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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend ein Bundesgesetz über die Militärstrafgerichtsordnung.

(Vom 10. April 1888.)

Tit.

Mit Botschaft vom 30. Mai 1884 haben wir Ihnen den Entwurf eines neuen Militärstrafgesetzbuches vorgelegt. Derselbe ist seither vom Ständerathe und der Kommission des Nationalrathes durchberathen worden. In jener Botschaft sind die Notwendigkeit und die Zielpunkte einer Revision des bisherigen Militärstrafgesetzbuches eingehend nachgewiesen, und wir können daher in dieser Hinsicht einfach auf unsere damaligen Ausführungen verweisen.

Ursprünglich leitete uns der Gedanke, an die Stelle des bisherigen ein Gesetz zu setzen, das vermöge seiner Kürze in dem Dienstbüchlein des Soldaten hätte abgedruckt werden können und daher lediglich die notwendigsten Bestimmungen in sehr gedrängter Zusammenfassung und unter Weglassung eines ausführlichen allgemeinen Theiles enthalten durfte. Diesem Gedanken entsprach ein von Herrn Professor Dr. Hilty in Bern schon im Jahre 1878 ausgearbeiteter Entwurf, welcher allerdings nur 80 Artikel enthielt.

Allein eine Kommission von Fachmännern, welcher wir den Entwurf im Jahre 1879 unterbreiteten, ging bereits von diesem Systeme ab und sprach sich in ihrer Mehrheit für ein Gesetzbuch nach bisheriger Art und Weise, · wiewohl in möglichst knapper und praktischer Fassung, aus.

Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. II.

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Den geäußerten Bedenken sollte der Ihnen am 30. Mai 1884zugeleitete Entwurf Rechnung tragen. Es war derselbe somit der Versuch einer Vermittlung zwischen zwei Systemen, dem System einer summarischen, möglichst volkstümlichen Behandlung des Stoffes und demjenigen einer streng geordneten, jede Einzelheit wohlbeachtenden Bearbeitung desselben. Mit uns erblickten damals viele Fachkundige in dem Entwurfe die glückliche Lösung dieses Problems.

Der Gang der Berathungeu im Ständerathe und in der nationalräthlichen Kommission und seither erschienene öffentliche Kritiken haben uns jedoch zu der Ueberzeugnng gebracht, daß die Absicht, welche dem Entwurfe vom 30. Mai 1884 zu Grunde lag, in der Praxis sich nicht verwirklichen läßt. Die zahlreichen Abänderungen und Ergänzungen, die der Entwurf im Laufe der Berathungeu erfuhr, gaben demselben ein ganz neues Gepräge, welches wenig mehr von der ursprünglichen Einfachheit und Gedrängtheit erkennen ließ ; dieselben strebten mehr und mehr nach in's Einzelne gehender systematischer Behandlung und nahmen damit dem Entwurfe seinen originellen Charakter. Allein da die Abänderungen und Ergänzungen alle nur das Kesultat von ebenso vielen Einzelanträgen waren, so konnten sie nicht dazu führen, an die Stelle des ursprünglichen Entwurfs ein einheitliches, nach festen Grundsätzen geordnetes Ganzes zu setzen.

Die nationalräthliche Kommission, in welche für den am 2. Februar 1886 verstorbenen Hrn. Oberauditor J. Büzberger Hr. Oberst Ed. Müller (Bern) eingetreten war, ertheilte im Einverständniß mit dem Vorsteher des Eidg. Justizdepartements dem Herrn Müller am 29. Juni 1886 den Auftrag, über die Militärgerichtsorganisation und das Militärstrafverfahren einen Entwurf nach einem von ihm am 19. Juni gl. J. eingereichten schematisirten Antrage auszuarbeiten.

Der neue Entwurf war am 31. Juli 1886 vollendet. Wir hielten es für zweckmäßig, dem Wunsche der nationalräthlichen Kommission entsprechend, denselben einer fachmännischen Begutachtung zu unterwerfen, und ernannten hiefür als Experten die Herren: Alt Bundesrath Eugen Borei, Oherauditòr der Armee; Prof. Dr. C. Hilty, Oberst im Justizstab und Präsident des Militärkassationsgeriehts ; Nationalrath A. Brosi, Präsident der nationalräthlichen Kommission für das Militärstrafrecht; Staatsrath A. Cornaz, Präsident der ständeräthlichen
Kommission für das Militärstrafrecht ; Nationalrath Ed. Müller, Oberst-Brigadier; Prof. Dr. A. Schneider, Major im Justizstab und Großrichter, und Prof. Dr. X. Gretener, Lehrer des Strafrechts an der Universität Bern.

Diese Expertenkommission beschloß in ihrer Sitzung vom 3. Februar 1887 mit Mehrheit, dem Bundesrathe die Ansicht auszusprechen:

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1) es gebühre den Anträgen des Hrn. Müller in Betreff der Gerichtsorgauisation und des Strafverfahrens gegenüber den Bestimmungen des bisherigen Entwurfes der Vorzug; 2) die Annahme der Müller'schen Anträge mache eine Umarbeitung auch des materiellen Militärstrafrechts nothweudig.

Wir haben darauf unser Justiz- und Polizeidepartement beauftragt, die Neubearbeitung des Entwurfs an die Hand zu nehmen.

Die in den bisherigen Berathungen gewonnenen Eesultate sollten möglichst benutzt und verwerthet, im Ganzen aber eine mehr systematische Behandlung des Stoffes angestrebt werden.

Das Departement entledigte sich seiner Aufgabe unter Zurathe-ziehung der oben genannten Experten. Dabei hat sich gezeigt, daß die Fertigstellung aller Theile eines Gesetzes, welches die gesammte Rechtspflege, also auch das materielle Strafrecht, die Disziplinarstrafordnung und die Kriegsartikel umfassen würde, noch eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen wird. Diese Zeit möchten wir nicht verlieren.

Unser Justizdepartement legt uns als Eesultat der bisherigen Berathungen den vollständigen Entwurf eines Bundesgesetzes über die Militärstrafgerichtsordnung vor. Gegenüber diesem Entwurfe ziehen wir unsere Vorlage vom 30. Mai 1884 zurück. Da k e i n Hi n der niß besteht, um die Haupttheile der Militärstrafrechtspflege in g e s o n d e r t e n G e s e t z e n zu behandeln, der E n t w u r f für eine neue Militärstrafgerichtsordn u n g aber d r i n g l i c h e r s c h e i n t u n d genugsam vorb e r e i t e t ist, so s c h l a g e n w i r I h n e n v o r , auf die B e rathung dieses E n t w u r f e s einzutreten und denselben als selbstständiges Gesetz a n z u n e h m e n .

Wir würden Ihnen auf diese Weise nach einander vorlegen: 1) ein Gesetz über die Militärstrafgerichtsordnung; 2) ein Gesetz Über die Disziplinarstrafordnung; 3) ein Gesetz Über das Militärstrafrecht; 4) ein Gesetz Über die Kriegsartikel.

Der gegenwärtige Entwurf einer «Militärstrafgerichtsordnung» behandelt in seinem ersten Theile die M i l i t ä r s t r a f g e r i c h t s v e r fassung und in seinem zweiten Theile das M i l i t ä r s t r a f v e r fahren. Ohne hier in alle Einzelheiten einzutreten, erlauben wir uns folgende orientirende Bemerkungen.

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I.

In dem ersten Theile finden Sie zunächst Bestimmungen über die G e r i c h t s b a r k e i t , d. h. über die sachliche Zuständigkeit der Militärgerichte oder über den bestimmten Kreis strafbarer Handlungen, welcher der militärgerichtlichen Beurtheilung zugewiesen ist.

Art. l bezeichnet die Personen, welche der Militärgerichtsbarkeit unterworfen sind und die Voraussetzungen, unter welchen die Militärgerichte über diese Personen zu urtheilen haben. Beides mußte zugleich behandelt werden, weil eben bei unsern Milizverhältnissen gewisse Personen nur unter bestimmten Voraussetzungen der Militärgerichtsbarkeit unterliegen. Von den Bestimmungen des Art. l heben wir folgende hervor, welche ganz oder theilweise neu sind: Ziffer 3 unterwirft die Militärbeamten und Angestellten des Bundes und der Kantone in Bezug auf Handlungen, welche mit ihrer amtlichen Stellung im Zusammenhange stehen, der Militärgerichtsbarkeit und dem Militärstrafrecht. Es ist dies namentlich angezeigt in Hinsicht auf das diesen Personen oftmals aufzuerlegende Amtsgeheimniß. Aber auch sonst empfiehlt es sich, diese Personen gleich Militärpersonen zu behandeln, da ihre amtliche Thätigkeit im innigsten Zusammenhang steht mit dem Militärwesen überhaupt und von demselben sich nicht trennen läßt.

Nach Ziffer 5 sollen dem Militärstrafrechte und der Militärstrafgerichtsbarkeit Wehrpflichtige auch außerhalb des Dienstes unterworfen sein mit Bezug auf ihre dienstlichen Obliegenheiten und im dienstlichen Verkehr mit militärischen Vorgesetzten und mit militärischen Behörden. Es handelt sich also hier um eingetheilte Wehrpflichtige und nicht um bloße Steuerzahler. Der erste Fall betrifft z. B. die Vernachläßigung der Pflicht zur Erhaltung der Militäreffekten, die Unterlassung der Anzeige des Wohnungswechsels u. dgl., der zweite Fall bezieht sich namentlich auf das Eapportwesen außer Dienst.

Dagegen wollten wir nicht unter das Militärgesetz stellen kritische Meinungsäußerungen, zu welchen Wehrpflichtige außerhalb des Dienstes und außerhalb ihrer dienstlichen Beziehungen zu militärischen Behörden und Vorgesetzten sich etwa veranlaßt sehen, indem es uns daran liegt, jeden Schein zu vermeiden, als oh der Freiheit der Meinungsäußerung zu nahe getreten werden dürfte.

In Ziffer 8 hahen wir das Militärgesetz anwendbar erklärt auf Bürger, welche
Militärpersonen bei der Erfüllung ihrer Dienstpflichten beeinträchtigen, verletzen oder beschimpfen. Es erschien dies angezeigt, um den Militärpersonen bei Erfüllung ihrer Dienstpflicht einen wohlgerechtfertigten besonderen Schutz zuzusichern.

349 Ziffer 9 bezieht sich auf diejenigen Fälle des Falschwerbens, welche in Art. 98 des in Kraft bestehenden Militärstrafgesetzes mit Strafe bedroht sind.

Ziffer 10 unterstellt dem Militärgesetz in Kriegszeiten Personen, welche der Armee folgen, worunter u. A. auch Zeitungskorrespondenten u. dgl. zu verstehen sind, und solche, welche sich in Kriegszeiten strafbarer Handlungen an Personen, die zur Armee gehören oder an Sachen, die der Armee dienen, schuldig machen. In Kriegszeiten werden daher u. A. auch Arbeiter, die hei der Waffen- und Munitionsfabrikation oder in Militärmagazinen beschäftigt sind, der militärischen Gerichtsbarkeit unterliegen, während dies in Friedenszeiten nach Maßgabe von Ziff. 6 und 7 des Art. l nicht der Fall ist.

Dagegen haben wir aus dem bisherigen Gesetz weggelassen die bei der Armee anerkannten Freiwilligen, weil diese nunmehr dem Landsturm zugetheilt werden und in dieser Eigenschaft bereits unter dem Militärgesetz stehen.

Art. 2 stellt fest, wer als Militärperson zu betrachten ist, da dieser Begriff für das ganze Militärstrafrecht eine große Bedeutung hat.

In Art. 4 haben wir die Handlungen, welche Personen, die dem Militärstrafgesetze unterworfen sind, im Auslande begehen, ebenfalls der Militärgerichtsbarkeit unterstellt. Es war dies nicht nur Döthig für den Fall, wo die Armee in Feindesland steht. Verrätherei und Falschwerben können auch abgesehen hievon im Auslande stattfinden. Ebenso ist es denkbar, daß Militärpersonen im Auslande eine Handlung begehen, welche unter das Militärstrafgesetz fällt. Wir müssen befugt sein, solche Personen vor unsere Militärgerichte zu ziehen.

Die A r t . 5 -- 9 behandeln das Verhältniß der Militärgerichtsbarkeit zu der bürgerlichen Gerichtsbarkeit. Wir haben dabei nach möglichster Vereinfachung gestrebt und namentlich auch die unpraktische Vorschrift des bisherigen Gesetzes beseitigt, nach welcher in gemischten Fällen zuerst die Militärperson durch den militärischen Richter beurtheilt werden mußte und nachher die Civilperson durch den bürgerlichen Eichter.

Endlich mußte auch auf rasche Erledigung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen bürgerlichen und militärischen Gerichtsbehörden Bedacht genommen werden. Es erschien am zweckmäßigsten, den Entscheid über solche Streitigkeiten dem Bundesrathe zu übertragen, da derselbe mit der ganzen
Organisation der Militärstrafrechtspflege in viel näherer Beziehung steht, als z. B. das Bundesgericht.- Der Bundesrath muß auch in anderer Beziehung im Militärstrafverfahren

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zu entscheidender Thätigkeit berufen werden, und es kann naturgemäß von ihm eine raschere Erledigung solcher Streitigkeiten erwartet werden, als dies auf dem Wege des Kekurses an das Bundesgericht möglich wäre.

Soviel über den Abschnitt betreffend die Gerichtsbarkeit, welcher zu den wichtigsten und schwierigsten der Militärstrafgerichtsverfassung gehört.

Es folgen die Bestimmungen über den J u s t i z s t a b . Das Personal des Justizstabes muß natürlich den Vorschriften über die Organisation der Militärgerichte entsprechend sein. Neu find bei dem Justizstabe nach dem Entwurfe die U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r .

Während nach dem bisherigen Gesetz die Führung der Voruntersuchung einem Strafpolizeibeamten (Truppenoffizier) oblag, welchem der Auditor zur Seite stand, woraus in der Praxis die Führung der Voruntersuchung durch den Auditor entstanden ist, und während unser Entwurf vom 30. Mai 1884 die jetzige Praxis zum Gesetze erheben wollte, schlägt der gegenwärtige Entwurf für die Führung der Voruntersuchung einen besonderen Beamten vor, den Untersuchungsrichter, dessen Kompetenzen und Aufgahe scharf getrennt sind von den Kompetenzen und der Aufgabe des Auditors. Der Entwurf schließt sich, damit den bürgerlichen Strafgerichtsverfassungen an und trägt dem Gedanken Rechnung, daß nicht ein und dieselbe Person in einer Sache Eichter und Partei zugleich sein kann. Statt zweier Auditoren soll in Zukunft jede Division einen Auditor und einen Untersuchungsrichter haben. Wir bedürfen also keiner Personalvermehrung.

Auch die rasche Erledigung der Geschäfte wird durch die Kompetenzausscheidung eher gefördert. Die Garantien für eine objektive Rechtspflege aber werden erheblich vermehrt. Immerhin steht der Untersuchungsrichter gleich dem Auditor unter dem Oberauditor als dem Chef des Justizstabes, und Beschwerden gegen den Untersuchungsrichter werden von dem Oberauditor beurtheilt.

Neu ist auch die Zutheilung der G e r i c h t s s c h r e i b e r zum Justizstabe als besondere Sektion desselben. Es ist nöthig, daß die Gerichtsschreiber in engere Verbindung mit dem Justizstabe gebracht werden, als dies bisher der Fall war. Auch gedenken wir für die Instruktion derselben eigene Unterrichtskurse vorzuschlagen, da die Aufgabe der G-erichtsschreiber keine leichte ist und deren richtige Erfüllung wesentlich
zur Förderung der Rechtspflege beitragen wird.

Unter dem Titel « d i e M i l i t ä r g e r i c h t e » behandelt der Entwurf die ordentlichen Militärgerichte oder Divisionsgerichte, das Militärkassationsgoricht, den Disziplinarhof und das außerordentliche Militärgericht.

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Für jede Armeedivision soll ein o r d e n t l i c h e s M i l i t ä r g e r i c h t eingesetzt werden, welches aus einem Großrichter und vier Richtern besteht. Zur Vertretung der Eichter werden vier Ersatzmänner ernannt. Als Richter und Ersatzmänner sind je 2 Offiziere und 2 Unteroffiziere der betreffenden Armeedivision zu bezeichnen.

Der Großrichter, die Richter und deren Ersatzmänner werden von dem Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt. Die Richter und Ersatzmänner behalten indessen ihre ordentlichen militärischen Obliegenheiten neben der Richterstellung bei. Jedem ordentlichen Militärgerichte sind beigegeben: ein Auditor, ein Untersuchungsrichter und ein Gerichtsschreiber.

Diese Divisionsgerichte sind so einfach organisirt, als mit Eücksicht auf die Garantie einer sicheren Eechtsprechung thunlich erschien. Nach der bisherigen Gesetzgebung bestand ein ordentliches Kriegsgericht aus einem G-roßrichter, zwei Richtern, zwei Ersatzmännern und acht oder, wenn die Todesstrafe in Präge kommen konnte, zwölf Geschwornen. Der oherste Koramandirende hatte so viele Kriegsgerichte aufzustellen, als Infanteriehrigaden im Dienste standen. Für die im eidgenössischen Instruktionsdienste hefindlichen Truppen bestimmte der Bundesrath die Zahl der Gerichte. Doch sollte in heiden Fällen für «die sämmtlichen Kriegsgerichte einer Division» nur ein Großrichter aufgestellt werden, welcher gleichzeitig mit dem Stabe der Division einberufen wurde. Der Großrichter , die Kichter und die Ersatzmänner wählte der oberste Kommandirende und im eidgenössischen Instruktionsdienste der Bundesrath. Die Geschwornen wurden für jedes Kriegsgericht in einem sehr verwickelten Verfahren herausgeloost. Die Mängel dieser ganzen Organisation sind einleuchtend und allseitig anerkannt. Die Aufstellung von Brigade-Kriegsgerichten entspricht unsern heutigen Verhältnissen so wenig, wie die Bestimmung, daß die Einsetzung dieser Gerichte erst erfolgt, wenn man dieselben nöthig hat. Die Praxis hatte denn auch bereits die Wege gefunden, um diesen Uebelständen abzuhelfen. Dagegen war die Praxis nicht im Stande, die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche das Institut der G-eschwornen bot, und doch stimmten alle einsichtigen Militärs längst in der Ansicht überein, daß wir in einem Ernstfalle kaum im Stande wären, die Geschwornengerichte
gehörig funktioniren zu lassen.

Wir hatten in unserm Entwurfe vom 30. Mai 1884 eine Art von Schöffengerichten vorgesehen, um eine Vermittlung zwischen den Anhängern der Jury und den Wortführern der ständigen Gerichte zu zu versuchen. Allein sowohl der Ständerath als auch die nationalräthliche Kommission haben den ständigen Gerichten den Vorzug gegeben und jeden Anklang an die Geschwornengerichte gestrichen.

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In unserer Botschaft vom 30. Mai 1884 sprachen wir uns über diese Frage wie folgt aus : «Wir wollen hier auf die Vortheile und Mängel des Juryverfahrens nicht eintreten, nur so viel darf wohl ohne alle Uebertreibung gesagt werden, daß es dem ganzen System der militärischen Hierarchie widerspricht, nirgends anderswo besteht als bei uns und zwar auch erst seit 1851, und in unserem Militärleben, selbst im Frieden, keinen günstigen Erfolg gehabt hat. Im F e l d e ist es n o c h nie v e r s u c h t w o r d e n ; es ist aber leicht abzusehen, daß während irgend einer ernstlichen Aktion ein Gteschwornengericht nach dem jetzigen System, das (ohne Zeugen oder Experten) 30 Personen (3 Richter, 12 Geschworne, l Auditor, l Gerichtsschreiber, 5 Zassationsrichter, 7--9 Ersatzmänner) oft für mehrere Tage zu ausschließlicher Disposition haben muli, niemals in Punktion treten könnte. Im Frieden aber Geschworne über Vergehen urtheilen zu lassen, die relativ geringe Strafen nach sich ziehen, dagegen im Krieg Verbrechen, die oft die Todesstrafe zur Folge haben, ständigen Gerichten anzuvertrauen, hätte ebenfalls wenig Konsequenz für sich. Das jetzige System des zweiten . Entwurfs sucht nach dem Ausdruck des Eedaktors diesen praktischen Uebelständen zu begegnen und «doch die Vorurtheile für eine volksthümlichere Rechtssprechung, als durch ständige Militärgerichte, zu schonen». Jedenfalls ist es m ö g l i c h , auf diese Weise zu einer prompten Justiz, auch im Felde, zu gelangen, ohne die ganz nothwendige Uebereinstimmung des Verfahrens im Krieg und frieden aufgeben zu müssen, auf deren Beibehaltung wir besonders dringen zu müssen glauben. -- Viele « Verbesserungen » im Geschwornensinne dürfen aber nicht mehr dazukommen ; es ist nach dem Dafürhalten des Eedaktors und auch nach dem unsrigen in dieser Eichtung nun das Aeußerstmögliche geschehen.» Da nun aber das System der Schöffengerichte keinen rechten Anklang finden wollte, glauben wir auch unsererseits nicht weiter darauf bestehen zu sollen. Es ist einleuchtend, daß in diesem Falle nichts Anderes übrig bleibt, als die Einsetzung ständiger Militärgerichte, wie wir sie vorschlagen. Das Prozeßgesetz soll die nöthigen Garantien enthalten gegen richterliche Willkür oder übereilte TJrtheilssprüche.

Neben den für jede Division bestehenden ordentlichen Militärgerichten kann
der Bundesrath «im Falle des Bedürfnisses» E r s a t z g e r i c h t e bezeichnen. Dieses soll namentlich geschehen, wenn eine Armeedivision ihren Kreis voraussichtlich für längere Zeit verläßt oder wenn Landwehrabtheilungen ihren Divisionskreis verlassen, zur Handhabung der Militärgerichtsbarkeit im Divisionskreise oder bei der betreffenden Abtheilung.

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Nach den Bestimmungen, welche im zweiten Theil über den Gerichtsstand enthalten sind, soll durch Einsetzung von Ersatzgerichten allen Bedürfnissen genügt werden können, und laufen wir nicht mehr Gefahr, daß einzelne Abtheilungen oder Gegenden zeitweilig ohne Militärgericht gelassen werden müssen, wie dies an dem früheren Entwurfe gerügt wurde.

Die Vorschriften über die Divisionsgerichte finden auf die Ersatzgerichte analoge Anwendung und es werden also Ersatzgerichte ganz denselhen Personalbestand erhalten, wie ein ordentliches Militärgericht. An geeigneten Leuten für die Besetzung von Ersatzgerichten wird nicht Mangel sein. Dieselben werden überhaupt nur im Falle eines aktiven Dienstes nöthig werden und da finden sich die erforderlichen Juristen nunmehr leicht in unserm Landsturm.

Das M i l i t ä r k a s s a t i o n s g e r i c h t soll aus einem Vorsitzenden, der den Grad eines Obersten bekleidet, und vier Richtern bestehen. Demselben sind beigegeben der Oberauditor und ein Grerichtsschreiber. Im Allgemeinen entspricht die Organisation des Kassationsgerichts dem bisherigen Gesetz im Gegensatz zu dem Entwurfe vom 30. Mai 1884. Der letztere hatte bestimmt, daß über Kassationshegehren der Oherauditor «auf Grund der vorliegenden Akten» einen kurzen motivirten «Bescheid» zu erlassen habe. Diese Bestimmung wurde von der nationalräthlichen Kommission dahin abgeändert, daß der Oberauditor und zwei vom Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählte Offiziere den * militärischen Kassationshof» bilden sollten. Auf dem Boden des nunmehrigen Entwurfs haben wir für zweckmäßig erachtet, das Kassationsgericht mit wenigstens ebenso viel Richtern zu besetzen, wie die ordentlichen Militärgerichte.

Die Einsetzung eines D i s z i p l i n a r h o f e s ist nothwendig geworden infolge des Art. 80 der Militärorganisation, welcher lautet: «Wenn ein Offizier in oder außer dem Dienste sich schlechter Aufführung oder einer Handlung schuldig macht, welche sich mit seiner militärischen Stellung nicht verträgt, so kann von dem Militärdepartement dem betreffenden Divisionär oder von seinem sonstigen höchsten Vorgesetzten die Entlassung desselben mit der im vorigen Artikel bezeichneten Wirkung (Versetzung in die Klasse der Steuerpflichtigen) verlangt werden. lieber ein solches Begehren entscheidet ein Militärgericht
nach den durch das Militärstrafgesetz hierüber aufzustellenden Formen und Grundsätzen.» Wir haben für angemessen "erachtet, dieses Militärgericht aus den Spitzen der Militärverwaltung zu bilden, und so schlagen wir vor, den Disziplinarhof zusammenzusetzen aus dem Chef des Eidg.

Militärdepartements und den vier Waffenchefs.

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Ein a u ß e r o r d e n t l i c h e s M i l i t ä r g e r i c h t endlich soll eingesetzt werden zur Urtheilssprechung über den Höchstkommandirenden der Armee, den Generalstabschef der Armee, den Kommandirenden eines aus mehreren Divisionen formirten Armeekorps, die Oberstdivisionäre und die Waffenchefs. Die hohe Stellung, welche diesen Personen zukommt, rechtfertigt ohne Weiteres die Unterstellung derselben unter ein mit besonderen Garantien umgebenes Gericht. Dem entsprechend soll denn auch ein solches Gericht für jeden einzelnen Fall besonders von der Bundesversammlung gewählt werden und aus drei Großrichtern mit Oberstengrad und vier Oberstdivisionären oder Obersten, welche den Grad eines Oberstdivisionärs bekleidet haben, oder Waffenchet's bestehen.

Mit Bezug auf den O b e r au d i t or und seinen Stellvertreter ist nur zu bemerken, daß der Oberauditor bei einem außerordentlichen Militärgerichte die Punktionen des öffentlichen Anklägers zu versehen hat, während sein Stellvertreter in einem solchen Falle die Voruntersuchung leitet, und daß der Oberauditor bei dem Kassationsgerichte die öffentlichen Interessen vertritt.

Die Vorschriften über die A u d i t o r e n , U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r und G e r i c h t s s c h r e i b e r sind bereits oben besprochen ·worden und geben zu keinen weiteren Bemerkungen Anlaß.

Etwas einläßlicher als im bisherigen Gesetz ist die K e c h t s h ü l f e behandelt, und zwar mußte dabei sowohl auf die Rechtshülfe der Militärgerichte unter sich, als auf die Rechtshülfe zwischen Militärgerichten und bürgerlichen Gerichten Bedacht genommen werden. Die vorgeschlagenen Vorschriften zielen auf möglichst rasche Erledigung solcher Geschäfte ab, und diesem Zwecke entspricht es denn auch, daß Streitigkeiten über die Bechtshülfe endgültig vom Bundesrathe entschieden werden sollen.

n.

Den zweiten Theil des Gesetzes, handelnd von dem Miltärstrafverfahren, haben wir in fünf Unterabschnitte zerlegt, von welchen der erste «allgemeine Bestimmungen» enthält, während der zweite das «Verfahren», der dritte die «Rechtsmittel», der vierte den «Strafvollzug» und der fünfte die «Begnadigung» behandelt. Die Ausscheidung der allgemeinen Bestimmungen in einen besonderen Abschnitt entspricht der Systematik aller gleichartigen modernen Gesetze und rechtfertigt sich, da auf diese Weise sonst vielfach nothwendige Wiederholungen vermieden werden können. Auch für die spätere Auslegung des Gesetzes und für dessen richtige und leichte Handhabung wird diese Sichtung des Stoffes von Vortheil sein.

35") 1. Unter don a l l g e m e i n e n B e s t i m m u n g e n finden wir zunächst diejenigen über den G e r i c h t s s t a n d oder die ö r t l i c h e Zuständigkeit der Militärgerichte. Während unser bisheriges Gesetz grundsätzlich bestimmt, daß jedes Verbrechen von demjenigen Gerichte benrtheilt werden solle, das für die Heeresabtheilung, zu welcher der Angeklagte gehört, aufgestellt ist, schlagen wir, in Uebereinstimmung mit dem Entwurfe vom 30. Mai 1884, vor, als Regel den Gerichtsstand der begangenen That anzunehmen und demnach zu bestimmen, ·daß der Gerichtsstand bei dem Militärgerichte desjenigen Divisonskreises begründet sei, in welchem die strafbare Handlung begangen wurde.

Allein diese Regel konnte nicht für alle Fälle genügen, und es waren noch weitere Vorschriften nöthig, wenn Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Gerichtsstandes vorgebeugt werden wollte. Deshalb wird weiter gesagt, daß unter mehreren zuständigen Gerichten demjenigen der Vorzug gebühre, bei welchem die Untersuchung zuerst angehoben wurde, daß für im Auslande begangene strafbare Handlungen das Militärgericht desjenigen Divisionskreises zuständig sei, in welchem der Beschuldigte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz hat, oder in welchem er seinen letzten schweizerischen Wohnsitz hatte, oder, beim Nichtzutreffen beider Fälle, in welchem die Ergreifung stattfand, endlich daß, wenn der Ort der Begehung unbekannt oder unbestimmt ist, der ßundesrath das zuständige Gericht bezeichne. Ferner mußte von der Eegel des Gerichtsstandes der begangenen That eine Ausnahme gemacht werden für den Fall, dalo eine Armeedivision im Dienst steht. Hier empfahl es sich, an dem bisherigen Grundsätze festzuhalten und dem Militärgericht dieser Division ohne Kücksicht auf den Ort der Begehung die Beurtheüung aller strafbaren Handlungen zu überweisen, welche von Militärpersonen oder Truppentheilen, die ihr angehören oder zugetheilt sind, während der Dauer des Dienstes begangen werden. Diese Ausnahme wird namentlich dann eintreten, wenn es sich um sog. aktiven Dienst handelt, in welchem die Division sehr häufig ihren Rekrutirungskreis verläßt.

Es würde kaum Anklang finden, wollte man in solchen Fällen die Division jeden Augenblick einem andern Divisionsgericht unterstellen.

Mit Bezug auf die Ersatzgerichte ist gesagt, daß der
Bundesrath bei ihrer Ernennung die Zuständigkeit bestimme. Da Ersatzgerichte sowohl für einzelne Territorien als , auch für einzelne Truppentheilo eingesetzt werden können, so war es angemessen, für die Bestimmung ihrer Zuständigkeit dem Bundesrathe freie Hand zu lassen, damit derselbe in der Lage ist, allen Bedürfnissen Eechnung tragen zu können.

Endlich mußten auch die Fälle in's Auge gefaßt werden, in denen eine Person mehrerer strafbaren Handlungen beschuldigt ist,

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oder wo mehrere Personen der Mitthäterschaft oder als Theilnehmer oder Begünstiger beschuldigt sind. Selbstverständlich handelt es sich hier nur um die Zuständigkeit des einzelnen Militärgerichts ; die Voraussetzungen der Militärgerichtsbarkeit sind durch die Artikel l -- 9 geordnet. Damit aber alle diese den Gerichtsstand betreffenden, oft sehr schwierigen Fragen nicht große Zeitversäumniß verursachen, haben wir die Bestimmung aufgenommen, daß Streitigkeiten über den Gerichtsstand vom Bundesrathe entschieden werden und daß nach Ueberweisung der Sache an das Militärgericht keine Gerichtsstandseinrede mehr zuläßig sein soll. Es ist wichtig, daß rasch geurtheilt werde, weniger wichtig, oh im einzelnen Falle dieses oder jenes Militärgericht urtheile.

Die Bestimmungen über A u s s c h l i e ß u n g und A b l e h n u n g von G e r i c h t s p e r s o n e n bedürfen kaum einer weiteren Erörterung. Die Gründe, welche die Ausschließung zur Folge nahen, machen die betreffende Person unfähig, an einer Gerichtsverhandlung Theil zu nehmen, und können stets geltend gemacht werden. Die Ablehnung dagegen erfolgt lediglich wegen Befangenheit, welche an sich nicht zum Kichteramt unfähig macht. Hier empfahl sich eine Beschränkung in dem Sinne, daß der Antrag auf Ahlehnung nicht mehr zugelassen wird, wenn die Gerichtshandlung hereits erfolgt ist, und daß hei der Hauptverhandlung Anträge auf Ablehnung unmittelbar nach Verlesen der Anklageakte gestellt werden müssen. Wer eine Gerichtsperson für befangen hält, soll es rechtzeitig sagen, sonst ist der Verdacht begründet, es handle sich nur um einen Vorwand.

Der Antrag auf Ablehnung ist durch Angabe von Gründen glaubhaft zu machen ; das Handgelübde ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

Die Vorschriften über P r o t o k o l l e und A k t e n der M i l i t ä r g e r i c h t e haben namentlich auch den Zweck, für gehörige Sammlung, Ordnung und Aufbewahrung der militärgerichtlichen Akten zu sorgen, da diese Sorge unter dem bisherigen Gesetze häufig vernachläßigt wurde.

Das Kapitel « O e f f en t l i c h k e i t und S i t z u n g s p o l i z e i » gibt zu keinen Bemerkungen Anlaß.

Ueber den » B e s c h u l d i g t e n » , « B e s c h l a g n a h m e u n d Durchsuchung», «Zeugen», «Sachverständige und A u g e n s c h e i n » und über « D o l m e t s c h e r
» enthält der Entwurf einläßliche Bestimmungen. Dieselben lehnen sich im Wesentlichen an die deutsche Strafprozeßordnung an, immerhin mit den Abweichungen, welche unsere schweizerischen Verhältnisse oder die besonderen Verhältnisse des Militärwesens nothwendig machen. Eine

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solche Abweichung liegt z. B. darin, daß eine Haftentlassung des Beschuldigten gegen Sicherheitsleistung nicht statthaft sein soll. Im Allgemeinen haben diese Vorschriften den Zweck, dem Richter die Macht in die Hand zu geben, seinen Willen durchzusetzen und die Aufgabe der Strafverfolgung zu erfüllen. Wir hoffen, daß die eingehende Behandlung dieser Vorschriften gerade der Baschheit und Sicherheit des Verfahrens förderlich sein werde. Abgesehen davon galt es, den Beschuldigten, Zeugen und andere Personen, welche mit Militärgerichten in Berührung kommen, gegen Vergewaltigung und Willkür zu schützen. Es würde uns zu weit führen, auf die Einzelheiten dieser Bestimmungen einzutreten; wir glauben dies füglich den Erörterungen im Schooße der Käthe vorbehalten zu können.

2. Die Vorschriften über das V e r f a h r e n behandeln in der Reihenfolge, in-welcher sich die einzelnen Grerichtshandlungen zeitlich folgen, die verschiedenen Stadien, welche ein Strafverfahren durchlaufen muß. Sie beginnen daher mit der « E i n l e i t u n g des V e r fahrens».

Da wir keine organisirte Militärpolizei besitzen, so muß die Truppe selbst die ersten Maßnahmen treffen, um die Flucht eines Schuldverdächtigen zu verhindern und die Feststellung des Thatbestandes zu sichern. Der militärische Vorgesetzte, welchem von dem Verdachte, daß eine strafbare Handlung begangen worden sei, dienstliche Meldung zugeht, hat daher von sich aus sofort die nöthigen Maßregeln zu treffen. Er hat zu dem Zwecke die nämlichen Befugnisse, wie 'der Untersuchungsrichter.

Es ist in solchen Fällen absolut nothwendig, daß rasch und entschieden vorgegangen werde. In dem bewegten Leben einer Truppe verwischen sich die Spuren einer strafbaren Handlung viel rascher als sonst und sind die Beweise überhaupt oft viel schwieriger zu erbringen. Sofortiges Einschreiten führt am ehesten zu einem Resultate.

Deshalb soll derjenige Vorgesetzte, welchem die erste dienstliche Meldung zugeht, auch sofort seine Maßnahmen treffen.

Die Verfügung über Anhebung einer V o r u n t e r s u c h u n g steht zu: im Instruktionsdienste den Schul- oder Kurskommandanten, im aktiven Dienste den Chefs der Truppeneinheiten und Stäbe, in Fällen, ^welche der Beurtheilung durch eiu außerordentliches Militärgericht unterliegen, dem Bundesrathe, in allen andern Fällen dem
Eidg. Militär-departement. Die Voruntersuchung wird verfügt, wenn hinreichende Gründe vorliegen, eine oder mehrere Personen als der That verdächtig zu betrachten ; es genügt also nicht das Vorhandensein eines objektiven Thathestandes, denn es ist anzunehmen, daß, wenn die NächstJbetheiligten keine Verdachtgründe gegen bestimmte Personen finden,

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dieses dem Untersuchungsrichter noch, viel weniger gelingen wird.

Die "Verfügung gebt an den Untersuchungsrichter des zuständigen Militärgerichts, welchem gleichzeitig die Akten und allfälliges Beweismaterial zu übergeben sind. Bestehen über die Zuständigkeit Zweifel, so ist der Entscheid des Bundesrathes einzuholen.

Diese Vorschriften werden genügen, um ein rasches Eingreifen der militärischen Behörden und einen leichten Uebergang zur eigentlichen Voruntersuchung zu ermöglichen.

Die Voruntersuchung hat den Zweck, festzustellen, ob wirklich ein Verbrechen vorliege, und die Grundlage für den Entscheid zu geben, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Beschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei. Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen steht, in der Toruntersuchung zu erheben. Die Voruntersuchung ist nicht weiter auszudehnen, als zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich ist. Die Art und Weise, wie die Voruntersuchung zu führen ist, und die Mittel, über welche der Untersuchungsrichter verfügt, ergeben sich aus den allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren.

Erachtet der Untersuchungsrichter den Zweck der Voruntersuchung für erreicht, so schließt er dieselbe und gibt sowohl dem Auditor als dem .Beschuldigten hievon Kenntniß. Es ist zu beachten, dal.i bis zu diesem Momente dem Auditor kein Einfluß auf die Führung der Voruntersuchung zusteht. Erst jetzt können er sowohl wie der Angeschuldigte eine Ergänzung der Voruntersuchung verlangen; wenn sie aber von diesem Rechte nicht binnen 24 Stunden Gebrauch machen, so hat der Auditor das Weitere zu verfügen.

Vom Schlüsse der Voruntersuchung an ist der Beschuldigte berechtigt, sich eines Vertheidigers zu hedienen, welchem freier Verkehr mit ihm und Akteneinsicht gestattet werden.

In dem Kapitel « E n t s c h e i d ü b e r E r ö f f n u n g des H a u p t v e r f a h r e n s » wird zunächst bestimmt, daii der Auditor von sich ausdie Ueberweisung des Beschuldigten an das Militärgericht zu verfügen habe, wenn die Voruntersuchung genügende Anhaltspunkte ergibt, um das Vorhandensein eines Verbrechens erkennen und auf den Thäter schließen zu können. Es fragte sich, ob diese Entscheidung nicht dem Oberauditor übertragen werden solle ; indessen schien es im Interesse der Easchheit des Verfahrens zweckmäßig, hievon abzusehen. Auch
bat ja der Auditor vor dem Militärgerichte die Anklage zu vertreten. Man kann daher wohl in erster Linie es ihm anheimstellen, ob er Anklage von sich aus erheben wolle. Hat dagegen die strafbare Handlung den Charakter eines Ordnungsfehlers, oder bietet das Ergebniß der Voruntersuchung nach der Ansicht des

359 Auditors keinen genügenden Grund, um der Sache weitere Folge zu geben, so übersendet der Auditor die Akten mit seinem Antrage dem Oberauditor. Dieser kann nun immer noch die Ueberweisung des Beschuldigten an das Militärgericht verfügen, so daß gegen allfällige Zaghaftigkeit eines Auditors die nöthige Garantie gegeben ist.

Je nachdem die Verfügung lautet, wird der Auditor entweder die Anklageakte verfassen und dem Großrichter, sowie dem Angekagten zustellen, oder, wenn der Fall disziplinarisch zu behandeln ist, die Akten behufs der Strafverfiigung dem zuständigen militärischen Vorgesetzten des Beschuldigten übermitteln, oder endlich, wenn die Untersuchung eingestellt wird, den Beschuldigten außer Verfolgung setzen. Für den ersten Fall mußte noch in diesem Kapitel bestimmt werden, was die Anklageschrift enthalten soll.

So enthält dieses Kapitel allerdings etwas mehr, als die Ueberschrift besagt; allein es hängt doch Alles mit dem Inhalte des Entscheides über Eröffnung des Hauptverfahrens zusammen.

Die V o r b e r e i t u n g der H aup tv e r h a n d l u r i g liegt dem Großrichter ob, welcher unmittelbar nach Empfang der Anklageschrift in Dienst tritt, sofern er nicht schon im Dienste sich befindet Zur Vorbereitung gehören : die Bestellung eines Vertheidigers, wenn noch kein solcher gewählt wurde, die Bestimmung von Ort und Zeit der Verhandlung, der Erlaß von Ladungen u. s. w.

Die H a u p t v e r h a n d l u n g erfolgt in Gegenwart der zur Urtheilsfindung berufenen Personen, sowie des Auditors und des Grerichtsschreibers. Bei den Vorschriften über die Hauptverhandlung mußten als leitende Gesichtspunkte wiederum festgehalten werden die Sicherung eines raschen Verfahrens und demgemäß die möglichste Beschränkung von Zwischenstreitigkeiten, dann aber auch die Aufstellung der nöthigen Garantien für eine richtige TJrtheilsfindung.

Im Einzelnen ist zu bemerken, daß der Zeugen- und Sachverständigen-Eid durch das Handgelübde ersetzt wurden, welches im Gegensatze zum Entwurfe vom 30. Mai 1884 erst am Schlüsse der Beweisaufnahme auf Verlangen eines Eichters, des Auditors, des Vertheidigers oder des Angeklagten- abzulegen ist. Das Urtheil über Schuldfrage und Strafzumessung wird gleichzeitig gefällt, so daß nicht etwa besondere Vorträge über die Schuldfrage und nachträglich noch besondere Vorträge über
das Strafmaß zuläßig sind. Gegenstand der Urtheilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete That, wie sich dieselbe nach dem Inbegriffe der in der Hauptverhandlung ermittelten Umstände darstellt. Das Gericht ist nicht an diejenigen Thatsachen gebunden, auf welche die Anklageschrift sich bernft. Es ist auch an diejenige rechtliche Beurtheilung der That nicht gebunden, welche

360

der Anklageschrift zu Grunde liegt. Doch darf eine Verurtheilung des Angeklagten auf Grund anderer Strafbestimmungen als der in der Anklage angerufenen nicht erfolgen, ohne daß der Angeklagte zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Erörterung des letztern gegeben worden ist. Ebenso ist zu verfahren, wenn erst in der Verhandlung solche vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet werden, welche die Strafbarkeit erhöhen. Alle diese Vorschriften bezwecken, das Gericht in den Stand zu setzen, sein Urtheil der Sachlage gemäß zu fällen, und gleichzeitig den Angeklagten in den Rechten der Verteidigung zu schützen, indem er über Alles gehört werden muß, was gegen ihn vorgebracht wird.

Ist der Angeklagte wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen worden, so kann in dem Urtheile verfügt werden, daß derselbe vorläufig in Verwahrung zu nehmen und dem Kanton, in welchem er seinen Wohnsitz hat, zu weiterer Behandlung zu überweisen sei.

Endlich notiren wir die Bestimmung, daß dem Verurtheilten die Kosten der Voruntersuchung und der Hauptverhandlung ganz oder theilweise auferlegt werden können, was nach dem bisherigen Eechte bekanntlich nur mit Bezug auf Zeugen- und Expertengelder geschehen konnte.

B e i Ordnung d e s V e r f a h r e n s g e g e n A b w e s e n d e entstand zunächst die Frage, ob eine Hauptverhandlung und Urtheilsfällung überhaupt zugelassen werden sollten. Für Fälle, in welchen ein genügender Schuldbeweis vorliegt, erschien es zweckmäßiger, eine Beurtheilung zuzulassen, in dem Sinne, daß der Angeklagte wohl verurtheilt, nicht aber freigesprochen werden darf. In allen andern Fällen gaben wir der Einstellung des Verfahrens den Vorzug. Wenn der in Abwesenheit Verurtheilte sich stellt oder ergriffen wird, so wird das gegen ihn ergangene Strafurtheil auf sein Verlangen aufgehoben und es findet alsdann das ordentliche Verfahren statt.

B e s o n d e r e V o r s c h r i f t e n für das Verfahren vor den a u ß e r o r d e n t l i c h e n M i l i t ä r g e r i c h t e n betreffen die Bewilligung eines Haftbefehls, welche mit Kücksicht auf die hohe Stellung der Beschuldigten dem Bundesrathe vorbehalten wurde, die Verfügung über die Ueberweisung des Angeschuldigten, die Führung der Voruntersuchung durch den Stellvertreter des
Oberauditors und die Führung der öffentlichen Anklage durch den Oberauditor. Alle diese Vorschriften haben ihren Grund in der Stellung der Beschuldigten.

Besondere Bestimmungen betreffend das V e r f a h r e n vor dem D i s z i p l i n a r h o f waren nöthig mit Rücksicht auf die eigenartige Aufgabe des Disziplinarhofs. Es wird sich vor demselben wesentlich

361

um Ehrensachen handeln. Die Verhandlung kann eine mehr summarische sein und Vieles dem Ermessen des Disziplinarhofs überlassen werden. Umgekehrt erschien es angezeigt, für die Entlassung eines Offiziers und die Versetzung desselben unter die Militärsteuerpflichtigen eine Vierfünftels-Mehrheit zu verlangen.

Endlich mußte in dem Abschnitte von dem Verfahren auch die Behandlung der C i v i l a n s p r ü c h e ' g e o r d n e t werden. Man könnte dieselben zwar ohne großen Nachtheil au die ordentlichen Civilgerichte verweisen. Allein es ist nicht zu verkennen, daß in den meisten Fällen, z. B. bei Diebstählen, Unterschlagung, Betrug, der Civilpunkt mit der Straffrage abgeklärt ist. In allen diesen Fällen liegt es im Interesse des Verletzten, seinen Anspruch sofort gerichtlich feststellen zu lassen. Immerhin darf durch den Civilanspruch das Strafverfahren nicht erschwert oder verschleppt werden. Deshalb die Bestimmung, daß das Militärgericht die Behandlung des Civilanspruchs nach seinem Gutfinden ablehnen kann. Das Verfahren betreffend die Behandlung des Civilanspruchs ist so einfach als möglich und so geordnet, daß das Strafverfahren davon in keiner Weise ababhängt. Allerdings hat der Beschädigte infolge dessen während des Strafverfahrens keinen Einfluß auf den Gang der Verhandlungen und ·wird bis zum Erlaß des Strafurtheils als Partei gar nicht gehört.

Gefällt ihm diese Stellung nicht, so er mag seinen Anspruch vor den Civilgerichten geltend machen. Das Militärstrafverfahren verträgt keine Einmischung von Civilinteressenten, die weiter geht, als der Entwurf es vorsieht.

3. Der dritte Abschnitt handelt von den R e c h t s m i t t e l n .

Als solche nennt der Entwurf B e s c h w e r d e , K a s s a t i o n und E ev i s i o n .

Die B e s c h w e r d e ist zuläßig gegen Verfügungen und wegen Nachläßigkeit der Untersuchungsrichter. Sie geht zur Beurtheilung an den Oberauditor und in Fällen, welche durch ein außerordentliches Militärgericht zu beurtheilen sind, an den Bundesrath. Das Kecht zur Beschwerde steht Jedem zu, der durch eine Verfügung des Untersuchungsrichters betroffen wird oder sich über Nachläßigkeit eines solchen zu beklagen hat. Die Fristen sind kurz und die Beschwerde hemmt den Vollzug der angefochtenen Verfügung und die Portführung der Untersuchung nicht. Gegen Verfügungen des Großrichters
oder des urtheilenden Gerichts findet keine Beschwerde statt. Das Eechtsmittel ist nothwendig in Bezug auf die Thätigkeit des Untersuchungsrichters, da dieser sonst unter keiner Kontrole stände. Wenn Verfügungen des Großricbters oder eines urtheilenden Gerichtes Gesetzesverletzungen enthalten, so hilft dagegen das Rechtsmittel der Kassation^ Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. JI.

24

362

Im Uebrigen aber ist die Stellung der Gerichte der Art, daß denselben eine gewisse Selbständigkeit wohl eingeräumt werden darf.

Die K a s s a t i o n findet gegen Urtheile der ordentlichen Militärgerichte statt, also nicht gegen Urtheile von außerordentlichen Militärgerichten und nicht gegen Urthoile des Disziplinarhofs. Sie ist nach deutschem Muster geordnet und kann im Allgemeinen nur darauf gestützt werden, daß das Urtheil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. Die Kassation kann von dem Auditor und von dem Angeklagton (Vertheidiger) binnen 24 Stunden nach Eröffnung des Urtheilsspruches verlangt werden. Das Kassationsbegehren wird dem Kassationsgegner zur Vernehmlassung zugestellt und geht nebst dem Berichte des Großrichters, den Akten, sowie allfälligen Bemerkungen und Anträgen des Oberauditors an den Vorsitzenden des Kassationsgerichts.

Findet Kassation lediglich wegen falscher Anwendung des Gesetzes statt, so fällt das Kassationsgericht selbst das dem Gesetz entsprechende Urtheil. Findet Kassation statt, weil das urtheilende Gericht sich mit Unrecht für zuständig erklärt hatte, so spricht das Kassationsgericht die Unzuständigkeit der Militärgerichte aus. In den übrigen Fällen der Kassation weist das Kassationsgericht die Sache an das Gericht, das geurtheilt hat, oder an ein anderes ordentliches Militärgericht zurück. Das urtheilende Gericht hat die rechtliche Beurtheilung, welche der Kassation zu Grunde gelegt ist, dem neuen Urtheile zu Grunde zu legen.)

Die E e v i s i o n war dem bisherigen Gesetze nicht bekannt. Es war nach demselben nur auf dem Wege der Begnadigung möglich, gegen ein unrichtiges Urtheil einigermaßen Abhülfe zu schaffen.

Der Entwurf gibt nun dem Verurtheilten oder dessen Erben das Eecht, jederzeit auf Grund neuer, für die Verteidigung erheblicher Thatsachen oder Beweismittel die Eevision eines durch rechtskräftiges Urtheil geschlossenen militärgerichtlichen Verfahrens zu verlangen. Auch der Auditor kann auf Weisung des Eidgenössischen Militärdepartements die Eevision verlangen, wenn das Urtheil durch eine strafhare Handlung herbeigeführt wurde oder wenn nachträgliches Geständniß erfolgt.

Ueber Eevisionsbegehren urtheüt das Kassationsgericht nach Einholung des Berichtes des Oberauditors. "Wird dem Begehren entsprochen, so werden die Akten dem zuständigen Militärgerichte
zu erneuter Verhandlung überwiesen.

4. Zum Abschnitt über den S t r a f v o l l z u g ist nur zu bemerken, daß bis zum Erlaß der Kriegsartikel die Aufnahme

363

einer Bestimmung nüthig ist, welche in Kriegszeiten den sofortigen Vollzug eines Urtheils und namentlich auch eines Todesurtheils, ohne Rücksicht auf ein Kassations-, Révisions- oder Begnadigungsgesuch, möglich macht. Wir fordern dafür die einstimmige Ansicht des Gerichts, daß das Wohl des Vaterlandes die sofortige Vollstreckung erheische. In der Hauptsache stimmt diese Vorschrift überein mit dem Art. 435 des bisherigen Gesetzes.

5. Endlich ist das Eecht der B e g n a d i g u n g dem Bundesrathe und im Falle des aktiven Dienstes dem Höchstkommandirenden übertragen, und nur in den Fällen, wo das Urtheil von einem außerordentlichen Militärgerichte gesprochen wurde, soll auch künftig die Bundesversammlung mit militärischen Begnadigungsgesuchen sich zu hefassen haben.

Wir haben die Uebergangsbestimmungen in wenigen Sätzen zusammengefaßt. Wenn die neue Militärstrafgerichtsordhung, wie wir es in Aussicht nehmen, auf einen Zeitpunkt in Kraft gesetzt wird, wo nur ganz wenige Militärkurse stattfinden, so dürfte kaum ein Straffall vorkommen, bei dessen Untersuchung und Erledigung die Frage entstellen kann, welches Gesetz anwendbar sei. Sollte dieser Fall dennoch eintreten, so wird die von uns vorgeschlagene Bestimmung ausreichend sein, zufolge welcher hoi Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch nicht beendigte Voruntersuchungen nach dem bisherigen Gesetze und von den bisherigen Behörden zu Ende zu führen sind, das weitere Verfahren jedoch in dem Stadium, in welchem es von dem neuen Gesetze betroffen wird, nach den Vorschriften dieses letztern sich richten soll, üeber allfällige Anstände hat der Oberauditor die erforderlichen Weisungen zu ertheilen.

Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes wird der Bundesrath sofort die gemäß der neuen Gerichtsverfassung zu wählenden Behörden und Beamten ernennen. Deren erste Amtsdauer soll jedoch so bestimmt werden, daß sie mit derjenigen der gegenwärtigen militärischen Behörden und Beamten des Bundes zu Ende geht. Die bisherigen Offiziere der Militärjustiz können, ohne Truppenoffiziere gewesen zu sein, auch fernerhin dem Justizstabe angehören.

Als wesentliche Mängel unserer g e g e n w ä r t i g e n S t r a f g e r i c h t s o r d n u n g werden seit geraumer Zeit allgemein betrachtet : 1. Die Führung der Voruntersuchung durch den sogenannten S t r a f p o l i z e i b e a m t e n , mit eventueller Assistenz des Auditors.

364

Der Strafpolizeibeamte war ein zufällig mit der Voruntersuchung betrauter Offizier, welcher in keiner Weise auf seine Aufgabe vorr bereitet und deßhalb nur ausnahmsweise mit den Vorschriften des Strafverfahrens und den maßgebenden Gesichtspunkten für die Führung einer Untersuchung vertraut war. So kam es, daß viele Voruntersuchungen mangelhaft geführt wurden und der Zweck derselben häufig gar nicht erreicht wurde. So kam es auch, daß in neuerer Zeit infolge absolut notwendiger Anordnungen des Militärdepartements die sofortige Beiziehung des Auditors stattfand, welcher dann in der Eegel sich der eigentlichen Führung der Voruntersuchung bemächtigte.

Die Unhaltbarkeit eines solchen Zustandes haben wir oben dargethan.

2. Das G e s c h w o r n e n g e r i e ht. Die Bildung der Geschwornenliste begegnete schon in den gewöhnlichen Fällen des Instruktionsdienstes großen Schwierigkeiten und thatsächlich wurde die große Liste eben einfach aus den jeweilen gerade vorhandenen oft gar nicht zahlreichen Truppen gebildet. Ob wir im Palle eines aktiven Dienstes und namentlich im Falle einer eigentlichen Aktion je dazu gelangt wären, unsere Geschwornengerichte gehörig funktioniren zu sehen, unterliegt berechtigten Zweifeln. Unter allen Umständen wäre der Dienst selbst durch das Geschwomengericht unsäglich beeinträchtigt worden.

3. Die stets w e c h s e l n d e B e s e t z u n g der G e r i c h t e . Die Kichter mußten jeweilen für den einzelnen Fall aus einer oft sehr geringen Zahl von zur Hand befindlichen Offizieren ernannt werden.

Eine sichere Handhabung des Verfahrens war unter solchen Umständen kaum zu erwarten, noch weniger aber die Bildung einer sichern Gerichtspraxis.

4. Das u m s t ä n d l i c h e und k o s t s p i e l i g e V e r f a h r e n .

Dasselbe war wesentlich bedingt durch die Einrichtung der Geschwornengerichte nnd hatte zur Folge, daß sich eine starke Tendenz geltend machte, den Angeklagten, wenn immer möglich, disziplinarisch zu behandeln oder ihn zu einem Geständniß zu veranlassen, was Beides als absolut verwerflich bezeichnet werden muß.

5. Die Unmöglichkeit, dem Angeklagten die K o s t e n des Verfahrens aufzuerlegen.

6. Die Unmöglichkeit, ein Verfahren -m r e v i d i r e n und damit begangenes Unrecht soweit möglich gut zu machen.

365 7. Endlich überhaupt die m a n g e l h a f t e E i n t h e i l u n g und E e i h e n f o l g e der M a t e r i e n , vielfache u n d e u t l i c h e und sich w i d e r s p r e c h e n d e V o r s c h r i f t e n , und eine Eeihe von Bestimmungen, welche gar nicht mehr zu unserer Militärorganisation passen.

Mit Eecht sagte ein höherer Offizier bei den Vorberathungen zum früheren Entwurf, «daß es ungemein schwer hält, sich im gegenwärtigen Militärstrafgesetz zurecht zu finden, und daß man namentlich, was den formalen Theil desselben anbelangt, beim Nachschlagen nach irgend einer Gesetzesstelle sicher sein kann, dieselbe entweder gar nicht, oder dann in einem Abschnitte oder Titel zu finden, wo sie logischer Weise n i c h t stehen sollte».

Alle diese Mängel und im Einzelnen noch viele weniger wichtige Unebenheiten soll der gegenwärtige Entwurf beseitigen. Derselbe hat das Ziel verfolgt, ein leicht verständliches Gesetz zu schaffen, in dem sich ein Jeder, auch der Nichtjurist, ohne Mühe zurechtzufinden vermag, und gleichzeitig ein Gesetz, welches, ein rasches und sicheres Verfahren mit den nöthigen Garantien für eine richtige Eechtsprechung umgebend, im Instruktionsdienste wie im aktiven Dienste, im Frieden wie im Felde ohne Schwierigkeit gleichmäßig angewendet werden kann.

Indem wir Ihnen, Tit., die Annahme des Gesetzentwurfes empfehlen, benutzen wir den Anlaß, um Sie unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 10. April

1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Hertenstein.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

366 (Entwurf)

Bundesgesetz über

die Militärstrafgerichtsordnung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 20 der Bundesverfassung und auf die Artikel 227 -- 229 der Militärorganisation vom 13. November

1874; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 10. April 1888, beschließt:

I, TheiL Die

Militärstrafgerichtsverfassung.

I. Gerichtsbarkeit.

Art. 1. Der Militärstrafgerichtsbarkeit und dem MilitärStrafgesetze des Bundes sind unterworfen: 1) die Militärpersonen; 2) das einem Unterrichtskurse zugetheilte Instruktionspersonal, während der Dauer des Kurses; 3) die militärischen Beamten und Angestellten des Bundes und der Kantone in Bezug auf Handlungen, die mit ihrer amtlichen Stellung im Zusammenhange stehen; 4) Personen, welche außerhalb des Dienstes im Militärkleide auftreten ; 5) Wehrpflichtige außerhalb des Dienstes mit Bezug auf ihre dienstlichen Obliegenheiten und im dienstlichen Verkehr mit militärischen Vorgesetzten und mit militärischen Behörden;

367

6) Personen, welche bei Militärpersonen oder bei einem Trappenkorps dauernd angestellt sind, wie Bereiter, Offiziersbediente, Putzer, Wäscher; 7) Personen, welche zu besondern Verrichtungen bei der Armee angestellt sind, z. B. für den Post-, Eisenbahnund Telegraphendienst, zum Eisenbahnbau, zu Befestigungsarbeiten, für Transporte und Lieferungen, zum Spitaldienst, für die Marketenderei, Bäckerei und Schlächterei, Kasernenverwaltung, Magazinirung, Munitionsfabrikation -- wegen Handlungen, die sich auf diese Verhältnisse beziehen ; 8) Personen, welche Militärpersonen in der Erfüllung ihrer Dienstpflicht absichtlich beeinträchtigen, während derselben verletzen oder beschimpfen, oder welche Wehrpflichtige zur Verletzung ihrer militärischen Obliegenheiten verleiten oder zu verleiten suchen; 9) Personen, welche sich der Spionage oder des Falschwerbens schuldig machen; 10) in Kriegszeiten Personen, welche der Armee folgen, oder welche sich straf barer Handlungen an Personen, die zur Armee gehören, oder an Sachen, die der Armee dienen, schuldig machen; 11) Kriegsgefangene und Internirte.

Art. 2. Unter Militärpersonen sind alle Personen zu verstellen, welche im Auszug, in der Landwehr oder im Landsturm eingetheilt sind und sich im eidgenössischen oder kantonalen Militärdienst befinden.

Art. 3. Die Handlungen, hinsichtlich deren die in Art. l genannten Personen der Militärstrafgerichtsbarkeit unterliegen, werden, wenn sie Verbrechen sind, von den Militärgerichten des Bundes, und wenn sie bloüe Ordnungsfehler sind, von den militärischen Behörden oder Vorgesetzten heurtheilt.

Art. 4. Im Ausland begangene, unter das Militärstrafgesetz fallende Handlungen der in Art. l genannten Personen sind ebenfalls der eidgenössischen Militärgerichtsbarkeit unterworfen.

o

Art. 5. Sind beigemeinen Verbrechen mit Personen, welche unter die Militärgerichtsbarkeit fallen, auch andere Personen

368

beschuldigt, so bleiben die Letztern der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterworfen.

Durch Beschluß des Bundesrathes können indessen ausnahmsweise die der Militärgerichtsbarkeit unterworfenen Personen dem bürgerlichen Strafgericht unterstellt werden.

Art. 6. Ist eine der in Art. l genannten Personen strafbarer Handlungen beschuldigt, welche theils der bürgerlichen, theils der militärischen Gerichtsbarkeit unterliegen, so kann der Bundesrath deren Beurtheilung ausschließlich dem bürgerlichen Gerichte übertragen.

Art. 7. Wenn Militärpersonen sich Handlungen zu Schulden kommen lassen, welche im Militärstrafgesetzbuche nicht vorgesehen sind, aber durch das bürgerliche Strafgesetz des Ortes, wo sie stattgefunden haben, mit Strafe bedroht worden, so sind zur Untersuchung und Beurtheilung solcher Uebertretungen die bürgerlichen Gerichtsbehörden zuständig.

Steht jedoch die Uebertretung mit dem militärischen Dienstverhältnisse im Zusammenhang, so kann die strafrechtliche Verfolgung nur mit Ermächtigung des Eidg. Militärdepartements eintreten.

Art. 8. Während der Dauer des Militärdienstes darf ein bürgerliches Strafverfahren gegen einen Wehrmann nur mit Bewilligung des Eidgenössischen Militärdepartements eingeleitet oder fortgeführt werden.

Ist das Strafverfahren schon vor dem Eintritt in den Dienst angehoben worden und verweigert, das Militärdepartement die Erlaubniß zu seiner Portsetzung während des Dienstes, so ruht dasselbe, bis der Angeschuldigte aus dem Dienst entlassen ist.

Art. 9. Kompetenzstreitigkeiten zwischen bürgerlichen und militärischen Gerichtsbehörden werden endgültig vom Bundesrathe entschieden.

II. Der Justizstab.

Art. 10. Dem Justizstabe gehören an: 1) Der Oberauditor und sein Stellvertreter; 2) der Vorsitzende des Kassationsgerichts; 3) die Großrichter;

369

4) die Auditoren; 5) die Untersuchungsrichter; 6) eine Anzahl nicht eingetheilter, zur unmittelbaren Verfügung des Bundesrathes stehender Justizofflziere.

Art. 11. Der Bundesrath ernennt die Offiziere des Jnstizstabes und bestimmt deren Grad und militärische Auszeichnung.

Art. 12. In den Justizstab sind wählbar: Offiziere, welche in der schweizerischen Armee gedient haben und juristische Bildung besitzen.

Art. 13. Dem Justizstabe werden als besondere Sektion die Militär-Gerichtsschreiber mit dem Grade von Lieutenants und Oberlieutenants zugetheilt.

Der Bundesrath ernennt hiezu Wehrpflichtige, die juristisch gehildet sind. Die Vorschrift von Art. 12, betreifend vorgängige Dienstleistung als Offiziere der Armee, ist auf die Gerichtsschreiber nicht anwendbar.

III. Die Militärgerichte.

1. Ordentliche Militärgerichte (Divisionsgerichte).

Art. 14. Pur jede Armeedivision bestellt ein ordentliches Militärgericht (Divisionsgericht).

Im Palle des Bedürfnisses bezeichnet der Bundesrath Ersatzgerichte. Ersatzgerichte sind insbesondere aufzustellen, wenn eine Armeedivision ihren Kreis voraussichtlich für längere Zeit verläßt, zur Handhabung der Militärjustiz im Divisionskreise, oder wenn Landwehrabtheilungen ihren Divisionskreis verlassen, zur Handhabung der Militärjustiz bei der betreffenden Abtheilung.

Die Vorschriften über die Divisionsgerichte finden auf die Ersatzgerichte entsprechende Anwendung.

Art. 15. Ein Divisionsgericht besteht aus dem Großrichter und vier Eichtern. Zur Vertretung der Richter in Verhinderungsfällen werden vier Ersatzmänner ernannt.

370

Dem Gerichte sind beigegeben : Ein Auditor, ein Untersuchungsrichter und ein Gerichtsschreiber.

Art. 16. Der Großrichter, die Kichter und deren Ersatzmänner, sowie der Gerichtsschreiber werden vom Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt.

Als Richter und als Ersatzmänner sind je zwei Offiziere und zwei Unteroffiziere der betreffenden Armeedivision zu bezeichnen.

Ist die Anklage gegen einen Offizier gerichtet, so treten für die zwei Unteroffiziere die beiden Offiziersgrad bekleidenden Ersatzmänner als Bichter ein.

Die Richter und Ersatzmänner behalten ihre ordentlichen militärischen Obliegenheiten neben der Eichterstellung bei.

Art. 17. Der Großrichter ist Vorsitzender des Gerichts.

Ist er an der Ausübung seines Amtes verhindert, so bezeichnet der Oberauditor seinen Stellvertreter aus der Zahl der Großrichter.

Art. 18. Die Divisionsgerichte beurtheilen alle der Militärstrafgerichtsbarkeit unterworfenen Sachen, welche nicht der Kompetenz der außerordentlichen Militärgerichte oder des Disziplinarhofs unterworfen sind.

Art. 19. Zur Beurtheilung von Anklagen, welche gegen Offiziere des Armeestabes gerichtet sind, die nicht dem außerordentlichen Militärgerichte unterworfen sind (Art. 27), wird vom Bundesrathe, im aktiven Dienste vom Höchstkommandirenden, ein Divisionsgericht bezeichnet.

2. Militärkassationsgericht.

Art. 20. Das Militärkassationsgericht besteht aus einem Vorsitzenden, der den Grad eines Obersten bekleidet, und vier Bichtern. Zur Ersetzung von Kichtern, welche an der Ausübung ihres Amtes verhindert sind, werden zwei Ersatzmänner ernannt.

Ist der Vorsitzende an der Ausübung seines Amtes verhindert, so wird er durch das an erster Stelle nach ihm gewählte Mitglied des Gerichts ersetzt.

371

Dem Militärkassationsgerichte sind beigegeben der Oberauditor und ein Grerichtsschreiber.

Art. 21. Das Militärkassationsgericht wird vom Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt.

Als Richter und Ersatzmänner sind Offiziere der Armee zu bezeichnen, welche juristisch gebildet sind und wenigstens den Grad eines Majors bekleiden. Dieselben behalten ihre ordentlichen militärischen Dienstobliegenheiten bei.

Art. 22. Das Militärkassationsgericht entscheidet über Kassationsbegehren gegen Urtheile der ordentlichen Militärgerichte.

3. Disziplinarhof.

Art. 23. Der Disziplinarhof besteht aus dem Chef des Eidg. Militärdepartements als Vorsitzendem und den vier Waffenchefs.

Ist ein Waffenchef an der Ausübung seines Amtes verhindert, so bezeichnet der Bundesrath seinen Stellvertreter.

Art. 24. Der Disziplinarhof entscheidet über Begehren, welche nach Art. 80 der Militärorgaaisation gestellt werden.

4. Außerordentliches Militärgericht.

Art. 25. Ein außerordentliches Militärgericht besteht aus drei G-roßrichtern mit Oberstengrad und vier OberstDivisionaren. Statt der Letztern können als Richter bezeichnet werden: Obersten, welche den Grad eines Oberst-Divisionärs bekleidet haben, und die Waffenchefs. Zur Ersetzung von Eichtern. welche an der Ausübung ihres Amtes verhindert sind, werden vier Ersatzmänner bezeichnet, welche den Grad eines Obersten bekleiden. Dem außerordentlichen Militärgerichte sind beigegeben: der Oberauditor und ein Gerichtsschreiber.

Art. 26. Ein außerordentliches Militärgericht und dessen Ersatzmänner werden für jeden einzelnen Fall von der Bundesversammlung gewählt. Die Bundesversammlung bezeichnet den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter.

Art. 27. Der Beurtheilung durch ein außerordentliches Militärgericht sind unterstellt: der Höchstkommandirende der

372

Armee, der Generalstabschef der Armee, der Kommandirende eines aus mehreren Divisionen forrairten Armeekorps, die Oberst-Divisionäre und die Waffenchefs.

Sind noch andere Militärpersonen mitbeschuldigt, so benrtheilt das außerordentliche Militärgericht auch diese.

IV. Der Oberauditor und sein Stellvertreter.

Art. 28. Der Oberauditor steht der gesammten Militärstrafrechtspflege vor. Er leitet und überwacht unter der Aufsicht des Eidg. Militärdeparteraents die Rechtspflege bei der Armee und trifft die ihm durch dieses Gesetz übertragenen Verfügungen.

Der Oberauditor ist der unmittelbare Vorgesetzte der Auditoren und der Untersuchungsrichter.

Wenn derselbe an der Ausübung seiner Funktionen verhindert ist, so wird er durch einen Stellvertreter ersetzt.

Art. 29. Der Oberauditor und sein Stellvertreter werden von dem Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt. Dieselben bekleiden den Grad eines Obersten.

Art. 30. Der Oberauditor versieht die Funktionen des öffentlichen Anklägers vor einem außerordentlichen Militärgericht.

Er vertritt die öffentlichen Interessen vor dem Militärkassationsgericht.

Art. 31. Dem Stellvertreter des Oberauditors liegt die Leitung der Voruntersuchung ob, wenn eine solche zur Vorbereitung des Verfahrens vor einem außerordentlichen Militärgerichte stattfindet.

V. Die Auditoren.

Art. 32. Für jede Armeedivision bezeichnet der Bundesrath auf eine Amtsdauer von drei Jahren einen Auditor.

Art.

vor dem Der vertreter oder der

33. Der Auditor vertritt die öffentliche Anklage Divisionsgerichte.

Oberauditor bezeichnet nöthigen Falls einen Stelldes Auditors aus der Zahl der übrigen Auditoren zur Verfügung stehenden Offiziere des Justizstabes.

373

VI. Die Untersuchungsrichter.

Art. 34. Für jede Armeedivision bezeichnet der Bundesrath auf eine Amtsdauer von drei Jahren einen Untersuchungsrichter.

Art. 35. Der Untersuchungsrichter führt die Voruntersuchung in den Fällen, für welche das Divisionsgericht, dem es angehört, zuständig ist.

Art. 36. Der Oberauditor bezeichnet nöthigen Falls einen Stellvertreter des Untersuchungsrichters aus der Zahl der Untersuchungsrichter oder der zur Verfügung stehenden Offiziere des Justizstabes.

VII. Die Gerichtsschreiber.

Art. 37. Die Gerichtsschreiber führen das Protokoll der Voruntersuchung und besorgen das Sekretariat des Gerichts, welchem sie zugetheilt sind.

Sie haben überdies das Rechnungswesen des Gerichts, nach Maßgabe einer vom Bundesrathe zu erlassenden Verordnung, zu besorgen.

Art. 38. Wenn ein Grerichtsschreiber an der Ausübung seines Amtes verhindert ist, bezeichnet der Oberauditor dessen Stellvertreter aus der Zahl der übrigen G-erichtsschreiber.

VIII. Bechtshülfe.

Art. 39. Die Militärgerichte sind zur gegenseitigen Rechtshülfe verpflichtet.

Ebenso haben die Militärgerichte und die bürgerlichen Strafgerichte des Bundes und der Kantone sich Eechtshülfe zu leisten.

Art. 40. Wenn Militärpersonen und bürgerliche Personen, auf welche die Militärgerichtsbarkeit sich nicht erstreckt, der Theilnahme an ein und derselben strafbaren Handlung beschuldigt sind, so haben die Militärgerichte und die bürgerlichen Strafgerichte sich gegenseitig ihre Akten mitzutheilen.

374

Art. 4l. Militärgerichte richten ihr Ersuchen an das Justizdeparte.ment des Kantons, in welchem die Amtshandlung vorgenommen werden soll. Dieses übermittelt das Ersuchen unverzüglich und unmittelbar dem zuständigen bürgerlichen Strafgerichte.

Bürgerliche Strafgerichte richten ihr Ersuchen an den Oberauditor, welcher dasselbe der zuständigen Stelle übermittelt.

Art. 42. Die Rechtshülfe soll nur dann in Anspruch genommen werden, wenn das ersuchende Gericht zur Vornahme der Amtshandlung nicht zuständig ist oder wenn die Vornahme durch das ersuchende Gericht selbst erhebliche Unzuträglichkeiten bieten würde.

Art. 43. Streitigkeiten über die Eechtshülfe endgültig vom Bundesrathe entschieden.

werden

Art. 44. Militärgerichtsbehörden dürfen Amtshandlungen gegenüber Personen, welche dem Militärstrafgesetz nicht unterworfen sind, ohne Bewilligung der bürgerlichen Gerichtsbehörden nur vornehmen, wenn Gefahr im Verzüge liegt. In solchen Fällen ist dem bürgerlichen Gerichte Anzeige zu machen.

Bürgerliche Gerichtsbehörden dürfen Amtshandlungen gegenüber Personen, welche dem Militärstrafgesetz unterstellt sind, ohne Bewilligung des betreffenden Truppenkommandanten nur vornehmen, wenn Gefahr im Verzüge ist. Sie haben in diesen Fällen dem Truppenkommandanten Anzeige zu machen.

Art. 45. Militärpersonen dürfen Handlungen strafrechtlicher Verfolgung gegenüber Personen, welche dem Militärstrafgesetze nicht unterworfen sind, ohne Bewilligung des bürgerlichen Gerichts nur dann vornehmen, wenn Gefahr im Verzüge ist. Der bürgerlichen Behörde ist von solchen Handlungen mit Ümnlicher Beförderung Kenntniß zu geben.

Bürgerliche Beamte und Angestellte dürfen Handlungen strafrechtlicher Verfolgung gegenüber Militärpersonen nur dann vornehmen, wenn Gefahr im Verzüge ist. Der militärischen Behörde ist von solchen Handlungen mit thunlicher Beförderung Kenntniß zu geben.

Art. 46. Ladungen, die von Seite eines bürgerlichen Gerichts an Militärpersonen gerichtet werden wollen, bedürfen der Bewilligung des zuständigen militärischen Vorgesetzten.

315 Derselbe hat dorn Vorgeladenen den erforderlichen Urlaub zu ertheilen, wenn nicht -wichtige militärische Interessen entgegenstehen.

· Wenn die Ladung nicht bewilligt werden kann, so ist die ersuchende Behörde hievon unverzüglich zu benachrichtigen.

Art. 47. Die Eechtshülfe wird unentgeltlich geleistet.

Vorbehalten ist bloß die Eückforderung von Auslagen für Expertisen.

II, Theil.

Das Militär straf verfahren.

L Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

I. Gerichtsstand.

Art. 48. Der Gerichtsstand ist bei dem Militärgerichte desjenigen Divisionskreises begründet, in welchem die strafbare Handlung begangen ist.

Unter mehrern zuständigen Gerichten gebührt demjenigen der Vorzug, bei dem die Voruntersuchung zuerst angehoben wurde.

Art. 49. Wurde die strafbare Handlung im Auslande begangen, so ist das Militärgericht desjenigen Divisionskreises zuständig, in welchem der Beschuldigte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz hat.

Hat der Beschuldigte in diesem Zeitpunkte keinen Wohnsitz in der Eidgenossenschaft, so ist das Gericht seines letzten schweizerischen Wohnsitzes und, wenn er niemals in der Schweiz wohnhaft war, das Gericht desjenigen Divisionskreises zuständig, in welchem seine Ergreifung stattgefunden hat.

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Wenn diese Gerichtsstand zu vom Bundesrathe Vorbehalten

Bestimmungen nicht hinreichen, um den ermitteln, so wird das zuständige Gericht bestimmt.

bleiben die Vorschriften über Ersatzgerichte.

Art. 50. Ist der Ort der Begehung unbekannt oder unbestimmt, so bezeichnet der Bundesrath das zuständige Gericht.

Art. 51. Steht eine Armeedivision im Dienst, so beurtheilt das Militärgericht derselben alle von Militärpersonen oder von Truppentheilen, die ihr angehören oder zugetheilt sind, während der Dauer des Dienstes begangenen strafbaren Handlungen, ohne Eücksicht auf den Ort der Begehung.

In Zweifelsfällen entscheidet der Bundesrath.

Art. 52. Bei Ernennung von Ersatzgerichten bestimmt der Bundesrath deren Zuständigkeit.

Art. 53. Ein Zusammenhang von Strafsachen ist vorhanden, wann eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt wird, oder wenn bei einer strafbaren Handlung mehrere Personen als Thäter, Theilnehmer, Begünstiger oder Hehler beschuldigt werden.

Art. 54. Ist eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt, welche einzeln in die Zuständigkeit verschiedener Militärgerichte gehören würden, so ist der Gerichtsstand bei demjengen Gerichte begründet, welches für die schwerste Handlung zuständig ist. Sind mehrere dieser Handlungen als gleich schwer 2U betrachten, so ist das Gericht zuständig, bei welchem die Voruntersuchung znerst angehohen wurde.

Sind mehrere Personen der Mitthäterschaft in Betreff einer strafbaren Handlung beschuldigt, so gebührt demjenigen Gerichte der Vorzug, bei welchem die Voruntersuchung zuerst angehoben wurde.

" Sind bei einer strafbaren Handlung Personen als Theilnehmer (Anstifter und Gehülfen) oder als Begünstiger beschuldigt, so ist das Gericht des Thäters für Alle zuständig.

Art. 55. Streitigkeiten über den Gerichtsstand entscheidet der Bundesrath, indem er gleichzeitig das zuständige Gericht bezeichnet.

Art. 56. Nach Uebervveisung der Sache an das Militär.gericht ist keine Gerichtsstandseinrede mehr zuläßig.

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II. Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen.

Art. 57. Unfähig, an einer Grerichtshandlung als Richter, Untersuchungsrichter, Auditor oder Gerichtsschreiber Theil zu nehmen, sind : 1) Blutsverwandte oder Verschwägerte des Angeschuldigten in auf- oder absteigender Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern; 2) Personen, welche an dem Ausgange des Prozesses ein Interesse haben; 3) Personen, welche in dem Prozesse als Zeugen oder Sachverständige einvernommen worden sind.

Personen, gegen welche einer dieser Gründe vorliegt, laben davon der zuständigen Behörde rechtzeitig Kenntniß zu geben.

Art. 58. Der Auditor und der Beschuldigte sind berechtigt, Eichter, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber wegen Befangenheit abzulehnen. In dem Antrage sind die Gründe .anzugeben und glaubhaft zu machen, aus welchen die Befangenheit hergeleitet wird. Das Handgelübde ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen.

Art. 59. In gleicher Weise können Auditoren, Eichter, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber ihre Ablehnung wegen Befangenheit selbst beantragen.

Art. 60. lieber Ausschließung oder Ablehnung entscheidet bis zur Ueberweisung vor Gericht der Oberauditor, nachher das zuständige Gericht.

Art. 61. Ein Antrag auf Ausschließung ist stets zuläßig1.

Ein Antrag auf Ablehnung ist nicht mehr zuläßig, wenn die Gerichtshandlung bereits erfolgt ist. Bei der Hauptverhandlung muß derselbe unmittelbar nach Verlesen der Anklageschrift gestellt werden.

Art. 62. Die Bestimmungen über Ausschließung und Ablehnung finden entsprechende Anwendung auf den Oberauditor und seinen Stellvertreter.

Ueber Ausschließung und Ablehnung des Oberauditors and seines Stellvertreters entscheidet in streitigen Fällen der Bundesrath.

Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. II.

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III. Protokolle und Akten der Militärgerichte.

Art. 63. Die Protokolle über Verhöre sollen die Fragen und die Antworten möglichst getreu wiedergeben. Das Protokoll ist dem Abgehörten vorzulesen und von ihm, dem Untersuchungsrichter und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen.

Tn gleicher Weise ist zu verfahren, wenn Gutachten mündlich abgegeben werden.

Art. 64. Die Protokolle über Augenscheinsverhandlungen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen sollen den Gangund die Eesultate der Verhandlung wiedergeben. Sie sind von dem Untersuchungsrichter und dem Gerichtsschreiber und, wenn ein Betheiligter beigewohnt hat, auch von diesem zu unterzeichnen.

"Wird die Unterzeichnung eines Protokolls verweigert, oder kann dieselbe nicht stattfinden, so ist diese Thatsache unter Angabe der Gründe zu beurkunden.

Art. 65. Verfügungen sind von dem Gerichtsschreiber im Protokoll festzustellen und von dem Verfügenden und dem Grerichtsschreiber zu unterzeichnen.

Art. 66. Vorbehalten sind die besonderen Bestimmungen über die Protokollführung während der Hauptverhandlung.

Art. 67. Die Akten einer Strafsache sind von dem Gerichtsschreiber in einem Aktenhefte zn sammeln, zu ordnen und mit einem Verzeichnisse zu versehen.

Sind Effekten beigebracht worden, so ist ein Verzeichnis derselben zu den Akten zu legen.

Art. 68. Nach Erledigung der Sache sind die Akten dem eidgenössischen Militärdepartement einzusenden, welches dieselben in seinen Archiven aufbewahren läßt.

Art. 69. Aktenstücke (Briefe; Rechnungen, Pläne und dergl.), welche von Betheiligten oder von dritten Personen zu den Akten gegeben wurden, dürfen dem Berechtigten in der Eegel erst nach Beendigung der Sache zurückgegeben werden. Es ist dafür ein Empfangschein zu den Akten zu legen.

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IT. Oeffentlichkeit und Sitzungspolizei.

Art. 70. Die Verhandlungen der Militärgerichte sind mit Ausnahme der Beratlmngen und Abstimmungen öffentlich.

Das Gericht kann die Oeffentlichkeit für die ganze Verhandlung oder für einen Theil derselben ausschließen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist. Auch in diesem Falle hat indessen die Verkündung des Urtheils öffentlich zu erfolgen.

Art. 71. Der Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen kann unerwachsenen und solchen Personen versagt werden, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden.

Zu nicht öffentlichen Verhandlungen kann der Zutritt einzelnen Personen von dem Vorsitzenden gestattet werden.

Art. 72. Die Aufrechthaltung der Ordnung in der Sitzung liegt dem Vorsitzenden ob.

Wer den zur Aufrechthaltung der Ordnung erlassenen Befehlen nicht gehorcht, kann auf Beschluß des Gerichts aus dem Sitzungszimmer entfernt und nöthigenfalls während der Dauer der Verhandlung in Haft gesetzt werden.

Das Gericht kann gegen diejenigen, welche sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu 100 Pranken oder Gefängniß bis zu drei Tagen verhängen und sofort vollstrecken lassen.

Art. 73. Zu Bedienung des Gerichts, Bewachung und Vorführung von Angeschuldigten und Zeugen, Vollzug der Befehle des Vorsitzenden betreffend Aufrechthaltung der Ordnung u. s. w. sind die nöthigen Mannschaften durch die Schuloder Truppenkommandanten, nöthigenfalls durch die Militärdirektion des Kantons, in welchem die Verhandlung stattfindet, zu kommandiren.

V. Der Beschuldigte.

Art. 74. Der militärische Vorgesetzte des Beschuldigten kann dessen vorläufige Festnahme verfügen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Verhaftung vorliegen.

Art. 75. Wird Jemand auf frischer That oder unmittelbar nachher betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht

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verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann, Jedermann befugt, ihn auch ohne richterlichen Befehl vorläufig festzunehmen.

Art. 76. Der Beschuldigte, gegen welchen die Voruntersuchung angehoben ist, kann in Untersuchungshaft genommen werden, sofern das Interesse der Untersuchung dies verlangt.

Die Verhaftung soll in allen Fällen angeordnet werden, wenn der Beschuldigte der Flucht verdächtig oder anzunehmen ist, daß er durch Vernichtung oder Verdunkelung der Spuren der That oder durch Verabredungen mit Zeugen oder Mitschuldigen die Untersuchung erschweren werde.

Die Verhaftung kann auch verfügt werden, wenn sie aus dienstlichen Rücksichten geboten erscheint.

Art. 77. Die Verhaftung erfolgt auf Grund eines schriftlichen Verhaftsbefehls des Untersuchungsrichters oder, wenn die Voruntersuchung geschlossen ist, des Großrichters. Der Haftbefehl enthält: 1) die genaue Bezeichnung des Beschuldigten; 2) die Angabe der strafbaren Handlung, deren er beschuldigt ist, und des Grundes der Verhaftung.

Der Haftbefehl ist dem Beschuldigten bei der Verhaftung bekannt zu machen.

Art. 78. Ist der Beschuldigte flüchtig und sein Aufenthalt unbekannt, so ist der Haftbefehl öffentlich bekannt zu machen. Der Haftbefehl soll in diesem Falle eine möglichst genaue Beschreibung des zu Verhaftenden enthalten, sowie die Angabe, wohin der Verhaftete abzuliefern ist.

Die Polizei des Bundes und der Kantone ist verpflichtet, zur Auffindung eines solchermaßen Verfolgten ihr Möglichstes zu thun und denselben, falls sie ihn entdeckt, festzunehmen.

Art. 79. Der Beschuldigte ist spätestens am Tage nach seiner Festnahme und Ablieferung an den Untersuchungsrichter oder Großrichter über den Gegenstand der Beschuldigung einzuvernehmen.

Art. 80. Dem Verhafteten dürfen nur solche Beschränkungen der Freiheit auferlegt werden, welche zur Sicherung des Zweckes der Haft oder zur Aufrechthaltung der Ordnung in dem Gefängnisse nothwendig sind.

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Art. 81. Der Verhaftete ist freizulassen, wenn die Gründe, welche die Festnahme veranlaßt haben, nicht mehr bestehen.

Art. 82. Wird eine Festnahme des Beschuldigten nicht verfügt, so ist derselbe zur Vernehmung schriftlich vorzuladen. Leistet er der Vorladung nicht Folge, so kann seine Vorführung verfügt werden.

Art. 83. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen. Es soll ihm zu seiner Rechtfertigung und zur Beseitigung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgründe Gelegenheit gegeben werden.

Art. 84. Vorbehaltlich der in diesem Titel enthaltenen Bestimmungen darf gegen den Beschuldigten keinerlei Zwang geübt werden. Verfängliche Fragen, unwahre Angaben, Drohungen u. dergl. m. sind untersagt.

VI. Beschlagnahme und Durchsuchung.

Art. 85. Gegenstände, welche als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind mit Beschlag zu helegen und in Verwahrung zu nehmen oder auf andere Weise sicherzustellen.

Die Beschlagnahme wird bis zum Schluß der Voruntersuchung von dem Untersuchungsrichter, nachher von dem Großrichter des betreffenden Militärgerichts verfügt.

Art. 86. Wer einen mit Beschlag belegten Gegenstand in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, denselben auf Verlangen vorzulegen und auszuliefern. Im Falle der Weigerung findet eine Durchsuchung behufs der Wegnahme statt.

Art. 87. Die Beschlagnahme kann auch stattfinden mit Bezug auf Briefe und andere Postsendungen, sowie auf Telegramme, wenn anzunehmen ist, daß dieselben für die Untersuchung eine Bedeutung haben. Die beschlagnahmten Gegenstände sind den Betheiligten jedoch herauszugeben, sobald der Zweck der Untersuchung es gestattet. Ist dies nicht zuläßig, so sind den Betheiligten, soweit es als thunlich erscheint, Abschriften zuzustellen.

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Art. 88- Es kann jederzeit eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Bäume sowie der Person des Beschuldigten und der ihm gehörigen Sachen vorgenommen « werden, wenn zu vermuthen ist, daß sie zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

Diese Vorschrift gilt auch gegenüber solchen Personen, gegen welche Verdachtsgründe vorliegen.

Art. 89. Bei andern Personen sind Durchsuchungen nur behufs der Ergreifung des Beschuldigten oder behufs der Verfolgung von Spuren einer strafbaren Handlung oder behufs der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zuläßig, wenn anzunehmen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befinde.

Art. 90. Die Anordnung von Durchsuchungen steht dem Untersuchungsrichter und nach Schluß der Voruntersuchung dem Großrichter zu.

Durchsuchungen sollen, wenn möglich, zur Tageszeit stattfinden.

Der Inhaber der Bäume oder Gegenstände darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist an seiner Stelle bei Müitärpersonen ein Waffenkamerad, bei bürgerlichen Personen ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar beizuziehen.

Findet die Durchsuchung bei einer bürgerlichen Person statt, so ist, wenn möglich, auch ein Gemeindebeamter beizuziehen.

Art. 91. Ueber die in Folge einer Beschlagnahme oder Durchsuchung in Verwahrung genommenen Gegenstände wird ein genaues Verzeichnis aufgenommen, von welchem den Betheiligten auf Verlangen Abschrift zu geben ist.

Die in Verwahrung genommenen Gegenstände sind in geeigneter Weise kenntlich zu machen.

TU. Zeugen.

Art. 92. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt : 1) Personen, welche mit dem Angeschuldigten in gerader Linie blutsverwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden sind;

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2) die Geschwister, die Ehefrau, die Verlobte, der Schwager und die Schwägerin des Angeschuldigten ; 3) Geistliche, Aerzte und Eechtsanwälte, üher solche Thatsachen, welche ihnen mit Rücksicht auf ihren Beruf mitgetheilt worden sind und bezüglich deren sie zur Geheimhaltung verpflichtet sind, sofern sie nicht von den Berechtigten dieser Verpflichtung entbunden wurden.

Die bezeichneten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren.

Sie können den Verzicht auf dieses Kecht auch während der Vernehmung widerrufen.

Personen, welche sich auf einen der angegebenen Umstände berufen, sind von der Zeugenpflicht entbunden, wenn sie das Vorhandensein des Grundes durch Handgelübde bekräftigen.

Art. 93. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt: Personen, denen eine Aussage zu eigenem Nachtheil an Vermögen oder Ehre gereichen würde, oder welche durch ihre Aussage Personen, die zu ihnen in einem der in Art. 92, Ziff. l und 2, erwähnten Verhältnisse stehen, einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würden.

In diesem Falle ist das Vorhandensein des Weigerungsgrundes glaubhaft zu machen und es entscheidet das Gericht über die Entbindung von der Zeugenpflicht nach freiem Ermessen. Das Handgelübde ist als Mittel der G-lauhhaftmachung ausgeschlossen.

Art. 94. Ist eine Militärperson über einen Gegenstand als Zeuge zu vernehmen, über welchen sie sich ohne Verletzung der Pflicht der Dienstverschwiegenheit nicht äussern kann, so soll vorerst die Befreiung von dieser Pflicht bei ihrer vorgesetzten Dienstbehörde erwirkt werden.

Art. 95. Im Dienst befindliche Militärpersonen können schriftlich oder mündlich zur Einvernahme als Zeugen beordert werden.

Alle übrigen Personen sollen zur Zeugeneinvernahme, unter Hin\veis auf die gesetzlichen Polgen des Ausbleibens, schriftlich geladen werden. Die Zustellung der Ladungen erfolgt durch die Post oder durch eine Militärperson oder durch Vermittlung der bürgerlichen Behörden.

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Art. 96. Die Zeugen werden einzeln und in Abwesenheit der später einzuvernehmenden Zeugen abgehört. Sie sind vor der Einvernahme unter Hinweis auf das zu leistende Handgelübde zur Wahrheit zu ermahnen.

Art. 97. Die Einvernahme eines Zeugen beginnt mit der Peststellung seiner persönlichen Verhältnisse und allfälliger seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffenden Thatsachen, wie namentlich seiner Beziehungen zu dem Beschuldigten oder zu dem Verletzten.

Hierauf hat der Zeuge im Zusammenhang mitzutheilen,.

·was ihm von dem Gegenstande der Vernehmung kekannt ist.

Zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage, sowie zur Erforschung des Grundes, auf welchem die Wissenschaft des Zeugen beruht, sind nöthigen Falles weitere Fragen 2U stellen.

Art. 98. Ein Zeuge, welcher unentschuldigt ausbleibt oder sich ohne Erlaubniß entfernt oder sich in die Unmöglichkeit versetzt, auszusagen, wird mit Geldbuße bis auf 100 Franken und im Falle der Zahlungsunfähigkeit mit Haft biszu fünf Tagen bestraft. Derselbe hat auch die Kosten zu bezahlen, welche er durch seinen Ungehorsam verursachte.

Der ungehorsame Zeuge kann vorgeführt werden.

Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, sc< ·werden diese Anordnungen wieder aufgehoben.

Art. 99. Verweigert ein Zeuge ohne gesetzlichen Grund die Ablegung des Zeugnisses oder die Bekräftigung desselben durch das Handgelübde oder entzieht er sich absichtlich der Ablegung des Zeugnisses, so kann er durch Zwangshaft bis zu 90 Tagen, mit welcher Geldstrafe bis auf Fr, 1000 verbunden werden kann, zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten werden.

Er ist überdies, unter Vorbehalt allfälliger Entschädigungsansprüche, zur Bezahlung der durch seine Weigerung verursachten Kosten zu verurtheilen.

Die Zwangshaft hört auf, sobald der Zeuge seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, dagegen verbleiht es bei den festgesetzten Geldstrafen.

Sind die hier vorgesehenen Maßnahmen erschöpft, sc> können sie in demselben oder in einem andern Verfahren»

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welches dieselbe That zum Gegenstand hat, nicht wiederholt werden.

Art. 100. Die Zeugen haben Anspruch auf Entschädigung aus Staatsmitteln für Zeitversäumniß und Eeisekosten. Die Verordnung des Bundesrathes über das Bechnungswesen der Militärstrafgerichte wird hierüber das Nähere bestimmen.

VIII. Sachverständige und Augenschein.

Art. 101. Wenn es im Interesse der Untersuchung erforderlich erscheint, ordnet der Untersuchungsrichter die Einnahme eines Augenscheines von Oertlichkeiten, Gegenständen oder Leichen an. Nötigenfalls sind Sachverständige beizuziehen. Dieselben Anordnungen kann das Gericht bei der Hauptverhandlung treffen.

Art. 102. Der Untersuchungsrichter oder das Gericht bestimmt die Zahl der Sachverständigen und ernennt dieselben.

Art. 103. Als Sachverständige dürfen Personen, welche in der Sache als Richter ausgeschlossen sind oder abgelehnt ·werden könnten, nicht ernannt werden. Ein Ablehnungsgrund kann nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

In Betreff der Ausschließung und der Ablehnung eines Sachverständigen finden die Bestimmungen über Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen entsprechende Anwendung.

Art. 104. Die Ernennung ist dem Sachverständigen unter gleichzeitiger Mittheilung seines Auftrages und unter Hinweis auf die Vorschriften betreffend die Verweigerung des Gutachtens schriftlich anzuzeigen.

Art. 105. Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der geforderten Art öffentlich angestellt ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das, Gewerbe, deren Kenntniß Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerbe ausübt, oder wenn er zur Ausübung öffentlich bestellt oder ermächtigt ist.

386 Art. 106. Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugniß zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Verweigerung des Gutachtens.

Art. 107. Unentschuldigtes Ausbleiben oder unentschuldigte nicht rechtzeitige Abgabe, sowie Verweigerung des Gutachtens werden nach den für das Ausbleiben der Zeugen nnd die Verweigerung des Zeugnisses bestehenden Vorschriften geahndet.

Art. 108. Der Richter bestimmt, ob die Abgabe des Gutachtens schriftlich oder mündlich erfolgen soll, und setzt dafür Frist oder Termin fest.

Art. 109. Besteht zwischen mehreren Gutachten ein Widerspruch, oder findet der Kichter ein Gutachten ungenügend, so kann er eine neue Begutachtung durch dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen.

Art. 110. Die Sachverständigen haben Anspruch auf Entschädigung aus Staatsmitteln für Zeitversäumniß, Auslagen und Mühewalt. Das Nähere hierüber bestimmt die Verordnung über das Rechnungswesen der Militärstrafgerichte.

IX. Dolmetscher.

Art. 111. Wird unter Betheiligung von Personen verhandelt, welche der Gerichtssprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher beizuziehen. Dies hat auch zur Verhandlung mit tauben und stummen Personen zu geschehen, sofern nicht eine schriftliche Verständigung erfolgt.

Art. 112. Der Dolmetscher leistet dem Untersuchungsrichter, gegebenen Falles dem Großrichter, das Handgelübde, daß er seine Pflichten treu und gewissenhaft erfüllen werde.

Art. 113. Auf den Dolmetscher finden die Bestimmungen über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechende Anwçndung.

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II. Abschnitt.

Das Verfahren.

I. Einleitung des Verfahrens.

Art. 114. Wenn Verdacht entsteht, daß eine unter das Militärstrafgesetz fallende Handlung begangen worden ist, so hat der Vorgesetzte, welchem hievon die dienstliche Meldung zugeht, von sich aus sofort die nöthigen Maßnahmen zu treffen, um die Flucht des Schuldverdächtigen zu verhindern und die Peststellung des Thatbestandes zu sichern.

Zu diesem Zwecke stehen ihm die Befugnisse des Untersuchungsrichters zu. Er kann mit der vorläufigen Ermittelung des Thatbestandes einen andern Offizier beauftragen.

Gleichzeitig ist derjenigen Stelle, welche die Voruntersuchung zu verfügen hat, Meldung zu machen.

Art. 115. Liegen hinreichende Gründe vor, eine oder mehrere Personen als der That verdächtig zu betrachen, so ist die Voruntersuchung zu verfügen.

Bei strafbaren Handlungen, welche nur auf Antrag des Verletzten zu verfolgen sind, wird die Voruntersuchung nur verfügt, wenn der Antrag gestellt ist.

Art. 116. Die Voruntersuchung wird verfügt: 1) im Instruktionsdienste durch die Schul- oder Kurskommandanten ; 2) im aktiven Dienste durch die Chefs der Truppeneinheiten (Art. 27--36 MO.), bezw. die Kommandanten der Stäbe (Art. 51 -- 69 MO.), und bei kleineren, selbstständig im Dienst befindlichen Truppenabtheilungen durch deren Chefs oder Kommandanten; 3) in den Fällen, welche der Beurtheilung eines außerordentlichen Militärgerichts unterliegen, durch den Bundesrath; 4) in allen ährigen Fällen durch das Eidgenössische Militärdepartement.

388 Art. 117.

Der Befehl zur Anhebung der Voruntersuchung ist schriftlich zu erlassen und soll eine summarische Darstellung des Sachverhalts enthalten.

Art. 118. Die Verfügung wird dem Untersuchungsrichter des zuständigen Militärgerichts zugestellt. Gleichzeitig sind demselben die Beweisstücke, Protokolle u. dgl. zu übergeben.

Art. 119. Bestehen Zweifel über die Zuständigkeit des Gerichts oder üher die Frage, oh der Fall der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehe, so ist der Entscheid des ßundesrathes einzuholen.

Art. 120. Der Untersuchungsrichter trifft dringliche Maßnahmen, welche bis zur Erledigung dieser Fragen erforderlich werden.

II. Voruntersuchung.

Art. 121. Die Voruntersuchung hat den Zweck, festzustellen, ob ein Verbrechen vorliege; sie ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist, um eine Entscheidung darüher zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Beschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei.

Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu hesorgen steht, in der Voruntersuchung zu erheben.

Art. 122. Die Voruntersuchung wird nicht öffentlich geführt. Jedoch kann der Beschuldigte zu der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen und zur Einnahme des Augenscheines heigezogen werden, sofern dies zur Aufklärung des Thatbestandes dienlich erscheint.

Art. 123. Ergibt sich im Laufe der Voruntersuchung Anlaß zur Ausdehnung derselben auf eine Person oder That, welche in der Verfügung üher Anhebung der Voruntersuchung nicht bezeichnet ist, so sind die in dieser Beziehung erforderlichen Untersuchungshandlungen von Amteswegen vorzunehmen.

Art. 124. Die Voruntersuchung soll mit thunlichster Beförderung zu Ende geführt werden.

Art 125. Erachtet der Untersuchungsrichter den Zweck der Voruntersuchung für erreicht, so schließt er dieselbe und giht sowohl dem Auditor als dem Angeschuldigten hievon Kenntniß.

389 Der Auditor und der Beschuldigte können binnen 24 Stunden nach Mittheilung des Schlusses eine Ergänzung der Voruntersuchung verlangen.

Nach Verfluß dieser Frist sind die Akten dem Auditor zuzustellen.

Von dem Schlüsse der Voruntersuchung an ist der Beschuldigte berechtigt, sich eines Vertheidigers zu bedienen.

Dem Vertheidiger sind freier Verkehr mit dem Beschuldigten und Akteneinsicht zu gestatten.

Der Auditor tritt, wenn er sich nicht schon im Dienste befindet, in dem Zeitpunkte, in welchem er die Voruntersuchungsakten empfängt, in den Militärdienst und verbleibt in demselben, so lange das Strafverfahren es erfordert.

III. Entscheid über Eröffnung des Hauptverfahrens.

Art. 126. Ergibt die Voruntersuchung genügende Anhaltspunkte, um das Vorhandensein eines Verbrechens erkennen und auf den Thäter schließen zu können, so verfügt der Auditor behufs Eröffnung des Hauptverfahrens die Ueberweisung des Beschuldigten an das Militärgericht.

Hat die strafbare Handlung nur den Charakter eines Ordnungsfehlers, oder bietet das Ergebniß der Voruntersuchung nach der Ansicht des Auditors keinen genügenden Grund, um der Sache weitere Folge zu geben, so übermittelt der Auditor die Akten mit seinem Antrage dem Oberauditor. Der Oberauditor übersendet seineu Entscheid mit den Akten dem Auditor zur Folgegebung.

Art. 127. Der Auditor soll ungesäumt: 1) wenn die Ueberweisung des Beschuldigten an das Militärgericht verfügt ist, die Anklage schriftlich verfassen, die Akten mit der Anklageschrift dem Großrichter übermitteln und ein Doppel der letzteren dem Beschuldigten zustellen; 2) wenn der Fall disziplinarisch zu behandeln ist, die Akten behufs der Strafverfügung dem zuständigen militärischen Vorgesetzten des Beschuldigten übermitteln; 3) wenn die Untersuchung eingestellt wird, den Beschuldigten außer Verfolgung setzen und die Akten dem Eidg. Militärdepartement zur Aufbewahrung im Militärarchive übersenden.

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Art. 128. Die Anklageschrift soll enthalten: 1) die genaue Bezeichnung des Angeklagten; 2) die Bezeichnung der dem Angeklagten zur Last gelegten That, unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale ; 3) ein Verzeichniß aller Beweismittel, von welchen der Auditor bei der Verhandlung Gebrauch machen will; 4) die Bezeichnung der anzuwendenden Gesetzesartikel; 5) die Namen der Mitglieder des Militärgerichts und ihrer Ersatzmänner und allfällige Ausschließungs- oder Ablehnungsbegehren des Auditors.

Der Angeklagte ist in der Anklageschrift auf sein Recht, einen Vertheidiger beizuziehen, aufmerksam zu macheu.

IV. Vorbereitung der Hauptverhandlung, Art. 129. Unmittelbar nach Empfang der Anklageschrift tritt der Großrichter in Dienst, sofern er sich nicht schon in demselben befindet, und verbleibt in demselben, so lange dies erforderlich ist.

Art. 130. Falls der Angeklagte noch keinen Vertheidiger beigezogen hat, fordert ihn der Großrichter auf, binnen einer bestimmten Frist einen solchen zu bezeichnen.

Bezeichnet der Angeklagte innerhalb der Frist keinen Vertheidiger, oder kann der von ihm bezeichnete nicht rechtzeitig zur Stelle sein, so ernennt der Großrichter den Vertheidiger.

Jeder Offizier der Division, welcher das Militärgericht angehört, ist verpflichtet, auf Befehl des Großrichters die Vertheidigung zu übernehmen.

Nach Bestellung der Vertheidigung setzt der Großrichter dem Angeklagten eine angemessene Frist, innerhalb welcher derselbe allfällige Ablehnungshegehren anzubringen und die Beweismittel, von welchen er bei der Verhandlung Gebrauch machen will, zu bezeichnen hat.

Art. 131. Der Großrichter bestimmt den Termin und den Ort der Hauptverhandlung. Er erläßt die Ladungen zu derselben an die Richter und Ersatzmänner, an den Auditor und den Gerichtsschreiber, an den Angeklagten und den Vertheidiger, an Zeugen und Sachverständige.

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Art. 132. Der Großrichter kann von Amtes wegen die Ladung von Zeugen und Sachverständigen, sowie die Herbeischaffung anderer Beweismittel anordnen, auch wenn weder der Auditor noch der Angeklagte sich auf dieselben berufen haben.

Art. 133. Der Großricliter kann die Ladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung von Beweismitteln wegen Unerheblichkeit verweigern.

In einem solchen Falle kann die betreffende Partei ihr Begehren bei dem Beginne der Hauptverhandlung wiederholen. Das Gericht entscheidet alsdann endgültig.

Art. 134. Wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in einer Hauptverhandlung für eine längere oder Ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, so kann der Großrichter denselben vor der Hauptverhandlung" einvernehmen oder durch ein Mitglied des Gerichts oder durch den Eichter des Wohnortes einvernehmen lassen.

Art. 135. Von den zu diesem Zwecke anberaumten Terminen sind der Auditor, der Angeklagte und der Verthei-.

diger vorher zu benachrichtigen, sofern dies nicht wegen Gefahr im Verzüge unthunlich ist ; ihrer Anwesenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht.

Der verhaftete Angeklagte hat einen Anspruch auf Anwesenheit nur bei solchen Terminen, welche an dem Orte abgehalten werden, wo er sich in Haft befindet.

Art. 136. Der Großrichter kann unter Beobachtung der Vorschriften des Art. 135 vor der Hauptverhandlung einen Augenschein einnehmen oder einnehmen lassen.

V. Hauptverhandlung.

Art. 137. Die Hauptverhandlung erfolgt in ununterbrochener Gegenwart der zur Urtheilsfindung berufenen Personen, sowie des Auditors und des Gerichtsschreibers.

Art. 138. Die Hauptverhandlung darf nur insoweit unterbrochen werden, als es zur Erholung der Betheiligteu erforderlich ist.

392 Art. 139. Können Beweismittel, derai nachträgliche Herbeischaffung das Gericht beschlossen hat, nicht während der Hauptverhandlung herbeigeschafft werden oder wird eine längere Unterbrechung der Verhandlung aus einem andern Grunde nofawendig, so ist die Verhandlung an einem neuen Termin von Neuem zu beginnen.

Art. 140. Bleibt, der nicht in Haft befindliche Angeklagte trotz gehöriger Ladung ohne genügende Entschuldigung aus, so ist ein Haftbefehl zu erlassen und die Vorführung anzuordnen. Kann der Angeklagte nicht zur Stelle gebracht werden, so wird nach den Vorschriften über das Verfahren gegen Abwesende vorgegangen.

Art. 141. Der Angeklagte darf sich aus der Verhandlung nicht entfernen. Der Großrichter trifft die geeigneten Maßnahmen, um seine Entfernung zu verhindern.

Entfernt sich der Angeklagte dennoch, oder bleibt er bei der Portsetzung einer unterbrochenen Verhandlung aus, so kann diese in seiner Abwesenheit zu Ende geführt werden, wenn seine Vernehmung über die Anklage schon stattgefunden hat und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht .für erforderlich erachtet. Ist dies nicht der Fall, so finden die Vorschriften über das Verfahren gegen Abwesende Anwendung.

Art. 142. Wenn Zeugen oder Sachverständige bei der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, «o kann das Gericht deren Vorführung verfügen. Können sie nicht zur Stelle gebracht werden, so kann das Gericht, sofern es ihr Erscheinen für nothwendig hält, die Verhandlung auf Kosten der Ausgebliebenen vertagen.

Ueberdies verfügt das | Bericht in solchen Fällen nach Art. 98.

Art. 143. Muß die Verhandlung wegen nicht entschuldigten Ausbleibens des Vertheidigers verschoben werden, so verurtheilt das Gericht denselben in die verursachten Kosten.

Art. 144. Die Hauptverhandlung wird eröffnet, sobald die Anwesenheit derjenigen Personen festgestellt ist, welche nach dem Gesetz oder den Verfügungen des Gerichts anwesend sein müssen.

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Sie kann schon vorher eröffnet werden, wenn das nachträgliche Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in sicherer Aussicht steht.

Art. 145. Die Verhandlung beginnt mit dem Verlesen der Anklageschrift durch den Auditor.

Art. 146. Hierauf folgt die Erledigung von Einsprachen gegen die sacliliche Zuständigkeit oder gegen die Besetzung des Gerichts, von Begehren um Ergänzung der Beweismittel, von Vorjährungseinreden und von Vorfragen, welche die Möglichkeit oder Zuläßigkeit der Durchführung der Verhandlung betreffen.

Art. 147. Ist die sachliche Zuständigkeit des Gerichts nicht von dem Bundesrathe ausgesprochen, so kann sich das Militärgericht bei dem Beginn oder im Verlaufe der Verhandlung von Amtes wegen für unzuständig erklären. Ein solcher Beschluß ist mit einem kurzen Bericht über den Gang des Verfahrens zu begleiten und einläßlich zu begründen.

Art 148. Steht dem Fortgang der Verhandlung nichts im Wege, so befragt der Großrichter den Angeklagten, ob er die ihm in der Anklage zur Last gelegten Thatsachen anerkenne.

Gibt der Augeklagte eine bejahende Erklärung ab, so kann die Verhandlung ohne Beweisführung vor sich gehen.

Art 149. Der Großrichter ermahnt die Sachverständigen und dio Zeugen unter Hinweis auf die Polgen einer falschen Erklärung zur Wahrheit. Hierauf nehmen die Zeugen den Austritt. Sie sollen unter besondere Aufsicht gestellt und verhindert werden, Verabredungen unter einander zu treffen.

Art 150. Der Großrichter legt dem Gerichte die schriftlichen Beweisstücke und anderen Wahrzeichen des Verbrechens vor, macht das Gericht nöthigenfalls mit den in Frage kommenden 'Oertlichkeiten bekannt und schreitet sodann zur Einvernahme des Angeklagten.

Er stellt an denselben auf Verlangen eines Eichters, des Auditors oder des Vertheidigers weitere Fragen, welche zur Aufklärung des Sachverhaltes dienen können.

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Art. 151. Hierauf folgt das Verhör der Zeugen. Der Großrichter verhört die Zeugen in der von ihm bestimmten Eeihenfolge. Nach der Einvernahme eines jeden Zeugen steht den Richtern, dem Auditor, dem Vertheidiger und dem Angeklagten das Eecht zu, an denselben Fragen richten zu lassen, welche zur Aufklärung des Sachverhalts dienen können.

Zeugen, deren Aussagen sich widersprechen, können einander gegenübergestellt, oder es können deren frühere Aussagen aus den Voruntersuchungsakten verlesen werden.

Die Zeugen dürfen nach ihrer Einvernahme den Verhandlungen beiwohnen.

Art. 152. Die Sachverständigen können den Verhandlungen beiwohnen ; sie werden in der Eegel nach Beendigungdes Zeugenverhörs und in der gleichen Weise wie Zeugen einvernommen.

Art. 153. Bestehen zwischen den Angaben des Angeklagten und denjenigen von Zeugen und Sachverständigen erhebliche Widersprüche, so können zur Aufklärung derselben nochmalige Abhörungen vorgenommen oder auch Verhörsprotokolle aus der Voruntersuchung verlesen werden.

Art. 154. Haben Einvernahmen oder Augenscheine nach Art. 134 und 136 stattgefunden, so wird das Protokoll über die Einvernahme oder den Augenschein verlesen.

Art. 155. Ist ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitschuldiger verstorben, oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln gewesen, oder kann seine Einvernahme aus einem andern Grunde nicht stattfinden, so ist das Protokoll über seine frühere gerichtliche Einvernahme zu verlesen.

Art. 156. Bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen kann das Protokoll über dessen frühere Vernehmung zur Unterstützung seines Gedächtnisses oder zur Peststellung oder Hebung von Widersprüchen verlesen werden.

Art. 157. Erklärungen des Angeklagten, welche in einem gerichtlichen Protokolle enthalten sind, können zum Zwecke der Beweisaufnahme üher ein Geständniß oder zur Peststellung oder Hebung von Widersprüchen zwischen seinen Angaben in der Hauptverhandlung und denen in dem vorangegangenen Verfahren verlesen werden.

Art. 158. Urkunden werden verlesen. Ebenso Protokolle über die Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins.

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Art. 159. Das Gericht kann von sich aus oder auf den Antrag einer Partei die Unterbrechung oder Vertagung der Verhandlung zum Zwecke neuer Beweisaufnahmen beschließen.

Die Unterbrechung oder Aussetzung der Verhandlung kann von dem Auditor auch zum Behuf der Erhebung einer neuen oder der Ergänzung der bisherigen Anklage beantragt werden. Wenn einem solchen Antrage von dem Gerichte entsprochen wird, so beginnt das Verfahren von der Einreichung der neuen Anklageschrift ab von Neuem, und es sind alle Vorkehren und Erklärungen, welche seitens des Angeklagten oder seines Vertheidigers nach Empfang der frühern Anklagefrist stattgefunden hatten, für den Angeklagten unverbindlich.

Art. 160. Vor Schluß der Beweisaufnahme fragt der Großrichter an, ob von Zeugen oder Sachverständigen das Handgelübde verlangt werde.

Dasselbe darf indessen von Zeugen, welche das 16. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben oder die sich von der Bedeutung des Handgelübdes keinen deutlichen Begriff machen können, nicht verlangt werden.

Art. 161. Berechtigt, das Begehren auf Ablegung des Handgelübdes zu stellen, sind die Eich ter, der Auditor, der Vertheidiger und der Angeklagte.

Art. 162. Durch, das Handgelübde versichert der Sach verständige auf Ehre und Gewissen, daß er sein Gutachten unparteiisch und nach bestem Wissen erstattet, der Zeuge, daß er die Wahrheit gesagt habe, nichts als die Wahrheit und die volle Wahrheit. Die Erklärung ist durch Handschlag an den G-roßrichter zu bestätigen.

Vor Abnahme des Handgelübdes hat der Gro.''richter auf die Bedeutung der Handlung und auf die strafrechtlichen Folgen des falschen Zeugnisses aufmerksam zu machen.

Art. 163. Hierauf wird die Beweisverhaiidlung geschlossen. Es folgen die Vorträge des Auditors und des Vertheidigers über die Schuldfrage und die Strafausmessung. Jeder Partei steht das Recht eines zweiten Vertrages zu. Nach dem letzten Vortrage des Vertheidigers wird der Angeklagte von dem Großrichter gefragt, ob er selbst noch etwas anzubringen habe.

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Art. 164. Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten müssen aus den Schlußvorträgen mindestens die Anträge des Auditors und des Vertheidigers durch den Dolmetscher bekannt gegeben werden.

Art. 165. Die Hauptverhandlung schließt mit der Urtheilssprechung. Das Urtheil kann nur auf Freisprechung oder auf Verurtheilung lauten.

Art. 166. Ueber das Ergebniß der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriffe der Hauptverhandlung geschöpften Ueberzeugung.

Das Urtheil erfolgt durch einfache Stimmenmehrheit.

Für eine Verurtheilung zum Tode oder zu lebenslänglichem Zuchthaus bedarf es in Fällen, \vo kein Geständniß vorliegt, einer Mehrheit von vier Stimmen.

Art. 167. Gegenstand der TJrtheilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete That, wie sich dieselbe nach dem Inbegriffe der in der Hauptverhandlung ermittelten Umstände darstellt.

Das Gericht ist nicht an diejenigen Thatsachen gebunden, auf welche die Anklageschrift sich beruft.

Art. 168. Das Gericht ist an diejenige rechtliche Beurtheilung der That, welche der Anklageschrift zu Grunde liegt, nicht gebunden. Eine Verurtheilung des Angeklagten auf Grund anderer Strafbestimmungen als der in der Anklage angerufenen darf jedoch nicht erfolgen, ohne daß der Angeklagte zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Erörterung des letztern gegehen worden ist.

In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn erst in der Verhandlung solche vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet werden, \velche die Strafbarkeit erhöhen.

Das Gericht hat auf Antrag oder von Amteswegeu die Verhandlung auszusetzen, falls dies in Folge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Vertheidigung angemessen erscheint.

Art. 169. Das Urtheil ist schriftlich auszufertigen und vom Großrichter und Gerichtsschreiber zu unterzeichnen; dio Urtheilsausfertigung soll enthalten:

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A. Im Falle der Verurtheilung : 1) eine kurze geschichtliche Darstellung des Falles; 2) die Urtheilsgründe, aus welchen ersichtlich sein muß: a) in welchen vom Gerichte als erwiesen betrachteten Thatsacheu die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden worden sind ; b) welche Umstände für die Zumessung der Strafe hestimmend waren ; c) welche Gesetzesartikel zur Anwendung gebracht worden sind; 3) den Urtheilsspruch.

B. Im Falle der Freisprechung: 1) die Urtheilsgründe; dieselben müssen ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt, oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen erachtete Thatsache für nicht strafbar erachtet worden ist; 2) den Urtheilsspruch betreffend die Freisprechung und eine dem Freigesprochenen zuerkannte Entschädigung; 3) eventuell: die TJeberweisung des Freigesprochenen an den militärischen Vorgesetzten zur disziplinarischen Beurtheilung.

Wenn eine solche Ueberweisung nicht stattfindet, so darf der Freigesprochene für die Thatsachen, wegen deren er vor Gericht gestellt -worden war, mit keiner Ordnungsstrafe helegt werden.

Art. 170. Ist der Angeklagte wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen worden, so kann in dem Urtheile verfügt werden, daß derselbe vorläufig in Verwahrung zu nehmen und dem Kantone, in welchem er seinen Wohnsitz hat, zu weiterer Behandlung zu überweisen ist.

Art. 171. Das Militärgericht ist befugt, dem Verurtheilten die Kosten der Voruntersuchung und der Hauptverhandlung ganz oder theilweise aufzuerlegen. Der Sold der Militärpersonen, welche hei dem Verfahren thätig gewesen sind, fällt nicht in Eechnung.

Art. 172. Das Urtheil wird den Parteien in öffentlicher Sitzung durch den Großrichter eröffnet, unter Hinweis auf die Eechtsmittel der Kassation und der Revision.

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Die Eröffnung erfolgt durch Verlesen des Urtheilsspruchs und Mittheilung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe.

Art. 173. Das Protokoll über die Hauptverhandlung muß den Gang und die Ergebnisse derselben im Wesentlichen wiedergeben, und die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urtheilsformel enthalten.

Kommt es auf die Feststellung eines Vorganges in der Hauptverhandlung, oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Aeußerung an, so hat der Vorsitzende die vollständige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen.

VI. Verfahreil gegen Abwesende.

Art. 174. Kann der Angeklagte nicht vor Gericht gestellt werden, so wird derselbe dessen ungeachtet durch das zuständige Militärgericht beurtheilt, sofern ein genügender Schuldbeweis vorliegt. Ist Letzeres nicht der Fall, so muß das Verfahren eingestellt werden. Ein freisprechendes Urtheil gegen einen Abwesenden ist nicht zuläßig.

Art. 175. Wenn der in Abwesenheit Verurtheilte sich stellt oder ergriffen wird, so ist das gegen ihn ergangene Strafurtheil auf sein Verlangen von dem G-erichte, welches das Urtheil gefällt hat, aufzuheben. Es findet hierauf das ordentliche Verfahren statt.

TU. Besondere Torschriften betreffend das Terfahren vor den außerordentlichen Militärgerichte!!.

Art. 176. Pur das Verfahren vor den außerordentlichen Militärgerichten gelten die Bestimmungen über das ordentliche miliärgerichtliche Verfahren, sofern nicht in diesem Gesetze hesondere Vorschriften aufgestellt sind.

Art. 177. Gegen Personen, welche der Beurtheilung durch ein außerordentliches Militärgericht unterstellt sind, dürfen Haftbefehle nur mit Bewilligung des Bundesrathes erlassen werden.

Der Bundesrath verfügt nach Schluß der Voruntersuchung, ob und weshalb der Beschuldigte einem außerordentlichen

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Militärgericht zur Beurtheilung zu überweisen, oder ob derselbe außer Verfolgung zu setzen sei.

Der Bundesrath ist berechtigt, voi' ErlaiJ dieser Verfügung eine Aktenvervollständigung zu verlangen.

Die Voruntersuchung führt der Stellvertreter des Oberauditors. Der Oberauditor vertritt die öffentliche Anklage.

Ist einer dieser Beamten verhindert, sein Amt auszuüben, so ernennt der Bundsrath den Stellvertreter.

VIII. Besondere Vorschriften betreffend das Verfahren vor dem Disziplinarhof.

Art. 178. Auf das Verfahren vor dem Disziplinarhof -finden die Bestimmungen über das militärgerichtliche Verfahren insofern Anwendung, als nicht in diesem Gesetze besondere Vorschriften aufgestellt sind.

Art. 179. In den Fällen, welche der Beurtheilung des Disziplinarhofs unterliegen, findet eine Voruntersuchung im Sinne dieses Gesetzes nicht statt. Das Eidgenössische Militärdepartement sammelt die Beweise. Der Bundesrath verfügt .auf den Antrag des Departements die Ueberweisung.

Art. 180. Der Disziplinarhof vernimmt den beschuldigten Offizier von Amteswegen und ergänzt die Akten nach seinem Ermessen.

Art. 181. Die Entlassung des Offiziers kann nur mit vier von fünf Stimmen ausgesprochen werden. Das Urtheil wird nicht begründet. Mit der Entlassung ist gleichzeitig die Versetzung unter die Militärsteuerpflichtigen auszusprechen.

Art. 182. Die Verhandlungen vor dem Disziplinarhof sind nicht öffentlich.

Art. 183. Handelt es sich um einen Obersten, so wird der Disziplinarhof durch die Einberufung von vier Divisionären verstärkt, welche der Bundesrath bezeichnet.

In diesem Falle entscheidet eine Mehrheit von sieben Stimmen.

Art. 184. Der durch Urtheil des Disziplinarhofs entlassene Offizier kann jederzeit an das Eidgenössische Militärdepartement zu Händen des Disziplinarhofes das Gesuch um

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"Wiedererwägung des Entscheides, behufs der Wiedererlangung seines frühem Grades, richten.

IX. Civilansprüche.

Art. 185. Civilansprüche aus einer unter das Militärstrafgesetz fallenden Handlung können vor den Militärgerichten geltend gemacht und von diesen beurtheilt werden. Die Militärgerichte sind berechtigt, die Behandlung solcher Ansprüche abzulehnen.

Art. 186. Wer einen Civilanspruch vor den Militärgerichten geltend machen will, hat denselben spätestens bei dem Beginne der Hauptverhandlung anzumelden.

Die Verhandlung über den Civilanspruch findet unmittelbar nach Verknndung des Strafurtheils statt. Die Parteien erhalten behufs Stellung und Begründung ihrer Anträge das Wort, worauf das Gericht entscheidet.

Art. 187. Gegen das Urtheil über den Civilanspruch ist kein Rechtsmittel zuläßig. Das Urtheil ist vollziehbar, sobald das Strafurtheil rechtskräftig ist.

Art. 188. Wird das Strafurtheil infolge Revision oder Kassation aufgehoben, oder findet im Falle eines TJrtheils gegen einen Abwesenden auf Verlangen des Verurtheilten ein neues Verfahren statt, so wird das Urtheil über den Civilanspruch ohne besondern Entscheid hinfällig.

Findet in einem solchen Falle eine neue Verhandlung vor einem ordentlichen Militärgerichte statt, so kann auch der Civilanspruch wieder zur Behandlung gebracht werden.

Findet eine neue Verhandlung vor einem ordentlichen Militärgerichte nicht statt, so kann der Civilanspruch nur noch vor den bürgerlichen Gerichten geltend gemacht werden.

Art. 189. Wird das Civilurtheil hinfällig, so kann dasjenige, was infolge desselben geleistet worden ist, zurückgefordert werden Art. 190. Lehnt das Militärgericht die Beurtheilung eines Civilanspruches ab, so behält der Geschädigte das Eecht, den Anspruch vor den bürgerlichen Gerichten zu verfolgen.

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III. Abschnitt.

Rechtsmittel.

I. Beschwerde.

Art. 191. Beschwerde ist zuläßig gegen Verfügungen und wegen Nachläßigkeit der Untersuchungsrichter.

Beschwerde können · erheben : der Angeschuldigte, der Auditor, Zeugen, Sachverständige und andere Personen, ·welche durch die Verfügung eines Untersuchungsrichters betroffen werden oder sich üher Nachläßigkeit desselben zu beklagen haben.

Art. 192. Die Beschwerde ist dem Oberauditor einzureichen und wird von diesem nach Untersuchung der Sache endgültig beurtheilt.

In Fällen, welche von einem außerordentlichen Militärgerichte zu beurtheilen sind, geht die Beschwerde zum Entscheid an den Bundesrath.

Art. 193. Ist die Beschwerde gegen eine Verfügung gerichtet, so muß dieselbe innerhalb drei Tagen von der Bekanntmachung der Verfügung an der Post übergeben werden.

Befindet sich der Beschwerdeführer in Haft, so genügt die TIebergabe an den Gefängnißwärter, welcher verpflichtet ist, die Abgabe zur Post zu besorgen.

Art. 194. Durch die Beschwerde wird der Vollzug der angefochtenen Verfügung und die Fortführung der Untersuchung nicht gehemmt.

Art. 195. Gegen Verfügungen des Großrichters oder des urtheilenden Gerichts findet keine Beschwerde statt.

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II. Kassation.

Art 196 Die Kassation findet gegen Urtheile der ordentlichen Militärgerichte statt.

Art. 197. Die Kassation kann nur darauf gestützt werden, daß das Urtheil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

Ein Urtheil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen : 1) wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsgemäß Qder im Hinblick auf einen gesetzlichen Ausschließungsgrund oder eine begründete Ablehnung unrichtig besetzt war; 2) wenn das Gericht seine sachliche Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; 3) wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; 4) wenn das Urtheil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei welcher die Vorschriften über die Oeffentlichkeit des Verfahrens oder andere, das Verfahren betreffende wesentliche Vorschriften verletzt sind; 5) wenn das Urtheil keine Entscheidungsgründe enthält.

Aus den bei Ziffer l--4 genannten Gründen kann die Kassation nur dann begehrt werden, wenn die betreffende Partei während des Laufes der Hauptverhandlung einen bezüglichen Antrag gestellt oder den Mangel gerügt hat.

Art. 198 Die Kassation kann von dem. Auditor und von dem Angeklagten (Vertheidiger) angerufen werden.

Das Kassationsbegehren ist binnen 24 Stunden nach der Eröffnung des Urtheilsspruches mit schriftlicher Begründung dem Gerichtsschreiber zu Händen des Großrichters einzureichen.

Der Großrichter hat zu einläßlicher Begründung des Gesuches auf Begehren eine Frist von höchstens 5 Tagen zu gewähren. Alsdann stellt er das Gesuch dem Kassationsgegner zur Vernehmlassung zu und bestimmt demselben für Einreichung von Gegenbemerkungen ebenfalls eine Frist bis zu

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5 Tagen. Nachher sendet der Großrichter das Gesuch mit den Akten und seinem Bericht über die in Betracht kommenden Thatsachen unverzüglich dem Oberauditor.

Durch ein rechtzeitig angebrachtes Kassationsbegehren wird die Rechtskraft des Urtheils gehemmt ; vorbehalten bleibt Art 221.

Art. 199. Der Oberauditor übersendet das Zassationsbegehren dem Vorsitzenden "des Kassationsgerichts und legt seine allfälligen Bemerkungen und Anträge bei.

Art. 200. Der Vorsitzende des Kassationsgerichts setzt die Akten bei den Mitgliedern des Gerichts in Umlauf, bestimmt den Tag der Verhandlung und erläßt die erforderlichen Ladungen.

Art. 201. Der Prüfung des Kassationsgerichts unterliegen nur die gestellten Anträge und, insoweit die Kassation auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur diejenigen Thatsachen, welche bei Anbringung der Kassation bezeichnet worden sind.

Art 202 Insoweit die Kassation als begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urtheil aufzuheben.

Art 203. Findet Kassation lediglich wegen falscher Anwendung des Gesetzes statt, so fällt das Kassationsgericht gleichzeitig selbst das dem Gesetz entsprechende Urtheil.

Art. 204. Wird Kassation ausgesprochen, weil das urtheilende Gericht sich mit Unrecht für zuständig erachtet hatte, so spricht das Kassationsgericht die sachliche Unzuständigkeit der Militärgerichte aus.

Art. 205. Wird ein Urtheil aus einem andern Grunde kassirt, so weist das Kassationsgericht die Sache an das Militärgericht, welches geurtheilt hatte, zurück.

Das Eassationsgericht kann die Sache auch an ein anderes ordentliches Militärgericht verweisen.

Art. 206 Das Urtheil des Kassationsgerichts wird dem Oberauditor, dem Verurtheilten (Angeklagten) und dem Großrichter durch Zustellung eines Auszugs eröffnet.

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Art. 207. Das Gericht, an welches die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung gewiesen wird, hat die rechtliche Beurtheilung, welche der Aufhebung des Urtheils zu Grunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.

III. Revision.

Art. 208. Der Verurtheilte oder dessen Erben können jeder Zeit auf Grund neuer, für die Vertheidigung erheblicher Thatsachen oder Beweismittel die Revision (Wiederaufnahme) eines durch rechtskräftiges Urtheil geschlossenen militärgerichtlichen Verfahrens verlangen.

Der Auditor kann, auf Weisung des Eidg. Militärdepartements, die Revision verlangen, wenn das Urtheil durch, eine strafbare Handlung herbeigeführt worden ist, oder wenn nachträgliches Geständniß erfolgt.

Die Weisung ist vom Bundesrathe zu ertheilen, wenn es sich um das Urtheil eines außerordentlichen Militärgerichtes handelt.

Art. 209. Das Revisionsbegehren wird dem Kassationsgerichte eingereicht. Das Gericht hat darüber nach Einholung eines Berichtes des Oberauditors und uach vorgängiger Untersuchung der Sache zu entscheiden.

Art. 210. Wird dem Revisionsbegehren entsprochen, so überweist das Kassationsgericht die Akten dem zuständigen Militärgerichte mit dem Auftrage zu erneuter Verhandlung.

Das Gericht kann gleichzeitig die einstweilige Einstellung des Strafvollzuges anordnen.

Art. 211. Die neue Behandlung des Falles erfolgt nach den ordentlichen Vorschriften ; jedoch dürfen die der Revisionsbehörde vorgelegten neuen Beweismittel weder von dem Großrichter noch von dem Gerichte selber als unerheblich ausgeschlossen werden.

Art, 212. Bis zur gänzlichen oder theilweisen Aufhebung durch einen neuen Spruch bleibt das frühere Urtheil in Rechtskraft.

Art. 213. Bei Todesurtheilen wird der Strafvollzug schon durch die Anbringung des Eevisionsbegehrens gehemmt.

Vorbehalten bleibt Art. 221.

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IV. Abschnitt.

Strafvollzug.

Art. 214. Ein militärgerichtliches Uk'theil wird rechtskräftig, wenn die Frist zur Einreichung eines Kassationsbegehrens unbnützt verstrichen ist.

Art. 215. Wenn ein militärgerichtliches Urtheil rechtskräftig geworden ist, setzt der Großrichter unter die Ausfertigung des Urtheils den schriftlichen Vollziehungsbefehl.

Art. 216. Im Fall der Verurtheilung wird die Ausfertigung des Urtheils der Eegierung desjenigen Kantons, in welchem der Verurtheilte seinen Wohnsitz hat, zur Vollziehung zugesandt.

Ein Protokollauszug, das Straferkenntniß enthaltend, soll durch die Vermittlung des Bundesrathes der Regierung des Heimatkantons des Verurtheilten zugesandt werden, sofern der Letztere seinen Wohnsitz nicht im Heimatkantone hat.

Art. 217. Geldbußen werden von den kantonalen Behörden eingezogen und im Falle des Eingangs der eidgenössischen Staatskasse abgeliefert. Gegen die Erben des Verurtheilten findet auch für Geldbußen kein Strafvollzug statt.

Art 218. Wird eine Geldbuße nicht bezahlt, so ist für je fünf Franken Buße ein Tag Gefangenschaft zu setzen und zu vollstrecken.

Art 219. Freiheitsstrafen werden von demjenigen Kanton vollzogen, in welchem der Verurtheilto seinen Wohnsitz hat.

Der Verurtheilte wird zu dem Zwecke der obersten Polizeibehörde des Kantons, in ·\Yelchein er wohnt, zugeführt.

Art. 220. Die Todesstrafe wird nach Kommandanten derjenigen Einheit vollzogen, urtheilte angehört. Gehört der Verurtheilte rischen Truppenverbande an, so beauftragt einen Offizier mit der Vollziehung.

dem Befehl des welcher der Verkeinem schweizeder Bundesrath

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Die Vollziehung der Todesstrafe erfolgt durch Erschießen, zu -welchem Zwecke eine Abtheilung Gewehrtragender kommandirt wird. Eine Verordnung des Bundesrathes wird darüber das Nähere bestimmen.

Art. 221. In Kriegszeiten kann das Gericht den sofortigen Vollzug des Urtheils, ohne Rücksicht auf ein Kassations-, Eevisions- oder Begnadigungsgesuch, beschließen, wenn das Wohl des Vaterlandes nach einstimmiger Ansicht des Gerichts dies erfordert.

Art. 222. Sind dem Verurtheilten Kosten auferlegt worden, so werden dieselben nach den Vorschriften üher die Vollstreckung der Civilurtheile eingezogen. Eine Umwandlung in Gefangenschaft findet jedoch in diesem Falle nicht statt.

Art. 223. Die Kosten des Strafvollzuges trägt die Eidgenossenschaft nach den in der Verordnung über das Rechnungswesen der Militärjustiz aufzustellenden Bestimmungen.

V. Abschnitt.

Begnadigung Art. 224. Ein militärgerichtlich zum Tode oder zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilter kann bis zum Schlüsse der Vollstreckung beim Bundosrathe, im Falle des aktiven Dienstes beim Höchstkommandirenden, um Begnadigung einkommen.

Ist das Urtheil von einem außerordentlichen Militärgerichte gefällt, so steht das Recht der Begnadigung der Bundesversammlung zu.

Art. 225. Nach Verbüßung der Hauptstrafe kann der zum Verlust der bürgerlichen Eechte und Ehren Verurtheilte jederzeit beim Bundesrathe die Wiedereinsetzung in den bürgerlichen Ehrenstand nachsuchen.

Art. 226. Die Einreichung eines Begnadigungsgesuches hemmt den Strafvollzug nur, wenn das Urtheil auf Todesstrafe lautet. Vorbehalten bleibt Art. 221.

Art. 227. Die Civilfolgen eines Strafurtheils und das Kostenerkenntniß werden durch die Begnadigung nicht herührt.

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Uebergangs- und Schliißbestimmungen.

Art. 228. Militärgerichtliche Voruntersuchungen, die in dem Zeitpunkte, in welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, noch nicht beendigt sind, sollen nach den Vorschriften des Bundesgesetzes über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 27. August 1851, und von den bisherigen Behörden zu Ende geführt werden. Dagegen findet in Bezugauf die übrigen Theile des Verfahrens (Entscheid über Eröffnung des Hauptverfahrens, Hauptverhandlung, Bechtsmittel, Strafvollzug und Begnadigung) das gegenwärtige Gesetz Anwendung.

lieber vorkommende Anstände ist die Weisung des Oberauditors einzuholen.

Art. 229. Die erstmalige Amtsdauer der sofort nach.

Inkrafttreten dieses Gesetzes vom Bundesrathe zu wählenden.

Behörden und Beamten der Militärjustiz wird in der Weise bestimmt, daß sie mit der dreijährigen Amtsdauer der übrigen militärischen Behörden und Beamten des Bundes zu Ende geht.

Im Laufe einer Amtsdauer stattfindende Ersatzwahlen werden jeweilen nur für den Rest derselben getroffen.

Art. 230. Durch dieses Gesetz werden nebst allen übrigen mit demselben im Widerspruch stehenden eidgenössischen und kantonalen Gesetzen, Verordnungen undReglementen außer Wirksamkeit gesetzt: 1) Von dem Bundesgesetze über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 27. August 1851, die Artikel l, 2, 3, 36, 37, sowie die Artikel 204 bis und mit 449 ; 2) der Bundesbeschluß, enthaltend Zusatzartikel zum Bundesgesetz über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 10. Heumonat 1854.

Art. 231. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Brachmonat 1874 betreffend die Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse die Veröffentlichung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend ein Bundesgesetz über die Militärstrafgerichtsordnung. (Vom 10. April 1888.)

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1888

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21.04.1888

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