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Parlamentarische Initia thè betreffend Bestätigungswahl des Bundesrates durch das Volk Bericht der vorberatenden Kommission an den Nationalrat (Vom 19 September 1974)

Heri Präsident verehrte Kolleginnen und Kollegen, Mit seiner Imtiatne \om 13 Dezember 1971 beantragt Nationalrat Schwarzenbach, Artikel 96 Absatz 2 der Bundesverfassung m dem Sinn zu erganzen dass die Stimmberechtigten die Möglichkeit erhalten, bei der Gesamterneuerung des Nationalrats die - von der Vereinigten Bundesversammlung für die ablaufende Amtsperiode gewählten Bundesrate in ihrem Amt zu bestätigen oder abzuberu fen Die schon mehrmals gefoiderte reme \ olkswahl des Bundesiats weise Nachteile vor allem technisch-organisatorischer Art auf Die Bestatigungswahl sei dagegen eine gangbare Losung sie wurde insbesondere gestatten, die manifeste Veitiauensknse im Verhältnis des Volkes zum Bundesrat zu überwinden \Vegen dei standig wachsenden Macht der Exekutne sei eine Vertrauensstarkung notig Sie könne duich eine gewisse Mitsprache des Volkes bei der Besetzung der Regie rang erreicht werden Um die grundsätzliche Tiagweite dieser neuen Variante einer Emflussnahme des Volkes auf die Auswahl der Regierungsmitgheder zu klaren liess die Kommission zwei Gutachten erstellen ein historisches von Herrn Gvmnasiallehiei HP Gschwend, Aarau, und ein juristisch-staatspolitisches \on einer Juristen gruppe, bestehend aus den Herren Prof Hans Huber, Prof Christian Domimce, Bundesrichter O K Kaufmann und alt Standerat E Zellweger Das historische Gutachten zeigt, dass das Postulat der Volkswahl des Bundesrates 1848 eine Forderung des Zentralismus, nur in den Jahren 1865 bis 1874 ein demokratisches und auf verstärkte Gewaltentrennung zielendes Begehren, dagegen um die Jahrhundertwende und m den Jahren 1919 bis 1942 ein Thema der parteipolitischen Auseinandersetzung v,ar Die Volkswahl-Foiderung stand nie im Mittelpunkt der politischen Aktualität und der öffentlichen Diskussion Andere Probleme Proporzwahl Zahl der Bundesrate usw v, ai en wichtiger 1974

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Bund-sblatt 126 Jahrg Bd II

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1306 Das juristisch-staatspolitische Gutachten hält eine Bestätigungswahl nicht für günstiger als eine direkte Wahl der Bundesräte durch das Volk. Sie hat dieselben Nachteile und noch einige dazu, namentlich den, dass das Volk zwar wegwählen darf, aber auf die Ersatzwahl keinen Einfluss hat und von ihr enttäuscht werden kann. Das Hauptgewicht würde vielleicht nicht in der Bestätigung, sondern in der Abberufung von Bundesräten liegen. Statt Vertrauen zu stärken, könnte sie zur Verbreitung von Misstrauen Anlass geben. Es wäre wohl eine Fehlentwicklung der Demokratie, die Aufmerksamkeit der Bürger von Sachfragen auf Personen abzulenken. Das Parlament kann die Bundesräte richtiger beurteilen als das Volk. Für den Wahlerfolg würden Popularität und FernsehWirksamkeit entscheidender als die tiefern Qualitäten eines Bundesrates, ganz abgesehen vom finanziellen Aufwand in der Wahlkampagne; Bundesräte aus kleinern Kantonen hätten allenfalls einen schwierigeren Stand. Die Bundesversammlung würde in ihrer Wahlbefugnis und auch in der Oberaufsicht über den Bundesrat geschwächt. Zwei für unser Regierungssystem wesentliche, aber nicht ungefährdete Elemente (Kollegialprinzip und Zusammenarbeit der Regierungsparteien) könnten verhängnisvoll getroffen werden.

Die Kommission hat sich, mit Ausnahme des Initianten, von diesen Argumenten überzeugen lassen. Die Bestätigungswahl erscheint ihr weder als Mittel für die Verstärkung des Vertrauens in die Regierung noch als Gegengewicht gegen deren Machtfülle. Das vorgeschlagene Instrument würde vielmehr eine systemwidrige Neuverteilung der Kompetenzen oberster Staatsorgane bewirken und den Zusammenhalt der Landesregierung durch Schwächung des Kollegialprinzips in Frage stellen. Die Kommission gelangt daher zur Ablehnung der Initiative.

Für die Einzelheiten wird auf die Beilagen verwiesen: 1. Text der Initiative und Motive des Initianten ; 2. Einlässliche Zusammenfassung der Gutachten (deren Wortlaut beim Sekretariat der Bundesversammlung bezogen bzw. eingesehen werden kann) ; 3. Arbeit und Erwägungen der Kommission, sowie Verfahrensfragen.

Die Kommissionsmehrheit beantragt : der Initiative betr. Bestätigungswahl des Bundesrats sei keine Folge zu geben; sie sei von der Geschäftsliste abzuschreiben.

Die Minderheit der Kommission (Schwarzenbach) stellt den Gegenantrag,
der Initiative sei Folge zu geben.

Sollte der Rat den Gegenantrag vorziehen, so wäre das Geschäft einer neuen Kommission zuzuweisen zur Ausarbeitung eines befürwortenden Begleitberichts.

Bern, den 19. September 1974 Im Namen der Kommission 3S65

Der Präsident : A. Weber (Altdorf)

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Beilage l

Initiativ-Text und Motive des Initianten 11 Wortlaut der Initiative Nationalrat Schwarzenbach hat die Initiative am 13 Dezember 1971 eingereicht und am 22 März 1972 eine redaktionelle Änderung vorgenommen (Schweizervolk statt Schweizer Burger und Bürgerinnen in Abs 2bis) Massgebend ist also der folgende Text 4i t 96 Abs 2 der Bundesverfassung Nach jeder Gesamterneuerung des ISationalrates findet auch eine Gesamterneuerung des Bundesrates statt 2bis Diese erfolgt gestutzt auf die Ergebnisse einer Bestatigungswahl jedes einzelnen amtierenden Bundesrates durch das Seh« eizen olk Die Bestatigungswahl findet anlasshch der Gesamterneuerung des Nationalrates statt 2ter Erreicht ein Bundesrat das absolute Mehr nicht, so scheidet er auf Ende des Jahres aus dem Amte aus und kann für die Dauer \on zwei Legislaturperioden nicht wieder gewählt « erden 2quater Die durch die Bestatigungswahl ledig gewordenen Stellen werden bei der Gesamterneuerung des Bundesrates durch die Bundesversammlung für die Dauer der neuen Legislaturperiode wiederer besetzt 2

12 Erwägungen des Initianten Nationalrat Schwarzenbach hat in der Kommission seine Überlegungen im wesentlichen wie folgt dargelegt Bundesrate genossen früher dank menschlicher Ausstrahlung und Volksverbundenheit hohes Ansehen, was Ruf und Stabilität der Regierung festigte, heute dagegen meldet sich viel Kritik und Misstrauen Aufgaben und Macht des Bundesrates sind gewachsen, seit dem Vollmachtenregime im 2 Weltkrieg haftet ihm ein autoritärer Zug an Einfluss und Kontrolle der Legislative erlahmen und das Volk wird zunehmend ausgeschaltet Die Schweiz entwickelt sich zum gewaltenmomstischen Exekutivstaat Weil Regierungsentscheide oft nicht dem Volkswillen entsprechen, entfremden sich Souverän und Exekutive Nicht gewohnliche Sachfragen, sondern politische Grundsatzfragen entzünden die politischen Leidenschaften Namentlich die aussenpohtischen Kompetenzen des Bundesrates sind zu seinem Privileg und, entgegen der Meinung des Verfassungsgebers, durch die Neutrahtatsmaxime nicht vor missbrauchlicher Interpretation bewahrt worden Eine eigenwillige Aussenpohtik

1308 weckte immer wieder die Forderung nach Volkswahl des Bundesrates und nach Mitsprache bei der schwierigen Kursbestimmung unserer Aussenpolitik.

Schwerwiegende Entscheidungen stehen bevor gegen aussen (Öffnung der Schweiz nach Europa, Frage des UNO-Beitritts, Entwicklungshilfe) und im Innern (teure Sozialpolitik, Landesplanung, Wohnbauförderung, Wirtschaftseingriffe, Kampf gegen Bodenspekulation, Inflation, Überfremdung).

Es gilt, die Vertrauenskrise durch festere Verbundenheit von Volk und Regierung zu überwinden und die Kontrolle von Souverän und Parlament über die Regierung zu verstärken. Nötig ist zudem ein Korrektiv gegen Fehler bei den Bundesratswahlen, die in jüngerer Vergangenheit wiederholt Kritik hervorriefen, weil das Volk Wahlabsprachen der Fraktionen ablehnt.

Das Volk soll selber die Möglichkeit erhalten, Gesinnung und Leistung der praktisch unabsetzbar gewordenen Bundesräte zu werten.

Volkswahl des Bundesrates ist ein altes, mehrmals durch eine eigenwillige Aussenpolitik aktualisiertes Postulat der Minderheitsparteien im Zeichen von Demokratie und Gewaltentrennung. Die vorgeschlagene Bestätigungswahl liegt in der Mitte zwischen der direkten Volkswahl, deren Nachteile entfallen, und dem in verschiedenen Kantonen (BE, LU, SO, BL, SH, AG, TG) vorgesehenen Volksrecht auf Abberufung der ganzen Regierung und allenfalls des Parlaments. Sie passt also in unsere politische Landschaft und kann dem anvisierten Ziel dienen.

Die möglichen Einwände (Abschwächung des Föderalismus, Machtgewinn des Bundesrates, Auswüchse der Volkswahl-Kampagne, kompliziertes Verfahren) kommen nicht auf gegen die positiven Argumente (mögliche Vorteile für den Föderalismus, Verstärkung der Gewaltentrennung und der Volkssouveränität, Vereitelung von Wahlabsprachen).

Erheblich betroffen würde die Interpretation des Kollegialprinzips der Regierung, das freilich durch das Departementssystem (Aufgabendelegation an die Departemente ; Sonderkenntnisse des Departementschefs in seinem Zuständigkeitsbereich) durchbrochen ist. Im Hinblick auf seine Wiederwahl 'wäre jeder Bundesrat berechtigt, seine Departementsarbeit und seine persönliche Haltung, auch wo sie vom Kollegium abweicht, darzustellen. Schon heute hört man aus den Mehrheitsentscheiden der Regierung die Stimme der einzelnen Bundesräte heraus. In Zukunft würde
ihre Persönlichkeit stärker hervortreten. Das Volk misstraut der Kabinettspolitik mit ihren Geheimnissen und Spannungen; es wünscht Transparenz der Regierungsverhandlungen, Bekanntgabe der Stimmenverhältnisse in der Regierung, klare Verantwortung.

Man sollte die Gefahr, dass Bundesräte wegen der Bestätigungswahl unpopuläre Aufgaben scheuen und um Volksgunst buhlen würden, nicht überschätzen. Auch das Kollegialprinzip fordert von den Regierungsmitgliedern Opfer und Charakterstärke. Das Volk vertraut auch dem Mann, der berechtigte Opfer fordert, wenn er sie ihm verständlich macht.

1309 Die Abberufung eines fähigen Bundesrates ist weniger nachteilig als das Verbleiben eines Ungeeigneten im Amt. Bundesräte auf Lebenszeit würde es nicht mehr geben; der Wunsch, lange im Amt zu bleiben, scheint ohnehin im Abnehmen begriffen zu sein.

Technische Schwierigkeiten sind nicht zu befürchten ; namentlich trifft nicht zu, dass die Frist zwischen der Bestätigungswahl und einer allfällig notwendig werdenden Neuwahl zu kurz wäre.

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Beilage 2

Zusammenfassung der Gutachten A.

Die politische Auseinandersetzung um die Einführung der Volkswahl des Bundesrates seit 1848 (Studienbencht von Herrn Hanspeter Gschwend, Gymnasiallehrer, Aarau) Der Gutachter stützt sich auf Verhandlungsprotokolle und Zeitungsberichte.

Sie zeigen, dass die Volkswahl-Frage mehr Gegenstand von Grundsatzdiskussionen als der Realpolitik war. Die Frage ist in fünf Auseinandersetzungen aktuell geworden :

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Verfassungsdiskussion 1847/1848 Die Volkswahl des Bundesrates wurde als Postulat des Zentralismus von U. Ochsenbein am S.April 1848 in der Verfassungskommission gefordert, aber mit 10 zu 9 Stimmen abgelehnt und in der Tagsatzung nicht mehr diskutiert. Die Gegner hatten verschiedene Nachteile befürchtet: harte Wahlkämpfe, viele Wahlgänge mit der Gefahr politischer Apathie, Abschreckung der Kandidaten, Überforderung der Wähler, Instabilität der Regierung.

In der Folgezeit neigten mehrere Staatsrechtler, besonders J. C. Bluntschli, J. Dubs, J. Fazy, E. Naville zu einer Volkswahl des Bundesrates und kritisierten die unvollkommene Gewaltentrennung in der geltenden Ordnung.

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Teilrevision der Verfassung 1865 Die Nationalräte Bernet (linksliberal, Grütlianer) und Vautier (radikal) sowie Ständerat Vigier (radikal) sprachen für eine Demokratisierung der Regierung angesichts der Übermacht des Bundesrates, der von einer Minderheit nicht ohne Manipulation gewählt werde. Bundesrat Dubs und der nachmalige Bundesrat Scherer befürworteten die Volkswahl, aber die Gegenargumente drangen durch: Nationalrat A. Escher betonte, dass die konstitutionellen Grundformen stimmten und das Volk befriedigten; Theorien rechtfertigten keine Änderung der bewährten Ordnung. Ständerat Blumer nannte Bedenken und meinte : Wenn man eine parlamentsunabhängige Exekutive wolle, müsste man ein Präsidialsystem nach amerikanischem Muster einführen, das aber für die Schweiz allzu neu und nicht volkstümlich wäre.

1311 Totalrevision von 1874 Bei der missgluckten Revision von 1872 kam die Frage nicht zur Sprache In der Vorberatung der Revision von 1874 kämpfte der Radikale Carteret für die Volkswahl von Regierung und Gericht aus Gründen der Demokratie, des Föderalismus und vor allem einer säubern Gewaltentrennung Das Volk werde nicht auf die Kantonszugehongkeit sondern auf die Tüchtigkeit dei Kandidaten achten Nationalrat Ruchonnet, der spatere Bundesrat, entgegnete, der Bundesrat bekäme durch die Volkswahl zuviel Gewicht, und Bundesrat Ceresole bemerkte Um dem Föderalismus zu genügen, musste der Bundesrat durch Volk und Stande gewählt werden Der Antrag wurde zurückgezogen Die Volkswahl-Idee zündete m der Bundesversammlung nicht und wurde vom Volk kaum wahrgenommen, zu emei breitem Ausemandeisetzung kam es anscheinend nicht

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Doppelinitiative von 1898 und 1900 An der Bundesratswahl von 1897 wurde der freisinnige Bienner den Gegenkandidaten Curti (Ausserste Linke) und Speiser (Konservatives Zentrum) vorgezogen Die Minderheiten sprachen von Machtdemonstration und Unnachgiebigkeit des Fieisinns Entsprechende Vorstosse m den Raten ei wiesen sich als wirkungslos Die «Ausserste Linke» lancierte gleichzeitig zwei Volksimtiativen, die 1900 abgelehnt wurden jene auf Einführung des Nationalrats-Proporzes mit 245 000 zu 170000 Einzel- und 11 >/2 gegen 10% Standesstimmen, undj ene fui die V olksw ahi des Bundesrates mit 270000 zu 145000 Volks- und 14 zu 8 Standesstimmen Es wurde angeführt, die Macht des Bundesrates sei gewachsen, seme Unabhängigkeit gesunken Die unvollkommene Gewallentrennung schwache zugleich die Regierung und die parlamentarische Kontrolle Der Bundesiat sei keine wahre Regierung, sondern nur oberstes Verwaltungsorgan ubei einer machtiger werdenden Bürokratie Hintergrund der Auseinandersetzung wai ein Machtkampf der politischen Richtungen und eine Reprasentationsknse, die erst 1918 (Nationalratsproporz) behoben wurde Zuerst vertraten nur einige ostschweizerische Demokraten überzeugt die Volkswahl-Forderung Die Sozialdemokraten übernahmen sie zögernd und anscheinend mehr aus taktischen Gründen Die Konservatnen lehnten sie als zentralistisch grundsatzlich ab, doch nahmen die Kantone Freiburg und Wallis an dei Abstimmung die Volkswahlimtiatrs e dennoch an Eine welsche liberalkonservative Zeitung nannte die Volkswahl ein föderalistisches Postulat Die Radikalen waren dagegen, verwiesen auf die anerkannten Leistungen der Freisinnigen m der Regierung und befrachteten die \olkswahl als

1312 fragwürdiges Experiment mit der Gefahr harter Kämpfe und Konflikte, Hemmung der Gesetzgebung und des Bundes als solchen.

Die auf mehr Demokratie gerichtete Doppelinitiative löste, wie der Verlauf zeigte, keine Grundwelle im Volk aus, sondern war ein Kampf unter Politikern; die Volkswahlinitiative spielte dabei die Rolle des fünften Rades am Wagen.

Volkswahl-Initiative 1939 An der Bundesratswahl 1938 zog man den freisinnigen Wetter dem Sozialisten Klöti vor, was dessen Partei nach dem von ihr vollzogenen Wandel als Undank empfand. Im Juli 1939 wurde die Initiative auf Volkswahl von 9 Bundesräten mit 157 000 Unterschriften eingereicht.

Die Volkswahl-Forderung wurde von der bürgerlichen Mehrheit in allen Verfahrensstadien abgelehnt. Der Nationalrat beschloss, zur Erleichterung einer sozialistischen Regierungsbeteiligung einen Gegenvorschlag, der lediglich die Vergrösserung des Bundesrates auf 9 Mitglieder vorsah. Der Ständerat lehnte Initiative und Gegenvorschlag ab; die Sozialdemokraten sollten ohne Vergrösserung des Bundesrates in die Regierung eintreten. Die Initiative kam ohne Gegenvorschlag an die Abstimmung und wurde am 24. Januar 1942 mit 524000 zu 252000 Einzelstimmen und von allen Ständen verworfen. An der nächsten Bundesratswahl, 1943, wurde E.Nobs als erster Sozialdemokrat gewählt.

Die Parallele zur Doppelinitiative ist offensichtlich. Es ging um die sozialdemokratische Regierungsbeteiligung. Die Befürworter verlangten mehr Demokratie. Die Gegner sprachen von Scheindemokratie und Demagogie ; sie befürchteten Gefährdung der Regierungsstabilität, Ausdehnung der politischen Krisenmacherei auf den Bundesrat, Bedrohung der aussenpolitischen Kursfestigkeit durch innenpolitische Belastungen.

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Zusammenfassende Thesen

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Motiv der Volkswahl-Forderung waren nur 1865-1874 Demokratie und Gewaltentrennung, dagegen 1848: Zentralismus, 1898-1900 und 1939-1942 parteipolitische Machtfragen.

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Im Mittelpunkt der politischen Aktualität und der Volksdiskussion stand nie die Volkswahl des Bundesrates, sondern der Proporz und die Zahl der Bundesräte.

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Die Für- und Wider-Argumente blieben, mit unterschiedlicher Gewichtung, dieselben, verblassten aber zunehmend neben den parteipolitischen Machtansprüchen.

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B.

Bericht zur Einzelinitiative betreffend «Bestätigungswahl» der Bundesräte durch das Volk (erstattet von den Herren Prof H Huber, Mûri, Prof Ch Domrmce, Genf, Bundesnchter O K Kaufmann, Lausanne d Standerat E Zellweger, Zürich) Der sehr emlassliche und nuancierte Bericht kann aus Raumgründen nur stark verkürzt und vereinfacht wiedergegeben werden

Gehalt der Initiative

Das Volk konnte die Bundesrate nicht auslesen, nur wegwahlen, das Wahlrecht der Bundesversammlung wäre trotzdem entkräftet Die «Wahlverantwortung» für einen neuen Bundesrat hatte zuerst die Bundesversammlung, nach der ersten Bestatigungswahl das Volk Bei dieser Majorzwahl wäre die ganze Schweiz em Wahlkreis Im Bundesrat gäbe es meistens zwei Alten von Mitgliedern noch nicht bestätigte sowie (unangefochten oder angefochten) bestätigte 2

Gesichtspunkte der Demokratie

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Problematik der Popularität - Steigendei Emfluss dei Massenmedien Gewählt von Jer demokratisch und föderalistisch bestellten Bundes\ ersammlung nimmt der Bundesrat heute teil an derLegitimität unseres von der ubeiwiegenden Volksmehrheit gebilligten politischen Systems, eine negativindividuelle Bestatigungswahl konnte den Bundesrat als Behörde kaum in gleichem Mass legitimieren - Die politische Opposition durfte in Wahrheit mehr an sachlichen Alternativen als an einem persönlichen Scherbengericht interessiert sein - Bei der Volkswahl wurde die Popularität eines Mannes seinemöglicherw«eise wichtigen stillen Qualitäten überschatten Das Parlament kennt die Bundesrate besser und beurteilt sie sachlicher Das Volk konnte nicht zwischen Alternativkandidaten v, ahlen und ist im übrigen von den Bundesraten weiter entternt als \on Regierungsraten Das Fernsehen wurde selbst bei intensiver Vorbereitung einer umstrittenen Bestatigungswahl den Abstand nicht genügend überbrücken, zumal die aussere Telegemtat der «Kandidaten» unterschiedlich ins Gewicht fiele Dem Volk wurde weniger die Inlormation als der Beurteilungsmassstab fehlen Es herrscht kein Mangel, eher ein verwirrender L berfluss an Information Die Transparenz deiRegierunsverhandlungenn wurde Staatsgeheimnisse gefährden und die Reifung der Entscheide stören

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Volkswille Das Volk hat die "Volkswahl des Bundesrates 1900 und 1942 verworfen Bei der gegenwartigen Vorbereitung einer Totalre\ision der Bundesverfassung kam kein ernsthafter Vorschlag auf Volkswahl des Bundesrates herein

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Volksrechte: Die Nachteile einer Volkswahl des Bundesrates sind beim gegenwärtigen Vorschlag nicht behoben, sondern verstärkt. Die Demokratie ist nicht einfach eine Frage der Logik, sondern des Masses; es braucht in Gemeinde, Kanton und Bund ein anderes Mass. Die direkte Demokratie hat bei uns die sachgegebenen Grenzen erreicht und teilweise überschritten. Der Stimmbürger ist vielfach überfordert und würde es noch mehr durch die schwierige Aufgabe, Regierungstätigkeit zu beurteilen. Würde die gleichzeitige Bestätigungswahl das Interesse an den Nationalratswahlen heben, oder manche Stimmbürger eher abstossen?

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Vertrauen in die Regierung: Man darf die Achtung, die einzelnen (vom Initianten subjektiv ausgewählten) Bundesräten entgegengebracht wurde, nicht mit dem Vertrauen des Volks in den Bundesrat verwechseln. Die Bestätigungswahl, bei der das Negative, die Abberufung im Vordergrund stände, würde nicht das Vertrauen stärken, eher Misstrauen verbreiten ; sie könnte auch das Vertrauen in den Nachfolger eines abberufenen Bundesrates nicht sichern. Die Nebenfunktion, Proteste zu absorbieren bzw. zu Abreaktionen Gelegenheit zu geben, kann das Institut einer Abberufungswahl nicht rechtfertigen.

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Föderalismus: Bei der Bestätigungswahl wäre das gesamtschweizerische Mehr massgebend. Das Stimmgewicht grosser Kantone könnte antiföderalistisch entscheiden ; es droht verstärkter Regionalismus.

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Gleichzeitigkeit von Nationalrats- und Bundesratswahl. Die zu bestätigenden Bundesräte können bei der Nationalratswahl für ihre Partei Zugpferd oder Belastung sein. Oppositionsparteien ohne Bundesrat wären u. U. benachteiligt.

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Die Änderung am Regierungssystem

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Vorbemerkung: Neuerungen am Regierungssystem bedürfen einer Gesamtschau; man sollte nicht einen einzelnen Punkt herausgreifen. Nicht voraussehbar ist, ob die Bestätigungswahlen den Rang eines nationalen Ereignisses bekämen oder «einschlafen» würden.

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Spaltung in Ernennungs- und Bestätigungswahl: Die Spaltung der Wahlbefugnisse kann Spannungen zwischen Volk und Behörden vertiefen und neue schaffen. Die Bundesversammlung achtet bei den Wahlen auf Ausgewogenheit und berücksichtigt Minderheiten ; Bestätigungswahlen können Unstetigkeit und Einseitigkeit bewirken. Nach einer Abberufung würden u.U. die Wähler durch die Bestimmung des Nachfolgers enttäuscht ; man müsste mit Versuchen zur Beeinflussung der Nachfolger-Wahl rechnen.

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Störung des Kräftegleichgewichts: Bundesversammlung und Bundesrat müssen in dialektischer Auseinandersetzung zusammenwirken. Der Bundesrat hat eine selbständige Führungsrolle angenommen ; die Bundesversammlung

1315 ist in Abhängigkeit von Bundesrat und Verwaltung geraten Relevant ist dabei weniger der Machtzuwachs des Bundesrates als die Notwendigkeit des Bundes, anspruchsvollere und verantwortungsschwerere Aufgaben zu erfüllen Die Bestatigungswahl wurde Unsicherheit ins Verhältnis von Bundesversammlung und Bundesrat tragen, die Bundesversammlung wurde noch regierungsabhangiger Die Drohung mit der Abberufung konnte, wie jene mit dem Referendum, sachfremden Druck ausüben, konnte Koalitionsregierung, Konkordanzwillen, Regierungsproportionahtat und Zusammenhalt der Regierungsparteien gefährden, ohne die Stellung der Opposition zu festigen Sie wurde die Oberaufsicht des Parlaments erschweren, das Verhältnis des Departementschefs zu seinen Beamten belasten und konnte die Autorität der Bundesrate und des Bundesrates schwachen Es bestände die Gefahr einer unkorrekten Politisierung der Bundesverwaltung und einer schiefen Interessen-Berücksichtigung Statt die ganze Amtsführung zu werten, wurden die Wahler oft einen emotionalen Momententscheid fallen Die vom Imtianten gewünschten Tendenzen konnten ins Gegenteil umschlagen Der alte «Gesetzgebungsstaat» kann und soll nicht wiedei hergestellt werden 34

Stabilitatsvei lust Konstanz und Stabilität hessen den Bundesiat erfolgreich wirken und verschafften unserem Regierungssystem einen vorzüglichen Ruf Die Bestatigungswahl. mit der Möglichkeit jäher personellei Änderungen, stellt dies in Frage Die Amtszeit der Bundesrate ist kurzer geworden, es braucht kein Mittel gegen Lberstabilitat

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Durchlöcherung des Kollegialprinzips Wegen der Aufgabenzunahme werden die Bundesrate mehr durch ihr Departement als durch das Kollegium beansprucht Die Initiative droht das Kollegialprmzip ganz aufzulösen und die Zusammenarbeit im Bundesrat zu beseitigen Individualverantwortung der Bundesrate hemmt Sachverstands-integration und Meinungs-Ausgleich und fuhrt zu Steuerlosigkeit der Regierung Selbst gegenüber machtigen Interessen und m wichtigen Landesfragen wäre die Einheit ungewiss Jeder Bundesrat wäre nur noch für sein Departement, keiner wirklich für die Fehler des Kollegiums verantwoithch Im Extremfall droht ein Dauerkarussell von Anschuldigungen und Reinwaschungen Die Gefahren sind enorm

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Ei schweiung der Depai tementszuteüung Die Bundesrate wurden im Hinblick auf die Bestatigungswahl die undankbaren Departemente meiden Ein Kandidat wurde allenfalls die Wahl nur unter Vorbehalt der Zuteilung eines dankbaren Departements annehmen Hochqualifizierte Leute konnten vermehrt vor einer Kandidatur zurückschrecken, es dioht Quahtatsverlust

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Veihaltnis zu Initiative und Refei endum Die Bestatigungswahl wäre benutzbar, um nachtiaglich einen Bundesrat zu «strafen», dessen Vorlage nicht am Referendum scheiterte, oder um vorweg gegen eine hangige Vorlage zu demonstrieren Neben der Verfassungsinitiative des Volkes, die zum Surrogat einer Gesetzesinitiative, ja zu einem Mittel für Eingriffe m die Regierungsaufgabe geworden ist, wurde die Bestatigungswahl die Interpretation

1316 des Volkswillens erschweren; sie wäre verwendbar, um Bundesräte zur Unterstützung von Initiativen zu bewegen, 4

Nebenwirkungen

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Wahlpropaganda-Finanzierung: Die Bestätigungswahl würde grosse Mittel erfordern, die allenfalls bei finanzkräftigen Kreisen gesucht werden müssten.

Die Landesparteien würden stark belastet.

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Aussenpolitik und auswärtige Verwaltung: Zwar liegt das Schwergewicht der Aussenpolitik beim Bundesrat, aber das Politische Departement pflegt einen dauernden Meinungsaustausch mit den zuständigen parlamentarischen Kommissionen, und das Parlament hat einen wesentlichen Einfluss : Genehmigung der Staatsverträge, Bewilligung neuer diplomatischer Vertretungen, Budgetrecht, Interpellationen. Im Bundesrat entscheidet gerade über die Aussenpolitik vorwiegend das Kollegium. Isolationismus, Verkennung der Welt-Interdependenz, Unterwertung des Solidaritätsbedürfnisses auch des Kleinstaates und Fehleinschätzung äusserer Gefahren wären verhängnisvoll.

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Entscheidungs-Blockierung : Vor einer Bestätigungswahl würden dringende unpopuläre Entscheide aufgeschoben, vielleicht weniger stark als in den USA. Allgemein würde der Mut zu opferfordernden Entscheiden wohl geschwächt.

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Schlussbemerkung

Die Möglichkeit periodischer Sympathie- oder Antipathie-Äusserungen gegenüber Bundesräten wird manchen Schweizer auf den ersten Blick ansprechen. Bei genauer Prüfung überwiegen die Nachteile stark.

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1317 Beilage 3

Die Verhandlungen der Kommission 1

Die Kommission gab an ihrer ersten Sitzung, am 10. Mai 1972, dem Initianten Gelegenheit, seinen Vorschlag zu erläutern und zu begründen. In einer allgemeinen Aussprache wurden dann die hauptsächlichsten Problemaspekte herausgearbeitet: Besteht Missstimmung im Volk? Nach welchen Gesichtspunkten würde das Volk bei der Bestätigungswahl urteilen: Leistungen, Charakter, Telegenität eines Bundesrates? Bedeutung der Wahlkampagne?

Einfluss der Massenmedien? Mitbestimmung der Kantone bei der Bestätigungswahl? Bedeutung und Grenze der Volksrechte? S>stemkonformität einer Bestätigungswahl? Auswirkungen auf die Institutionen, namentlich auf Funktionsfähigkeit und Stabilität der Regierung, auf die Verwaltung. z.B.

während der Wahlkampagne, und auf das Zusammenleben der Regionen, Sprachen, Parteien des Landes? Sind Initiative und Referendum nicht bessere Instrumente für die politische Willensäusserung des Volkes?

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Es traten zwei Verfahrensfragen auf:

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Kann der Initiant den Text der Initiative nach der Einreichung abändern?

Die Natur der parlamentarischen Initiative, wesensverschieden von einem Volksbegehren, schliesst dies nicht aus. Abweichungen von Volksbegehren sind nur in der Form eines Gegenvorschlags möglich. Zu parlamentarischen Initiativen können dagegen, gleich wie zu Vorlagen des Bundesrates, Änderungsanträge gestellt werden; ein Gegenvorschlag wird nur vorgelegt, wenn die Kommission eine wesentlich andere Lösung vorschlägt als der Initiant.

Diesem ist daher nicht verwehrt, seinerseits den Initiativtext nach der Einreichung zu verbessern. Es genügt, wenn der Rat vor der Beratung durch den Kommissionsbericht über eine nachträgliche Textänderung unterrichtet wird.

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Die Kommission hätte eine Änderung der Bundesratswahl nicht beantragen wollen, ohne zuvor die 'Meinung der amtierenden Bundesräte zu kennen.

Nach Artikel 21seplies Absatz 2 GVG hat der Bundesrat aber erst Stellung zu nehmen, wenn Bericht und Antrag der Kommission vorliegen. Doch die Kommission kam zum Schluss, dass jene Bestimmung nicht verhindert, in einer solchen Frage schon vor Abschluss der Kommissionsarbeiten eine Meinungsäusserung des Bundesrates einzuholen, die natürlich seine abschliessende Stellungnahme zum Kommissionsbericht nicht präjudizieren könnte. Die Frage ist hier aber durch die Entwicklung der Dinge gegenstandslos geworden.

1318 3

Wegen der staatspolitischen Bedeutung einer Abberufungswahl und weil der Gedanke einer Volkswahl des Bundesrates von Zeit zu Zeit in der öffentlichen Diskussion auftritt, hat die Kommission der Initiative volle Aufmerksamkeit gewidmet. An der ersten Sitzung ist sogar erwogen worden, konsultativ die Volksmeinung zum Problem zu ermitteln, z.B. durch eine Meinungsumfrage im Volk und bei den Auslandschweizern, durch Anhörung repräsentativer Organisationen, nicht nur der Parteien und der Kantone, sondern auch von Exponenten des kulturellen Lebens. Aus Gründen der Rationalisierung und der Praktikabilität beschloss die Kommission jedoch, zunächst die beiden Gutachten einzuholen.

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An der zweiten Sitzung der Kommission, vom 3 I.Oktober 1973, wurde klar, dass mit den beiden Gutachten eine umfassende und ausreichende Entscheidungsgrundlage für Kommission und Rat beschafft war. Die nachfolgende Diskussion bewegte sich naturgemäss im Rahmen der Gutachter-Argumente. Sie warf keine hohen Wellen, weil es auch dem Initianten trotz aller ' Geschicklichkeit nicht gelang, aus der Sache heraus die Einwendungen der Gutachter zu entkräften. Dass der Gedanke einer Bestätigungswahl, wie auch die Gutachter vermuten, im Volk auf den ersten Blick gewisse Sympathien finden könnte, kann nicht über die grossen sachlichen Nachteile hinwegtäuschen.

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Vergleiche und Beispiele, die zugunsten einer Bestätigungswahl angeführt werden, helfen nicht weiter :

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Das amerikanische Impeachment kann nicht zum Vergleich herangezogen werden. Es ist nicht ein Verfahren auf direkte Amtsenthebung, sondern die Eröffnung eines Strafverfahrens, und hat mit einer Abberufungswahl nichts gemeinsam.

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Bei der Verfassungsdiskussion von 1872 hat Nationalrat Kaiser, unterstützt von Bundesrat Dubs, eine negative Volkswahl, d.h. ein Recht des Volkes, den Bundesrat als ganzen abzuberufen, vorgeschlagen, doch das wurde schnell abgelehnt und in dieser Form (Abberufungsinitiative durch Unterschriftensammlung) nie mehr aufgegriffen. Der Unterschied zu einer periodischen Abberufungswahl der einzelnen Bundesräte springt in die Augen.

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Verschiedene Kantonsverfassungen kennen ein Abberufungsrecht des Volkes, aber es wird nie praktiziert, blieb toter Buchstabe und kann schon deswegen keine Form der Abberufung von Bundesräten begründen.

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Hauptargument des Initianten ist der Schwund des Volksvertrauens in die Regierung, den er einerseits auf objektive Gegebenheiten (komplexe Materien, unübersichtliche Entscheidungsmechanismen) anderseits aber auf Persönlichkeitsgründe zurückführt, wenn er meint, unpopulär wären Bundesräte, die «ad personam», mit leeren Versprechungen und eigenmächtig

1319 regierten In der Kommission wurde zwar anerkannt, dass ein politisches Malaise bestehe, aber nicht nur bei uns. eine weltweite sozial-politische Krise hat ihre Ursache in einer zeitbedingten Häufung von Problemen und Zukunftsungewissheit Das ist nicht mit staatsrechtlichen Mitteln korrigierbar, auch nicht mit einei Abberufungswahl, die das Malaise nur verscharfen, die Vertrauenskrise \ ertiefen wurde Im übrigen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein Bundesrat, der den erfoiderhchen Vertrauensruckhalt verloren haben sollte, die Konsequenzen ziehen wurde Es biaucht kein so massrves und unberechenbares Geschütz wie die Bestatigungswahl 7

Mangel weist der Vorschlag nach Ansicht der Kommission namentlich in drei Richtungen auf

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Verfehlte Demoki atmenmg Der Mythos der «volonté generale» verdeckt die eigentlichen Probleme Es gilt heute die Volksrechte nicht zu überdehnen, sondern zu verwesenthchen - Auch Kommissionsmitglieder, die der heutigen Wahlpraxis kritisch gegenüberstehen, sehen m der Bestatigungswahl kein Heilmittel, z B gegen Schwachen der «Zauberformel», und anerkennen, dass Wahlabsprachen der Fraktionen auch positive Seiten haben, indem sie z B zur Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie führten Man wünscht gelegentlich mehr Majorzelemente m den Wahlen, das Parlament ist für eine personhchkerbbezogene Wahl nach sachlichen Kriterien gewiss besser geeignet als das Volk - Jede Volkswahl veilangt Publizität und Werbung, verursacht grosse Kosten und ist nicht davoi gefeit, dass zufällige foimale Eindrucke eine sachliche \erstandige Beurteilung verdrangen, selbst wenn es nicht zu eigentlicher Populantatshascherei oder Diffamierung kommt - Der zu erwartende Nutzen einer Bestatigungswahl kann Risiken und Aufwand nie rechtfertigen

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Stoiung des Regierungssystems Die anderswo unbekannte Einzelwahl der Regierungsmitglieder durch das Parlament verleiht dem Bundesrat bemerkensweite Eigenschaften Ei ist Spiegelbild der politischen Kräfte des Landes und zeichnet sich zugleich aus durch Stabilität, Kontinuität und hohen Wirkungsgrad Eine Bestatigungswahl konnte dieses für unsere Verhaltnisse vorzugliche System nicht verbessern, sondern nur gefährden In unserer Zeit der Auflosung aller Autontatsbegrrffe leistet sie nichts zur Hebung der Regierungsautontat, sondern droht Leistungsfähigkeit und Zusammenhalt des Bundesrates zu schwachen zumal es bei uns Amt und Funktion eines Ministerpräsidenten nicht gibt Das Kollegialprrnzip ist für unser System wesentlich und unverzichtbar Wohl entspricht die Praxis, als Folge der Menschennatur, nicht immer der Idee. die Konsequenz kann nur sein, das Kollegialprrnzip zu starken und ihm unnötige Gefahren zu ei sparen

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Belastung des staatlichen Zusammenlebens Die Auswirkung der Bestatisuneswahl auf den Föderalismus beurteilen die Kommissionsmiteheder un-

1320 terschiedlich. Einige sehen keine, andere dagegen erhebliche Gefahren. Die vier volksreichsten Kantone hätten in einem Einheitswahlkreis das Übergewicht. Bundesräte der sprachlichen Minderheiten und solche aus kleinen Kantonen wären benachteiligt; darum müssten neben dem Volk die Kantone ein Mitspracherecht haben. Ausser der Konfrontation der Landesteile befürchtet man eine ungünstige Blockbildung der Parteien mit verschärften Parteikämpfen und schliesst ein demagogisches Eingreifen finanzstarker Kreise nicht aus. Für ein Land, das wegen seiner Vielfalt den Zusammenhalt aller Teile möglichst fördern muss, sind dies unerfreuliche Aussichten, auch wenn die Wirklichkeit hinter den Befürchtungen zurückbleiben sollte.

Auf Grund dieser Überlegungen kam die Kommission mit allen gegen eins Stimme zur Schlussfolgerung, dass sich weitere Abklärungen erübrigten, der Gedanke nicht weiterzuverfolgen und insbesondere auch kein Gegenvorschlag auszuarbeiten sei. Während Nationalrat Schwarzenbach seine .Initiative als Minderheitsantrag aufrecht erhält, beantragen alle ändern Kommissionsmitglieder, der Initiative keine Folge zu geben und das Geschäft abzuschreiben.

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Parlamentarische Initiative betreffend Bestätigungswahl des Bundesrates durch das Volk Bericht der vorberatenden Kommission an den Nationalrat (Vom 19 September 1974)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1974

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

47

Cahier Numero Geschäftsnummer

11114

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

25.11.1974

Date Data Seite

1305-1320

Page Pagina Ref. No

10 046 216

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