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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs von Hrn. Dr. Johann Gottfried "Wackernagel, Redaktor der ,,Basler Nachrichten", von und in Basel, gegen ein Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Februar 1885, betreffend Beschimpfung der römisch-katholischen Religionsgenossenschaft in Basel, wegen Verletzung des Art. 49 der Bundesverfassung.

(Vom 20. Januar 1886.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat in Sachen des Hrn. Dr. Johann Gottfried W a c k e r n a g e l , Redaktor der ,,Basler Nachrichten", von und in Basel, gegen ein Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Februar 1885, betreffend Beschimpfung der römisch-katholischen Religionsgenossenschaft in Basel, wegen Verletzung des Art. 49 der Bundesverfassung ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse: I. Das Basler Strafgericht verurtheilte am 17. Dezember 1884.

in Anwendung von § 84 des Strafgesetzes und § 163 der Strafprozeßordnung des Kantons Basel-Stadt, den Rekurrenten zu einer dreitägigen Gefängnißstrafe und zur Bezahlung der Prozeßkosten mit Einschluß einer Urtheilsgebühr von 20 Franken.

Durch Urtheil vom 5. Februar 1885 hat das Appellationsgericht von Basel-Stadt das erstinstanzliche Urtheil bestätigt und

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den Appellanten Hrn. Dr. J. G. Wackernagel in die appellationsgerichtlichen Kosten im Betrage von 10 Franken verfällt.

H. Dieses Strafurtheil ist gegen den Rekurrenten in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Redaktor eines in Basel erscheinenden politischen Zeitungsblattes, der ,,Basler Nachrichten", ausgesprochen worden.

Im Feuilleton dieses Blattes (Jahrgang J884, Nr. 221, 223, '224, 225, 227, 229, 230 und 231) waren fünf ,,Reisebriefe von der schönen blauen Donau -- an einen Freund in Deutschland -- von Dr. Albert Wittstocka erschienen.

Als Verfasser dieser ,. Reisebriefe" bekannte sich Hr. Dr. Wittstock, Direktor der Volksschule und Fortbildungsschule in Reudnitz (Sachsen).

Am 6. Oktober 1884 reichte die Vorsteherschaft der römischkatholischen Gemeinde in Basel bei der dortigen Staatsanwaltschaft wegen dieser Feuilletonartikel, gestützt auf Art. 84 des Basler Strafgesetzbuches, eine Strafanzeige ein.

Nachdem die Staatsanwaltschaft ein bezügliches Strafverfahren eingeleitet hatte, wurde durch Beschluß der Ueberweisungsbehörde vom 19. November 1884 an der Stelle des abwesenden Verfassers Hr. Dr. J. G. Wackernagel als verantwortlicher Redaktor der ,,Basler Nachrichten"1 dem Strafgerichte unter Anklage der Beschimpfung einer Religionsgenossenschaft nach § 84 des Strafgesetzes überwiesen, und es erfolgten die Eingangs genannten Urtheilssprüche gegen denselben.

III. Die gleichfalls vom 19. November 1884 datirende Anklageschrift hebt aus den fünf Reisebriefeu zwei Abschnitte hervor (Nr. 227, Spalten I und U, und Nr. 229, Spalten ffl und IV), indem sie bemerkt, daß in denselben Einrichtungen und Gebräuche der römisch-katholischen Kirche in verächtlicher Weise lächerlich gemacht und zum Theil in beschimpfenden Ausdrücken herabgewürdigt worden seien. In den genannten Abschnitten sind folgende von der Anklageschrift angeführte Stellen enthalten : Nr. 227 ,,Denke Dir, lieber Otto, ich war nahe daran, als Heiliger angebetet zu werden. Was sagst Du zu einem solchen Kultus ? Man hat keinen Begriff von einem solchen Unsinn ,,Der Heilige in der Nische machte mir ein so einfältiges Gesicht , daß es mir unheimlich wurde und ich schleunigst weiter ging. Mit den Heiligen ist nicht zu spassen es gibt der Heiligen viele, zu denen man betet, und dadurch wird ein großes

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Priesterheer nöthig, ähnlich, wie schon bei den alten Griechen und Römern jede Gottheit ihre eigenen Priester hatte. Aber die Kosten werden gedeckt, denn die Heiligen waren von jeher privilegirte Bettler, Es ist übrigens auch ganz gerecht, daß jeder seine Thorheit bezahlen muß."

Nr. 229 ,,Wollen Sie es nicht einmal mit der gnadenreichen unbefleckten Jungfrau versuchen?" sagte der Geistliche zu mir. ,,Aber Sie müssen sich an die Rechte halten zwischen Mutter Gottes und Mutter Gottes ist ein Unterschied die eine heilt Kopf-, die andere Hals-, die dritte Zahnschmerzen, wir haben auch welche gegen Augenkrankheiten, Gicht etc.

,,Wenn Sie dort fünf Rosenkränze beten, so sind Sie Ihrer Leiden los. Es müßte nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn es bei Ihnen nicht anschlagen sollte."

,,Was kostet denn z. B. das Dutzend Rosenkränze, wenn ich fragen darf?"

,,Je nachdem sie geweiht sind", lautete die Antwort.

,,Versteht sich, gute Waare," sagte ich, ,,Primaqualität, ich kaufe kein schlechtes Zeug."

,,Ueberhaupt kriegt man bei der katholischen Religion rothe Backen, wenigstens die Geistlichkeit, wenn nur nicht das Volk dabei mager würde! (An andern Orten ist von ,,Mast" die Rede, und von sich ,,mästen" der Mönche, während das Volk hungre).* ,,Beim Nachtische erzählte mir mein frommer Gast von einer äußerst seltenen Reliquie, welche in seinem Kloster zu haben wäre, nämlich das Strumpfband der hl. Eulalia. ,,Wer diese Reliquie besitzt," sagte er, ,,hat 40-tägigen Ablaß."

,,Das Strumpfband einer Heiligen und noch Ablaß obendrein," rief ich aus, ,,für ein solches Kabinetsstück würde ich wer weiß was geben".

,,Ja, dafür haben Sie auch den Vortheil, daß Sie in unserer Religion mehr -sündigen dürfen, als in der Ihrigen. Uebrigens, mein Herr, glauben Sie nicht, daß ich Ihnen diese unschätzbare Reliquie aufdrängen will. So etwas geht reißend ab."

,,Ich kann mir wohl denken," versetzte ich, ,,daß solche Waare immer an den Mann gebracht wird. -- Welche Verdienste hat sich denn die heilige Eulalia um die Kirche erworben?"

* Einschaltung des Verfassers der Anklageschrift.

66 ,,Sie gab wahre Engelstöne von sich", erklärte er. ,,Sie können sich vielleicht denken, daß die Nonnen den Mönchen, welche die Bußübungen leiten, mit feuriger christlicher Liebe zugethari sind -- . . . .

,,Nun einmal in einer geistlichen Ekstase stieß die heilige Eulalia wahrhaft himmlische Töne aus. Der Beichtvater meldete es dem Bischof, dieser probirte es auch und bestätigte das Wunder.

Darauf wurde sie kauonisirt, weil es noch nicht genug Heilige gab.'1 IV. Das Strafgesetz ftlr den Kanton Basel-Stadt vom 17. Juni 1872 enthält im 11. Abschnitt des II. Theiles unter dem Titel ,, V e r b r e c h e n b e t r e f f e n d d i e R e l i g i o n " d i e nachfolgende Bestimmung : § 84. ,,Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Ausdrücken Gott lästert, ein Aergerniß gibt, oder wer öö'entlieh eine im Staate bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen und Gebräuche beschimpft; ebenso wer die Abhaltung des Gottesdienstes durch Gewalt oder Drohung hindert, oder in religiösen Versammlungsorten den Gottesdienst stört oder dem Gottesdienste gewidmete Gegenstände verunehrt, wird mit Gefängniß bis zu einem Jahre bestraft."

V. Das angefochtene Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt stützt sich im Wesentlichen auf folgende Erwägungen : 1) § 84 des Basler Strafgesetzes verstoße nicht, wie es die Vertheidigung des Dr. J. Gr. Wackernagel behauptet hatte, gegen Art. 49 der Bundesverfassung; denn unter der in dem genannten Artikel der Bundesverfassung als unverletzlich erklärten Glaubensund Gewissensfreiheit könne nur verstanden sein, daß Jeder seinen eigenen Glauben, seine eigene religiöse Ueberzeugung offen bekennen und ausüben dürfe, keineswegs aber, daß es Jedermann freistehen solle, andere Religionsgesellschaften und ihre Einrichtungen beliebig zu ,,beschimpfen"-.

2) Der Schutz des § 84 beziehe sieh nicht nur auf die staatlich organisirten und dotirten Landeskirchen, sondern komme allen erlaubten, im Staate bestehenden Religionsgenossenschaften zu.

3) In § 84, 1. c., sei eine Bezugnahme auf irgend eine lokale Gestaltung der in Basel bestehenden Religionsgesellschaften nicht enthalten. Wenn daher ,,die universale römisch-katholische Kirche" beschimpft werde, so werde damit auch die römisch-katholische Gemeinde in Basel, welche einen Theil jener Kirche hilde, besehimpft.

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4) Der Grundgedanke des § 84 des Basler Strafgesetzes, das diesfalls in wesentlicher Uebereinstimmung mit dem Strafgesetzbuche des deutschen Reiches (§ 116) sich befinde, sei keineswegs der, Gott und die Religion an sich gegen menschliche Angriffe schützen zu wollen, sondern vielmehr der, eine Verletzung des religiösen Gefühls Anderer zu verhindern und dadurch zur Erhaltung dieses religiösen Gefühles im Volke, sowie zur Aufrechthaltung des religiösen Friedens unter den Staatsangehörigen beizutragen. Eine wirkliche Beschimpfung könne aber nicht bei jedem harmlosen Scherze, bei jeder spöttischen Bemerkung, sondern nur dann angenommen werden, wenn Gegenstände der Verehrung ,,in roher und verletzender Form verächtlich gemacht werden"1. Die Grenze zwischen erlaubter Satyre und strafbarer Beschimpfung sei allerdings eine elastische, und bei Festsetzung derselben müssen die Umstände des konkreten Falles den Ausschlag geben.

5) Im vorliegenden Falle könne es keinem Zweifel unterliegen, daß die in der Anklageschrift angeführten Stellen wirkliche Beschimpfungen enthalten, indem der Verfasser der ,,Reisebriefe11 an einigen Stellen ,,ganz im Allgemeinen die römisch - katholische Kirche, sowie deren Einrichtungen und Gebräuche in roher und verletzender Form verächtlich mache".

VI. Mittelst Rekursschrift vom 10. März 1885 hat Hr. Dr.

Weibel, Fürsprecher in Luzern, im Namen des Hrn. Dr. J. G.

Wackernagel gegen das Strafurtheil des Basler Appellationsgerichtes vom 5. Februar beim Bundesrathe wegen Verletzung des Art. 49, Absatz \ und 2, der Bundesverfassung Beschwerde eingelegt, mit dem Gesuche: ,,es wolle der Bundesrath das fragliche Urtheil als dem Art. 49 der Bundesverfassung widersprechend aufheben."

Am 2. April 1885 reichte hinwieder Hr. Fürsprecher Dr. Niggeler in Bern, Namens des Hrn. Dr. Wackernagel, gegen das nämliche appellationsgerichtliche Urtheil einen Rekurs an das schweizerische Bundesgericht ein, in welchem hauptsächlich unter Berufung auf zwei andere Verfassungsbestimmungen, nämlich Art. 55 (Preßfreiheit) und Art. 4 (Gleichheit vor dem Gesetz!, das Urtheil als bundesrechtswidrig angefochten, im Uebrigen aber auch vom Standpunkte des Art. 49 der Bundesverfassung aus die Unhaltbarkeit des mehrerwähnten § 84 des Basler Strafgesetzes darzuthun versucht und gestützt hierauf das Rechtsbegehren
gestellt wird : ,,Es sei die gegen Hrn. Dr. Wackernagel eingeleitete Strafuntersuohung und das erfolgte Urtheil des Appellationsgerichtes von Basel-Stadt vom 5. Februar 1885 zu kassiren.«

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Das dem Bundesgerichte vorgelegte Memorial ist mit Schreiben des Hrn. Dr. Niggeler vom 6. Mai 1885 in Abschrift auch dem Bundesrathe zugestellt worden, ,,zur Vervollständigung der dieser Behörde eingegebenen Beschwerde, da in der dem Bundesgerichte eingereichten Rekursschrift Fragen behandelt seien, die auch auf den Entscheid des Bundesrathes von Einfluß sein könnten"1, weßhalb der Inhalt des Rekurses an das Bundesgericht, soweit er den Bundesrath angehen könne, als integrirender Bestandtheil der dem Bundesrathe eingereichten Beschwerde erklärt werde.

VII.

Die von Hrn. Dr. Weibel, Namens des Hrn. Wackernagel, unterzeichnete Rekursschrift erklärt die Erörterung des Appellationsgerichtes über den Sinn und die Tragweite der durch Art. 49 der Bundesverfassung garantirteli Glaubens- und Gewissensfreiheit für unbegründet und haltlos. Denn das Bekenntniß des eigenen Glaubens führe mit innerer Notwendigkeit auch zur Abwehr gegnerischer Angriffe und zur Bekämpfung entgegenstehender Lehren, Gebräuche, Einrichtungen, zur Aussprache der Ueberzeugung von der Verwerflichkeit, ja Unsinnigkeit gewisser Meinungen, Einrichtungen und Uebungen anderer Religionsgesellschaften, wie in casu zu den Aeusserungen des Protestanten Dr. Wittstock über kirchliche Zustände und Einrichtungen in Oesterreich oder, nach Annahme des Urtheils, in der römisch-katholischen Kirche im Allgemeinen. Wer die Freiheit wolle, müsse auch die Möglichkeit der Gegensätze und deren gegenseitiger Befehdung wollen.

Das von Hrn. Dr. Niggeler verfaßte Rekursmemorial wendet sich ebenfalls gegen den mehrerwähnten § 84 des Basler Strafgesetzes mit der Behauptung, daß derselbe vor den Bestimmungen der Bundesverfassung von 1874 (Art. 49) nicht mehr zu Recht bestehen könne, da ein besonderer gesetzlicher Schutz gegen Anfechtungen der Kritik, sei es zu Gunsten eines Bekenntnisses, sei es zu Gunsten der Religion überhaupt, mit Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht verträglich sei.

VIII. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat den Regierungsrath und das Appellationsgericht des Kantons BaselStadt eingeladen, auf die erste (von Dr. Weibel unterzeichnete) Rekursbeschwerde sowohl als auf die zweite (von Dr. Niggeler verfaßte) Eingabe sich vernehmen zu lassen ; gleichzeitig ließ das Departement durch den tit. Regierungsrath die Vorsteherschaft der
römisch-katholischen Gemeinde in Basel anfragen , ob sie auf die eine oder andere (ihr zur Kenntniß gebrachte) Rekursbeschwerde zuhanden des Bundesrathes irgendwelche Bemerkungen anzubringen habe.

69 Der Regierungsrath von Basel-Stadt hat hierauf erklärt, daß er sich nicht veranlaßt sehen könne, materiell auf diese Angelegenheit einzutreten, mit der er bis jetzt durchaus nichts zu thun gehabt habe, und daß er daher nicht in der Lage sei, Gegenbemerkungen gegen den Rekurs zu äußern.

Dagegen Schreiben an und in einem 6. Juni 1885 Bundesrathes

hat das Appellationsgericht von Basel-Stadt in einem den Regierungsrath vom 2. April 1885 über die erste Schreiben an das kantonale Justizdepartemont vom über die zweite Rekursbeschwerde zu Händen des sich ausgesprochen.

Auch die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde in Basel hat in einem an den Bundesrath gerichteten, vom 14. August 1885 datirenden und im Auftrage der Vorsteherschaft von Hrn. Dr. Ernst Feigenwinter - von Blarer, Rechtsanwalt in Basel, verfaßten und unterzeichneten Schreiben ihre Anschauung in der Sache mit Bezug auf die Beschwerdeschrift des Hrn. Dr. Weibel dargelegt.

IX. Das Appellationsgericht bemerkt zur ersten Rekurseingabe (Dr. Weibe!), daß es an seiner Auffassung festhalte , nach welcher in der garantirten Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht ohne Weiteres auch das Recht zu Beschimpfungen enthalten sei; da aber der Rekurvent auf diese Frage gar nicht eintrete, so sehe es sich auch nicht zu einer weitern Erörterung derselben veranlaßt.

In Hinsicht auf die zweite Rekurseingabe (Dr. Niggeler) wird vom Appellationsgericht unter Bezugnahme auf die rekurrentischen Erörterungen über Glaubens- und Gewissensfreiheit der Satz ausgeführt , daß zur Glaubensfreiheit allerdings auch das Recht der freien Kritik gehöre, daß aber freie Kritik und öffentliche Beschimpfung zwei ganz verschiedene Dinge seien.

Die Vernehmlassung des römisch-katholischen Gemeindevorstandes (Dr. Feigenwinter) hinwieder geht wesentlich dahin, (lali der Staat nicht bloß das Recht, sondern geradezu die Pflicht habe, dem Individuum die Achtung der religiösen Ueberzeugung seines Mitbürgers aufzuerlegen und damit die Freiheit des Einzelnen zu Gunsten der Freiheit Aller zu beschränken. Die Beschimpfung eines Bekenntnisses, die Beschimpfung religiöser Einrichtungen und Gebräuche sei wie der gewaltthätige Angriff auf Gegenstände der Verehrung und des Kultus ein Eingriff in die staatliche Ordnung, eine Störung des öffentlichen Friedens. Der Art. 50 der Bundesverfassung enthalte im Grunde nichts Anderes als eine WiedeiRundesblatt. 38. Jahrg. Bd. I.

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holung der zum Schutze des Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften aufgestellten Bestimmungen der alten eidgenössischen Landfrieden von 1529 und 1712, inErwägung: Nach Art. 50, Alinea 2,'der Bundesverfassung haben die Kantone das Recht, zur Handhabung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften die geeigneten Maßnahmen zu treffen; anderseits schließt aber dasselbe dem Bunde vorbehaltene Recht notwendigerweise die Befugniß in sich, die von den Kantonen getroffenen Maßnahmen zu beschränken oder aufzuheben, insofern hiefür bundesrechtliche Gründe bestehen.

Im vorliegenden Falle kann nun der Bundesrath die Zuläßigkeit der gegen den Rekurrenten ausgesprochenen Strafe nicht anerkennen. Wenn auch mit den Gerichten von Basel-Stadt angenommen werden muß, daß die fraglichen Briefe die Gefühle Andersgläubiger verletzen konnten, so ist in jeder andern Beziehung die Bedeutung dieser Zeitungsartikel zu gering, als daß darin eine Gefährdung des durch den Willen des schweizerischen Volkes bestehenden und durch die Bundesverfassung gesicherten Friedens unter den Religionsgenossenschaften erblickt werden könnte.

So lange aber ein derartiger Angriff auf deu durch Art. 50 geschützten Frieden unter den verschiedenen Religionsgenossenschaften nicht vorliegt, so s t e h t jede M e i n u n g s ä u s s e r u n g , w e l c h e auf Grund jenes Artikels strafrechtlich verfolgt w e r d e n m ö c h t e , u n t e r dem S c h u t z e des Art. 49, A l i n e a l, der Bundesverfassung, und es erscheint daher dieser Bestimmung gegenüber das Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt nicht als gerechtfertigt.

Bei der Entscheidung des vorliegenden Rekurses sind übrigens für den Bundesrath wesentlich die Entscheide maßgebend, durch welche die Bundesversammlung am 17. September 1875 in der Rekurssache Dupré und der Bundesrath am 30. Dezember gleichen Jahres in der Rekurssache Python die Urtheile der Gerichte des Kantons Freiburg wegen Verletzung des Art. 49 der Bundesverfassung aufgehoben haben ; beschlossen: 1. Der Rekurs wird als begründet erklärt und demgemäß das Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Februar 1885 in Sachen gegen Hrn. Dr. J. Gr. Wackernagel als verfassungswidrig aufgehoben.

71 2. Dieser Beschluß ist einerseits der h. Regierung des Kantons Basel-Stadt, für sie und zur gefälligen Bekanntgebung an das Appellationsgericht und die Staatsanwaltschaft und an die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde in Basel, andererseits dem Rekurrenten, Hrn. Dr. J. G. Wackernagel, Redaktor der ,,Basler Nachrichten", in Basel, schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 20. Januar 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs von Hrn. Dr. Johann Gottfried "Wackernagel, Redaktor der ,,Basler Nachrichten", von und in Basel, gegen ein Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Februar 1885, betreffend Beschimpfung der ...

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1886

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03

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23.01.1886

Date Data Seite

63-71

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