zusteht.

Auch auf dem Gebiete der Lehrerbildung stellen wir schon seit längerer Zeit interkantonale Koordinationsbestrebungen fest: Kleinere Kantone lassen ihre Primarlehrer an ausserkantonalen Seminarien ausbilden oder sind - wie die Innerschweizer Kantone - zur Errichtung gemeinsamer Seminarien geschritten.

Dadurch wurde im kleinen Raum eine gewisse Freizügigkeit der Lehrkräfte institutionalisiert. Grundsätzlich aber sind Primarlehrer heute noch nur in jenem

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Kanton wählbar, in dem sie ihren Fähigkeitsausweis erworben haben. Allerdings trat hier durch den Lehrermangel der letzten Jahre eine gewisse Änderung ein, indem die Schulbehörden vielfach gezwungen waren, Lehrkräfte mit einem ausserkantonalen Diplom anzustellen, um die Besetzung aller offenen Stellen zu sichern. Dieses Vorgehen lag um so näher, als sich die Ausbildung der Lehrer in den verschiedenen Kantonen je länger je mehr angeglichen hat.

Der heutige Lehrermangel auf der Primarschulstufe lässt sich nicht einfach auf einen ungenügenden Nachwuchs in den Seminarien zurückführen. Die Lehrerbildungsstätten, die in den letzten Jahren mancherorts grosszügig erweitert wurden, sind nicht unterbelegt. Viele, vor allem männliche Absolventen von Lehrerbildungsanstalten, wenden sich jedoch sofort - oder nach nur kurzer Lehrtätigkeit - einer Weiterbildung zu (Ausbildung zum Sekundarlehrer, Hochschulstudium, künstlerische Ausbildung), zu der das Primarlehrerpatent unter gewissen Voraussetzungen berechtigt. Dementsprechend geht der Anteil der Lehrer im aktiven Schuldienst zurück. Seit Ende der sechziger Jahre übertrifft - gesamtschweizerisch gesehen - die Zahl der Kandidatinnen jene der Kandidaten in den Lehrerseminarien. Das Hereinwachsen der Frauen in den Lehrerberufist an sich zu begrüssen. Als nachteilig erweist sich jedoch, dass die Frau im Durchschnitt nach weniger als zehn Jahren aus dem Schuldienst ausscheidet, wodurch ihre wertvolle Berufserfahrung der Öffentlichkeit verloren geht.

Zur Verbesserung der geschilderten Lage sind verschiedene Massnahmen vorgeschlagen und z. T. verwirklicht worden. Erwähnen möchten wir vor allem Fortbildungskurse mit allgemeinbildender und methodischer Zielsetzung, wozu die pädagogischen Vereinigungen und die kantonalen Erziehungsbehörden schon seit Jahren wertvolle Pionierarbeit leisten. Die Auffassung hat sich Bahn gebrochen, dass eine berufsbegleitende Fortbildung der Lehrkräfte als integrierender Bestandteil der Ausübung des Lehramtes anzusehen ist. Ferner sind zu nennen die Vorkehren der Kantone, um das Lohngefälle zwischen abgelegenen Gebieten und städtischen Zentren auszugleichen. Empfehlungen des Europarates gehen dahin, die Lehrerausbildung jeder Stufe - also auch der Primarlehrer - völlig der Hochschule anzuvertrauen, somit eine abgeschlossene Mittelschulbildung
vorauszusetzen.

Im weitem wurden im wesentlichen gute Erfahrungen gemacht mit Sonderkursen, die berufstätige Erwachsene, welche eine pädagogische Berufung verspüren, zu Primarlehrern weiterbilden, werden doch dadurch der Schule Lehrkräfte mit wertvoller praktischer Lebenserfahrung gewonnen.

Hohe Anforderungen in der Lehrerbildung sind auch geeignet, das gesellschaftliche Ansehen des Berufes zu heben. Dies wiederum ist eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Lehrer nicht in andere Berufe abwandern.

25 Die Berufsbildung Die berufliche Ausbildung in Industrie, Gewerbe und Handel war ursprünglich Sache der Berufsverbände und der Betriebe. Der Bund richtete allerdings Bundesblatt. 124.Jahrg. Bd.I

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schon seit 1884 Beiträge für den beruflichen Unterricht aus, wobei er sich auf einige Subventionsbedingungen beschränkte, welche die Bewegungsfreiheit der Schulen nur wenig berührten. Für eine umfassendere Regelung der Berufsbildung durch den Bund fehlte es vor allem an einer entsprechenden Verfassungsgrundlage. Gewisse Missbräuche in der Lehrlingsausbildung machten allerdings den Erlass zwingender Vorschriften des öffentlichen Rechts zum Schütze der Lehrlinge erforderlich. In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts begannen deshalb einzelne Kantone, Lehrlingsgesetze zu erlassen; bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges besassen fast alle Kantone solche Gesetze. Im Jahre 1908 wurde die bis jetzt fehlende Rechtsgrundlage des Bundes zum Erlass von Vorschriften über die berufliche Ausbildung geschaffen, indem der Bundesverfassung ein Artikel 34ter eingefügt wurde, der den Bund ermächtigt, auf dem Gebiete des Gewerbewesens einheitliche Bestimmungen aufzustellen. Unter den Postulaten, zu deren Verwirklichung diese Verfassungsrevision vorgenommen wurde, standen die Förderung des Lehrlingswesens, des beruflichen Unterrichts und der Fortbildung an erster Stelle. Verschiedener Umstände halber dauerte es aber noch längere Zeit, bis der Bund von seiner Befugnis in Form eines Gesetzes Gebrauch machte; das Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung wurde erst am 26. Juni 1930 erlassen und trat am L Januar 1933 in Kraft. Im Zusammenhang mit der Revision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung im Jahre 1946 wurde auch die bisherige Rechtsgrundlage für die berufliche Ausbildung präziser gefasst, indem im revidierten Artikel 34ter, der die dem Bund zustehenden Sozialrechte zusammenfasste, unter Buchstabe g bestimmt wnrde, dass der Bund befugt ist, Vorschriften über die berufliche Ausbildung in Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft und Hausdienst aufzustellen. Das Bundesgesetz von 1930 wurde im Jahre 1963 angesichts der veränderten Verhältnisse revidiert, wobei auf Grund der gesammelten Erfahrungen von einer grundlegenden Änderung des Systems der Berufsbildung Umgang genommen wurde.

Weder das Berufsbildungsgesetz von 1930 noch dasjenige von 1963 sind Rahmengesetze. Der Bund hat sich im Gegenteil wesentliche Kompetenzen vorbehalten, die sich vor alleni auf die Berufslehre erstrecken. Nicht nur bestimmt
er den Anwendungsbereich des Gesetzes, er erlässt auch die Ausbildungs- und Prüfungsreglemente für die einzelnen Berufe, behält sich die Bestimmung der Pflichtfächer für den beruflichen Unterricht und ihrer Stundenzahlen vor und stellt einige verbindliche Vorschriften für den beruflichen Unterricht auf. Dem Bund ist ferner die Ausbildung der haupt- und nebenamtlichen Lehrkräfte an den gewerblichen Berufsschulen und Lehrwerkstätten aufgetragen. Einen wesentlichen Einfluss nimmt er auch auf die Gestaltung der höheren technischen Lehranstalten. Darüber hinaus regelt der Bund bei allen Schulstufen durch Subventionsbedingungen viele Einzelheiten. Den Kantonen obliegt der Vollzug des Gesetzes, wobei sich ihre Kompetenzen weitgehend auf organisatorische und überwachende Massnahmen beschränken. Hiefür lässt ihnen das Gesetz einen grossen Spielraum, denn es bestimmt lediglich, dass die Kantone die erforderlichen Vollzugsvorschriften zu erlassen haben, soweit sie nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Die kantonalen Voll-

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zugsmassnahmen sind für das Funktionieren des ganzen Systems der Berufsbildung überaus wichtig. Wenn sie in einzelnen Bereichen der Berufslehre nicht genügen oder unzweckmässig sind, wäre die sogenannte Meisterlehre in ihren Fundamenten gefährdet. Den Berufsverbänden sind vor allem in bezug auf die Berufsprüfungen und die höheren Fachprüfungen weitgehende Befugnisse eingeräumt worden. Sie können diese Prüfungen unter der Aufsicht des Bundes selbständig durchführen, sofern sie die gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich Zulassung, Prüfungsausweise und zu verleihende Titel einhalten. Der Bund zieht die einzelnen Berufsverbände vor allem bei der Ausarbeitung der Ausbildungs- und Prüfungsreglemente für Lehrlinge bei, für welche sie die technischen Teile zu liefern haben. Sie führen ferner die Einführungskurse für Lehrlinge durch, in denen diesen die grundlegenden Fertigkeiten des Berufes gemeinsam vermittelt werden. Ferner können Schulen und Kurse von Berufsverbänden als Berufsschulen für den obligatorischen Unterricht der Lehrlinge anerkannt werden. Zudem kann der Bund einem Verband die Durchführung der Lehrabschlussprüfungen für die ganze Schweiz oder mehrere Kantone übertragen; die gleiche Befugnis besitzen die Kantone gegenüber einem kantonalen Berufsverband. Die Kantone ziehen die Berufsverbände auch in anderen Belangen bei, wie zum Beispiel für die Durchführung der Lehrabschlussprüfung, die Organisation und Durchführung von Kursen für Lehrmeister und Prüfungsexperten, die Mithilfe bei der Beaufsichtigung der Lehrverhältnisse, die Mitarbeit in Schul- und Fachkommissionen und bei der Beschaffung von Lehrkräften für den Unterricht in den bemfskundlichen Fächern.

Das weitgehend auf die Wirtschaft abgestützte System unserer Berufsbildung liesse sich ohne die kontinuierliche Mitarbeit der Berufsverbände und der Betriebe nicht realisieren. Die bisherigen Arbeiten der Eidgenössischen Expertenkommission für die Verbesserung der Berufslehre haben ergeben, dass die sogenannte Meisterlehre dem Grundsatz nach beibehalten werden soll, wobei sie gegenüber ihrer gegenwärtigen Form allerdings wesentliche Änderungen erfahren wird. Die Einführungskurse sollen zeitlich und stofflich ausgedehnt werden und sich über die ganze Lehre erstrecken. Mehr Zeit soll auch dem beruflichen Unterricht eingeräumt werden. Die
bisherige Lehre wird sich in eine kombinierte Lehre wandeln, in welcher der Anteil der Vermittlung praktischer und theoretischer Kenntnisse und Fertigkeiten durch praktische Kurse und beruflichen Unterricht in teilweise neuartigen Formen grösser werden wird. Bei dieser Sachlage dürfte es im grossen und ganzen bei der jetzigen Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Berufsverbänden bleiben, wobei es indessen nicht ausgeschlossen ist, dass es im einen oder ändern Sektor zu gewissen Verschiebungen kommen könnte.

Die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der Berufsbildung hat sich, was allgemein anerkannt wird, durchaus bewährt, wozu die vorerwähnte Aufgabenteilung wesentlich beigetragen hat. Das geht auch daraus hervor, dass anlässlich der Revision des Gesetzes von 1930 keine Anträge auf eine andere Verteilung der Kompetenzen eingingen. Hiefür besteht auch im Rahmen dieser Vorlage kein

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Anlass, um so weniger, als das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf des Departements des Innern für einen neuen Artikel 27 und 27bis BV zu keiner Kontroverse über die Frage, ob die seit langem bestehende Kompetenz des Bundes hinsichtlich der Berufsbildung zu ändern sei, Anlass gab.

Hingegen hat sich die einschränkende Aufzählung von Berufsgruppen in Artikel 34 Buchstabe g der Bundesverfassung, die z.B. die Pflegeberufe ausschliesst, nicht bewährt. Die geltende Regelung entspricht nicht dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates, der im Zusammenhang mit der Revision der Wirtschaftsartikel beantragt hatte, dem Bund ganz allgemein die Ermächtigung zum Erlass von Vorschriften über die berufliche Ausbildung zu geben.

Diesem Antrag wollte aber das Parlament im Jahre 1946 nicht entsprechen. In der Folge hat sich aber herausgestellt, dass die Einräumung beschränkter Kompetenzen nicht zweckmassig war, indem sie z.B. die Ordnung der Ausbildung in den medizinischen Hilfsberufen wesentlich erschwerte. Es ist deshalb beabsichtigt, im Rahmen der nunmehr beantragten Verfassungsänderung die volle Bundeskompetenz zu verwirklichen, welchem Vorhaben im vorerwähnten Vernehmlassungsverfahren keine Opposition erwuchs.

26 Die Hochschule Nicht nur das Ansehen einer Nation, sondern auch ihr materieller Wohlstand und ihr sozialer Fortschritt sind immer mehr vom allgemeinen Bildungsniveau ihrer Bevölkerung und von den wissenschaftlichen Anstrengungen und Erfolgen abhängig. Unsere Zeit ist durch eine extrem beschleunigte Ausweitung der wissenschaftlichen Kenntnisse, durch eine Intellektualisierung der Berufe und durch stets höhere Anforderungen an den einzelnen Berufstätigen gekennzeichnet. Gerade ein Kleinstaat wie die Schweiz muss deshalb um seines Fortbestandes willen der möglichst umfassenden Verbesserung und Erneuerung seines Bildungssystems alle seine Energien zuwenden. Sämtliche Perspektivstudien der jüngsten Zeit, namentlich die Arbeiten von Professor F. Kneschaurek, lassen erkennen, dass der Mangel an Arbeitskräften aller Stufen uns als ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Dauerproblem auch in Zukunft beschäftigen wird. Im Rahmen der akademischen Ausbildung wird sich die Mangellage besonders akzentuieren, steht doch fest, dass das Wachstum der Zahl der Mittelschüler und der Hochschulstudenten in unserem
Land mit demjenigen anderer hochindustrialisierter Staaten nicht Schritt gehalten hat. Dieser Rückstand ist um so beunruhigender, als es gilt, nicht nur dem Ersatz-, dem Nachhol- und dem Ergänzungsbedarf Rechnung zu tragen, sondern auch den Neubedarf u. a. zur Lösung drängender gesellschaftlicher und staatspolitischer Probleme (z.B. Umweltschutz, Entwicklungshilfe) zu befriedigen.

In die Aufgabe, den wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden, teilen sich in der Schweiz zur Zeit acht kantonale und zwei bundeseigene Hochschulen. Diese Dezentralisierung des Hochschulwesens spiegelt die kulturelle Viel-

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fait unseres Landes und gewährleistet einen gesunden, weil mannigfach anregenden wissenschaftlichen Wettbewerb; sie macht durch den Umstand, dass eine Hochschule auf etwa 630 000 Einwohner entfällt, die Schweiz zu einem Land mit ausserordentlich grosser Hochschuldichte. Seit Ende der fünfziger Jahre wächst das schweizerische Hochschulsystem sehr stark, wenn auch diese Expansion hinter dem vergleichbaren Ausland zurückbleibt. Einige Zahlen mögen die Entwicklung veranschaulichen.

Die Gesamtstudentenzahl stieg von 15 624 (davon ETH-Zürich 3290) im Wintersemester 1952/53 auf 25 659 (davon ETH-Zürich 5621) im Winter 1962/63 und auf 39 995 (davon beide ETH 7175) im Winter 1969/70. Die Anzahl der studierenden Schweizer belief sich auf 11639 (1952/53), 17452 (1962/63) und 30906 (1969/70); nach der Perspektivstudie Kneschaurek soll sich die Zahl der Schweizer Studenten bis zum Jahr 2000 auf 55 000 bis 60 000 erhöhen.

Wesentlich stärker noch als die Studentenzahlen erhöhten sich die für die personelle, bauliche und sachliche Ausstattung der Hochschulen erforderlichen Aufwendungen. Der Gesamtaufwand für das schweizerische Hochschulwesen betrug 1958 noch 155 Millionen Franken (für die ETH-Zürich 51 Mio. Fr.), stieg im Jahr 1966 auf 401 Millionen Franken (ETH-Zürich 97 Mio! Fr.) an und erreichte 606 Millionen Franken (beide ETH 185 Mio. Fr.) im Jahr 1969.

Der rasche wissenschaftliche Fortschritt, die starke Erhöhung der Studentenzahlen sowie die hohen Kosten für neue Hochschulbauten und die wachsenden Aufgaben für den Hochschulbetrieb haben zu einer finanziellen Belastung der Hochschulkantone geführt, die diese auf die Dauer nicht mehr allein zu tragen vermochten. Die vom Departement des Innern 1962 eingesetzte Eidgenössische Expertenkommission für Fragen der Hochschulförderung (Kommission Labhardt) gelangte denn auch in ihrem 1964 veröffentlichten Bericht zum Schluss, dass die Zeit für eine Änderung der Finanzierung der kantonalen Hochschulen gekommen sei und dass die Umstellung allein in der dauernden Leistung von Bundesbeiträgen bestehen könne.

Gestützt auf die Empfehlungen der Expertenkommission wurde die seit 1874 in Artikel 27 Absatz l B V enthaltene Befugnis des Bundes zur Unterstützung der Hochschulen erstmals in umfassender Weise aktualisiert: Am 16. Juni 1966 beschlossen die eidgenössischen Räte
eine Übergangsregelung für eine Bundeshilfe an die Hochschulkantone. Es handelte sich um eine auf die Jahre 1966 bis 1968 begrenzte Sofortmassnahme. Zur Verteilung gelangte in drei wachsenden Jahresbetreffnissen ein Betrag von insgesamt 200 Millionen Franken. Am 1. Januar 1969 ist die Übergangsordnung durch das Bundesgesetz vom 28. Juni 1968 über die Hochschulförderung abgelöst worden. Es stellt im wesentlichen eine Subventionsregelung dar, die einen staatspolitisch vertretbaren Ausgleich zwischen der Wahrung der kantonalen Autonomierechte im Bildungswesen einerseits und den unerlässlichen Koordinations-, Beratungsund Kontrollbefugnissen des Bundes andererseits gewährleistet. Im Sinne des

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kooperativen Föderalismus wurden zwei hochschulpolitische Konsultativgremien für die Gesetzesanwendung geschaffen: die Hochschulkonferenz als Organ der Universitätskantone und der Hochschulen und der Wissenschaftsrat als Beratungsgremium des Bundes. Das Hochschulförderungsgesetz sieht jährlich auszurichtende Grund- oder Betriebsbeiträge und fallweise zu gewährende Sachinvestitionsbeiträge vor; für beide Beitragsarten steht in der ersten Beitragsperiode von sechs Jahren (1969-1974) ein Gesamtbetrag von 1150 Millionen Franken zur Verfügung.

Dass das Hochschulförderungsgesetz bereits drei Jahre nach seinem Inkrafttreten partiell revidiert und neuen Bedürfnissen (andere Aufgliederung des Gesamtbetrags; Verhindern von Zulassungsbeschränkungen; zusätzliche Mitarbeit des Bundes in der Hochschulplanung) angepasst werden musste, belegt den raschen Wandel in den Hochschulverhältnissen. Überdies ist gewiss, dass auf den I.Januar 1975 zusammen mit der Neufestsetzung der Mittel für die, zweite Beitragsperiode die Hochschulgesetzgebung auf Bundesebene umfassend überprüft werden muss. Soll die notwendige Weiterentwicklung der kantonalen Universitäten gewährleistet bleiben, lässt sich ein finanziell wesentlich stärkeres Engagement des Bundes nicht umgehen; gleichzeitig wird aber auch darauf zu achten sein, dass der Bund wirksamer als bisher über die rationelle Verwendung seiner Mittel wachen kann. Damit stellt sich die Frage, ob die Hochschulförderung in Zukunft eine veränderte Aufteilung der Lasten und Verantwortlichkeiten zwischen Kantonen und Bund vorsehen muss. Bis heute wurden die Probleme der Hochschulkoordination (u.a. gemeinsame Bewältigung von Sonderaufgaben, Arbeitsteilung und Schwerpunktbildung, gegenseitige Harmonisierung von Strukturen und Methoden) grösstenteils im institutionell gesicherten Gespräch und in Übereinkünften der Hochschulträger angegangen und gelöst. Auf dem Wege dieser horizontalen oder kooperativen Koordination konnten einige Erfolge, namentlich in der Westschweiz, erzielt werden. Dennoch ist zu untersuchen, ob mit dem Instrumentarium der geltenden Hochschulförderung ein genügender Integrationseffekt im Sinne des Leitbildes der «Hochschule Schweiz» erreicht werden kann, und, wenn nicht, durch welche Vorkehren er fortan verstärkt werden muss. Es handelt sich insbesondere darum abzuklären,
welche Befugnisse dem Bund bzw. nationalen Instanzen zur Mitgestaltung des Hochschulwesens und zur Verwirklichung einer wirksameren vertikalen Koordination bei grundsätzlicher Wahrung der Autonomierechte von Kantonen und Hochschulen einzuräumen sind. Der Rahmen, innerhalb dessen der Bund Mitverantwortung und damit direkteren Einfluss erhalten soll, wird sich namentlich auf die spätere Organ- und Behördenstruktur der schweizerischen Hochschulpolitik auswirken. Der im Frühjahr 1972 erscheinende zweite Bericht des Wissenschaftsrates über den Ausbau der schweizerischen Hochschulen wird zweifellos massgebliche Gesichtspunkte für die Konzeption der künftigen Hochschulpolitik des Bundes enthalten.

Als unerlässlich hat es sich auch erwiesen, die unterschiedlich weit gediehene Hochschulplanung auf sämtlichen Ebenen zu intensivieren. Ihr oberstes Ziel

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muss darin bestehen, den politischen Behörden rechtzeitig diejenigen Massnahmen vorzuschlagen, die geeignet sind, das Leistungsvermögen unserer Hochschulen in Forschung und Unterricht zu steigern, ein hinreichendes Studienplatzangebot sicherzustellen und damit drohende Zulassungsbeschränkungen abzuwenden. Es versteht sich, dass die künftige schweizerische Hochschulplanung sich nicht auf bau- und raumplanerische Fragen beschränken darf, sondern dass sie viel umfassender zu sein hat. Ausgehen muss sie von einer Festlegung der akademischen Bildungsziele als Teil einer globalen Betrachtungsweise des ganzen Bildungswesens. Aus dieser Sicht hat sie sich schwieriger Problemkreise anzunehmen, wie etwa der Frage der Hochschulneugründung, derjenigen neuer Formen der Hochschultätigkeit oder der Entlastung bestehender Hochschulen durch ausseruniversitäre höhere Lehranstalten. Sind dieliochschulpolitischen Bedürfnisse und die daraus abgeleiteten Entwicklungsziele einmal festgelegt, wird die Hochschulplanung die organisatorischen Strukturen, die personellen Konsequenzen und die finanziellen Gesichtspunkte einer Prüfung unterziehen. Entscheidend für das Gelingen der hochschulplanerischen Arbeit ist die Verfügbarkeit verlässlicher Daten und Zahlen, weshalb dem Ausbau der Hochschulstatistik schon jetzt besondere Beachtung geschenkt wird. Organisation und Instrumentierung des hochschulplanerischen Wirkens auf nationaler Ebene sind eng verbunden mit der bundestaatlichen Kompetenzverteilung im Hochschulsektor. Da die Planung in erster Linie dem einzelnen Hochschulträger obliegen muss, wird der Bund vornehmlich als Koordinator, Berater und Helfer tätig sein.

Mit einer besseren baulichen, personellen und sachlichen Ausstattung der Universitäten darf es nicht sein Bewenden haben. Jede Ausbaumassnahme im Bildungswesen muss zugleich drei verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden: den Ausbildungsanliegen des Individuums, dem Ausbildungsbedarf der Gesellschaft und den mutmasslichen Anforderungen der Zukunft. Eine grundlegende Erneuerung unserer Hochschulen wird selbstverständlich ihren Niederschlag im organisatorischen und strukturellen Bereich finden, Kernstück aller Massnahmen stellt jedoch die Studienreform dar.

Das vorrangige Anliegen der Studienreform liegt darin, alle Studiengänge so zu gestalten, dass sie neben dem
unerlässlichen Fachwissen vor allem die Fähigkeit zur selbständigen kritischen Wissenserweiterung, zum Erkennen und Lösen neuer Problemstellungen und Konflikte vermitteln. Zwar soll die wissenschaftliche Ausbildung nach wie vor die Grundlagen für die künftige Berufsausübung schaffen, aber nicht auf begrenzte berufliche Fertigkeiten vorbereiten. Der rasche Wandel und die erhöhte Mobilität in den akademischen Berufen legen es nahe, die Studienziele hinfort stärker auf breite berufliche Tätigkeitsfelder statt auf statische Berufsbilder auszurichten. Deshalb sollten die Studiengänge flexibler gegliedert werden und für unterschiedliche Kombinationen sowie für neue Formen der Wissensvermittlung offenstehen. Wo es sich von der wissenschaftlichen Ausbildung her rechtfertigen lässt, wären in dafür geeigneten Disziplinen verschiedene Studiengänge mit unterschiedlichen Zielen einzuführen. Dadurch entstünde auf weite Sicht ein abgewogenes System von abgestuften oder parallelen, aber stets aufeinander bezogenen Studienwegen und -abschlüssen.

396 Das Ziel der Studienreform wird sich allerdings nicht sinnvoll verwirklichen lassen, wenn die Hochschulen nicht gleichzeitig strukturell und organisatorisch den neuen Anforderungen angepasst werden. Studienreform und sogenannte Strukturreform sind derart eng miteinander verbunden, dass man sie als die beiden Erscheinungsweisen des nämlichen Erneuerungsprozesses bezeichnen sollte.

Was die Zuständigkeit angeht, lässt sich vereinfachend sagen : Die Studienreform ist naturgemass Sache der Hochschulen selber, die sich auf der Ebene der Fakultäten, allenfalls nachgeordneter fachlicher Einheiten gesamtschweizerisch verständigen müssen; dabei leihen ihnen die Trägergemeinwesen ihre organisatorische und finanzielle Unterstützung. Die Probleme der Strukturreform dagegen sind in engem Zusammenwirken von Hochschule und Gemeinwesen anzugehen und zu lösen; der Staat regelt die grundlegenden Voraussetzungen der Hochschultätigkeit im Rahmen seines Hochschulgesetzes.

überblickt man den aktuellen Stand der Strukturreformen in unserem Lande, fällt ein gemeinsamer Zug auf, nämlich das Bestreben, sich vor jeder Festlegung auf eine bestimmte Lösung Zeit für eine genügend breite Vorarbeit und Erprobung zu nehmen, somit in Teilschritten voranzugehen. Diese Tendenz wurde durch die von der Hochschulkonferenz an die Adresse der politischen Behörden und der Hochschulen ausgesprochene Empfehlung bestärkt, Experimente durchzuführen und Erfahrungen zu sammeln, die im Hinblick auf eine zweckmässige Gestaltung neuer Hochschulgesetze nützlich sein könnten (sog. Experimentierphase).

Die obigen Ausführungen, in denen wir versuchten, einige der dringendsten Hochschulprobleme aufzuzeigen und mögliche Lösungen zu skizzieren, machen jedenfalls eines deutlich : Der weitere Ausbau unserer Hochschulen sowie ihre innere Reform stellen eine langfristige Aufgabe dar. Wenn der Prozess des In-Frage-Stellens und Neuüberdenkens, der an allen unseren Hochschulen in Gang gekommen ist, andauert, ist dies Ausdruck für Lebendigkeit, Anpassungsfähigkeit und Offenheit unserer höchsten Bildungseinrichtungen.

27 Die Erwachsenenbildung Zu einem immer bedeutsameren Bildungsbereich entwickelt sich die Erwachsenenbildung. Die Erkenntnis, dass bei der raschen Entwicklung von Wissenschaft und Technik nur derjenige Schritt zu halten vermag, der sich auch
als Erwachsener planmässig um die Vertiefung seiner in der Schule und in der Ausbildung erworbenen Kenntnisse bemüht, hat sich in weitesten Kreisen Bahn gebrochen. Dazu kommt, dass die Verkürzung der Arbeitszeit, der technische und soziale Fortschritt den meisten Menschen in unserem Lande ein bedeutendes Mass an beruflich nicht beanspruchter Zeit verschafft, über die sie frei verfügen können und die es sinnvoll zu nutzen gilt. Ständige Weiterbildung im Erwachsenenalter ist aber auch deshalb erforderlich, weil die allgemein bildungsmässigen Anforderungen für die meisten Berufskreise und nicht nur für einzelne Spitzenkräfte in einem Masse wachsen, dass man nicht zu Unrecht von der bereits er-

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wähnten «Intellektualisierung der Berufe» sprechen kann. Schliesslich stellt die Erwachsenenbildung die Möglichkeit dar, in der Jugend verpasste Bildung nachzuholen. In diesem Sinne fördert der Ausbau der Weiterbildung die Chancengleichheit.

Wir beschränken uns hier auf die allgemeine nichtberufliche Weiterbildung.

Ihre Träger sind in unserem Lande fast ausschliesslich private Institutionen, insbesondere genossenschaftliche Einrichtungen, kirchliche und religiöse Institutionen, Gewerkschaften, vor allem aber auch private Vereine, die aus dem Bewusstsein der Verantwortlichkeit für die Bildung der Erwachsenen handeln.

Eine ins einzelne gehende Darstellung der auf dem Gebiete der Erwachsenenbildung tätigen Organisationen kann in diesemRahmen nicht angestrebt werden, da die Verhältnisse äusserst vielgestaltig sind. Dem Dachverband der Schweizerischen Vereinigung für Erwachsenenbildung (SVEB) gehören insgesamt 26 Organisationen an, die gesamtschweizerischen Charakter haben und sich zur Hauptsache der Beratung, der Koordination und Unterstützung ihrer regionalen und lokalen Mitglieder widmen.

Die Statuten der SVEB legen fest, dass Mitglied dieses Dachverbandes jede Organisation und Institution werden kann, «welche sich durch ihre kursmässige und hauptsächliche Tätigkeit die ständige allgemeine und berufliche Weiterbildung oder die Anleitung zu kultureller, sozialer und staatsbürgerlicher Mitarbeit zum Ziele setzt».

Statistische Unterlagen über die Anzahl der durchgeführten Kurse liegen von zwölf der SVEB angehörenden Organisationen vor. Diese haben in den vergangenen Jahren jährlich total rund 22 800 Kurse durchgeführt. Unter Einschluss der Veranstaltungen von fünf weiteren Organisationen wiesen die Kurse rund 440 000 Teilnehmern auf.

Die Finanzierung der Erwachsenenbildung ist bisher zum grössten Teil von privaten Kräften getragen worden. Die SVEB hat errechnet, dass im Jahre 1966/67 - wenn man von den Volksbibliotheken absieht - insgesamt rund 24,5 Millionen Franken für die Erwachsenenbildung aufgewendet wurden; davon stammen etwa 95 Prozent aus privaten Quellen und nur 5 Prozent von der öffentlichen Hand.

Abgesehen von wenigen Institutionen, die mit einem wirtschaftlichen Unternehmen verbunden sind, verfügen die Organisationen für Erwachsenenbildung nur über bescheidene Mittel, die im wesentlichen
von den Beteiligten selbst aufgebracht werden müssen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der fortwährenden Weiterbildung bemühen sich die entsprechenden Organisationen schon seit einiger Zeit um eine wesentliche Erhöhung der öffentlichen Beiträge. Sie können sich dabei auf die Empfehlung internationaler Fachkonferenzen berufen.

So hat z, B. die von der UNESCO im Jahre 1962 organisierte Europäische Erwachsenenbildungskonferenz den Regierungen nahegelegten einem den Bedürfnissen der modernen Gesellschaft entsprechenden Ausmass Mittel zur Förderung der Erwachsenenbildung bereitzustellen.

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Aufgrund der kantonalen Kulturhoheit gehört die Erwachsenenbildung in erster Linie zum Aufgabenkreis der Kantone. Die Massnahmen des Bundes, auf die wir noch zurückkommen werden, haben nur ergänzenden Charakter. Besondere gesetzliche Bestimmungen zur Förderung der Erwachsenenbildung bestehen in den Kantonen Graubünden, Tessin und Wallis. Auf der Grundlage eines Kulturförderungsgesetzes wird die Erwachsenenbildung unterstützt in den Kantonen Zürich, Schwyz, Solothurn und Aargau, über allgemeine Bestimmungen der Schulgesetzgebung in den Kantonen Luzero, Obwalden, Basel-Stadt und Genf.

In den anderen Kantonen bestehen zurzeit noch keine besonderen gesetzlichen Grundlagen zur Förderung der Erwachsenenbildung; sofern dort entsprechende Bestrebungen unterstützt werden, geschieht dies aufgrund einer allgemein anerkannten Zuständigkeit des Staates zur Förderung kultureller Belange.

Was die Förderung der Erwachsenenbildung durch den Bund betrifft, so ist folgendes festzuhalten.

Schon seit 1921 wird die Schweizerische Volfcsbibliothek durch jährliche Zuwendungen, die sich heute auf 500 000 Franken belaufen, unterstützt. Im übrigen kommt die Förderung der nichtberuflichen Weiterbildung auf Bundesebene vor allem der Stiftung Pro Helvetia zu, die sich seit ihrem Bestehen dieser Aufgabe durch Gewährung von Beiträgen an konkrete Vorhaben angenommen hat. Diese Hilfe ist in den letzten Jahren wesentlich erhöht worden, nämlich von 60 000 Franken im Jahre 1966 auf 420 000 Franken im Jahre 1971. Die Beiträge dienen vor allem der Unterstützung der Dachorganisationen, der Hilfe zur Durchführung einzelner Kurse sowie insbesondere der Kaderbildung. Die Beauftragung der Pro Helvetia mit Fragen der Erwachsenenbildung wurde stets als vorläufige Lösung betrachtet. Sie hat insbesondere den Nachteil, dass diese Stiftung entsprechend ihrer Zielsetzung im Prinzip nur Beiträge an einmalige Aktionen gewähren kann, nicht aber regelmässige Zuschüsse an Organisationen der Erwachsenenbildung. Pro Helvetia hat deshalb darum ersucht, von der Aufgabe der Förderung der Erwachsenenbildung möglichst bald entbunden zu werden. Die beantragte Schaffung einer klaren Kompetenzbestimmung zur Förderung der Erwachsenenbildung durch den Bund wird eine Neuregelung erleichtern.

Auf Grund parlamentarischer Vorstösse, durch die der Bundesrat eingeladen
wurde, die Massnahmen bekanntzugeben, die in Zusammenarbeit mit den Kantonen und unter Berücksichtigung der Eigenart der verschiedenen Regionen unternommen werden könnten, um die Erwachsenenbildung zu fördern, zu koordinieren und zu intensivieren, hat das Departement des Innern am 26. Juni 1969 ein Kreisschreiben an die Kantone gerichtet, um einen Überblick darüber zu gewinnen, was sie zur Förderung der Erwachsenenbildung vorgekehrt haben und ob bei der Lösung bestimmter Aufgaben eine Mithilfe des Bundes als erwünscht oder als unerlässlich erachtet wird. Dabei zeigte sich, dass in den grossen Bevölkerungszentren offensichtlich bereits zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterbildung bestehen. Dagegen fehlen solche weitgehend an kleineren Orten und insbesondere in den entlegenen ländlichen Gebieten, Die Antworten der Kantone haben ergeben, dass als hauptsächliche Aufgabe des Bundes im Bereiche der Erwachsenenbildung die Unterstützung der ge-

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samtschweizerischen Dachorganisationen angesehen wird, und zwar in der Weise, dass sie ihre Beratungs-, Koordinations- und Ausbildungstätigkeit ausbauen können. Zum Bildungsurlaub, dessen Förderung ebenfalls als eine Aufgabe des Bundes genannt wurde, möchten wir bemerken, dass an einer von der SVEB Ende Juni 1971 veranstalteten Tagung über dieses Thema, an der auch massgebende Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände vertreten waren, bei einer grundsätzlich positiven Einstellung zum Bildungsurlaub die Auffassung bestand, dass dessen Regelung vorderhand den Sozialpartnern überlassen bleiben sollte.

Einer raschen Lösung bedarf hingegen die Frage von Stipendien für die Ausbildung von Lehrkräften (Kader) der Erwachsenenbildung.

Die Umfrage des Departements des Innern ergab schliesslich auch, dass die finanziell weniger leistungsfähigen Kantone durch die traditionellen Büdungsaufgaben bereits dermassen belastet sind, dass sie kaum in der Lage sein dürften, erhebliche Beiträge für eine umfassende Förderung der Erwachsenenbildung bereitzustellen. Eine beträchtliche Anzahl von Kantonen äusserte ausdrücklich den Wunsch auch nach Bundesbeiträgen an die Aufwendungen der Kantone zur Förderung der Erwachsenenbildung, sei es an den Bau von entsprechenden Räumlichkeiten oder an den Betrieb von örtlichen Institutionen, die der Erwachsenenbildung dienen. Es wurde auch der Auffassung Ausdruck gegeben, dieser Bildungsbereich solle überhaupt vom Bunde übernommen und unter Mitwirkung der Kantone durchgeführt werden. Es wird deshalb zu prüfen sein, ob zur Förderung der Erwachsenenbildung neben einer direkten Bundeshilfe an schweizerische Dachorganisationen auch, nach noch festzulegenden Kriterien, eine finanzielle Unterstützung entsprechender kantonaler Anstrengungen vorzusehen ist.

Verschiedene Kantone wiesen in ihren Antworten auf den ihres Erachtens entscheidenden Beitrag hin, den die beiden Massenkommunikationsmittel Radio und Fernsehen zur Erwachsenenbildung zu leisten vermögen. Tatsächlich konnten hier noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Das Fernsehen der deutschen und rätoromanischen Schweiz hat versuchsweise 1969 in Zusammenarbeit mit dem dritten Programm des Bayrischen Rundfunkes mit der Ausstrahlung von eigentlichen Bildungsprogrammen für Erwachsene begonnen. Vergleicht man das entsprechende
Angebot des Schweizerischen Fernsehens mit dem Bildungsprogramm einiger anderer Länder, so kommt man zum Schluss, dass sich ein rascher Ausbau des Bildungsfernsehens aufdrängt. Dies wäre auch der bei weitem wirksamste Beitrag, das Bildungsangebot in entlegenen ländlichen Gebieten zu vermehren.

Wir möchten schliesslich nicht unerwähnt lassen, dass Erwachsenenbildung im Sinne von ständiger Weiterbildung grundsätzliche Rückwirkungen auch auf die Reformen in anderen Bildungsstufen haben wird. Alle Stufen des Schul-, Bildungs- und Weiterbildungswesens sind so aufeinander abzustimmen, dass sie den Menschen zu einem lebenslangen Lernen vorbereiten und anhalten, da jedes Wissen nur als ein vorläufiges betrachtet wird, das der ständigen Neuerung und Ergänzung bedarf.

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28 Die Sonderschulung Die Sonderschulung der körperlich und geistig behinderten Kinder wird aufgrund des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 19. Juni 1959 sichergestellt. Diese Massnahme bildet ein Glied in einer langen Kette von weiteren gesetzlich vorgesehenen Eingliederungsvorkehren (wie solche medizinischer und beruflicher Art, Abgabe von Hilfsmitteln), die letztlich alle zum Ziel haben, den Invaliden im geeigneten Zeitpunkt ins Erwerbsleben und in die menschliche Gemeinschaft einzugliedern. Obwohl die Sonderschulung allgemein als Vorstufe zur beruflichen Eingliederung zu werten ist, besteht mit Rücksicht auf die praktisch nicht mehr bildungsfähigen Minderjährigen ein Anspruch auf zielgerechte Sonderschulung unabhängig von einer späteren beruflichen Eingliederungsfähigkeit. Es wird indessen darauf geachtet, dass auch schwerst behinderten Kindern nach Abschluss der Sonderschulmassnahmen nach Möglichkeit eine angemessene Beschäftigung geboten werden kann.

Der klagbare Rechtsanspruch auf Sonderschulleistungen der Invalidenversicherung steht allen Minderjährigen zu, die wegen ihrer Invalidität die öffentlichen Schulen nicht besuchen können. Auf die Art und die Höhe der Sonderschulmassnahmen im Einzelfall (Sonderschulunterricht mit Beiträgen an das Schul- und Kostgeld sowie an die invaliditätsbedingten Transportkosten für die Überwindung des Schulweges; zusätzliche pädagogisch-therapeutische Massnahmen) kann hier nicht im Detail eingegangen werden, doch sei erwähnt, dass die Versicherung die invaliditätsbedingten Mehrkosten trägt. Bei der Festsetzung der Schul- und Kostgelder ist daher eine Kostenbeteiligung der Kantone und Gemeinden in der Höhe der Aufwendungen für die Schulung eines nicht invaliden Kindes einzurechnen. Ferner müssen die Eltern einen Beitrag an die Unterbringungs- und Verpflegungskosten bei Internatsaufenthalt leisten.

Die Invalidenversicherung, die zwar dem Einzelnen gegenüber Leistungen garantiert - seit Inkrafttreten der Versicherung im Jahre 1960 hat sie insgesamt 177 Millionen Franken für individuelle Sonderschulmassnahmen aufgewendet setzt auch gewisse Abgrenzungskriterien voraus: die Versicherung hat also festzustellen, wer im Sinne des Gesetzes invalid ist. Eine solche Entscheidung ist insbesondere bei geistig behinderten Kindern oft nicht leicht zu treffen. Als
Regel gilt, dass Schüler, die begabungsmässig den Anforderungen der Öffentlichen Hilfs- und Förderklassen, als Teil der Volksschule, zu genügen vermögen, nicht als invalid erkannt werden. Dazu gehören diejenigen Kinder, deren Intelligenzquotient mit 75 oder höher bewertet wird; das heisst, dass nur Kinder, die einen geringeren Intelligenzquotienten als 75 aufweisen, Anrecht auf Sonderschulung im Rahmen des Invalidenversicherungsgesetzes haben. In Regionen, wo ein gut ausgebautes Netz von Hilfs- und Förderklassen der Volksschule besteht, bietet die Abgrenzung kaum Schwierigkeiten. Trifft dies nicht zu, besteht einerseits die Gefahr, dass Kinder, die an und für sich das Leistungsniveau eines Hilfsschülers aufweisen, als Sonderschüler taxiert und damit in die Kategorie der geistig schwerer Behinderten eingereiht werden, was sich für die Fortentwicklung des Kindes nachteilig auswirken kann. Anderseits wird der Begriff der Sonderschulung im

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Interesse der schwerstgeschädigten geistig Behinderten sehr extensiv gefasst. So wurde der Begriff der Bildungsunfähigkeit bei der Gesetzesrevision auf l. Januar 1968 fallen gelassen. Die Sonderschulmassnahmen können demgemäss nicht nur behinderten Kindern zugesprochen werden, die in Grundfächern wie Lesen, Schreiben, Rechnen förderungsfähig sind ; sie werden vielmehr auch auf jene Kinder ausgedehnt, die wegen ihres Gebrechens nur für lebenspraktische (Handfertigkeit, Kontakt mit der Umgebung) oder lebensnotwendige (Selbstbesorgung wie Toilette, Essen) Verrichtungen ansprechbar sind. Pflegefälle werden mitberücksichtigt. Dies hat den grossen Vorteil, dass - in Form von pädagogisch-therapeutischen Massnahmen - mit der Förderung und Vorbereitung auf den späteren Volks- oder Sonderschulunterricht oder die rein praktische Weiterbildung bereits im vorschulpflichtigen Alter begonnen werden kann, da nach unten keine Altersgrenze für die Zusprechung solcher Leistungen besteht.Diese Früherfassung ist für alle späteren Schul- und Berufsmassnahmen von entscheidender Bedeutung.

Die erwähnten pädagogisch-therapeutischen Massnahmen, die entweder als Einzelvorkehren oder in kleinen Gruppen zur Durchführung gelangen, werden nötigenfalls während der Dauer des Sonderschulunterrichts im Schulalter weitergewährt. Als invalid gelten auch Kinder mit milieubedingten Verhaltensstörungen, sofern die beeinträchtigenden Einflüsse bereits einen psychischen Gesundheitsschaden verursacht haben. Die sogenannten schwererziehbaren Kinder, die zwar physisch und psychisch gesund, wegen Erziehungsmängeln jedoch für die Volksschule nicht tragbar sind und deshalb eines Aufenthaltes in einem Kinderheim bedürfen, gelten nicht als invalid im Sinne des Gesetzes und können somit auch keine Sonderschulmassnahmen der Invalidenversicherung anfordern. Der Bund unterstützt jedoch - aufgrund des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1966 über Bundesbeiträge an Strafvollzugs- und Erziehungsanstalten - die Kantone in ihren Bestrebungen, auch diesen Kindern zu helfen.

Mit der Umschreibung der Abgrenzungskriterien ist es aber nicht getan. Es müssen Mittel und Wege gefunden werden, damit die Anspruchsberechtigten auch wirklich erfasst werden und in den Genuss von Sonderschulmassnahmen kommen. Die Invalidenversicherung selber kennt keine Meldepflicht. Wo
der gesetzliche Vertreter des behinderten Kindes keine Ansprüche geltend macht, können somit auch keine Sonderschulvorkehren ergriffen werden. Zwar gehört die Überwachung und Erfassung der schulpflichtigen Kinder in den Bereich der kantonalen Schulhoheit. Doch ist keine Gewähr gegeben, dass die betroffenen Kinder in jedem Fall der geeigneten Schulung zugeführt werden, da ein Teil der Kantone keine Schulpflicht für invalide Kinder und damit auch keinen Anspruch auf Schulung derselben kennt. So kommt es, dass die zuständigen Schulbehörden die Überwachung und Erfassung der behinderten Kinder manchenorts nicht im Griff haben, da sie selber nicht gehalten sind, diese zu ermitteln, und zudem auch die Eltern keiner Meldepflicht gegenüber der Schulbehörde unterstehen. In manchen Fällen bleibt es einzig der Initiative der Eltern überlassen, ob ihre behinderten Kinder einer zweckmässigen Sonderschulung zugeführt werden oder nicht.

Dies kann zur Folge haben, dass solche Kinder mit wesentlicher Verspätung geeigneten Sonderschulmassnahmen unterzogen werden, was sich auf die ganze

402 künftige Entwicklung nachteilig auswirken kann. Immerhin sei erwähnt, dass sich die Zahl der Bezüger von Sonderschulleistungen seit der Einführung der Invalidenversicherung nahezu verdoppelt hat. 1969 waren dies 13 247 Kinder.

Nebst den Sonderschulmassnahmen, die dem einzelnen Kind zugesprochen werden, kennt die Invalidenversicherung auch kollektive Massnahmen, die indirekt wieder dem Kinde zukommen. Die Invalidenversicherung verfügt über keine eigenen Sonderschulen und hat die praktische Durchführung der Massnahmen an Institutionen und Personen ausserhalb des Versicherungssystems delegiert. Sie verlässt sich hiebei auf die Initiative der Kantone, der Gemeinden und der privaten Einrichtungen. Die Invalidenversicherung unterstützt die öffentlichen und gemeinnützig privaten Sonderschulen wie jede andere Eingliederungseinrichtung, soweit sie wenigstens in der Hälfte der Fälle oder während der Hälfte der gesamten Aufenthaltstage Sonderschulmassnahmen durchführen (Beiträge an den Bau, die Erweiterung und die Erneuerung solcher Schulen sowie an die Anschaffung von Einrichtungen: in der Regel ein Drittel der Kosten, in Sonderfällen bis zu 50 Prozent und zusatzlich Gewährung zinsloser Darlehen; Betriebsbeiträge zur Deckung oder Verminderung von Betriebsdefiziten). Seit 1960 hat die Invalidenversicherung insgesamt 141,1 Millionen Franken für Bau-, Einrichtungs- und Betriebsbeiträge aufgewendet. Dadurch war es möglich, die Zahl der Sonderschulen seit Einführung der Versicherung zu versechsfachen. Heute gibt es 370 Sonderschulen mit insgesamt über 13 000 Plätzen für behinderte Kinder.

Der Bedarf an Sonderschulplätzen ist zurzeit noch nicht ausreichend gedeckt. Nach Realisierung der geplanten Bauvorhaben werden für die meisten Gebrechenskategorien genügend Plätze zur Verfügung stehen.

Sonderschulen, die invalide Kinder aufnehmen, haben gewisse, durch Verfügung des Departementes des Innern festgelegte Zulassungsbedingungen zu erfüllen, damit eine geregelte und fachgerechte Durchführung des Unterrichts gewährleistet ist. Diese Bedingungen umschreiben vorwiegend personelle, organisatorische und einrichtungsmässige Mindestanforderungen, die in Zusammenarbeit mit den Kantonen festgelegt wurden.

Im Zusammenhang mit der Sonderschulung bildet die Rekrutierung des Fachpersonals ein besonderes Problem. Die
Invalidenversicherung subventioniert zwar die Aus- und Weiterbildung von Lehr- und Fachpersonal zur Betreuung, Ausbildung und beruflichen Eingliederung Behinderter. In der Praxis ist es aber oft schwer, die benötigte Anzahl Fachleute zu finden.

29 Die Ausbildungsbeihilfen und die Berufsberatung Ausbildungsbeihilfen und Berufsberatung - so verschiedenartige Massnahmen sie sind - dienen beide dem Ziel, dem Jugendlichen eine seiner Neigung und Eignung entsprechende Ausbildung zu ermöglichen. Beide bedingen einander : Es liegt weder im Interesse des Individuums noch des Staates, eine Ausbildung zu finanzieren, die kein positives Resultat erwarten lässt - daher die Eignungsabklä-

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rung durch den Berufsberater -, noch sollen finanzielle Gründe jemanden hindern, die Ausbildung seiner Wahl, sofern die Eignung vorhanden ist, zu ergreifen - daher der Ausbau des Stipendienwesens, wie er seit einigen Jahren im Gange ist.

291 Die Ausbildungsbeihilfen Das verbreitetste Mittel der Ausbildungsfinanzierung durch die öffentliche Hand ist das Stipendium, ein grundsätzlich den finanziellen Verhältnissen des Bewerbers - bzw. seiner Eltern - angepasster Beitrag, der im Hinblick auf eine bestimmte Ausbildung ausgerichtet wird und für den keine Rückzahlungspflicht besteht. Der Bund beteiligt sich unter gewissen Voraussetzungen an den Stipendienaufwendungen der Kantone, wie weiter unten noch auszuführen sein wird, Ausbildungsdarlehen oder rückzahlungspflichtige Stipendien haben in den letzten zehn Jahren an Bedeutung verloren, existieren aber weiterhin, wobei im allgemeinen günstige Rückzahlungsbedingungen gewährt werden. Der Bund beteiligt sich nicht an den Aufwendungen der Kantone für Darlehen.

Das Institut des Leistungsstipendiums vermochte sich in der Schweiz nicht durchzusetzen. Es hat sich als praktisch unmöglich erwiesen, objektive Kriterien der dauernden Leistungsbewertung in Ausbildungsgängen - insbesondere auf der Hochschulstufe - aufzustellen.

Die Bedeutung privater Stipendienstiftungen hat mit der Erhöhung der Stipendienaufwendungen der öffentlichen Hand abgenommen, doch leisten diese Institutionen - vor allem in Härtefällen - nach wie vor wertvolle Dienste.

Erwähnt seien insbesondere die Schweizerische Pestalozzistiftung und die Stiftung Pro Juventute.

Der Bund richtet heute gestützt auf die Gesetzgebung über die Berufsbildung und auf das Landwirtschaftsgesetz Beiträge an die Ausbildung in den betreffenden Bereichen aus, darüber hinaus aber namentlich aufgrund des Bundesgesetzes vom 19. März 1965 über die Gewährung von Beiträgen an die Aufwendungen der Kantone für Stipendien.

Dieses regelt die Finanzierung im Bereiche der Mittel- und Hochschulen, der Lehrerbildung, der Ausbildung von Geistlichen, der künstlerischen Berufe sowie der Ausbildung der Sozialarbeiter und des medizinischen Hilfspersonals.

Allen drei Gesetzen ist gemeinsam, dass sie kantonale, unter bestimmten Umständen kommunale und andere Leistungen voraussetzen, bevor der Bund Beiträge ausrichtet.

Das Stipendiengesetz
von 1965 entsprach einem dringenden Bedürfnis, erreichten doch die Stipendienaufwendungen bis zum Beginn der sechziger Jahre keinen Umfang, der es erlaubt hätte, von einer wirksamen Begabtenförderung zu sprechen und bildungsferne Schichten zu erfassen. Im Jahre 1960 wendeten die Kantone insgesamt 7,2 Millionen Franken für Stipendien auf. Das Gesetz von 1965 sollte sie ermuntern, weiterzugehen. Es hat in dieser Hinsicht die Er-

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Wartungen, gesamtschweizerisch gesehen, erfüllt: 1966 erreichten die kantonalen Aufwendungen rund 37 Millionen, 1968 45,4 Millionen, und 1970 bereits 75,3 Millionen Franken. Das Stipendium hat das Odium des Almosens, das ihm früher anhaftete, verloren, wozu nicht unwesentlich eine in den meisten Kantonen durchgeführte Vereinfachung der Formalitäten beitrug.

Diese in ihrer Gesamtheit erfreuliche Entwicklung darf aber nicht über einige unbewältigte Probleme im heutigen System der Ausbildungsfinanzierung hinwegtäuschen, Da die Kantone, entsprechend der im Stipendien-Verfassungsartikel 27Qnater ausdrücklich verankerten Schulhoheit, frei sind in der Gestaltung der Stipendienbedingungen und in der Bemessung der Beiträge, weist das Stipendienwesen in unserem Lande noch recht unterschiedliche Regelungen auf. Während in einigen Kantonen die Stipendien, in Anrechnung der eigenen Mittel des Bewerbers, Lebens- und Ausbildungskosten decken, genügen sie in ändern nicht immer, um materielle Hindernisse, die einer Ausbildung entgegenstehen, zu beseitigen. Die von Kanton zu Kanton zum Teil noch stark unterschiedliche Behandlung von in vergleichbaren materiellen Verhältnissen stehenden Personen erschwert die Verwirklichung der durch die Bildungspolitik angestrebten Chancengleichheit.

Im weitern genügen die in manchen Kantonen Mitte der sechziger Jahre festgelegten Stipendienbeträge angesichts der Teuerung heute nicht mehr. Eine Anpassung ist insbesondere dort schwierig, wo die Beträge gesetzlich fixiert sind.

Die aufgezeigten Mängel haben seit einiger Zeit einer zum Teil heftigen Kritik gerufen. Der Umstand, dass Stipendien grundsätzlich in Berücksichtigung der Möglichkeiten des Bewerbers und seiner Eltern berechnet werden, wird als Beeinträchtigung der Freiheit, eine der Neigung entsprechende Ausbildung zu ergreifen, angefochten. Der Verband Schweizerischer Studentenschaften fordert deshalb ein System der Finanzierung, das jedem Ausbildungswilligen ohne Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse einen die Kosten deckenden Beitrag gewähren würde, der nach dem Eintreten ins Erwerbsleben ganz oder teilweise je nach den finanziellen Möglichkeiten des Bezügers - zurückzuzahlen wäre.

Der für diese Art der Finanzierung erforderliche Fonds sollte aus Bundesmitteln gespiesen werden.

Es wird sich Gelegenheit bieten,
auf diesen Vorschlag einzutreten, wenn die dazu angekündigte Volksinitiative eingereicht worden ist.

Eine differenziertere Lösung strebt eine aus Vertretern der Erziehungsdirektorenkonferenz und der Bundesverwaltung gebildete Expertenkommission an, die zwar das nach Massgabe der persönlichen Verhältnisse zu bemessende Stipendium als Prinzip der Ausbildungsbeihilfen beibehalten will. Die Subvention sbedingungen des Bundes und angemessene Subventionssätze sollten aber gewährleisten, dass die kantonalen Stipendienordnungen gegenseitig angeglichen werden. Daneben soll eine vom Bund gespiesene Darlehensorganisation unter bestimmten Voraussetzungen allen mündigen in der Ausbildung stehenden Personen, die keine Stipendien beziehen, zur Verfügung stehen.

405 292 Die Berufsberatung

Kraft seiner Befugnisse auf dem Gebiete der Berufsbildung hat der Bund die Kantone verpflichtet, die allgemeine Berufsberatung zu organisieren. Die Beratungsstellen sind sachkundigen Personen anzuvertrauen. Die Berufsberatung hat ihre Dienstleistungen grundsätzlich unentgeltlich zu erbringen. Der Bund fördert die öffentliche und private gemeinnützige Berufsberatung durch Beiträge und andere Massnahtnen.

Es hat sich als notwendig erwiesen, neben der allgemeinen, auf die Berufsbildung bezogenen Beratung eine den spezifischen Problemen der Mittel- und Hochschüler entsprechende akademische Berufsberatung einzuführen, die vor allem die Eignung zu einem in Aussicht genommenen oder bereits ergriffenen Hochschulstudium abklärt und dem Ratsuchenden bei der Wahl der Studienrichtung zur Seite steht. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass das Hochschulförderungsgesetz von 1968 die Hochschulkantone verpflichtet, in ihre Einführungserlasse zum genannten Gesetz Vorschriften über die Organisation und Aufgaben der akademischen Berufsberatung und der Studentenberatung aufzunehmen. Wünschbar wäre allerdings, dass auch in allen ändern Kantonen eine akademische Berufsberatung bestünde, da sich ein besonderes Bedürfnis danach gerade auch in universitätsfernen Gebieten zeigt.

Gesamtschweizerisch gesehen ist weder die allgemeine noch die akademische Berufsberatung genügend ausgebaut. Es fehlt das qualifizierte Personal, um alle Beratungsfälle mit der gebotenen Gründlichkeit zu behandeln. Ein Ausbau der Berufsberatung ist deshalb dringend. Ihre Dienste erweisen sich auch als unerlässlich für die Beratung in den immer zahlreicheren Fällen von Berufswechseln im fortgeschrittenen Alter.

3 Die Lage der schweizerischen Forschung Im Zweiten Weltkrieg und in den darauffolgenden Jahrzehnten hat es sich deutlich gezeigt, dass die Forschungsleistungen einer Nation wesentlich ihre Stellung in der Welt bestimmen können. Aber auch das wirtschaftliche Geschehen wird immer mehr durch die auf der Forschung basierenden Fortschritte von Wissenschaft und Technik beeinflusst. Als Beispiel seien die Umwälzungen genannt, welche als Folge der Entwicklung der programmgesteuerten Rechenmaschinen in der Industrie und in der Verwaltung eingetreten sind und die noch längst nicht vor ihrem Abschluss stehen. Deshalb haben in allen modernen
Industrieländern sowohl die staatlichen Behörden wie auch die privaten Unternehmen ihre Forschungsanstrengungen seit dem Zweiten Weltkrieg bedeutend ausgebaut und setzen heute beträchtliche Summen für diese Zwecke ein. Eine grosse Zahl von Wissenschaftern und Ingenieuren bemühen sich an den Hochschulen, in der Industrie und in den staatlichen Forschungsstellen, die wissenschaftlichen Kenntnisse zu erweitern und neue Produkte und Verfahren zu entwickeln. In den letzten Jahren wurde allerdings zunehmend erkannt, dass die unbedachte Verwendung der neuen wissenschaftlichen und techniBundesblatt. 124. Jahrg. Bd.I

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sehen Errungenschaften zu schweren Schäden in der Natur und selbst beim Menschen führen kann. Weite Kreise der Bevölkerung stehen deshalb heute der Wissenschaft und Technik kritisch gegenüber.

Doch gilt es in manchen Ländern, für eine Mehrheit der Einwohner überhaupt erst menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen. Selbst in unserem hochentwickelten Industriestaat müssen in verschiedenen Regionen (z. B.

den Berggebieten) und für bestimmte Bevölkerungsschichten die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse noch stark verbessert werden. Im ganzen Lande besteht sodann ein Nachholbedarf beim Ausbau der Infrastrukturen. Schon diese aus der Vielzahl von Problemen, die unsere Gesellschaft zu lösen hat, gewählten Beispiele zeigen, dass mit den heute bekannten Methoden und Produkten nicht alle Schwierigkeiten der Gegenwart und Zukunft bewältigt werden können. Deshalb muss die Forschung weiterhin intensiv gefördert werden.

Dabei ist allerdings mehr als bisher den Anliegen der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Vor der praktischen Anwendung von neuen Entwicklungen werden deren Auswirkungen auf den Menschen und seine Umwelt sehr sorgfältig geprüft werden müssen. Den staatlichen Behörden kommt dabei eine immer grössere Verantwortung zu. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass der erforderliche Nachwuchs an gut ausgebildeten Fachleuten vorhanden ist, dass wichtige Forschungsvorhaben, die eine staatliche Förderung benötigen, diese auch erhalten und dass die beschränkt vorhandenen öffentlichen Mittel möglichst rationell, d. h. im Rahmen koordinierter Forschungsprogramme mit klaren Zielsetzungen, eingesetzt werden.

Um einen Überblick über die Bedürfnisse nach forschungspolitischen Massnahmen der Bundesbehörden zu erhalten, sollen zunächst die gegenwärtigen Verhältnisse in der schweizerischen Forschung und die bisherige Förderungstätigkeit des Bundes zugunsten der Forschung kurz beschrieben werden.

Dabei erwähnen wir getrennt die Forschung an den Hochschulen, in der Industrie und in der Verwaltung, 31 Die Hochschulforschung Die Hochschulen gehören in der Schweiz wie im Ausland zu den wichtigsten Trägern der Forschung, Diese erfüllt in der Ausbildung der fortgeschrittenen Studenten eine wesentliche Funktion. Die Mitwirkung an Forschungsprojekten vermittelt einen unmittelbaren Kontakt mit den neuesten Erkenntnissen
der Wissenschaft und zwingt zu deren gründlicher Verarbeitung und Aneignung. Deshalb erweist sich auch für die Dozenten eine eigene Forschungstätigkeit wenn nicht als notwendig, so doch als ausserordentlich förderlich für ihre Lehrtätigkeit.

Die Hochschulforschung dient aber besonders seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur dem Unterricht. Sie wird auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Allgemeinheit nach neuen Kenntnissen gepflegt und ausgebaut. Lehre und Forschung werden heute als Aufgaben der Hochschule von gleichem Gewicht betrachtet.

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Im Vordergrund steht die Grundlagenforschung, d. h. die Suche nach neuen Erkenntnissen unabhängig von irgendwelchen Anwendungsbedürfnissen. Diese Forschungsgattung gedeiht am besten in einer Atmosphäre des freien Ideenaustausches ohne Geheimhaltungspflicht und in einer sehr anpassungsfähigen Ordnung ohne allzu starre Stundenpläne. Deshalb ist mit einigen Ausnahmen die schweizerische Grundlagenforschung an den Hochschulen konzentriert. Nur wenige Grossfirmen, vor allem der chemischen und pharmazeutischen Industrie, können es sich leisten, ebenfalls auf diesem Gebiete tätig zu sein.

Daneben hat aber auch die angewandte Forschung, deren Ziele durch praktische Bedürfnisse bedingt sind, ihren Platz an unseren akademischen Institutionen. Diese Feststellung gilt in besonderem Masse für die beiden Technischen Hochschulen in Zürich und Lausanne, deren Ausbildungsaufgabe für den Ingenieurnachwuchs einen guten Kontakt mit den Fragestellungen der Praxis erfordert. Die in der angewandten Forschung verwendeten Arbeitsmethoden und Instrumente sind zum guten Teil die gleichen wie diejenigen der Grundlagenforschung. Deshalb eignet sich diese Forschung auch für manche an den Universitäten gepflegten Disziplinen.

Die Forschung an den Hochschulen wird heute überwiegend mit Öffentlichen Mitteln finanziert. Man schätzt, dass im Durchschnitt etwa 30 Prozent der Gesamtaufwendungen der Hochschulen der Forschung zugute kommen.

Gemäss dieser Annahme erreichten im Jahre 1969 die Leistungen von Bund und Kantonen für die Hochschulforschung die beachtliche Summe von 180 Millionen Franken.

Um die schweizerische akademische Forschung entsprechend den weltweiten Entwicklungen ausbauen zu können, wurde 1952 der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung geschaffen. Diese private Stiftung, die jedoch praktisch ihre gesamten Mittel vom Bund erhält, unterstützt die Forschung an allen schweizerischen Hochschulen. Sie kann aber auch ausserhalb der Hochschulen Forschungen fördern, sofern sie keinen kommerziellen Zwecken dienen. Die eidgenössischen Räte haben sich dem Nationalfonds gegenüber immer als grosszügig erwiesen. Die der Stiftung zufliessenden Bundessubventionen beliefen sich im Jahre 1952 auf 2 Millionen Franken.

Sie wurden schrittweise erhöht und erreichen im laufenden Jahr den Betrag von
88 Millionen Franken. Aus diesen Mitteln finanziert der Nationalfonds Aufwendungen für wissenschaftliche Mitarbeiter und technische Hilfskräfte, Anschaffungen von Apparaten und Instrumenten und andere Ausgaben für die Durchführung von Vorhaben ausgewiesener Forscher. 1970 wurden 714 Begehren für derartige Beiträge behandelt und nach einer sorgfältigen Prüfung insgesamt 604 Projekte mit total 67,3 Millionen Franken unterstützt. Daneben fördert die Stiftung auch den wissenschaftlichen Nachwuchs auf allen Stufen in Form von Stipendien, 1970 stellte der Nationalfonds 215 Stipendien in der Gesamthöhe von rund 3 Millionen Franken zur Verfügung. Dazu kommen noch die zahlreichen aus seinen Beiträgen besoldeten Mitarbeiter an Forschungsprojekten, die recht

408 häufig in diesem Rahmen eine Doktorarbeit verfassen. Für die Erhaltung und Gewinnung hervorragender Wissenschafter kann der Nationalfonds in aussergewöhnlichen Fällen persönliche Beiträge ausrichten.

Besonders hervorzuheben ist, dass der Nationalfonds nicht nur die Naturwissenschaften, die Mathematik und die medizinischen Wissenschaften fördert, sondern auf gleichberechtigter Basis auch die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften unterstützt. Wenn den Geisteswissenschaften 1970 nur 13,5 Prozent der Mittel zuflössen, während die Naturwissenschaften und die Mathematik 45,9 Prozent, die Biologie und Medizin 40,6 Prozent erhielten, so erklärt sich dies daraus, dass die Forschung in den erstgenannten Disziplinen weniger teure Apparate und Einrichtungen benötigt als in den ändern Gebieten, Der Nationalfonds unterstützt vorwiegend die Grundlagenforschung. Der anwendungsorientierten Forschung unserer Hochschulen nimmt sich die Kommission zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (nach ihrem jetzigen Vorsitzenden kurz «Kommission Allemann» genannt) an. Schon 1944 gegründet, beruht ihre Tätigkeil heute auf dem Bundesgesetz vom 30, September 1954 über die Vorbereitung der Krisenbekämpfung und Arbeitsbeschaffung. Nach ihrem Reglement vom 5. Februar 1969 kann sie Beiträge an anwendungsorientierte Forschungsprojekte ausrichten oder Forschungsaufträge im Gesamtinteresse erteilen. Bis jetzt subventionierte sie vorwiegend Hochschulforschungen; es kommen jedoch auch andere wissenschaftliche Institutionen, die nicht unmittelbar Erwerbszwecke verfolgen, als Beitragsempfänger in Frage. Während der Nationalfonds ausschliesslich auf die wissenschaftliche Qualität der ihm vorgelegten Projekte abstellt, berücksichtigt die Kommission als weiteres Beurteilungskriterium die wirtschaftliche Bedeutung der Vorhaben, 1971 standen der Kommission insgesamt 3 Millionen Franken zur Verfügung.

Verschiedene Kreise der Wirtschaft, insbesondere mittlere und kleinere Betriebe, regen eine stärkere staatliche Förderung der anwendungsorientierten Forschung an. Infolgedessen befasst sich gegenwärtig der Schweizerische Wissenschaftsrat zusammen mit der Kommission Allemann mit den Problemen einer neuen Regelung der Bundeshilfe auf diesem Gebiet. Die Kommission hat bereits Empfehlungen für die Fortführung und den Ausbau dieser
Tätigkeiten formuliert. Der entsprechende Bericht wird gegenwärtig vom Wissenschaftsrat geprüft ; er soll in den grösseren Rahmen der Bemühungen um eine ausgewogene staatliche Forschungsförderung gestellt werden.

32 Die Industrieforschung Die schweizerische Industrie stellt für Forschungen und Entwicklungen grosse Summen zur Verfügung. Nach Erhebungen des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrievereins beliefen sich diese Aufwendungen 1969 innerhalb der Schweiz auf etwa 1,7 Milliarden Franken. In der Schweiz trägt die Industrie einen wesentlich grösseren Anteil des gesamten Forschungsaufwandes als die öffentliche Hand, während in anderen modernen Industrie-

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nationen, wie in den USA, in Frankreich und Grossbritannien, die Verhältnisse umgekehrt liegen. Die bis heute verfügbaren Forschungsstatistiken lassen allerdings erkennen, dass nur einige Branchen (chemische und pharmazeutische Industrie, Maschinen- und Elektroindustrie) Forschung und Entwicklung in grossem Umfang betreiben. Diese Sachlage dürfte nicht nur für unser Land typisch sein. Auch in ändern Staaten stellt man fest, dass die pharmazeutische Industrie einen beträchtlichen Prozentsatz ihrer Mittel (etwa 8-10% des Umsatzes) in die Forschung und Entwicklung investiert.

In letzter Zeit zeichnet sich im Gefolge einer Neuorientierung der Wissenschaftspolitik in verschiedenen grossen Industriestaaten eine Änderung der Verhältnisse bei den bisher weniger forschungsorientierten Branchen ab. Die Reduktion der Forschungsausgaben auf bestimmten Gebieten (z. B. dem militärischen Sektor) wird wenigstens teilweise kompensiert durch eine direkte Förderung von Forschungsvorhaben, die unmittelbar für die zivile Wirtschaft von Nutzen sein können. Besondere Aufmerksamkeit wird den technischen Entwicklungen (Baumethoden und -materialien, öffentliche Verkehrsmittel, Abfallverwertung usw.)

geschenkt, welche die Lebensbedingungen verbessern und die Umwelt vor Schädigungen schützen können. Eine derartige mit staatlichen Mitteln geförderte Forschung wird zu einer vermehrten Innovation auch in sonst eher konservativen Industriezweigen führen. Diese Entwicklung zusammen mit der Einführung von direkten staatlichen Förderungsprogrammen im Ausland beeinflusst zunehmend die Marktaussichten unserer exportorientierten Industrie. Dazu kommt, dass sich ganz allgemein die Entwicklung eines neuen Produktes immer mehr verteuert, u. a. weil die ihm zugrundeliegende Forschung zunehmend anspruchsvoller wird. Deshalb haben gelegentlich mittlere und kleinere Betriebe schon heute ausserordentliche Schwierigkeiten, auf der Höhe des wissenschaftlichen und technischen Fortschrittes zu bleiben.

Weitgehende Einigkeit herrscht hinsichtlich der im vorigen Abschnitt schon erwähnten Notwendigkeit der Verstärkung und Neuorganisation der Bundeshilfe für die anwendungsorientierte Forschung an den Hochschulen. Grundsätzlich umstritten ist hingegen die staatliche Finanzierung der Forschung in privaten Unternehmen, In einigen Ausnahmefällen hat
der Bund bereits eine derartige Hilfe geleistet. Abgesehen von den Forschungsaufträgen für militärische und andere bundeseigene Bedürfnisse sind hier vor allem die Förderung der Bauforschung und der Forschungen über die Anwendungen der Kernenergie zu nennen.

In den beiden letztgenannten Fällen benötigen Bundesbetriebe die Resultate nicht unmittelbar für ihre Tätigkeit. Die Bauforschung wird gefördert in Erkenntnis der grossen wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung, die rationellen und billigen Baumethoden in einer Zeit der Wohnungsknappheit zukommt. Die Unterstützung der industriellen Kerntechnik erfolgte in Berücksichtigung der Tatsache, dass dieses Gebiet in den Grossstaaten von den Behörden mit gewaltigen Mitteln gefördert wurde. Versuche der schweizerischen Privatindustrie in den fünfziger Jahren, mit eigenen Kräften in Würenlingen ein gemeinsames Forschungszentrum aufzubauen, zeigten sehr bald, dass die Möglichkeiten der Wirtschaft nicht genügten, um derart anspruchsvolle Unternehmungen zu tragen. Der

410 Bund musste deshalb die Anlage des heutigen Eidgenössischen Instituts für Reaktorforschung übernehmen und überdies die Hälfte der Mittel zum Budget der von der Industrie gegründeten Nationalen Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik beisteuern. Auf diese Weise war es den beteiligten Unternehmen möglich, wertvolle Erfahrungen auf dem besonders anspruchsvollen Gebiet der Reaktortechnik zu sammeln. Diese Kenntnisse sind ihnen offensichtlich beim später reibungslos und termingerecht erfolgten Bau kommerzieller Kernkraftwerke in der Schweiz zustatten gekommen, obschon die eigene Entwicklung von Kernreaktoren aufgegeben wurde.

Wir haben den Schweizerischen Wissenschaftsrat beauftragt, die Problematik der Förderung der Industrieforschung im Einvernehmen mit den interessierten Kreisen eingehend zu prüfen und uns gegebenenfalls Vorschläge zu unterbreiten. Der schon erwähnte Bericht der Kommission Allemann über ein neues Konzept für die wirtschaftlich motivierte Förderung der Forschung durch den Bund liefert dafür wertvolle Unterlagen. In den kommenden Jahren gilt es, die vertrauensvolle Partnerschaft zwischen Bund und Wirtschaft, die sich u. a. bei der Exportrisikogarantie schon bewährt hat, auf das Gebiet der Forschung auszudehnen.

33 Die Forschung in der Verwaltung Der Schwerpunkt der verwaltungseigenen Forschung des Bundes Hegt bei der landwirtschaftlichen Forschung sowie bei der Forschung für die Armee und für die Verkehrs- und Kommunikationsbetriebe. Erwähnt sei auch die Eidgenössische Turn- und Sportschule, die über das einzige schweizerische Forschungsinstitut auf dem Gebiete der Sportwissenschaften verfügt.

Die der Bundesverwaltung angegliederten landwirtschaftlichen Forschungsanstalten erfüllen eine wesentliche Aufgabe in unserer Politik der Förderung und Erhaltung der schweizerischen Landwirtschaft. Dieser stellen sich in manchen Regionen unseres Landes mannigfaltige Schwierigkeiten entgegen.

Unsere Landwirtschaft besteht zudem hauptsächlich aus Mittel- und Kleinbetrieben. Deshalb darf nicht erwartet werden, dass auf privater Basis die notwendige Forschung finanziert werden kann. Wenn schon der Bund auf diesem Gebiet weitgehende Verantwortungen übernehmen muss, so erscheint es auch als zweckmässig, dass er die entsprechenden Forschungseinrichtungen selbst betreut.
Erst kürzlich haben Sie einen grosszügigen Ausbau der landwirtschaftlichen Forschungsanstalten beschlossen (BB vom 13. Dez. 1971 über Kredite von total rund 98 Mio. Fr.).

Besondere Verhältnisse liegen auch bei der militärischen Forschung vor. Der Bund erhielt hier bei der Schaffung des Bundesstaates eine umfassende Kompetenz. Neutralitäts- und militärpolitische Überlegungen verlangen, dass mindestens ein Teil des Materials für die Armee in der Schweiz entwickelt und hergestellt wird. Dabei müssen die militärischen Bedürfnisse nach Geheimhaltung berücksichtigt werden. Unter diesen Voraussetzungen können nur in beschränktem

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Ausmass Forschungsaufträge nach aussen vergeben werden. Deshalb muss ein gewisses Forschungspotential innerhalb der Bundesverwaltung zur Verfügung stehen. Dieses wurde bei der Gruppe für Rüstungsdienste weitgehend zusammengefasst und aufgebaut.

Vergleiche mit anderen Industriestaaten zeigen, dass ausser auf den beiden genannten Gebieten in verwaltungseigenen Einrichtungen relativ wenig geforscht wird. Diese Tatsache erklärt sich aus historischen Gegebenheiten, Die Forschung wurde lange dem kulturellen Bereich zugerechnet, in dem sich der Bund mit Rücksicht auf die kantonale Zuständigkeit zurückzuhalten hatte. Wo gesamtschweizerische Initiative und Koordination notwendig war, wurden sie deshalb wenn möglich privaten Organisationen überlassen. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang die 1815 gegründete Schweizerische Naturforschende Gesellschaft (SNG) und die 1946 geschaffene Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft (SGG) zu erwähnen, die in verschiedenen Fällen wissenschaftliche Aufgaben im Landesinteresse übernahmen. Zum Teil sind diese (z. B. die hydrologischen Landesaufgaben und der Wetterdienst) im Verlaufe der Jahre vom Bund übernommen worden, da es sich zeigte, dass die betreffenden Aufgaben im Milizsystem nicht mehr zufriedenstellend gelöst werden konnten.

Gegenwärtig wird geprüft, ob im Bereiche der Erdwissenschaften dem Bunde neue Aufgaben zu übertragen seien, Tn verschiedenen Fällen, u. a. auf dem Gebiete der Materialprüfung, bestehen im Rahmen der Eidgenössischen Technischen Hochschulen Annexanstalten.

Sie ermöglichen, dass verwaltungseigene Einrichtungen, insbesondere diejenigen des Amtes für Mass und Gewicht, in relativ bescheidenem Rahmen gehalten werden können.

Im allgemeinen hat sich diese Politik bewährt. Sie bedarf aber im Lichte der raschen Entwicklungen der Wissenschaft und Technik einer ständigen Überprüfung.

Mit Rücksicht auf die bescheidenen eigenen Forschungseinrichtungen ist die Bundesverwaltung stark an der Forderung der Forschung an wissenschaftlichen Instituten interessiert. Eine Vielzahl von Amtsstellen kommt im Rahmen ihrer Kompetenzen mit forschungspolitischen Fragen in Berührung, wie z. B. im Zusammenhang mit der Vergebung von Studienaufträgen für die Abklärung von Problemen aus dem eigenen Amtsbereich. Naturgemäss können sich dabei, wie auch in den
bundesinternen Forschungen, hie und da Interessenüberschneidungen ergeben, die der wirksamen Koordination bedürfen. Der Bundesrat hat dafür einen interdepartementalen Koordinationsausschuss eingesetzt, dessen Sekretariat von der Abteilung für Wissenschaft und Forschung betreut wird.

34 Die internationale Zusammenarbeit in der Forschung Die Schweiz als Kleinstaat kann wegen der immer grösseren Vielfalt der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der rasch wachsenden Kosten der Forschung nicht mehr autonom auf allen Gebieten an vorderster Front bei der Beschaffung

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neuen Wissens mitwirken. Deshalb haben sich schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg schweizerische Wissenschafter sehr aktiv für die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit in der Forschung eingesetzt. Sie wurden dabei von den Bundesbehörden nach Möglichkeit unterstützt, da es auch galt, den Solidaritätsgedanken unserer Neutralitätspolitik in die Tat umzusetzen. Das erste und bisher erfolgreichste Unternehmen, das aus diesen Bemühungen hervorging, die Europäische Kernforschungs-Organisation (CERN), wurde in GenfMeyrin aufgebaut. Weitere Projekte wurden im Rahmen der Europäischen Kernenergie-Agentur der OECD auf dem Gebiete der Kerntechnik verwirklicht (Dragon- und Halden-Reaktorprojekte, Anlage für die Aufarbeitung bestrahlter Brennstoffelemente EUROCHEMIC). Der Bund beteiligte sich anfänglich an allen diesen Unternehmungen, musste jedoch später in Berücksichtigung der veränderten Interessenlage im eigenen Lande auf die weitere Mitwirkung am Halden-Unternehmen verzichten. In der Weltraumforschung begnügte sich der Bund mit der aktiven Beteiligung an der Europäischen Weltraumforschungs-Organisation (ESRO), die den europäischen Wissenschaftern mannigfache Forschungsmöglichkeiten verschafft. Auf die Mitwirkung an der Europäischen Trägerraketenentwicklungs-Organisation (ELDO) musste im Hinblick auf andere finanzielle Beanspruchungen und das begrenzte Interesse der schweizerischen Wirtschaft verzichtet werden. Ausser bei CERN und ESRO wirkte der Bund massgeblich auch bei der Gründung der Europäischen Molekularbiologie-Organisation (EMBO) mit. Sie diente zunächst dem verbesserten Kontakt zwischen den europäischen Spezialisten auf diesem Gebiete. Neuerdings nehmen - von uns unterstützt - die Pläne Gestalt an, ihr ein internationales Forschungszentrum anzugliedern, Um mit ihrer Forschung an der Spitze zu bleiben, müssen sich die internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaftsunternehmen genau so wie nationale Forschungslaboratorien um einen steten Ausbau und die Erneuerung ihrer Einrichtungen bemühen. So hat das CERN die Fortsetzung der gemeinsamen europäischen Anstrengungen zur Erforschung der Teilchen und Kräfte in den Atomkernen in den kommenden Jahrzehnten sorgfältig vorbereitet. 1971 wurde der Bau eines neuen Grossbeschleunigers anschliessend an die vorhandenen Anlagen des CERN beschlossen,
wozu eine neue Organisation, das Super-Cern, ebenfalls mit schweizerischer Beteiligung, gegründet wurde. Gegenwärtig steht sodann die Fortführung der Tätigkeiten der ESRO zur Diskussion. Beabsichtigt ist eine gewisse Einschränkung der wissenschaftlichen Programme, um Platz zu schaffen für die Realisierung von Projekten für Nutzsatelliten (Wetter-, Fernmelde- und Navigationssatelliten), Auf dem Gebiete der anwendungsorientierten Forschung haben die sechs Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Initiative ergriffen, um eine Reihe von Forschungsprojekten zusammen mit anderen europäischen Ländern zu verwirklichen. Bundesbehörden, Hochschulen und Wirtschaft haben diese Gelegenheit für den Aufbau einer umfassenden europäischen Zusammenarbeit begrüsst und sich intensiv an der Ausarbeitung endgültiger Vorschläge be-

413 teiligt. Im November 1971 konnten die ersten Projekte einer Ministerkonferenz zur Unterzeichnung vorgelegt werden. Die Schweiz nimmt unter dem Vorbehalt Ihrer Zustimmung an fünf von sieben Projekten teil, welche Probleme der Informatik, der Telekommunikation, der Material- und der Umweltforschung betreffen. Weitere Projekte werden in den kommenden Monaten noch unterschriftsreif werden; ohne Zweifel wird die Schweiz an einigen ebenfalls mitwirken. Wenn auch manche dieser Vorhaben nicht von sehr grosser Tragweite sind, werden sie doch wertvolle Erfahrungen für die Entwicklung geeigneter Methoden der europäischen Zusammenarbeit liefern.

In diesem Rahmen sollen Formen der kooperativen Forschung zur Anwendung kommen, die sich schon bei der OECD auf verschiedenen Gebieten, wie der Untersuchung von Verkehrsfragen, der Erforschung von Materialproblemen und der Analyse der Umweltsbedingungen, bewährt haben. So wird nicht die Schaffung neuer internationaler Forschungszentren in Aussicht genommen, sondern die Beteiligung nationaler Institutionen an einem koordinierten Forschungsprogramm. In manchen Bereichen stellt dies das rationellste Verfahren dar, um rasch und wirkungsvoll die besten Kräfte jedes Teilnehmerstaates für die Lösung einer Aufgabe zu nutzen. Nachdem manche Länder in den letzten Jahrzehnten mit grossem Aufwand eigene Forschungseinrichtungen aufgebaut haben, geben sie heute aus verständlichen Gründen der kooperativen Forschung den Vorzug. In gewissen Fällen wird jedoch auch weiterhin die Gründung neuer internationaler Forschungszentren erforderlich sein.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Vorschläge für neue Projekte einer internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zugenommen. Die zuständigen Behörden sehen sich gezwungen, sich mit einer Vielfalt von Anregungen zur Beteiligung an Vorhaben auf den verschiedensten Gebieten zu befassen.

Wesentlich aus finanziellen Gründen wird es für die Schweiz bei allem guten Willen nicht möglich sein, an sämtlichen Projekten mitzuwirken. Um eine sinnvolle Auswahl treffen zu können, benötigen die verantwortlichen Behörden einerseits eine systematische Übersicht über die mittels einer internationalen Zusammenarbeit zu bewältigenden Fragen und anderseits eine umfassende Analyse der im nationalen Rahmen bestehenden Forschungsbedürfnisse und der
eigenen Möglichkeiten zu deren Bewältigung. Die Übersicht wird am ehesten eine internationale Organisation wie die OECD schaffen können, während die Analyse der schweizerischen Verhältnisse vom Wissenschaftsrat zu erarbeiten sein wird.

35 Die zukünftigen Anstrengungen zum Ausbau der schweizerischen Forschung In der vorangehenden Übersicht über die Lage der schweizerischen Forschung haben wir in grossen Zügen zu zeigen versucht, dass auf diesem Gebiete im Laufe der Jahre manche beachtliche Leistung erzielt wurde. Bis vor kurzem fehlte der Versuch, die Forschungsanstrengungen zu einem Ganzen zusammen-

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zufügen. Der Schweizerische Wissenschaftsrat hat es nun übernommen, eine umfassende Forschungspolitik zu entwickeln. Dazu bedarf es aber zuverlässiger Unterlagen über die bereits vorhandenen Forschungsaktivitäten und über die bestehenden Lücken. Vorerst führte er deshalb eine breit angelegte Erhebung der dringlichen Forschungsbedürfnisse durch. Dank den zahlreichen Antworten und der Mitwirkung namhafter Experten gelang es, einen ersten Überblick über die Forschung in unserem Lande und über die Ausbaupläne zu erhalten. Der Wissenschaftsrat beabsichtigt, noch im Frühjahr 1972 die Resultate dieser Erhebungen zusammen mit Empfehlungen zur Schliessung der wichtigsten Forschungslücken dem Bundesrat vorzulegen. Schon heute zeigt sich, dass u. a. in der Erforschung unserer Umwelt, im Studium der sozialen Probleme unserer Jugend und der älteren Menschen sowie in der Entwicklung der Wissenschaften mit Schlüsselfunktionen für eine Vielzahl von Tätigkeiten (dazu gehört die Informatik) unsere Anstrengungen verstärkt werden müssen. Wir werden den Anregungen des Wissenschaftsrates unsere volle Aufmerksamkeit schenken und Ihnen in Erfüllung der Motion Nr. 9793 betreffend die Bestimmung der nationalen Forschungsziele (Motion Reimann) Bericht erstatten. Der Wissenschaftsrat wird seine Erhebung in den kommenden Jahren zu ergänzen haben durch eingehende Analysen der Situation in den verschiedenen Forschungsgebieten. Dabei wird auch die schon erwähnte international empfohlene Verlagerung der Schwergewichte auf Forschungen, die sich an den aktuellen Problemen unserer Gesellschaft orientieren, zu berücksichtigen sein. Insbesondere werden in diesem Zusammenhang die weiteren Ausbauwünsche des Schweizerischen Nationalfonds geprüft werden müssen.

Angesichts der gewaltigen Anstrengungen, die für den Ausbau des schweizerischen Bildungswesens erforderlich sind, steht heute schon fest, dass besonders auch die praxisorientierte Bildungsforschung intensiviert werden muss. Als konkreter Ansatzpunkt wird die von der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren gegründete Koordinationsstelle für Bildungsforschung in Aarau dienen können. Auch in diesem Falle kann die Nutzung der Möglichkeiten einer internationalen Zusammenarbeit die nationalen Tätigkeiten wertvoll ergänzen. Wir hoffen, so im Austausch gegen schweizerische Untersuchungen
wertvolle Informationen über pädagogische Experimente und Entwicklungen im Ausland zu erhalten.

Der Ausbau der Forschungsanstrengungen in der Schweiz wäre wenig rationell, wenn nicht parallel dazu die Dokumentations- und Informationsdienste zur systematischen Erschliessung des bereits vorhandenden Wissens entwickelt würden. Trotz mancher hervorragender Leistung unserer öffentlichen Bibliotheken und privaten Dokumentationszentren befindet sich unser Land auf diesem Gebiete in einem Rückstand, den es aufzuholen gilt. Grundsätzlich hat sich das schweizerische Dokumentationswesen auf die Verwendung internationaler Dokumentationsdienste auszurichten und nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit ihnen zu suchen. Im Hinblick auf die mannigfaltigen Aufgaben, die es in diesem Gebiet zu lösen gilt, werden die Pläne für ein Institut für Informationswissenschaften zur Ausbildung der heute vielfach fehlenden Dokumentationsspezia-

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listen und zur fachmännischen Beratung der verantwortlichen Instanzen bald zu verwirklichen sein.

In die Planung für den Ausbau der schweizerischen Forschung ist die internationale Zusammenarbeit miteinzubeziehen. Dies bietet manchmal - und wahrscheinlich immer häufiger - den einzigen Weg, unseren Wissenschaftern Arbeitsmöglichkeiten an besonders teuren Forschungseinrichtungen zu verschaffen. Wir sind deshalb nach wie vor bereit, neue Initiativen für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit unvoreingenommen zu prüfen und an entsprechenden Bemühungen zur Abklärung der Realisierungsmöglichkeiten nach Kräften mitzuwirken. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass neben den Kosten für die Mitgliedschaft in internationalen Unternehmungen meistens auch national zusätzliche Aufwendungen für die praktische Beteiligung und für die Auswertung der Resultate erforderlich sind. Deshalb und wegen der Vielzahl der neuen Vorschläge wird unser Land in Zukunft noch mehr als in der Vergangenheit nur bei ausgewählten Projekten aktiv mitwirken können.

Nachdem die schweizerische Forschung sich in einer ersten Entwicklungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg kräftig ausdehnen konnte, wirdesin denkommenden Jahren nicht mehr möglich sein, ein ebenso rasches Wachstum durchzuhalten. Wie kaum auf einem ändern Gebiet klafft zwischen den ausserordentlich rasch ansteigenden Forschungsbedürfnissen und der Begrenztheit der personellen und materiellen Mittel ein Gegensatz, der eine Auswahl nach dem Kriterium der Qualität unerlässlich macht. Forschungsunternehmen, die sich nicht mehr bewähren, muss die Unterstützung entzogen werden, um Kräfte für neue wichtige Vorhaben frei zu bekommen. Dies erfordert auch die Einführung von Prioritätsordnungen, in denen selbstverständlich als erstes Kriterium die wissenschaftliche Qualität der Forschungsprojekte massgebend sein wird. Der geplante systematischere Ausbau der schweizerischen Forschung soll jedoch so anpassungsfähig und grosszügig gestaltet werden, dass darin weiterhin auch ein angemessener Platz für die Förderung von originellen, spontanen Ideen, auch wenn sie im Moment noch nicht als besonders aussichtsreich erscheinen mögen, gewahrt bleibt.

4 Die Aufteilung der Verantwortung zwischen Bund und Kantonen im Bildungs- und Forschungswesen 41 Bildungswesen Unter Ziffer
2 haben wir aktuelle Probleme unseres Bildungswesens skizziert. Wir sind dabei zum Ergebnis gelangt, dass auf sämtlichen Bildungsstufen eine Neubesinnung auf die Ziele der verschiedenen Bildungsgänge sowie eine Überprüfung ihrer Gestaltung, ihrer organisatorischen Eingliederung und vor allem ihres wechselseitigen Verhältnisses unerlässlich geworden sind. Überdies bedürfen auf einzelnen Stufen die vorhandenen Bildungseinrichtungen eines kräftigen Ausbaus oder einer Ergänzung durch neue Institutionen. Schliesslich sollten diejenigen Besonderheiten der verschiedenen kantonalen Bildungssy-

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steme ausgeglichen werden, welche weder durch die kulturelle Eigenart eines Ortes notwendig bedingt sind noch dem schweizerischen Bildungswesen neue Impulse zu geben vermögen. Grosse Anstrengungen sind notwendig, wenn das schweizerische Bildungswesen hinreichend rasch auf die Höhe der Zeit gehoben und so ausgebaut werden soll, dass jeder Bildungswillige eine seiner Eignung entsprechende Ausbildung erhält und dass der gesellschaftliche Bedarf nach Ausgebildeten befriedigt wird.

Diese Aufgaben lassen sich nur in gemeinsamem Bemühen von Bund, Kantonen und Gemeinden bewältigen. Schon unsere gegenwärtigen Verfassungsbestimmungen über das Bildungswesen sehen ein gewisses Zusammenwirken von Bund und Kantonen vor, wenn auch in sehr unterschiedlicher, ja punktueller Weise. In der geltenden Verfassung sind dem Bund nur auf der Primarschul- und auf der Hochschulstufe sowie im Stipendienwesen gewisse (beschränkte) Kompetenzen zugewiesen. An einem ganz anderen Ort der Verfassung, nämlich in den Wirtschaftsartikeln, wird dem Bund überdies eine umfassende Normierungskompetenz für die berufliche Ausbildung eingeräumt. Allerdings entspricht die gegenwärtige Rechtslage insgesamt, wie die vorangehende Übersicht (Ziff. 2 dieser Botschaft) gezeigt hat, dieser Verfassungsordnung nur bedingt. Zum Teil hat der Bund seine verfassungsmässigen Befugnisse gar nicht ausgeschöpft; so auf der Primarschulstufe, wo er bisher die ihm übertragene Kontrolle fast nie ausgeübt, und im Stipendienwesen, wo er ausserhalb seiner Beitragsleistungen noch keine ergänzenden Massnahmen getroffen hat. Zum Teil hat es sich aber auch als notwendig erwiesen, verfassungsmässige Kompetenzbestimmungen extensiv anzuwenden ; dies trifft vor allem für das Mittelschulwesen zu. - Im Ergebnis enthält sich heute der Bund beinahe jeder Einflussnahme auf die Primarschulausbildung, und auch das Hochschulwesen ist - abgesehen von den Technischen Hochschulen - seiner gestaltenden Einwirkung weithin entzogen; dagegen beeinflusst er das Mittelschulwesen in beträchtlichem Masse, und das berufliche Bildungswesen regelt er in vollem Umfange. Auf sämtlichen Bildungsstufen fällt den Kantonen ein wesentlicher, ja vielfach ein überwiegender Teil der Verantwortung zu; auf der Vorschulstufe ist diese Verantwortung sogar umfassend. - Mit dieser einen Ausnahme greifen also
eidgenössische und kantonale Kompetenzen in allen Bildungsbereichen, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, ineinander über; eine ausdrückliche Verpflichtung zum Zusammenwirken fehlt freilich in der Verfassung.

Aufgrund einer so inkohärenten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen werden sich die eingangs genannten Postulate nicht erfüllen lassen.

Gewiss wäre es eine Illusion zu glauben, alle Probleme unseres Bildungswesens seien gelöst, wenn nur der Bund eine umfassende Verantwortung erhielte. Eine solche Radikallösung könnte nicht nur dazu führen, dass unser Bildungssystem an den verschiedenartigen Bedürfnissen der einzelnen Landesteile vorbei entwikkelt würde, was notwendig eine kulturelle Nivellierung zur Folge hätte; es wäre auch zu befürchten, dass die Vielfalt kantonaler und kommunaler Ideen, Initiativen, Experimente, welche unser Bildimgswesen immer wieder neu befruchten, schon nach kurzer Zeit verloren ginge. Auf der ändern Seite wird aber durch die

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gegenwärtige Kompetenzverteilung die Möglichkeit verschlossen, unser Bildungswesen zu einem horizontal und vertikal geschlossenen System zu entwikkeln ; und es ist dem Bund - mit Ausnahme der Technischen Hochschulen - auch verwehrt, den Ausbau des Bildungswesens dort unmittelbar zu verwirklichen, wo die Kantone an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind.

Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren hat diese Schwäche der gegenwärtigen Bildungsverfassung schon seit längerer Zeit erkannt. Sie beschloss darum, durch Vereinbarungen auf regionaler und auf nationaler Ebene wenigstens dem Ziel vermehrter Harmonisierung unseres Bildungswesens näher zu kommen und gleichzeitig in der ganzen Schweiz eine gewisse Mindest-Grundausbildung zu gewährleisten. So kam vor allem das interkantonale Konkordat über die Schulkoordination vom 29. Oktober 1970 zustande. 18 Stände sind ihm bis heute beigetreten, und es ist vorauszusehen, dass sich auch die übrigen Kantone in absehbarer Zeit anschliessen werden. Die Anordnungen des Konkordats sind vor allem für die Stufe des obligatorischen Unterrichts bedeutsam. Bemühungen um eine Ausdehnung der gesamtschweizerischen Koordinations-Vereinbarungen sind zwar im Gang; aber ihr Schwerpunkt wird aller Voraussicht nach auch inskünftig im Bereich der obligatorischen Ausbildung liegen. Die Kantone stimmen nämlich weitgehend darin überein, dass für die daran anschliessenden Bildungsstufen der Bund eine grössere Verantwortung für Harmonisierung und Ausbau übernehmen muss.

Es ist in der Tat unverkennbar, dass zunächst Betreuung und Ausbau der Hochschulen immer mehr zur nationalen Aufgabe werden. Einige wenige Kantone haben bis heute den grössten Teil der Lasten getragen ; aber die Hochschulen kommen allen zugute. Die ganze Schweiz muss sich daher an dieser Aufgabe beteiligen, und zwar inskünftig in noch höherem Mass als heute. Gleichzeitig wird der Bund auf einen hinreichenden qualitativen und quantitativen Ausbau, auf eine optimale Verwendung der Mittel, und damit auch auf eine Reformierung und Rationalisierung der Hochschultätigkeit hinzuwirken haben. Das Mittelschulwesen ist aufs engste mit dem Hochschulwesen verbunden; dieser Verzahnung ist ja der grosse tatsächliche Einfluss zu verdanken, den der Bund schon heute auf die Gestaltung des Mittelschulwesens ausübt. Mehr
als bisher zeigt sich sodann auch für die übrigen Zweige der hohem Ausbildung - Primär- und Sekundarlehrerausbildung, höhere technische Ausbildung, höhere Ausbildung in den kaufmännischen, administrativen, sozialen Berufen sowie in den medizinischen Hilfsberufen u. a. - das Bedürfnis nach interkantonaler Angleichung der Typen und Strukturen, und enger als bisher werden diese Bildungsgänge auf dieBereiche des Mittelschul- und des Hochschulwesens abzustimmen sein. Das Postulat, dass jeder Bildungswillige eine seiner Eignung entsprechende Ausbildung erhalten soll, ist an die Schaffung vermehrter Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Bildungszügen gebunden. Die Erwachsenenbildung wird sich ihrerseits von der ihr vorangehenden Ausbildung auf der Mittelschul- und auf höheren Bildungsstufen funktionell immer weniger abtrennen lassen. Schliesslich ist das Stipendienwesen grundsätzlich auf die dem Primarunterricht folgende Ausbildung ausgerichtet.

418 Die wechselseitige Verkettung dieser Bereiche wird sich im weiteren Ausbau unseres Bildungswesens nur dann hinreichend berücksichtigen und auch noch verstärken lassen, wenn der Bund für das ganze Gebiet gewisse grundlegende Kompetenzen eingeräumt erhält.

Eine solche Erweiterung der eidgenössischen Verantwortung wird die Bemühungen der Kantone um eine Intensivierung ihrer Zusammenarbeit vor allem auf der Stufe des obligatorischen Unterrichts sinnvoll und notwendig ergänzen.

Dabei wird sich der Bund vor allem auf den Erlass von Grundsätzen für Ausbau und Gestaltung zu beschränken haben. Den Kantonen wird es obliegen, diese Grundsätze zu konkretisieren und dabei ihren spezifischen Bedürfnissen Genüge zu tun ; sie werden sich aber auch an der Vorbereitung der eidgenössischen Erlasse beteiligen und damit wiederum den Gedanken der «Gemeinschaftsaufgabe» verwirklichen. Bloss im Bereich des beuflichen Bildungswesens erscheint es angezeigt, die bisherige umfassende Regelungsbefugnis des Bundes zu belassen; und auf der Stufe des höheren Bildungswesens, vor allem auf der Hochschulstufe, wird der Bund noch mehr als bisher die Möglichkeit haben müssen, dringende Bedürfnisse nach Schaffung neuer Unterrichts- und Forschungskapazitäten unmittelbar zu befriedigen; schliesslich sollte der Bund auch im Stipendienwesen vermehrte Möglichkeiten erhalten, Lücken und Unzukömmlichkeiten in kantonalen Stipendiensystemen auszugleichen.

Man hätte sich freilich fragen können, ob es nicht richtig gewesen wäre, dem Bund für den gesamten Bildungsbereich eine Grundsatzgesetzgebungs-Kompetenz zuzuweisen; von verschiedenen Seiten wurde auch verlangt, mit der Begründung, es befänden sich heute sämtliche Bildungsstufen in einer Übergangsphase und es habe darum wenig Sinn, in einer neuen Bildungsverfassung den heutigen Aufbau unseres Bildungswesens zu «zementieren»; es bestehe die Gefahr, dass die Forderung nach vertikaler Kohärenz durch eine sektorielle Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen vereitelt werde. Dieser Einwand ist verständlich, aber er übersieht ein wesentliches Kennzeichen unseres Bildungswesens : Wie keine andere Bildungsstufe ist der Elementarschulbereich Gegenstand lebhaftester Anteilnahme der gesamten Bevölkerung. Unsere Primarschulen sind, worauf wir bereits hingewiesen haben, wahrhafte «Volksschulen». In
dieser seiner demokratischen Verwurzelung erträgt das Primarschulwesen weniger als irgendeine andere Bildungsstufe Eingriffe von « oben », auch wenn sie noch so grundsätzlicher Natur sind. Wir glauben daher, dass die KompetenzVerteilung, welche wir Ihnen vorschlagen, eine sinnvolle Abgrenzung zwischen konkordatsmässiger Kooperation und eidgenössischer Normierung im Hinblick auf die erforderliche Harmonisierung und Weiterentwicklung unseres Bildungswesens ermöglicht, 42 Forschungswesen Die gegenwärtige Lage des Forschungswesens in der Schweiz stellt uns, anders als diejenige des Bildungswesens, weniger vor Probleme der Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Kantonen als vielmehr vor die Frage, inwieweit der Bund die private Forschungstätigkeit fördern soll.

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Wir haben seit jeher die Auffassung vertreten, dass der Bund zur Forschungsförderung grundsätzlich auch ohne ausdrückliche Verfassungsgrundlage befugt sei, und Sie haben dieserAuffassung zugestimmt. In der Tatwird heute der grössere Teil der staatlich finanzierten Forschung vom Bund getragen; die Kantone fördern die Forschung--abgesehen von geringen Forschungsaktivitäten im Rahmen grösserer kantonaler oder städtischer Verwaltungen - durch die Finanzierung der für die Forschung notwendigen Grundausrüstung ihrer Hochschulen sowie weitgehend durch die Besoldung des Forschungspersonals. Die unbestrittene Kompetenz des Bundes zur Forschungsförderung sollte ausdrücklich in der Verfassung verankert werden. Es hätte dies die Meinung, dass der Bund zur Forschungsförderung nicht nur befugt, sondern grundsätzlich auch verpflichtet ist; die Forschungsförderung würde so ausdrücklich als Auftrag des Bundes anerkannt.

Es geht aber nicht nur darum, heute zu sanktionieren, was der Bund schon bisher zugunsten der Hochschulforschung und auch zugunsten der - vom öffentlichen Interesse gebotenen - Forschung innerhalb der Verwaltung und an eidgenössischen Instituten getan hat. Vielmehr hat die vorstehende Übersicht gezeigt, dass heute ein dringendes Bedürfnis nach stärkerem eidgenössischem Engagement auf dem Gebiet der nicht rein wissenschaftlich motivierten Forschungsförderung besteht. Wir anerkennen dieses Bedürfnis; dem Bund erwächst hier eine Aufgabe von zunehmender Bedeutung. Auch diese Aufgabe bedarf der Fixierung in der Verfassung; denn es wird hier das Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft berührt, welches seinerseits einen zentralen Gegenstand der Verfassungen moderner Industriestaaten ausmacht. Dem Bund ist also die Förderung der wissenschaftlichen Forschung aufzutragen, ohne Einschränkung nach der Motivierung oder nach dem Ort der Ausführung. Freilich heisst das nicht, dass der Bund damit sein Engagement auf sämtliche Sektoren der Forschungstätigkeit in unserem Lande auszudehnen hat ; vielmehr wird er dort direkt tätig werden, wo die kantonalen und die privaten Anstrengungen offensichtlich nicht genügen, 5 Die neuen Verfassungsartikel über Bildung und Forschung 51 Die Entstehung der Verfassungsartikel In unserem Bericht vom 27. September 1971 über das Volksbegehren für Schulkoordination haben
wir bereits die Notwendigkeit neuer Verfassungsartikel für Bildung und Forschung begründet und über die Vorarbeiten, die das Departement des Innern in Verbindung mit Experten und mit der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren durchgeführt hatte, orientiert. Mit diesen Revisionsbestrebungen entsprechen wir verschiedenen parlamentarischen Vorstössen: - Motion Müller-Luzern betreffend Revision von Artikel 27 der Bundesverfassung, - Motion Wenk betreffend Verfassungsgrundlage für das Bildungswesen, - Postulat Haller betreffend Vereinheitlichung der kantonalen Schulsysteme,

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- Postulat Meyer-Luzern betreffend interkantonale Koordination im Schulwesen, - Postulat Müller-Luzern betreffend Stipendiengesetz, - Postulat Krummenacher betreffend Stipendien und Studiendarlehen.

Der Inhalt des Vorentwurfes des Departements des Innern kann wie folgt zusammengefasst werden : Im Bildungsartikel war ein Absatz dem Bildungsziel gewidmet. Ausgehend vorn Grundsatz, wonach Bund und Kantone gemeinsam die Verantwortung für das Bildungswesen tragen, ordnete er die beidseitigen, ineinandergreifenden Zuständigkeiten. Eine generelle Förderungskompetenz des Bundes sollte dazu beitragen, dass Gestaltung und Ausbau der Schulen aller Stufen mit den Anforderungen der Zukunft und mit modernen bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen Schritt halten. Schliesslich setzte der Vorentwurf die Schulpflicht auf mindestens neun Jahre fest; während dieser Zeit hätte der Unterricht an öffentlichen Schulen unentgeltlich zu sein.

Durch den Forschungsartikel sollte dem Bund die Kompetenz eingeräumt werden, die wissenschaftliche Forschung zu fördern, soweit dies im allgemeinen Interesse des Landes geboten ist. Ferner wäre der Bund ermächtigt, eigene Forschungsstätten zu errichten.

Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf, über das wir uns ebenfalls bereits im Bericht zur Schulkoordinationsinitiative näher geäussert haben, erbrachte fast einhellige Zustimmung zur Absicht, eine neue Verfassungsgrundlage für Bildung und Forschung zu schaffen. Dagegen gingen die Meinungen zu verschiedenen Punkten des Vorentwurfes recht weit auseinander. Insbesondere waren zu folgenden Fragen abweichende Auffassungen festzustellen : - Soll dem Bildungsartikel eine Zielvorstellung vorangestellt werden ?

- Soll die Verfassung ein «Recht auf Bildung» als soziales Grundrecht statuieren ? Wäre dieses mit einem allgemeinen Diskriminierungsverbot zu verbinden ? Oder erscheinen die in Aussicht genommenen Massnahmen als genügend wirksam, um effektiv die angestrebte Chancengleichheit zu verwirklichen ?

- Hat die Kompetenz des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung alle Schulstufen zu erfassen, oder soll sie sich auf die Stufen nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit beschränken ?

- Soll die Berufsbildung ihre Verfassungsgrundlage weiterhin in den Wirtschaftsartikeln finden, oder ist diese in die Bildungsartikel zu integrieren ?
Auf wenig Kritik stiess der Vorentwurf zum Forschungsartikel. Hier waren nur folgende wesentlichen Punkte umstritten : - Soll sich die Förderung auf Forschungsvorhaben beschränken, die im allgemeinen Interesse des Landes liegen oder ist eine generelle Befugnis des Bundes zu statuieren ?

- Sollen einzelne Forschungsbereiche, in denen ein grosser Nachholbedarf besteht - namentlich die Bildungsforschung - ausdrücklich erwähnt werden ?

421 Diese wichtigen Probleme und weitere ebenfalls nicht unwesentliche Fragen verdienten eine sorgfältige Prüfung. Mit dieser Aufgabe wurde eine Expertenkommission beauftragt, die sich aus 32 Vertretern der Kantone, der Wirtschaft, der Wissenschaft, pädagogischer und kultureller Vereinigungen, des Komitees der Initiative für Schulkoordination und der Bundesverwaltung zusammensetzte.

Die Kommission wurde vom Vorsteher des Departements des Innern präsidiert; die Leitung einer juristischen Arbeitsgruppe übernahm Professor J.-F. Aubert (Neuenburg), Ausgehend vom Vorentwurf und in Würdigung der im Vernehmlassungsverfahren eingegangenen Vorschläge sowie zahlreicher Anregungen aus dem Kreis der Experten erarbeitete die Kommission einen ausgewogenen Vorschlag. Wir haben ihn im wesentlichen übernommen und dieser Botschaft zugrunde gelegt.

52 Erläuterungen zu den neuen Verfassungsartikeln Artikel 27 enthält die Bestimmungen mit Grundrechtscharakter (Recht auf Ausbildung, Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit an den öffentlichen Schulen, staatliche Kontrolle und Unentgeltlichkeit des öffentlichen Unterrichts während der obligatorischen Schulzeit); Artikel 27Ws regelt, ausgehend vom Grundsatz, dass das Bildungswesen eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen ist, die Kompetenzverteilung; Artikel 27iu»ter schafft die Rechtsgrundlage für die Förderung der Forschung durch den Bund. Die einzelnen Bestimmungen erläutern wir wie folgt: Artikel 27 1

Jeder Einwohner hat ein Recht auf eine seiner Eignung entsprechende Ausbildung.

Das Grundrecht auf Ausbildung bedeutet für das schweizerische Verfassungsrecht unter verschiedenen Gesichtspunkten ein Novum. In internationalen Vertragswerken und Erklärungen wie auch im ausländischen Verfassungsrecht ist es aber verbreitet. So ist es enthalten in der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen und im Ersten Zusatzprotokoll vom 20. März 1952 zur Europäischen Menschenrechtskonvention wie auch in verschiedenen Verfassungen west- und osteuropäischer Länder. In Lehre und Praxis wird diesen Gewährleistungen vor allem folgender Rechtsgehalt zuerkannt: das Verbot einer Diskriminierung in der Zulassung zur Bildung im allgemeinen oder zu bestimmten Bildungsstätten; das Verbot staatlichen Zwangs zu einer Ausbildung, die den Fähigkeiten und Neigungen des Individuums nicht entspricht; die Unentgeltlichkeit der Ausbildung, vor allem der Elementarbildung; gelegentlich auch die finanzielle Hilfe für Unbemittelte und die Gewährleistung adäquater Sonderbildung für Behinderte, Einige dieser Normen, aber nicht alle, sind in der Schweiz geltendes Recht. So ist jeglicher staatliche Zwang zur Absolvierung eines bestimmten, über den obligatorischen Unterricht hinausfuhrenden Bildungsganges ausgeschlossen, und zwar kraft Artikel 31 BV, wonach u. a. die Freiheit der BerufsBundcsblait. 124. Jahrg. Bd.I

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wähl und damit auch die Freiheit der Wahl einer bestimmten beruflichen Ausbildung gewährleistet ist, aber nach einer heute vertretenen Ansicht auch kraft eines ungeschriebenen Grundrechts auf eine allgemeine, d.h. nicht notwendig berufsorientierte, Ausbildungsfreiheit. Überdies ist der Primarunterricht unentgeltlich und obligatorisch (Art. 27 Abs. 2 BV). Unbemittelte erhalten für ihre Ausbildung staatliche Hilfe, wenn auch wie erwähnt noch nicht durchwegs in hinreichendem Umfang; noch nicht genügend ist die Zahl der Spezialschulen und -heime für Behinderte.

Wird daher ein Recht auf eignungsgemässe Ausbildung ausdrücklich in die Verfassung aufgenommen, so muss es zunächst jene schon geltenden Normen, darüber hinaus aber sinnvollerweise ein Mehr enthalten. So sollen mit ihm neu vor allem statuiert werden: - Ein umfassendes Diskriminierungsverbot, welches rechtliche Unterscheidungen nach Geschlecht, Rasse, Staats- und Kantonsangehörigkeit (so schon Art. 60 BV), sozialem Status u. a. ausschliesst. Eine Differenzierung nach dem Wohnsitz der Bildungswilligen wird den Kantonen hingegen nicht verwehrt werden können. Weil ein spezifisches Diskriminierungsverbot eine essentielle Ausprägung des neuen Grundrechts darstellt, erscheint es auch überflüssig, den Grundsatz ausdrücklich in der Verfassung zu nennen.

- Eine Verpflichtung des Staates zu hinreichender finanzieller Hilfe für sämtliche unbemittelten Begabten; vor allem wird das schweizerische Stipendienwesen insgesamt zu verbessern und in allen Kantonen auf eine vergleichbare Höhe gebracht werden müssen.

- Ein Anspruch der Behinderten auf adäquate Sonderausbildung; die gegenwärtigen Bildungsgänge und -institutionen werden auszubauen und zu differenzieren sein, - Schliesslich eine Verpflichtung der öffentlichen Hand, das Bildungswesen im Rahmen des Möglichen und nach Massgabe bildungspolitischer Richtlinien auszubauen.

Das Grundrecht auf eignungsgemässe Ausbildung verpflichtet somit - wie jedes Grundrecht des Leistungsstaates - in erster Linie den Gesetzgeber. Daneben ist es freilich auch Rechtsgrundlage für individuelle, prozessual verfolgbare Ansprüche. Das Recht auf eignungsgemässe Ausbildung ist als «verfassungsmässiges Recht» im Sinne von Artikel 113 Absatz l Ziffer 3 BV zu qualifizieren, dessen Verletzung mit staatsrechtlicher Beschwerde vor
Bundesgericht gerügt werden kann.

Allerdings ist das Grundrecht auf eignungsgemässe Ausbildung ebensowenig unbegrenzt wie irgendein anderes Grundrecht. Vor allem zwei Schranken sind zu ziehen: Einmal gelten individuelle Ansprüche auf Ausbildung nur nach Massgabe der individuellen Eignung. Die Frage, nach welchen Kriterien die Eignung zu bestimmen sei, ist heute Gegenstand intensiver bildungswissenschaftlicher Auseinandersetzungen ; es kann hier nicht näher darauf eingegangen werden. Zwei kurze Bemerkungen müssen genügen: Ein umfassendes Diskrimi-

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nierungsverbot, wie es im Anspruch auf eignungsgemässe Ausbildung enthalten ist, muss auch die Wahl der Kriterien für die Bestimmung der Fähigkeit beeinflussen. So sollte etwa bei der Beurteilung eher auf das potentielle Können als auf das aktuelle Wissen abgestellt werden, weil sonst Kinder aus den sogenannten «bildungsfernen Schichten» benachteiligt würden. Überdies wird jedes Urteil über die Eignung, und vor allem die darauf fussenden Ratschläge mit Zurückhaltung zu formulieren sein, in der Erkenntnis, dass «Eignung» nur zum Teil etwas biologisch Vorgegebenes, zu einem wesentlichen Teil aber etwas Heranzubildendes ist.

Sodann verpflichtet das Grundrecht auf eignungsgemässe Ausbildung den Staat keineswegs, dem Individuum jede beliebige Ausbildung zu gewähren.

Das Grundrecht verleiht vielmehr den geeigneten Bildungswilligen einen Anspruch auf Ausbildung im Rahmen des bestehenden Bildungssystems. Wie das Bildungssystem selbst ausgebaut und verändert werden soll, kann sich nicht nur nach den Wünschen der Bildungswilligen richten, sondern bestimmt sich auch nach den Bildungsbedürfnissen der Gesellschaft, d. h. nach dem Bedarf der Gesellschaft an Ausgebildeten. Eine völlige Missachtung gesellschaftlicher und ökonomischer Anforderungen an das Bildungssystem würde im Ergebnis die Ausführung zentraler Staatsaufgaben gefährden. Das Grundrecht auf eignungsgemässe Ausbildung wird somit auch keine Rechtsgrundlage für ein Verbot des Numerus clausus an irgendwelchen Bildungseinrichtungen abgeben können. Die Bildungsinstitute werden lediglich verpflichtet sein, befähigte Bildungswillige ohne Diskriminierung aufzunehmen, solange sie Platz haben.

Entsprechend kann aus dem Grundrecht auch nicht ein unbedingter Anspruch auf freie Wahl der Ausbildungsstätte, z. B. einer bestimmten Universität, abgeleitet werden. Gewiss ist alles zu unternehmen, damit in der Schweiz ein Numerus clausus vermieden werden kann; aber dies ist Aufgabe der Bildungspolitik und nicht des Verfassungsrechts.

Gegenstand des Grundrechts ist die «eignungsgemässe Ausbildung» und nicht etwa - wie es von verschiedenen Seiten vorgeschlagen wurde - die «Bildung». Die Vermittlung individueller Bildung stellt eine sehr viel umfassendere Aufgabe dar als die Gewährung einer «Ausbildung»; dem einzelnen zur «Bildung» zu verhelfen kann, wie schon in der
Einleitung zu dieser Botschaft erwähnt, nicht dem Staat aufgetragen werden. Die Weiterbildung, die in einer modern verstandenen Auslegung des Begriffes Ausbildung enthalten ist, ist ebenfalls Gegenstand des Grundrechts; ihrer nehmen sich heute, wie wir gezeigt haben, zu einem wesentlichen Teil private Organisationen an. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Staat (Bund und Kantone) seine Bemühungen auf diesem Gebiete nicht wesentlich zu verstärken hätte.

Subjekt des Grundrechts ist jeder Einwohner. Es wäre politisch und menschlich nicht vertretbar, den Kreis der Berechtigten auf Schweizer Bürger zu beschränken.

Die Gewährleistung eines Grundrechts auf eignungsgemässe Ausbildung stellt die adäquateste Formulierung des Gedankens dar, wonach dem Einzel-

424 nett eine optimale Ausbildung zu gewährleisten ist. Zum erstenmal wird damit in unsere Bundesverfassung ein Grundrecht aufgenommen, welchem wenigstens zum Teil der Charakter eines «Sozialrechtes» zukommt.

8 Die öffentlichen Schulen müssen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können.

Diese Bestimmung wird unverändert aus dem geltenden Artikel 27 übernommen. Zwar trifft es zu, dass Artikel 49 BV an sich ausreichen würde, um die Glaubens- und Gewissensfreiheit auch an Schulen zu gewährleisten. Wir halten dennoch an der Bestimmung fest, um zu unterstreichen, dass in diesem Bereiche keine Änderung gegenüber dem bisherigen Zustande eintreten soll.

Aus der gleichen Erwägung wurde auch der folgende Absatz 3 nur unwesentlich geändert: * Der Unterricht innerhalb der obligatorischen Schulzeit steht unter staatlicher Kontrolle. Er ist an den öffentlichen Schulen unentgeltlich.

Die geltende Verfassung spricht von «ausschliesslich staatlicher Leitung» des Primarunterrichts. Wir halten demgegenüber den Begriff «Kontrolle» als der staatlichen Funktion auf diesem Gebiete für angemessener. Materiell wird dadurch am bestehenden Zustand in bezug auf den Primarunterricht nichts geändert, hingegen entspricht die neue Formulierung auch einem im Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf von den verschiedensten Seiten geäusserten Wunsch. Neu ist, dass die staatliche Kontrolle von Bundes wegen nunmehr auf den Unterricht während der gesamten obligatorischen Schulzeit ausgedehnt wird, auch soweit er nicht mehr an einer Primarschule erfolgt. Die Regelung des Privatschulwesens bleibt unter Vorbehalt der erwähnten Kontrolle völlig den Kantonen anheimgestellt.

Im Unterschied zur geltenden Verfassung sieht die Revisionsvorlage die Unentgeltlichkeit nicht nur des Primarunterrichts, sondern des gesamten Unterrichts an den Öffentlichen Schulen während der obligatorischen Schulzeit vor.

Damit wird weniger ein Fortschritt eingeleitet als eine Entwicklung bestätigt: So wie 1874 die meisten Kantone bei Erlass des geltenden Artikels 27 BV den kostenlosen Primarunterricht eingeführt hatten, sind in den letzten Jahren fast sämtliche Kantone dazu übergegangen, die Unentgeltlichkeit auf alle Schulen, soweit deren Unterricht in die obligatorische Schulzeit
fällt, und vielerorts darüber hinaus auf die daran anschliessenden öffentlichen Schulen auszudehnen. Wenn die Verfassung von 1874 in Artikel 4 der Übergangsbestimmungen zur BV den Kantonen eine Frist von fünf Jahren zur Einführung des unentgeltlichen Primarunterrichts einräumte, so dürfte heute eine gleich lange Frist genügen, um den im neuen Artikel 27 enthaltenen Grundsatz überall zu verwirklichen.

Weiter gehende Anträge, nämlich jeden öffentlichen Unterricht, also auch den an höheren Mittelschulen und Hochschulen, als unentgeltlich zu erklären, haben wir im Rahmen der beantragten Verfassungsänderung nicht berücksichtigt. Die Entwicklung geht aber in dieser Richtung und soll von Bundes wegen

425 nicht behindert werden. Im übrigen wird es Aufgabe der aufgrund des nachstehend erläuterten Artikels 27blB Absätze 4 Buchstabe b und 5 zu erlassenden Bunj desgesetzgebung sein, dafür zu sorgen, dass niemand aus finanziellen Gründen auf eine seiner Eignung entsprechende Ausbildung verzichten muss. Wir erreichen mit gezielten Massnahmen zweifellos nicht weniger als mit einer allgemeinen Erklärung der Unentgeltlichkeit des Unterrichts.

Artikel 27"ls 1

Das Bildungswesen ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kantonen.

Bisher galt als Grundsatz der schweizerischen Bildungspolitik, dass die Kantone in Schulfragen souverän sind. Nunmehr soll das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Kantonen ausdrücklich in der Verfassung verankert werden. In Anlehnung an das oben (Ziff. 2) Ausgeführte ist festzuhalten, dass dadurch weitgehend ein gewordener Zustand sanktioniert wird: Die integrale Schulhoheit der Kantone bestand nie seit der Gründung des Bundesstaates, und die subsidiären Kompetenzen des Bundes erreichten einen immer grösseren Umfang. Die Bedeutung des in Artikel 27bls Absatz l formulierten Grundsatzes liegt vor allem darin, Bund und Kantone bewusst werden zu lassen, dass sie auf dem Gebiete des Bildungswesens eng zusammenzuarbeiten haben. Die Ausscheidung der Kompetenzen gemäss Artikel 27Ws Absatz 2 ff. und Artikel 27bls Absatz 6 wird durch die Aufstellung des Grundsatzes nicht berührt. Was Absatz l besagen will, ist, dass auch im Rahmen ihrer abgegrenzten Kompetenzen Bund und Kantone nicht aneinander vorbei wirken, sondern in gegenseitiger Fühlungnahme miteinander handeln sollen.

Auf Grund dieses Absatzes können Bund und Kantone gemeinsame Organe der Bildungspolitik schaffen. Wir erwähnen den von verschiedener Seite angeregten Bildungsrat. Solche Organe hätten allerdings nur konsultativen Charakter, da die Entscheide nach wie vor von den zuständigen politischen Behörden in Gemeinden, Kantonen und Bund gefällt werden müssen. Die Hauptverantwortung für das Bildungswesen soll auch künftig bei den Kantonen liegen. Es entspricht aber unserem föderativen Staatsgedanken, die Gemeinsamkeit der Aufgaben - die auch auf anderen Gebieten besteht (z.B.

Heimatschutz, Nationalstrassenbau, Raumplanung) - gerade im Bildungswesen ausdrücklich festzuhalten.

* Die Ausbildung vor und während der obligatorischen Schulzeit fällt in die Zuständigkeit der Kantone; Absatz 4 und Artikel 271»1111"!11168 Absatz l bleiben vorbehalten.

Die Kantone sorgen für eine Koordination ihres Bildungswesens.

Der Absatz geht von einem allgemeinen Konsens über die Notwendigkeit eines für jeden Einwohner obligatorischen Schulbesuchs aus.

Es erübrigt sich deshalb, die Verpflichtung der Kantone zu einem genügenden Primarunterricht im neuen Bildungsartikel zu wiederholen. Der Verfassungsgesetzgeber kann nunmehr voraussetzen, dass alle Kantone einen obliga-

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torischen und ausreichenden Primarunterricht vermitteln, dessen spezifische Bedürfnisse die einzelnen Kantone am besten kennen. Wenn sie für die Ausbildung während der obligatorischen Schulzeit - wie auch für die vorangehende Vorschulerziehung - als zuständig erklärt werden bzw. zuständig bleiben, ist Gewähr dafür geboten, dass sich die Schulen gemäss dem Willen ihrer Träger entwickeln. Die Kantone sind befugt, wo dies sachlich gerechtfertigt ist, einzelne Aufgaben an die nachgeordneten Gemeinwesen, Bezirke und Gemeinden zu delegieren.

Die Zuständigkeit der Kantone ist aber auch in diesem Bereich keine totale: Sie findet ihre Grenzen einerseits in den Bestimmungen des nachfolgenden Absatzes 4 (die dort erläutert werden) und in den Bestimmungen der Verfassung über den Turn- und Sportunterricht (Art. 274ulnaule3 BV), anderseits in der Verpflichtung zur interkantonalen Zusammenarbeit, ausgedrückt im Satz: «Die Kantone sorgen für eine Koordination ihres Bildungswesens.» In der Erkenntnis, dass eine wirksame Schulkoordination auch in einer Harmonisierung der Schulwirklichkeit und nicht nur in der Angleichung von Rechtsnormen bestehen muss, wurde dieser Satz gegenüber dem im Vorentwurf enthaltenen Text, der lediglich die Verpflichtung der Kantone zur Koordination des massgeblichen Rechts statuierte, abgeändert. Damit ist auch dem in Rechtskraft erwachsenen Konkordat über die Schulkoordination Rechnung getragen, dessen Ziele bekanntlich über eine Angleichung vorwiegend organisatorischer Belange hinausgehen.

Die Verpflichtung zur Koordination des Bildungswesens richtet sich als Auftrag an alle Kantone. Der Bund hätte jedenfalls die Möglichkeit, bei der Zumessung von Bundessubventionen (vgl. den nachstehenden Abs. 5) Zurückhaltung zu üben, falls Kantone offensichtlich koordinationswidrige Massnahmen treffen. Da aber die Koordination des Bildungswesens einem ausgewiesenen politischen Bedürfnis entspricht, ist zu erwarten, dass sich die Bestimmung günstig auswirken wird, auch wenn sie mit keinerlei Sanktionen verknüpft ist. In dieser Auffassung werden wir bestärkt durch die tatkräftigen Bemühungen der Erziehungsdirektorenkonferenz um eine Koordination des Schulwesens.

s

Der Bund regelt die Berufsbildung.

Bekanntlich waren im Vernehmlassungsverfahren die Ansichten geteilt, wo die Bundeskompetenzen auf dem Gebiet der Berufsbildung zu verankern seien. Während mehrheitlich ihre Integration in den Bildungsartikel gefordert wurde, sprachen sich die Arbeitgeberorganisationen entschieden für ihre Belassung in den Wirtschaftsartikeln (Art. 34ter Abs. l Bst. g) der Bundesverfassung aus. Auch in der Öffentlichkeit entspann sich eine rege Diskussion über diese Frage, die dadurch belastet wurde, dass die Meinung aufkam, eine Regelung der Berufsbildung im Rahmen der Bildungsartikel bedeute eine Abkehr vom heutigen System der betrieblichen Ausbildung (Meisterlehre) und gefährde die gegenwärtige Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen.

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Diese Ansicht entbehrt der Begründung: Ob die Bundeskompetenz in den Wirtschafts- oder Bildungsartikeln geregelt wird, ist rechtlich irrelevant, und es wird dadurch die Gestaltung der Berufsbildung nicht beeinflusst. Das System der betrieblichen Ausbildung, die ihre Ergänzung im Berufsschulunterricht findet, hat sich grundsätzlich bewährt und soll beibehalten werden. Dies schliesst Verbesserungen für die Zukunft nicht aus.

Die damit zusammenhängenden Fragen werden aber nicht durch die Verfassung geregelt, sondern durch die Ausführungsgesetzgebung, die nicht durch den Ort präjudiziert wird, an dem ihre verfassungsrechtliche Grundlage steht.

Wenn wir die Aufnahme der Berufsbildung in den Bildungsartikel 27bls vorschlagen, so deshalb, weil wir dadurch die Notwendigkeit einer Einheit unserer Bildungspolitik betonen und ferner unterstreichen möchten, dass die Berufsbildung einen gleichwertigen Platz neben allen ändern Ausbildungsrichtungen einnimmt und somit auch die gleiche Förderung verdient wie diese. Insbesondere soll dadurch der Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Zugang zur Berufsbildung, namentlich auch auf der höheren Stufe (höhere technische Lehranstalten), und die Verbindung zu anderen Bildungsgängen zu verbessern.

Im Unterschied zum bisherigen Artikel 34tcr Absatz l Buchstabe g BV, der die Zuständigkeit des Bundes darauf beschränkt, Vorschriften über die berufliche Ausbildung in Industrie, Gewerbe, Handel, Landwirtschaft und Hausdienst aufzustellen, soll seine Kompetenz im neuen Artikel 27blB wie schon oben unter Ziffer 25 erwähnt, eine umfassende sein. Damit wird vor allem erreicht, dass die Ausbildung in den seinerzeit bewusst ausgeklammerten Pflegeberufen erfasst wird, was auch im Vernehmlassungsverfahren alle Beteiligten als notwendigen Schritt bezeichneten.

Nicht inbegriffen ist die Ausbildung in den wissenschaftlichen Berufen: Soweit der Bund darüber Normen erlässt, wird er dies aufgrund seiner Befugnisse im Hochschulbereich (vgl. unten Abs. 4 Est. b und c) tun. Was die Ausübung dieser Berufsarten anbelangt, so gelten weiterhin Artikel 33 BV und Artikel 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung, Unter der Berufsausbildung im Sinne dieses Absatzes sollen sowohl die Grundausbildung (Lehre) wie die Fortbildung (Vertiefung erworbener Kenntnisse) und Weiterbildung (anschliessende
Ausbildung mit dem Ziel eines Aufstiegs in eine höhere Berufskategorie) verstanden werden. Auf die Gestaltung der innerbetrieblichen Weiterbildung wird der Bund keinen direkten Einfluss nehmen.

Seine Massnahmen wird der Bund immer in engem Kontakt mit den Kantonen und der Wirtschaft treffen. Dieser heute in Artikel 32 Absätze 2 und 3 BV niedergelegte Grundsatz wurde in den Absatz 6 des neuen Artikels 27Ms übernommen. Dadurch wird einerseits die Rücksichtnahme auf regionale Gegebenheiten, anderseits die Praxisbezogenheit der Berufsbildung gewährleistet.

Wie bisher können Kantone und Wirtschaft zum Vollzug der Bundesvorschriften herangezogen werden.

428 4

Der Bund ist überdies befugt, a. die Dauer des obligatorischen Unterrichts festzulegen; b. Grundsätze für Gestaltung und Ausbau des Mittelsclralwesens, des höheren Bildungswesens und der Erwachsenenbildung sowie für die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen aufzustellen; c. höhere Unterrichtsanstalten zu errichten und ganz oder teilweise zu übernehmen sowie d. die Koordinationsbestrebungen der Kantone zu fördern.

Zu a. Im Vernehmlassungsverfahren war der Vorschlag, eine obligatorische Schulzeit von neun Jahren in der Verfassung zu verankern, mehrheitlich auf Ablehnung gestossen, nicht weil diese Dauer als solche keine Zustimmung gefunden hätte - ihre Einführung ist auch eines der erklärten Ziele des Schulkonkordats - sondern weil man davon absehen wollte, eine Grosse, die von wandelbaren pädagogischen und soziologischen Erkenntnissen und politischen Gegebenheiten abhängt, ein für allemal auf der Verfassungsstufe zu fixieren.

Unbestritten war, dass im Interesse der Koordination die Schulzeit nach Möglichkeit im ganzen Lande die gleiche sein sollte. Wäre eine Angleichung über den Konkordatsweg nicht zu erreichen, so hätte der Bund die Befugnis, eine solche von sich aus einzuführen, wobei jedoch lediglich Vorschriften über die Mindestdauer der Schulpflicht in Frage kommen könnten.

Die gewählte Formulierung gibt dem Bunde die Möglichkeit, wenn sich dies als nötig erweisen sollte, nicht nur die Anzahl Schuljahre, sondern auch die Anzahl Schulwochen im Jahr festzulegen. Diese Regelung, die auch im Schulkonkordat gewählt wurde, entspricht der im Vernehmlassungsverfahren häufig geäusserten Meinung, dass die Festlegung einer Anzahl Schuljahre ohne grosse Wirkung bliebe, wenn nicht auch Bestimmungen über die Dauer des in diesen Jahren zu vermittelnden Unterrichts in Geltung wären.

Zu b. Aus der Formulierung dieses Buchstabens geht hervor, dass die Befugnisse des Bundes in den darin erwähnten Bereichen wesentlich anders geordnet sind als jene auf dem Gebiete der Berufsbildung. Während der Bund im Berufsbildungswesen eine abschliessende Normsetzungskompetenz besitzt, die sich auch auf die Regelung von Detailfragen erstrecken kann, erhält er auf den im vorliegenden Buchstaben b erwähnten Gebieten lediglich die Befugnis, Grundsätze aufzustellen, deren Konkretisierung dann durch die nachgeordneten Gemeinwesen
zu erfolgen hat. Angesichts der Heterogenität der einzelnen unter diesen Buchstaben behandelten Bereiche entspricht dies dem Prinzip der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Kantonen, Zu den einzelnen unter Buchstabe b erwähnten Bereichen ist folgendes auszuführen: Mittelschulwesen: mit der Wahl des neutralen Begriffs der Mittelschule möchten wir vermeiden, bestehende Schultypen, deren Modifizierung sich in Zukunft aufdrängen könnte, durch die namentliche Nennung in der Verfassung gewissermassen zu verewigen. Mittelschulen im Sinne dieser Bestimmung

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sind alle zwischen der Elementar- und der Hochschule liegenden Schulen.

Neben denjenigen, die auf die Maturität vorbereiten und den Lehrerbildungsanstalten entstanden in den letzten Jahren Berufsmittelschulen (die der Bundesgesetzgebung über die Berufsbildung unterstehen); zur Diskussion stehen heute auch nicht bis zur Maturität führende Schulen für mittlere Kader. Noch ist die Entwicklung auf diesem Gebiet nicht voll überblickbar. Die Bundeskompetenz wird es erleichtern, im gesamtschweizerischen Rahmen ein den Bedürfnissen angemessenes Bildungsangebot zu gestalten.

Die Mittelschulen reichen mit ihren untern Klassen in allen Kantonen in den Bereich der obligatorischen Schulzeit hinein. Es versteht sich, dass sich die Befugnis des Bundes zur Grundsatzgesetzgebung auch auf diese Stufe erstrekken muss. Aus praktischen und grundsätzlichen Erwägungen wird aber die Einschränkung der kantonalen Zuständigkeit möglichst gering bleiben und sich auf das Notwendigste beziehen.

Mit dem Einbezug der Lehrerbildung in die Grundsatznormierungskompetenz des Bundes entsprechen wir einem Begehren der Initiative für Schulkoordination, das angesichts der grossen gemeinsamen Aufgaben, die der Kantone auf diesem Gebiete harren, auch von den kantonalen Erziehungsdirektoren befürwortet wird.

In Anbetracht der Komplexität des ganzen Mittelschulwesens kann der Bund nicht in nächster Zukunft über alle Teilbereiche Bestimmungen erlassen.

Vordringlich wird sein, die heute auf der schmalen Rechtsgrundlage der Gesetzgebung über die Medizinalberufe beruhende Maturitätsordnung in einer Art zu verankern, die es erlaubt, die Maturität auch rechtens nicht mehr nur als Zulassungsausweis zum Medizinstudium zu betrachten. Im übrigen werden Fragen der gegenseitigen Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Schulen dieses Bereichs den Gesetzgeber im Bund und in den Kantonen beschäftigen.

Wir verweisen hiezu auch auf unsere Ausführungen unter Ziffer 6 dieser Botschaft (Ausführungsgesetzgebung).

Höheres Bildungs-wesen: Auch hier wurde im Bestreben, keine künftige Entwicklung zu verbauen, der umfassende Begriff «Höheres Bildungswesen» gewählt. Darunter fallen die Technischen Hochschulen des Bundes und die Universitäten, sowohl mit ihrer Grundausbildung wie auch mit den immer wichtiger werdenden Nachdiplomstudien. Die heutige Bildungspolitik
muss aber im Zusammenhang mit der Gestaltung und dem Ausbau der Hochschulen auch die Bedürfnisse und Möglichkeiten der höheren Fachschulen (höhere technische Lehranstalten, höhere kaufmännische und Verwaltungsschulen) berücksichtigen. Eine vernünftige Aufgabenteilung zwischen den beiden Arten von Bildungsstätten ist eines der wichtigsten Probleme der nahen Zukunft. Die Befugnis zur Regelung der Berufsbildung und zum Erlass von Grundsätzen im gesamten Bereich des mittleren und höheren Bildungswesens erlauben dem Bund, auf diesen Ausbildungsstufen gestaltend und koordinierend einzugreifen.

Erwachsenenbildung: Wie oben erwähnt, wird der Bund, wenn er Bestimmungen über die berufliche Fort- und Weiterbildung Erwachsener erlässt, dies

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auf Grund des Absatzes 3 von Artikel 27Ms tun. In die nichtberufsbezogene, allgemeine Erwachsenenbildung hat der Bund bisher nicht eingegriffen. Die Befugnis, Grundsätze aufzustellen für die Gestaltung und den Ausbau dieses Bildungsbereiches, soll so verstanden werden, dass der Bund - in Ergänzung und allenfalls zur Unterstützung einschlägiger kantonaler Massnahmen - Bestimmungen zur Förderung der Erwachsenenbildung erlassen kann. In den entsprechenden Regelungen wären nicht nur die durch den Bund zu fördernden Veranstaltungen bzw. Massnahmen zu umschreiben, sondern auch gewisse Mindestanforderungen, die diese erfüllen müssen, festzulegen. Dabei sollen die traditionelle Eigenständigkeit, die unterschiedliche Prägung, Arbeitsweise und Zielsetzung der verschiedenen Trägerorganisationen der Erwachsenenbildung voll berücksichtigt werden.

Im Sinne verschiedener parlamentarischer Vorstösse würde es die vorgeschlagene Bundeskompetenz dem Bund ferner ermöglichen, Einfluss zu nehmen auf das Fernunterrichtswesen, indem auch hier gewisse Mindestanforderungen vorgeschrieben werden könnten.

Ausbildungsbeihitfen: Unter diesen werden Stipendien, Ausbildungsdarlehen, aber auch allenfalls weitere finanzielle Leistungen (Übernahme von Schulgeldern, Transportkosten) verstanden. Die hier verankerte Bundesbefugnis, zusammen mit der im folgenden Absatz 5 genannten Förderungskompetenz, geht über den heute durch Artikel 27«uater Absatz l BV gestalteten Zustand hinaus.

Der Bund wird nun in die Lage versetzt, Grundsätze über das Stipendienwesen aufzustellen und damit einen Beitrag zur Verbesserung und Angleichung der bestehenden Regelungen zu leisten.

Zu c. Die unter diesem Buchstaben geregelte Befugnis des Bundes entspricht weitgehend der heute in Artikel 27 Absatz l BV festgelegten Zuständigkeit. Nicht mehr ausdrücklich erwähnt sind die Technischen Hochschulen, in der Meinung, dass ihre Weiterführung und ihr Ausbau durch den Bund sich aus der allgemeinen Kompetenz ergebe, solche Unterrichtsanstalten zu errichten.

Der Sammelbegriff «Höhere Unterrichtsanstalten» umfasst, wie schon erwähnt, in erster Linie die Hochschulen. Es erübrigt sich deshalb, sie namentlich zu erwähnen. Aus der bisherigen Befugnis, solche Anstalten zu errichten, leitete der Bund das Recht ab, die Technische Hochschule der Universität Lausanne zu
übernehmen. Die Befugnis, höhere Unterrichtsanstalten zu übernehmen, soll nunmehr ausdrücklich verankert werden. Wenn auch von einer teilweisen Übernahme die Rede ist, so deshalb, weil es sich möglicherweise aufdrängen könnte, die Kantone von gewissen besonders aufwendigen Fakultäten oder Lehrbereichen zu entlasten.

Die Befugnis des Bundes, bestehende Anstalten zu unterstützen, wurde nicht mehr gesondert aufgeführt, sondern ergibt sich neu aus der im nachstehenden Absatz 5 begründeten generellen Förderungskompetenz für alle Bereiche des Bildungswesens.

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Zu d. Es ist nicht zu verkennen, dass der Schulkoordination emotionale Gründe entgegenstehen, die nicht gering zu achten sind und die oft Zeugnis ablegen von einer tiefen Verbundenheit des Volkes mit seiner Schule. Davon abgesehen, sind es aber vielfach auch finanzielle Erwägungen, die eine Koordination erschweren. Seitens der Kantone wurde deshalb immer betont, dass die Wirksamkeit des Schulkonkordats ungenügend bleibe, wenn seine Mitglieder nicht in die Lage versetzt werden, den verpflichtenden Bestimmungen und den Empfehlungen des Konkordats nachzukommen.

Der Bund wird die ihm unter diesem Buchstaben d eingeräumte Befugnis als Auftrag wahrnehmen müssen, den Koordinationswillen der Kantone zu fördern. Er wird sich dabei nicht auf die Unterstützung gesamtschweizerischer Koordinationsmassnahmen beschränken, sondern auch regionale Bestrebungen fördern. Dabei besteht nicht die Meinung, dass der Bund Schritte der Kantone abwarten muss, bis er fördernd eingreifen kann. Er soll im Gegenteil von sich aus Koordinationsmassnahmen anregen können und bei der Gestaltung interkantonaler Vereinbarungen mitwirken.

5 Der Bund kann an die Aufwendungen der Kantone für das Bildungswesen und für Ausbildungsbeihilfen Beiträge leisten. Er kann auch selbst Ausbildungsbeihilfen gewähren.

Die Formulierung des Vorentwurfs, die dem Bund die Möglichkeit einräumte, Bundesbeiträge an die Bedingung zu knüpfen, dass die Kantone Koordination und Freizügigkeit sowie den Zugang zu den Hochschulen sicherstellen, stiess im Vernehmlassungsverfahren auf Kritik. Man sah darin eine Ausdehnung der Bundeskompetenzen auch auf jenen Bereich, der ausdrücklich kantonaler Hoheit unterstellt bleiben soll, und die Hochschulkantone wiesen darauf hin, dass sie überfordert wären, wenn ihnen allein die Gewährleistung des Zugangs zu den Hochschulen obläge.

Die vorgelegte Fassung nennt diese Subventionsbedingungen nicht mehr.

Die Freizügigkeit ist im Rahmen des Rechts auf Ausbildung gewährleistet. Für den Bereich der obligatorischen Schulzeit besteht die Koordinationsverpflichtung gemäss Absatz 2. In der Berufsbildung und in den von Absatz 4 erfassten Bereichen wird die Rechtsetzung des Bundes eine koordinierende Wirkung haben. Im übrigen versteht sich, dass auch die nach Absatz 5 auszurichtenden Beiträge an gewisse Bedingungen im Sinne der Koordination geknüpft werden.

Diese zu konkretisieren ist Sache der Gesetzgebung, bei der die Kantone mitwirken.

Der vorliegende Absatz ersetzt die bisher in den Artikeln 27 Absatz l, 27bis und 27iuater enthaltenen Förderungsbestimmungen, die dadurch formell an einer Stelle zusammengefasst werden. Die materielle Neuerung besteht darin, dass der Bund in Zukunft grundsätzlich alle Bereiche des Bildungswesens finanziell unterstützen kann, wobei es im Rahmen eines Gemeinschaftswerkes eine sachgerechte und funktioneile Aufteilung der Verantwortungsbereiche nach Massgabe der Leistungskraft und der Einwirkungsmöglichkeiten der verschiedenen Träger des Bildungswesens zu verwirklichen gilt.

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Im Stipendienwesen wird die Hauptverantwortung weiterhin bei den Kantonen liegen. Der Bund muss aber ausreichende Leistungen erbringen, damit auch die finanzschwachen Kantone in die Lage versetzt werden, Stipendien auszurichten, die die Ausbildungskosten - zusammen mit den zumutbaren Leistungen des Auszubildenden - tatsächlich decken.

In Abweichung vom geltenden Artikel 27iu*tet Absatz 2 soll der Bund entsprechend den von verschiedener Seite geäusserten Wünschen auch selbst Ausbildungsbeihilfen gewähren können. Zu denken ist vor allem an Nachwuchsstipendien für qualifizierte Anwärter auf eine akademische Laufbahn und für zukünftige Lehrkräfte anspruchsvoller Spezialgebiete anderer Bildungsstufen.

Wir prüfen aber auch die Schaffung einer in mehreren parlamentarischen Vorstössen angeregten eidgenössischen Darlehenskasse zur Ausbildungsfinanzierung in jenen Fällen, wo kein kantonales Stipendium ausgerichtet wird und doch ein berechtigtes Bedürfnis für eine wenigstens vorübergehende Hilfe besteht.

Die in Absatz 5 begründete allgemeine Förderungskompetenz des Bundes soll auf lange Sicht genügend Entwicklungsmöglichkeiten offenhalten. Es ist nicht zu erwarten, dass sie in naher Zukunft ihre Konkretisierung in allen Bereichen erfahren wird.

Die Aufwendungen für das Bildungswesen, die einen beträchtlichen Teil der öffentlichen Mittel beanspruchen, müssen in den kommenden Jahren noch erhöht werden. Der Bund wird aber - wie auch Kantone und Gemeinden - strikte das bloss Wünschbare vom Dringlichen trennen und seine Beiträge der eigenen Finanzkraft anpassen müssen.

Die weitmaschige Fassung des Absatzes gibt dem Bundesgesetzgeber den notwendigen Spielraum, jeweils zeitgemässe Förderungsmassnahmen zu beschliessen. Wie diese aussehen werden, kann heute noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Die neue Verfassungsbestimmung hat keine direkten finanziellen Auswirkungen. Erst die Ausführungsgesetzgebung kann Mehraufwendungen zur Folge haben.

6 Die Kantone sind zur Vorbereitung und zürn Vollzug von Ausführungserlassen beizuziehen. Im Bereich der Berufsbildung sind die zuständigen Organisationen der Wirtschaft vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören. Sie können beim Vollzug der Ausführungsvorschriften zur Mitwirkung herangezogen werden.

Dem Absatz liegen zwei Gedanken zugrunde: Einmal soll die Schlüsselstellung der Kantone im Bildungswesen dadurch unterstrichen werden, dass sie in jeder Phase der Rechtssetzung des Bundes nicht nur angehört, sondern beigezogen und in der Regel mit dem Vollzug eidgenössischer Erlasse betraut werden.

Der Bundesrat ist gewillt, auch die pädagogischen und kulturellen Vereinigungen und Institutionen sowie weitere am Bildungswesen interessierte Kreise bei der Vorbereitung von Ausführungsbestimmungen zur Vernehmlassung einzuladen.

Ihre Mitwirkung hat konsultativen Charakter, während den Kantonen ein gestaltender Einfluss zusteht. Dies soll durch die vorgelegte Formulierung der Bestimmung zum Ausdruck kommen.

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Sodann ging es darum, den heute in Artikel 32 Absatz 3 BV enthaltenen Anspruch der Wirtschaft auf Anhörung bei der Rechtssetzung im Berufsbildungswesen zu Übernehmen, da dieses nun nicht mehr im Rahmen der Wirtschaftsartikel geregelt werden soll. Materiell ändert sich nichts; auch die Verpflichtung, beim Vollzug mitzuwirken, bleibt unverändert.

Die Bildungsartikel 27 und 27tolB BV erfuhren in redaktioneller und materieller Beziehung eine wesentliche Umgestaltung gegenüber dem Vorentwurf vom Frühling 1971. Am augenfälligsten ist der Wegfall einer Zielvorstellung oder Zweckbestimmung des Bildungswesens. Die mit der Ausarbeitung des vorliegenden Entwurfs betraute Kommission musste sich überzeugen lassen - und wir schliessen uns dieser Auffassung an - dass es nicht möglich sei, in wenigen Zeilen eine aussagekräftige, nicht zu enge, aber auch nicht allzusehr verallgemeinernde Zielvorstellung zu formulieren. Bestimmungen bloss deklamatorischer Art sind unserer Verfassung fremd. Würde sich aber an die Zielvorstellung eine positive Rechtswirkung knüpfen, so wären Auslegungsschwierigkeiten unvermeidlich.

Wir halten es deshalb für richtig, in der Verfassung auf die Nennung von Zielen zu verzichten und diese wie bis anhin den kantonalen Schulgesetzen zu überlassen, in der Überzeugung, dass sie dort formuliert werden sollten, wo die Schulwirklichkeit gestaltet wird.

Die Gewährleistung der Untemchtsfreiheit - der Freiheit zu lehren und zu lernen - in der Bundesverfassung scheint uns keiner Notwendigkeit zu entsprechen. Sie ist in verschiedenen kantonalen Verfassungen verankert. Zu erwähnen ist, dass die Lehrkräfte aller Stufen in unserm Lande traditionell über eine weitgehende Methodenfreiheit verfugen. Die Freiheit in der Wahl des zu vermittelnden Stoffes findet ihre Schranken nur in den Lehrplänen bzw. im Lehrauftrag der Lehrer. Gegen willkürliche Beeinträchtigungen dieser Lehrfreiheit durch Schulbehörden bietet Artikel 4 BV einen genügenden Schutz. Die Lernfreiheit - das Recht, Lernstoff und Lehrerpersönlichkeit frei auszuwählen - ist ein unabdingbares Recht der mündigen in der Ausbildung stehenden Person. Diese Freiheit als Individualrecht der Schüler auf alle Bereiche der Schule auszudehnen, geht aber aus praktischen und rechtlichen Erwägungen nicht an.

Eine Kompetenz des Bundes zur Regelung und
Förderung der Schweizerschulen im Ausland in den Bildungsartikel aufzunehmen, wie es in einem im Vernehmlassungsverfahren geäusserten Vorschlag gewünscht wurde, erübrigt sich, da der Bund auf Grund des Auslandschweizerartikels 451)lB BV bereits heute über die in diesem Bereiche notwendigen Befugnisse verfügt, Artikel 27<«ater 1 Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung.

Mit diesem Absatz wird dem Bund eine umfassende verfassungsmässige Kompetenz für die Forschungsförderung gegeben. Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf des Departements des Innern hat gezeigt, dass eine Mehrheit möglichst von Einschränkungen dieser Befugnis absehen möchte.

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Die vorgesehene Bestimmung wird es dem Bunde gestatten, in allen Bereichen der Forschungsförderung, von der Grundlagenforschung bis zur industrienahen Forschung, unterstützend einzugreifen. Zu Recht wird gefordert, dass der Bund eine grundsätzliche Forschungspolitik formulieren soll. Dies ist aber nur sinnvoll, wenn er über entsprechende Kompetenzen verfügt.

Die Bundeshilfe an die Forschung darf sich nicht auf Projekte, die einen unmittelbaren praktischen Nutzen versprechen, beschränken. Ein hochentwikkeltes Land wie die Schweiz muss in Erfüllung seiner kulturellen Verpflichtungen auch zur Erweiterung der grundlegenden menschlichen Erkenntnisse beitragen. Dementsprechend soll dieser neue Absatz die schon mehrfach geforderte verfassungsrechtliche Basis für die Subventionierung des Schweizerischen Nationalfonds liefern, dem die Förderung der Grundlagenforschung obliegt.

Selbstverständlich wird im Rahmen der Forschungsförderungsmassnahmen des Bundes die Forschungsfreiheit der Wissenschafter zu wahren sein. Es kann aber offensichtlich nicht darum gehen, dass der Bund eine Verpflichtung hätte, jedes noch so teure Forschungsvorhaben zu finanzieren, selbst wenn seine hervorragende wissenschaftliche Qualität nachgewiesen ist. Der Bund muss bei seinen Förderungsmassnahmen auf eine rationelle Verwendung der beschränkt verfügbaren Mittel achten. Somit werden neben der wissenschaftlichen Qualität noch weitere Kriterien für die Auswahl der zu unterstützenden Forschungsprojekte festzulegen sein. An der Lösung dieser Aufgabe werden alle interessierten Kreise mitzuwirken haben.

Zur Forschungsförderung gehört auch die Unterstützung der Hilfsdienste, die für eine rationelle moderne Forschung unerlässlich sind, wie z. B. Dokumentations- und Informationsdienste oder Datenverarbeitungsnetze und leistungsfähige Rechenzentren. Deshalb erweist es sich als überflüssig, die Förderung der wissenschaftlichen Dokumentation und Information ausdrücklich in die Verfassung aufzunehmen.

Ferner sehen wir davon ab, einzelne besonders aktuelle oder wichtige Forschungsgebiete, wie etwa die Bildungsforschung, als Gegenstand der Forschungsförderung ausdrücklich zu nennen. Eine solche Aufzählung wäre willkürlich und unvollständig. Zudem verursacht der heutige rasche wissenschaftliche und technische Fortschritt oft schon in relativ
kurzer Zeit eine Verlagerung der Interessen. Verfassungsbestimmungen müssen auf längere Sicht formuliert werden und können nicht schnellen Meinungswechseln folgen.

Die Befugnis für die Forschungsförderung enthält auch die Kompetenz zur Anerkennung und Unterstützung der wissenschaftlichen Dachgesellschaften, die für den Bund wertvolle forschungspolitische Dienste leisten.

2 Er ist befugt, Forschungsstätten zu errichten und ganz oder teilweise zu übernehmen.

Die Formulierung dieser Befugnis entspricht derjenigen für die Errichtung und Übernahme höherer Unterrichtsanstalten in Artikel 27bl8 Absatz 4 Buch-

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stabe e. Die so definierte Kompetenz soll eigene Initiativen des Bundes erlauben, falls Forschungseinrichtungen im gesamtschweizerischen Interesse geschaffen werden müssen. Sie wird besonders dann genützt werden, wenn ein wichtiges Interesse des Bundes an den Diensten eines Forschungszentrums vorliegt, das an den Hochschulen nicht geschaffen werden kann. Keineswegs soll also die Einheit von Forschung und Lehre an unseren Hochschulen angetastet werden. Reine Forschungsstätten entbehren der wichtigen Verbindung mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs und kommen deshalb nach einer gewissen Zeit in Gefahr, ihre Lebendigkeit und Initiative zu verlieren. Wenn immer möglich müssen auch in Zukunft neue Forschungseinrichtungen in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Hochschulen errichtet werden, und von Anfang an ist für einen engen Kontakt mit höheren Unterrichtsanstalten zu sorgen. Im Falle anwendungsorientierter Forschungen ist eine enge Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu pflegen.

Von der Befugnis, Forschungsstätten ganz oder teilweise zu übernehmen, wird nur ausnahmsweise, sofern besondere Umstände einen solchen Schritt erfordern, Gebrauch gemacht werden, und zwar nur im Einvernehmen mit dem bisherigen Träger.

Die Einrichtung bundeseigener Forschungsstätten wirft auch organisatorische Probleme auf. Bis jetzt hat man für das Statut und den administrativen Aufbau der wenigen Laboratorien, die ausserhalb der Universitäten für Forschungsaufgaben im nationalen Interesse gegründet wurden, jeweils besondere Lösungen gesucht. Dieses Vorgehen vermag auf die Dauer nicht zu befriedigen. Zudem birgt es die Gefahr der Isolierung der neuen Institutionen in sich.

Der Schweizerische Wissenschaftsrat hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit der Aufgabe, Vorschläge für eine allgemeine Regelung der Zuordnung und der Organisation solcher Forschungsstätten zu formulieren. Sobald diese Unterlagen vorliegen, werden wir prüfen, ob entsprechende Bestimmungen in die Ausführungsgesetzgebung zu diesem Artikel eingebaut werden können.

6 Die Ausführungsgesetzgebung Es kann nicht Aufgabe dieser Botschaft sein, ein Programm für die Ausführungsgesetzgebung darzulegen oder gar zu ihrem materiellen Inhalt Stellung zu nehmen. Bevor Gesetzesvorlagen ausgearbeitet werden, müssen die neuen Verfassungsartikel in ihrer definitiven Fassung vorliegen und von Volk und Ständen angenommen sein. Doch richtet sich bei den meisten Verfassungsrevisionen das Interesse sehr rasch auf die Ausführungsgesetzgebung, weil erst mit ihr die erwarteten Wirkungen eintreten. Von den vorgeschlagenen neuen Artikeln über Bildung und Forschung wird nur die Bestimmung von Artikel 27 Absatz l, die jedem Einwohner ein Recht auf eine seiner Eignung entsprechende Ausbildung gewährleistet, unmittelbare Auswirkungen haben.

Immerhin wird auch für dieses Grundrecht die Ausführungsgesetzgebung zu den Bildungsartikeln eine wesentliche Rolle spielen. Das Recht auf Ausbildung

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kann nämlich nur durchgesetzt werden im Rahmen des vorhandenen Bildungssystems. Somit ist der Ausbau der Bildungseinrichtungen eine Voraussetzung für die volle Wirksamkeit des Grundrechts.

Wir haben bereits bei der Darstellung der gegenwärtigen Lage unseres Schulwesens (Ziff. 2) und bei der Kommentierung der Revisionsvorlage (Ziff. 52) auf Bedürfnisse nach Neuordnungen im Bildungswesen hingewiesen. Auch in diesem Abschnitt kann und soll kein vollständiger Überblick über die zu erwartende Gesetzgebung gegeben werden. Die Verfassungsartikel sind so redigiert, dass sie dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum lassen ; sie wurden nicht im Hinblick auf die Lösung bestimmter, vordringlicher Aufgaben konzipiert. Die Artikel sollen auf weite Sicht den systematischen Aufbau unseres Bildungswesens sowie der Forschungsförderung ermöglichen.

Im Interesse der Schüler muss im Bildungswesen eine genügende Konstanz herrschen; häufiger Wechsel der Strukturen oder der Methoden sowie übereilte Gesetzesänderungen würden die solide Ausbildung der jungen Generation beeinträchtigen. Die Ausführungsgesetzgebung muss daher gründlich und systematisch vorbereitet werden. In Verbindung mit den Kantonen werden wir nach Annahme der Verfassungsartikel eine Prioritätsordnung aufstellen. Da in Zukunft das Bildungswesen in der Verantwortung von Bund und Kantonen liegen wird, dürfte sich die Einsetzung eines gemeinsamen Bildungsrates aufdrängen. Er hätte auch bei der Beratung der Ausführungsgesetze eine massgebende Rolle zu spielen. Dass mit den Organisationen der Wirtschaft, mit kulturellen und pädagogischen Vereinigungen sowie mit weiteren fachkundigen und interessierten Kreisen ebenfalls Fühlung genommen wird, ist selbstverständlich.

Die künftige Gesetzgebung wird von den Erfahrungen ausgehen müssen.

Recht bald werden daher neue Regelungen aufgestellt werden können, um Ordnungen abzulösen, die sich als ungenügend erwiesen haben, die aber wegen bisher fehlender verfassungsrechtlicher Kompetenzen des Bundes nicht geändert werden konnten.

Das Bundesgesetz über die Förderung der kantonalen Hochschulen hat den Charakter eines Subventionsgesetzes, weil der geltende Artikel 27 BV nur die Unterstützung der Universitäten ermöglicht. Diese Regelung erleichtert zweifellos den Ausbau der kantonalen Hochschulen; auch kann durch
Subventionsbedingungen die Koordination verstärkt werden. Als Mangel wird empfunden, dass die für die schweizerische Hochschulpolitik verantwortlichen Organe kaum wirksame Initiativen ergreifen können. Sie müssen die Vorschläge der Hochschulkantone abwarten und anschliessend die Bewilligung von Bundesbeiträgen befürworten oder negativ beurteilen. Dieses reaktive Handeln erscheint als ungenügend, weil Lücken in unseren Lehr- und Forschungseinrichtungen vom gesamtschweizerischen Standpunkt aus besser erkannt werden können als durch die Kantone. Heute stösst man auf Schwierigkeiten, wenn neue Lehr- und Forschungszweige eingeführt werden sollten, die wichtig sind, um unserem Lande eine günstige Position im wissenschaftlichen Wettbewerb zu erhalten und um unseren Nachwuchs in modernen Disziplinen gut auszubilden. Diese schwerwiegen-

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den Mängel können aufgrund des vorgeschlagenen Verfassungsartikels behoben werden, da der Bund die Befugnis erhalten soll, eine Grundsatzgesetzgebung für das höhere Bildungswesen aufzustellen. Der Bund könnte die wesentlichen Grundsätze festlegen, die für eine auf die künftigen Bedürfnisse des Landes ausgerichtete Hochschulpolitik unerlässlich sind. Er hätte nicht nur die Koordination unter den Hochschulen sicherzustellen, sondern auch deren Ausbau, soweit er im allgemeinen Interesse erforderlich ist. Mit der Ordnungsbefugnis wird eine erhöhte Bundeshilfe parallel gehen müssen. In diesem Rahmen würden die Kantone die Verantwortung für ihre Hochschulen behalten, somit beispielsweise auch Bestimmungen über Organisation und Unterrichtsgestaltung erlassen können.

Die Maturitäts-Anerkennungsverordnung des Bundes hat zu einer Hebung des Niveaus unserer Gymnasien geführt, und sie hat auch eine weitgehende Koordination erreicht, wie sie auf anderen Sektoren unseres Schulwesens erst angestrebt wird. Eine offensichtliche Schwäche der Regelung liegt in ihrer rechtlichen Abstützung auf die Medizinalgesetzgebung. Bei der Aufstellung der MaturitätsAnerkennungsverordnung und bei ihrer Anwendung in der Praxis haben zwar die zuständigen Instanzen sich stets bemüht, dafür zu sorgen, dass die Maturität eine gute Grundlage für alle Hochschulstudien bietet; das Maturitätszeugnis bescheinigt die Hochschulreife und nicht nur die Fakultätsreife für das Studium der Medizinalberufe. Auf berechtigte Einwände stösst auch die Tatsache, dass der Bund detaillierte Vorschriften über die Maturitätsprüfungen aufgestellt hat und damit indirekt, jedoch ziemlich intensiv, den Unterricht an den Mittelschulen beeinflusst. Richtiger wäre es zweifellos, von Bundes wegen bestimmte Grundsätze zu erlassen, die für alle Mittelschulen zu gelten hätten. Damit könnte die unerlässliche Koordination unter den Gymnasien und die richtige Vorbereitung der Schüler auf das Hochschulstudium sichergestellt werden; auch wäre die erforderliche Abstimmung mit anderen Ausbildungsrichtungen vorzunehmen. Den Kantonen würde nach wie vor die Hauptverantwortung für die Mittelschulen zustehen, und ihrer Initiative bliebe ein weites Feld geöffnet.

Für die Ordnung der beruflichen Ausbildung in Industrie, Gewerbe, Handel und der zugehörigen Dienstleistungsberufe
verfügt der Bund bereits über umfassende Gesetzgebungskompetenzen. Die Eingliederung der Verfassungsgrundlage in den Bildungsartikel führt zu keiner Änderung der geplanten Massnahmen. Wie bereits erwähnt, soll das Berufsbildungsgesetz von 1963 einer umfassenden Revision unterzogen werden. Bei normalem Gang der Vorbereitungsarbeiten darf damit gerechnet werden, dass die entsprechende Vorlage den eidgenössischen Räten Ende 1973 oder Anfang 1974 unterbreitet werden kann. Die Ausdehnung der Kompetenz des Bundes auf die gesamte Berufsbildung wird vorgenommen, weil sie einem klar erwiesenen Bedürfnis entspricht. Als unbefriedigend wird z. B.

die jetzige Regelung der Ausbildung in den medizinischen Hilfsberufen betrachtet, so dass hier bald mit Vorschlägen für eine gesetzliche Neuregelung zu rechnen ist.

Im Stipendienrecht kann die Situation mit derjenigen im Hochschulwesen verglichen werden. Nach dem geltenden Artikel 27iuater Absatz l BV steht dem Btmdesblatt. 124.Jahrg. Bd.I

30

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Bund eine Förderungskompetenz zu. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Beiträgen an die Aufwendungen der Kantone für Stipendien hat zwar zu einer erfreulichen Entwicklung geführt; sowohl die Zahl der Stipendiaten als auch die Höhe der im Einzelfall gewährten Beiträge haben wesentlich zugenommen.

Weniger befriedigend ist aber die Tatsache, dass erhebliche Unterschiede zwischen den kantonalen Regelungen geblieben sind, die nicht mit der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse begründet werden können. Auch ergeben sich bei Wohnsitzwechsel etwa Fälle, in denen kein Kanton seine Zuständigkeit für die Finanzierung einer Ausbildung anerkennt, so dass ein Kandidat, der einer Hilfe bedarf, leer ausgeht. Eine Grundsatzgesetzgebung des Bundes über Stipendien und Ausbildungsbehilfen könnte die notwendigen Verbesserungen bringen und damit auch einen weiteren Schritt in der Richtung der Chancengleichheit verwirklichen.

Auch das Bundesgesetz betreffend die Unterstützung der öffentlichen Primarschule von 1953 wird bei Gelegenheit überprüft werden müssen. Von einer wirksamen Hilfe für die Kantone kann bei den geltenden Ansätzen kaum die Rede sein, ausgenommen allerdings die Sonderregelungen für das italienische und für das romanische Sprachgebiet, Da in Zukunft dem Bund eine allgemeine Förderungskompetenz zustehen wird, rauss die ganze Subventionsordnung im Bildungswesen neu überdacht werden. Die Bundesbeiträge sollen dort eingesetzt werden, wo das Bedürfnis am stärksten ist und wo sich die grössten Wirkungen erzielen lassen. Dass im Ganzen gesehen auf längere Sicht die Bundesbeiträge anwachsen werden, erscheint als unausweichlich. In welchem Ausmass die Steigerung erfolgen soll, wird der Gesetzgeber zu bestimmen haben, wobei der Finanzlage von Bund und Kantonen Rechnung zu tragen sein wird.

Die Erwachsenenbildung ist erst durch die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte - rasche Entfaltung des Wissensstoffes einerseits und ausgedehnte Freizeit anderseits - zu einer öffentlichen Aufgabe geworden. Bestimmte Verpflichtungen, die sich auf das ganze Land beziehen, wie Beratung, Aufklärung, Koordination und Forschung, müssen vom Bund wahrgenommen werden.

Auch können finanzschwache Kantone für diese neue Bildungsaufgabe nicht die erforderlichen Mittel einsetzen, weil die Aufwendungen für die traditionellen
Schulen sie bereits sehr stark belasten : sie sind auf Bundeshilfe angewiesen. Nach sorgfältiger Abklärung dürften sich daher Rahmenbestimmungen kombiniert mit Förderungsmassnahmen empfehlen und zur unerlässlichen Entwicklung und Festigung dieses wichtigen, neuen Bildungsbereiches führen.

Im Rahmen der Ausführungsgesetzgebung zum neuen Artikel 27«uater werden in den nächsten Jahren verschiedene forschungspolitische Fragen behandelt werden müssen. Auf längere Sicht dürfte sich die Aufstellung eines Forschungsgesetzes als zweckmässig erweisen, doch wird dessen Ausarbeitung umfassende Studien voraussetzen. Bestimmte Regelungen können aber nicht zurückgestellt werden, bis diese abgeschlossen sind.

Vorerst sei daran erinnert, dass der gegenwärtig gültige Bundesbeschluss vom 16. Dezember 1969 betreffend den jährlichen Beitrag an die Stiftung Seh wei-

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zerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorsieht, dass die Bundesbeiträge stufenweise bis 1974 auf maximal 100 Millionen Franken im Jahr ansteigen, während sie nachher unverändert bleiben. Obschon es als ausgeschlossen erscheint, das bisherige rasche Wachstum fortzusetzen, würde eine Plafonierung der Subvention weder der zentralen Bedeutung des Nationalfonds für die Grundlagenforschung noch den künftigen Bedürfnissen nach einer angemessenen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gerecht werden. Der Erlass einer neuen Regelung für den Nationalfonds wird sich also gegen Mitte dieses Jahrzehnts aufdrängen.

Gegenwärtig wird vom Schweizerischen Wissenschaftsrat ein Konzept für die Förderung der anwendungsorientierten Forschung erarbeitet. Auch hierbei handelt es sich um eine Aufgabe von grosser Bedeutung. Eine Neuregelung wird sich nicht mehr wie bisher ausschliesslich auf die Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung abstützen müssen, da in Zukunft die allgemeine Förderungskompetenz von Artikel 27iuater BV zur Verfügung stehen wird.

Die Schweizerische Naturforschende Gesellschaft und die Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft haben dem Departement des Innern ein Gesuch um offizielle Anerkennung als wissenschaftliche Akademien und um langfristige Finanzierung ihrer Tätigkeiten eingereicht. Diese Organisationen erfüllen wichtige Aufgaben, sowohl als Dachgesellschaften für zahlreiche Fachgremien und wissenschaftliche Verbände wie auch als Gesprächspartner für die ausländischen Akademien. Vorerst erweist es sich jedoch als unerlässlich, den Aufgabenbereich der Naturforschenden Gesellschaft von demjenigen des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung genau abzugrenzen. Da diese Ausscheidung demnächst abgeschlossen sein wird und da der Anerkennung der Geisteswissenschaftlichen Gesellschaft keine Hindernisse im Wege standen, dürfte sich für das Statut der wissenschaftlichen Akademien der Erlass eines Bundesbeschlusses empfehlen, der sich auf den neuen Forschungsartikel stützt.

Ein weitschichtiges Problem stellt die Organisation und verwaltungsmässige Eingliederung von Forschungseinrichtungen dar, die wegen ihres gesamtschweizerischen Charakters nicht in eine Hochschule einbezogen werden können und die kein Hochschulkanton
zu übernehmen wünscht. Auch das Hochschulgesetz, das die jetzige Subventionsregelung ablösen soll, wird sich nicht mit dieser Aufgabe zu befassen haben. Der Wissenschaftsrat behandelt diesen nicht unwichtigen Bereich unserer Forschungspolitik und wird in absehbarer Zeit Vorschläge unterbreiten. Deren Verwirklichung gehört ebenfalls in den Rahmen eines Forschungsgesetzes.

Einzelfragen, denen aber erhebliche Bedeutung zukommt, sind die Forschungsstatistik sowie die wissenschaftliche Information und Dokumentation.

Die in der Schweiz verfügbaren statistischen Unterlagen über die Forschung sind im Vergleich zu denjenigen anderer Industriestaaten rudimentär. Ohne ausreichende statistische Unterlagen lässt sich aber keine aussagekräftige Prognose für die Entwicklung der schweizerischen Forschung aufstellen. Sie bilden die uner-

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lässliche Basis für forschungspolitische Entscheide. Somit wird die Aufstellung bestimmter Verpflichtungen zur Lieferung von Daten für eine Forschungsstatistik zu prüfen sein. Angesichts der fast explosionsartigen Entfaltung der Wissenschaften werden leistungsfähige wissenschaftliche Informations- und Dokumentationsdienste zu unerlässlichen Hilfsmitteln. Im Rahmen des Hochschulförderungsgesetzes können solche Einrichtungen vom Bund unterstützt werden. Wenn sich nach diesem System keine befriedigende Lösung erzielen lässt und deshalb der Bund die Initiative übernehmen muss, wird eine entsprechende gesetzliche Basis in einem besonderen Erlass oder im mehrfach erwähnten Forschungsgesetz geschaffen werden müssen.

Diese zusammenfassenden Darlegungen über die kommende Ausführungsgesetzgebung sind keineswegs abschliessend. Sie dienen einer ersten Orientierung; darüber hinaus vermögen sie aber zusätzlich die Notwendigkeit der vorgeschlagenen Verfassungsrevision zu begründen.

7 Schlussbemerkungen 71 Verfahrensfragen Um dem Grundsatz der Einheit der Materie Genüge zu tun, legen wir Ihnen die Entwürfe zu zwei getrennten Bundesbeschlüssen vor. Der eine betrifft die Bildungsartikel (Art. 27, Art. 27nla und Art. 4 der Übergangsbestimmungen BV), der andere den Forschungsartikel (Art. 27quater)- Die Bildungsartikel bilden eine sachliche Einheit; in Artikel 27 sind materielle, zu subjektiven Rechten ausgeformte Grundsätze für die Handhabung der Kompetenzbestimmungen des Artikels 27bls verankert, und Artikel 4 der geltenden Übergangsbestimmungen ist an die abgeänderte Vorschrift des Artikels 27 Absatz 3 Satz 2 anzupassen. Der Forschungsartikel steht zwar in einem engen Zusammenhang mit den Bildungsartikeln, vor allem im Bereich des Hochschulwesens; indessen fehlt eine unbedingte logische Interdependenz, so dass der Erlass eines einzigen Bundesbeschlusses mit dem Prinzip der Einheit der Materie kaum in Einklang gebracht werden könnte. Volk und Ständen sollen aber die beiden Bundesbeschlüsse gleichzeitig zur Abstimmung unterbreitet werden.

72 Abschreibung von Motionen und Postulaten Wir beantragen Ihnen die Abschreibung folgender Motionen und Postulate : - Motion Nr. 10129 vom 26./2S. September 1969 (Motion Müller-Luzern) betreffend Revision von Artikel 27 der Bundesverfassung, - Motion Nr. 10141 vom 2S./26. September
1969 (Motion Wenk) betreffend Verfassungsgrundlage für das Bildungswesen, - Postulat Nr. 8960 vom 3. Juni 1964 (Postulat Haller) betreffend Vereinheitlichung der kantonalen Schulsysteme,

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- Postulat Nr. 10246 vom 26. September 1969 (Postulat Meyer-Luzern) betreffend Interkantonale Koordination im Schulwesen, - Postulat Nr. 10073 vom 13. März 1969 (Postulat Müller-Luzern) betreffend Stipendiengesetz, - Postulat Nr. 10688 vom 17. Dezember 1970 (Postulat Krummenacher) betreffend Stipendien und Studiendarlehen Gestützt auf die obigen Ausführungen beehren wir uns, Ihnen die nachstehenden Beschlussesentwürfe zur Annahme zu empfehlen.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 19. Januar 1972 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Celio Der Bundeskanzler : Huber

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(Entwurf)

Bundesbeschluss über die Änderung der Bundesverfassung betreffend das Bildungswesen Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung der Artikel 85 Ziffer 14,118 und 121 Absatz l der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 19. Januar 19721', beschttesst:

Die Artikel 27, 27bl9, 27quater und 34*er Absatz lBuchstabe g^ der Bundesverfassung sowie Artikel 4 der Übergangsbestimmungen werden durch folgende Bestimmungen ersetzt:

Art. 27 1

Jeder Einwohner hat ein Recht auf eine seiner Eignung entsprechende Ausbildung.

2 Die öffentlichen Schulen müssen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können.

3 Der Unterricht innerhalb der obligatorischen Schulzeit steht unter staatlicher Kontrolle. Er ist an den öffentlichen Schulen unentgeltlich.

Art. 27bis 1

Das Bildungswesen ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Kanto-

nen.

2

Die Ausbildung vor und während der obligatorischen Schulzeit fällt in die Zuständigkeit der Kantone; Absatz 4 und Artikel 27quinties Absatz l bleiben vorbehalten. Die Kantone sorgen für eine Koordination ihres Bildungswesens.

1) BB1 1972 I 375

443 3

Der Bund regelt die Berufsbildung.

4

Der Bund ist überdies befugt, a. die Dauer des obligatorischen Unterrichts festzulegen, b. Grundsätze für Gestaltung und Ausbau des Mittelschulwesens, des höheren Bildungswesens und der Erwachsenenbildung sowie für die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen aufzustellen; c. höhere Unterrichtsanstalten zu errichten und ganz oder teilweise zu übernehmen sowie d. die Koordinationsbestrebungen der Kantone zu fördern.

6

Der Bund kann an die Aufwendungen der Kantone für das Bildungswesen und für Ausbildungsbeihilfen Beiträge leisten. Er kann auch selbst Ausbildungsbeihilfen gewähren.

8 Die Kantone sind zur Vorbereitung und zum Vollzug von Ausführungserlassen beizuziehen. Im Bereich der Berufsbildung sind die zuständigen Organisationen der Wirtschaft vor Erlass der Ausführungsgesetze anzuhören. Sie können beim Vollzug der Ausführungsvorschriften zur Mitwirkung herangezogen werden.

Art. 27i«a«er Aufgehoben An. 34tet Abs. l Bst. g Aufgehoben

Übergangsbestimmungen

Art. 4 Den Kantonen wird zur Einführung der Unentgeltlichkeit des öffentlichen Unterrichts innerhalb der obligatorischen Schulzeit (Art. 27) eine Frist von fünf Jahren eingeräumt.

II 1

Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

2 Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

444

(Entwurf)

Bundesbeschluss über die Ergänzung der Bundesverfassung betreffend die Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung der Artikel 85 Ziffer 14,118 und 121 Absatz l der Bundes verfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 19. Januar 1972 1), beschiesst: I

la die Bundesverfassung wird folgende Bestimmung aufgenommen: Art. 27«uater (neu) 1

Der Bund fördert die wissenschaftliche Forschung.

s

Er ist befugt, Forschungsstätten zu errichten und ganz oder teilweise zu übernehmen.

n Sollte die gleichzeitige Revision der Bundesverfassung betreffend das Bildungswesen abgelehnt werden, so erhält der vorliegende Artikel die Nummer 27sexies,

III 1

Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

3

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

») BEI 1972 I 375

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die neuen Bildungs- und den Forschungsartikel der Bundesverfassung (Art. 27, 27bis und 27quater) (Vom 19. Januar 1972)

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Jahr

1972

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

06

Cahier Numero Geschäftsnummer

11111

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.02.1972

Date Data Seite

375-444

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10 045 317

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