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Schweizerisches Bundesblatt.

38. Jahrgang. III.

Nr. 50.

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4. Dezember 1886.

Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die am 9. September 1886 zwischen der Schweiz und Belgien abgeschlossene Uebereinkunft über die gegenseitige Bewilligung des Armenrechtes im Prozeßverfahren.

(Vom

23. November 1886.V

Tit.

IQ neuerer Zeit ist den in Belgien wohnenden Schweizerbürgern, welche sieh genöthigt sahen, behufs Geltend machung ihrer Rechte den gerichtlichen Schutz anzurufen, die Rechtswohlthat des Armenrechtes aus dem Grunde nicht bewilligt worden, weil zwischen der Schweiz und Belgien über die Verbeiständung vor Gericht kein förmlicher Staatsvertrag bestehe. Dieser Umstand veranlaßte unsern damaligen Konsulatsverweser und gegenwärtigen Generalkonsul in Brüssel, Herrn Professor Rivier, uns die Frage vorzulegen, ob es für die Schweiz nicht vortheilhaft sein dürfte, über diese Materie mit Belgien eine Uebereinkunft abzuschließen, wie sie die Schweiz bereits mit Oesterreich-Ungarn und Italien besitze und Belgien mit Deutschland, Spanien, Italien, Luxemburg und Rumänien eingegangen habe.

Wir konnten die Anregung, den armen und dürftigen Schweizern in Belgien die unentgeltliche Verbeiständung vor Gericht auf dem Wege eines Staatsvertrages zu sichern, nur begrüßen, zumal uns bekannt war, daß von den kompetenten belgischen Behörden der Austausch von bloßen Reziprozitätserklärungen zwischen den beidseitigen Regierungen in keinem Falle als gleichwerthig mit einem Staatsvertrage angesehen würde. Wir nahmen demgemäß keinen Anstand, der königlich belgischen Regierung unsere Geneigtheit eröffnen zu lassen, mit ihr behufs Abschlusses einer diesbezüglichen Bundesblatt. 38. Jahrg. Bd. III.

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954 Konvention auf Grundlage der am 8. Januar 1884 zwischen der Schweiz und Oesterreich-Ungarn abgeschlossenen Uebereinkunft betreffend das Armenrecht in Zivil- und Strafsachen in Unterhandlungen einzutreten.

Die belgische Regierung nahm unsern Vorschlag beifallig auf und beeilte sich, ihre Gesandtschaft in der Schweiz mit entsprechenden Instruktionen zu versehen, worauf am 9. September d. J. von den beidseitigen Bevollmächtigten in Bern unter Ratifikationsvorbehalt der gesetzgebenden Behörden diejenige Uebereinkunft unterzeichnet worden ist, welche wir hiemit Ihrer Genehmigung unterbreiten.

Die vorliegende Konvention stimmt ihrem Inhalte nach fast wörtlich mit der bereits erwähnten Uebereinkunft zwischen der Schweiz und Oesterreich-Ungarn vom 8. Januar 1884 (A. S. n. P.

VII, S. 491 u. ff.) überein, weßhalb wir von einer näheren Erörterung der einzelnen Bestimmungen Umgang nehmen können.

Die einzige bemerkenswerthe Modifikation besteht darin, daß im Eingänge die Anwendung der Uebereinkunft nicht auf das Strafverfahren ausgedehnt wird und zwar aus dem Grunde, weil der belgischen Gesetzgebung das Institut des Armenrechtes in Prozessen rein strafrechtlicher Natur unbekannt ist. Außerdem ist auf den Antrag der belgischen Gesandtschaft im französischen Originaltexte überall an Stelle des Ausdruckes ,,bénéfice du pauvre" die in Belgien übliche Bezeichnung ,,assistance judiciaire" aufgenommen und der erstere Ausdruck in Parenthese beigesetzt worden.

Indem wir mit dem Antrage schließen, Sie möchten der vorliegenden Uebereinkunft durch Annahme des nachfolgenden Beschlußentwurfes Ihre Genehmigung ertheilen, bemerken wir noch, daß nach einer Mittheilung der belgischen Gesandtschaft ihre Regierung diese Uebereinkunft bereits ratiflzirt hat.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenCD Hochachtung.

B e r n , den 23. November 1886.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

955 (Entwurf)

Bundesbeschluß betreffend

die zwischen der Schweiz und Belgien abgeschlossene Uebereinkunft über die gegenseitige Bewilligung des Armenrechtes im Prozeßverfahren.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 23. November 1886 beschließt: Art. 1. Der zwischen der Schweiz und Belgien am 9. September 1886 abgeschlossenen Uebereinkunft betreffend die gegenseitige Bewilligung des Armenrechtes im Prozeßverfahren wird hiemit die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

Art. 2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Uebereinkunft zwischen

der Schweiz und Belgien betreffend die gegenseitige Bewilligung des Armenrechtes im Prozeßverfahren.

(Vom 9. September 1886.)

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft und Seine Majestät der König der Belgier, von dem gemeinsamen Wunsche geleitet, eine Vereinbarung abzuschließen, um den Angehörigen des andern Staates im gerichtlichen Verfahren Schutz (Armenrecht) zu sichern, haben zu diesem Behufe zu Bevollmächtigten ernannt, und zwar: Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft: Herrn Bundesrath Louis R u c h o n n e t , Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartetnents ; Seine Majestät der König der Belgier, Herrn Moritz D e l f o s s e , Seinen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft; welche, nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, über folgende Artikel übereingekommen sind :

957 Artikel 1.

Die Schweizer genießen in Belgien und die belgischen Staatsangehörigen genießen in der Schweiz die Rechtswohlthat des Armenrechts vor Gericht in allen Fällen, wo dieselbe auch den Landesangehörigen zusteht, wenn sie die jeweilen in Kraft bestehenden Gesetze des Landes beobachten, in welchem das Armenrecht nachgesucht wird.

Artikel 2.

In allen Fällen soll das Armuthszeugniß dem Fremden, welcher das Armenrecht verlangt, von den Behörden seines gewöhnlichen Wohnsitzes ausgestellt werden.

Wohnt er nicht in dem Lande, in welchem das Begehren gestellt wird, so soll das Armuthszeugniß von einem diplomatischen Agenten des Landes, in welchem dasselbe gebraucht werden will, unentgeltlich beglaubigt werden.

Wohnt hingegen der Fremde in dem Lande, wo das Begehren gestellt wird, so können außerdem bei den Behörden » seines Heimatlandes Erkundigungen eingezogen werden.

Artikel 3.

Die Schweizer, welchen in Belgien, und die belgischen Staatsangehörigen, welchen in der Schweiz die Vortheile des Armenrechtes bewilligt worden, sind von Rechts wegen auch von jeder Bürgschaft oder Hinterlage befreit, die von Ausländern, welche gegen Landesangehörige einen Rechtsstreit führen, gemäß der Gesetzgebung des Landes, wo die Klage angestellt wird, unter irgend welcher Bezeichnung gefordert werden können.

Artikel 4.

Die vorstehende Uebereinkunft ist für die Dauer von fünf Jahren abgeschlossen.

In dem Falle, wo keine der beiden hohen kontrahirenden Parteien ein Jahr vor dem Ablaufe dieses Termins die

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Absicht kundgegeben, ihre Wirkung aufzuheben, soll die Uebereinkunft in Kraft bestehen, bis nach geschehener Kündigung seitens des einen oder des anderen Theiles ein Jahr verflossen sein wird.

Artikel 5.

Diese Uebereinkunft soll so bald als möglich der Ratifikation der kompetenten Behörden unterstellt werden.

Sie tritt mit dem Tage der Auswechslung der Ratifikationsurkunden in Kraft.

Zur Urkunde dessen haben die beidseitigen Bevollmächtigten diese Uebereinkunft unterzeichnet und ihre Siegel beigedrückt.

So geschehen in B e r n , den 9. September 1886.

(L. S.)

(L. S.)

(Sig.) L. Buchonnet.

(Sig.) Maurice Delfosse.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend die am 9. September 1886 zwischen der Schweiz und Belgien abgeschlossene Uebereinkunft über die gegenseitige Bewilligung des Armenrechtes im Prozeßverfahren. (Vom 23. November 1886.)

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01.12.1886

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