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Bericht der

Kommission des Nationalrathes zu dem Gesetzes-Entwurf über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

(Vom 12. Juni 1888.)

Tit.

Die verordnete Kommission bat sieh ihrer Aufgabe in vier Sitzungen, welche am 26. und 27. April in Zürich , sowie am 4.

und 5. d. Mts. dahier stattfanden, entledigt. Sie beehrt sich, Ihnen das Ergebniss ihrerBerathungenu in der Beilage zu übermitteln und diese mit folgenden erläuternden Bemerkungen zu begleiten.

L Die Kommission empliehlt Ihnen, auf den Gesetzesentwurf einzutreten. Die Verfassung verlangt in Art. 46 ausdrücklich, daß die Bundesgesetzgebung den Gegenstand ordne. Diese Vorschrift entspricht einem entschiedenen dringenden Bedürfniß. Vergebens haben sich bis jetzt die Gerichte bemüht, mit Bezug auf die so häufige Kollision zwischen den Privatrechtsgesetzgebungen der einzelneu Kantone auf dem Wege der Entscheidung von Fall zu Fall befriedigende Normen aufzustellen. Anderseits sind in der Zwischenzeit verschiedene wichtige Theile des Privatrechts vereinheitlicht worden und stehen wir zur Stunde vor der einheitlichen Regelung einer Materie, welche bisher besondere Schwierigkeiten geboten

609 hat (das Konkursrecht). Der Umfang des Gebietes, welches kurzAveg das i n t e r k a n t o n a l e P r i v a t r e c h t genannt wird, ist dadurch kleiner und die Aufgabe der Ausführung der genannten Verfassungsvorschrift eine erheblich leichtere geworden. Wir dürfen uns daher der Hoffnung hingeben, daß dieser dritte Versuch endlich zum Ziele führen werde. Der erste Versuch, in den sechziger Jahren, ist daran gescheitert, daß mau sich im Ständerath über die Frage, ob für das E r b r e c h t das Heimats- oder das Wohnsitzrecht gelten sollte, nicht einigen konnte. Der zweite Versuch, in den siebziger Jahren, endigte damit, daß der Nationalrath am 9. Dezember 1879 das Ergebniß seiner eigenen zweiten Berathung mit übergroßer Mehrheit verwarf, weil es ihm nicht gelungen war, die allerdings schwierigste Materie, die des e h e l i c h e n G ü t e r r e c h t s , befriedigend zu ordnen. Nach beiden Richtungen ist nunmehr, wenigstens im Schoß der Kommission und zwischen dieser und dem Bundesrath, vollständige Einigung erzielt worden. Ueberhaupt können wir zu unserer Freude mittheilen, daß der Vorschlag der Kommission, wie er sich in dem beiliegenden Entwurf präsentirt, bis auf die untergeordnete Frage der A d o p t i o n , ein e i n m ü t h i g e r ist. Zu diesem Ergebniß hat nicht zum Wenigsten die eifrige Mitarbeit des Vorstehers des eidg. Justizdepartements, sowie des Sekretärs für Gesetzgebung beigetragen.

Es fehlt allerdings nicht an Stimmen, welche Bedenken darüber laut werden lassen, daß die eidg. Räthe ihre Kraft für die Ordnung des interkantonalen Privatrechts einsetzen, statt auf dein Weg einer Verfassungsrevision der Vereinheitlichung des gesammten Privatrechts direkt näher zu treten. Durch die Zwischenarbeit werde, so sagen Viele, das Hauptwerk in weite Ferne hinausgerückt; besser sei es, den Wirrwarr fortbestehen zu lassen, damit mögliehst bald Jedermann, die Legion der durch den Wirrwarr Geschädigten voran, die Notwendigkeit der vollständigen Rechtseinheit, erkenne.

Diese besitzt zwar in der Kommission entschiedene Anhänger.

Sie haben sich aber sagen müssen, daß beim ruhigen Gang der Dinge und sofern nicht außerordentliche Ereignisse dazwischentreten, noch mancher Frühling in's Land kommen wird bevor sieh der Schlußstein in das Gebäude der Reehtseinheit einfügt. Es würde auch geradezu den Geboten der Ethik zuwiderlaufen, unterdessen absichtlich möglichst Viele unter der bestehenden Rechtsunsicherheit leiden zu lassen.

Bundesblatt. 40. Jahrg. Bd. III.

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IL Versuchen wir nunmehr, unsere Aufgabe zu u m s c h r e i b e n .

In erster Linie sind wir damit einverstanden, daß die dem öffentlichen Rechte angehörige Frage des interkantonalen Steuerreehts abgetrennt bleibe, zumal sie sich ja schon geraume Zeit als besonderer Gegenstand auf der Traktandenliste der eidgen. Räthe befindet.

Zweitens gehen wir auch darin mit dem Bundesrath einig, daß bei diesem Anlaß das i n t e r n a t i o n a l e Privatreeht, soweit die Schweiz interessirt ist und es einseitig geschehen kann, geordnet werde. Die Z u s t ä n d i g k e i t des Bundes ist nicht zweifelhaft.

Denn, was die fremden Niedergelassenen in der Schweiz anbetrifft, so ist darauf zu verweisen, daß Art. 46 der Bundesverfassung ganz, allgemein von ^Niedergelassenen"1 spricht. Und mit Bezug auf die Schweizer im Ausland ist mit dem Bundesrath zu sagen, daß es doch sehr ungereimt wäre, die Zuständigkeit des Bundes zur e i n s e i t i g e n Regelung gewisser Privatrechtsverhältnisse unserer in der Fremde befindlichen Landeskinder zu bestreiten und diese Aufgabe den Kantonen zuzuweisen, während der Bund allein berechtigt ist, den Gegenstand v e r t r a g l i c h zu ordnen (Art. 8 der Bundesverfassung).

Hauptsache bleibt aber die Ordnung des i n t e r k a n t o n a l e n Privatrechts. Der Bundesrath beschränkt sich in seiner Vorlage auf das Personen-, Familien- und Erbrecht. Es wäre ein Irrthum, zu glauben, daß damit das Thema eischöpft sei. Im S a c h e n recht allerdings sind Statutenkollisionen nicht wohl denkbar, wohl aber in denjenigen Partien des O b l i g a t i o n e n r e c h t s , welche noch den Kantonen überlassen sind (siehe Art. 10, 114, 198, 231, 890, 896 und 76 0. R.), und in dem zwischen Civil r e c h t und - p r o z e ß in der Mitte liegenden B e w e i s recht.

Ihre Kommission war jedoch nicht gewillt, weiter zu gehen als der Bundesrath. E i n m a l besitzt der Bund gemäß Art. 64 der Verfassung die Befugniß, die erwähnten Rechtsgebiete selbst einheitlich zu ordnen. Thue er's so bald als möglich; wo Ein Recht herrscht, da setzt es keine 8tntut,enkollision mehr ab ! Erlasse er insbesondere möglichst bald ein Bundesgesetz betreffend die Nachwährschaft beim Viehhandel. Z w e i t e n s werden wir gut daran thun, die Barke nicht zu überladen, auf daß sie nicht zum dritten Mal schon im Abgangshafen umkippe und nicht zum dritten Mal große Havarie erleide.

(511 Getreu dem Vorsatz, beim Personen-', Familien- und Erbrecht zu verbleiben, hat die Kommission die vom Bundesrath abgewandelten Schenkungen u n t e r L e b e n d e n aus Abschied und Traktanden falleu gelassen (Art. 19 des bundesräthliehen Entwurfs).

III.

Die Hauptfrage, von deren Beantwortung die Einzelgestaltung unseres Gesetzeswerkes abhängt, lautet: H e i m a t r e c h t (Nat i o n a l i t ä t s p r i n z i p ) oder W o h n s i t z r e c h t ( T e r r i t o r i a l i t ä t s p r i n z i p ) ? Daran reiht sich die zweite, ob und welche Rücksicht wir dem Postulat der U n w a n d e l b a r k e i t d e s e h e l i c h e n G ü t e r r e c h t s angedeihen lassen wollen.

Die Diskussion dieser Fragen bildet eine wesentliche Aufgabe d e r Wissenschaft d e s i n t e r n a t i o n a l e n P r i v a t r e c h t s .

Die hervorragendsten Rechtslehrer, vereinigt im Institut de droit international, pflegen seit Jahren eifrig und mit besonderer Vorliebe diesen Theil des internationalen Rechts und haben sich in der Jahresversammlung von 1881 zu Oxford auf acht Thesen geeinigt, von denen die VI. und VII. für die Lösung unserer heutigen Aufgabe Interesse haben: VI. L'état et la capacité d'une personne sont régis par les lois de l'état auquel elle appartient par sa nationalité.

Lorsqu'une personne n'a pas de nationalité connue, son état et sa capacité sont régis par les lois de son domicile.

Dans le cas où différentes lois civiles coexistent dans un même État, les questions relatives à l'état et à la capacité de l'étranger seront décidées selon le droit intérieur de l'État auquel il appartient.

VII. Les successions à l'universalité d'un patrimoine sont, quant à la détermination des personnes successibles, à l'étendue de leurs droits, à la mesure ou quotité de la portion disponible ou de la réserve, et à la validité intrinsèque des dispositions de dernière volonté, régies par les lois de l'État auquel appartient le défunt, ou subsidiairement, dans les cas prévus ci-dessus à l'article VI, par les lois de son domicile, quels que soient la nature des biens et le lieu de leur situation.

(Revue de droit international, XIX, pag. 135.)

Die in wissenschaftlicher Beziehung maßgebendste Instanz hat sich also für das Nationalitätsprinzip im Personen-, Familien- und Erbrecht ausgesprochen : eine Kundgebung von nicht zu unter-

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schätzender Bedeutung, besonders wenn man in Betracht zieht, daß an der Spitze der zur Zeit herrschenden Richtung ein Gelehrter und Staatsmann von der Bedeutung eines Mancini steht.

Es liegt nun sehr nahe, den Grundsatz, welcher also für das internationale Privatrecht wissenschaftlich auf den Schild erhohen ist, anzunehmen und auch auf unser interkantonales Privatrecht anzuwenden; denn soweit die Souveränetät der Kantoue im Gebiet des Privatrechts noch besteht, verhalten sich dieselben zu einander wie verschiedene Staaten. Auch in dieser Beziehung bildet die Schweiz einen Mikrokosmus.

Wenn die Kommission dennoch und, um es zu wiederholen, einmüthig dem Wohnsitzgrundsatz fast durchgehende den Vorzug gegeben hat und darin noch weiter geht als der Bundesrath, so geschieht es aus folgenden Gründen: l ) I m i n t e r n a t i o n a l e n Privatrecht läßt sich die Bevorzugung des Heimatsgrundsatzes vornehmlich damit rechtfertigen, daß das Privalreoht der einzelnen Staaten sehr verschieden entwickelt, hier weit vorgeschritten, dort stark zurückgeblieben ist.

Es entspricht der edelsten Auffassung vom Vaterland, daß der Bürger, welcher durch das Schicksal hinausgetrieben wird in die Fremde, als Talisman und als vornehmstes Gut, das wie eine körperliche Eigenschaft mit ihm wandert, dns Recht der Heimat beibehält. "Wie die Gewißheit, stets und auch im schlimmsten Falle daheim ein anständiges Refugium zu finden, den Angehörigen einer civilisirten Nation draußen in der Fremde und drüben über'm Meer froh in die Z u k u n f t blicken läßt, so wird ihn das stets g e g e n w ä r t i g e Bewußtsein des Zusammenhangs mit dem Vaterland, hergestellt durch das ideale Band des H e i m a t r e c h t s , auch auf uawirthUchem Gestade mit Muth beleben und mit Thatkraft erfüllen. So gibt auch die Schweiz dem Schweizer Heimat recht mit in die Fremde bezüglich der persönlichen Handlungsfähigkeit (Art. 10 des Bundesgesetzes vom 22. Bi-achmonat 1881) und anerkennt nur den hiesigen Gerichtsstand für die Ehescheidung.

Das Bedürfniß nach der Beibehaltung des Heimatreehts in der Fremde muß nach Maßgabe des Zustandes des Wohnsitzrechts wachsen oder abnehmen. Je besser das Wohnsitzrecht, desto geringer jenes ßedürfniß. Wo das Recht hier und das Recht dort ungefähr auf der gleichen Stufe der Entwicklung stehen, da hat es, auch vom
Standpunkt des Rechtssubjekts aus, gar keinen Sinn, daß Jeder sein besonderes Rechtssystem in der Tasche trage. Ja, die vermeintliche Wohlthat kann zur herben Plage werden.

613 Wir besitzen nun zum Glück in sämmtlichen Kantonen ziemlich geordnete Rechtszustände und, mit ganz unbedeutenden Ausnahmen, ausgebildetes, den modernen Begriffen entsprechendes Privatrecht.

Das Zutreffendste, was im internationalen Privatrecht für das Nationalitätsprinzip vorzubringen ist, trifft also bei unsern interkantonalen Verhältnissen und filr die Ausländer in der Schweiz beinahe gar nicht zu.

2) Findet, das H e i m a t s p r i n z i p seine Berechtigung in dem Interesse des Rechtssubjekts, des I n d i v i d u u m s , so entspricht umgekehrt das W o h n s i t z p r i n z i p dem Begriff der G e b i e t s h o h e i t des Staates und den Interessen des V e r k e h r s .

So weit des Staates Grenzen reichen, so weit soll auch die Herrschaft seiner Privatrechtsgesetzgebung reichen. Die Privatrechtshoheit bildet einen Hauptbestandtheil der Souveränetät. Je höher ein Staat in Kultur und Gesittung steht, desto eher wird er dem Fremden eine Rechtsstellung gewähren, die sich derjenigen des Einheimischen nähert, ja ihr gleichkommt. Aber auch desto weniger wird er fremdes Recht und fremde Gerichtsbarkeit auf seinem Gebiet dulden; denn solche tragen den Charakter eines P r i v i l e g i u m s des Fremden, welches für den Einheimischen, der unter dem allgemeinen Recht des Staates steht und kein anderes, ihm günstigeres, an seine Stelle setzen darf, als ein Nachtheil empfunden wird und verletzend ist.

Indem der Staat seine Privatrechtshoheit auf seinem Gebiet geltend macht, befestigter damit die R e c h t s s i c h e r h e i t . Diese besteht für mich dann, wenn ich, mit Dritten in Beziehung tretend, mit Dritten verkehrend, Kredit nehmend und Kredit gewährend, weiß, wornn ich bin und welches Recht diese Beziehung beherrscht.

Es gibt nun kein sichereres Erkennungszeichen als das Landesgebiet mit seinen offenkundigen Grenzen. Das aber ist keine Rechtssicherheit und keine Verkehrsförderung, wenn ich erst fragen muß, ob der Dritte ein Einheimischer oder ein Fremder, und wie im letztern Fall das Heimatrecht beschaffen sei.

Und umgekehrt richtet sich das Thun und Lassen des Fremden, welcher seit einiger Zeit hier wohnt, regelmäßig, meist unbewußt und unwillkürlich, nach der Sitte, dem Brauch und dem Rechte unseres Landes. Das hiesige Recht wird ihm geläufig, das Heimatrecht fremd. Ja Mancher, der seit Langem nicht mehr in seiner Heimat wohnt oder gar nie dort gewohnt hat, kennt oft sein Heimatrecht kaum mehr, auch wenn er der p o l i t i s c h e n Zu-

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gehörigkeit zur fremden Nation bewußt bleibt und immer noch stolz darauf ist.

Wollte sich trotzdem gegebenen Falls der Fremde darüber beklagen, daß er unter hiesiges Recht gestellt wird, so könnte ihm mit Fug und Recht entgegengehalten werden, daß er den hiesigen Wohnsitz frei gewählt hat und schon zu Anfang wußte oder im Verlauf, ohne alsdann seine Dispositionen zu ändern, erfuhr, daß hier der Wohnsitzgrundsatz gilt.

3) Laut der Volkszählung vom 1. Dezember 1880 besitzen wir in der Schweiz bei einer Gesammtbevölkerung von 2,846,102 211,035 Ausländer; im Kanton Zürich ist das Verhältnis = 317,576 : 27,351; im Kanton Baselstadt = 65,101 : 22,121 = 34 % ; ja im Kauton Genf = 101,595 : 37,907 = 37%.

Nicht weniger als 378,407 Schweizerbürger wohnen in anderen Kantonen, im Kanton Zürich 43,128 = 13% der Gesammtbevölkerung, im Kanton Zug 7368 = 32 °/o ; im Kanton Baselstadt 23,978 = 36% gegen 29 % Basler; im Kanton Neuen bürg 46,154 = 44 °/o gegen 45 °/o Neuenburger ; im Kanton Genf 21,147 = 20% Diese Zahlen beweisen die Notwendigkeit nicht nur der einheitlichen Regelung der civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter, sondern auch der Durchführung des Wohnsitzgrundsatzes. Denn es müßte geradezu als ungeheuerlich bezeichnet werden, wenn die Regelung so erfolgen würde, daß in Baselstadt 70 °/o und in Genf 57 % der Gesammtbevölkerung mit Bezug auf wichtige Gebiete des Privatrechts unter fremdem Recht stehen blieben, beziehungsweise unter solches zu stehen kämen.

4) Allerdings erstreckt bei Anwendung des Territorialitätsprinzips der Wohnsitzstaat seine Wirksamkeit auf den Heimatstaat wie umgekehrt bei Anwendung des Nationalitätsprinzips der Heimat- auf den Wohnsitzstaat. Wen die Behörden des Kantons Zürich als das Brautkind eines dort wohnhaften Berners erklären, der wird zukünftig infolge dessen von Rechtswegen Berner Bürger. Der Zürcher, welcher in Bern wohnt und bevogtigt ist, wird, wenn er infolge liederlicher Vogtverwaltung verarmt, auf dem Schub in seine Heimat spedirt. Solches entspricht allerdings nicht dem Grundsatz: ,,Wer zahlt, befiehlt". Mit Recht sagt aber D u b s in der Botschaft des Bundesrath zum ersten Entwurf, vom 28. November 1862.

,,Im Allgemeinen bemerken wir, daß die Ausbildung des Fürsorge- und Ueberwachungssystems des Heimatkantons,

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welches aus der gespensterartigen Verarmungsgefahr hervorgegangen ist, am meisten dazu beigetragen hat, unsern politischen Gesichtskreis zu verengern, die Entwicklung der individuellen Freiheit zu hemmen ,,Diese Schäden sind alten Datums; die neue Zeit bringt sie uns deshalb stärker zu Tage, weil zufolge der gegenwärtig so stark gesteigerten Beweglichkeit der Bevölkerung die Zahl ·der Niedergelassenen, welche von der Heimat aus administrât · werden wollen, so stark angewachsen ist. Gerade dies ist aber auch der Hauptgrund, warum man genöthigt ist, mit dem alten Natioualitätsgrundsatz zu brechen und zu dem einfacheren Territorialgrundsatz überzugehen. "· 5) Das neue Bundesrecht erweist sich denn auch dem Wohnsitzgrundsatz günstig. Schon Art. 48 der Verfassung von 1848 stellte die allgemeine Vorschrift auf, daß die Schweizerbürger anderer Kantone in der Gesetzgebung und im gerichtlichen Verfahren den Bürgern des eigenen Kantons gleich zu halten seien, und diese Bestimmung ist als Art. 60 in die neue Verfassung hinübergegangen.

Die verfassungsmäßige Gleichstellung ist aber nur dann eine Wahrheit, wenn auch die privatrechtlicheu Beziehungen des Niedergelassenen unter dem nämlichen Recht stehen, wie diejenigen des Kantonsangehörigen.

Noch mehr! Art. 46 der neuen Verfassung geht einen Schritt weiter und schreibt positiv vor, daß die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter in der Regel unter dem Recht und der Gerichtsbarkeit des Wohnsitzes stehen sollen. Damit ist uns der Weg des Deutlichsten gewiesen, sofern wir nicht die Ausnahme zur Regel erheben wollen. Wollen wir verfassungsgemäß vorgehen, so m ü s s e n wir uns mit den Thesen des institut de droit international in Widerspruch setzen.

Es sei endlich beigefügt, daß St. G a l l e n , T h u r g a u und G l a r u s schon seit vielen Jahren den Wohnsitzgrundsatz konsequent bis zum heutigen Tage durchgeführt haben. Von den Abgeordneten dieser Kantone wird bezeugt, daß sich dieses System bewährt und eingelebt habe, auch noch nie von einem auswärts wohnenden St. Galler oder Thurgauer oder Grlarner darüber geklagt worden sei.

Und so dürfen wir denn wohl diese Ausführungen mit dem Ausdruck der Hoffnung schließen, daß von den Fürsten der Wissenschaft über uns schlichte Republikaner wegen unserer Ketzerei ein gnädiges Urtheil gefällt werde.

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IV.

Der Bundesrath vertheilt in Regelung des interkantonalen Rechts die in Frage kommenden Rechtsgebiete folgendermaßen auf die zwei Systeme : a. Lex originis: Status im ganzen Umfang.

b. Lex domicilii: Handlungsfähigkeit, Elternrecht, Vormundschaft, Erbrecht.

Die Kommission ist aus den vom Bundesrath und den oben angeführten Gründen mit der Unterordnung der letztgenannten Rechtsgebiete unter das Wohnsitzprinzip einverstanden, nicht aber damit, daß für sämmtliche Statusfragen das heimatliche Recht und Gericht gelte. Die Kommission sieht gar nicht ein, warum hier eine Ausnahme von der Regel gemacht werden, warum der Wohnsitzrichter und warum das "Wohnsitzr echt für den Entscheid der Statusfragen nicht ebenso gut sein sollen. Die Furcht, daß die Wohnsitzbehörden mit der Zutheilung in fremdes B ü r g e r r e c h t leichtfertig, ja dolos verfahren werden, ist im Großen und Ganzen sicherlich unbegründet.

Anderseits ist nicht zu vergessen, daß durch den bundesräthlichen Vorschlag nicht nur die Kantone mit reinem Wohnsitzprinzip, sondern auch die andern in einen Rechtszustand zurückgeworfen würden, der gewiß von keiner Seite gewollt wird. Was soll man beispielsweise mit dem V a t e r s c h a f t s p r o z e ß anfangen, wenn der fehlbare Jüngling, soweit der Status seines Kindleins in Frage kommt, nur noch vor den Gerichten der H e i m a t belangt werden kann? Das wäre wirklich bequem.

Lediglich mit Bezug auf die A d ' o p t i o n ist die Kommission getheilter Meinung. Bekanntlich kennen nur einige Kantone die Adoption; der Mehrzahl ist sie fremd (den Detail siehe in H u b e r , System des schweizerischen Privatrechts, Bd. I, pag. 410 ff.)- Die M e h r h e i t möchte es im Interesse dieses Rechtsinstituts, welchem sämmtliche Mitglieder günstig gesinnt sind, dem Angehörigen eines Adoptionskantons, der in einem Nichtadoptionskanton wohnt, durch Annahme des Heimatprinzips ermöglichen, seinen Pflegling an Kindesstatt anzunehmen. Die M i n d e r h e i t hält diesem Ausweg hinwiederum das Bedenken entgegen, daß alsdann im umgekehrten Fall (Nichtadoptionsbürger im Adoptionskanton wohnhaft) Mancher, der gern adoptiren möchte, nicht adoptiren darf. Wichtig ist Ihr Entscheid nicht; denn die Fälle sind selten. Wer um jeden Preis adoptiren will, der kann, falls Sie das Wohnsitzprinzip vorziehen, den Wohnsitz in einen Adoptionskanton verlegen ; falls Sie aber dem Heimatprinzip huldigen, so muß er sich am rechten Ort einbürgern.

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Y.

Lassen Sie uns übergehen zum z w e i t e n Theil unserer Aufgabe, zur Frage des e h e l i c h e n G ü t e r r e e h t s. Hier tritt das Nationalitätsprinzip, obgleich es theoretisch genommen auch bei diesem Rechtsverhältniß konkurriren könnte, in den Hintergrund und erscheint statt seiner der Grundsatz der Un w a n d e l b a r k ei t des ehelichen Güterrechts auf dem Plan, um dem Territorialgrundsatz den Sieg streitig zu machen.

Nirgends mehr als hier stehen sich die Interessen des Trägers des Rechts und diejenigen des Publikums so direkt und schroff gegenüber. Aber auch nirgends wendet sich der Effekt der konsequenten Durchführung des einen oder des anderen Grundsatzes so oft und so fühlbar g e g e n .denjenigen oder diejenigen, den oder die man begünstigen will.

Mit vielem Recht wird hervorgehoben, daß der Ehe v e r t r a g , der vor oder bei Eingehung der Ehe abgeschlossen wird, mit Bezug auf seine ökonomischen Folgen jedem andern vermögensrechtlichen Vertrag gleichsteht u n d w o h l e r w o r b e n e R e c h t e schafft, welche naturgemäß so lange bestehen sollen, als die Ehe selbst. Ganz richtig wird betont, daß ein großes Unrecht darin liegt, wenn der Ehemann durch willkürliche, ja boshafte Wohnsitzverlegung die Wirkung des Ehevertrags zum Nachtheil der Ehefrau aufheben und den Schutz des Frauenguts in Schutzlosigkeit umwandeln kann. Zum Dritten wird ebenfalls mit Recht behauptet, dass im Anspruch auf gesetzlichen Schute dem Ehevertrag dasjenige gesetzliche Gütersystem gleichzuachten sei, das beim Beginn der Ehe gegolten. Denn die Wahl des e r s t e n ehelichen Domizils steht den Verlobten frei, ja ist für sich selbst Gegenstand einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung unter ihnen. Indem sie sich auf einen bestimmten ersten Wohnort einigten, wählten sie als ihr eheliches Güterrecht das Recht, welchem sie durch die Gesetzgebung dieses ersten Wohnorts unterstellt wurden. Da dieses ihren Intentionen entsprach, unterließen sie die Errichtuug eines besondern geschriebenen Vertrags; denn dieser hätte ja nur dann einen Sinn gehabt, wenn sie eine von dem allgemeinen, zwingenden oder subsidiären Recht des ersten Domizils abweichende Ordnung ihrer gegenseitigen wirthschaftlichen Verhältnisse vornehmen gewollt.

Wuchtig sind anderseits die Gründe, welche für die Herrschaft des
Wohnsitzgrundsatzes geltend gemacht werden. Nichts verdient m e h r ein Postulat der Rechtssicherheit genannt zu werden und Nichts liegt m e h r im Interesse des Verkehrs, als daß das Güterrecht eines bestimmten Rechtsgebietes auf a l l e Ehepaare Anwendung finde,

618 die dort wohnen. Das Vermögen der beiden Ehegatten befindet sich, körperlich unausgesondert, beisammen und bildet für das Auge des Dritten eine E i n h e i t . Der Dritte weiß oder erfährt leicht, was er nach den Gesetzen des Wohnorts von dieser Einheit zu halten hat, und richtet sich darnach. Auch ist es wahr, daß die übergroße Mehrzahl der Ehen abgeschlossen werden ohne Vermögen, und daß die meisten Heirathslustigen nur an's Heiratheu und nicht an das zur Zeit noch gegenstandslose eheliche Güterrecht denken.

(Deßhalb trifft auch das geflügelte Wort: la loi c'est le contrat des pauvres, nicht zu.) Wozu da das erste eheliche Güterrecht garantiren, wozu es als maßgebend für die Folgezeit aufzwingen?

Die Wissenschaft vom internationalen Recht ist noch nicht dazu gelangt, auf dem Gebiete des ehelichen Güterrechts eine einheitliche Doktrin aufzustellen. In den Thesen, welche von drei Gruppen von Mitgliedern des institut de droit international (Arntz und Westlake, Bar und Brusa, König) 1883--1885 aufgestellt worden sind, schwirren Nationalitäts- und Wohnsitzprinzip, ersteres in verschiedenen Nuancen, bunt durch und gegen einander, und einig scheint man nur zu sein über den Grundsatz der Unwandelbarkeit. (Revue de droit international, Band XIX, pag. 141 und 142.)

In den kantonalen Privatrechten sind sämmtliche überhaupt gedenkbare Systeme vertreten, so z. B. in St, Gallen das starre Wohnsitzrecht als lex cogens, in der welschen Schweiz das System des französischen Code civil, in Zürich, in Bern das · Heimatprinzip, im Kanton Thurgau der Wohnsitzgrundsatz mit dem Recht der Einwandernden, ihr bisheriges eheliches Gütersystem durch amtliche Einschreibung aufrecht zu erhalten.

Diese Systeme haben sich in ihren Geltungsgebieten eingelebt, finden ihren Ausdruck in Tausenden von Verträgen, ja in den wirthschaftlichen Beziehungen jedes Ehepaares in der Schweiz, und regeln nicht einen einmaligen Rechtsakt, sondern dauernde Verhältnisse. Will man also nicht von vornherein drei Viertheile der Bevölkerung gegen sich-haben, so muß man -- in Helvetien nichts Neues -- zu vermitteln suchen. Es scheint nun der Kommission, daß diejenige Vermittlung, welche im thu r g a u i s c h e n Recht ausgedrückt ist, welche der Thurgauer A n d e r w e r t in den von ihm verfaßten zweiten Entwurf des Bundesrathes, d. d. 25. Oktober
1876, aufgenommen hat und welche nun auch im heutigen dritten Entwurf des Bundesrathes vorgeschlagen wird, das Richtige treffe. Wir pflichten daher grundsätzlich dem bundesräthlichen Vorschlag bei und weichen nur in Einem wesentlichen Punkt von der bundesräthlichen Detailkonstruktion des Gedankens ab. Wir

619 lassen den Einschreibungstermin nicht von der amtlichen Befragung an laufen, sondern bezeichnen als dies a quo den Tag des Wohnsitzwechsels. Dadurch wird die privatrechtliche Bedeutung der amtlichen Befragung aufgehoben und die ungeheure Verantwortlichkeit des zur amtlichen Befragung verpflichteten Beamten bedeutend vermindert.

Welches Recht gilt, wenn sich innerhalb der drei Monate etwas ereignet, was die Abgabe der Erklärung verunmöglicht (z. B. der Tod eines Ehegatten)? Das Wohnsitzrecht.

Wenn auch durch unser Gesetz die meisten Schwierigkeiten, die sich aus der örtlichen Statutenkollision ergeben, gehoben werden, so bleiben trotzdem noch Schwierigkeiten genug. Insbesondere können unmöglich alle Fälle, wo die Verletzung wohlerworbener Rechte durch das Recht des neuen Wohnorts in Frage kommt, und alle Fälle, wo das im ehelichen Güterrecht angenommene System mit dem Wohnsitzsystem auf andern Gebieten zusammenstößt, gesetzlich geregelt werden.

Ganz besonders schwierig ist der Widerspruch zwischen dem Territorialprinzip im Erbrecht und dem Grundsatz der allerdings bedingten Unwandelbarkeit des Ehevertrags.

Wir haben die Lösung so versucht, daß wir die Eheverträge respektiren, soweit sie das N o t h e r b r e c h t des Wohnsitzes nicht verletzen.

VI.

Zum Schlüsse schulden wir Ihnen darüber Auskunft, .wie wir dazu gelangt sind, Ihnen unseren neuen Art. 5 vorzuschlagen, lautend : ,,Zerfällt ein Kanton in verschiedene Rechtsgebiete, so werden dieselben mit Bezug auf die Bestimmungen dieses Gesetzes als besondere Kantone angesehen."

Schon bei der Berathung des zweiten Entwurfs wurde hervorgehoben und im Schooß der Kommission ist neuerdings darauf hingewiesen worden, daß der Kanton Bern in zwei Privatrechtsgebiete zerfällt (alter und neuer Kanton) und ebenso im Kanton Schwyz verschiedene Erbrechtsgebiete bestehen. Es versteht sich von selbst, daß zwischen solchen Kantonstheilen ganz genau die gleichen Statutenkollisionen entstehen. Siehe zum Beispiel das Urtheil der Appellationskammer des Kantons Bern vom 28. Juli 1887, in Sachen Erben Arn contra Wittwe Arn, betreffend

620 Erbrecht. Die Schwierigkeit ist ganz analog derjenigen, welche durch unser Gesetz beseitigt werden soll, und muß nach der Natur der Sache gleichzeitig gehoben werden. Streitig kann da nur die Z u s t ä n d i g k e i t des Bundes sein. Sie ergibt-sich jedoch in klarer Weise aus der Nolhwendigkeit, bundesrechtlich festzustellen, was unter dem Recht der Heimat, ferner was unter der Gesetzgebung des ersten ehelichen Wohnsitzes zu verstehen sei, und drittens, was als eister Wohnsitzwechsel gelten solle Die Begründung von verhältnißmäßig unwesentlichen Aenderungen am bundesräthlichen Entwurf bleibt dem mündlichen Bericht vorbehalten.

Der bundesräthliche Entwurf soll lediglich als B e r a t h u n g s g r u n d l a g e dienen und es kann je nach dem sachlichen Ergebniß der Berathung die Anordnung des Stoffes geändert und das Gesetz bedeutend abgekürzt werden.

Französischer Berichterstatter ist Herr J o l i s s a i n t , deutscher der Unterzeichnete.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung vollkommener Hochachtung.

B e r n , den 12. Juni 1888.

Im Namen der verordneten Kommission, Der Präsident: L. Forrer.

621 .A. li li a il g-.

Neuer Entwurf der nationalräthlichen Kommission.

(Nach den Beschlüssen vorn 5. Juni 1888.)

Bundesgesetz betreffend

die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter.

A. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 1. Diejenigen Schweizerbürger, welche als Niedergelassene oder Aufenthalter in einem Kantone wohnen, in welchem sie nicht heimatberechtigt sind, stehen in Ansehung des Personen-, Familien- und Erbrechts unter dem Rechte und der Gerichtsbarkeit ihres Wohnsitzes, sofern dieses Gesetz nicht Ausnahmen feststellt.

Art. 2. Der Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes befindet sich an dem Orte, wo Jemand mit der Absieht, daselbst dauernd zu verbleiben, wohnt.

Die Unterbringung einer Person in einer Brziehungs-, Pflege-, Versorgungs-, Irren- oder Strafanstalt begründet für dieselbe nicht einen eivilrechtlichen Wohnsitz.

Im Streitfalle wird der Wohnsitz nach der Gesammtheit der dabei in Frage kommenden thatsächlichen Verhältnisse bestimmt.

Der einmal begründete Wohnsitz einer Person dauert so lange fort, bis sie ihre Wohnung an einen andern Ort verlegt und daselbst einen neuen Wohnsitz erworben hat.

622 Art. 3. Als Wohnsitz der Ehefrauen und der minderjährigen Kinder gilt der Wohnort des Ehemannes und des Inhabers der elterlichen Gewalt.

Als Wohnort der unter öffentlicher Vormundschaft stehenden Personen gilt der Sitz der Vormundschaftsbehörde.

Art. 4. Ist ein Sehweizerbürger in mehreren Kantonen heimatbereehtigt, so kommt bezüglich der civilrechtlichen Verhältnisse, für welche nach diesem Gesetze das Heimatrecht maßgebend sein soll, die Gesetzgebung desjenigen Heimatkantons zur Anwendung, in welchem der Bürger wohnt oder seinen letzten Wohnsitz gehabt hat, und, falls ein solcher fehlt, die Gesetzgebung des neuern Heimatkantoiis.

Art. 5. Zerfällt ein Kanton in verschiedene Rechtsgebiete, so werden dieselben mit Bezug auf die Bestimmungen dieses Gesetzes als besondere Kantone angesehen.

B. Personen- und fanülienreclittiche Verhältnisse.

1. Handlungsfähigkeit.

Art. 6. Die persönliche Handlungsfähigkeit, soweit sie nicht durch die Bundesgesetzgebung einheitlich geordnet ist, richtet sich nach dem Gesetze des Wohnorts.

2. Familienstand.

c.

Art. 7. Der Familienstand unterliegt, abgesehen von den durch das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe geordneten Verhältnissen, der Gesetzgebung des Wohnsitzes. Insbesondere sind nach diesem Rechte zu beurtheilen die Frage der ehelichen oder unehelichen Geburt, sowie die Wirkungen der freiwilligen Anerkennung und des behördlichen ZuspruchsUnehelicher.

Dagegen gilt in Bezug auf die Adoption das Recht und der Gerichtsstand der Heimat der adoptirenden Person.

623 3. Elternrecht.

Art. 8. Für das Elternrecht (elterliche Gewalt, Unterstützungspflicht zwischen Eltern und Kindern u. s. w.) ist die Gesetzgebung des Wohnortes maßgebend.

4. Vormundschaft.

Art. 9. Die Behörde des Wohnsitzes hat die Vormundschaft über einen Niedergelassenen oder Aufenthalter aus einem anderen Kanton überall da anzuordnen und auszuüben, wo die Voraussetzungen für die Bevormundung eines Kantonsbürgers zutreffen.

Art. 10. Die Vormundschaft begreift sowohl die Obsorge für die Person des Bevormundeten als die Vermögensverwaltung in sich.

Art. 11. Dem Heimatkanton steht das Recht nicht zu, einen Bürger, der in einem andern Kanton wohnt, unter Vormundschaft zu stellen. Dagegen ist er berechtigt, bei den Behörden des Wohnortes die Bevormundung desselben zu beantragen.

Art. 12. Bei einem Wohnsitzwechsel, welcher mit Zustimmung der bisherigen Vormundschaftsbehörde erfolgt, gehen Rechte und Pflichten der Vormundschaft an die Behörde des neuen Wohnsitzes über und ist das Vermögen des Bevormundeten an diese zu verabfolgen.

Art. 13. Die Wohnortsbehörde ist verpflichtet, der Heimatbehörde von dem Eintritt und der Aufhebung einer Vormundschaft Kenntniß zu geben und ihr außerdem auf Verlangen über alle die Vormundschaft betreffenden Fragen Aufschluß zu ertheilen.

5. Gliterrecht der Ehegatten.

Art. 14. Die ehelichen Güterrechtsverhältnisse, mit Inbegriff der Eechtsstellung der Ehefrau im Konkurse des Mannes, unterliegen der Gesetzgebung des Wohnsitzes der Ehegatten.

624 Es steht jedoch bei Verlegung des Wohnsitzes jedem Theile innerhalb dreier Monate von diesem Zeitpunkt an das Recht zu, das durch rechtsgültigen Ehevertrag oder die Gesetzgebung des ersten ehelichen Wohnsitzes begründete Gütersystem aufrecht KU erhalten.

Wird eine solche Erklärung von den Eheleuten nicht beim ersten Wohnsitzvvechsel in der Schweiz abgegeben, so können dieselben bei einer spätem Aenderung des Wohnortes von dieser Befugniß keinen Gebrauch mehr machen.

Art. 15. So oft Eheleute aus einem anderen Kanton einziehen und sich anmelden, wird die Behörde des neuen Wohnorts dieselben auf die Bestimmungen von Art. 14 aufmerksam machen.

Erfolgt die Erklärung rechtzeitig, so ist sie amtlich einzuschreiben und öffentlich bekannt zu machen. Alsdann gilt aie sowohl unter den Ehegatten als auch gegenüber Dritten.

C. Erbrecht.

Art. 16. Die Erbschaft eines in der Schweiz wohnhaften Suhweizerbürgevs wird für die Gesarnintheit des Vermögens am Wohnorte des Erblassers eröffnet und unterliegt der Gesetzgebung dieses Ortes.

Vorbehalten bleiben die einem Ehegatten auf den Todesfall des andern durch Ehevertrag zugesicherten Vortheile, sofern der Vertrag nicht das am Wohnorte des Erblassers geltende Notherbrecht verletzt.

Art. 17. Letztvrillige Verfügungen und Erbverträge, sowie Schenkungen auf den Todesfall sind rücksiehtlich ihrer Form gültig, wenn sie dem Gesetze des Errichtungsortes oder demjenigen des Wohnortes des Erblassers entsprechen.

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D. Verhältnisse der Schweizer im Auslande.

Art. 18. Wenn für die Rechts Verhältnisse der im Ausland wohnhaften Schweizerbürger gemäß der dortigen Gesetzgebung das Heimatrecht gilt, so kommt, vorbehaltlich der Bestimmungen von Art. 19 und 20 des gegenwärtigen Gesetzes, das Recht des Heimatkantons der betreffenden Bürger zur Anwendung.

Art. 19. Bevormundete Schweizerbürger, die sich außer Landes begeben, bleiben, so lange der Grund der Bevormundung fortbesteht, unter der bisherigen vormundschaftlichen Gewalt.

Wird die Bestellung einer Vormundschaft über eine auswandernde oder landesabweseode Person nöthig, so ist hiefür die Behörde des Heimatkantons zuständig.

Art. 20. Die im Auslande wohnhaften schweizerischen Eheleute, deren Güterverhältniß nicht durch die ausländische Gesetzgebung bestimmt wird, stehen unter demjenigen Güterrechte, welches an ihrem letzten ehelichen Wohnsitze in der Schweiz für sie rechtliche Geltung hatte, und falls sie niemals in der Schweiz gewohnt haben, unter dem Rechte ihres Heimatkantons.

E. Terhältnisse der Ausländer in der .Schweiz.

Art. 21. Die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes finden, soweit nicht Staatsverträge entgegenstehen, mit Ausnahme des Artikel 7, Absatz l, und vorbehaltlich der in Art. 22 enthaltenen Bestimmung, auf die in der Schweiz wohnenden Ausländer entsprechende Anwendung. Die Vormundschaft ist auf Begehren der Heimatbehörde an diese abzugeben.

Art. 22. In Bezug auf die persönliche Handlungsfähigkeit der Ausländer gilt Artikel 10, Absatz 2 und 3, des Bundesgesetzes betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit, ßundesblatt. 40. Jahrg. Bd. III.

41

626

F. Uebergangs- und Schlußbestimmnngen.

Art. 23. Dieses Gesetz tritt am in Kraft.

Art. 24. Ehegatten, deren bisheriges Güterrecht in Folge der Bestimmung von Art. 14, Absatz l, dieses Gesetzes geändert würde, sind, jeder Theil für sich, berechtigt, durch eine innerhalb dreier Monate von an abzugebende Erklärung das bisherige Güterrecht beizubehalten. Art. 15, Absatz 2, findet alsdann entsprechende Anwendung.

Bei einem spätem Wohnsitzweehsel kann dieses Güterrecht unter Beobachtung des in Art. 14, Abs. 2, vorgesehenen Verfahrens festgehalten werden.

Art. 25. Der Bundesrath wird das Verfahren zur Festhaltung und Bekanntmachung der bereits begründeten ehelichen Güterrechtsverhältnisse näher bestimmen und gleichzeitig Vorsorge treffen, daß die am im Auslande wohnhaften oder innerhalb dei nächstfolgenden drei Monate auswandernden schweizerischen Eheleute in entsprechender Weise in den Stand gesetzt werden, ihr bisheriges eheliches Güterrecht durch eine rechtsgültige Erklärung festzustellen.

Art. 26. Das Bundesgericht beurtheilt nach dem für staatsrechtliche Entscheidungen vorgeschriebenen Verfahren die bei der Anwendung dieses Gesetzes entstehenden Streitigkeiten; dasselbe hat in gleicher Weise Anstände zu erledigen, die über Einleitung der Vormundschaft, Wohnsitzwechsel eines Bevormundeten und sonstige vormundschaftsrechtliche Fragen zwischen zwei oder mehreren Kantonen sich erheben.

Art. 27. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden alle demselben widersprechenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung aufgehoben ; deßgleichen treten außer Wirksamkeit:

627 1) das Konkordat über vormundschaftliche und Bevogtungsverhältnisse vom 15. Juli 1822 ; 2) das Konkordat über Testirungsfähigkeit und Erbrechtsverhältnisse vom 15. Juli 1822.

Art. 28. Der Bundesrath ist beauftragt, gemäß den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, dieses Gesetz bekannt zu machen.

#ST#

Aus den Verhandlungen des Schweiz. Bundesrathes.

(Vom 18. Juni 1888.)

Der Bundesrath hat beschlossen: 1) Es sei von nun an auf den eingeführten Spiritus-Lacken außer dem tarifgemäßen Zoll eine Extragebühr, entsprechend den Kosten, welche der einheimische Fabrikant für die Denaturirung des für solche Lacke zur Verwendung kommenden Sprits tragen muß, zu erheben, und diese Gebühr auf Fr. 3. 50 per 100 kg. brutto festzusetzen; 2) die Verrechnung dieser Gebühr habe zu Gunsten der Alkoholverwaltung zu geschehen; 3) das Zolldepartement habe die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme anzuordnen.

Der Bundesrath hat die Medizinalprüfungskommissionen für Bern, Genf, Lausanne und Zürich neu bestellt. Die Wahl der Kommissionen für Basel konnte noch nicht stattfinden, da der leitende Ausschuß die im Art. 13 der neuen Prüfungsverordnung

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Bericht der Kommission des Nationalrathes zu dem Gesetzes-Entwurf über die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter. (Vom 12. Juni 1888.)

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Bundesblatt

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Jahr

1888

Année Anno Band

3

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28

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

23.06.1888

Date Data Seite

608-627

Page Pagina Ref. No

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