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Bericht des

Schweiz. Generalkonsuls in St. Petersburg (Hrn. Jacques Philippin-Duval, aus Genf), über das Jahr 1872.

(Vom März 1873.)

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

Tit. !

Die Uebersicht der Zolleinnahmen in Rußland für das Jahr 1872, welche soeben offiziell veröffentlicht worden, bietet sehr befriedigende, in den Finanzannalen des Reiches als Ausnahme dastehende Ergebnisse.

Ohne daß der Tarif geändert worden wäre, haben die Einnahmen der Zollämter die Höhe von Rbl. 54,358,341 erreicht ; hierin sind die Zolleinnahmen der Transkaukasischen Gebiete, welche ungefähr Rbl. 1,500,000 betragen, nicht mit inbegriffen.

mithin Rbl. 9,580,841 mehr als im Budget vorgesehen war. Außerdem hat die normale Zunahme des Consuma um Rbl. 5,078,982 gegen 1871 und um Rbl. 12,213,299 gegen 1870 zugenommen, d. h. um 23 ° o in zwei Jahren. Wenn man diese Zahlen mit jenen im Jahre 18G2 erreichten vergleicht, so ist eine Verdoppelung der Zolleinnahmen des Reiches in .zehn Jahren daraus nachzuweisen.

Zwei Drittel der Zolleinnahmen sind von einer kleinen Zahl von allgemeinen Gebrauchsartikeln erhoben worden und ist die Zunahme seit 1862 aus nachstehender Tabelle ersichtlich :

335

Zunahme Einnahmen gegen im Jahre '1871.

1862.

Rubel.

Eubel.

Rubel.

1,663,670 13,031,760 5,649,937 Thee 534,861 2,684,224 4,404,290 Getränke 151,434 1,064,622 Wollengewebe 3,293,091 183,412 1,492,740 2,598,874 Oele 287,313 1,917,402 980,731 Seidengcwebe 210,366 996,534 1,855,486 Baumwollengewebe 172,597 937,313 Tabak .

1,322,439 1,274,624 3,599,072 1,261,691 Zucker .

188,175 1,096,488 295,220 Leinen .

-- 51,211 . 997,498 Mineralöl 681,464 126,117 Maschinen -- In diesem Verzeichniß kann die auf Einfuhr von Zucker im Jahr 1872 bezügliche Zahl nicht als normal gelten, da sie durch die zufällige Preissteigerung dieses Artikels in Folge der schlechten im Jahre 1871 erzielten Runkelrüben-Ernte bedingt ist; außerdem sind darin auch viele Waaren, welche zum unumgänglichen Lebensbedarf gehören, nicht angeführt, wie z. B. das Salz, dessen Einfuhr Rbl. 3,200,000° eingebracht hat; Früchte und Gemüse mit Rubel 1,200,000; verarbeitete Metalle mit Rbl. 1,600,000; sowie Rohmetalle, Wolle, Caffee u. s. w., deren Erträge für 1872 noch nicht ermittelt sind, welche man aber wenigstens denen des verflossenen Jahres gleichstellen muß.

Die Einnahmen auf Thee sind besonders befriedigend und haben sich seit zehn Jahren mehr als verdoppelt; da dieses Getränk allgemein in Gebrauch ist, so ist aus der Verbrauchszunahme eine Steigerung des allgemeinen Wohlstandes herzuleiten. Die schnelle Zunahme der Zolleinuahmen auf Getränke, Seiden-, Wollenund Baumwollenstoffen, Leinen, Tabak ist eher als ein Anzeichen des zunehmenden Luxus in den höhern Schichten als wie-des erhöhten Wohlstandes der Gesammtheit anzusehen. In der That sind es die Ersteren, welche jene Luxusartikel, als wie: Champagner und andere Weine, feine Liqueure, theure Stoffe, türkischen Tabak und Cigarren verbrauchen, welche die Hauptquelle jener in obiger Tabelle klassifizirten Einnahmen bilden. Der Gebrauch des Mineralöles fängt au, sich nach und nach zu verallgemeinern ; die starke Einfuhr von Oelcn ist ein Zeichen großer Entwickelung auf dem industriellen Gebiete. Hingegen kann man aus den Einnahmen auf Maschinen keine Schlüsse auf den Stand der Volkswirtschaft ziehen, da alle landwirtschaftlichen Maschinen, Lokomotiven und Artikel.

Einnahmen im Jahre 1872.

336 andere für den Eisenbahnbetrieb nöthige Maschinen zollfrei eingeführt werden. Wären jene Artikel, als wie: Maschinen, Metalle und Apparate tarifirt, so würden die Zolleinnahmen durch sie um Rbl. 10,000,000 erhöht worden sein. Nachstehend eine vergleichende Aufstellung der Ein- und Ausfuhr "des Reiches in den Jahren 1871 und 1872: Einfuhr.

1871.

1872.

Rohzucker .

.

.

.

Pud ' 4,419 494,363 Raffinirter Zucker, Candis, in Broden und Kisten u. s. w.

3,411 26 n Thee aus Kanton 690,241 791,110 "n Caffee .

.

.

.

492,132 445,014 n Oel . . . . . .

1,341,819 1,432,988 ·n Wein .

.

.

.

.

995,103 1,102,943 n Wein .

.

.

.

. Flaschen 357,828 389,055 Champagner 1,079,247 1,196,152 n Salz .

.

.

.

.

Pud 11,832,324 11,624,884 Tabak in Blättern 181,979 224,443 fi ,, ,, Rollen u: Cigarren 3,915 3985 fi Baumwolle, roh .

3,405,959 4,002,143 fì 304,204 ,, gesponnen 258,583 fi 584,104 574,702 Farbhölzer T) Indigo .

.

.

.

59,557 53,518 fi 1,811,834 1,720,420 Flüchtige Leuchtöle fi 1,624,204 2,923,306 Gußeisen, roh fi Stabeisen, Faconeisen, altes 3,970,224 5,619,366 Eisen .

.

.

.

ft Eisenplatten für Kessel und 1,258,537 1,289,667 Schiffpanzer, Eisenblech .

fi 5,834,372 6,981,786 Eisenbahnschienen fi 708,586 585,986 Blei fi 166,911 109,596 Wolle, rohe f) 5,617 55,261 ,, ungcsponnen fì 31,452 41,123 ,, Kunstf) 179,946 224,076 ,, und gesponnenes Haar f) 16,662 15,757 Seide .

.

.

.

.

7) 944,640 951,288 Soda 'fi 64,704,685 75,550,746 Steinkohlen fi Lokomotiven, Lokomobilen, 2,170,981 1,970,449 Maschinentheile u. Zubehör f) 106,116 93,766 Gewebe, baumwollene f) 139,501 144,423 ,, wollene f) 10,564 12,907 ,, seidene .

fi 2,465,206 2,716,836 ,, leinene .

f)

337

A u s f u h r.

1871.

1872.

. Tscherwert 11,526,404 , 3,900,729 .

·n 1,442,493 .

11 577,820 .

·n 112,974 .

V) 4,742,788 .

n 526,762 n 414,221 ·n

9,858,775 3,040,854 1,098,549 415,371 60,512 1,394,122 833,195 262,665

Zusammen Tscherwert .23,244,191 Pud 2,417,521 Lein- und Hanfsamen .

5,553 Lein- und Rapsöl ·n 237,401 Butter .

·n Sprit 'und Branntwein .

499,325 v> Honig und Melasse 57,351 n Tabak .

.

.

.

130,600 ·n Hornvieh .

.

.

.

66,594 .·n Hammel und Schafe 467^1 51 V) Pferde .

.

.

.

10,632 T) Talg 931,976 n Flachs .

.

.

.

9,015,049 vi Flachswerg 929,766 ·n Hanf 3,651,924 ·n Hanfwerg .

.

.

.

89,881 "n Gespinnste in Leinen und Hanf 283,474 ·n Rohe Felle .

. . .

139,714 ·n Zugerichtetes Leder u. Juchten 23,639 fi Knochen .

.

.

.

865,664 T) Rohe Wolle 1,026,689 "fi Schweinsborsten .

98,607 V) Roßmähnen 43,456 ·n Potasche .

.

.

.

448,996 ·;T Eisen .

.

.

.

.

262,714 7) Kupfer . · .

992 Y) Lumpen .

.

.

.

658,018 V) Seilerwaaven 190,278 V) Gewebe aus Werg, Segeltuch 15,321 Ï) Stücke 8,370,854 Grobes Leinen Arschinen 8,771 Gewebe .

.

.

.

Pud 123,636 Holz Rubel 14,02(5,284 Pelzwerk .

.

.

.

Pud 49,428

16,964,043 2,311,949 18,160 144,059 653,156 56,735 154,861 56,413 623,415 12,784 649,601 7,238,838 775,529 3,790,069 100,976 504,413 220,886 34,383 1,015,537 1,304,227 111,859 43,731 303,860 476,222 91,072 621,226 294,284 15,193 7,592,251 16,956 287,725 22,574,583 80,825

Weizen .

.

Roggen . . .

Gerste .

.

Maïs . . . .

Erbsen .

.

Hafer .

.

Mehl Andere Brodfrucht

.

.

.

.

.

.

338

Während die Einfuhr gegen das Jahr 1871 bedeutend zugenommen hat, ist die Ausfuhr, namentlich in Getreide, merklich gesunken. Es ist darauf zu achten, daß die Einfuhr zugenommen hat von Artikeln, welche zollpflichtig sind,, .dagegen - von solchen, welche zollfrei sind, abgenommen hat. Die Ausfuhr von Getreide war besonders im Monat Juni schwach, wo sie um fast 21/* Millionen Tschertwert nachließ ; die Minderausfuhr betrifft hauptsächlich die Häfen von St. Petersburg und Riga ; desgleichen waren die Geschäfte in den Häfen des Asow'schen Meeres mittelmäßig ; nur Odessa hat mehr als im verflossenen Jahre ausgeführt. Die Leincn-ausfuhr hat überall abgenommen, doch wird diese Abnahme durch entsprechende Zunahme der Ha.nfausfuhr ausgeglichen. Erwähnenswert!) ist die gesteigerte Wollenausfuhr, welche sich lange Zeit gleich geblieben war, ebenso die Holzausfuhr. In den andern Artikeln sind kaum Veränderungen zu verzeichnen, als die gewöhnlich darin vorkommenden Schwankungen. Dieser Unterschied zwischen der vermehrten Einfuhr und der verminderten Ausfuhr hätte scheinbar einen bedeutenden Theil des Metallgeldes abwendig machen müssen, was jedoch nicht der Fall war, und ergeben die von der Zollverwaltung über die Bewegung des Metallgeldes veröffentlichten Zahlen nachstehende vergleichende Uebersicht. Bezüglich der Münzen und der Gold- und Silberbarren stellt sich das Verhältniß vergleichsweise, wie folgt :

1872.

1871.

1870.

Eingeführt für Rubel 12,780,950 -f 5,611,050 -f J 0,497,529 Ausgeführt ,, ,, 6,830,808 -- 10,060,764 -- 16,444,117 Die bedeutenden Hülfsmittel, welche die Realisiruug der kon.solidirten Anleihen dem Staate im Auslande eingebracht hat, können einigermaßen diese für Rußland günstige Bilanz erklären. Die Wechselkurse bewegen sich jezt mit großer Sicherheit und haben in ihren Schwankungen das bei der Ausfuhr bemerkte Sinken nicht nachgeahmt. Während der ersten sechs Monate des Jahres 1872 haben die Kurse auf London nur von 32n/32 zu 3231/-"^ l'enee geschwankt, d. h. nur um i Prozent. An den Börsen wurden (lie Valoren, mit Ausnahme jener, deren sich die Spekulation bemächtigt hat, sehr fest und höher denn je notirt.

Der Gesammtaustausch zwischen asiatisch Rußland und den fremden Ländern ist im Jahre 1871 auf Rbl. 24,833,972 gegen Rbl. 28,889,245 im Jahre 1870 gestiegen, was eine Abnahme um Rbl. 4,055,273 ergibt.

Die Ausfuhr, welche in' dieser Zahl mit Rbl. 8,904,026 einbegriffen ist, ist jener des Vorjahres um Rbl. 524,792 überlegen; die Einfuhr erreichte Rbl. 15,929,946 mit einem Minderergebniß von Rbl. 4,580,065 für 1870.

339 Die Ausfuhr an Gold und Silber, gemünzt und in Barren, betrug Rbl. 1,339,156, d. h. um Rbl. 337,008 mehr _als im Jahre 1870; die Einfuhr an Metallwerthen war um Rbl. 158,024 geringer, denn sie betrug 1871 Rbl. 252,557 gegen Rbl. 410,581 im Jahre 1870.

Nachstehende Ueborsicht weist die hauptsächlichsten Ausfuhrund Einfuhr-Artikel des Asiatischen Rußland im Jahr 1871 auf: Ausfuhr.

Baumwollen-Gewebe Wollen-Gewebe · Seide Leder Nicht bearbeitete Metalle Rohe Wolle Brodi'rüchte Rohe Baumwolle Metallarbeiten Pelzwerk Zucker Thee . . .

.

' Getränke Leinen- u n d Hanf-Gewebe .

Vieh Hölzer verschiedener Art * .

Droguericn .

.

.

.

Farbwaarcn Pferde Seidenstoffe

.

.

.

.

.

.

f

Rbl. 745,719 ,, 2,116,798 ,, 1,763,780 ,, 316,694 ,, 205,579 ,, 979,788 ,, 633,605 ,, 470,108 ,, 141,471 ,, 662,959 108,321 ,, 4,052 ,, 7,211 .

.

.

81,041 ,, 56,811 · -n 51,388 .

,, 36,500 ^ 22,993 ,, 200 ,, 54,435

.

.

Einfuhr.

Rohe Baurmvolle Thee Baumwollene Gewebe Yi-li Früchte und Gemüse Rafiinirter Zucker Luder · : Pelzwcrk Seidengewebe Tabak .

.

.

Wolle Wollengewcbe Seide

.

.

.

.

.

.

.

.

.

Rbl. 696,058 ,, 6,322,416 .

. 3,484,561 ,, 165,828 ,, 364,889 , 168,144 ,, 186,796 ,, 212,993 ,, 475,686 .

.

294,078 ^ 25,005 ^ 491,185 ,, 100,502

340

Wachs, Stearin, Talg u. s. w Rbl.

30,355 Brodfrucht .

.

.

.

.

.

.

201,590 B Baurnwollengarn .

.

.

.

.

.

.

88,981 Fische 154,217 fl Galläpfel, Farbwaaren 204,276 Getränke 141,065 fl Metallarbeiten ^ 665,800 Lebwaaren .

^ 5,355 Apothekerwaaren .

.

.

.

.

.

.

6,098 Das Meßgeschäft besteht noch in Rußland in seiner ganzen Ausdehnung und umfaßt den größten Theil des Binnenverkehrs.

In den lezten Jahren hat die jährliche Zufuhr an Waaren nach Mschnii-Nowgorod die Höhe von Rubel 145 Millionen erreicht und betrug der Absatz mehr als Rubel 130 Millionen. Die russischen ßaumwollenwaaren sind jenen des Auslandes in Bezug auf Festigkeit und gute Qualität überlegen, doch arbeiten die russischen Manufakturen, selbst jene ersten Ranges, nur für die unteren Klassen, d. h. sie fabriziren nur Produkte sehr untergeordneter Qualität; das Bedürfniß, den Anforderungen der Consumeuten zu entsprechen, ist aus der Wahl der grellen Farben und deren Zusammenstellung ersichtlich und selbst in den bedruckten feineren Stoffen findet sich der in der russischen Fabrikation vorwiegende etwas ordinäre Geschmack wieder. Unter günstigen Umständen könnte die Baumwollenindustrie den ihr noch nöthigen Fortschritt erreichen und könnte bessere Qualitäten herstellen, wenn sie mit der auswärtigen Industrie wetteifern müßte, d. h. wenn sie nicht geschützt wäre, wie sie es gegenwärtig durch eine Einfuhrgebühr von 40 ° o ist. Wenn die russischen1 Produkte in Wirklichkeit die Eigenschaften, welche man ihnen beilegt, besäßen, so könnten sie ohne Schwierigkeit auf dem inländischen Markte mit den ausländischen Baumwolleawaaren konkurriren, welche ohnedies doch immer durch Frachtspesen und eine mäßige Einfuhrgebühr vertheuert wären. Anstatt auf dem vorgeschrittenen Standpunkte, an welchen sie bereits gelangt ist, stehen zu bleiben, würde die russische Fabrikation sich mehr und mehr vervollkommnen und würde bald auf der Höhe der ausländischen sein.

Der Fortschritt der Wollenindustrie fällt noch mehr als jener der Baumwollenindustrie auf. Die russischen Aussteller auf der Moskauer Ausstellung im Jahre 1872 waren weniger zahlreich als die ausländischen; doch sind alle diese Fabrikanten solche, welche sich einen wohlverdienten Ruf erworben haben, und deren Produkte mit denen des Auslandes konkurriren könnten, wenn Rußland ihnen nicht einen großen, immer gesicherten und hauptsächlich vorteilhaften Absatz böte.

341

Die Fortschritte in der Tuchmanufaktur und deren Hülfsindustrien sind zwar langsam gewesen, dagegen sind sie solider Natur und in stetem Zunehmen begriffen. Früher' wurden nur grobe Tücher für Landleute und die Armee gefertigt, gegenwärtig werden mittlere und selbst feine Sorten hergestellt, welche die auswärtigen in Qualität zweifelhaften Fabrikate ersetzen könnten.

Wenn die russischen Preise noch verhältnismäßig hoch sind, so muß man dieses nicht den Fabrikanten zur Last legen, sondern den Grund davon in den Verhältnissen und hauptsächlich in dem geschützten Tarife suchen. In feinen Tüchern steht Rußland dem Auslande und hauptsächlich England vielleicht nach, namentlich in Bezug auf Appretur; auch wird den russischen Tüchern vorgeworfen, schwerer als das ausländische Produkt zu sein, doch dieses mit Unrecht, denn was ihnen an Leichtigkeit abgeht, gewinnen sie an Festigkeit. In Bezug auf Weichheit sind namhafte Fortschritte gemacht worden. Die erzielten Vorbesserungen in der Fabrikation wol tener. Damenstoffe sind höchst bemerkenswert!! und sind auf der Moskauer Ausstellung Muster dieser Art in <· reiner und gemischter Wolle bemerkt worden, welche in Bezug auf Preise und Qualität den auswärtigen Fabrikaten gleichkamen.

Die Wollenindustrie ist eine von jenen, welchen in Rußland die größte Entwickelung gesichert ist, sie hat ein solides Feld vor sich; was sie jedoch gegenwärtig zu thun hätte, wäre die Handarbeit zu beschränken und die mechanische Weberei in möglichst großem Maßstabe auszudehnen.

Rußland besitzt vorzügliche Häfen im schwarzen Meere, es hat deren in der Ostsee, und sind diese Häfen untereinander und mit den erzeugenden und konsumirenden Hauptplätzen durch zahlreiche Eisenbahnen verbunden, welche das ganze Land mit einem ausgedehnten Schienennetz überziehen. Mehrere Ostseehäfen, wie Libau, Windau und einige finnische Häfen sind während eines Theils der Winterzeit eisfrei. Alle Verbindungen erleichtern die Ein- und Ausfuhr, wodurch der Volksthätigkeit noch ein bedeutender kommerzieller Reichthum zu eröffnen wäre, doch überläßt die ungenügende russische Handelsmarine diesen Nutzen den Händen der Fremden.

Die Länge des dem Verkehr übergebenen russischen Eisenbahnnetzes, welches täglich an Ausdehnung gewinnt, betrug am 1. November 1872, 13,400 Werst, welche auf 42 im Privatbetrieb
stehende Eisenbahnen zu vcrtheilen sind. Vom !.. Januar bis zum 1. November 1872 betrugen die gesammten Bruttoeinnahmen Rubel 85,067,401 d. h. Rubel 6586 per Werst und im Vergleich zu den Erträgen der zehn ersten Monate des vorjährigen Betriebs-

342.

Jahres ergeben fast alle diese Eisenbahnen eine Ertragszunahme welche je nach den Linien zwischen 1 4/3 und 62 34 % schwankt.

Die großen Linien, welche eine Abnahme ihrerErträgee zu verzeichnen haben, sind die Petersburg-Moskauer (41/., %) und die PetersburgEidkuhnen-Warschauer B a h n 4 34 °/n), also die Linien der großen russischen Eisenbahngesellschaft. Wenn dieBetriebsergebnisse der russischen Eisenbahnen im Jahre 1872 nicht so günstig ausgefallen sind, als man zu hoffen berechtigt war, so liegt der Grund davon nicht allein in der Abnahme der GetreideSendungen ins Ausland, wie man behaupten will. Die vorjährige Abnahme der Getreideausfuhr ha.t jedenfalls auf den Verkehr des Eisenbahnnetzes eingewirkt, jedoch sind die Eisenbahnen nicht ausschließlich für den Ausfuhrhandel thätig; der Binnenhandel, dessen Bewegung den Verkehr auf den Eisenbahnen zu unterhalten hat, ist keineswegs ins Stockengerathen, die.Geschäfte gehen ihren normalen Gang und es wären die Eisenbahnen mehr in Anspruch genommen worden, wenn sie nicht an mangelhafter Organisation litten, mit welcher der Handelsstand zumOefternn Grund hat unzufrieden zu sein.

Es könnte für einige Viehhändler in der Schweiz von Nutzen sein zu erfahren, daß die Art und Weise, wie gegenwärtig der Viehtransport mittelst Eisenbahn geschieht, im Allgemeinen mangelhaft ist. Man kümmert sich wenig darum, den Zustand des Viehes als Waar zu schützen, noch weniger um dessen Wohlbefinden; das auf einen Bahnhof getriebene Vieh wartet oft stundenlang ohne Futter und Trank bis zur Abfahrt, alsdann wird es auf gewöhnliche Güterwagen ohne Fenster und Luftlöcher geladen, wo es wiederum ohne Futter und Trank während der ganzen Fahrt, welche manchmal mehrere Tage dauert, verbleibt. Die Bahnvorstände können nur mit Mühe die Beamten, welche die Heerden begleiten, veranlaßen die Thiere zu tränken. Das Auf- und Abladen wird in der Regel nachläßig betrieben; das auf diese Weise beförderte Vieh ist oft ganz erschöpft und, will man offizielle Angaben zu Grunde legen, so ist konstatirt, daß von den mittelst Eisenbahn nach Moskau beförderten Heerden häufig Thiere umgekommen sind. Manchmal bricht nach Ankunft eine Viehseuche aus und befördern die nicht gehörig desinfieirten Transportwägen die Ansteckung. Es ist übrigens hier zu erwähnen, daß der Kongreß der Eisenbahndelegirten
diese Frage behandelt hat, und ist zu hoffen, daß seine Beschlüsse nicht nur ein todter Buchstabe bleiben werden.

Bezüglich der Banken und Kreditinstitute bestanden am 1. Januar "1873 in Rußland: 225 städtische Banken, 15 Boden-

343

kreditbanken, 8 städtische Kreditbanken, 40 Handelsbanken, 46 Banken für gegenseitigen Kredit, und 6 Pfandleihgesellschaften; zur Vervollkommnung dieser Angabe sind noch hinzuzählen 117 ländliche Leih- und Sparvereine, welche alle nur seit 1866 sich gebildet haben, wovon 30 auf das Gouvernement Twer, 11 auf das Gouvernement St. Petersburg, 9 auf das Gouvernement Moskau, 6 auf das Gouvernement Pskow u. s. w. kommen.

Am 3/15. November 1872 bestanden im ganzen Reiche 35 auf Aktien gegründete Banken, wovon 4 in Petersburg (Privatbank, Diskontobank, Internationale Bank und Bank für ausländischen Handel), 6 in Moskau (l Handelsbank, Diskontobank, Handels- und Vorschußbank, Bank der Kaufleute Industriebank, Handelskreditbank), 2 in Warschau, 2 in Kiew und je l in nachstehenden Städten sich befinden, nämlich in Charkow, Odessa, NischniiNowgorod, Reval, Kostroma, Tiflis, Taganrog, Kischenew Riga, Rostow, Nikolajew, Jekatherinenburg, Orel, Libau, Lodzi, Rjäsan, Wilna, Kronstadt, Jekatherinoslaw und Krementschuck.

Von letzteren 9 Instituten hatte nur das einzige zu Lodzi am 1. September 1872 eine Einzahlung auf sein Gründungskapital aufzuweisen: sie bestand in Rubel 800,000 oder 40 % von 2 Millionen Effektivfonds. Diese 9 Institute, sowie die Bank in Nikolajew und die Handelskreditbank in Moskau sind im Jahre 1872 bestätigt worden; 12 Banken entstanden im Jahre 1871, 5 im Jahre 1870, 3 im Jahre 1869, 2 im Jahre 1868, l im Jahre 18G6 und die älteste von allen Privatbanken im Jahre 1864. Das Gesammtkapital, welches diese 35 Banken realisirt haben oder besser gesagt, die 27 Institute, welche schon Einzahlung verlangten, betrug am 1. September in runder Zahl Rubel 75,000,000, wovon 27 Millionen auf St. Petersburg, 141/2 Millionen auf Moskau, 5 Millionen auf Warschau, 2'/2 Millionen auf Kiew, 5 Millionen auf Odessa, 6 Millionen auf Nischnii-Nowgorod und 1 1/2 Millionen (auf ein Nominalkapital von 5 Millionen) auf Riga kommen. Bei Anführung der Summen für St. Petersburg und Moskau ist der Bank VolgaKama, mit einem Kapital von Rubel 6 Millionen zu erwähnen, welche gleichzeitig in beiden Städten ihren Sitz und in einem Dutzend anderer Plätze Filialen hat.

Die oben angeführten Banken absorbiren für sich allein mehr als */5 der eingezahlten Kapitalien. Das Nominalkapital beläuft sich auf Rubel 126 Millionen,
ungerechnet die Bank von Wilna, welche am 9. August 1872 bestätigt wurde und deren Kapital nicht angegeben ist. Zieht man außerdem die 7 andern Banken in Betracht, für welche noch keinerlei Einzahlungen geschehen sind und deren Nominalkapital sich auf 11 Millionen beläuft, so ist es.

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konstatirt, daß auf 115 Millionen Nominalkapital der bereits aktiven Banken, 75 Millionen oder mehr als 65 °/o eingezahlt sind. Von den 4 petersburger Banken hat keine das ganze Kapital, zu dessen Emission sie berechtigt war, realisirt ; die Privatbank hat 5 Millionen Einzahlung von den 10, welche sie realisiren könnte, die Wechselbank 6 1/2 von 10, die internationale Bank 13 von 30, die Bank für ausländischen Handel 3 von 7*/2.

"Was jedoch die Volga-Kamabank anbetrifft, so hat sie nicht allein ihr ganzes aus 6 Millionen bestehendes Gründungskapital realisirt, sondern ihr wurde gestattet, noch eine neue Einzahlung von 2 Millionen auszuschreiben. Von den 6 moskauer Banken hat die jüngste, die Handelskreditbank, nur Rubel 500,000 auf ein Nominalkapital von l Million sich einzahlen lassen, alle übrigen Institute haben von ihren Aktionären nichts mehr zu verlangen.

Man ersieht also aus dem Vorstehenden, daß von den 40 Millionen, welche noch einzuzahlen sind, 30 den petersburger Banken zufallen ; außerdem hat die Bank in Riga von ihren Aktionären 3'/2 Millionen, die Azow-Donbank Rubel 1,800,000, die in Kischenew Rubel 300,000, die in Roslow Rubel 1,800,000, die in Nikolajew Rubel 1,250,000 (welche seitdem eingezahlt worden) und die in Lodzi Rubel 1,200,000 als Einzahlung zu beanspruchen. Die höchste Dividende für das Jahr 1871 zahlte die Handelsbank in Kiew, (36 °/o den alten, 21 % den neuen Aktionären), dann kommen die Bank in Charkow mit 20 % die Handelsbank in Moskau mit 14'/2 %, die Privatbank in St. Petersburg mit 14 die Diskontobank in Moskau mit 14 die Volga-Kamabank und die Bank in Odessa mit 13'/2 %, die Bank in Nischnii-Nowgorod mit 11 die Handelsbank in Warschau mit 10%, die Diskontobank in Petersburg mit nahezu 10%, die internationale Bank in Petersburg mit mehr als 9'/3 %, die Handels- und Vorschußbank in Moskau mit 7 % Im Monat September fand zu Moskau die 3. Ausstellung von in Rußland gezogenen Pferden statt, an welcher 94 Aussteller Theil nahmen und zu welcher 225 Pferde, sowohl Hengste als Stuten, zugelassen wurden. Die Pferde waren in drei Sektionen vertheilt: Reitpferde inbegriffen Vollblutpferde, Zugpferde und Traber, sowie endlich schwere Zug- und Ackerpferde. Alle in Rußland gezogenen Racen waren vertreten, von den Abkömmlingen arabischer Pferde, den englischer Vollblutpferden,
den orlow'scher Trabern bis zu den schweren Zugpferden bemerkenswerthen Schlages, mit deren Zucht die Bauern des Gouvernements Tambow und Woronesch sich befassen.

Der schweizerische Hülfsverein in St. Petersburg besaß am 1. Januar 1873 ein Kapital von Rubel 19,350. Die Rechnungs-

345 abläge für 1872, welche mit einem Guthaben von Rubel 162. 26 Kop.

·abschließt, weist Rubel 2676. 36 Eop. Einnahmen auf, welche sich aus Beisteuern und Kollekten (Rubel 1357) und aus kleinen Beiträgen seitens des Bundesrathes und der Regierungen von 4 Kantonen (Rubel 135. 17 Kop.) sowie aus Kapitalzinsen u. s. w. ergaben.

In Bezug auf die Zahl der Unterstützten, welche dem Kanton Glarus (12), Waadt (7), Genf (5), Zürich (4), Tessin (4), Graubündten (3), Thurgau (3), Baselstadt (5), Neuenburg (5), Bern (2), Aargau (1), Schaff hausen (1), Freiburg (1), St. Gallen (1) angehören und 54 betragen, mithin durchschnittlich "mit Rubel 45. 65 Kop.

.bedacht wurden, ist zu wünschen, daß die Regierungen jener Kantone deren Bürger der Zahl nach die Vereinshülfe am meisten beanspruchten, das Beispiel der 4 obenbezeichneten Kantone nämlich Thurgau, Neuenburg, Aargau und Bern, nachahmen möchten.

# S T #

Bericht des

Schweiz. Generalkonsuls in Neapel (Hrn. Meuricoffre von Frauenfeld über das Jahr 1872.

(Vom 27. März 1873.)

,

An den hohen Schweiz. Bundesrath.

*

Allgemeine Lage.

Das Jahr 1872 kann in commerzieller und finanzieller Hinsicht nicht, wie das Jahr 1871 in Italien, den Charakter außerordentlicher Thätigkeit, großer Entwicklung schöpferischen Associationsgeistes für sich in Anspruch nehmen.

Der zur Gründung .vieler Crédit- und Bankgesellschaften im Jahr 1871 gegebene Anstoß war indessen hinreichend, um eine Bundesblatt. Jahrg. XXY. Bd. III.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweiz. Generalkonsuls in St. Petersburg (Hrn. Jacques Philippin-Duval, aus Genf), über das Jahr 1872. (Vom März 1873.)

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Bundesblatt

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Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1873

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

36

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.08.1873

Date Data Seite

334-345

Page Pagina Ref. No

10 007 793

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