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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Johann T a n n e r, von Flühli, wohnhaft im Rothhaus zu Littau (Luzern), gegen einen Beschluß der Regierung des Kantons Luzern vom 6. Dezember 1886, betreffend Ausweisung aus der Gemeinde Littau.

(Vom 1. April 1887.)

Der schweizerische B u n d e sr ath,

hat in Sachen des Rekurses des Johann T a n n e r , von Flühli, wohnhaft im Rothhaus zu Littau (Luzern), gegen einen Beschluß der Regierung des Kantons Luzern vom 6. Dezember 1886, betreffend Ausweisung aus der Gemeinde Littau ; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse : I. Johann Tanner von Flühli, im Rothhaus zu Littau, wurde von den luzernischen Strafgerichtsbehörden verurtheilt: im Jahr 1853 wegen Diebstahls und Betruges (in Anbetracht seiner Jugend) zu einer korrektionellen Strafe; 1861 wegen qualifizirter Diebstähle zu 9 Monaten Zuchthaus ; 1865 wegen Diebstahls zu 18 Monaten Zuchthaus; 1872 wegen Diebstahls und Verführung zur Unzucht und Mißhandlung zu 21 Monaten Zuchthaus; 1879 wegen einfachen Diebstahls zu 14 Tagen Gefängniß; 1881 wegen beschwerten Diebstahls zu zwei Monaten Arbeitshaus, und 1884 wegen Aergernißerregung und öffentlichem Skandalmachen zu Geldbuße.

Auf Grund dieser kriminellen und polizeilichen Bestrafungen ist der Genannte vom Geimeinderath Littau mit Erkenntniß vom 17. Februar 1886 aus dieser Gemeinde ausgewiesen worden. Im November 1886 stellte Tanner, gestützt auf eine Rehabilitationsurkunde des Obergerichtes Luzern vom 17. Juli v. ,1. bei dem

709 Gemeinderath von Littau das Gesuch um Aufhebung des Ausweisungsbeschlusses. Diesem Gesuche wurde aber nicht entsprochen, in Anbetracht, daß Tanner zwar bezüglich dreier Kriminalfälle (1861, 1868 und 1872) rehabilitirt worden, dagegen außer denselben noch so oft polizeilich bestraft worden sei, daß dessen Fortweisung dennoch begründet sei. Hiegegen legte Tanner bei dem Regierungsrathe des Kantons Luzern Beschwerde ein, welcher dieselbe aber ebenfalls unterm 6. Dezember 1886 abgewiesen hat.

II. Mit Eingabe vom 28. Dezember vorigen Jahres rekurrirt Herr Fürsprech L. Zimmermann in Luzern Namens des Job. Tanner gegen den Ausweisungsbeschluß an den Bundesrath, mit dem Gesuche, es möchte derselbe aufgehoben und der Gemeinderath von Littau angehalten werden, dem Rekurrenten die Niederlassung in der Gemeinde Littau auch fernerhin zu gestatten.

Zur Begründung des Rekurses wird im Wesentlichen angeführt : 1) Es sei zwar richtig, daß der Rekurrent, wie erwähnt, kriminell und polizeilich bestraft worden, indessen seien seit der letzten kriminellen Verurtheilung schon 14 Jahre und seit der letzten polizeilichen Strafe 5 Jahre verflossen. Außerdem sei der Rekurrent nun schon 13 Jahre lang in der Gemeinde Littau niedergelassen und habe während dieser Zeit nie Anlaß zu Klagen gegeben. Es müßte daher als unbillig angesehen werden, wenn er von heute auf morgen sollte ausgewiesen werden können aus einer Gemeinde, die ihm seit so vielen Jahren die Niederlassung unbeanstandet gestattet habe. Auch besitze er seit 4 Jahren eine größere Liegenschaft, welche ihm unbeanstandet zugefertigt worden sei. Von dieser wolle man ihn nun aber vertreiben, damit ein Anderer billig in den Besitz derselben kommen könne. Dieses sei der wirkliche Grund seiner Ausweisung aus Littau; die Vorgabe, daß der Gemeinderath von Littau erst in der letzten Zeit von den Bestrafungen des Rekurrenten vernommen habe, sei unglaubwürdig.

2) Die fragliche Ausweisung sei aber nicht allein vom Standpunkte der Billigkeit und Humanität unstatthaft, sondern auch von Gesetzes wegen, da dem Rekurrenten nicht mehr vorgehalten werden könne, daß er kriminell bestraft worden sei. Er sei von dem Obergerichte des Kantons Luzern unterm 18. Juli 1886 rehabilitirt und wieder in seine bürgerlichen Rechte und Ehren eingesetzt worden. Wenn er nun aber dennoch ausgewiesen
würde, so wäre die Rehabilitation ohne jeden faktischen Werth, während sie ihn doch wieder zu einem würdigen Gliede der menschlichen Gesellschaft gemacht habe und ihm darum vor Allem das Recht der freien Niederlassung verschaffen sollte. Die etwaige Einrede, daß

71Ü durch die Rehabilitation nur die Folgen der Kriminalfälle aufgehoben worden und nicht aui-h die der Vergehen und Polizeidelikte sei unstichhaltig, indem durch jenen Akt nicht bloß die schwerere Schuld gesühnt sein könne, sondern gleichzeitig auch die leichtere.

3) Für den Fall, daß aus allen den angeführten Gründen das Begehren des Rekurrenten sich nicht rechtfertigen ließe, so könnte dessen Ausweisung doch nicht stattfinden auf Grund von Art. 45, Absatz 3, der Bundesverfassung, ,,weil derselbe wegen schwerer Vergehen wiederholt bestruft worden sei", wie die Regierung von Luzern in ihrem Erkenntniß erkläre.

Vor Allem könne von den drei dabei in Erwägung gezogenen Bestrafungen des Rekurrenten die letzte derselben, vom Jahre 1884, welcher die Beschimpfung einer Frau zu Grunde liege, wohl nicht in Betracht kommen. Was dann die beiden 1879 und 1881 begangenen Diebstähle betreffe, so mangle denselben der Begriff des s c h w e r e n Vergehens. Es handle sich im erstem Falle um den Diebstahl von zwei leeren Fässern im Werthe von Fr. 5 ; eine Strafe von 14 Tagen Gefängniß sei diesfalls nur ausgesprochen worden wegen der vorausgegangenen kriminellen Diebstähle, \veßhalb die Höhe jener Strafe bei der Beurtheilung der Frage, ob das ^ Vergehen ein schweres gewesen, nicht in Betracht gezogen werdet) könne. Ebenso verhalte es sieh hinsichtlich des Diebstahls im Jahre 1881.

Auch hier sei die verhältnißmäßig hohe Strafe nur eine Folge der frühern Kriminalfälle gewesen. Wenn man aber auch diesen letzten üiebstahl als schweres Delikt ansehen wollte, so sei dies doch nur ein Vergehen, während in dem citirten Artikel der Bundesverfassung wiederholte Bestrafung von schweren Vergehen verlangt werde. Es seien somit unter allen Umständen die Voraussetzungen des Absatzes 3 des Art. 45 der Bundesverfassung nicht vorhanden.

III. Die Regierung des Kantons Luzern beschränkt sich darauf, in ihrer Vernehmlassung vom 25. v. Mts. auf den vom Gemeinderath Littau unterm 10./12. Februar d. J. zu Händen des Bundesrathes abgegebenen Bericht zu verweisen, mit dem Bemerken, daß sie das Begehren des Gemeinderathes um Bestätigung des angefochtenen Ausweisungsbeschlusses unterstütze.

Der Gemeinderath hebt in seinem Schreiben hervor, daß die Fortweisung des Rekurrenten wohl begründet sei, da die zweimalige Bestrafung desselben wegen
Diebstahls in den Jahren 1879 und 1881 und diejenige von 1884, nachdem verschiedene Kriminalverbrechen vorausgegangen, schwer genug seien, um gestützt auf Art. 45, Abs. 3, der Bundesverfassung die Ausweisung auszusprechen, selbst wenn die Kriminaldelikte infolge der Rehabili-

711 tation nicht in Betracht fallen sollten. Daß dem Rekurrenten Liegenschaften unbeanstandet zu- und abgefertigt worden seien, beweise nichts, weil nach dem Handänderungsgesetze des Kantons Luzern hiefür kein Leumundszeugnis erforderlich sei. Die Behauptung des Rekurrenten, als gehe man darauf aus, ihn von Haus und Hozu vertreiben, damit ein Anderer billig in den Besitz derselben kommen könne, müsse als böswillige Verdächtigung zurückgewiesen werden ; dagegen werde die als unglaubwürdig hingestellte Angabe, daß der moralische Stand des Tanner dem Gemeinderathe erst im Jahre 1885 bekannt geworden, aufrecht gehalten. Der Rekurrent sei übrigens außer in den genannten Fällen auch noch anderweitig bestraft worden, so wegen unbefugten Schnapsverkaufes; derselbe treibe überhaupt so ziemlich, was er wolle. Würde dem Gemeinderath das Recht der Fortweisung irn vorliegenden Falle abgesprochen, so habe er für die Zukunft eine schwere Aufgabe, die Gemeinde vor Ansammlung von allerlei Gesindel zu schützen und ein geordnetes Gemeindewesen zu führen, er ersuche daher den Bundesrath, den Rekurs des Tanner als unbegründet abweisen zu wollen; in E r w ä g u n g : daß der Rekurrent seit seiner Niederlassung in Littau wiederholt, zuletzt noch in den Jahren 1879 und 1881, gerichtlich wegen Diebstahls und 1884 wegen Erregung von Aergerniß und öffentlichem Skandalmachen polizeilich bestraft worden ist; daß deßhalb der Behörde der Niederlassungsgerneinde das Recht der Ausweisung desselben nach Art. 45, Abs. 3, der Bundesverfassung nicht abgesprochen werden kann ;

beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

O O 2. Dieser Beschluß ist der Regierung des Kantons Luzern, sowie zu Händen des Rekurrenten dem Herrn Fürspreeher L. Zimmermann in Luzern schriftlieh mitzutheilen.

B e r n , den i. April 1887.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Droz.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluß betreffend

den Rekurs der Herren Paul H a l l e r , von Bern, Verleger und Drucker des ,,Intelligenzblatt für die Stadt Bern", und Joh. Jakob G ubl e r , von Gachnang (Thurgau), Vertreter der Annoncenexpedition Haasenstein und Vogler, beide in Bern, gegen ein Urtheil der Polizeikammer des bernischen Obergerichts vom 10. Dezember 1887, wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung.

(Vom 29. Juni 1888.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d es rat h hat in Sachen von : 1) Paul H a 11 e r , von Bern , Verleger und Drucker des ,,Intelligenzblatt für die Stadt Bern ; 2) Joh. Jakob G u b l e r , von Gachnang (Thurgau), Vertreter der Annoncenexpedition Haasenstein & Vogler, beide in Bern,

gegen den Staat Bern, d. h. gegen ein auf dem bernischen Gesetz vom 14. März 1865 über die Ausübung der medizinischen Berufsarten beruhendes Urtheil der Polizeikammer des bernischen Obergerichts vom 10. Dezember 1887, wegen Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse :

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Johann Tanner, von Flühli, wohnhaft im Rothhaus zu Littau (Luzern), gegen einen Beschluß der Regierung des Kantons Luzern vom 6. Dezember 1886, betreffend Ausweisung aus der Gemeinde Littau. (Vom 1. April 1887....

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24.11.1888

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