01.030 Botschaft zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 30. Mai 2001

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren wir unterbreiten mit dieser Botschaft den Entwurf des Bundesbeschlusses bezüglich des Protokolls vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderungen des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) und beantragen die Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

30. Mai 2001

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Moritz Leuenberger Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2001-0974

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Übersicht Das erste internationale Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) stammt aus dem Jahre 1893. Es schuf eine dem damaligen Stand des Völkerrechts entsprechende Verwaltungsunion mit einem ständigen Sekretariat, dem Zentralamt für den internationalen Eisenbahnverkehr. Zweck dieser Regierungsorganisation war bis zur Unterzeichnung des Protokolls vom 3. Juni 1999 (Protokoll von Vilnius) zur Änderung des COTIF vornehmlich die Weiterentwicklung der seit Jahrzehnten bestehenden einheitlichen Rechtsordnungen für die internationale Personen- und Güterbeförderung; es sind dies namentlich die Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (CIV) und die Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM).

Die Schweiz wollte von sich aus eine einheitliche Rechtsordnung schaffen, weil sie von Anfang an im nationalen wie im internationalen Verkehr Nutzen aus diesem Verkehrsmittel gezogen hatte; auf ihre Initiative hin nahmen die Entwicklungen im Eisenbahnrecht ihren Lauf. An acht Revisionskonferenzen wurde das Eisenbahnrecht an die wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Änderungen angepasst.

Die letzte eingehende Revision geht auf das Jahr 1980 zurück. Anlässlich dieser 8. Revisionskonferenz erfolgte eine grundlegende Neuordnung der institutionellen Bestimmungen der ursprünglichen Übereinkommen CIV und CIM. Es wurde eine zwischenstaatliche internationale Organisation moderner Art und Struktur geschaffen.

Die staatliche und auf dem nationalen Markt stark unterteilte Struktur der Eisenbahn hat aber eine wirkliche Wettbewerbsfähigkeit verhindert. Der Beschluss der Europäischen Gemeinschaft (EG), den Eisenbahnverkehrsmarkt zu öffnen, war deshalb für die Durchführung einer eingehenden Revision des COTIF massgebend. Mit der Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft hat die EG das Prinzip des Rechts auf den Zugang zur Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr sowie eine organisatorische und rechtliche Trennung zwischen den Aufgaben des Staates und denjenigen der Bahnunternehmen eingeführt. Die Trennung von Betrieb und Infrastruktur hat die Art der Verträge, die auf Grund der geltenden Gesetze abgeschlossen
wurden, ebenfalls entscheidend verändert.

Das neue Übereinkommen fasst das Ziel und die Aufgaben der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF) merklich weiter. In Zukunft soll sie auch zur Interoperabilität und technischen Harmonisierung im Eisenbahnbereich durch Verbindlicherklärung technischer Normen und Annahme einheitlicher technischer Vorschriften beitragen. Dabei soll die internationale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens grundsätzlich in der OTIF konzentriert werden. Ihre rechtliche und organisatorische Kontinuität als unabhängige Organisation bleibt damit sichergestellt.

Während der aktuelle Rhythmus der Generalversammlungen von fünf Jahren auf drei Jahre reduziert wird, werden auch die Mandate des Verwaltungsausschusses,

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seines Präsidenten und des Generalsekretärs, der die Aufgaben des Zentralamtes als Sekretariat der OTIF übernimmt, auf drei Jahre beschränkt. Der Verwaltungsausschuss setzt sich von nun an aus einem Drittel der Mitgliedstaaten zusammen (statt bisher aus der festen Anzahl von zwölf), wobei die Schweiz definitiv auf einen ständigen Sitz verzichtet.

Die Einführung des Englischen als dritte Arbeitssprache der OTIF begünstigt den Beitritt von Ländern, in denen üblicherweise weder Französisch noch Deutsch gesprochen wird. Neu steht der Beitritt zum Übereinkommen auch regionalen Organisationen für wirtschaftliche Integration mit eigener Gesetzgebungsbefugnis für ihre Mitglieder offen (z.B. Europäische Gemeinschaft). Des Weiteren wurde der Status eines «Assoziierten Mitgliedes» geschaffen.

Die künftige Bestimmung über die Finanzierung der Ausgaben der Organisation ist ein Kompromiss, bei dem sowohl die wichtigsten Zahler als auch die anderen Mitgliedstaaten zufrieden gestellt werden. Dabei werden sowohl die Länge der gesamten Eisenbahninfrastruktur der einzelnen Mitgliedstaaten als auch ihre Finanzkraft entsprechend dem Beitragsschlüssel der Vereinten Nationen berücksichtigt.

Mit der Änderung des COTIF und der Integration der Anhänge als Bestandteil des Übereinkommens ist es gelungen, ein in sich geschlossenes Rechtssystem zu präsentieren und für die Betroffenen annehmbar zu machen. Auch für die Schweiz ist das COTIF von grosser Bedeutung, nicht zuletzt weil es mit der Förderung der Interoperabilität ihre Verkehrspolitik unterstützt.

Das Protokoll 1999 unterliegt dem Ratifikationsverfahren. Weder dieses Protokoll noch das Übereinkommen und die dazugehörigen Anhänge können abgeändert werden, da sie von der 5. Generalversammlung der OTIF einstimmig angenommen wurden. Das neue Übereinkommen tritt drei Monate, nachdem zwei Drittel (27) der Mitgliedstaaten es ratifiziert, angenommen oder genehmigt haben, in Kraft.

Das neue COTIF mitsamt Anhängen führt eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbei; in diesem Sinne untersteht der vorliegende Bundesbeschluss dem fakultativen Referendum.

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Botschaft 1

Allgemeiner Teil

1.1

Einleitung

Die Verfasser des ersten internationalen Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr, das auf Initiative der Schweiz ausgearbeitet wurde, waren sich bewusst, dass eine regelmässige Anpassung an die wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Änderungen nötig sein würde. Die Mitgliedstaaten waren in der Lage, mit acht ordentlichen und mehreren ausserordentlichen Revisionskonferenzen das Eisenbahnrecht nicht nur regelmässig anzupassen, sondern auch die Einheit dieses Rechts beizubehalten.

Mit ihrer Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft1 hat die Europäische Gemeinschaft (EG) eine grundlegende Eisenbahnreform ausgelöst. Indem das Recht auf den Zugang zur Infrastruktur im internationalen Verkehr auf den Netzen der einzelnen Mitgliedstaaten sichergestellt sein musste (Netzzugang), entstand zwischen den Eisenbahntransportunternehmen eine grössere Konkurrenz und ein verschärfter Wettbewerb.

Die Anwendung dieser gemeinschaftlichen Richtlinie beinhaltete die Schaffung von unabhängigen Eisenbahnunternehmen, die insbesondere in den Bereichen der Interoperabilität der Eisenbahn und der Sicherheit die Aufsichtsaufgaben, welche die Staaten ihnen früher zugewiesen hatten, abtreten mussten. So wurde das Eisenbahnrecht den strukturellen, wirtschaftlichen und rechtlichen Änderungen angepasst.

Zwar sind die Richtlinien der EG nur für ihre Mitgliedstaaten zwingend; diese machen weniger als die Hälfte der Mitgliedstaaten der OTIF aus. Hingegen findet der internationale Handelsverkehr hauptsächlich zwischen den Ländern der EG und ihren Nachbarländern statt. Zwei verschiedene Rechtsordnungen wären eine Konfliktquelle, die nicht dem Wunsch der Bahnkunden entsprechen würde. Das neue COTIF stimmt mit dem Gemeinschaftsrecht überein und berücksichtigt auch in grossem Ausmass den Entwicklungsstand in den Nichtmitgliedstaaten der EG.

Das Transportrecht, das die verschiedenen internationalen Beförderungsverträge bestimmt, musste hauptsächlich deshalb überarbeitet werden, um Betrieb und Infrastruktur zu trennen. Eine solche Trennung führt zu neuen Rechtsbeziehungen und Vertragsverhältnissen zwischen den Bahnkunden und dem Beförderer einerseits und den verschiedenen Beförderern andererseits. Insbesondere die Haftungsvorschriften sind von diesen Änderungen betroffen.

1.2

Vorbereitungsphase

1.2.1

Arbeiten des Revisionsausschusses

Der Revisionsausschuss ist das Organ, das kraft des bestehenden Übereinkommens damit beauftragt ist, die Vorschläge der Mitgliedstaaten zu prüfen. Er hat 23 Tagun1

ABl. L 237 vom 24. August 1991, S. 25 ff.

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gen abgehalten, um das ursprüngliche Übereinkommen und die einheitlichen Rechtsvorschriften der beiden traditionellen Beförderungsverträge, nämlich derjenigen über die Eisenbahnbeförderung von Personen und Gütern (CIV und CIM) sowie die Bestimmungen über die Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) anzupassen. Dieser Ausschuss hat zudem neue einheitliche Rechtsvorschriften für die Verträge über die Verwendung von Wagen im internationalen Eisenbahnverkehr (CUV) und den Vertrag über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr (CUI) sowie zwei neue Anhänge im Sicherheitsbereich untersucht, in denen die Rechtsvorschriften für die Verbindlicherklärung technischer Normen und die Annahme von Vorschriften für Eisenbahnmaterial sowie die Reglementierung bezüglich der technischen Zulassung derselben behandelt werden (APTU und ATMF).

Mit den Arbeiten wurde 1993 begonnen. Die Textvorschläge wurden der 5. Generalversammlung unterbreitet, wobei insgesamt 90 Tage darüber verhandelt wurde.

32 der 39 Mitgliedstaaten haben an den Arbeiten teilgenommen. Die Europäische Kommission sowie interessierte internationale Organisationen und Verbände, insbesondere diejenigen der Eisenbahnen, der Strasse, der Normierung und der Bahnkunden, haben ebenfalls ihre Vorschläge präsentiert. Die Eisenbahntransportunternehmen und die Bahnkunden waren insbesondere dadurch an diesen Arbeiten beteiligt, dass ihre Dachorganisationen im Revisionsausschuss mitgemacht haben.

1.2.2

Ausweitung des Tätigkeitsgebietes der OTIF

Mit der Gesamtrevision der rechtlichen Grundlagen für die internationale Eisenbahnbeförderung bot sich die Gelegenheit, die Aufgaben der Organisation zu überdenken. Die Aufgaben und Tätigkeiten der OTIF wurden durch das Protokoll von Vilnius so ausgeweitet, dass sie ­ zusätzlich zur Anwendung der Einheitlichen Rechtsvorschriften CIV, CIM, CUV, CUI und der RID ­ bei der Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr und der Verwendung von Eisenbahnmaterial mit der Anwendung von neuen Haftungsvorschriften sowie mit der Normierungsvalidierung beauftragt wird. Dabei kann sie sich mittelfristig nach dem Beispiel der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) und der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) zu einer Organisation des Verkehrsträgers Eisenbahn entwickeln, die auf staatlicher Ebene für Fragen, die diesen Verkehrsträger betreffen, zuständig ist.

1.2.3

Ablauf der 5. Generalversammlung

29 Mitgliedstaaten haben an der 5. Generalversammlung teilgenommen, die im Mai 1999 in Vilnius abgehalten wurde. Trotz langer und intensiver Vorarbeiten des Zentralamtes und des Revisionsausschusses hatte sie noch rund 150 Änderungsanträge oder -anregungen zu beraten. Dank der konstruktiven Haltung der Teilnehmenden konnte die Generalversammlung das Protokoll von Vilnius einstimmig gutheissen.

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1.3

Ergebnisse der Vernehmlassung

Die Konsultation der interessierten Kreise (SBB, BLS, CIT, VöV u.a.) wurden im März/April 2001 durchgeführt; dabei wurde darauf hingewiesen, dass weder das Protokoll von Vilnius noch das COTIF und die dazugehörigen Anhänge abgeändert werden können. Die Ergebnisse der Konsultation konnten weitgehend berücksichtigt werden.

2

Besonderer Teil

2.1

Protokoll 1999 über die Änderungen des COTIF 1980

Mit der Unterzeichnung des Protokolls 1999 stimmen die Mitgliedstaaten den Änderungen des Übereinkommens von 1980, d.h. dem neuen, von der 5. Generalversammlung gutgeheissenen Wortlaut, formell zu. 22 Staaten, darunter auch die Schweiz, haben das Protokoll am 3. Juni 1999 in Vilnius unterzeichnet.

Hinsichtlich des Inhalts fassen das Protokoll 1999 und das neue Übereinkommen das Ziel und die Aufgaben der OTIF merklich weiter. Sie zielen auf die Schaffung einer internationalen Organisation auf der Ebene der Staaten ab, die sich mit Fragen befasst, die für den internationalen Eisenbahnverkehr von Bedeutung sind und deren Regelung Aufgabe der Staaten ist (Art. 2­4 COTIF). Damit wird eine grössere Effizienz erreicht.

Die Schweiz erfüllt nicht mehr die Funktion eines Verwahrers der hinterlegten Urkunden (Depositar). Wie bei anderen zwischenstaatlichen Organisationen fällt diese Aufgabe bis zum Inkrafttreten des Protokolls der OTIF selber zu (Art. 2 des Protokolls). Das Protokoll 1999 enthält in Artikel 6 unter anderem die Übergangsbestimmungen für das Mandat des Verwaltungsausschusses, für die Berechnung der Beiträge der Mitgliedstaaten und für das Ende des Mandats des Generaldirektors.

Das Protokoll über die Vorrechte und Immunitäten der OTIF, dessen Ziel es ist, das erforderliche Vertrauensverhältnis der Mitgliedstaaten zur Organisation einerseits und der Mitgliedstaaten untereinander andererseits zu gewährleisten, hat sich in der Praxis bisher bewährt, weshalb hier keine materiellen Änderungen erfolgten. Der Text wurde redaktionell überarbeitet und systematisch neu geordnet.

2.2

Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (Grundübereinkommen)

2.2.1

Strukturelle Änderungen

Das neue COTIF stellt die rechtliche und organisationelle Kontinuität der OTIF als unabhängige Organisation mit Rechtspersönlichkeit sicher. Der Sitz der Organisation bleibt in Bern, doch kann die Generalversammlung diese Bestimmung insbesondere im Falle einer Fusion mit einer anderen Organisation ändern (Art. 14 § 2 Bst. f COTIF).

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Das Ziel der Organisation wird weiter gefasst. Sicher wird die Entwicklung des internationalen Eisenbahnrechts eine der wesentlichen Aufgaben der OTIF bleiben; jedoch muss sie aktiv bei der Beseitigung von Hindernissen beim Grenzübergang mithelfen und eine technische Harmonisierung im Hinblick auf eine maximale Kompatibilität des Eisenbahnrollmaterials umsetzen. Zu diesem Zweck wurde die Struktur der Organisation um zwei Organe erweitert, und zwar um den Ausschuss für Erleichterungen im Eisenbahnverkehr und um den Fachausschuss für technische Fragen (Art. 19 und 20 COTIF). Der Generalsekretär, d.h. der frühere Generaldirektor, wird ein Exekutivorgan der OTIF; er wird von der Generalversammlung gewählt und übernimmt die Aufgaben des Zentralamtes als Sekretariat der OTIF (Art. 21 COTIF).

Der aktuelle Rhythmus der Generalversammlungen wird von fünf Jahren auf drei Jahre verkürzt. In der Folge werden auch die Mandate des Verwaltungsausschusses, seines Präsidenten, der neu von der Generalversammlung gewählt wird, und des Generalsekretärs auf drei Jahre beschränkt, um einen häufigeren Wechsel und damit eine intensivere Beteiligung möglichst vieler Mitgliedstaaten zu erreichen.

Der in Artikel 15 geregelte Verwaltungsausschuss besteht künftig aus einem Drittel der Mitgliedstaaten. Die Zahl seiner Mitglieder ist damit nicht mehr festgelegt (zur Zeit 12), sondern verändert sich ­ mit Rücksicht auf die möglicherweise zunehmende Zahl von Mitgliedstaaten ­ in Abhängigkeit von der Gesamtzahl der Mitgliedstaaten. Die Schweiz wird definitiv auf einen ständigen Sitz im Verwaltungsausschuss verzichten. In Anbetracht der wachsenden Zahl der Mitglieder der OTIF und der Tatsache, dass die Gewährung von Vorrechten nicht mehr in Einklang steht mit den demokratischen Strukturen internationaler Organisationen, erscheint es nicht mehr als gerechtfertigt, dass die Schweiz einen ständigen Sitz innehat.

Angesichts der Wichtigkeit, die dem Englischen auf internationaler Ebene insbesondere im Eisenbahnbereich zukommt, wird diese Sprache in der Organisation als dritte Arbeitssprache eingeführt (Art. 45 § 1 COTIF).

2.2.2

Anwendungsbereich und Inkraftsetzung von künftigen Änderungen

Die Festlegung des Anwendungsbereichs des Übereinkommens erfolgt nicht mehr über das so genannte System der eingetragenen Linien. Während der Anwendungsbereich gegenwärtig davon abhängt, welche Bahnlinien die Mitgliedstaaten in die entsprechenden Listen eingetragen haben, müssen die einheitlichen Rechtsvorschriften künftig zwingend auf alle Verträge über die Eisenbahnbeförderung von Personen und Gütern angewandt werden, wenn Herkunfts- und Bestimmungsort in zwei verschiedenen Staaten liegen (Art. 24 COTIF).

Das aktuelle System der Ratifizierung der Beschlüsse der Generalversammlung mittels des Protokolls wird fallen gelassen. Mit diesem Vorgehen war es nicht möglich, genug schnell auf die Marktentwicklung zu reagieren. Die Änderungen des eigentlichen Übereinkommens, über welche die Generalversammlung entschieden hat, treten erst zwölf Monate nach ihrer Gutheissung durch zwei Drittel der Mitgliedstaaten in Kraft (Art. 34 § 2 COTIF). Für die Änderungen, die gemäss einer abschliessenden Liste in Artikel 33 in den Zuständigkeitsbereich der Ausschüsse fallen, beträgt die

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Frist ebenfalls zwölf Monate, doch genügt dort die Gutheissung der Hälfte der Mitgliedstaaten.

Für die Beschlüsse, die vom Fachausschuss RID (gefährliche Güter) gefällt werden, ist insofern eine Ausnahme in Artikel 35 § 3 vorgesehen, als die Frist auf sechs Monate verkürzt und damit an die Fristen des Europäischen Übereinkommens über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (ADR) angeglichen wird.

Neu ist die Möglichkeit in § 6 des Artikels 34, dass die Generalversammlung bei der Beschlussfassung über eine Änderung feststellen kann, dass Staaten dann von der Organisation ausscheiden, wenn sie Änderungen von grosser Tragweite nicht annehmen können.

Schliesslich bietet das neue Übereinkommen auch regionalen Organisationen für wirtschaftliche Integration die Möglichkeit, der OTIF ohne weiteres als Mitglied beizutreten. Im Moment könnte diese Öffnung vor allem die Europäische Gemeinschaft interessieren (Art. 38 COTIF).

Für die Mitgliedstaaten, die sich für die Arbeiten der OTIF interessieren, jedoch nicht gleich alle Rechte und Verpflichtungen, die mit einem Beitritt verbunden sind, akzeptieren wollen, gibt es in Artikel 39 noch den Status eines assoziierten Mitglieds. Eine solche Mitgliedschaft in Form einer Assoziierung könnte einen späteren Voll-Beitritt des betreffenden Staates erleichtern.

2.2.3

Finanzverwaltung der Organisation

Die Aufgabe des Systems der eingetragenen Linien erforderte einen neuen Finanzierungsmodus. Die zukünftige Regelung für die Finanzierung der Ausgaben der Organisation stellte eine der heikelsten Fragen dar, die es zu lösen galt. Es ging darum, einen Kompromiss zu finden, dem sich einerseits die grössten Beitragszahler und andererseits die anderen Mitgliedstaaten, bei denen die wirtschaftliche Situation und die Bedeutung des internationalen Verkehrs sehr unterschiedlich sind, anschliessen konnten. Laut der gewählten Lösung werden die Finanzkosten der Organisation zu 40% auf der Grundlage des Beitrags nach dem Schlüssel der Vereinigten Nationen (wirtschaftliches Kriterium) und zu 60% in Abhängigkeit der gesamten Länge des Eisenbahnnetzes getragen. Dabei trägt jeder Mitgliedstaat mindestens 0.25% und höchstens 15% der Beiträge (Art. 26 COTIF).

Gemäss Artikel 25 legt die OTIF ihr Arbeitsprogramm, ihren Voranschlag, ihren Rechnungsabschluss und ihren Geschäftsbericht alle zwei Jahre vor. Das zusätzliche Mandat betreffend die Revision des Rechnungsabschlusses ist im Übereinkommen integriert. Es wird vom Sitzstaat, das heisst von der Schweiz, wahrgenommen. Die Generalversammlung kann diese Aufgabe jedoch einem anderen Mitgliedstaat übertragen (Art. 27 COTIF).

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2.3

Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen (ER CIV, Anhang A)

Diese einheitlichen Rechtsvorschriften gelten gemäss Artikel 1 für jeden Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche internationale Beförderung von Personen auf der Schiene und sind damit grundsätzlich unabhängig von einem System eingetragener Linien. Die Beförderung mittels mehreren aufeinander folgenden Beförderern soll eine einzige Beförderung darstellen. Im Vertrag kann ebenfalls die Beförderung von Handgepäck, Tieren, Reisegepäck und Fahrzeugen vorgesehen sein (Art. 12 ff. CIV). Gewisse alte Bestimmungen wie zum Beispiel die Tarif- und Beförderungspflicht wurden fallen gelassen, um den Vertragspartnern mehr Freiheit zu gewähren.

Das System der Haftung bleibt im Wesentlichen unverändert; es musste nur insoweit angepasst werden, als es für seine Anwendung unter den Bedingungen der Trennung der Beförderungsleistung vom Betrieb der Eisenbahninfrastruktur notwendig war.

Bei Tötung und Verletzung von Reisenden ist die Haftung des Beförderers nicht gleich geregelt wie bei Schäden an Reisegepäck oder Fahrzeugen. Bei den beiden letzten Fällen handelt es sich um eine Solidarhaftung; bei Schäden, die auf Grund von Tod, Verletzung oder einer anderen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Integrität der Reisenden entstehen, ist dem jedoch nicht so. In diesem Fall haftet der Beförderer, der die Leistung im Zeitpunkt des Unfalls erbracht hat.

Grundsätzlich wird die Höhe des Schadens auf Grund des nationalen Rechts bestimmt, doch kommen die ER CIV zur Anwendung, wenn das nationale Recht tiefere Entschädigungen vorsieht.

Es ist neu möglich, für das Nichteinhalten des Fahrplanes eine Entschädigung zu erhalten (Art. 32 CIV). Die Haftung für die Schäden, die aus einer verspäteten Lieferung des Reisegepäcks entstehen, ist für die Bahnkunden vorteilhafter geregelt, zudem wurden die Entschädigungen bei Verlust verdoppelt.

2.4

Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (ER CIM, Anhang B)

Die Reform der einheitlichen Rechtsvorschriften CIM hat zum Ziel, das Eisenbahnrecht bestmöglich mit dem Recht, das für die anderen Beförderungsarten ­ insbesondere für die Strassentransporte ­ gilt, zu harmonisieren.

Der Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern ist kein formeller Vertrag mehr, sondern ein Konsensualvertrag, wie etwa der Beförderungsvertrag im internationalen Strassengüterverkehr (CMR). Er wird mit dem Eisenbahnunternehmen als Beförderer unabhängig von der benutzten Infrastruktur abgeschlossen. Die Verpflichtung zur Beförderung und zur Veröffentlichung der Tarife, auch für die gefährlichen Güter, wird aufgehoben.

Die einheitlichen Rechtsvorschriften CIM gelten gemäss Artikel 1 zwingend für alle Verträge über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Schiene, wenn der Ort der Übernahme des Gutes zur Beförderung und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegen.

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Wegen des Charakters des Eisenbahnbeförderungsvertrages als Konsensualvertrag berührt das Fehlen, die Mangelhaftigkeit oder der Verlust des Frachtbriefes weder den Bestand noch die Gültigkeit des Vertrages (Art. 6 § 2 CIM). Um den Wünschen der Europäischen Kommission zu entsprechen, ist die Verwendung des Frachtbriefes obligatorisch, wenn bei einer Beförderung das Zollgebiet der EG oder ein Gebiet des Zollwesens benutzt wird, auf dem das gemeinsame Transitverfahren gilt (Art. 6 § 7 CIM).

Das System der Haftung, das zahlreiche pauschale Bestimmungen für den Fall einer solidarischen Haftung von mehreren Beförderern enthält, bleibt im Wesentlichen unverändert. Die Haftungshöchstbeträge haben nur sehr gering geändert. Während die Generalversammlung zuerst einmal eine Erhöhung um 50% der Entschädigungen akzeptiert hatte, um der Entwertung der Sonderziehungsrechte (SZR) Rechnung zu tragen, ist sie auf ihren Entscheid zurückgekommen und hält nun am aktuellen Entschädigungsansatz fest, der bei einer Beschädigung des beförderten Gutes geschuldet wird (Art. 23 ff).

2.5

Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID, Anhang C)

Die Ordnung für die internationale Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter (RID) enthält insbesondere Sicherheitsvorschriften für den Eisenbahnverkehr, die dem Schutz von Personen, der Umwelt und der Güter dienen. Diese Vorschriften unterstehen heute zu einem grossen Teil öffentlichem Recht. In der Richtlinie 96/49/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Eisenbahnbeförderung gefährlicher Güter2 hat die EG die Anwendung der RID für ihre Mitglieder auch für den innerstaatlichen Verkehr und unabhängig von einem Beförderungsvertrag CIM als zwingend erklärt. Die RID ist nun ein selbstständiger Anhang zum COTIF, der aus einem juristischen Teil und einer technischen Anlage bestehen soll, und übernimmt den Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Der technische Anhang, dessen Änderungsverfahren mit einigen Einschränkungen in den Kompetenzbereich des Fachausschusses RID fällt, erlaubt eine rasche Anpassung an die technische Entwicklung.

Seit vielen Jahren und unter der Führung der ECE/UNO und der OTIF sucht man eine Harmonisierung zwischen den Bestimmungen für die Beförderung gefährlicher Güter auf der Strasse (ADR) und auf der Schiene (RID). Das Ziel der kompletten Restrukturierung dieser beiden Instrumente besteht darin, die gemeinsamen Bestimmungen in einer einzigen Struktur zu vereinen, um sie für die Bahnkunden besser zugänglich zu machen. Die technischen Anhänge der ADR und der RID enthalten mehrere neue Bestimmungen (Verpflichtungen der Parteien, Sicherheitsberater, internationale Zusammenarbeit).

2

ABl. L 235 vom 17. September 1996, S. 25 ff.

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2.6

Einheitliche Rechtsvorschriften für Verträge über die Verwendung von Wagen im internationalen Eisenbahnverkehr (ER CUV, Anhang D)

Die Richtlinie 91/440/EWG hat ebenfalls Auswirkungen auf die Verwendung von Wagen im internationalen Verkehr, und zwar dadurch, dass die Beziehungen der Zusammenarbeit zwischen den Inhabern von Privatwagen und den Transportunternehmungen sich radikal verändern. Alle Arten von Wagen und alle Formen von Verwendungsverträgen werden als dispositives Recht gleich behandelt.

Die ER CUV gelten gemäss Artikel 1 für zwei- oder mehrseitige Verträge über die Verwendung von Eisenbahnwagen als Beförderungsmittel zur Durchführung von Beförderungen nach den ER CIV und nach den ER CIM. Man hat bewusst darauf verzichtet, den Zulassungsvertrag für Motorfahrzeuge ausdrücklich vorzusehen; die technische Zulassung wird nur vorausgesetzt. Es ist nicht mehr vorgesehen, zwischen den Wagen, die einer Transportunternehmung oder einem Einzelnen gehören, einen rechtlichen Unterschied zu machen. In den ER CUV sind die Fragen der Haftung für Schäden einheitlich und nach subsidiärem Recht geregelt (Art. 4 ff. CUV).

Die Haftung nach den ER CUV ist weniger streng als die Haftung nach den ER CIM, da es sich um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast handelt.

2.7

Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die Nutzung der Infrastruktur im internationalen Eisenbahnverkehr (ER CUI, Anhang E)

Die EG-Richtlinie 91/440/EWG hat auch das Monopol für die Nutzung der Infrastruktur in Frage gestellt. Die Möglichkeit des Netzzugangs, welche die Eisenbahnunternehmen oder die internationalen Gruppierungen erhalten haben, erfordert eine neue Regelung der vertraglichen Beziehungen. Die einheitlichen Rechtsvorschriften CUI gelten gemäss Artikel 1 ohne Rücksicht auf den Sitz oder die Nationalität der Parteien. Sie finden auch Anwendung, wenn die Infrastruktur von Staaten oder von staatlichen Organisationen betrieben oder genutzt wird. Der Vertrag ist so abgefasst, dass er den Parteien in ihren vertraglichen Beziehungen die grösstmögliche Freiheit lässt. Hingegen ist die Haftung sowohl für den Infrastrukturbetreiber als auch für den Beförderer einheitlich und zwingend in Artikel 8 f. geregelt.

2.8

Einheitliche Rechtsvorschriften für die Verbindlicherklärung technischer Normen und für die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften für Eisenbahnmaterial, das zur Verwendung im internationalen Verkehr bestimmt ist (ER APTU, Anhang F)

Die 4. Generalversammlung hat festgestellt, dass die technische Harmonisierung in einem möglichst weiten geografischen Rahmen eine grundlegende Aufgabe ist, um den Eisenbahnsektor in die Lage zu versetzen, internationale Beförderungen ohne Hindernisse durchzuführen. Dazu war es nötig, auf die Fachkenntnis und die Erfahrung von spezialisierten Organisationen wie zum Beispiel des Europäischen Komi3955

tees für technische Normung (CEN), des Europäischen Komitees für elektrotechnische Normung (CENELEC) und des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) zurückzugreifen. Zudem hat die 4. Generalversammlung die OTIF damit beauftragt, in Zusammenarbeit mit anderen interessierten Organisationen insbesondere die Probleme der Verbindlicherklärung technischer Normen im Eisenbahnwesen zu untersuchen. Die Vorschläge beziehen sich im Augenblick auf die traditionelle Eisenbahn.

Tatsächlich erachtete man es als verfrüht, die von der EG in ihrer Richtlinie 96/48/EG über die Interoperabilität des transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems3 übernommenen Rechtsvorschriften auf den gesamten Anwendungsbereich der OTIF auszudehnen. Anhang F sieht mittels eines einfachen Systems vor, die Interoperabilität des Eisenbahnmaterials allgemein und diejenige der Wagen im Speziellen sicherzustellen und zu verbessern. Diese einheitlichen und zwingenden Vorschriften sollen den internationalen Eisenbahnverkehr vereinfachen, indem sie ihn leistungsfähiger machen.

Man muss von Anfang an zwischen der Ausarbeitung dieser technischen Normen (Normierung) und Vorschriften und ihrer Verbindlicherklärung unterscheiden. Die Normierung soll und kann nicht Aufgabe der OTIF sein, vielmehr soll sie weiterhin in den bestehenden, nichtstaatlichen Normungsinstitutionen wie dem CEN, dem CENELEC, dem ETSI usw. unter Beteiligung der Eisenbahnverkehrsunternehmen, der Infrastrukturbetreiber und der Hersteller von Eisenbahnmaterial erfolgen, um deren Fachkompetenz zu nutzen. Die OTIF bietet ihre Dienste als zwischenstaatliche Organisation an, um die von diesen Organisationen entwickelten Normen für verbindlich zu erklären. Zu diesen Zweck legt Anhang F gemäss Artikel 1 das Verfahren für die Verbindlicherklärung dieser Normen gemäss den Regelungen des COTIF, das die zwingende rechtliche Grundlage dazu bildet, fest. Der neue Fachausschuss für technische Fragen entscheidet über die Verbindlicherklärung einer technischen Norm (Art. 5 § 2 APTU) und die Annahme einheitlicher technischer Vorschriften (Art. 6 § 2 APTU).

Im Bereich der Eisenbahnnormen übernimmt die Schweiz weiterhin die Führungsrolle beim zwischenstaatlichen Übereinkommen über die technische Einheit (TE) des Eisenbahnwesens. Auch wenn dieses Übereinkommen noch immer
in Kraft ist, hat seine Bedeutung beträchtlich abgenommen. Sein Inhalt wurde teilweise in andere Übereinkommen übertragen, allerdings auf der Ebene der Eisenbahnverwaltungen. Indem Anhang F, der die zwingenden Bestimmungen wieder aufnimmt, für verbindlich erklärt wird, wird die Technische Einheit gegenstandslos. Artikel 10 dieses Anhangs sieht vor, dass mit dem Inkrafttreten der technischen Anlagen in allen Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Technische Einheit dieses ausser Kraft tritt.

3

ABl. L 235 vom 17. September 1996, S. 6 ff.

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2.9

Einheitliche Rechtsvorschriften für die technische Zulassung von Eisenbahnmaterial, das im internationalen Verkehr verwendet wird (ER ATMF, Anhang G)

Die vorangegangenen Überlegungen gelten sinngemäss für die technische Zulassung von Fahrzeugen und anderem Eisenbahnmaterial, das im internationalen Verkehr verwendet werden soll. Die in Artikel 4 vorgesehenen Verfahren versuchen, die Sicherheit des Eisenbahnverkehrs zu gewährleisten. Die in die Anlagen der ER APTU aufgenommenen technischen Normen und einheitlichen technischen Vorschriften bilden die materiellen Grundlagen für Bau und Betrieb / Verwendung von Eisenbahnmaterial und das Zulassungsverfahren nach den ER ATMF; diese sind die sachlich vernünftige und politisch konsequente Antwort auf die innerhalb der EG, des EWR und teilweise auch in anderen Staaten eingetretene Rechtsentwicklung im Rahmen der Richtlinie 91/440/EWG.

Die gegenseitige Anerkennung des Materials setzt die Anerkennung der Gesamtheit der anerkannten Normen gemäss den Bestimmungen in Anhang F voraus. Infolgedessen wird die Übereinstimmung mit den Normen mit einem Zertifikat bescheinigt (Art. 11 ATMF). Weder die Kontrolle der Übereinstimmung noch die Aushändigung des Zertifikats fällt in die Zuständigkeit der OTIF; diese Aufgaben sind Sache der jeweils zuständigen Behörden. Hingegen legt der neue Anhang G zwingend die Zulassungsbedingungen insbesondere für die Eisenbahnfahrzeuge fest, die im internationalen Verkehr verwendet werden. Zudem führt die OTIF gemäss Artikel 13 ein Zentralregister der Eisenbahnfahrzeuge, die zum internationalen Verkehr zugelassen sind.

2.10

Ratifizierung, Inkrafttreten

Gemäss Artikel 20 des COTIF 1980 bedarf das Protokoll der Ratifizierung, der Annahme oder der Genehmigung. Das neue Übereinkommen tritt drei Monate nach der Mitteilung des provisorischen Depositars an die Mitgliedstaaten, dass zwei Drittel (27) von ihnen das Übereinkommen ratifiziert, angenommen oder genehmigt haben, in Kraft.

Zurzeit haben drei Mitgliedstaaten (Albanien, Monaco und Tunesien) eine solche Urkunde hinterlegt. Das Übereinkommen wird voraussichtlich frühestens im Jahre 2003/2004 in Kraft treten.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Um die finanziellen Auswirkungen der Revision abzuschätzen, müssen zwei unterschiedliche Elemente betrachtet werden: einerseits die Erweiterung der Aufgaben der OTIF einschliesslich der Einführung des Englischen, und andererseits die neuen Rechtsvorschriften betreffend die Finanzierung.

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Die neuen Aufgaben im Bereich der technischen Normen erfordern bei der Zentralstelle die Einstellung einer Fachperson in diesem Bereich. Wenn die grossen Arbeiten im Rahmen der Überarbeitung des Übereinkommens abgeschlossen sind, kann sich das Personal, das dann zur Verfügung steht, neuen Aufgaben der OTIF widmen.

Was die allgemeinen Ausgaben angeht, werden die Harmonisierungsaufgaben der Normen wenigstens zu Beginn eine häufige Einberufung des technischen Fachausschusses erfordern, was insbesondere im Sekretariat und im Übersetzungsdienst Kosten verursachen wird. Die Kosten für die Einführung des Englischen werden auf jährlich etwa 300 000 Franken geschätzt, was ungefähr 10% des Budgets entspricht.

Hingegen können die zukünftigen Budgets gesenkt werden, da die Ausgaben für die grossen Revisionsarbeiten nicht mehr anfallen werden.

Die neue Verteilung der Beiträge berücksichtigt die Finanzkraft der Staaten zu 40% (gemäss dem Schlüssel der UNO) und wird die Beteiligung der Schweiz nur gering beeinflussen. Die Erhöhung des Beitrags der Schweiz für die OTIF wird gegen 10% , d.h. zwischen 7000 und 10 000 Franken pro Jahr, betragen. Dabei muss festgehalten werden, dass der Beitrag der Schweiz im Vergleich zu den übrigen Mitgliedstaaten sehr bescheiden bleibt (2,7% im Jahr 2000). Die Änderungen des Übereinkommens haben keine Auswirkungen auf das Bundespersonal.

3.2

Auswirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Die staatliche Struktur der Eisenbahn hat eine wirkliche Wettbewerbsfähigkeit verhindert. Mit der Richtlinie 91/440/EWG hat die EG eine grundlegende Eisenbahnreform ausgelöst. Ihr Beschluss, den Eisenbahnverkehrsmarkt zu öffnen, war für die Durchführung einer Revision des COTIF massgebend. Auch die KMU sind von den darin enthaltenen Änderungen, die grösstenteils struktureller Art sind, betroffen, aber eher marginal. Die Neuerungen betreffen grundsätzlich strukturelle Änderungen und rechtliche Vereinfachungen bzw. Klarstellungen. So besteht beispielsweise keine Beförderungs- und Tarifpflicht mehr, und die rechtliche Stellung des ausführenden Beförderers wurde geregelt; des Weiteren wurden die Haftungsvorschriften überarbeitet.

3.3

Auswirkungen auf die Kantone

Das Übereinkommen fördert die Umsetzung und Stärkung der schweizerischen Verkehrspolitik im Eisenbahnbereich; es hat keine spürbaren Auswirkungen auf die Kantone.

4

Legislaturplanung

Die Umsetzung dieses Übereinkommens stimmt mit den Zielen der Verkehrspolitik und der Legislaturplanung 2000­2003 überein, denn sie sieht eine Verringerung der institutionellen Rechtsvorschriften, einen verschärften Wettbewerb zwischen den

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Eisenbahntransportunternehmungen und eine grössere Wettbewerbsfähigkeit aller Verkehrsträger vor.

5

Verhältnis zum Gemeinschaftsrecht

Das neue COTIF steht vollständig im Einklang mit der von der EG befürworteten Bahnreform. Es geht insbesondere darum, den Verkehr zu liberalisieren und den Unternehmen mehr Freiheit zu gewähren, damit sie die Möglichkeit erhalten, mehr Verkehr zu übernehmen. Das COTIF 1980 hielt sich insofern an das Gemeinschaftsrecht, als die einheitlichen Rechtsvorschriften denjenigen nicht übergeordnet sind, die gewisse Staaten in Anwendung eines Abkommens wie etwa desjenigen der EG einhalten sollten.

Das neue Übereinkommen räumt den regionalen Organisationen für wirtschaftliche Integration einen grösseren Handlungsspielraum ein, da es ihnen die Möglichkeit gibt, als vollwertiges Mitglied beizutreten (Art. 38 COTIF). Zusätzlich zur Anpassung an die wirtschaftlichen, rechtlichen und technischen Änderungen wird die Überarbeitung des COTIF hauptsächlich von der grundlegenden Eisenbahnreform innerhalb der EG, die durch die Richtlinie 91/440/EWG ausgelöst wurde, bestimmt.

Es versteht sich von selbst, dass im Laufe der Revisionsarbeiten insbesondere auf die Kompatibilität der revidierten Texte mit dem Gemeinschaftsrecht geachtet wurde.

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Verfassungsmässigkeit

6.1

Zuständigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Entwurfs des Bundesbeschlusses zur Genehmigung beruht auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV), der die auswärtigen Angelegenheiten als Sache des Bundes bezeichnet und ihm damit eine globale Zuständigkeit einräumt, internationale Abkommen zu schliessen; die Zuständigkeit der Bundesversammlung lässt sich von Artikel 166 Absatz 2 BV herleiten.

6.2

Referendum hinsichtlich internationaler Abkommen

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffern 1­3 BV unterliegen dem fakultativen Referendum diejenigen völkerrechtlichen Verträge, die unbefristet und unkündbar sind oder den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen.

Gemäss Artikel 41 des COTIF kann das Übereinkommen zu jedem Zeitpunkt gekündigt werden. Die Kündigung tritt am Ende des folgenden Jahres in Kraft. Die beiden ersten Kriterien in Artikel 141 Absatz 1 Ziffer 1 BV sind somit nicht erfüllt.

Die OTIF ist eine internationale Organisation, doch sind im Protokoll 1999 keine wesentlichen, institutionellen Änderungen der Organisation, von der die Schweiz bereits Mitglied ist, vorgesehen. Somit handelt es sich auch nicht um einen Beitritt zu einer internationalen Organisation im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Ziffer 2 BV.

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Internationale Verträge unterliegen überdies auch dem fakultativen Referendum, wenn sie eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen (Art. 141 Abs. 2 Bst. d Ziff. 3 BV). Anlässlich der Genehmigung des COTIF 1980 ist zu Recht davon ausgegangen worden, dass das Übereinkommen eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführte (vgl. AS 1985 504). Gleiches muss somit gelten, wenn das Regelwerk in wesentlichen Punkten geändert wird. Im vorliegenden Fall sind die Änderungen sowohl qualitativ als auch quantitativ beachtlich. So wurden beispielsweise im Grundübereinkommen neue Organe bestimmt und neue Anhänge eingeführt; neben der Einführung des Englischen als dritte Arbeitssprache der OTIF und eines neuen Finanzierungsmodus besteht als weitere Neuerung eine strengere Haftung des Beförderers in den ER CIM und ER CIV; des Weiteren wurden die Beförderungsund Tarifpflicht aufgehoben.

Infolge dieser weit gehenden Änderungen des COTIF untersteht der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Protokolls betreffend die Änderungen des COTIF dem fakultativen Referendum.

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