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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888.

(Vom 11. Juni 1888.)

Tit.

Mit Schreiben vom 16. Mai 1888 hat uns der Regierungsrath von Uri die neue Verfassung des Kantons zur Kenntnißnahme und Prüfung übersandt, mit dem Beifügen, daß diese Verfassung von der Landesgemeinde am 6. Mai d. J. mit großer Mehrheit angenommen worden sei, und mit dem Ersuchen, dieselbe der Bundesversammlung zur Genehmigung empfehlen zu wollen.

Wir sind heute in der Lage, Ihnen unsern bezüglichen Bericht zu erstatten.

Das bisherige konstitutionelle Recht des Kantons Uri beruhte auf der Verfassung vom 5. Mai 1850, mit Abänderungen und Ergänzungen vom 27. Oktober 1850 und vom 4. Mai 1851, welche als Ganzes durch Bundesbeschluß vom 11. August 1851, mit einer Erläuterung und mit Ausnahme eines Artikels, die eidgenössische Garantie erhielten, im Weitern auf einem am 17. Dezember 1873 von der Bundesversammlung theilweise genehmigten Dekrete vom 5. Mai 1872 betreffend das Repräsentationsverhältniß im Landrathe und in den Bezirksräthen, endlich auf einem Gesetze vom 4. Mai 1879 betreffend Reorganisation des Gerichtswesens, das am 17. Dezember 1879 bundesgemäß gewährleistet wurde.

Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. III.

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54G Die neue Verfassung stellt sieh nicht bloß in redaktioneller Beziehung als eine sorgfältige Umarbeitung der bisherigen Bestimmungen dar, sie enthält auch eine Reihe gewichtiger und bemerkenswerther materieller Aenderungen und Neuerungen.

Das neue Verfassungsrecht mit dein alten vergleichend heben wir folgende Einzelheiten hervor: Art. 2 hat eine ganz neue Fassung erhalten. Während der bisherige § 3 die christlich-römisch-katholische Religion als diejenige des Kantons Uri erklärte, sagt nun Art. 2, Abs. l : ,,das Volk des Kantons Uri bekennt sich in seiner großen Mehrheit zur römischkatholischen Religion".

Wir haben diesem Satze gegenüber zu bemerken, was wir in unserer Botschaft vom 8. Juli 1876 in Betreff des gleichlautenden § 2 der Schwyzer Verfassung gesagt haben, daß er nämlich bloß eine nach den amtlichen statistischen Erhebungen vorliegende Thatsache konstatirt, ohne irgendwelche verfassungsrechtliche Bedeutung zu besitzen. Es darf für die Bekenner der römischkatholischen Religion aus der besondern Stellung, die derselben hier eingeräumt ist, keinerlei Vorrecht abgeleitet werden (vergi. Bundesblatt 1876, III, S. 369 und 370).

Der Art. 3 garantirt den Gemeinden das Wahlrecht (Präsentation) ihrer Geistliehen und erklärt dasselbe gleichzeitig als unveräußerlich. ,,Präsentation" fügt die Verfassung hinter ,,Wahlrecht" erläuternd bei, weil die Wahl erst durch die Bestätigung der obern kirchlichen Behörde zu einer definitiven wird. Dieses Recht, dessen in der alten Verfassung nicht erwähnt wird, seheint gleichwohl sehr alten Ursprungs zu sein; dasselbe wird auf Papst Julius II.

zurückgeführt, welcher es den urnerischen Gemeinden verliehen habe. Dasselbe ist nun ausdrücklich au einem verfassungsmäßigen gemacht und als nicht abtretbar erklärt worden. In Art. 46, litt, g, Ziff. 8, wird unter den Obliegenheiten der Gemeindeversammlung ,,die Wahl der Geistlichen, Kollaturrechte und bestehende zeitweilige Wahldelegationen vorbehalten", aufgeführt. Die Wahl ist im Sinne des Art. 3 als Präsentation aufzufassen ; in Bezug auf die Wahldelegationen, die nun als ,,zeitweilige" erklärt sind, mag hier erläuterungsweise bemerkt werden, daß Andermatt und Realp vor vielen Jahren schon die Seelsorge den Kapuzinern abgetreten haben uud Hospenthal vor einigen Jahren ein Gleiches gethan hätte, wenn nicht der
Gemeindebeschluß vom Regierungsrath kassirt worden wäre.

Art. 4 lautet, inhaltlich gleich, wie § 4 der bisherigen Verfassung: ,,der Fortbestand der Stil'te und Klöster, die Unverletzlich-

547 keit und Selbstverwaltung ihres Vermögens und die Novizenaufuahme sind garantir!-, mit Vorbehalt der Oberaufsicht des Staates nach darüber bestehenden Landesgesetzen.

,,Ihr Vermögen ist gleich anderai Privatgute den Steuern unterworfen."

,,Der Erwerb und die Veräußerung von Liegenschaften der Stifte und Klöster bedürfen der Genehmigung des Regierungsrathes."

Diese Bestimmungen werden als altes urnerisehes Recht bezeichnet. Der vorn Staate geleisteten Garantie stehen nach den Landesgesetzen nicht unbedeutende staatliche Aufsichtsrechte hinsichtlich der Vermögensverwaltung und der Novizenaufnahme gegenüber : Die Staatsbehörden prüfen die Rechnungen und genehmigen die Aufnahme von Novizen.

Im Jahre 1851 wurde § 4 der damaligen Verfassung von Uri von den Bundesbehörden nicht genehmigt. Der bezügliche Bundesbeschluß sagt zwar in Erwägung 2: .,,daß sie (die Verfassung) nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwiderläuft, indem namentlich der in Art. 4 (sollte heißen § 4) gewährleistete Fortbestand der Klöster nicht anders als unter Vorbehalt der in Art. 44 und 46 der Bundesverfassung dem Bunde eingeräumten Rechte, und so lange die oberste Behörde von Uri die Klöster beibehalten wissen will, verstanden werden kann.a In seinem zweiten Dispositiv aber nimmt der Beschluß den § 4 von der Bundesgarantie geradezu aus, indem er sagt: ,,2. Der § 4 dieser Verfassung, soweit er sich auf den Fortbestand der Klöster bezieht, kann nicht Gegenstand eidgenössischer Garantie sein."

Es ist von staatsrechtlichem Interesse, den Gedankengang zu verfolgen, der die Behörden der Eidgenossenschaft zu diesem Beschlüsse geführt hat.

Die Frage, in welcher Rechtsstellung sich der Bund gegenüber der Bestimmung einer kantonalen Verfassung befinde, welche den Klöstern und kirchlichen Stiftungen ihren Fortbestand gewährleistet, wurde zum ersten Male unter der Herrschaft der Bundesverfassung von 1848 bei Anlaß der Genehmigung der Nid waldner Verfassung vom 1. April 1850 erörtert. Diese Verfassung enthielt in § 4 die Gewährleistung der Klöster und kirchlichen Stiftungen von Nidwaiden. In seiner Botschaft an die Bundesversammlung vom 27. April 1850 äußerte sich der Bundesrath hierüber mit folgenden Worten : ,,Einiges Bedenken mag der § 4 (der Verfassung von Nidwaiden) erregen, wodurch der Fortbestand der Klöster gewährleistet wird, woraus man schließen kann, daß der Bund indirekt denselben auch garantire. Allein es wird in der That die Ver-

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Fassung garantirt, welche alle Jahre vom Kanton abgeändert werden kann, und man darf wohl keinem Kantone verbieten, durch seine Verfassung Institute zu garantiren welche an sieh nicht rechtswidrig sind. Dabei versteht es sieh indeß von selbst, dass der Bund durch die Garantie einer solehen Verfassung keineswegs Verzieht leistet auf Maßnahmen, welche er nach Inhalt der Bundesverfassung, sei es wegen politischen Bewegungen oder im Interesse des Friedens unter den Konfessionen, unter Umständen, gegen Klöster zu treffen befugt wäre. Denn es kann überhaupt die Garantie einer Kantonsverfassung nie den Sinn haben, daß die durch die Bundesverfassung aufgestellten Rechte des Bundes den Interessen eines Kantons oder kantonalen Institutionen untergeordnet werden."

DerBundesrathh beantragte folgerichtig die Genehmhaltung der Nidwaldner Verfassung, ohne in Betreff des § 4 derselben irgend welchen Vorbehalt; anzubringen.

Einen Schritt weiter ging die ständerräthliche Kommission, welche dem erwähnten § 4 die Genehmigung des Bundes nicht versagen, jedoch in einer Erwägung dem Gedanken Ausdruck verleihen wollte, ,,daß der gewährleistete Fortbestand der Klöster nicht anders als unter Vorbehalt der in Art. 44 (nun 50) und 46 (nun 56) der Bundesverfassung dein Bunde eingeräumten Rechte verstanden werden könne." Der Berichterstatter der Kommission, Dr. Blumer, erklärte die Aufnahme eines solchen Vorbehalts für nöthig, indem er sich in seinem Berichte vom 2. Mai 1850 folgendermaßen aussprach : ,,Wenn es im Allgemeinen Sache der Kantone ist, darüber zu verfügen, ob sie in ihrem Gebiete noch Klöster bestehen lassen wollen oder nicht, und mit Bezug auf innere Verhältnisse eine solche Bestimmung auch um so unbedenklicher genehmigt werden darf, als, wenn die Verfassung immer revidirt werden kann, die Klöster auch zu jeder Zeit aufgehoben werden können, so ist es dagegen wichtig, den Gedanken festzuhalten, daß Verhältnisse eintreten können, in denen die Erhaltung des konfessionellen Friedens und der öffentlichen Ordnung dein Bunde das Recht und die Pflicht auferlegen würden, von sich aus gegen einzelne Klöster einzuschreiten. Es versteht sich, daß in solehen Fällen die Bestimmung einer Kantonsverfassung vor dem klaren Inhalte der Bundesverfassung zurücktreten müßte, gleichwie man bei der Gewährleistung der Verfassung des
Kantons Thurgau im Allgemeinen von dem Grundsätze ausgegangen ist, daß schon dadurch, daß dieser Stand als Bundesglied sich bekenne, die Bestimmungen der Bundesverfassung überall vorbehalten seien. Wenn indessen vorausgesetzt werden konnte, daß die Verfügung über die bewaffnete Macht, welche dem Großen Rathe von Thurgau zusteht, nie anders als unter den Beschränkungen, welche die

549 Bundesverhältnisse mit sich bringen, verstanden werde, so dürfte das Gleiche nicht unbedingt von dem in der Nidwaldner Verfassung garantirten Fortbestand der Klöster gesagt werden. Damit also weder der Kanton Unterwaiden nid dem Wald über die Bedeutung der ertheilten Gewährleistung sich täusche, noch diese jemals den Bundesbehörden entgegengehalten werden könne, wenn sie allfällig zu einer Anwendung der Art. 44 und 46 in dem angedeuteten Sinne sich veranlaßt linden sollten, finden wir es zweckmäßig, daß in die Motivirung des von der Bundesversammlung zu fassenden Beschlusses ein daheriger Vorbehalt aufgenommen werde.a Der Ständerath stimmte am ü. Mai 1850 dem Antrage seiner Kommission bei.

Auch die Kommission des Nationalrathes wollte diesem Beschlüsse beitreten. Ihr Berichterstatter, Dr. Kasimir Pfyffer, wiederholte in seinem Berichte vom 7. Mai 1850 die vom ständeräthlichen Berichterstatter vorgebrachten Gründe, die einen Vorbehalt in der Motivirung als "sachgemäß" erscheinen ließen. Allein der Nationalrath beschloß unterm 8. Mai 1850, es sei die nachgesuchte eidgenössische Garantie der Verfassung des Kantons Unterwaiden nid dem Wald für so lange nicht zu ertheilen, ,,bis (ein anderer, hier nicht in Betracht kommender Artikel abgeändert und) der Artikel (§) 4 beseitigt sein wird, welcher den Fortbestand der Klöster und religiösen Korporationen gewährleistet."

Da der Ständerath gleichen Tages beschloß, an seiner Schlußnahme vom 3. Mai festzuhalten, so kam der Nationalrath am folgenden Tage, den 9. Mai 1850, ihm soweit entgegen, daß er in Hinsicht auf den beanstandeten § 4 diejenige Erwägung aufstellte und dasjenige Dispositiv annahm, welche in wörtlich gleicher Fassung im Bundesbeschlusse vom 11. August 1851 über die Verfassung des Kantons Uri sich finden und von uns oben mitgetheilt sind. Der Ständerath erklärte nun seine Zustimmung.

Der Bundusbeschluß in Ansehung des § 4 der NidwaldnerVerfassung wurde maßgebend und vorbildlich für die Antrage des Bundesrathes und der parlamentarischen Kommissionen und die Beschlußfassung beider gesetzgebenden Räthe in Hinsicht auf die inhaltlich gleichlautenden Art. 2l der Obwaldner Verfassung vom 28. April 1850 und § 4 der Urner Verfassung vom 5. Mai 1850 (vergl. Ullmer l, Nr. 27-29).

Am 27. Oktober 1867 nahm die Landgemeinde von Obwalden eine neue
Verfassung an, welche den vom Bunde nicht genehmigten Art. 21 der frühern, betreffend den Fortbestand der Klöster, nicht mehr enthält, aber in Art. 10 das Eigenthum der Privaten, der

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Gemeinden, öffentl. .ehen Genossenschaften und geistlichen und weltlichen Korporationen für unverletzlich erklärt und ihnen die gesetzliche Verwaltung desselben und die rechtmäßige, bezw. stiftungsgemäße Verfügung: über dessen Ertrag gewährleistet, auch die Errichtung neuer Korporationen für immerwährende Zwecke vorsieht, unter Vorbehalt der Bewilligung des Kantonsrathes, ,,welche jedoch ertheilt werden soll, wenn nicht Gefährde der Moralität oder des öffentlichen Wohles hiermit offenbar verbunden ist."

Die Bundesversammlung hat am 14./18. Dezember 1867 auf den Autrag des Bundesrathes und · ihrer Kommissionen (Berichterstatter im Ständerath Dr. Rütlimann, im Nationalrath Suter [St. Gallen]) diese- Verfassung ohne irgendwelchen Vorbehalt zu Art. 10 die eidgenössische Garantie ertheilt.

Anders wurde es gehalten mit Bezug auf die von Schwyz im Jahre 1876 revidirte Verfassung. Dieselbe gewährleistet in § 13 neben der Unverletzlichkeit des Eigenthums jedem Bezirk, jeder Gemeinde, sowie juder geistlichen und weltlichen Korporation auch die Verwaltung und die Befugniß, die Art und Weise der Benutzung und der Verwaltung ihrer Güter selbst zu bestimmen, und in § 20 sichert sie den Klöstern den Schutz des Staates zu.

Der Bundesrath und, ihm beipflichtend, die Bundesversammlung glaubten im Hinblick auf diese beiden Bestimmungen der Schwyzer Verfassung dem Ratifikationsbeschluß vom 20. März 1877 die Erwägung vorausschicken zu sollen, ,,daß wenn auch die §§ 13 und 20, einzeln genommen, nichts enthalten, was mit der Bundesverfassung im Widersprüche wäre, dennoch in ihrer Wechselbeziehung die Gewährleistung der Klöster liegt; daß aber der Bund eine solche Gewährleistung nicht übernehmen kann, vielmehr die aus Art. 51, Satz 2, cer Bundesverfassung entspringende Befugniß vorbehalten muss." Die Genehmigung erfolgte dann ,,im Sinne der Erwägungen."

Im Jahre 1877 revidirte Nidwaiden seine Verfassung. Bei diesem Anlaße wurde der alte § 4, der im Jahre 1850 so viel zu reden gegeben hatte, in folgenden Art. 4 umgewandelt: ,,Der Kanton gewährleistet den Klöstern und kirchlichen Stiftungen mit Vorbehalt der Bestimmungen der Bundesverfassung den Fortbestand Bezüglich der Steuern gilt auch für die Klöster und kirchlichen Stiftungen der Ar;. 24 der Vorfassung."

I» seiner Botschaft vom (Î. November 1877 (Bundesblatt 1877,
IV, 378 ff.) drückt sieh der Bundesrath über die neue Form dieses Artikels aus wie folgt: ,,Der Art. 4 gewährleistet den Fortbestand der Klöster und kirchlichen Stiftungen mit Vorbehalt der Bestim-

551 mungen der Bundesverfassung. Die Bundesversammlung hat jedoch bereits in ihrem Beschlüsse vom 20. März 1877, betreffend die Gewährleistung der Kantonsverfassung von Schwyz, erklärt, daß «der Bund eine Gewahrleistung der Klöster nicht übernehmen könne, vielmehr bezüglich derselben die aus Art. 51, Satz 2, der Bundesverfassung für ihn entspringende Befugniß vorbehalten müsse. Das Gleiche gilt auch von den kirchlichen Stiftungen. Da nun der Art. 4 der Nidwaldner-Verfassung die Bestimmungen der Bundesverfassung ausdrücklich vorbehält, so genügt hier die Erwähnung, in welchem Sinne dieselben zu verstehen siud.a Durch Bundesbeschluß vom 7. Dezember 1877 ist sodann die Verfassung von Nidwaiden gewährleistet worden, ohne daß in einer Erwägung oder einem Erkenntnisse des Art. 4 derselben irgendwie mehr erwähnt wurde.

Wir können uns des Eindruckes nicht erwehren, daß die Bundesbesehlüsse von 1850/51 und diejenigen, welche, auf jenen fußend, seither mit Bezug auf die in kantonalen Verfassungen enthaltene Garantie von Klöstern und geistlichen Stiftungen gefaßt worden sind, mehr auf einem praktisch-politischen, denn auf einem klaren staatsrechtlichen Gedanken beruhen, und daß sie der logischen Folgerichtigkeit entbehren. Auch stimmen sie unter einander nicht überein. Einmal wird die angefochtene kantonale Verfassungsbestimmung von der eidgenössischen Gewährleistung ausgenommen, aber nicht für unzuläßig erklärt; ein anderes Mal, da der kantonale Gesetzgebei (in Obwalden 1867) eine die weltlichen und geistlichen Korporationen, d. h. deren Eigenthum und stiftungsgemäße Verwaltungsbefugniß in gleicher Weise umfassende Garantie aussprach, genehmigte man die Bestimmung ohne irgend welche Bemerkung; in einem dritten Falle (Schwyz 1876) wird von ganz ähnlich lautenden Bestimmungen in den Erwägungen gesprochen, als ob sie mit der Bundesverfassung nicht vereinbar wären, die Garantie aber gleichwohl übernommen, wenn auch bloß ,,im Sinne der Erwägungen1*; in einem vierten Falle endlich (Nidwaiden 1877) wird der kantonalen Klostergarantie nur in der bundesräthliohen Botschaft, nicht aber im Bundesbeschlusse selbst, weder in dessen Erwägungen noch im Dispositiv, Erwähnung gethan, da der kantonale Gesetzgeber so vorsichtig war, von sich aus der fraglichen Bestimmung den ,,Vorbehalt der Bestimmungen der Bundesverfassung"
1 anzuhängen.

Unseres Erachtens hatte der Bundesrath das Richtige getroffen, als er in seiner Botschaft vom 27. April 1850 sich dahin aussprach, daß der Bund durch die Garantie der kantonalen Verfassungen nicht deren Institutionen zu eidgenössischen erhebe, daß man keinem Kantone verbieten könne, Institute zu garantiren, welche an sich nicht

552 rechtswidrig sind, und daß selbstverständlich der Bund durch die Garantie einer solchen Verfassungsbestimmung sich seiner eigenen, nach Maßgabe der Bundesverfassung ihm zustehenden Hoheitsrechte und Befugnisse keineswegs begebe. Man wäre daher, wie uns scheint, für alle Fälle weit genug gegangen, wenn man in einer Erwägung zum Beschlüsse diesem Gedanken Ausdruck verliehen hätte, wie es der Ständerath auf das Referat Dr. Blumer's that und die nationalräthliche Kommission nach der Berichterstattung Dr. Kasimir Pfyffer's thun wollte. "Wir v e r s t e h e n vom for m ollen Standpunkte aus den Beschluß des Nationalrathes vom 8. Mai 1850, der die Bundesgarantie versagte, bis die Klostergarantie aus der kantonalen VerfassungO beseitigt".

sein würde. Unverständlich aber ist uns der O aus dem Kompromiß zwischen Nationalrath und Ständerath am 9. Mai 1850 hervorgegangene Beschluß, welcher die blindesverfassungsmäßigen Rechte in den Erwägungen vorbehält, gleichzeitig aber im Dispositiv die kantonale Bestimmung von der Crewährleistung ausschließt, ,,weil sie nicht Gegenstand eidgenössischer Garantie sein könne".

Dem Bunde kommt es als eine verfassungsmäßige Befugniß und O b l i e g e n h e i t zu, den Kantonen ihre Verfassungen und den Bürgern ihre verfassungsmäßigen Rechte zu gewährleisten (Art. 5 der Bundesverfassung), und die Kantone sind v e r p f l i c h t e t , für ihre Verfassungen die Gewährleistung des Bundes nachzusuchen (Art. 6). Der Bund übernimmt die verlangte Garantie, wenn aie kantonale Verfassung gewissen Erfordernissen entspricht (Art. 6).

Die Prüfung der Bundesbehörde hat sich auf die g a n z e Verfassung, eines Kantons, eine jede einzelne Bestimmung derselben, zu erstrecken, und die eidgenössische Garantie ist ihr voll und ganz oder gar nicht oder mit Ausschließung derjenigen einzelnen Bestimmungen, welche als der Bundesverfassung zuwiderlaufend erachtet werden, zu ertheilen. So lautet auch vollkommen zutreffend der Bundesbeschluß vom 3. Februar 1853 betreffend die Verfassung des Kantons Graubünden in Erwägung l : ,,daß von dem Zeitpunkte au, wo die neue schweizerische Bundesverfassung vorn Jahre 1848 in Kraft getreten, alle behufs Ertheilung der eidgenössischen Gewährleistung geschehenden Verfassungsvorlagen seien os Gesammtverfassungen oder einzelne Verfassungsgesetze mit gedachter
Bundesverfassung in vollem Einklänge stehen müssen. a (A. S., III, 337.)

Die Bundesbeschlüsse von 1850/51 beabsichtigten ausgesprochenermassen nicht, zu erklären, daß diekantonalrechtlichee Garantie des Fortbestandes der Klöster und geistlichen Stiftungen der Bundesverfassung widerspreche, es sollte undwolltee bloß die letztere der kantonalen Bestimmung gegenüber vorbehalten werden.

553 Es war daher nicht richtig, die kantonale Bestimmung von der eidgenössischen Gewährleistung auszuschließen. Entweder -- oder.

Es gibt kein kantonales Verfassungsrecht, das dem Bunde gleichgültig wäre, so daß er dessen Gewährleistung w e d e r auszusprechen n o c h zu verweigern sieh bemüßigt finden könnte. Seit der Neugestaltung, welche unser Bundesrecht durch die eidgenössischen Verfassungen von 1848 und ganz besonders 1874 erfahren hat, ist es zur unbedingten staatsrechtlichen Notwendigkeit geworden, daß der Bund sich in Hinsicht auf jede kantonale Verfassungsbestimmung klar und deutlich ausspreche, ob sie mit dem Bundesrechte im Einklänge stehe oder nicht. Im letzteren Falle hat er dieselbe von der Bundesgarantie auszunehmen, in dem Sinne, daß sie nach Maßgabe des Art. 2 (früher Art.. 4, Absatz 2) der Uebergangsbestimmungen der Bundesverfassung außer Kraft gesetzt wird.

Denn Art. 5 (der frühern und jetzigen) Bundesverfassung sichert jedem Schweizerbürger ,,das unschätzbare Recht zu, die Intervention der Bundesbehörden anzurufen, nicht bloß wenn Bundes- und Konkordats Vorschriften, sondern auch wenn ausdrückliche Bestimmungen der kantonalen Verfassungen von den Behörden mißachtet worden sind, mag dieses nun in den größern politischen Verhältnissen des Kantons oder mit Bezug auf individuelle Rechte des Einzelnen geschehen sein. Erst hierdurch ist die Garantie der Verfassungen eine volle Wahrheit geworden. a (Blumer-Morel. Bundesstaatsrecht, 1,184.)

I n f o l g e der vom Bunde übernommenen Garantie, sagt dasselbe Handbuch des schweizerischen Bundesstaatsrechtes (a. a. 0.

S. 471), steht unzweifelhaft nach heutigern schweizerischen Staatsreehte den ßundesbehörden der letzte und endgültige Entscheid, über die Auslegung kantonaler Verfassungen zu.

Wie nun, wenn der Bund zu einer kantonalen Verfassungsbestimmung weder Ja noch Nein sagt, sondern sich damit begütigt zu sagen, sie könne nicht Gegenstand eidgenössischer Garantie sein?

Besteht dieselbe t r o t z d e m als kantonales Recht fort und würde sie eventuell zu Gunsten von Beschwerdeführern, wenn die kantonalen Behörden sie verletzen wollten, von der Bundesbehörde (dem Bundesgerichte) aufrecht erhalten werden ?

Diese Fragen müssen aufgeworfen und beantwortet werden, man kann sie nicht umgehen.

Nach der den Bundesbeschlüssen von 1850 und
folgenden Jahren zu Grunde liegenden Anschauungsweise wären derartige Bestimmungen zwar kantonales Verfassungsrecht, sie entbehrten aber des eidgenössischen Schutzes. Ein solches Rechtsverhälniß ist unzuläßig, weil der Bundesverfassung zuwiderlaufend. Dasselbe kann daher auch nicht in Ansehung der urnerischen Klöster und Stifte bestehen.

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Wir sind der Ansicht, daß beim vorliegenden Anlasse klares Recht geschaffen werden solle.

Das möchten wir nun aber nicht etwa in Form einer Erwägung thun, wie aie bei der Gewährleistung der Verfassung von Schwyz 1877 aufgestellt wurde.

Es handelt sieb ja nicht um eine kantonale Verfassungsbestimmung, welche mit Vorschriften der Bundesverfassung in direktem Widerspruch steht oder dieselben auf eine unzulässige Weiseinter-pretirt, und daher, wie Blumer-Morel (a. a. 0. S.

der Urner Verfassung von 1850 sagt, von der eidgenössischen Gewährleistung auszuschließen ist ; es handelt sich blos um eine Vorschrift, bei der die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen ist, daß sie in einem zu absoluten, mit gewissenVerfassungsgrundsätzenn oder Hoheitsrechten des Bundes, wie sie z. B . i n u den Art. 49, 50, 51 der Bundesverfassung niedergelegt sind, sieh nicht vertragenden Sinne ausgelegtwerdenn könnte. Daher wird es vollkommen genügen, wenn in einer demGarantitebeschlüssee vorausgehenden Erwägung einfach an die ü b e r der kantonalen Bestimmung siebenden Grundsätze u n d Befugnisse d e s Bundes erinnert wird, m i t 1850/51 die oberste Behörde von Uri darauf aufmerksam machte, daß sie die Klöster jederzeit aufheben könne.

Das Gleiche trifft iu Bezug auf Art. 2, Abs. 1, der neuen Verfassung von Uri zu.

In den Artikeln 5 -- 8 ist in Uebereinstimmung mit den von der Bundesverfassung aufgestellten Erfordernissen das Schulwesen behandelt. Den Gemeinden wird die staatliche Unterstützung ihrer Schulen garantirt. Die bisherige Verfassung widmete dem Schulkapitel einen einzigen, sehr kurz gehaltenen Artikel.

Wie für die Schulen, so hat auch für das Armenwesen der Staat den Gemeinden Unterstützung zu gewähren. Die bisherigen Staatsbeiträge sind als Minimum zu betrachten.

Art. 10 gibt auch den Korporationen Uri und Ursern und den Gemeinden das Expropriationsrecht, das bisher nur der Staat besessen halte, und ruft einem Gesetz über Nachbarrechte.

Auch Art. 11, der die See'n und Flüsse als Staatsgut erklärt, ist neu; das Eigentumsrecht an denselben wurde bisher bald vom Staate, bald von den Bezirken angesprochen.

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Der Grundsatz der Trennung der Gewalten wird strenge durchgeführt und in Verbindung damit als unstatthaft erklärt, daß Verwandte, bis und mit dem Grade eines Oheims, Neffen oder Schwagers, in einer und derselben Behörde, außer dem Landrathe, Mitglieder seien (Art. 14 und 15).

Der Staat übernimmt bis zum Betrag der doppelten Amtskaution die subsidiäre Haftpflicht für seine Behörden, Beamten und Angestellten, in Fällen von Untreue oder Pflichtvernachläßigung derselben.

Art. 19 führt die fakultative geheime Abstimmung in den Gemeindeversammlungen ein.

Nach Art. 23, Abs. 2, können Falliten, welche durch Mißgeschick, ohne direktes Verschulden und ohne irn Verdachte betrügerischer Handlungen zu stehen, in's Falliment gekommen sind, nach Verfluß von sechs Jahren durch Urtheil des Obergerichts wieder in das Aktivbürgerrecht eingesetzt werden.

Der Amtszwang wird auf e i n e volle Amtsdauer beschränkt (Art. 24) ; die alte Verfassung sprach von wenigstens einer Amtsdauer, das Gesetz forderte dann deren zwei.

Die Artikel 26--28 ordnen das Recht der Initiativ- und der Referendumsbegehren. Brwähnenswerth ist namentlich, chiß von nun an Vorschläge zu Händen der Landsgemeinde oder der Gemeindeversammlung auch von einem einzelnen Bürger gemacht worden können. Die Einrichtung der sogen. Siebengeschlechtsbegehren ist iu die Sammlung konstitutioneller Alterthümer aufgenommen worden.

Schuldlos Verhafteten steht fürderhin ein Anspruch auf Entschädigung durch den Staat zu (Art. 30).

Art. 31 enthält eine Bestimmung, die, trotz des allgemeinen Vorbehalts der Bundesvorschriften im Nachsatze, einiges Bedenken erregen kann; derselbe lautet nämlich: ,,Art. 31. Zum ganzen oder theilweisen Betriebe eines selbstständigen Geschäftes oder Unternehmens auf dem Gebiete des Kantons hat der Inhaber desselben im Kanton Domizil zu verzeigen und eine Zweigniederlassung zu nehmen ; Bundes Vorschriften vorbehalten."

In seiner Proklamation an die stimmfähigen Einwohner des Kantons Uri vom \. März 1888 hat der Verfassungsratli diese Bestimmung mit folgenden Worten empfohlen ;

556 ,,Zum Schutze der Interessen des Kantons und seiner Bürger wird bestimmt, dass Jeder, welcher in Uri ein selbstständiges Geschäft oder Unternehmen betreiben will, hier auch D o m i z i l (gerichtliche Belangbarkeit und Steuerpflicht zu verzeigen habe."

Es ist allerdings wahr, daß die Bundesverfassung von 1874 in Art. 31 nicht bloß das Recht freier Berufs- und Gewerbsausübung jedem Schweizerbürger als ein Grundrecht zuerkannt, sondern gleichzeitig, zur Beschwichtigung der Besorgnisse des kantonalen Steuerfiskus, den Kantonen die Besteuerung des Gewerbebetriebs vorbehalten hat. Wir wissen Alle, in welch' ausgiebigem Maße die Kautone seither von dieser Befugniss Gebrauch gemacht haben; die Worte der bundesräthlichen Revisionsbotschaft vom 17. Juni 1870 zur vorwürfigen Frage : ,,Es ist übrigens nicht zu befürchten, daß mau in der Praxis die nöthigen Auskunftsmittel nicht zu finden vermöge, da der Scharfsinn des Fiskus bekanntlich sehr entwickelt ist" -- haben sieh als wahre Seherworte erwiesen. Ohne nun dein Steuerrechte der Kantone zu nahe treten zu wollen, müssen wir doch von Bundes wegen dasselbe gewissen Schranken unterwerfen, sowohl in Hinsieht auf die Berechtigung des, Steuerbezugs au sich als in Betreff der Höhe der Besteuerung des Gewerbebetriebs. In ersterer Beziehung ist namentlich das bundesrechtlich Verbot der Doppelbesteuerung wichtig, in letzterer die Schlussbestimmung von.

Art. 31 der Bundesverfassung, wonach die den Kantonen vorbehaltenen Verfügungen, einschließlich der Besteuerung, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreibeit selbst nicht beeinträchtigen dürfen, Die vom Kanton Uri in dem vorliegenden Art. 31 seiner neuen Verfassung aufgestellte Verpflichtung zur Errichtung- einer gewerbliehen Zweigniederlassung im Gebiete des Kantons, welche ausgesprochenermassen dieSchaffungg einesSteuerdomizilss bezweckt, geht zu weit, wenn sie auf j e d e n Akt der Ausübung von Handel und Gewerbe angewendet werden w i l l , mag derselbe a u c g a n z n z und gar vereinzelt sein und keinerlei äußere Einrichtung im Gebiete des Kantons das Vorhandensein einer gewerblichen Niederlassung anzeigen. Der Schutz des einheimischen Gewerbes darnichtht zur Aufrichtung neueVerkehrsschlagbäumeme f u h r e n , wie sie vor 1848 bestanden haben, wo man bekanntlickantonsfremdede Handwerker in der Ausübung
ihres Berufes hinderte, das Einbringen von Fleisch u n d Brod v o n auswärts verbot u . s . w . Gerade indem sie im Gegensatz zuVerfassungng von 1848, die in Art. 29 nur dem Handel von Kanton zu Ranton gewährleistete und in Art. 41, Ziffer 4, die Freiheit deGewerbeausübungng lediglich den.

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N i e d e r g e l a s s e n e n zusicherte, die Handels-und Gewerbefreiheit au einem gemeinschweizerischen individuellen Rechte erhob. Es darf nun nicht etwa auf einem Umwege das Erfordernis der Niederlassung im Kanton neuerdings als Bedingung der Gewerbefreiheit aufgestellt werden.

Wir halten es daher für angezeigt, dem Art. 31 der Urner Verfassung gegenüber unzweideutig zu erklären, daß das Bundesrecht im Sinne der Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 der Bundesverfassung) vorbehalten bleiben müsse.

Die Artikel 34 und 35 gestalten die zwei bisherigen .,,Gemeinwesen oder Bezirke11' U r i und U r s e r n zu bloßen Korporationen um, die sich nach eigenem Ermessen organisiren können. Bau und Unterhalt der nun als Kantonsstraßen erklärten bedeutendem öffentlichen Verkehrswege, welche im Bezirke Uri bis jetzt großenteils auf Kosten des Bezirkes hergestellt und unterhalten worden sind, erliegen künftig auf dem Kanton ; ebenso übernimmt der Kanton die Wuhrlasten der Bezirke Uri und Ursern. Dafür haben dieselben dem Staate eine vom Landrathe zu bestimmende billige Entschädigung zu leisten.

In Art. 37 wird öffentliche Rechnungsablage im Staats- und Gemeindehaushalt vorgeschrieben und die Einführung einer direkten Landessteuer von Vermögen und Erwerb in mäßiger Progression nebst einer Kopfsteuer von jedem zwanzigjährigen männlichen Einwohner, sowie einer progressiven Erbschaftssteuer von den Seitenlinien vorgesehen.

Der ganze vierte, von der Volkswirthschaft handelnde Abschnitt ist neu.

Art. 45 erhebt die vier, in gewissen Lokal- und Dorfverwaltungssachen getrennten, aber bisher nur Eine politische Gemeinde -- das Thal Ursern -- bildenden Dorfschaften Andermatt, Hospeuthal, Realp und Zumdorf zu drei selbstständigen politischen Gemeinden (Andermatt, Hospenthal (mit Zumdorf) und Realp).

Die Landesgemeinde wird künftig nicht nur die Wahlen der Eegierungsräthe, Landschreiber, ^Landesfürsprechen", Landweibel und Landsmarcher, sondern auch diejenige sämmtlicher Richter zu treffen haben. Bisher wurden das Kantonsgericht (jetzt Obergericht) theils von der Landesgemeinde, theils vom Landrathe, das Kriminalgericht ganz vom Landrathe, die Bezirksgerichte theils von den Bezirksräthen, theils von den Bezirksgemeinden gewählt.

Die Art. 54--58 enthalten eine Neugestaltung des Landrathes.

Die Regierungsräthe wohnen demselben nur noch mit berathender Stimme bei ; der Landrath ernennt sein Bureau frei aus seiner Mitte

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(früher war der Lannammann Präsident von Amtes wegen); statt auf 300 wird nun auf 400 schweizerische Einwohner von den Gemeinden l Mitglied in den Landrath gewählt. Dem Landrath ist die Wahl des Erzieh ungsrathes Übertragen, der bislang folgende Zusammensetzung hatte: Es wurden gewählt 4 Mitglieder vom Landrath, l Mitglied vom Bezirksrat Ursern, 2 Mitglieder vom Kapitel der Geistlichkeit, l von der Gemeinde Altdorf, l vom Kirchenrat und l vom Spitalrath daselbst. Der nun auf 7 Mitglieder reduzirte Erziehungsrath ist die oberste vollziehende Behörde im Erziehungswesen und dem Regiernngsrathe nebengeordnet.

Ihm wird auch, mit Beizug des jeweiligen bischöflichen Kommissärs und eines weitern vom Landrathe zu wählenden Geistliehen, die Verwaltung des Diözesanfonds zugewiesen. Früher bestand zu diesem Behufe ein Diozesanrath. Die Entscheidung der staalskirchliehen Fragen, die in dessen Zuständigkeit gehörte, ist nun an den Regierungsrath übergegangen.

Der Regierungsrath, bis jetzt aus neun Mitgliedern bestehend, zählt nach der neuen Verfassung deren sieben. An die Stelle eines sehr breitspurigen Kominissionalsystems tritt das Direktorialsystem. Die Befugnisse des Regierungsraths sind erheblich erweitert, insbesondere durch Zuerkennung der Oberaufsicht über das Armenund Vormundschaftswesen, weiche den Bezirken Uri und Urseru entzogen worden ist.

Die Gerichtsorganisation ist in mehreren Punkten verbessert worden.

Das Gleiche ist von der Ordnung des Gemeindewesens zu sagen, die, im Ganzen und Einzelnen, an Vollständigkeit, Klarheit und Genauigkeit der Bestimmungen erhoblieh gewonnen hat.

Die vorliegende Botschaft war bereits verfaßt, als uns -- am 28. Mai -- ein vom 26. Mai datirtes Schreiben des ,, n u n m e h r i g e n Korporationsrathes U r s e r n " zuging, in welchem augezeigt wird , daß der Korporationsrath in der unangenehmen Lage sieh befinde, gegen einige Bestimmungen der neuen Kantonsverfassung den Rekurs an die h. Bundesversammlung orgreifen zu müssen, und daß das betreffende Gesuch in näherer Ausführung und Begründung nächster Tage werde vorgelegt werden, weßhalb inzwischen um Sistirung einer allfälligen Schlußnahme über die Genehmigung der Verfassung gebeten werde.

Am 2. Juni ist uus die angekündigte Rekurseingabe zu Händen der Bundesversammlung zugekommen. Dieselbe nennt sich ,,Beschwerdeschrift des Bezirkes Urseru und des Ursernthales gegen die

551) neue Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888" und ist mit Datum von Andermatt, 2. Juni 1888, ,,für den Bezirk und Korporationsverwaltung Ursern" unterzeichnet von Kasimir Nager, Altbezirksammann und Korporationspräsident.

Nachdem sie Eingangs bemerkt hat, daß die neue Verfassung am 6. Mai von der Landesgemeinde mittelst s c h w a c h e n Mehrheitsbeschlusses angenommen worden sei und daß die Vertreter des Bezirkes Ursern sogleich Verwahrung gegen dieselbe eingelegt haben, bespricht die Rekursschrift einige Bestimmungen, die nach Ansicht der Beschwerdeführer den Rechten Ursern's zu nahe treten.

1. Durch Art. 48, welcher die alljährlich irn Mai zu Bötzlingen bei Altdorf sich versammelnde Landesgemeinde als souveräne und gesetzgebende Behörde des Kantons bezeichne, werde, entgegen dem Art. 4 der Bundesverfassung, ein Privilegium des Ortes Altdorf geschaffen, indem der Besuch den Bürgern des Bezirks Ursern nicht nur außerordentlich erschwert, sondern beinahe verunmöglicht sei. (Die Bürger von Realp z. B. müßten um 5 Uhr Morgens von dort 3 Stunden weit nach Gesehenen gehen, um die Eisenbahn nach Altdorf zu benutzen, und kommen erst um 2 Uhr Nachts wieder nach Hause -- diese Reise koste sie zehn Franken.)

2. Vielleicht sei es geradezu beabsichtigt, für Altdorf ein Vorrecht des Ortes zu schaffen, in Anwendung von Art. 52, litt, d, der Verfassung, der ,,die Ertheilung von Privilegien" in die Befugnisse der Landesgemeinde lege, was gegen Art. 4 der Bundesverfassung streite und durchaus unrepublikanisch und undemokratisch sei.

3. Laut Art. 35 sollte man meinen, ja man könne sogar die feste Ueberzeugung haben, die neue Verfassung, ,,die sonst wenig von der alten abweicht", sei gemacht worden, um dem Bezirk Ursern Lasten des Bezirks Uri aufzubürden, ohne daß Ursern der für Uri daraus resultirende Nutzen in irgend einer Weise zukomme.

Denn nach Art. 35, Absatz 2, übernehme der Kanton die direkten und indirekten Wuhrlasten der Korporationen Uri und Ursern. Diese Lasten seien bisher von den Korporations- und andern Privatgütern im Bezirk Uri, die auch den entsprechenden Nutzen ziehen, getragen worden. Nun solle der Bezirk Ursern, von welchem der Kanton keine derartigen Lasten zu übernehmen hat, mitzählen, um den Ertrag der Güter und Wälder der Korporationsgenossen und Burger von Uri zu vermehren.
Die nach Absatz 3 des Artikels vom Landrath zu bestimmende billige Entschädigung, welche die beiden Korporationen an den Staat leisten sollen, sei eine bloße Scheinbestimmung, da die Be-

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wohner von Uri gegenüber denen von Ursern die Mehrheit im Laudrathe besitzen. Es werde auch bereits davon gesprochen, daß die Korporationsgenossen von Uri demKantonu dasKapuzinerklosterr in Altdorf a l s Entgelt anbieten werden, obgleich sich dasselbe Ein ähnliches Verhältnis läge vor, wenn etwa die Bürgerschaft der Stadt Bern verlangte, der Kantou solle auf ihrem Burgerland Kanäle, Abzugsgräben, Steg und Weg erstellen !

Da könnte am Ende verlangt werden, daß der Kanton alle Alpen- und Güterwege zu erstellen habe -- zur Entlastung des Bezirks Uri. Und wirklich sei davon in Art. 35 die Rede!

Die Beschwerdeführer bitten daher, es möchte aus der neuen Kantonsverfassung das Wort ,,Privilegium entlernt werden und auch in Wirklichkeit kein solches im Kanton Uri sich finden und demgemäß die Verfassung in dieser Hinsicht geändert werden.

4. Durch Art, 52 werde das Recht des Bezirks Ursem auch insofern gefährdet, als die Landesgemeinde das Kreisgericht des acht Stunden von Altdorf entfernten Bezirks Ursern zu wählen habe, obwohl ja von einer Personalkenntniß der Laudesgemeinde bei den ganz getrennten Verhältnissen gar nicht die Rede sein könne.

5. Noch sei zu bemerken, daß Art. 3 gegen das uralte, von allen Behörden, geistlichen wie weltlichen, geachtete Recht des Urserathales streite. Das Thal habe nämlich das freie, uneingeschränkte, volle und nicht durch die sogenannte Präsentation irgend beschränkte Wahlrecht des Pfarrers. Darüber stehe im altea Thalbuch Folgendes : ,,Wie man Ein pfarher anneinen soll" ,,Anno 1669 an einer ganzen tallgemeinde zur Ursern den ,,12ten Meiien Ist der woll Erwürtig geistliehe Hr. Johann Zoller ,,wiider umb für ein Jahr zur unserem pfarher angenomen wor,,den umb die Intratten und Inkomnuos Wiie von alter här will ,,der Erwürtig Hr. Ein gantze taligemeindt abermallen darumb "gebetten nach unserm geipten Bruch und rächt des jährlichen ,,luth spanzettels alle Pfarrherren sollen Ein tallgemeinde alls ,,vollmächtige colatoren der pfrund und pfarrei S. Fetter und ,,S. Paul anhaltten und betten und keine Jar nicht unterlasen ,,zur Erhaltung unserer rächtsami."

Die Beschwerdeschrift schließt mit der Bitte, die besprochenen Punkte nach Untersuchung und Prüfung im gewünschten Sinne zu erledigen und demnach die neue Verfassung des Kantons Uri den Behörden zur Abänderung zurückzuweisen.

561 Im Namen und Auftrag der Regierung des Kantons Uri, welche von unserm Justiz- und Polizeidepartement zur Anbringung ihrer Bemerkungen über die Beschwerde Urserns eingeladen worden, hat Hr. Landesstatthalter G. Muheitn in schriftlicher Eingabe an den Bundesrath und die Bundesversammlung, d. d. 6. Juni, sich folgendermaßen vernehmen lassen : An den h. Bundesrath und die h. Bundesversammlung der .schweizerischen Eidgenossenschaft.

Hochgeachtete Herren !

Gestern in den Besitz der an Sie gerichteten ,,Beschwerdeschrift des Bezirkes Ursern und des Ursernthales gegen die neue Verfassung des Kautons Uri vom 6. Mai 1888a gelangt, beehren wir uns, dieselbe in gedrängter Kürze zu beantworten. Ueber unsere Vollmacht hiezu verweisen wir auf beiliegende Depesche der Regierung von Uri, sowie auf deren Schreiben vom 5. d. M. (Beilage).

Wir bestreiten vorerst dem Herrn Korporationspräsidenten von Ursern mit allem Nachdruck die Befugniß, im N a m e n des Urs e r n t h a l e s gegen die neue Verfassung Beschwerde führen zu dürfen. Es fehlt ihm die Legitimation zu diesem Schritte, welchen die Thalgemeinde n i c h t thun wollte. In ihrer jüngsten Versammlung (13. Mai 1888) wurde ein Antrag auf Anhebung eines Rekurses gestellt, aber abgelehnt. Die Rekursschrift kann somit nur als eine p e r s ö n l i e h e Ei n g a be d es Her r n N a g e r , keineswegs aber als eine solche des Thaies Ursern betrachtet werden.

Der Herr Beschwerdeführer glaubt Eingangs darauf verweisen zu sollen, daß die Verfassung vom 6. Mai mit schwacher Mehrheit angenommen worden sei. Es ist bei Beurtheilung der Beschwerde jedenfalls irrelevant, ob die Mehrheit stark oder schwach gewesen; * die unbestrittene Tllatsache der Annahme genügt vollständig. Immerhin erfolgte letztere mit drei Fünftheilen der Stimmenden, trotz einer heftigen Bekämpfung und eines vor der .Landsgemeinde noch eingetretenen mißlichen Vorfalles (Flucht eines Kas.sabeamten).

Ueber die materiellen Einwände der Beschwerdeschrift gegen die Verfassung haben wir Folgendes zu erwidern : Ad i. Die ordentliche Mai-Landesgemeinde wird urkundlich seit Jahrhunderten auf der Wiese zu ,,Bötzlingen an der Gand" in der Gemeinde Schattdorf, also im volksreichsten Centrum des Landes und somit in bester Lage abgehalten.

ßundesblatt. 40. Jahrg. Bd. II.

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562 Die außerordentlichen Landesgemeinden. dagegen finden n i c h t zu Bötzlingen, sondern an einem beliebigen andern, vom Landrathe zu bezeichnenden Orte statt (Art. 49, Abs. 2 der Verfassung).

Der Landesgemeindebesuch ist durch die Gotthardbahn g e r a d e für die B e w o h n e r des U r se r n t h a i e s wesentlich erleichtert worden. Ein rüstiger Fußgänger legt den Weg von Realp bis Göschenen in 2 Stunden zurück. Von Göschenen führt um halb 9 Uhr ein Zug nach Altdorf. Von hier führt ein solcher um 4 Uhr 20 Minuten Abends wieder südwärts. Dadurch wird dem Bürger der entlegensten Gemeinde des Kantons -- Realp -- welche übrigens nur 60 Stimmfähige zählt, Gelegenheit geboten, Abends 9 Uhr wieder zu Hause zu sein. Was die Kosten des Landesgemeindebesuchs anbelangt, so stellen sich dieselben ebenfalls bescheidener, als der Beschwerdeführer angibt. Die Gotthardbahn gewährt den Besuchern der Landesgemeinde nämlich die Vergünstigung, die Billete einfacher Fahrt (Fr. 3 von Göschenen bis Altdorf, 3. Klasse) auch für die Rückfahrt benützen zu dürfen.

Anschließend an diese thatsächlichen Verhältnisse haben wir in rechtlicher Beziehung bloß beizufügen, daß es Sache der Kantone ist, die Gesetzgebung über die Abstimmungsweise in kantonalen Angelegenheiten zu erlassen, und daß die Bezeichnung eines bestimmten Ortes oder Platzes für Abhaltung der Landesgemeinde keineswegs als ein durch den Art. 4 der Bundesverfassung verbotenes "Vorrecht" aufzufassen ist. Am Ende würde der ,,gelehrte" V e r f a s s e r der Beschwerdeschrift noch dazu kommen, es als ein verbotenes Vorrecht zu erklären, daß die Stadt Bern der ständige Bundessitz sei.

Ad 2. Art. 52, litt, d, der neuen Verfassung, welcher der Landsgemeinde die Befugniß ertheilt, Privilegien zu gewähren, ist der Verfassung von 1851 entnommen. Diese Bestimmung bedeutet nur so viel, daß die Landesgemeinde allein berechtigt sei, z u l ä ß i g e Ausnahmen von der allgemeinen Rechtsnorm zu gestatten. Eine praktische Folge hat diese Bestimmung n u r im Steuerrecht erlangt.

da wo der Gotthardbahn das Privilegium der Steuerfreiheit ertheilt worden ist. Sollten ähnliche Fälle wiederkehret», ist es nur za wünschen, daß die Landesgemeinde sie au erledigen haben wird.

Ad 3. Die Kantonalisirun der in der Verfassung aufgezählten Straßen und Wege wäre eigentlich schon in
Gemäßheit des seit zwei Jahrzehnten bestehenden Straßengesetzes zuläßig gewesen.

Heute ist sie ein Gebot der Gerechtigkeit und ein Bedürfniß geworden. Im Bezirke Ursern hat der K a n t o n ein großes und

563 kostspieliges Straßennetz gebaut, dessen Unterhalt alljährlich eine ganz beträchtliche Summe aus der Kantonskasse beansprucht. Im untern Laudestheile dagegen hat die Bezirksverwaltung Uri den Straßenbau meistentheils allein besorgt. Der Kanton hat dem Bezirke Uri nun jene Straßenstrecken abgenommen, welche für den öffentlichen Verkehr von großer Bedeutung sind (Art. 35 der Verfassung), und er hat damit dem Bezirke Üri bloß einen Theil des Entgegenkommens gezeigt, welches der Bezirk Ursoni laugst besessen.

Ein ähnliches Verhältniß besteht bei den Wuhreu. Die Uferversicherung der gefährlichen Wildwasser Reuß und Schilehen besorgten der Bezirk Uri, die sogenannten Wehregenosseuschaften und Private (Anstößer), an die Auslagen der Wehregenosseuschaften leistete der Bezirk bestimmte Beiträge -- Subventionen. Im Sinn und Geiste des eidgenössischen Wasserpolizeigesetzes handelnd und um die für Uri höchst wichtigen Flußkorrektionen zu fördern, trat der Kanton an die Stelle der Bezirke und übernahm deren Pflicht, Land und Leute vor Wasserschaden möglichst zu schützen. Hiebei muß jedoch die Behauptung, als trage der Kanton nun auch die bisherigen Wuhrlasten der Wehregenossenschaften und Privaten als eine absichtliche Entstellung des wahren Sachverhaltes qualifizirt werden.

Die Uebernahme der Straßen- und Wuhrlasten durch den Kanton ist zudem an eine billige Entschädigung geknüpft. Wenn der Beschwerdeführer sagt, als Entschädigung werde etwa das Kapuzinerkloster in Altdorf anerboten und angenommen werden, so thut er dies sicherlich nicht im Ernste. Die Entschädigung wird allerdings eine billige, aber doch eine r e e l l e sein und zweifellos in Werthschriften, Gebäuden, Grundstücken und Waldungen bestehen.

Im Zusammenhang mit der Uebernahme der Wuhrlasten der Bezirke steht auch der Art. 11 der Verfassung, welcher die See'n und Flüsse als Staatsgut erklärt. Hierüber schweigt die Beschwerdeschrift, weil Ursern dabei nichts zu verlieren hat. Wir aber müssen diesen Hinweis machen, indem der Bezirk Uri durch diese Bestimmung fischreiche See'n und eine jährliche Entschädigung von Fr. 2500 für Benützung der Wasserkräfte der Reuß in Göschenen verliert -- ohne dafür eine Entschädigung zu erhalten.

Ad 4. Die Wahl des Kreisgerichtes Ursern durch die Landesgemeiode schafft g l e i c h e s R e c h t für beide Kreisgerichte. Da Ursern Privilegien sieht, wo keine vorhanden sind, sollte es sich hüten, solche zu verlangen, wo seine Organisation in Betracht kommt.

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Die Landsgemeinde besitzt h inl a n g l i c h e Personenkenntniss im Ursernthale, um das dortige Kreisgericht bestellen zu können.

Dasselbe wird sich durch die neue Wahlart viel freier und unabhängiger fühlen und bewegen als bisher.

Ad 5. Es wäre von Interesse, von dem Herrn Rekurrenten zu vernehmen, w a n n der Pfarrer von Andermatt zum letzten Male vor der Thalgemeinde sich präsentirt hat? -- Niemand erinnert sich, daß dies im 19. Jahrhundert auch nur ein einziges Mal geschehen wäre. Dagegen wissen wir, daß die Gemeinden Andermatt und Realp das Wahl- und Präsentationsrecht ihrer Geistliehen l ä n g s t der schweizerischen Kapuzinerprovinz abgetreten haben und daß die Gemeinde Hospenthal vor wenig Jahren ein Gleiches zu thun beschlossen hatte. Die Thalbehörden von Ursern fanden sich damals zu keiner Einsprache veranlaßt, wohl aber der Regierungsrath, welcher den Beschluß kassirte und das Wahl-, bezw.

Präsentationsrecht der Geistlichen als ein unveräußerliches Recht der Gemeinden erklärte. Dieser Grundsatz hat nun auch in der Verfassung bestimmten Ausdruck gefunden (Art. 3). Gerade mit Rücksicht auf Ursern bezeichnet die nämliche Verfassung die bestehenden Wahldelegationen als z e i t w e i l i g e , womit den Gemeinden Andermatt und Realp die Brücke gebaut worden ist, wieder zu ihrem alten, im Bezirke Uri nie veräußerten Rechte zu gelangen.

(Art. 76, litt, g, Ziff. 8, der Verfassung).

An diese kurzen, aber sachgemäßen Erörterungen knüpfen wir den lebhaften Wunsch, die h. Bundesbehörden wollen über die Eingabe des Herrn Korporationspräsidenten C. Nager von Andermatt zur Tagesordnung sehreiten.

Genehmigen Sie, hochgeachtete Herren, unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 6. Juni 1888.

die Versicherung

Im Namen und Auftrag des Regierungsrathes des Kantons Uri: (gez.) 6. Muheim, Landesstatthalter.

Wir haben unsererseits zu den Anbringen der Beschwerdeführer nur Weniges zu bemerken.

Es mag dahingestellt bleiben , ob die Beschwerde als eine solche des ,,Bezirks Ursern und des Ursernthales", oder des ,,Bezirks und der Korporationsverwaltung Ursern", oder -- als welche sie mit Schreiben an den Bundesrath vom 26. Mai, unterzeichnet

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,,für den nunmehrigen Korpora tionsrath Urseru" vom Präsidenten Casimir Nager und vom Sekrelär Dom. Russi, sich ausgibt -- des ,,Korporationsrathes Urserna, oder endlich bloß als eine individuelle Eingabe des Hrn. Korporationspräsidenten Nager zu betrachten sei.

In allen Fällen ist sie von einer zur Sache legitimirten Seite ausgegangen und also in Betracht zu ziehen.

In materieller Beziehung müssen wir vor Allem feststellen, daß es den Kantonen zukommt, über das Straßenwesen, die Wuhrlasten und die Wahl der Pfarrherren in ihrem Gebiete Bestimmungen zu treffen, sei es auf dem Wege der Gesetzgebung, sei es durch Aufstellung von verfassungsrechtlichen Vorschriften. Es ist denkbar, daß durch Verfügungen der gesetzgebenden Gewalt über solche Materien Privatrechte verletzt werden. Geschieht dies -- im vorliegenden Falle wird es nicht behauptet -- so ist es die Aufgabe des Richters, über den Rechtsanspruch auf Begehren der Partei zu erkennen.

Oeffentliches Recht aber kann auf verfassungsmäßigem Wege jederzeit neu geschaffen oder aufgehoben, beziehungsweise abgeändert werden.

Für den Bund entsteht in solchem Falle lediglich die Frage, ob etwas den Grundsätzen der Bundesverfassung Widersprechendes bestimmt worden sei.

Es wird nun allerdings von der Rekursschrift die Vorschrift des Art. 35 der neuen Uroer Verfassung, zufolge welcher der Staat den Bau und Unterhalt der Kautonsstraßen und die bisher von den Bezirken Uri und Ursern getragenen Wuhrlasten übernimmt, als eine dem Art. 4 der Bundesverfassung widerstreitende Ertheilung eines Privilegiums an den Bezirk Uri hingestellt. Allein inwiefern in der Uebernahme solcher öffentlichen Verwaltungs- und Diensteweige durch den Staat eine Privilegirung irgend einer Korporation oder Privatperson liegen könnte, ist nicht ersichtlich.

Daß in dem durch Art. 3 der neuen Verfassung geordneten Pfarrwalil- oder richtiger Präsentationsrecht der Gemeinden nichts geschaffen wird , was sich mit dem Bundesrechte nicht vertrüge, kann ebenso wenig einem Zweifel unterliegen.

Wenn im Weitern das der Landesgemeinde übertragene Recht, das Kreisgericht für Ursern (gleichwie dasjenige für Uri) zu wählen, wegen mangelnder Personalkenntniß der Landsgemeinde angefochten wird, so ist dies eine eidgenössischer Prüfung sich gänzlich entziehende Kritik einer kantonalen Wahlvorschrift.

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lieber die Bedeutung des Art. 52, lit. d, welcher die Landsgemeinde für befugt erklärt, ,,Privilegien* zu ertheilen, hat die regierungsräthliche Vernehmlassung völlig beruhigende Aufklärung gegeben. Die Bestimmung faud sich bereits in der Urner Verfassung von 1850, wurde damals vom Bunde unbeanstandet gelassen und hat seither niemals Anlaß zu einer Beschwerde gegeben. Sollte einmal von der Landesgemeinde ein dem Art. 4 der Bundesverfassung zuwiderlaufendes ,,Privilegium" ertheilt werden wollen, so würde eine solche Verfügung bundesrechtlich nicht geschützt werden.

Als der gewichtigste Einwand gegen die neue Verfassung würde sich unzweifelhaft derjenige in Betreff der Abhaltung der ordentlichen Landesgemeinde zu Bötzlingen bei Altdorf darstellen, wenn es riehtig wäre, daß es den Bürgern des Ursernthales außerordentlich erschwert oder geradezu unmöglich gemacht ist, die Landesgemeinde zu besuchen. Wäre dem wirklich so, so würde von Bundeswegen zur Wahrung dos obersten Rechtes der Bürger, des politischen Wahl- und Abstimmungsrechtes, auf Abhülfe gedrungen werden müssen, obgleich schon nach der bisherigen Verfassung von Uri und, wie die Regierung anführt, gemäß Jahrhunderte alter Uebung die Landesgemeinde des Kantons sich ordentlicherweise immer auf dem jetzigen Platze, 7.u Bötzlingen an der Gand, versammelt hat.

Allein die Beschwerde, die heute unter Berufung auf Art. 4 der Bundesverfassung gegen die Bestimmung betreffend den Versammlungsort der Landesgemeinde erhoben wird, hätte vor 38 Jahren, als es sich um Genehmigung der 1850er Verfassung handelte, einen viel größeren Anspruch auf Beachtung gehabt, als jetzt, da auf langer Strecke durch den Kanton Uri ein Schienenstrang sich hinzieht, der es auch den Bewohnern der weitest entfernten Ortschaft des Ursernthales ermöglicht, in verhältnismäßig kurzer Zeit, ohne große körperliche Anstrengung und mit nicht tibermäßigem Kostenaufwand die Landesgemeinde zu besuchen. Ja, es dürfte sehr fraglich sein, ob der Besuch der Landesgemeinde nunmehr den Bewohnern des Ursernthales im Allgemeinen nicht erheblich leichter falle, als denjenigen einzelner Alpen und Seitenthäler des Bezirkes Uri.

Das Institut einer an Einem Ort stattfindenden Versammlung der stimmfähigen Bürger eines Kantons, der Landesgemeinde, das als solches von der Rekursschrift nicht angefochten
wird, bringt es naturgemäß mit sich, daß die Ausübung der politischen Rechte nicht allen Kantonsbürgern gleich leicht gemacht ist. Eine absolute Gleichheit ist in dieser Beziehung überhaupt nicht herzustellen, auch in den Kantonen nicht, wo getneindeweise abgestimmt wird. Stets werden Einzelne mit mehr Mühe, Kosten- und Zeitaufwand sich

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zum Abstimmungslokal begeben als Andere, und Zeit oder Ort der politischen Verhandlung wird den Einen die Theilnahme eher gestatten, als den Andern.

Dem Bunde kann eine Einmischung in die äußere Organisation des kantonalen Wahl- und Abstimmungswesens nur unter dem Gesichtspunkte der Art. 4 und 5 der Bundesverfassung zustehen.

Im vorliegenden Falle ist die Voraussetzung zu solcher Intervention nicht gegeben.

Die Frage liegt übrigens der Bundesbehörde heute nicht zum ersten Male vor. Im Jahre 1877 -- also vor Eröffnung der Gotthardbahn -- hat der ,,Gemeinnützige Verein von Andermatt" gegou das Institut der Landesgemeinde von Uri und die Bestimmung betreffend deren Versammlungsort bei Altdorf beim Bundesrathe Besehwerde eingelegt, mit der Begründung, daß die bis auf 20 und 40 Kilometer entfernt wohnenden Bürger in der Ausübung ihres Stimmrechts beeinträchtigt seien, was gegen Art. 4, 6 und 43 der Bundesverfassung verstoße.

Die Beschwerde wurde durch Bundesrathsbeschluß vom 12. Oktober 1877 in abweisendem Sinne erledigt. Wir heben aus den Entscheidungsgründen die folgenden hervor : ,,Das Institut der Landesgemeinde ist durch die Bundesverfassung nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern in litt, b von Art. 6 derselben, welche von den kantonalen Verfassungen verlangt, daß sie die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen -- repräsentativen oder d e m o k r a t i s c h e n -- Formen sichern sollen, sogar ausdrücklich anerkannt. Dies ergibt sich klar aus dem Umstände, daß Art. 6 der Bundesverfassung von 1874 ganz gleichlautend ist mit Art. 6 derjenigen vorn Jahre 1848, zu welcher Zeit in den Kantonen noch keine anderen Formen einer demokratischen Organisation bestanden haben, als die Landesgemeinde Was den Einwurf betrifft, daß aus dem Institut der Landesgemeinde für die entfernt wohnenden Bürger eine Ungleichheit des Reehts entspringe, so ist allerdings richtig, daß diese mehr Umständlichkeiten haben, um die Landsgemeinde zu besuchen, als die näher oder in Altdorf selbst "wohnenden Bürger. Diese Ungleichheit liegt aber lediglich in den äußeren Verhältnissen, d. h. in den Entfernungen der einzelnen Ortschaften. Es ist undenkbar, daß der Art. 4 der Bundesverfassung im Sinne einer absoluten Gleichheit Aller Bürger aufgefaßt werden könnte, weil die "Verschiedenheit der thatsächlichen Verhältnisse immer Ungleichheiten erzeugt, deren Beseitigung nicht in der Macht des Staates und seiner Gesetzgebung steht." (Vergi. Bundesblatt 1878, II, 506.)

568 Damit sind die Beschwerdepunkte erschöpft. Dieselben veranlaßen uns nicht, einen der angefochtenen Artikel der Urner Verfassung zu beanstanden oder deren Genehmigung an einen besondern Vorbehalt zu knüpfen.

Wir empfehlen Ihnen daher, der neuen Verfassung des Kantons Uri die Bundesgarantie nach dem unten stehenden Beschlußentwurfe zu ertheilen.

Empfangen Sie, TU., die erneuerte Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 11. Juni 1888.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Hertenstein.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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(Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung der Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 11. Juni 1888 über die neue Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888; in B e t r a c h t : daß diese Verfassung nichts enthält, was den Vorschriften der Bundesverfassung zuwiderliefe, indem namentlich Art. 2, Abs. l, Art. 4 und Art. 31 derselben nicht anders als im Sinne und unter Vorbehalt der einschlagenden Art. 49, 50, 51, 52, 56 und 31 der Bundesverfassung verstanden werden und zu Recht bestehen können ; daß sie die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen Formen sichert; daß sie am 6. Mai 1888 von der Landesgemeinde des Kantons Uri angenommen worden ist und revidirt werden kann, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt ; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Der Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888 wird die Bundesgarantie ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die eidgenössische Gewährleistung der Verfassung des Kantons Uri vom 6. Mai 1888. (Vom 11. Juni 1888.)

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1888

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23.06.1888

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