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Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 7. April 1888.)

Der Bundesrath hat in Sachen des Johann Anton B r o g e r , Kantonsrichter in Appenzell, und des Gemeinderathes von St. Gallen gegen die Standeskommission von Appenzell I. Rh., betreffend die Vollziehung eines bundesgerichtlichen Entscheides, gestützt auf folgende Erwägungen : 1) Gemäß Art. 102, Ziffer 5 der Bundesverfassung von 1874 (gleichlautend mit Art. 90, Ziff. 5 der Bundesverfassung von 1848) hat der Bundesrath innert der Sehranken dieser Verfassung die Urtheile des Bundesgerichts zu vollziehen, und durch Art. 191 des Bundesgesetzes über das Verfahren bei dem Bundesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten ist vorgeschrieben, daß Beschwerden über mangelhafte Vollziehung der Urtheile des Bundesgerichts bei dem Bundesrathe anzubringen seien, welcher das Geeignete verfügen soll, aber auch von Amtes wegen die Vollziehung überwachen kann.

2) Diese Vorschriften beziehen sich ohne Zweifel zunächst nur auf Urtheile, welche das Bundesgericht innerhalb der durch die Bundesgesetzgebung ihm zugewiesenen Kompetenzen erlassen hat, während im Spezialfalle nicht ein förmliches Urtheil, sondern die Vollziehung des Entscheides über einen sogenannten staatsrechtlichen Rekurs in Frage liegt, den das Bundesgericht in Anwendung von Art. 59, litt, a des Bundesgesetzes Über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 erlassen hat.

3) Obschon das Bundesgericht die Kompetenz zum Entscheide über Beschwerden von Privaten und Korporationen, betreffend Verletzung von Rechten, die ihnen durch die Verfassung ihres Kantons gewährleistet sind, erst durch das erwähnte Bundesgesetz vom 27. Juni 1874 (Art. 59, litt, a) erhalten hat und über die Befugniß des Bundesrathes bezüglich der Vollziehung eines solchen Entscheides eine positive Vorschrift nicht besteht, so muß dennoch im Interesse des Rechtsschutzes angenommen werden, daß dem Bundesrath hiefür die gleichen Befugnisse zukommen, wie sie ihm für die Vollziehung eines förmlichen Urtheils des Bundes-

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gerichts zustehen. Dieser Schluß erscheint als vollkommen zutreffend, wenn man in Betracht zieht, daß durch Art. 102, Ziffer 3 der Bundesverfassung auch die Uebervvachung der Garantie der Kautons Verfassungen dem Bundesrathe zugewiesen ist, während die Vollziehung eines bundesgerichtlichen Entscheides im Sinne von Art. 59, litt, a des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1874 im Grunde identisch ist mit der Vollziehung der Bestimmung einer Kantonsverfassung, über deren Sinn und Bedeutung Zweifel gewaltet haben, die aber durch den Enlscheid des Bundesgerichts klar gestellt worden ist.

4) Der Entscheid des Bundesgerichts vom 30. Dezember 1887, dessen Vollziehung verlangt wird, ist nicht positiver Natur, sondern enthält lediglich die Ablehnung der Einrede der Standeskommission in ihrer Erklärung vom 16. August 1886. Hieraus darf geschlossen werden, daß das ßundesgericht den Eintrag des fragliehen Vertrages in das Grundprotokoll von Appenzell I. Rh. als statthaft erachtet. Das Bundesgericht erklärte eben jede Hemmung in der freien Disposition über das Grün deigenthum und über dingliche Rechte an Grundeigentum als eine Verfassungsverletzung. Es fand auch kein Hindernili darin, daß der vorliegende Vertrag in einer Form redigirt sein rnag, welche von der traditionellen Form von Appenzell I. Rh. abweicht, indem das Gericht erklärte, daß den Kontrahenten zustehen müsse, auch detaillirtere Vertragsbestimmuugen protokolliren zu lassen, als frühere Protokolleinträge enthalten.

5) Die von der Regierung des Kantons Appenzell I. Rh. gemachten neuen Einreden gegen die Protokollirung des fraglichen Kaufes können durch die Gesetzgebung nicht begründet werden ; auch können sie aus allgemeinen Gesichtspunkten der Protokollirung des fraglichen Vertrages nicht entgegenstehen, da lediglich der Verkäufer verantwortlich bleibt und die landesväterliche Obsoige denselben nicht hindern darf, Verpflichtungen einzugehen, die ihm später lästig werden könnten, beschlossen : Es sei die Regierung des Kantons Appenzell I. Rh. eingeladen, der kanzleiischen Protokollirung des Vertrages zwischen Kantonsrichter J. A. Broger in Appenzell und der Stadt St. Gallen vom 12. August 1886 keine weitern Hinderungen entgegenzusetzen und in der Weise Vorsorge zu treffen, daß die Protokollirung und landammannamtliehe Besiegelung dieses Kaufes im Laufe der nächsten 10 Tage, vom Datum dieses Beschlusses hinweg, vollzogen werden könne, sowie über die Erledigung Bericht zu erstatten, unter Vor-

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behalt der für die Vollziehung nöthigen Verfügungen des Bundesrathes im Sinne von Art. 191 des Gesetzes über den Civ'ilprozeß.

Der Bundesrath hat bis zur definitiven Wiederbesetzung den Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika in P a n a m a , Hrn. A d a m s o n , mit der interimistischen Leitung des schweizerischen Konsulats in Panama betraut.

Die Ernennung des Hrn. Edmond R o c h e t t e , von Genf, zum Attaché bei der schweizerischen Gesandtschaft in Rom wird genehmigt.

Zum schweizerischen Konsul in M e s s i n a ist Hr. Viktor T o b l e r , von St. Gallen, Inhaber der Firma V. T o b l e r in Messina, gewählt worden.

Hr. Louis M aq u eli n, Sohn, von Nyon (Waadt) , unterm 6. Dezember 1887 von dem Präsidenten der Republik B o l i v i a zum dortseitigen Vizekonsul in Nyon, sowie Hr. Haro C. Y p e y , vom König der Niederlande unterm 8. März 1888 zum Vizekonsul in Enge bei Zürich ernannt, haben das Exequatur erhalten.

Der Bundesrath ernannte für eine neue Amtsdauer von zehn Jahren : Hrn. Dr. G. S t e h l e r , von Bern, zum Vorstand der schweizerischen Samenkontroistation, und ,, Dr. Georg G r e t e , von Celle, zum Vorstand der landwirthschaftlich-chemischen Untersuchungsstation beim eidg.

Polytechnikum.

Mit Zuschrift vom 23. Januar abhin hat der Staatsrath des Kts. Neuenburg dem eidg Landwirthschaftsdepartement das Gesuch der Société hippique neuchâteloise übermittelt, dahin gehend, es möchte der Bundesrath zu einer Schlußnahme veranlaßt werden, wonach Hengste der Ardennen-Race vom Bunde ebenfalls anerkannt würden, so daß solche, seien es importirte, seien es deren Abkömm-

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Nach Einsichtnahme des Berichtes des Landwirthschaftsdepartements hat der Bundesrath in Anbetracht der Erfolge, welche bisher mit dem Anglo-Normännerhengst in der einheimischen Pferdezucht erzielt worden sind, von der Erwägung geleitet, daß die Aufzucht eines gleichzeitig zum Reiten und Ziehen geeigneten Pferdes fortzusetzen und kräftig zu unterstützen ist, und daß zur Erlangung positiver Ergebnisse in der Kreuzung mit den anglo-normännischen Hengsten konsequent in einer bestimmten Richtung vorgegangen werden muß, beschlossen, auf das gestellte Gesuch nicht einzutreten.

Hr. Fridolin B u c h s e r , in Altstädten, ist für die laufende Amtsperiode als Grenzthierarzt gewählt worden.

Der Bundesrath hat der N a t i o n a 1 - P r o v i n z i a l - S p i e g e l g l a s - V er s i c h e r u n g s g e s e l l s c h a f t L i m i t e d in London die Konzession zum Geschäftsbetrieb in der Schweiz auf sechs Jahre ertheilt.

Der Bundesrath hat den von den Aktionären der Rigibahngesellschaft in Luzern abgeänderten Art. 23 und 28 der Statuten für die Rigibahn die Genehmigung ertheilt.

Der von der Jura-Bern-Luzernbahn geleistete Finanzausweis für deu Bau der Brünigbahnstrecke B r i e n z - A l p n a c h s t a d ist vom Bundesrathe genehmigt worden.

(Vom 10. April 1888.)

Der schweizerische Bundesrath, nach Einsicht einer Note der K. deutschen Gesandtschaft vom 26. März d. J., womit dieselbe Namens ihrer Regierung den Antrag stellte, daß gegen die Urheber und Verbreiter eines Gedichtes mit der Ueberschrift n Vive la France1, welches eine schwere Beleidigung der elsaß-lothringischen und der deutschen Regierung enthalte und bei Anlaß des letzten Fastnachtumzuges in Basel verbreitet worden sei, gemäß Art. 42 des Bundesstrafrechts Strafklage eingeleitet werden möchte,

264 -- in Betracht, daß die K. deutsche. Gesandtschaft die Zusicherung gegeben hat, daß eine der Regierung der Schweiz zugefügte öffentliche Beschimpfung auf deren Verlangen deutscherseits verfolgt und bestraft werden würde, -- gestützt auf Art. 4 des Bundesgesetxes über die Bundesstrafrechtspflege vom 27. August 1851, -- im Hinblick auf Art. 42, 69 u, ff. und Art. 73, litt, c des Bundesstrafrechtes vom 4. Hornung 1853, beschließt: Gegen die Verfasser, Herausgeber und Verbreiter des Gedichtes ,,Vive la Francea, beginnend : ,,In China ist der gale Fluß1* etc., und wovon eiae zweite Ausgabe beginnt : ,,S'iseh bald jetz z'bunt, wie's die dert mache," etc., ist strafgerichtliche Untersuchung einzuleiten und gemäß Art. 73, litt, c des Bundesstrafreehtes Anklage vor den Bundesassisen zu führen. Dem Bundesgericht wird hievon behufs Einberufung des eidgenössischen Untersuchungsrichters für die deutsche Schweiz Mittheilung gemacht.

Der Bundesrath hat den Hrn. Professor Dr. L u n g e in Zürich und Hrn. Eugene T i s s o t , Probirer im Kontroiamt für Gold- und Silbervvaaren in Chaux-de-Fonds, für eine neue Amtsdauer von dreî Jahren als Mitglieder des eidgenössischen Kontroiamtes für Gold- und Silberwaaren bestätigt.

Vorn Buridesrathe sind gewählt worden: (am 7. April

1888)

als Posthalterin und Telegraphistin in Farvagny-le-Grand : Jg'fr- Louise Blanc, von Corbières (Freiburg) ; (am 10. April 1888) zum Gehülfen im Bundesarchiv : Hr. Friedrich Bratschi, von Lenk (Bern), bish. Gehülfe beim bernischen Staatsarchiv ; ,, Postkomaiis in St. Gallen : ,, Ernst Hilpertshauser, Postaspirant, von und in St. Gallen ; ,, Telegraphisten in Zürich : ^ Ferdinand Meyer, von Unterhallau ( Schaffhausen ) , in Basel ; ,, n T) n n Johannes Frommenwyler, von Eggersriet (St. Gallen), Telegraphist in St. Gallen ;

265 zum Telegraphisten in Zürich:

Hr. Konrad Weber, von Stallikon (Zürich),Telegraphenaspirant t in Zürich ;

(am 13. April 1888) zum Postbüreauchef in Bern : Hr. Friedrich Jenni, von Eggiwyl (Bern), Postkommis in Bern ; ,, Postkommis in Locle: ,, Nurna Evard, Postaspirant, von Chézard (Neuenburg), in St. Immer (Bern); ,, ,, .

-n Genf: ,, Charles Rochat, Postgehülfe, von und in Genf; zur Posthalterin in Stabio: Jgfr. Ida Pellegrini, von und in Stabio.

Jgfr. Ida Pellegrini, Telegraphistiu in Stabio (Tessin), wurde für die neue dreijährige Amtsdauer wieder bestätigt.

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14.04.1888

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