03.069 Bericht über die von der Internationalen Arbeitskonferenz in den Jahren 2001 und 2002 genehmigten Instrumente

vom 29. Oktober 2003

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, gemäss Artikel 19 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) unterbreiten wir Ihnen einen Bericht über das von der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) an ihrer 89. und 90. Tagung angenommene Übereinkommen (Nr. 184) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft und das Protokoll zum Übereinkommen (Nr. 155) über den Arbeitsschutz.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Oktober 2003

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Pascal Couchepin Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-2507

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Übersicht Im vorliegenden Bericht wird zunächst untersucht, inwiefern unser positives Recht den Anforderungen des Übereinkommens (Nr. 184) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft entspricht. Durch dieses Übereinkommen und die dazugehörige Empfehlung (Nr. 192) soll der Arbeitsschutz in den Bereichen der Landwirtschaft verbessert werden, die bisher noch nicht durch die bestehenden Urkunden der IAO abgedeckt waren.

Die Praxis in der Schweiz besteht darin, diejenigen Übereinkommen der IAO zu ratifizieren, die mit dem in unserem Land geltenden positiven Recht in Einklang stehen. Die einzige Ausnahme bilden die sogenannten grundlegenden Übereinkommen der IAO, die von der Schweiz bisher alle ratifiziert wurden. Eine gründliche Analyse des Übereinkommens Nr. 184 zeigt, dass der Ratifizierung dieser internationalen Urkunde folgende Hindernisse entgegenstehen: zwar bietet das Übereinkommen die Möglichkeit, selbständig Erwerbstätige für eine beschränkte Dauer aus seinem Anwendungsbereich auszuschliessen, doch besteht kein politischer Wille, diese Personengruppe mittel- oder gar langfristig unserer innerstaatlichen Gesetzgebung zum Arbeitsschutz in der Landwirtschaft zu unterstellen. Ausserdem fallen landwirtschaftliche Produktionsbetriebe nicht in den Geltungsbereich des Arbeitsgesetzes. Und schliesslich sind zahlreiche Fragen des Arbeitsschutzes in der Landwirtschaft in der Schweiz über Normalarbeitsverträge geregelt, die von der IAO nicht als ausreichendes Mittel für die effektive Umsetzung eines Übereinkommens erachtet werden. Diese Normalarbeitsverträge entsprechen in mehreren Punkten auch nicht den materiellen Anforderungen des Übereinkommens. Deshalb schlägt der Bundesrat dem Parlament vor, das Übereinkommen Nr. 184 der IAO nicht zu ratifizieren.

Im weiteren wird im Bericht das Protokoll von 2002 zum Übereinkommen (Nr. 155) der IAO über den Arbeitsschutz (1981) kurz angesprochen. Da unser Land das Übereinkommen, auf das sich dieses Protokoll bezieht, nicht ratifiziert hat (BBl 1983 I 25 ff) ist es an dieser Stelle nicht nötig, näher auf dieses Protokoll einzugehen. Hingegen ist nächstens eine Prüfung des Übereinkommens Nr. 155 und des Übereinkommens Nr. 121 der IAO über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (1964) vorgesehen, da die Liste dieser Berufskrankheiten an der 90. Tagung
der Konferenz überarbeitet worden ist.

Der vorliegende Bericht ist der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO vorgelegt worden. Diese beratende Kommission, die sich aus Vertretern der Sozialpartner und der Bundesverwaltung zusammensetzt, hat nach einigen Klarstellungen des Internationalen Arbeitsamtes (IAA) zu spezifischen Fragen im Zusammenhang mit dem Übereinkommen Nr. 184 den Bericht zur Kenntnis genommen. Die Kommission hat anerkannt, dass das Haupthindernis für die Ratifizierung des genannten Übereinkommens die Erfassung der selbständig Erwerbstätigen in der Landwirtschaft ist. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und Travail.Suisse haben verlangt, dass ihre Stellungnahmen im Bericht wiedergegeben werden (siehe Ziffer 4).

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Bericht 1

Einleitung

Gemäss Artikel 19 Absätze 5 und 6 der Verfassung der IAO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihrem Parlament die internationalen Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen, die an den Tagungen der IAK genehmigt werden, vorzulegen, und zwar innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Ende der Tagung der IAK. Diese Frist kann um höchstens sechs Monate verlängert werden.

Im vorliegenden Bericht analysieren wir: ­

das Übereinkommen (Nr. 184) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft, genehmigt am 21. Juni 2001, ergänzt durch die Empfehlung Nr. 192;

­

das Protokoll zum Übereinkommen (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, genehmigt am 20. Juni 2002.

Die gründliche Prüfung des Übereinkommens Nr. 184 hat länger gedauert als vorgesehen, da von der IAO eine Stellungnahme zur Reichweite gewisser Bestimmungen des Übereinkommens eingeholt werden musste. Auf diese Fragen werden wir in den entsprechenden Teilen unseres Berichts im einzelnen eingehen.

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Übereinkommen (Nr. 184) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft, 2001 (Anhang 1)

2.1

Allgemeiner Teil

An seiner 271. Tagung (März 1998) beschloss der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes (IAA), die Frage des Arbeitsschutzes in der Landwirtschaft auf die Traktandenliste der 88. Sitzung der IAK zu setzen.

Auf der Grundlage der bei der ersten Beratung im Juni 2000 verabschiedeten Schlussfolgerungen hat das IAA gemäss Artikel 39 der Geschäftsordnung der Konferenz Entwürfe für ein Übereinkommen und eine Empfehlung vorbereitet, die als Grundlage für die zweite Beratung an der 89. Tagung der IAK dienten. Am 21. Juni 2001 hat die IAK das Übereinkommen (Nr. 184) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft, 2001, und die dazugehörige Empfehlung (Nr. 192) angenommen.

In diesen beiden internationalen Instrumenten werden Fragen behandelt, die andere Übereinkommen zur Landwirtschaft nicht zwingend abdecken. Ihr Zweck besteht also darin, den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft weltweit zu verbessern.

Weltweit geschehen jedes Jahr rund 600 000 tödliche Arbeitsunfälle in der Landwirtschaft, das ist die Hälfte aller tödlichen Unfälle. Die meisten Unfälle und Berufskrankheiten in der Landwirtschaft werden durch chemische Substanzen und durch Maschinen verursacht.

In der Schweiz gehört die Landwirtschaft, obwohl in diesem Sektor nur rund 3 % der Erwerbsbevölkerung beschäftigt sind, zu den drei Wirtschaftszweigen mit der höchsten Quote von Arbeitsunfällen im Verhältnis zur Zahl der beschäftigten Personen.

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2.2

Besonderer Teil

2.2.1

Erläuterung der Bestimmungen und Haltung der Schweiz zum Übereinkommen

Das Übereinkommen Nr. 184 umfasst 29 Artikel, von denen 21 materiellrechtliche Bestimmungen sind. Um festzustellen, ob die Schweiz den Anforderungen des Übereinkommens genügt, müssen die Bestimmungen im Hinblick auf die einschlägige schweizerische Gesetzgebung und Praxis untersucht werden.

Der Arbeitsschutz wird geregelt durch das Arbeitsgesetz vom 13. März 1964 (ArG; SR 822.11) und die dazugehörige Verordnung 3 (ArGV 3; SR 822.113), das Bundesgesetz vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung (UVG; SR 832.20), die Verordnung vom 19. Dezember 1983 über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV; SR 832.30), das Bundesgesetz vom 17. Dezember 1993 über die Information und Mitsprache der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Betrieben (Mitwirkungsgesetz; SR 822.14), das Bundesgesetz vom 19. März 1976 über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten (STEG; SR 819.1) und die dazugehörige Verordnung vom 12. Juni 1995 (STEV; SR 819.11), die Verordnung vom 9. Juni 1986 über umweltgefährdende Stoffe (Stoffverordnung, StoV; SR 814.013), die Giftverordnung vom 19. September 1983 (GV; SR 813.01), die Verordnung vom 25. August 1999 über den Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Gefährdung durch Mikroorganismen (SAMV; SR 832.321), die Tierschutzverordnung vom 27. Mai 1981 (TSchV; SR 455.1), die Verordnung vom 12. Mai 1971 über Unfallverhütungsmassnahmen bei landwirtschaftlichen Neu- und Umbauten (SR 832.311.142), die Technische Verordnung über Abfälle vom 10. Dezember 1990 (TVA; SR 814.600), die Verordnung vom 12. November 1986 über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS; SR 814.610), das Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21), die Tierseuchenverordnung vom 27. Juni 1995 (TSV; SR 916.401) sowie das Obligationenrecht (OR; SR 220).

Der Geltungsbereich des ArG erstreckt sich nicht auf die Landwirtschaft, ausser in Bezug auf das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung (Art. 2 Abs. 4 ArG). Das UVG erwähnt die Landwirtschaft nicht ausdrücklich, es gilt aber für Landwirtschaftsbetriebe, welche Angestellte beschäftigen, die nicht zur Familie gehören.

Das OR enthält ebenfalls arbeitsrechtliche Bestimmungen, die für die Landwirtschaft gelten; so ist ein Einzelarbeitsvertrag in dieser Branche den in
anderen Wirtschaftszweigen geschlossenen Arbeitsverträgen gleichgestellt. Zudem sind gemäss Artikel 359 Absatz 2 OR die Kantone verpflichtet, für Beschäftigte in der Landwirtschaft Normalarbeitsverträge zu erlassen; diese Normalarbeitsverträge sollen unter anderem die Arbeits- und Ruhezeit sowie die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und für jugendliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer regeln; die Normalarbeitsverträge sind verbindlich, sofern die Parteien nicht mündlich oder schriftlich abweichende Regelungen getroffen haben (Art. 360 OR). Die IAO betrachtet Normalarbeitsverträge nicht als ausreichendes Mittel für die Durchführung des Übereinkommens.

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Teil I des Übereinkommens betrifft dessen Geltungsbereich.

In Artikel 1 wird der Begriff «Landwirtschaft» im Sinne des Übereinkommens definiert: er umfasst die in landwirtschaftlichen Betrieben durchgeführten land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeiten, einschliesslich der Pflanzenproduktion, der forstwirtschaftlichen Tätigkeiten, der Tierhaltung und der Insektenzucht, die Erstverarbeitung von landwirtschaftlichen und tierischen Erzeugnissen durch oder für den Bewirtschafter des Betriebs sowie die Verwendung und Instandhaltung von Maschinen, Ausrüstungen, Geräten, Werkzeugen und landwirtschaftlichen Anlagen, einschliesslich aller Verfahren, Lagerungen, Arbeitsgänge oder Transporte in einem landwirtschaftlichen Betrieb, die mit der landwirtschaftlichen Erzeugung unmittelbar zusammenhängen. Diese Begriffsbestimmung entspricht der in der Schweiz gebräuchlichen Definition der Landwirtschaft.

Artikel 1 kann somit angenommen werden.

In Artikel 2 werden aus dem Geltungsbereich des Übereinkommens ausgenommen: die Subsistenzlandwirtschaft1, industrielle Verfahren, bei denen landwirtschaftliche Produkte als Rohstoff verwendet werden, und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen sowie die industrielle Nutzung von Wäldern. Diese Ausnahmen entsprechen auch dem Gebrauch in der Schweiz.

Artikel 2 kann also angenommen werden.

Artikel 3 bietet die Möglichkeit, bestimmte landwirtschaftliche Betriebe oder Gruppen von Arbeitnehmern von der Anwendung des ganzen Übereinkommens oder einzelner seiner Bestimmungen auszunehmen, wenn besondere Probleme von erheblicher Bedeutung auftreten (Abs. 1); gemäss Absatz 2 hat ein Staat, der das Übereinkommen ratifiziert hat, wenn er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, Pläne für die schrittweise Erfassung aller Betriebe und aller Arbeitnehmer auszuarbeiten.

Dieser Punkt könnte in der Schweiz in Bezug auf die Situation der selbständig Erwerbstätigen in der Landwirtschaft insofern problematisch sein, als diese weder durch das ArG noch durch das UVG noch durch das OR gedeckt sind, da kein Arbeitsverhältnis vorliegt. Auf unsere Bitte um Klärung zu diesem Punkt hat das IAA folgendermassen geantwortet: «Die erste Frage der Regierung lautet, ob ein Land, das die Bestimmungen des Übereinkommens nicht auf selbständig erwerbstätige Landwirte anwenden kann, diese Gruppe von
Arbeitnehmern gemäss Artikel 3, Absatz 1 Buchstabe a) von der Anwendung des Übereinkommens ausnehmen soll, oder ob, mit anderen Worten, wenn diese Ausnahme nicht gemacht wird, dies bedeutet a) dass diese Personengruppe durch das Übereinkommen abgedeckt ist oder b) dass diese Gruppe möglicherweise gemäss Absatz 12 (1) der Empfehlung (Nr. 192) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft, 2001, durch das Übereinkommen abgedeckt ist.

Um diese Frage zu beantworten, muss man zunächst den Geltungsbereich des Übereinkommens betrachten. Dieser wird durch die Bestimmungen von Artikel 1 und 2 des Instruments festgelegt, die sich nicht auf Personen, die landwirtschaftlichen Arbeitnehmer, sondern auf einen Wirtschaftszweig, die Landwirtschaft, beziehen.

1

Bei der Subsistenzlandwirtschaft wird der wesentliche Teil der Produktion vom Haushalt direkt verbraucht, es findet wenig oder kein Zukauf statt und nur ein sehr kleiner Teil der Produktion wird vermarktet. Diese Art der Landwirtschaft ist in der Schweiz nicht zu finden.

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Gemäss Artikel 2 sind drei Bereiche dieses Sektors ausgenommen: die Subsistenzlandwirtschaft, industrielle Verfahren zur Verarbeitung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und die industrielle Nutzung von Wäldern. Das Übereinkommen sieht keine Ausnahme von selbständig Erwerbstätigen aufgrund ihrer rechtlichen Stellung vor. Der Zweck des Übereinkommens ist gemäss Artikel 4 die Durchführung einer innerstaatlichen Politik auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes in diesem Wirtschaftssektor, wobei die rechtliche Stellung der Arbeitskräfte, die entsprechend den Bestimmungen des Übereinkommens durch die in Anwendung dieser Politik ergriffenen Massnahmen geschützt werden sollen, nicht erwähnt wird. Dennoch gelten zahlreiche Bestimmungen des Übereinkommens nur für Arbeitnehmer in der Landwirtschaft: beispielsweise diejenigen, in denen der Arbeitgeber erwähnt wird, wie Artikel 6, Absatz 1, Artikel 7 und 8 oder auch Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b), dem zufolge die innerstaatliche Gesetzgebung «die Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft festzulegen» hat. Andere Artikel sind von allgemeiner Reichweite und gelten für den gesamten Wirtschaftszweig wie in Artikel 1 und 2 des Übereinkommens festgelegt, so etwa Artikel 12 bis 15, bei deren Durchführung eine Unterscheidung aufgrund der rechtlichen Stellung der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte nicht möglich ist. Andere Artikel wiederum enthalten allgemeine Bestimmungen, deren Durchführung nicht vom rechtlichen Status der arbeitenden Person abhängt, wie etwa die ersten beiden Absätze von Artikel 9 zu den Massnahmen, welche die zuständige Stelle zu treffen hat, um die Sicherheit bei der Verwendung von Maschinen sicherzustellen. (...)

Abgesehen von einer Bezugnahme auf die selbständig Erwerbstätigen, die im Text des Übereinkommens beibehalten wurde, sind die anderen Erwähnungen, die in den (zuvor) verabschiedeten Schlussfolgerungen zu finden waren, gestrichen worden; lediglich eine wurde in die Empfehlung unter den Punkt «Selbständig erwerbstätige Landwirte» übernommen. Die rechtlichen Konsequenzen hiervon müssen also untersucht werden.

Artikel 6 Absatz 2 lautet folgendermassen: «Die innerstaatliche Gesetzgebung oder die zuständige Stelle hat vorzusehen, dass, wenn in einer landwirtschaftlichen Arbeitsstätte
zwei oder mehrere Arbeitgeber Tätigkeiten durchführen oder wenn ein oder mehrere Arbeitgeber und ein oder mehrere selbständig erwerbstätige Personen Tätigkeiten durchführen, sie bei der Anwendung der Arbeitsschutzvorschriften zusammenarbeiten müssen. (...)». In dieser Bestimmung geht es um die Massnahmen, die zu treffen sind, um die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern von landwirtschaftlichen Arbeitnehmern und selbständig Erwerbstätigen an ein und derselben landwirtschaftlichen Arbeitsstätte bei der Durchführung von Arbeitsschutzmassnahmen sicherzustellen.

Die Empfehlung enthält einen Teil «Selbständig erwerbstätige Landwirte», in dem unter Absatz 12 (1) ausgeführt wird, dass «die Mitglieder Pläne ausarbeiten (sollten), um den durch das Übereinkommen gebotenen Schutz gegebenenfalls schrittweise auf selbständig erwerbstätige Landwirte auszudehnen». Mit den Absätzen 12 bis 15 der Empfehlung über die selbständig erwerbstätigen Landwirte wird ihr Geltungsbereich ratione personae ausgeweitet und die Reichweite des, einschliesslich durch die schrittweise Ausweitung des durch das Übereinkommen gebotenen Schutzes auf diese Personen, zu gewährenden Schutzes präzisiert. Damit scheint die Konferenz bezweckt zu haben, dass diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens, die implizit nur für Arbeitnehmer gelten (weil auf das Verhältnis zu einem Arbeit7860

geber oder mehreren Arbeitgebern Bezug genommen wird), schrittweise ­ wo eine solche Ausweitung zweckmässig wäre ­ und freiwillig ­ insofern als diese Ausweitung in einer Empfehlung vorgesehen ist, die für das sie ratifizierende Mitglied nicht verpflichtend ist ­ auf selbständig erwerbstätige Landwirte ausgeweitet werden.

In Anbetracht dieser Ausführungen wäre es weder notwendig noch sinnvoll, dass ein Mitglied, das diejenigen Bestimmungen des Übereinkommens, die sich implizit oder explizit auf Arbeitnehmer in der Landwirtschaft beziehen, in Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a) die selbständig erwerbstätigen Landwirte vom Geltungsbereich des Übereinkommens ausnimmt. Wie weiter oben dargelegt wären also im Falle einer Ratifizierung die Bestimmungen mit allgemeiner Reichweite, die ohne Unterscheidung nach der rechtlichen Stellung der Arbeitskräfte für den Wirtschaftszweig gelten, auch auf selbständig erwerbstätige Landwirte anzuwenden».

Nach Ansicht des IAA scheint also eine Ausnahme der selbständig erwerbstätigen Landwirte weder notwendig noch sinnvoll. Die Schweiz wird von dieser in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Jede einzelne Bestimmung des Übereinkommens muss im Hinblick auf ihre Reichweite untersucht werden: einige Bestimmungen haben eine allgemeine Reichweite, andere sind nur auf Arbeitnehmer und ausgerichtet, ohne dabei den Sinn von Artikel 3 Buchstabe b und 4 des Übereinkommens sowie die einschlägigen Bestimmungen der Empfehlung, welche die schrittweise Ausweitung des Schutzes auf selbständig Erwerbstätige bezwecken, aus den Augen zu verlieren.

Auf unsere zweite Frage hat das IAA wie folgt geantwortet: «In der zweiten Frage geht es darum, ob es im Hinblick auf die Möglichkeit, das Übereinkommen auf selbständig erwerbstätige Landwirte anzuwenden, unterschiedliche Kategorien von selbständig erwerbstätigen Landwirten gibt, etwa selbständige Pächter oder Handwerker, die eine landwirtschaftliche Arbeit als Auftrag ausführen.

Es muss daran erinnert werden, dass die Frage der Begriffsbestimmung der selbständig erwerbstätigen Landwirte und die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Kategorien von selbständig erwerbstätigen Landwirten bei den Vorbereitungsarbeiten den Mitgliedern überlassen wurde. Die Aufzählung von unterschiedlichen
Kategorien von selbständig erwerbstätigen Landwirten in Absatz 15 der Empfehlung ist nicht erschöpfend, auch wenn unter dem letzten Punkt sehr viele Gruppen erfasst werden können, vorausgesetzt sie werden in der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis näher bestimmt.

Gewisse Arten von Verhältnissen zwischen Auftraggebern und selbständig erwerbstätigen Landwirten (beispielsweise gewisse Formen von Teilpacht oder Lohnarbeit) können dem Verhältnis zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer nahekommen. In diesem Fall, und sofern nicht von den Bestimmungen von Artikel 3 Absatz 1 a) Gebrauch gemacht wird, um die betreffenden Personen oder Betriebe ausdrücklich auszuschliessen, besteht eine Ungewissheit in Bezug auf die Geltung von gewissen Bestimmungen des Übereinkommens insofern, als eine Partei des Vertragsverhältnisses als Arbeitgeber und nicht als Auftraggeber oder Kunde betrachtet werden könnte. Es ist Sache des Mitglieds, welches das Übereinkommen ratifiziert hat, diese Ungewissheit aufzuheben, indem, wie Absatz 12 (2) der Empfehlung betreffend den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft verlangt, die Rechte und

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Pflichten dieser selbständig erwerbstätigen Landwirte, deren besonderer Situation Rechnung zu tragen ist, näher ausgeführt werden».

Es wird somit anerkannt, dass es besondere Arbeitsverhältnisse gibt (beispielsweise die Teilpacht oder Lohnarbeit); diese Vertragsverhältnisses können sich denjenigen zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer so weit annähern, dass in Bezug auf die Anwendung gewisser Bestimmungen des Übereinkommens eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht. Den Ausschlag entweder zugunsten eines Arbeitsverhältnisses (z. B. Unterordnungsverhältnis) oder zugunsten anderer untypischer oder nicht genannter Vertragsformen könnten deshalb die wesentlichen Bestandteile dieser Vertragsverhältnisse geben.

Es ist also festzustellen, dass wir gemäss Artikel 3 selbständig erwerbstätige Landwirte und die anderen Formen von Vertragsverhältnissen nicht vom Geltungsbereich des Übereinkommens selbst, das das einzige verbindliche Instrument ist, ausnehmen können; die Empfehlung hingegen ist rechtlich gesehen nicht bindend. Wir werden die einzelnen Bestimmungen des Übereinkommens nach ihrer Reichweite ratione personae analysieren.

Unter diesen Umständen können wir Artikel 3 nicht annehmen.

Teil II enthält allgemeine Bestimmungen.

Artikel 4 Absatz 1 sieht vor, dass die Mitglieder der IAO, die das Übereinkommen ratifizieren, eine in sich geschlossene innerstaatliche Politik auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes in der Landwirtschaft festzulegen, durchzuführen und regelmässig zu überprüfen haben, um Unfälle und Gesundheitsschäden zu verhüten sowie die Gefahren in der landwirtschaftlichen Arbeitsumwelt auszuschliessen, auf ein Mindestmass herabzusetzen oder zu bekämpfen.

Zu diesem Zweck hat gemäss Absatz 2 Buchstabe a die innerstaatliche Gesetzgebung die zuständige Stelle zu bezeichnen, die für den Vollzug dieser Politik und die Durchsetzung der einschlägigen Gesetzgebung verantwortlich ist. In der Schweiz liegt die Zuständigkeit für den Vollzug der einschlägigen Bundesgesetzgebung, unter anderem für die Bereiche Handwerk und Landwirtschaft, bei den Kantonen.

Die technische Überwachung und die Verhütung sind durch einen Vertrag mit der SUVA an die Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL), eine private Stiftung, welche die Rolle einer geeigneten Organisation im Sinne von
Artikel 85 UVG innehat, delegiert worden. Auf Antrag der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS) hat der Schweizerische Bauernverband (SBV) eine Schwesterstiftung der BUL mit dem Namen «agriss» gegründet, welche die rechtlichen Aufgaben der BUL übernehmen soll, sobald die einzelnen Verträge angepasst worden sind.

Die Buchstaben b und c sehen vor, dass die Gesetzgebung die Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft festzulegen und Mechanismen für die intersektorale Koordinierung zwischen den für den Landwirtschaftssektor zuständigen Stellen und Gremien einzurichten sowie deren Aufgaben und Zuständigkeiten festzulegen hat. Diese Massnahmen sind in Artikel 82 ff UVG und in den entsprechenden Bestimmungen der VUV vorgesehen.

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Gemäss Artikel 4 Absatz 3 hat die zuständige Stelle Abhilfemassnahmen und angemessene Strafen einschliesslich der Einstellung oder Einschränkung derjenigen landwirtschaftlichen Tätigkeiten, die eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer darstellen, vorzusehen. Solche Massnahmen sind in der schweizerischen Gesetzgebung vorgesehen (z. B. Art. 84, 86, 112 UVG; VUV) und werden von den zuständigen Gremien umgesetzt.

In den Erklärungen im Rechtsgutachten des IAA wird unter anderem ausgeführt, dass «der Zweck des Übereinkommens gemäss Artikel 4 die Durchführung einer innerstaatlichen Politik auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes in diesem Wirtschaftszweig ist, wobei die rechtliche Stellung der Arbeitskräfte, die gemäss den Bestimmungen des Übereinkommens durch die in Anwendung dieser Politik ergriffenen Massnahmen zu schützen sind, nicht erwähnt wird»; darüber hinaus anerkennt das IAA, dass «Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b, der festlegt, dass die innerstaatliche Gesetzgebung «die Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Bezug auf den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft festzulegen» hat», zu den Bestimmungen des Übereinkommens gehört, die nur für Arbeitnehmer des Agrarsektors gelten.

Wir können Artikel 4 insofern nicht annehmen, als sein Absatz 1 und Absatz 2 Buchstaben a und c selbständig Erwerbstätige grundsätzlich einschliessen, während diese Personengruppe in unserer Gesetzgebung ausgeschlossen ist.

Artikel 5 Absatz 1 betrifft den Aufsichtsdienst für landwirtschaftliche Arbeitsstätten.

Er verlangt, dass ein ausreichender und geeigneter Aufsichtsdienst für die Arbeitsstätten vorhanden ist und dieser über ausreichende Mittel verfügt. In Absatz 2 wird ausgeführt, dass die zuständige Stelle bestimmte Aufsichtsaufgaben der staatlichen Aufsicht unterliegenden privaten Einrichtungen übertragen kann; von dieser Möglichkeit haben wir entsprechend den zu Artikel 4 Absatz 2 abgegebenen Erklärungen bereits Gebrauch gemacht.

In Anbetracht der in Bezug auf die Reichweite des gesamten Artikels 4 angebrachten Vorbehalte können wir Artikel 5 nicht annehmen.

In Teil III geht es um Verhütungs- und Schutzmassnahmen.

In Artikel 6 Absatz 1 wird ausgeführt, dass der Arbeitgeber die Pflicht hat, für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu sorgen. Diese Verpflichtung
befindet sich auch in Artikel 82 UVG.

Gemäss Absatz 2 hat die innerstaatliche Gesetzgebung oder die zuständige Stelle vorzusehen, dass mehrere Arbeitgeber, die an derselben Arbeitsstätte arbeiten, verpflichtet sind, zusammenzuarbeiten, um den Arbeitsschutz der Arbeitnehmer sicherzustellen. Diese Anforderung erfüllt Artikel 9 VUV.

Da dem IAA zufolge dieser Artikel nur für Arbeitnehmer gilt, können wir Artikel 6 vollständig annehmen.

Auch Artikel 7 gilt den Erklärungen des IAA zufolge nur für Arbeitnehmer. Dieser Artikel sieht vor, dass die innerstaatliche Gesetzgebung oder die zuständige Stelle den Arbeitgeber verpflichtet, zweckentsprechende Bewertungen der Risiken durchzuführen und Massnahmen zur Einhaltung der Arbeitsschutznormen zu treffen, Information und Anleitung der Arbeitnehmer in diesem Bereich sicherzustellen und im Fall einer unmittelbaren und erheblichen Gefahr unverzüglich Massnahmen zu

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treffen. In der Schweiz werden diese Anforderungen durch Artikel 4, 6 und 11 VUV sowie durch die EKAS-Richtlinie Nr. 6508 erfüllt.

Artikel 7 kann angenommen werden.

Artikel 8 gilt nur für Arbeitnehmer und befasst sich mit dem Recht auf Information und Mitwirkung der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft in Arbeitsschutzangelegenheiten.

Buchstabe a schreibt vor, dass die Arbeitskräfte das Recht haben müssen, in Arbeitsschutzangelegenheiten informiert und konsultiert zu werden, Buchstabe b, dass sie das Recht haben müssen, an der Anwendung und Überprüfung der Arbeitsschutzmassnahmen mitzuwirken.

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Arbeitsschutz durch das ArG und das UVG geregelt ist: das ArG und seine Verordnungen befassen sich mit dem Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, während das UVG und seine Verordnungen die Verhütung von Krankheiten und Berufsunfällen behandeln. Was die spezifischen Mitwirkungsrechte im Bereich des Arbeitsschutzes angeht, verweist Artikel 10 Buchstabe a des Mitwirkungsgesetzes auf die beiden obengenannten Gesetze. Artikel 6 VUV schreibt vor, dass der Arbeitgeber dafür zu sorgen hat, dass alle in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, einschliesslich der dort tätigen Arbeitnehmer eines anderen Betriebes, über die bei ihren Tätigkeiten auftretenden Gefahren informiert und über die Massnahmen zu deren Verhütung angeleitet werden. Gemäss Artikel 6a VUV steht den Arbeitnehmern oder deren Vertretung im Betrieb in allen Fragen der Arbeitssicherheit ein Mitspracherecht zu; dieses Mitspracherecht umfasst den Anspruch auf frühzeitige und umfassende Anhörung sowie das Recht, Vorschläge zu unterbreiten, bevor der Arbeitgeber einen Entscheid trifft. Ganz anders ist die Situation beim ArG, weil die Landwirtschaft und die Gartenbaubetriebe vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen sind: in diesen Branchen gibt es also kein Mitwirkungsrecht. Diesbezüglich kann man sich an Artikel 5 Buchstabe b des Übereinkommens (Nr. 155) über den Arbeitsschutz (1981) orientieren, auch wenn unser Land diese Urkunde nicht ratifiziert hat.

Gemäss dieser Bestimmung muss folgenden Aktionsbereichen Rechnung getragen werden, soweit sie sich auf den Arbeitsschutz und die Arbeitsumwelt auswirken: Zusammenhängen zwischen den materiellen Komponenten der Arbeit
und den Personen, welche die Arbeit ausführen oder überwachen, und Anpassung der Maschinen, der Ausrüstungen, der Arbeitszeit, der Arbeitsorganisation und der Arbeitsverfahren an die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Arbeitnehmer.

Daraus ergibt sich, dass für diesen besonderen Punkt von Artikel 8 des Übereinkommens Nr. 184 den Arbeitskräften in der Landwirtschaft durch das ArG Mitwirkungsrechte gewährt werden müssten.

Buchstabe c schreibt vor, dass die Arbeitnehmer das Recht haben müssen, sich bei Gefahr infolge ihrer Arbeit in Sicherheit zu bringen; ein solches Recht ist in Artikel 4 VUV über die Unterbrechung der Arbeit vorgesehen. Dasselbe Recht besteht auch gemäss ArG, aber es muss daran erinnert werden, dass dieses Gesetz nicht für die Landwirtschaft gilt.

Die Verpflichtung der Arbeitnehmer, die Arbeitsschutzmassnahmen einzuhalten (Ziff. 2) findet sich in Artikel 11 VUV. Die entsprechenden Bestimmungen des ArG gelten nicht für die Landwirtschaft.

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Artikel 8 kann nicht angenommen werden.

Artikel 9 und 10 betreffen die Sicherheit von Maschinen und die Ergonomie.

Gemäss Artikel 9 müssen die landwirtschaftlichen Maschinen und Ausrüstungen, einschliesslich der persönlichen Schutzausrüstungen, Geräte und Handwerkzeuge den innerstaatlichen Normen entsprechen und der innerstaatlichen Gesetzgebung entsprechend installiert, gewartet und gesichert werden. Nach Ansicht des IAA sind Absatz 1 und 2 dieses Artikels allgemeine Bestimmungen, deren Anwendbarkeit nicht von der rechtlichen Stellung der Arbeitskräfte abhängt. Absatz 3 betrifft die Arbeitnehmer. In der Praxis spielt die Unterscheidung insofern nur eine kleine Rolle, als die sich aus den ersten beiden Absätzen ergebenden Verpflichtungen durch das STEG und die STEV erfüllt sind: dort ist vorgesehen, dass die für technische Einrichtungen und Geräte geltende europäische Normung auch in der Schweiz gilt. Die Verpflichtung aus Absatz 3 schliesslich findet sich in der allgemeinen Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern wieder, die im ArG und im UVG vorgesehen ist.

Artikel 9 kann angenommen werden.

Artikel 10 verweist auf die innerstaatliche Gesetzgebung, die vorzuschreiben hat, dass landwirtschaftliche Maschinen und Ausrüstungen nur für Arbeiten verwendet werden dürfen, für die sie konstruiert worden sind, und zwar von ausgebildeten und fachkundigen Personen. Wie wir oben bereits erwähnt haben, verweisen das STEG und die STEV auf die europäischen Normungsvorschriften und entsprechen damit den Anforderungen dieser Bestimmung des Übereinkommens.

Artikel 10 kann angenommen werden.

Artikel 11 befasst sich mit der Handhabung und dem Transport von Materialien. Er verlangt, dass die zuständige Stelle Arbeitsschutzerfordernisse für die Handhabung und den Transport von Materialien, insbesondere für die manuelle Handhabung, festzulegen hat. Diese Punkte werden in der Schweiz durch Artikel 25 ArGV 3 und Artikel 41 VUV geregelt. Doch wie bereits erwähnt gilt die ArGV 3 nicht für die Landwirtschaft; die Vorschriften des Schweizer Rechts decken also die Handhabung und den Transport von Materialien lediglich unter dem Aspekt der Verhütung von Krankheiten und Berufsunfällen ab. Ein Grossteil der gesundheitlichen Probleme, die durch die Handhabung von Materialien oder die Beförderung von
Lasten entstehen, gelten nicht als Berufskrankheiten, so dass ihre Verhütung für den Bereich der Landwirtschaft nicht allgemein geregelt ist. Artikel 11 ist somit in unserem positiven Recht nur teilweise verwirklicht.

Artikel 11 kann nicht vollständig angenommen werden.

Artikel 12 und 13 befassen sich mit dem sachgemässen Umgang mit chemischen Stoffen. Nach Auslegung des IAA sind sie von allgemeiner Reichweite, und es besteht keine Möglichkeit, eine Unterscheidung nach der rechtlichen Stellung der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft vorzunehmen. Diese beiden Bestimmungen müssen also unter dem Aspekt ihrer Geltung sowohl für Arbeitnehmer als auch für selbständig Erwerbstätige analysiert werden.

Artikel 12 verlangt, dass ­ vor allem gesetzgeberische ­ Massnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass ein System vorhanden ist, das Kriterien für die Einfuhr, Klassifizierung, Verpackung und Kennzeichnung von in der Landwirtschaft verwendeten chemischen Stoffen und für ihr Verbot oder ihre Beschränkung festlegt 7865

(Bst. a). Das Giftgesetz und das zukünftige Chemikaliengesetz enthalten allgemeine Bestimmungen, welche die spezifischen Anforderungen von Artikel 12 Buchstabe a erfüllen. Diese Bestimmungen gelten auch für die Landwirtschaft und gehen zum Teil noch weiter als es das Übereinkommen verlangt. So müssen gewisse Dünger oder Pflanzenschutzmittel vor ihrer Inverkehrsetzung und ihrem Gebrauch zugelassen werden. Das positive Schweizer Recht entspricht somit Artikel 12 Buchstabe a.

Anders sieht es bei Artikel 12 Buchstabe b im Hinblick auf das ArG und das UVG aus. Betriebe, die Chemikalien herstellen, einführen, liefern, verkaufen, transportieren, lagern oder entsorgen, fallen unter den Geltungsbereich des ArG und des UVG.

Einzelfirmen, die kein Personal beschäftigen, sind jedoch durch diese beiden Gesetze nicht erfasst. Wir haben es hier also mit selbständig Erwerbstätigen zu tun, die nicht gemäss Artikel 3 vom Geltungsbereich des Übereinkommens Nr. 184 ausgenommen werden können, da das IAA ausgeführt hat, dass Artikel 12 von allgemeiner Reichweite ist. In Artikel 38a GV und 48a und b StoV ist eine Pflicht zur Information der Benutzer und Benutzerin durch ein Informationsblatt vorgesehen. Unser positives Recht erfüllt diese Anforderung des Übereinkommens nicht vollständig.

In Artikel 12 Buchstabe c des Übereinkommens geht es um die Sammlung, Wiederverwertung und Entsorgung von chemischen Abfällen und Stoffen. Dieser Punkt ist durch die Vorschriften des UVG und der VUV sowie in Bezug auf den Schutz der Arbeitnehmer durch diejenigen des ArG abgedeckt. Diese beiden Gesetze gelten jedoch nicht für selbständig Erwerbstätige. Die Anforderungen des Übereinkommens in Bezug auf den Umweltschutz werden durch die Bestimmungen der TVA und der VVS erfüllt. Unser positives Recht entspricht diesen spezifischen Anforderungen des Übereinkommens nur teilweise.

Artikel 12 kann nicht vollständig angenommen werden.

Die Anforderungen von Artikel 13 des Übereinkommens können angesichts unseres Rechts zum Schutz der Arbeitnehmer nicht als erfüllt betrachtet werden. Obwohl nämlich die mit der Verwendung und Handhabung von chemischen Stoffen verbundenen Gefahren hauptsächlich im Bereich der Verhütung von Berufskrankheiten zum Tragen kommen, die durch das UVG und die VUV geregelt ist, gelten diese Schutzmassnahmen für
Landwirtschaftsbetriebe nur, sofern diese Personal beschäftigen. Selbständig erwerbstätige Landwirte sind also durch unser positives Recht diesbezüglich nicht abgedeckt. Diese Tatsache kann allerdings dadurch relativiert werden, dass die Schutzvorschriften des Giftgesetzes und des Chemikaliengesetzes auch für Einzelfirmen gelten.

Artikel 13 kann nicht angenommen werden.

In Artikel 14 geht es um den Umgang mit Tieren und den Schutz gegen biologische Risiken. Dem IAA zufolge ist auch dieser Artikel von allgemeiner Reichweite, und es besteht keine Möglichkeit, eine Unterscheidung nach der rechtlichen Stellung der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft vorzunehmen. Diese Bestimmung muss also unter dem Aspekt ihrer Geltung sowohl für Arbeitnehmer als auch für selbständig Erwerbstätige analysiert werden.

Dieser Artikel sieht vor, dass die innerstaatliche Gesetzgebung sicherzustellen hat, dass Risiken einer Infektion, einer Allergie oder einer Vergiftung bei der Handhabung von biologischen Substanzen verhütet oder auf ein Mindestmass beschränkt werden; ausserdem müssen bei Tätigkeiten im Zusammenhang mit Tieren, Vieh und 7866

Stallbereichen die innerstaatlichen Normen eingehalten werden. Die Handhabung von biologischen Agenzien ist Gegenstand der SAMV, die auch die Modalitäten betreffend den Arbeitsschutz regelt. Diese Verordnung legt die Pflichten des Arbeitgebers fest und verweist in Artikel 1 über den Geltungsbereich auf die VUV und auf die ArGV 3 und 4. In diesen verschiedenen Texten sind also die selbständig Erwerbstätigen nicht erfasst. Die Verwendung von (immun-)biologischen Agenzien ist, wenn diese als Tierheilmittel in der Landwirtschaft verwendet werden, durch das HMG und die TSV geregelt. Darüber hinaus gibt es keine spezifische Gesetzgebung betreffend Tätigkeiten im Zusammenhang mit Tieren. Immerhin erinnern wir an Artikel 56 OR, dem zufolge wer ein Tier hält, für den von diesem angerichteten Schaden haftet.

Wir können Artikel 14 nicht annehmen.

In Artikel 15 geht es um den Arbeitsschutz beim Bau, bei der Instandhaltung und bei der Reparatur von landwirtschaftlichen Anlagen (Gebäuden, festen Anlagen usw.).

Dem IAA zufolge ist dieser Artikel von allgemeiner Reichweite, und es besteht keine Möglichkeit, eine Unterscheidung nach der rechtlichen Stellung der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft vorzunehmen. Diese Bestimmung muss also unter dem Aspekt ihrer Geltung sowohl für Arbeitnehmer als auch für selbständig Erwerbstätige analysiert werden.

In der Praxis kann man davon ausgehen, dass Bau-, Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten von Bauunternehmen ausgeführt werden. Diese unterstehen also den Bestimmungen des UVG, sofern sie Arbeitnehmer beschäftigen. Die einzelnen Sicherheitsanforderungen, die sich aus Artikel 15 ergeben, sind durch Artikel 12 bis 23 VUV geregelt. In Bezug auf die Gesundheit sind die Bauunternehmen den allgemeinen Schutzbestimmungen im ArG und in seinen Verordnungen unterstellt, sofern sie Personal beschäftigen. In der Verordnung über Unfallverhütungsmassnahmen bei landwirtschaftlichen Neu- und Umbauten schliesslich sind diese Tätigkeiten in allgemeiner Form abgedeckt; diese Verordnung wird derzeit überarbeitet.

Werden die Bau-, Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten von einem Landwirtschaftsbetrieb selbst ausgeführt, sind das ArG und das UVG anwendbar, da diese Tätigkeit nicht unter die primäre Nutzung von Agrarprodukten fällt. Allerdings sind Einzelfirmen und selbständig Erwerbstätige
durch diese Bestimmungen nicht abgedeckt.

Wir können Artikel 15 nicht annehmen.

Teil IV enthält sonstige Bestimmungen.

Mit Artikel 16 soll der Schutz der jungen Arbeitnehmer zum einen durch die Festlegung des Mindestalters für den Zugang zur Beschäftigung auf 18 Jahre und zum anderen durch eine nähere Bestimmung des Begriffs «gefährliche Arbeiten» sichergestellt werden. In Artikel 16 ist auch eine Möglichkeit vorgesehen, von der festgesetzten Altersgrenze abzuweichen und die Durchführung von Arbeiten ab dem Alter von 16 Jahren unter der Voraussetzung zu genehmigen, dass vorher eine geeignete Unterweisung erteilt wird und die Sicherheit und Gesundheit der jungen Arbeitnehmer voll geschützt sind.

In Artikel 16 werden die in den Übereinkommen (Nr. 182) über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit und (Nr. 138) über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung festgelegten Grundsätze auch für die Landwirtschaft übernommen, 7867

indem vorgeschrieben wird, dass gefährliche Arbeiten für Jugendliche unter 18 Jahren verboten sind. Seit der letzten Revision des ArG gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes und seiner Verordnungen zum Mindestalter unter anderem für die Landwirtschaft (Art. 2 Abs. 4 ArG). Artikel 16 bringt keine neuen Verpflichtungen für die Schweiz mit sich; so haben wir in den Botschaften zur Ratifizierung der Übereinkommen Nr. 138 und Nr. 182 (BBl 1999 I 513 und BBl 2000 I 330 ) die Vereinbarkeit unseres Rechts mit diesen internationalen Urkunden nachgewiesen.

Wir können somit Artikel 16 annehmen.

In Artikel 17 geht es um Zeit- und Saisonarbeitskräfte; nach diesem Artikel dürfen Zeit- und Saisonarbeitskräfte im Bereich der Sicherheit und Gesundheit nicht diskriminiert werden. Die VUV und die übrigen Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer gelten ohne Einschränkung für Zeit- und Saisonarbeitskräfte; es muss daran erinnert werden, dass das ArG grundsätzlich nicht für die Landwirtschaft gilt.

Artikel 17 ist nicht annehmbar.

Artikel 18 sieht vor, dass Massnahmen zu treffen sind, um sicherzustellen, dass die besonderen Bedürfnisse landwirtschaftlicher Arbeitnehmerinnen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft, dem Bruststillen und der reproduktiven Gesundheit berücksichtigt werden. Da Landwirtschaftsbetriebe vom Geltungsbereich des ArG ausgenommen sind, gelten die einschlägigen Bestimmungen dieses Gesetzes nicht für landwirtschaftliche Arbeitnehmerinnen. Artikel 359 Absatz 2 OR sieht vor, dass die Kantone für landwirtschaftliche Arbeitnehmer Normalarbeitsverträge zu erlassen haben, in denen unter anderem die Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen geregelt sind. Wie wir bereits unter Punkt 2.2.1 dieses Berichts betont haben, sind die Normalarbeitsverträge nur dann verbindlich, wenn die Parteien keine abweichenden Regelungen getroffen haben. Aus diesem Grunde kann Artikel 18 des Übereinkommens nicht akzeptiert werden, wenn er sich ausschliesslich auf Normalarbeitsverträge stützt, von denen relativ leicht Ausnahmen gemacht werden können.

Im übrigen enthalten gewisse Normalarbeitsverträge, trotz der in Artikel 359 Absatz 2 OR festgeschriebenen Verpflichtung, keine Bestimmung betreffend Arbeitnehmerinnen. Artikel 328a Absatz 3 OR enthält besondere Schutzbestimmungen betreffend Schwangerschaft und Niederkunft, jedoch
nur für Arbeitnehmerinnen, die mit ihrem Arbeitgeber in einer Hausgemeinschaft leben. Diese Bestimmung erfüllt nicht alle Anforderungen von Artikel 18 des Übereinkommens.

Artikel 18 kann nicht angenommen werden.

Artikel 19 betrifft Sozialeinrichtungen und Unterkünfte. Die Sozialeinrichtungen und die Mindestnormen für Unterkünfte sind in Artikel 328a OR nur für landwirtschaftliche Arbeitnehmer geregelt, die mit dem Arbeitgeber in einer Hausgemeinschaft leben. In diesem Fall sieht Artikel 328a OR vor, dass, wenn der Arbeitnehmer im Haushalt des Arbeitgebers lebt, letzterer für ausreichende Verpflegung und einwandfreie Unterkunft zu sorgen hat. Auch hat der Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer ohne sein Verschulden durch Krankheit oder Unfall an der Arbeitsleistung verhindert ist, Pflege und ärztliche Behandlung für eine beschränkte Zeit zu gewähren, und zwar im ersten Dienstjahr für drei Wochen und nachher für eine angemessene längere Zeit, je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen.

Das ArG enthält ebenfalls allgemeine Bestimmungen zu Sozialeinrichtungen und Unterkünften der Arbeitnehmer. Sie gelten jedoch nicht für die Landwirtschaft.

7868

Artikel 19 kann nicht angenommen werden.

Artikel 20 schreibt vor, dass die Dauer der Nachtarbeit und der Ruhezeiten der Arbeitnehmer in der Landwirtschaft der innerstaatlichen Gesetzgebung oder den innerstaatlichen Gesamtarbeitsverträgen entsprechen müssen. Da die Landwirtschaftsbetriebe nicht unter das ArG fallen, muss ausschliesslich auf die Bestimmungen des Kollektivarbeitsrechts Bezug genommen werden. Wie bereits erwähnt, verpflichtet Artikel 359 Absatz 2 OR die Kantone, für Arbeitnehmer in der Landwirtschaft Normalarbeitsverträge zu erlassen, die unter anderem die Arbeits- und Ruhezeit regeln. Ein Projekt zur Harmonisierung dieser Verträge wird derzeit geprüft (SBV). Artikel 20 sieht jedoch eine mögliche Umsetzung nicht über Normalarbeitsverträge, sondern über Gesamtarbeitsverträge vor, die verbindlich sind. Im Übrigen sehen die in der Landwirtschaft bestehenden Normalarbeitsverträge ­ ebenso wie Einzelarbeitsverträge ­ im Allgemeinen eine deutlich höhere Zahl von Arbeitsstunden vor als in anderen, unter das ArG fallenden Branchen üblich.

Artikel 20 kann nicht angenommen werden.

Artikel 21 sieht vor, dass für die Arbeitnehmer in der Landwirtschaft ein Versicherungssystem oder ein System der sozialen Sicherheit für den Fall von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie von Invalidität und anderen arbeitsbezogenen Gesundheitsrisiken zu gelten hat, das einen Schutz bietet, der demjenigen, der Arbeitnehmern in anderen Sektoren gewährt wird, mindestens gleichwertig ist. Nach den Erklärungen des IAA zur Reichweite ratione personae des Übereinkommens ist dieser Artikel anscheinend von allgemeiner Reichweite, mit anderen Worten, er gilt auch für selbständig erwerbstätige Landwirte. Gemäss UVG sind Arbeitnehmer obligatorisch gegen Berufsunfälle und Berufskrankheiten versichert (Art. 1 UVG), und in der Schweiz wohnhafte Selbständigerwerbende und ihre im Betrieb mitarbeitenden Familienglieder können sich freiwillig versichern (Art. 4 UVG). Erwerbstätige in der Landwirtschaft (Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende) werden also ebenso behandelt wie Arbeitnehmer und Selbständigerwerbende in anderen Wirtschaftszweigen. Zudem scheint eine freiwillige Versicherung nicht unvereinbar mit dem Inhalt von Artikel 21 (vgl. Abs. 14 der Empfehlung Nr. 192).

Artikel 21 kann angenommen werden.

Artikel 22 bis 29 enthalten die üblichen Schlussbestimmungen, die keines besonderen Kommentars bedürfen.

2.2.2

Haltung zur Empfehlung (Anhang 2)

Die Empfehlung Nr. 192 ist nicht bindend. Die Frage nach ihrer Ratifizierung stellt sich nicht, deshalb beschränken wir uns darauf, den Inhalt dieser Empfehlung zusammenzufassen und versuchen nicht zu klären, ob sie mit der geltenden Schweizer Gesetzgebung vereinbar ist oder nicht. Einige der dieser Empfehlung zugrundeliegenden Prinzipien sind bereits im Zusammenhang mit Artikel 3 des Übereinkommens Nr. 184 dargelegt worden.

In der Empfehlung wird den einzelnen Ländern nahegelegt, die Arbeitsaufsicht in der Landwirtschaft unter Berücksichtigung der in den einschlägigen Urkunden der IAO niedergelegten Grundsätze zu organisieren. Es werden auch die damit verbundenen Verpflichtungen für multinationale Landwirtschaftsunternehmen angespro7869

chen. Die Empfehlung sieht die Einzelheiten zur Umsetzung der Massnahmen zur Arbeitsschutzüberwachung vor, namentlich die Aufzeichnung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten als Instrument zu ihrer Verhütung.

Schliesslich sieht die Empfehlung vor, dass das Übereinkommen Nr. 184 unter verschiedenen Bedingungen schrittweise auf selbständig erwerbstätige Landwirte und Landwirtinnen auszudehnen ist. Die innerstaatliche Gesetzgebung sollte die Rechte und Pflichten der selbständig Erwerbstätigen Landwirte in Bezug auf den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft gleichermassen wie für die angestellten Landwirte vorschreiben.

2.2.3

Schlussfolgerungen

Der Beseitigung und Verringerung des Auftretens von Berufsunfällen und -krankheiten in der Landwirtschaft kommt beträchtliche soziale und wirtschaftliche Bedeutung zu. In diesem Sinne ist der Zweck des Übereinkommens Nr. 184 gerechtfertigt.

Unsere Analyse der Bestimmungen des Übereinkommens zeigt jedoch, dass die sehr präzisen Voraussetzungen für die Ratifizierung dieser Urkunde in unserem positiven Recht nicht erfüllt sind. Die Ausnahme des Agrarsektors aus dem Geltungsbereich des ArG und der selbständig Erwerbstätigen aus dem Geltungsbereich unserer Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer im Allgemeinen stellen ein erhebliches Hindernis für die Ratifizierung dieser internationalen Urkunde dar. Hinzu kommt, dass die Regelung von Fragen wie etwa der Arbeits- und Ruhezeit oder des Schutzes der Arbeitnehmerinnen in der Landwirtschaft bei Schwangerschaft nicht allen formalen und materiellrechtlichen Anforderungen des Übereinkommens genügen.

Wir können Ihnen also nicht empfehlen, das Übereinkommen (Nr. 184) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft zu genehmigen.

3

Protokoll zum Übereinkommen (Nr. 155) über den Arbeitsschutz (Anhang 3)

3.1

Allgemeiner Teil

An seiner 279. Tagung (November 2000) beschloss der Verwaltungsrat des IAA, die Frage der Aufzeichnung und Meldung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten einschliesslich der Überarbeitung der Liste der Berufskrankheiten im Anhang zum Übereinkommen (Nr. 121) über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (1964) im Hinblick auf die Schaffung einer Arbeitsnorm nach dem Verfahren der einmaligen Beratung auf die Traktandenliste der 90. Tagung der Konferenz (2002) zu setzen. Der Verwaltungsrat hat der Konferenz auch nahegelegt, sie solle die Schaffung eines Mechanismus für die künftige Aktualisierung der Liste der Berufskrankheiten prüfen.

Gemäss Artikel 38 Absatz 1 der Geschäftsordnung der Konferenz über das Verfahren der einmaligen Beratung hat das IAA als Diskussionsgrundlage einen zusammenfassenden Bericht vorbereitet.

In dem Bericht wird Folgendes festgestellt: das Auftreten von berufsbedingten Todesfällen und Verletzungen weltweit zu verringern ist umso schwieriger als 7870

zuverlässige Angaben über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie über gefährliche Vorkommnisse und Zwischenfälle fehlen. Das Fehlen solcher Angaben, sowohl auf betrieblicher als auch auf nationaler Ebene, wirkt sich sehr nachteilig auf die Verhütungsmassnahmen aus. Einige Länder haben Vorschriften im Bereich der Meldung erlassen, aber deren Reichweite und Inhalt sind häufig begrenzt, und nur selten ist ein Aufzeichnungsverfahren auf betrieblicher Ebene vorgesehen. In anderen Ländern ist die Situation noch schlechter. Zudem setzt ein internationaler Datenvergleich die Harmonisierung der Melde- und Aufzeichnungssysteme voraus. Im Bericht wird auch gefordert, die Liste der Berufskrankheiten im Anhang zum Übereinkommen (Nr. 121) über Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, 1964, zu überarbeiten und einen Mechanismus zu schaffen, der es ermöglicht, diese regelmässig zu aktualisieren.

Aufgrund dieser Erwägungen hat die Konferenz ein neues Protokoll zum Übereinkommen (Nr. 155) über den Arbeitsschutz, 1981, und eine Empfehlung mit einer Aktualisierung der Liste der Berufskrankheiten, die den Anhang zum Übereinkommen Nr. 121 bildet, verabschiedet.

3.2

Besonderer Teil

In Protokoll werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, «die Erfordernisse und Verfahren für die Aufzeichnung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und gegebenenfalls gefährlichen Vorkommnissen, Wegeunfällen und Fällen, in denen Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht, ... festzulegen und in regelmässigen Zeitabständen zu überprüfen». Es wird ebenfalls verlangt, dass die Mitgliedstaaten jährlich Statistiken nach Klassifikationssystemen veröffentlichen, die mit den neuesten internationalen Normen der IAO und anderer zuständiger internationaler Organisationen vereinbar sind.

In der Empfehlung (Anhang 4) wird den Mitgliedstaaten nahegelegt, zu Zwecken der Verhütung, Aufzeichnung, Meldung und Entschädigung eine innerstaatliche Liste der Berufskrankheiten zu erstellen. Diese Liste muss mindestens die im entsprechenden Übereinkommen der IAO aufgezählten und nach Möglichkeit auch die in der Liste im Anhang zur Empfehlung enthaltenen Krankheiten umfassen. Sie ist an dreigliedrigen Sitzungen regelmässig zu aktualisieren.

Die Schweiz hat die beiden zugrundeliegenden Übereinkommen Nr. 121 und Nr. 155, auf die sich die beiden neuen internationalen Urkunden, die von der Konferenz angenommen wurden, beziehen, nicht ratifiziert. In unseren Berichten über die 48. und die 67. Tagung der Konferenz (BBl 1965 I 678; BBl 1983 I 25) hatten wir die Gründe dargelegt, warum diese beiden Übereinkommen nicht ratifiziert werden konnten.

Es scheint deshalb zu diesem Zeitpunkt sinnvoll, nicht auf das Protokoll und die Empfehlung einzutreten. Wir bitten Sie, von diesen beiden Urkunden Kenntnis zu nehmen.

Seit der Veröffentlichung unserer oben erwähnten Berichte gab es zahlreiche Änderungen unserer Gesetzgebung betreffend den Schutz vor Krankheiten und Berufsunfällen. Das Bundesgesetz über die Unfallversicherung und die dazugehörigen Verordnungen sind in Kraft getreten (UVG; SR 832.20). Die SUVA ist derzeit dabei, 7871

die Liste der Berufskrankheiten im Hinblick auf verschiedene geltende internationalen Urkunden zu überprüfen und wird uns so bald wie möglich über ihre Arbeit Bericht erstatten. Wir schlagen deshalb vor, das Ergebnis dieser Überprüfung abzuwarten und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) und das seco aufzufordern, sodann die Möglichkeiten für die Schweiz, die Übereinkommen Nr. 121 und Nr. 155 sowie das Protokoll zum Übereinkommen Nr. 155 wie an der 90. Tagung der Konferenz verabschiedet, gründlich zu prüfen. Dabei muss daran erinnert werden, dass sich fast die gesamte Arbeitgebergruppe der IAO bei der Abstimmung über das Protokoll bei dessen Annahme im Plenum der Konferenz der Stimme enthalten hat; diese Urkunde geniesst somit keine dreigliedrige Unterstützung.

4

Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

Die Dreigliedrige Eidgenössische Kommission für Angelegenheiten der IAO wurde an ihrer Sitzung vom 1. März 2002 zum Entwurf des Berichts über das Übereinkommen Nr. 184 konsultiert. Die Vertreter der Arbeitgeber und der Verwaltung haben ihn angenommen, während sich die Arbeitnehmer enthalten haben. Die Kommission hat anerkannt, dass die Einbeziehung der selbständig Erwerbstätigen in den Geltungsbereich des Übereinkommens das Haupthindernis für die Ratifizierung darstellt, und auf Antrag der Arbeitnehmer das seco beauftragt, weitere Erklärungen beim IAA einzuholen. Dies hat mehr Zeit in Anspruch genommen als vorgesehen, und die Erklärungen sind nun im Teil 2 dieses Berichts enthalten. Die Kommission hat an ihrer Sitzung vom 1. März 2002 mit Befriedigung vom Antrag der Schweizer Arbeitnehmer Kenntnis genommen, die Kollektivverhandlungen mit den Arbeitgebervereinigungen des Landwirtschaftssektors zu verstärken.

Der Berichtsentwurf wurde entsprechend ergänzt und bezieht nun die Stellungnahme des IAA mit ein. Zu diesem Entwurf, in dem auch die an der 90. Tagung der Konferenz verabschiedeten Urkunden behandelt werden, wurde die Dreigliedrige Eidgenössische Kommission erneut konsultiert. Die Kommission hat den Bericht zur Kenntnis genommen. Der SAV, der SGB und Travail.Suisse haben Kommentare dazu abgegeben, die im folgenden wiedergegeben werden.

Der SAV hat erklärt, dass er die Haltung des Bundesrates, keine Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 184 vorzuschlagen, voll und ganz billige, da das Übereinkommen nicht mit der Schweizer Rechtsordnung vereinbar sei. Was das Protokoll zum Übereinkommen Nr. 155 und zum Übereinkommen Nr. 121 angeht, besteht für den SAV keine Dringlichkeit, diese Urkunden zu einem späteren Zeitpunkt zu prüfen. Nach Meinung des SAV sind diese zu detailliert und von zu wenigen Mitgliedern der IAO ratifiziert worden und deshalb nicht die Art von Urkunden, deren Ratifizierung anzustreben sei.

Travail.Suisse hingegen hält fest: «Die Ausnahme der selbständig Erwerbstätigen aus dem Geltungsbereich und der ungenügende Arbeitsschutz sind eindeutige Hindernisse für die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 184 durch die Schweiz.

Folglich verlangt Travail.Suisse nicht, dass dieses Übereinkommen ratifiziert wird.

Hingegen verlangen wir, dass das seco darauf hinwirkt, unsere Gesetzgebung und
Praxis schrittweise mit dem Übereinkommen in Einklang zubringen. Die Praxis der Schweiz, die Übereinkommen der IAO, die dem in unserem Land geltenden positiven 7872

Recht entsprechen, zu ratifizieren, muss durch eine aktive Haltung des Bundes in dem Sinne ergänzt werden, dass man sich an den internationalen Arbeitsurkunden orientiert, um Gesetzesänderungen vorzunehmen. Zudem muss daran erinnert werden, dass die internationalen Arbeitsübereinkommen der Situation in den Entwicklungsländern Rechnung tragen und somit im Allgemeinen den Industrieländern keine Probleme bei der Ratifizierung bieten dürften, sofern der politische Wille vorhanden ist, die möglicherweise nötigen Gesetzesänderungen vorzunehmen.

Die Analyse des Übereinkommens Nr. 184 zeigt deutlich, wie ungenügend der Arbeitsschutz im Bereich der Landwirtschaft in der Schweiz ist. Die Tatsache, dass die Landwirtschaft in unserem Land zu den drei Wirtschaftszweigen mit der höchsten Unfallquote im Verhältnis zur Anzahl der Beschäftigten gehört, sollte uns dazu veranlassen, etwas zu unternehmen. Die Artikel des Übereinkommens sollten dabei berücksichtigt werden.

Eine der wichtigsten Lehren aus der Analyse des Übereinkommens Nr. 184 ist die Feststellung, dass die Normalarbeitsverträge, die den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft in der Schweiz, unter anderem in Bezug auf die Arbeitszeit und den Schutz der Arbeitnehmerinnen, regeln, ungenügend sind und in mehreren Punkten nicht den materiellrechtlichen Anforderungen des Übereinkommens entsprechen (siehe insbesondere die Kommentare des Berichts zu Artikel 18 und 20 des Übereinkommens).

Deshalb verlangt Travail.Suisse, dass sich das seco energisch dafür einsetzt, Gesamtarbeitsverträge in dieser Branche zu fördern. Wir erinnern hierzu an Artikel 4 des grundlegenden Übereinkommens Nr. 98 der IAO über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen, 1949, das die Schweiz ratifiziert hat und das vorsieht, dass ­ soweit erforderlich ­ den Landesverhältnissen angepasste Massnahmen zu treffen sind, um im weitesten Umfang Entwicklung und Anwendung von Verfahren zu fördern, durch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer freiwillig über den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen verhandeln können.

Travail.Suisse kann sich nicht mit einer einfachen Harmonisierung der einzelnen Normalarbeitsverträge zufrieden geben, da diese nicht bindend sind und Arbeitsbedingungen vorschreiben, die erheblich ungünstiger sind als diejenigen der GAV.

In Anbetracht der bevorstehenden
Ausweitung des Abkommens über den freien Personenverkehr auf zehn neue Mitgliedstaaten der EU wird die Notwendigkeit von Gesamtarbeitsverträgen in der Landwirtschaft aufgrund der zusätzlichen Gefahren von Lohn- und Sozialdumping noch grösser. Deshalb bitten wir Sie, diese neue Situation zu berücksichtigen, um deutlich zu machen, dass GAV in der Landwirtschaft notwendig sind.» Das seco hat Travail.Suisse wie folgt geantwortet: «... wir haben die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass Travail.Suisse aufgrund der Ausnahme der selbständig Erwerbstätigen aus dem Geltungsbereich des Übereinkommens Nr. 184 nicht dessen Ratifizierung verlangt.

In Ihrer Stellungnahme verlangen Sie, der Bund solle proaktiv handeln, um den ungenügenden Arbeitsschutz in der Schweizer Landwirtschaft zu verbessern. Das würde bedeuten, dass auf der Grundlage einer extensiven Auslegung von Artikel 4 des Ü98 Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen für die Landwirtschaft gefördert werden müssten, um den Gefahren von Dumping in diesem Sektor, insbesondere bei

7873

der künftigen Ausweitung des Abkommens über den freien Personenverkehr auf die zehn neuen Mitgliedstaaten der EU, zu begegnen.

Die konstante Politik der Schweiz, internationale Arbeitsübereinkommen zu ratifizieren, beruht auf einer gründlichen Prüfung des gegenwärtigen Stands des positiven Schweizer Rechts im Hinblick auf das Übereinkommen. Entspricht dies den Anforderungen der internationalen Urkunde, kann unser Land deren Ratifizierung ins Auge fassen. Die einzige Ausnahme von dieser Praxis ist bei der Ratifizierung der grundlegenden Übereinkommen über Kinderarbeit gemacht worden. Die Bundesversammlung hat diese Praxis gutgeheissen.

Zudem handelt es sich bei der Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 184 und der künftigen Ausweitung der Abkommen über den freien Personenverkehr auf die zehn neuen Mitglieder der EU um zwei verschiedene Dossiers. Deshalb entspricht Ihr Antrag nicht der oben erwähnten Ratifizierungspraxis.

Das in der Schweiz geltende Prinzip der Freiheit von Kollektivverhandlungen ermöglicht den Sozialpartnern eines Wirtschaftszweigs jederzeit, zusammenzukommen, um darüber zu diskutieren, ob ein Gesamtarbeitsvertrag zweckmässig ist. Es ist grundsätzlich nicht Sache des Staates, in diesem Bereich die Initiative zu ergreifen.

Zu dem von Ihnen angesprochenen Artikel 4 des Übereinkommens Nr. 98 verweisen wir auf den Kommentar des Bundesrates in seiner Botschaft zur Ratifizierung des genannten Übereinkommens (BBl 1999 I 513). Darin heisst es: «Artikel 4 sieht vor, dass angepasste Massnahmen zu treffen sind, um Kollektivverhandlungen zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zu ermuntern und zu fördern. Dieser Artikel enthält zwei wesentliche Elemente, nämlich zum einen das Tätigwerden der Behörden zur Förderung von Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern und zum anderen die Freiwilligkeit der Verhandlungen, was die Unabhängigkeit der Parteien beinhaltet.

Die Bestimmungen von Artikel 4 unterstreichen die Freiwilligkeit der Kollektivverhandlungen der Sozialpartner. Vom das Übereinkommen ratifizierenden Staat werden keine Massnahmen verlangt, welche die Sozialpartner zur Verhandlungsaufnahme zwingen sollen. Die Rechtsprechung der Kontrollorgane des IAA hat ebenfalls keine solche Forderung aufgestellt Die Mitgliedsstaaten haben hingegen die Rahmenbedingungen zu
offerieren, welche den Sozialpartnern gemeinsame Vertragsverhandlungen über Arbeitsbedingungen erlauben, und diese Verhandlungen durch geeignete Verfahren zu erleichtern.

In der Schweiz wird von freiwilligen Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden zum Abschluss von GAV sehr ausgiebig Gebrauch gemacht, was auf eine lange Tradition zurückgeht. Die Förderung von freiwilligen Verbandlungen wird auch durch die Tatsache erleichtert, dass zahlreiche Bundesgesetze, wie zum Beispiel das OR, lediglich Schwellenwerte (dispositive und einseitig zwingende Normen) festlegen, die durch GAV abgeändert werden können. Die Verabschiedung des Mitwirkungsgesetzes vom 17. Dezember 1993 fördert ebenfalls die Aufnahme von Verhandlungen. Die Arbeitnehmervertreter haben jetzt ein echtes Mitspracherecht in folgenden Bereichen: Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Übergang von Betrieben, Massenentlassungen (Art. 10 Mitwirkungsgesetz).

Für die GAV gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit unter voller Wahrung des Prinzips der Unabhängigkeit der Parteien. Der Staat ist also weder an den Verhandlungen 7874

noch an ihrem Abschluss beteiligt. Die Artikel 356­358 OR, welche die GAV regeln, enthalten Bestimmungen in Bezug auf die Parteien, die Form, die Dauer und die Wirkungen der GAV. Diese können zwischen einem Arbeitnehmerverband auf der einen und einem Arbeitgeberverband oder einem oder mehreren Arbeitgebern auf der anderen Seite abgeschlossen werden (Art. 356 OR). Die schweizerische Gesetzgebung enthält keine Einschränkungen in Bezug auf die Anerkennung von Gewerkschaften im Hinblick auf Kollektivverhandlungen. Das OR präzisiert zudem, dass Klauseln eines GAV, durch die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zum Eintritt in einen vertragschliessenden Verband gezwungen werden sollen, nichtig sind (Art. 356a OR).

Die Förderung von Kollektivverhandlungen geschieht durch die Schaffung von Gremien und Verfahren, welche die Verhandlungen erleichtern sollen. Dieses System hat das Ziel, «freie und freiwillige Kollektivverhandlungen zwischen den Parteien zu fördern, wobei ihnen die grösstmögliche Unabhängigkeit zu lassen und gleichzeitig ein gesetzlicher Rahmen und Verwaltungseinrichtungen zu schaffen sind, an die sie sich, freiwillig und einvernehmlich, wenden können, um den Abschluss eines GAV zu erleichtern» (Etude d'ensemble, a. a. O., S. 117, § 247). Die Einigungsstellen auf kantonaler und auf Bundesebene erfüllen diese Forderungen. Gemäss Artikel 30 des Fabrikgesetzes von 1914 haben die Kantone ständige öffentliche Einigungsstellen für die gütliche Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten zwischen Fabrikinhaber und Arbeiter einzurichten. Die Kantone werden ermächtigt, die Befugnisse dieser Stellen auszuweiten. Diese können von Amtes wegen oder auf Ersuchen von Behörden oder Betroffenen tätig werden. Das Verfahren ist kostenlos und ersetzt das üblicherweise von den Parteien vorgesehene Verfahren. Auf Verlangen der Parteien kann die Stelle in ein Schiedsgericht umgewandelt werden. Auf Bundesebene wird die Einigungsstelle durch das Bundesgesetz von 1949 über die eidgenössische Einigungsstelle zur Beilegung von kollektiven Arbeitsstreitigkeiten geregelt. Die eidgenössische Einigungsstelle kann von Fall zu Fall vom EVD eingerichtet werden, das erst auf Ersuchen einer der Parteien tätig wird. Das Verfahren ist schnell, mündlich, kostenlos und ersetzt ein übliches paritätisches Schlichtungsgremium. Auf Verlangen
der Parteien kann die eidgenössische Einigungsstelle auch einen Schiedsspruch fällen.

Die Rahmenbedingungen für Kollektivverhandlungen in der Schweiz erfüllen die Forderungen von Artikel 4, der angenommen werden kann.» Gemäss dem Übereinkommen Nr. 144 ist die Dreigliedrige Eidgenössische Kommission für Angelegenheiten der IAO nicht dafür zuständig, dass der Staat ein Kollektivverhandlungsverfahren in Gang setzt. In seiner Botschaft zur Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 144 (BBl 2000 I 330) hat der Bundesrat in Bezug auf Artikel 5 Buchstabe b des Übereinkommens betont: «Buchstabe b verlangt von den Mitgliedstaaten, die dreigliedrigen Beratungen vor der Übermittlung ihrer Vorschläge zur Ratifikation oder Nichtratifikation an das Parlament abzuhalten. Bisher haben wir solche Beratungen nicht abgehalten, ausgenommen im Fall der Seeschifffahrtsübereinkommen.

Nach Artikel 19 der Verfassung der IAO sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die von der Konferenz angenommenen Übereinkommen und Empfehlungen zwecks Erlass entsprechender gesetzlicher oder anderer Massnahmen innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Annahme durch die Konferenz der zuständigen Behörde zu 7875

unterbreiten. Dieser Verpflichtung kommen wir nach, indem wir Ihnen die Übereinkommen und Empfehlungen der IAO in unseren Botschaften oder Berichten über die Tagungen der Konferenz regelmässig vorlegen. Allerdings sind wir nicht mehr in der Lage, die von der Verfassung der IAO festgelegten Fristen einzuhalten, da die gründliche Analyse der Urkunden, die wir vornehmen, zwei oder sogar drei Jahre in Anspruch nimmt ­ mit zunehmender Tendenz. In den letzten Jahren ist die Schweiz bereits zweimal von den Aufsichtsorganen des IAA wegen Nichteinhaltung der Vorlagefristen erwähnt worden. Dieser Situation muss abgeholfen werden. Wir messen der Beschleunigung des Vorlageverfahrens dank einer Rationalisierung der Arbeit durch die Eidgenössische Kommission grosse Bedeutung bei.

In unseren Berichten und Botschaften unterbreiten wir Ihnen unsere Vorschläge für das weitere Vorgehen im Hinblick auf diese Urkunden. Wenn es sich um Übereinkommen handelt, prüfen wir insbesondere, ob es in Anbetracht unseres positiven Rechts möglich und wünschenswert ist, sie zu ratifizieren; in diesem Fall unterbreiten wir sie Ihnen zur Genehmigung. Diese Prüfung wird umso eingehender durchgeführt, als die IAO in den vergangenen Jahren detaillierte technische Übereinkommen verabschiedet hat, die jeweils zahlreiche Bereiche unseres positiven Rechts berühren. Zudem sind die meisten dieser Urkunden für unsere Wirtschaft und unseren Arbeitsmarkt kaum relevant. Deshalb ist der Aufwand, den unsere Verwaltung für die Analyse betreiben muss, angesichts des zu erwartenden Ergebnisses ­ meistens Nichtratifikation ­ unverhältnismässig. Diese ausführlichen Berichte und Botschaften stellen auch eine Überbelastung für Ihre Kommissionen dar. All diese Phasen der Ausarbeitung werden von nun an auf einer einfacheren Grundlage innerhalb der Eidgenössischen Kommission durchgeführt. Diese wird sich nämlich mit einem übersichtlichen, knappen Bericht über die Entsprechungen zwischen den Anforderungen des Übereinkommens und dem positiven Recht der Schweiz befassen.

Auf dieser Grundlage wird sie entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Ratifikation erfüllt sind oder nicht. Zu jedem Übereinkommen wird sie einen höchstens zweiseitigen Bericht an uns verfassen, gegebenenfalls mit dem Vorschlag zur Ratifikation. Unsere Aufgabe wird es sein, diesen Vorschlag
anzunehmen oder nicht; unsere Entscheidung und die der Eidgenössischen Kommission werden Ihnen im Fall der Nichtratifikation zur Kenntnisnahme oder bei einer Ratifikation zur Genehmigung vorgelegt. Das hat zwei Vorteile: Erstens erleichtern Vorberatung und ­ soweit möglich ­ die Differenzbereinigung in der Eidgenössischen Kommission unseren Entscheid über das weitere Vorgehen, und zweitens ermöglicht die vereinfachte Präsentation der Haltung der Schweiz zu den Übereinkommen der IAO eine bessere Einschätzung der Situation in der Parlamentsdebatte. Die Vereinfachung des Entscheidungsprozesses sowohl der Regierung als auch des Parlaments, die sich aus den Arbeiten der Eidgenössischen Kommission ergibt, wiegt unseres Erachtens die mit der Schaffung der Eidgenössischen Kommission verbundenen Belastungen bei weitem auf. Die informelle Vernehmlassung, die wir zu den an der 84. Tagung der IAK angenommenen Urkunden durchgeführt haben, hat unseren Standpunkt bestätigt.

Schliesslich sollte uns die unter Buchstabe a vorgeschlagene Massnahme ermöglichen, im Entwurfstadium von Urkunden unsere Haltung besser zu koordinieren; daher scheint es uns logisch, die Beratung fortzuführen, indem wir unsere Berichtsoder Botschaftsentwürfe der Eidgenössischen Kommission vorlegen.»

7876

Es darf also nicht vom ursprünglichen Zweck der Übereinkommen Nr. 98 und Nr. 144 abgewichen werden, indem der Staat, oder sogar die Sozialpartner, Kompetenzen erhalten, die ihnen von diesen Urkunden zu ihrer Durchführung nicht zugedacht sind.

Wie von Ihnen beantragt, wird Ihre Stellungnahme im Bericht, den der Bundesrat den beiden Kammern vorlegen wird, wiedergegeben.» Der SGB betont in seiner Stellungnahme: «Bereits am 30. November 2001 haben wir mitgeteilt, dass wir daran interessiert sind zu erfahren, was der Bund in Bezug auf das Übereinkommen (Nr. 184) der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft zu tun gedenkt, und Sie gebeten, eine Zusammenkunft der Sozialpartner zu organisieren, um über dessen Anwendbarkeit in der Schweiz und weitere Fragen in diesem Zusammenhang zu diskutieren.

An der letzten Sitzung der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO am 1. März 2002 haben die Arbeitnehmervertreter erneut ihr Interesse an der Ratifizierung dieser Urkunde bekundet.

Seither haben Sie uns keine Gelegenheit gegeben, darüber zu diskutieren. Dabei sind die Probleme schwerwiegend, denn die Landwirtschaft, die nur 3 % der Erwerbstätigen in der Schweiz beschäftigt, gehört zu den drei Wirtschaftszweigen mit der höchsten Quote von Arbeitsunfällen im Verhältnis zur Zahl der beschäftigten Personen.

Deshalb können wir uns mit Ihren Schlussfolgerungen nicht einverstanden erklären.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund billigt die uneingeschränkte, diskussionslose Ablehnung der Ratifizierung des Übereinkommens (Nr. 184) der IAO nicht. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Schweizer Landwirtschaft, deren Arbeitsbedingungen in allzu vielen Kantonen noch immer ans Mittelalter erinnern, haben mehr Achtung verdient.

Wir schlagen deshalb vor, dass die Dreigliedrige Eidgenössische Kommission für Angelegenheiten der IAO über diese Frage debattiert, und zwar in Gegenwart der Sozialpartner der Branche, welche die Direktion für Arbeit des seco bei dieser Gelegenheit auffordern sollte, gemäss Artikel 4 des Übereinkommens (Nr. 98) der IAO über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen einen nationalen Gesamtarbeitsvertrag auszuhandeln.

Damit hat der SGB kein Sachargument in Bezug auf die Prüfung des Übereinkommens
Nr. 184 geliefert.

Das seco hat dem SGB wie folgt geantwortet: «...Die konstante Politik der Schweiz, internationale Arbeitsübereinkommen zu ratifizieren, beruht auf einer gründlichen Prüfung des gegenwärtigen Stands des positiven Schweizer Rechts im Hinblick auf das Übereinkommen. Entspricht dies den Anforderungen der internationalen Urkunde, kann unser Land deren Ratifizierung ins Auge fassen. Die einzige Ausnahme von dieser Praxis ist bei der Ratifizierung der grundlegenden Übereinkommen über Kinderarbeit gemacht worden. Die Bundesversammlung hat diese Praxis gutgeheissen.

Ihr Antrag, über die Voraussetzungen für die Durchführung des Übereinkommens Nr. 184 zu diskutieren, bevor seine Ratifizierung ins Auge gefasst wird, entspricht deshalb nicht der oben erwähnten Praxis. Ausserdem hätte dieses Vorgehen zur

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Folge, dass die zwölfmonatige Frist, die Artikel 19 der Verfassung der IAO für die Unterbreitung vorschreibt, nicht eingehalten werden kann.

Das Prinzip der Freiheit der Kollektivverhandlungen ermöglicht Ihnen jederzeit und aus eigenem Antrieb, direkt mit den Arbeitgebern Kontakt aufzunehmen, um darüber zu diskutieren, ob ein Gesamtarbeitsvertrag für den Landwirtschaftssektor angezeigt ist. Es ist grundsätzlich nicht Sache des Staates, in diesem Bereich die Initiative zu ergreifen. Zu dem von Ihnen angesprochenen Artikel 4 des Übereinkommens Nr. 98 verweisen wir auf den Kommentar des Bundesrates in seiner Botschaft zur Ratifizierung des genannten Übereinkommens (BBl 1999 I 513). Darin heisst es: «...» (Es folgen dieselben Zitate wie in der Antwort des seco an Travail.Suisse) Demzufolge darf nicht vom ursprünglichen Zweck des Übereinkommens Nr. 98, wie auch des Übereinkommens Nr. 144, abgewichen werden, indem der Staat, oder sogar die Sozialpartner, Kompetenzen erhalten, die ihnen von diesen Urkunden zu ihrer Durchführung nicht zugedacht sind Auf Antrag der Arbeitnehmervertreter an der Sitzung der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO haben wir das IAA um eine Stellungnahme zur Anwendbarkeit des Übereinkommens Nr. 184 auf selbständig Erwerbstätige gebeten. Die Meinungen des IAA sind im Text des Berichts wiedergegeben, und die Schlussfolgerungen daraus wurden im Hinblick darauf gezogen, ob die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens angenommen werden können oder nicht.

In Ihrer Stellungnahme findet sich kein negatives Sachargument zu der Analyse der Verwaltung betreffend die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 184. Wir nehmen davon mit Befriedigung Kenntnis und gehen davon aus, dass Sie diesbezüglich keine Einwände haben. Wenn wir bis Montag, 7. Juli 2003, nichts weiter von Ihnen hören, gehen wir davon aus, dass sie keine weiteren Bemerkungen vorzubringen haben.

Ihre Stellungnahme wird in dem Bericht, den der Bundesrat den beiden Kammern vorlegen wird, wiedergegeben.» Am 1. Juli 2003 hat der SGB Folgendes ausgeführt: «Im Gegensatz zu ihrer Aussage im vierten Absatz auf Seite 4 sind wir nicht mit den Schlussfolgerungen Ihres Berichts einverstanden. Die Schweiz muss das Übereinkommens Nr. 184 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft ratifizieren. Der
Schweizerische Gewerkschaftsbund kann nicht zulassen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft von wirksamen Schutzmassnahmen in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und sozialer Schutz ausgenommen sind.

Die Annahme des Übereinkommens Nr. 184 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft und der dazugehörigen Empfehlung Nr. 192 sowie des Protokolls zum Übereinkommen Nr. 155 über den Arbeitsschutz an der 89. und 90. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz ist zu Recht als historisches Ereignis für die rund 450 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weltweit in diesem Sektor beschäftigt sind, bezeichnet worden.

Die Verbesserung der Arbeitsschutznormen in der Landwirtschaft ist von allergrösster Dringlichkeit, denn diese Branche gehört mit dem Bergbau und dem Baugewerbe zu den gefährlichsten Wirtschaftszweigen überhaupt. Eines der Hauptmerkmale der landwirtschaftlichen Arbeit ist die Tatsache, dass sie in einem ländlichen Umfeld ausgeführt wird, in dem es keine klare Abgrenzung zwischen den Arbeits- und den 7878

Lebensbedingungen gibt. Das bedeutet, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft zusätzlichen Gefahren, wie etwa dem Kontakt mit Pestiziden, ausgesetzt sind.

Das Übereinkommen Nr. 184 ist, ebenso wie das Übereinkommen Nr. 182 über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, das die Schweiz glücklicherweise dennoch ratifiziert hat, so flexibel wie möglich konzipiert worden. Es gilt nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auf Drängen der Arbeitgeber und zahlreicher Regierungen sind die Erwähnungen der selbständig Erwerbstätigen in die Absätze 12 bis 15 der Empfehlung Nr. 192 verschoben worden, die nicht verbindlich ist.

Allerdings sieht Artikel 3 des Übereinkommens Nr. 184 vor, dass die Bestimmungen des Übereinkommens schrittweise auf alle betroffenen Arbeitskräfte auszudehnen sind. Dies eröffnet der Schweiz einen durchaus praktikablen Weg zur Ratifizierung, vor allem weil es möglich ist, einen besseren Arbeitsschutz als ihn die von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) als ungenügend erachteten kantonalen Normalarbeitsverträge bieten, schrittweise zu verwirklichen.

In Anbetracht der mit wenigen Ausnahmen völlig veralteten Arbeitsbedingungen in der Schweizer Landwirtschaft (beispielsweise haben nur die Kantone Genf, Waadt, Wallis und Tessin Mindestlöhne festgelegt) ist es nicht annehmbar, dass die Ratifizierung des Übereinkommens Nr. 184 unter dem Vorwand abgelehnt wird, sie entspreche nicht dem in der Schweiz geltenden positiven Recht. Unser Land ist von der Regel, die es sich bisher auferlegt hatte, abgewichen, um die sogenannten grundlegenden Übereinkommen der IAO zu ratifizieren. Es ist somit möglich, dass die Schweiz das Übereinkommen Nr. 184 ratifiziert.» In seiner Antwort vom 3. Juli 2003 führt das seco aus: «Wir nehmen die Tatsache, dass Sie mit den Schlussfolgerungen des Berichts nicht einverstanden sind, sowie Ihre Argumente zu der Frage, ob die Schweiz das Übereinkommen Nr. 184 über den Arbeitsschutz in der Landwirtschaft ratifizieren soll oder nicht, zur Kenntnis. Ihre Stellungnahme wird ebenfalls im genannten Bericht wiedergegeben.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen des IAA zur Anwendbarkeit gewisser Vorschriften dieser Urkunde auf selbständig Erwerbstätige ist das Übereinkommen Nr. 184 noch einmal beleuchtet worden. Der Text des Berichts ist
diesbezüglich eindeutig (Ziff. 2.2.1); er stützt sich auf die Bemerkungen des IAA in seiner Stellungnahme sowie auf die Bestimmungen der Empfehlung Nr. 192. In Anbetracht der Schlussfolgerungen zu den einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens und der Empfehlung kann nicht behauptet werden, diese Urkunde gelte nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was eine einseitige und im Hinblick auf das internationale Recht ungültige Auslegung dieser Urkunde wäre.

Zwar sieht Artikel 3 des Übereinkommens Nr. 184 die schrittweise Anwendung des Übereinkommens auf alle Betriebe und alle Arbeitnehmer vor (Abs. 2), dies jedoch im Zusammenhang mit Absatz 1 desselben Artikels zur Ausnahme gewisser Gruppen von Arbeitnehmern oder Betriebe von dem Übereinkommen oder einzelnen seiner Bestimmungen, wenn besondere Probleme von erheblicher Bedeutung auftreten.

Von Absatz 2 kann also nur Gebrauch gemacht werden, wenn ein Staat, der beabsichtigt, das Übereinkommen zu ratifizieren, die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit der Ausnahme benutzt. Diesbezüglich muss darauf hingewiesen werden, dass Staaten, die ein Übereinkommen ratifizieren, nicht die Möglichkeit haben, die Bestimmungen dieser Urkunde nach ihrem Gutdünken auszulegen; diese Kompetenz 7879

kommt nur den Gremien zur Überwachung der internationalen Arbeitsnormen zu.

Die Schweiz kann also Absatz 2 von Artikel 3 nicht aus seinem Kontext herauslösen.

Das Übereinkommen Nr. 184 steht nicht auf der Liste der von allen Mitgliedstaaten der IAO angenommenen grundlegenden Übereinkommen. Es ist also in diesem Fall nicht angezeigt, von der konstanten Ratifizierungspolitik des Bundesrates und des Parlaments bei der Ratifizierung der internationalen Arbeitsübereinkommen abzuweichen. Für alle Fälle erinnern wir diesbezüglich noch einmal an den Inhalt unseres Schreibens vom 24. Juni dieses Jahres: «Die konstante Politik der Schweiz, internationale Arbeitsübereinkommen zu ratifizieren, beruht auf einer gründlichen Prüfung des gegenwärtigen Stands des positiven Schweizer Rechts im Hinblick auf das Übereinkommen. Entspricht dies den Anforderungen der internationalen Urkunde, kann unser Land deren Ratifizierung ins Auge fassen. Die einzige Ausnahme von dieser Praxis ist bei der Ratifizierung der grundlegenden Übereinkommen über Kinderarbeit gemacht worden. Die Bundesversammlung hat diese Praxis gutgeheissen.

Ihr Antrag, über die Voraussetzungen für die Durchführung des Übereinkommens Nr. 184 zu diskutieren, bevor seine Ratifizierung ins Auge gefasst wird, entspricht deshalb nicht der oben erwähnten Praxis. Ausserdem hätte dieses Vorgehen zur Folge, dass die zwölfmonatige Frist, die Artikel 19 der Verfassung der IAO für die Unterbreitung vorschreibt, nicht eingehalten werden kann.» Der Bundesrat und dann das Parlament werden darüber zu entscheiden haben, wie sie auf den Bericht reagieren wollen.»

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