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Bundesblatt

113. Jahrgang

Bern, ;den 9. März 1961

Bandi

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Änderung des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr (Vom 3. März 1961) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen mit dieser Botschaft den Entwurf vorzulegen zu einem Bundesgesetz betreffend Änderung des Bundesgesetzes vom 19.Dezember 1958 über den Strassenverkehr.

\. Bei der Vorbereitung und Beratung des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) war man bestrebt, die Eechte des Fussgängers für das Überqueren der Strasse zu verstärken.

Der bundesrätliche Entwurf (BEI. 1955, II, 79) enthielt in Artikel 31, Absatz 3 für die Fahrzeugführer die folgende Eegel : «Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen. Vor Fussgängerstreifen müssen die Fahrzeugführer langsam fahren und nötigenfalls anhalten.» In der Botschaft (BEI. 1955, II, 32) wurde dazu ausgeführt: «Den Fussgängern hat das geltende Eecht den Vortritt gegeben, wenn sie sich beim Herannahen eines Motorfahrzeuges schon auf dem Streifen befinden. Doch wenn Fahrzeug auf Fahrzeug folgt, ist dieses ,,Vortrittsrecht" nutzlos. Um die Fahrzeugführer nötigenfalls zum Anhalten, namentlich vor Fussgängerstreifen, zu veranlassen, werden sie verpflichtet, den Fussgängern das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen (Abs.3). Ob nach englischem Muster sogenannte ,,Zebrastreifen" einzuführen sind, auf denen die Fussgänger vor den Fahrzeugen den Vortritt haben, wird bei der Vorbereitung der Ausführungsvorschriften zu prüfen sein.» Bundesblatt. 118. Jahrg. Bd. I.

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Die eidgenössischen Eäte beschlossen, im Gesetz neben den bisherigen, gewöhnlichen eine zweite Art von Pussgängerstreifen einzuführen mit Vortritt des Fussgängers. Sie fassten Artikel 33, Absatz 2 SVG wie folgt: «Auf besonders gekennzeichneten Fussgängerstreifen hat der Fussgänger den Vortritt, darf jedoch den Streifen nicht überraschend betreten.» 2. Bei der Vorbereitung der Ausführungsvorschriften zu diesem noch nicht in Kraft gesetzten Artikel zeigte es sich, dass das Nebeneinander von zwei Arten von Fussgängerstreifen in der Praxis zu Schwierigkeiten führen müsste und die angestrebte Besserstellung des Fussgängers kaum erreicht würde.

Für die Kennzeichnung der Streifen mit Fussgängervortritt dachte man bei den parlamentarischen Beratungen an Zebramarkierung und gelbe Blinkkugeln. Die Konferenz der städtischen Polizeidirektoren und der Schweizerische Städteverband haben nun aber darauf aufmerksam gemacht, dass schon viele der bisherigen Fussgängerstreifen unter Aufwendung erheblicher Mittel mit der Zebramarkierung versehen wurden; denn auf diese Weise sind sie leichter erkennbar und werden erfahrungsgemäss von den Fahrzeugführern und den Fussgängern besser beachtet. Die Beseitigung vorhandener Zebramarkierungen lasse sich daher nicht vertreten; im Interesse der Verkehrssicherheit müsse es vielmehr weiterhin möglich bleiben, nicht nur einige ausgewählte, sondern auch die gewöhnlichen Fussgängerstreifen mit dieser Markierung zu versehen.

Damit wird aber die vom Gesetz geforderte besondere Kennzeichnung der Streifen mit Vortrittsrecht sehr problematisch. Als Notlösung hat der Automobil-Club der Schweiz zwar vorgeschlagen, das Zebramuster bei den gewöhnlichen Fussgängerstreifen in der Fahrrichtung, bei den Streifen mit Fussgängervortritt dagegen diagonal anzubringen ; doch dieser Unterschied wäre, namentlich für Ausländer, zu wenig auffallend. So würde als Sondermerkmal der Streifen mit Fussgängervortritt allein die gelbe Blinkkugel übrigbleiben; diese kann aber am Tage und, wo viele Lichter brennen, selbst nachts leicht übersehen werden. Im übrigen könnte es bei manchen derartigen Fussgängerstreifen vorzuziehen sein, statt der Blinkkugel eigentliche Verkehrsampeln mit rotem und grünem Licht anzubringen; diese sind zwar etwas teurer, aber sie schaffen eindeutige Verhältnisse.

Selbst wenn eine
klare Kennzeichnung der beiden Arten von Fussgängerstreifen möglich wäre, hätten die Fahrzeugführer und die Fussgänger, namentlich wiederum die ausländischen, wohl Mühe, den rechtlichen Unterschied einzusehen und sich entsprechend zu verhalten. Oder man müsste befürchten, dass die Einführung von besonderen Streifen mit Fussgängervortritt in der Praxis zur vollständigen Beseitigung der Fussgängervorrechte bei den übrigen Streifen Anlass gäbe. Arn Ende hätten die Fussgänger weniger Eechte und wären stärker gefährdet.

Derartige Erfahrungen scheinen der Grund dafür gewesen zu sein, dass einige ausländische Staaten, die vor wenigen Jahren zwei verschiedene Arten von Fussgängerstreifen einführten, den Unterschied heute wieder beseitigen

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und Verkehrsampeln mit rotem und grünem Licht an die Stelle der Blinkkugeln setzen. Internationale Verhandlungen zeigen, dass ein Dualismus von Fussgängerstreifen fast liberal! abgelehnt wird. Die im SVG vorgesehene Eegelung entspricht demnach auch nicht mehr den internationalen Tendenzen.

Aus diesen Gründen gelangte die Unterkommission für Verkehrsfragen der Ständigen St.rassenverkehrskommission zur Empfehlung, den im SVG vorgesehenen Dualismus der Fussgängerstreifen durch eine Eevision des Gesetzes zu beseitigen.

3. Die Neuregelung der Frage darf an der Zielsetzung des SVG nichts ändern. Der Fussgänger, der die Strasse überqueren -will, inuss besser geschützt werden, jedoch auf einem ändern Wege. Statt bestimmte Fussgängerstreifen auszuzeichnen, muss man denVortritt, den die Fussgänger in einem eingeschränkten Masse bisher auf allen Fussgängerstreifen hatten, zu verstärken, trachten.

Wir schlagen daher vor, dass der Vortritt nicht nur, wie bisher, den Fussgängern zukommen soll, die sich schon auf dem Streifen befinden, sondern auch jenen, die im Begriffe stehen, den Streifen zu betreten.

Unser Vorschlag stimmt inhaltlich überein mit der Eegelung, die das Unterkomitee für Strassentransporte der UNO-Wirtschaftskommission für Europa durch eine im Wurfe liegende Empfehlung vorschlagen wird und welche folgenden Wortlaut hat (Übersetzung) : «Die Fahrzeugführer müssen vor Fussgängerstreifen vorsichtig fahren, damit sie imstande sind, vor dem Streifen anzuhalten und die Fussgänger, die schon auf dem Streifen sind oder ihn betreten, vorübergehen zu lassen.» Eine gleiche Eegelung hat übrigens Italien in seinem Strassenverkehrsgesetz von 1959 eingeführt.

Die Befolgung der neuen Vorschrift wird in der Praxis voraussetzen, dass die Fahrzeugführer ihre Geschwindigkeit vor den Fussgängerstreifen, wenn Fussgänger in der Nähe sind, stärker massigen, als sie es bisher gewohnt waren.

Diese Forderung ergibt sich auch aus der neuesten Eechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 86, IV, 35). Darnach muss der Fahrzeugführer unter Umständen selbst 14 bis 17 m vor dem Fussgängerstreifen damit rechnen, dass Fussgänger sich anschicken könnten, auf diese Entfernung die Fahrbahn noch zu überqueren; er ist daher verpflichtet, die Geschwindigkeit so weit herabzusetzen, dass die Fussgänger auf solche Entfernung die Fahrbahn
noch unbehindert überschreiten können.

Es wird gelegentlich befürchtet, dass das Vortrittsrecht der Fussgänger auf stark begangenen Fussgängerstreifen zu einer Lähmung des Fahrzeugverkehrs führen könnte. Man darf jedoch nicht übersehen, dass dort, wo der Fahrzeug- und der Fussgängerverkehr sehr dicht sind, mit der Einrichtung von Fussgängerstreifen allein nicht mehr auszukommen ist; es braucht mindestens zu den Stosszeiten eine Verkehrsregelung durch die Polizei oder durch Verkehrsampeln. An ändern Stellen wird der Fussgängervortritt wohl zur Folge haben, dass die Fahrzeugführer unter Umständen einige Augenblicke warten müssen;

408 aber sie holen solche Zeitverluste erfahrungsgemäss schnell wieder ein. Schliesslich wird man die Fussgänger unterrichten und beeinflussen müssen, dass sie ihre Rechte nicht missbräuchlich ausüben, sondern trotz ihres Vortrittes den Fährverkehr nicht behindern. In dieser Eichtung wirkt aber schon das naturliche Sicherheitsbedürfnis der Fussgänger. die sich als schwächere Verkehrsteilnehmer erfahrungsgemäss nur auf die Strasse begeben, wenn bis zum Eintreffen des nächsten Fahrzeugs noch einige Sekunden verbleiben. Ausserdem wird die im bisherigen Artikel 33, Absatz 2 SV G enthaltene Eegel, wonach die Fussgänger die Fahrbahn nicht überraschend betreten dürfen, nicht beseitigt, sondern nur an die systematisch richtige Stelle, nämlich zu den Vorschriften für die Fussgänger des Artikels 49 verwiesen.

Wir beehren uns, Ihnen zu beantragen, den nachfolgenden Entwurf zu einem Bundesgesetz zum Beschluss zu erheben.

Wir versichern Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den S.März 1961.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Wahlen Der Bundeskanzler : Ch. Oser

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(Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

Änderung des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr

Die Bundesversammlung der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom S.März 1961, beschliesst : I.

Das Bundesgesetz über den Strassenverkehr vom 19.Dezember 19581) wird wie folgt geändert : Art. 33, Abs. l und 2 1

Den Fussgangern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.

2 Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugfuhrer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgangern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.

Art. 49, Abs. 2 Die Fussgänger haben die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf Fussgängerstreifen. Sie dürfen diese Streifen nicht überraschend betreten.

II.

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten des Gesetzes.

i) AS 1959, 679.

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