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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Julius und Johann Zurfluh in Altdorf betreffend Verletzung der Verfassung des Kantons Uri durch die Beschlüsse des Landrates vom 2. Oktober 1901 über Abänderung des VerwaltungsReglementes des Kantonsspitals von Uri und darauf gestützt vorgenommene Ergänzungswahlen in die Spitalverwaltung.

(Vom 11. Februar 1902.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde des J u l i u s und J o h a n n Z u r f l u h in Altdorf betreffend die Verletzung der Verfassung des Kantons Uri durch die Beschlüsse des Landrates vom 2. Oktober 1901 über Abänderung des Verwaltungsreglementes des Kantonsspitals von Uri und darauf gestützt vorgenommene Ergänzungswahlen in die Spitalverwaltung; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Der Landrat des-Kantons Uri beschloß am 2. Oktober 1900 eine Ergänzung des Réglementes für den Verwaltungsrat des Urnerischen "Kantonsspitals. Durch diesen Beschluß wurde festgesetzt:

461' ,,Der Verwaltungsrat besteht aus fünf Mitgliedern, wovon vier durch den Landrat zu wählen sind."

Der neue Beschluß wurde sofort in Vollziehung gesetzt, indem am gleichen Tage der Landrat folgende Ergänzungswahlen traf: J. A. Gisler, Pfarrer und bischöflicher Kommissär in Altdorf, und J. Wipfli, Verhörrichter in Erstfeld. Diese Beschlüsse wurden im Amtsblatt des Kantons Uri vom 10. Oktober 1901 publiziert.

II.

Gegen diese Beschlüsse reichten Julius und Johann Zurfluh in Altdorf beim Bundesrate eine staatsrechtliche Beschwerde ein.

In derselben, welche das Datum vom 7. Dezember trägt, laut Poststempel aber am 9. Dezember in Altdorf aufgegeben wurde, wird das Begehren gestellt: · die vorbezeichneten Beschlüsse des Landrates von Uri seien als verfassungswidrig aufzuheben.

Zur Begründung wurde im wesentlichen angebracht: In der Verfassung des Kantons Uri wird in Art. 59, litt. o, Ziffer 3, unter den Wahlbefugm'ssen des Landrates aufgeführt, daß er den P r ä s i d e n t e n und ein M i t g l i e d der K a n t o n s s p i t a l v e r w a l t u n g zu wählen habe. In Übereinstimmung damit enthielt das Reglement des Kantonsspitals vom 21. November 1889 die Vorschrift: ,, 1. Der Verwaltungsrat : des Kantonsspitals besteht aus drei Mitgliedern, wovon zwei der Landrat und das dritte die ehrende Verwandtschaft des edeln Stifters (Landarnmann Karl Emmanuel Müller) wählt."

Die Befugnis des Landrates ist durch die Verfassungsvorschrift in ganz bestimmter Weise auf die Wahl von zwei Mitgliedern beschränkt; ohne eine Verfassungsänderung kann die Wahlbefugnis des Landrates nicht ausgedehnt werden. Die angefochtenen Beschlüsse des Landrates von Uri sind deshalb als verfassungswidrig aufzuheben, insbesondere die getroffenen Neuwahlen nichtig zu erklären.

Bezüglich der Kompetenz des Bundesrates verweist die Beschwerde ohne nähere Ausführung auf den Wortlaut von Artikel 189, zweitletzten Absatz des Bundeogesetzes betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege.

Bundesblatt.

54. Jahrg. Bd. I.

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ni.

Der Regierungsrat des Kantons Uri beantwortete die Beschwerde mit Eingabe vom 16./19. Dezember. Er erhob zunächst eine Kompetenzeinrede von der Ansicht ausgehend, der vorliegende Fall sei kein Wahlrekurs, sondern beschränke sich auf die Erörterung der Frage, ob der Landrat verfassungsmäßig berechtigt gewesen sei, die Mitgliederzahl des Verwaltungsreglementes des Kantonsspitals zu erhöhen. Dem Wahlakte selbst werde keine Unregelmäßigkeit vorgeworfen. Bei dieser Sachlage sei nicht der Bundesrat, sondern das Bundesgericht zuständig.

Einläßlich wird den Rekurrenten die Sachlegitimation zur Beschwerdeführung bestritten, da nicht bürgerliche Rechte und Pflichten, sondern bloß sine organisatorische Verfügung von untergeordnetem Belange in Frage stehe.

In der Sache selbst bemerkt die Regierung, nachdem sie einen geschichtlichen Überblick über die Verhältnisse des Kantonsspitals gegeben hat, daß die Verfassung durchaus nicht eine Veränderung der Mitgliederzahl in der Verwaltung des Spitals ausschließe. Der Spitalrat sei überhaupt nicht eine verfassungsmäßige Behörde ; es liege deshalb weder in der Vermehrung von dessen Mitgliederzahl noch in der Vornahme der Ergänzungswahlen selbst durch den Landrat eine Verletzung der Verfassung des Kantons Uri.

IV.

Da die Kompetenz zur Entscheidung dieser Beschwerde des Landrates angefochten wurde, und sich Zweifel darüber ergaben, ob die Beurteilung der Beschwerde nicht in die Kompetenz des Bundesgerichtes gehöre, eröffnete der Bundesrat die in Art. 194 des Bundesgesetzes betreffend Organisation der Bundesrechtspflege vorgesehene Korrespondenz mit dem Bundesgerichte. In seiner Zuschrift vom 24. Dezember 1901 ging der Bundesrat von der Auffassung aus, daß er zur Entscheidung nicht kompetent sei, da der Ausdruck ,,Wahlen und Abstimmungen1'' in Art. 189 des Organisationsgesetzes sich nur auf V o l k s wählen und, Abstins mungen, nicht auf die nur uneigeutlich als ,, Wahlena zu bezeichnenden Ernennungen durch Behörden, beziehe; dies ergebe sich aus dem Zusammenhange mit dem unmittelbar vorher vorkommenden Ausdruck ^Stimmberechtigung", Übrigens auch aus.

dem französischen Texte, der von ,,élections et votations"1 spreche.

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In seiner Antwort vom 17. Januar erklärte sich das Bundesgericht mit der Auffassung des Bundesrates einverstanden, unter Verweisung auf sein Urteil vom 4. April 1901 in Sachen der Gemeinde Cceuve (Kanton Bern) gegen den Regierungsrat des Kantons Bern. Die Antwort schließt mit dem Satze : ^Das Bundesgericht erklärt sich daher im Prinzip als kompetent, sofern überhaupt die Voraussetzungen eines staatsrechtlichen Rekurses gegeben sind."

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Von seiten des Regierungsrates des Kantons Uri ist die Kompetenz des Bundesrates zum Entscheid der vorliegenden Beschwerde bestritten worden. Der Buudesrat hat aber auch von Amtes wegen seine Zuständigkeit zu untersuchen. Es ist daher vorerst über diesen Punkt eine Prüfung zu veranstalten.

II.

Die Beschwerdeführer leiten die Kompetenz des Bundesrates aus Art. 189, vorletztem Absatz, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 23. März 1893 ab. Derselbe lautet: ,,Im fernem hat der Bundesrat oder die Bundesversammlung zu beurteilen : . Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen, auf Grundlage sämtlicher einschlägigen Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechtes und des Bundesrechtes.ct Durch die vorliegende Beschwerde werden zwei Beschlüsse des Landrates von Uri angefochten, einmal die Änderung des Verwaltungsreglementes des Urner Kantonsspitals, anderseits die auf Grundlage des neuen Réglementes vorgenommene Neuwahl.

Das Kantoasspital Uri beruht auf einer Stiftung. Das .Organisationsstatut dieser Stiftung datiert vom 1. September 1848 und 24. Oktober, 1871 (vgl. über die mit der Stiftung zusammenhängenden Verhältnisse das Landbuch des .Kantons Uri, Bd. II, p,. 499 ff.). Die Stiftung wurde von der Familie des alt.Landammann Ingenieur Karl Em. Müller sei., nachdem das Spital-

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gebäude nach dem Willen des .Stifters vollendet war, der Regierung im Jahre 1871 zu Händen des Landes Uri zur Übernahme und künftigen Verwaltung auf Grundlage der Statuten vom 1. September 1848 abgetreten und übergeben. Auf Grundlage dieser dem Privatrecht angehörenden Vorgänge erließ der Landrat das Reglement für den Verwaltungsrat des Kantonsspitals von Uri (Landbuch, Bd. II, p. 508). Wie weit der Landrat zur Abänderung dieses Réglementes berechtigt ist, ist jedenfalls weder eine Wahl- noch eine Abstimmungsfrage. Es ist nicht abzusehen, wie so der Bundesrat auf Grundlage des Art. 189 des Organisationsgesetzes betreffend die Bundesrechtspflege dazu kommen sollte, sich in die Organisation der Verwaltung einer privatrechtlichen Stiftung einzumischen, auch wenn diese Organisation von den öffentlichen Behörden des mit der Stiftung bedachten Kantons Uri vorgenommen wird. In dieser Beziehung fehlt es also von vornherein dem Bundesrate an der Zuständigkeit, einen Entscheid über den ersten der angefochtenen Beschlüsse des Landrates abzugeben.

Die auf Grundlage der neuen Bestimmung vom Landrat vorgenommenen Wahlen bilden zwar ebenfalls Gegenstand der Anfechtung. Aber auch hier muß der Bundesrat die Kompetenz zur Entscheidung ablehnen. Denn wenn Art. 189 des Organisationsgesetzes von ^kantonalen Wahlen und Abstimmungen" redet, so sind damit, wie aus dem Zusammenhange mit dem unmittelbar vorher aufgestellten Kompetenzgrunde der politischen Stimmberechtigung der Bürger hervorgeht, V o 1k s wählen und Abstimmungen gemeint, nicht die nur uneigentlich mit dem Ausdruck ,,Wahlen" bezeichneten Ernennungen durch die kantonalen Behörden, welche auf die politische Stimmberechtigung der Bürger gar keinen Bezug haben.

Diese Auslegung ergiebt sich auch aus der Botschaft des Bundesrates zum Organisationsgesetz von 1893. Darin heißt es u. a. (Bundesbl. 1892, II, 387): ,,Wir schlagen unsererseits vor, daß den politischen Bundesbehörden nicht bloß die Kompetenz zur Beurteilung von Beschwerden betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen, sondern, a l s d a m i t i m e n g s t e n , u n t r e n n b a r e n Z u s a m m e n h a n g s t e h e n d , auch die Kompetenz zur Beurteilung von Beschwerden betreffend die politische Stimmbereeht.gung bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen im Gesetze ausdrücklich zuerkannt werden solle."

465 Weder handelt es sich im gegenwärtigen Falle um eine Wahl oder Abstimmung, bei der das politische Stimmrecht der Bürger eine Rolle spielt, noch um die Wahl irgend einer staatlichen oder Gemeindebehörde, sondern um Ernennung von Mitgliedern in den Verwaltungsrat einer privatrechtlichen Stiftung, welche unter der Oberaufsicht der kantonalen Behörden steht.

Es sind also jedenfalls durch den Beschluß über diese Ernennung keine Individualrechte der Bürger politischer Natur verletzt, welche durch die Bundes- oder Kantonsverfassung geschützt sind und deren Verletzung zu einem staatsrechtlichen Rekurs nach Art. 189, letzter Absatz, des mehrfach citierten Organisationsgesetzes Veranlassung geben könnte.

D e m n a c h wird e r k a n n t : Auf die Beschwerde wird wegen Inkompetenz nicht eingetreten.

B e r n , den 11. Februar 1902.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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