zu 05.092 Zusatzbericht Erläuterung der Änderungen des bundesrätlichen Entwurfs vom 21. Dezember 2005 zu einer schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (JStPO) vom 22. August 2007

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit vorliegendem Zusatzbericht Änderungen des bundesrätlichen Entwurfs vom 21. Dezember 2005 zu einer schweizerischen Jugendstrafprozessordnung (JStPO) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. August 2007

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2008-0701

3121

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1.1 Ausgangslage 1.2 Grundproblem

3125 3125 3125

2 Hauptkritikpunkte am bundesrätlichen Entwurf 2.1 Unklare Stellung von Jugendrichterin bzw. Jugendrichter und Jugendstaatsanwaltschaft (Die «Modellfrage») 2.1.1 Ausgangslage 2.1.2 Lösungsvorschläge 2.1.2.1 Anpassung der Terminologie an jene der Kantone 2.1.2.2 Personalunion zwischen untersuchender und urteilender Person vs. Rechtsstaatlichkeit 2.1.2.3 Zuständigkeit beim Vollzug der Urteile 2.1.2.4 Rolle der Jugendstaatsanwaltschaft 2.2 Ordentliches Verfahren vor der Jugendrichterin oder dem Jugendrichter bzw. vor der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt?

2.2.1 Ausgangslage 2.2.2 Lösungsvorschlag 2.3 Zuständigkeit zur Genehmigung bzw. Überprüfung von Zwangsmassnahmen 2.3.1 Ausgangslage 2.3.2 Lösungsvorschläge 2.3.2.1 Überwachungsmassnahmen 2.3.2.2 Untersuchungs- und Sicherheitshaft 2.4 Zusammenfassung

3126

3 Erläuterung der geänderten Gesetzesbestimmungen 3.1 Vorbemerkung 3.2 Gegenstand und Grundsätze (1. Kapitel) 3.2.1 Anwendbarkeit der Schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 3 (Art. 3 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.2.2 Grundsätze, Art. 4 (Art. 4 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.2.3 Verzicht auf Strafverfolgung, Art. 5 (Art. 5 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.3 Jugendstrafbehörden (2. Kapitel) 3.3.1 Strafverfolgungsbehörden, Art. 6 (Art. 6 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.3.2 Gerichte, Art. 7 (Art. 7 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.3.3 Organisation, Art. 9 (Art. 9 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.4 Allgemeine Verfahrensregeln (3. Kapitel) 3.4.1 Ablehnung, Art. 10 (Art. 10 des bunderätlichen Entwurfs) 3.4.2 Gerichtsstand, Art. 11 (Art. 11 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.4.3 Mitwirkung der gesetzlichen Vertretung, Art. 13 (Art. 13 des bundesrätlichen Entwurfs)

3122

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3.4.4 Vertrauensperson, Art. 14 (Art. 14 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.4.5 Ausschluss der Öffentlichkeit, Art. 15 (Art. 15 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.4.6 Umfang der Akteneinsicht, Art. 16 (Art. 16 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.4.7 Vergleich und Wiedergutmachung, Art. 17 (Art. 17 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.4.8 Mediation, Art. 18 (Art. 18 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.5 Parteien und Verteidigung (4. Kapitel) 3.5.1 Begriff, Art. 19 (Art. 19 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.5.2 Beschuldigte Jugendliche oder beschuldigter Jugendlicher, Art. 20 (Art. 20 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.5.3 Jugendstaatsanwaltschaft, Art. 22 (Art. 22 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.5.4 Ober- oder Generaljugendanwaltschaft, Art. 22a (neu) 3.5.5 Wahlverteidigung, Art. 23 (Art. 23 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.5.6 Notwendige Verteidigung, Art. 24 (Art. 24 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.5.7 Amtliche Verteidigung, Art. 25 (Art. 25 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.6 Zwangsmassnahmen, Schutzmassnahmen und Beobachtungen (4a. Kapitel) 3.6.1 Zuständigkeit, Art. 25a (Art. 27 Abs. 3 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.6.2 Untersuchungs- und Sicherheitshaft, Art. 25b (Art. 30 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.6.3 Vollzug der Untersuchungs- und Sicherheitshaft, Art. 25c (Art. 31 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.6.4 Vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen und Anordnung der Beobachtung, Art. 25d (Art. 29 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7 Verfahren (5. Kapitel) 3.7.1 Polizei (Art. 26 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.2 Untersuchungsbehörde, Art. 27 (Art. 27 Abs. 1 und 2 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.3 Zusammenarbeit, Art. 28 (Art. 28 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.4 Strafbefehlsverfahren, Art. 32 (Art. 32 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.5 Anklageerhebung, Art. 32a (neu) 3.7.6 Zuständigkeit, Art. 33 (Art. 33 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.7 Persönliches Erscheinen und Ausschluss, Art. 34 (Art. 34 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.8 Abwesenheitsverfahren, Art. 35 (Art. 35 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.7.9 Urteilseröffnung und -begründung, Art. 36 (Art. 36 des bundesrätlichen Entwurfs)

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3123

3.8 Rechtsmittel (6. Kapitel) 3.8.1 Legimitation, Art. 37 (Art. 37 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.8.2 Beschwerde, Art. 38 (Art. 38 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.8.3 Berufung, Art. 39 (Art. 39 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.9 Vollzug von Sanktionen (7. Kapitel) 3.9.1 Zuständigkeit, Art. 41 (Art. 41 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.9.2 Rechtsmittel, Art. 42 (Art. 42 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.10 Kosten (8. Kapitel) 3.10.1 Verfahrenskosten, Art. 43 (Art. 43 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.10.2 Vollzugskosten, Art. 44 (Art. 44 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11 Schlussbestimmungen (9. Kapitel) 3.11.1 Änderung bisherigen Rechts, Art. 45 (Art. 45 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11.1.1 Änderung des Jugendstrafgesetzes 3.11.1.2 Änderung des DNA-Profil-Gesetzes 3.11.2 Anwendbares Recht, Art. 46 (Art. 46 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11.3 Zuständigkeit, Art. 47 (Art. 47 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11.4 Erstinstanzliches Hauptverfahren, Art. 48 (Art. 48 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11.5 Rechtsmittel, Art. 50 (Art. 50 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11.6 Vorbehalt der Verfahrensgrundsätze nach neuem Recht, Art. 51 (Art. 51 des bundesrätlichen Entwurfs) 3.11.7 Vollzug, Art. 52 (Art. 52 des bundesrätlichen Entwurfs) Schweizerische Jugendstrafprozessordnung (Jugendstrafprozessordnung, JStPO) (geänderter Entwurf)

3124

3151 3151 3151 3152 3152 3152 3152 3153 3153 3153 3153 3153 3153 3154 3155 3156 3156 3156 3156 3156

3157

Zusatzbericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Am 16. Oktober 2006 hat die Rechtskommission des Ständerates beschlossen, die Behandlung der Jugendstrafprozessordnung auszusetzen und der Verwaltung Gelegenheit zur Überarbeitung des Entwurfs zu geben.

Das Bundesamt für Justiz (BJ) hat dies zum Anlass genommen, einige Problemkreise zu überdenken. Das Hauptaugenmerk wurde dabei auf die praktische Umsetzbarkeit des künftigen Gesetzes gelegt. Deshalb wurden am 4. Dezember 2006 und am 5. März 2007 Aussprachen mit Praktikern aus verschiedenen Kantonen durchgeführt.

Die hier vorgelegten Änderungsanträge basieren auf den Anregungen, die im Rahmen dieser Veranstaltungen vorgebracht wurden. Sie wurden aus Gründen der Praktikabilität direkt in den bundesrätlichen Entwurf integriert. Dieser Entwurf mit Änderungsvorschlägen wird fortan als «geänderter Entwurf» bezeichnet; der ursprüngliche Entwurf des Bundesrates vom 21. Dezember 2005 wird als «bundesrätlicher Entwurf» bezeichnet.

1.2

Grundproblem

Die Hauptschwierigkeit bei der Schaffung einer vereinheitlichten Jugendstrafprozessordnung besteht darin, dass das neue Gesetz für Kantone mit ganz unterschiedlicher Ausgangslage «passen» muss.

Ein Vergleich zwischen den Kantonen Zürich und Uri mag dies veranschaulichen1: Kanton

Urteile total

Verweise

Arbeitsleistung

Schularrest

Bussen

Einschliessung

ZH

2 701

1 286

879

1

348

188

UR

18

1

13

0

4

0

Bereits diese Zahlen machen deutlich, dass die Voraussetzungen zur Ausgestaltung von Verfahrensordnung und Organisationsrecht gänzlich unterschiedlich sind.

Während sich der Kanton Zürich eine grössere Anzahl von Fachpersonen leisten kann und muss, «lohnt» sich der Aufbau einer spezialisierten Jugendstrafrechtspflege im Kanton Uri kaum.

Darin besteht denn auch der massgebliche Unterschied zum Erwachsenenstrafverfahren: Die absolute Anzahl der verübten Delikte erfordert in sämtlichen Kantonen hinreichend ausgestattete Erwachsenenstrafbehörden. In der Jugendstrafrechtspflege genügen in manchen Kantonen blosse Teilzeitstellen.

1

BFS, Statistik der Jugendstrafurteile 2006, Tabelle 5.

3125

Den Kantonen muss deshalb bei der Ausgestaltung der Jugendstrafrechtspflege ein erheblicher Gestaltungsspielraum verbleiben. Dieses Grundkonzept des bundesrätlichen Entwurfs soll nicht angetastet werden.

2

Hauptkritikpunkte am bundesrätlichen Entwurf

2.1

Unklare Stellung von Jugendrichterin oder Jugendrichter und Jugendstaatsanwaltschaft (Die «Modellfrage»)

2.1.1

Ausgangslage

Die kantonalen Jugendstrafprozessordnungen basieren entweder auf dem Jugendrichter- oder auf dem Jugendanwaltsmodell.

Im Jugendrichtermodell besteht eine Personalunion von untersuchender, urteilender und den Urteilsvollzug überwachender Person. Die Grundidee dieses Modells besteht in einer Personalisierung: Das Urteil soll durch eine Richterin oder einen Richter gefällt werden, die oder der die beschuldigte Person persönlich kennt. Deshalb ist die Jugendrichterin oder der Jugendrichter bei schwereren Delikten auch Mitglied des Jugendgerichts.

Im Unterschied dazu besteht im Jugendanwaltsmodell eine gewisse Trennung der Funktionen: Die Jugendanwältin oder der Jugendanwalt klärt zwar den Sachverhalt ab, entscheidet die leichteren Fälle und ist auch mit dem Urteilsvollzug betraut ­ vor dem Jugendgericht vertritt sie oder er aber die Anklage.

Der massgebliche Unterschied zwischen den beiden Modellen besteht also in der Zuständigkeit der untersuchenden Person vor dem Jugendgericht: Die Jugendrichterin, der Jugendrichter ist Mitglied des Jugendgerichts; die Jugendanwältin ist Anklagevertreterin, der Jugendanwalt ist Anklagevertreter.2 Der bundesrätliche Entwurf basiert im Grundsatz auf dem Jugendrichtermodell. Den Kantonen soll aber vorab mit Artikel 7 Absatz 3 der nötige Gestaltungsspielraum mit Blick auf die Modellwahl verschafft werden. Diese Bestimmung lautete im bundesrätlichen Entwurf wie folgt: «Die Jugendrichterin oder der Jugendrichter kann Mitglied des Jugendgerichts sein oder vor diesem Gericht als Jugendstaatsanwältin oder Jugendstaatsanwalt auftreten; vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die Unvereinbarkeit und den Ausstand (Art. 10 dieses Gesetzes und Art. 58 StPO).» Mit dieser Regelung sind vorab unnötige terminologische Unklarheiten verbunden: Vertritt die untersuchende Person vor Jugendgericht die Anklage, wird diese Person ganz allgemein als «Jugendanwältin» oder «Jugendanwalt» bezeichnet. Der bundesrätliche Entwurf lässt erst auf den zweiten Blick erkennen, dass die Kantone auch das Jugendanwaltsmodell vorsehen können. Diese unklare Ausdrucksweise zeitigt teilweise auch materiellrechtliche Folgen. So werden beispielsweise Jugendanwältinnen und Jugendanwälte üblicherweise weder durch das Volk noch durch Volksvertreterinnen und Volksvertreter gewählt, während dies bei Richterinnen und Richtern regelmässig der Fall ist. Wird nun auch die Jugendanwältin als «Jugend2

Vgl. dazu bereits die Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006, 1117 f.

3126

richterin» bzw. der Jugendanwalt als «Jugendrichter» bezeichnet, werden unter Umständen einige Kantone eine Verfassungsänderung vornehmen müssen, einzig um beim bewährten Wahlsystem bleiben zu können.

Im Übrigen lässt der bundesrätliche Entwurf den Kantonen hinsichtlich der Ausgestaltung des Verfahrens einen teilweise zu grossen, teilweise aber auch einen zu kleinen Gestaltungsspielraum: Im Jugendrichtermodell ist die Jugendrichterin oder der Jugendrichter Mitglied des Jugendgerichts. Aufgrund der strengen Unvereinbarkeitsregelung (Art. 10) wird die Jugendrichterin oder der Jugendrichter diese Aufgabe aber häufig nicht wahrnehmen dürfen. Das Jugendrichtermodell wird also faktisch weitgehend ausgehebelt.

Tritt die Jugendrichterin oder der Jugendrichter vor Jugendgericht als Mitglied der Jugendstaatsanwaltschaft auf, entspricht dies im Grundsatz dem Jugendanwaltsmodell, wobei die Jugendrichterin als «Jugendanwältin», der Jugendrichter als «Jugendanwalt» agiert. Klärungsbedürftig ist hier insbesondere die Rolle der Jugendstaatsanwaltschaft: Wenn sie nicht mit der Anklage betraut wird, darf sie auch keine Rechtsmittel ergreifen (Art. 36 Abs. 2). Damit bleibt die Jugendstaatsanwaltschaft im Jugendanwaltsmodell praktisch ohne Kompetenzen.

2.1.2

Lösungsvorschläge

2.1.2.1

Anpassung der Terminologie an jene der Kantone

Die Wahl des Strafverfolgungsmodells durch die Kantone soll auch in der verwendeten Terminologie ihren Ausdruck finden. Die Bezeichnungen «Jugendrichterin» und «Jugendrichter» bzw. «Jugendanwältin» und «Jugendanwalt» sollen also beibehalten werden.

Im geänderten Entwurf wird deshalb neu der Ausdruck der «Untersuchungsbehörde» eingeführt (Art. 6 Abs. 1 Bst. b des geänderten Entwurfs). Damit sind stets die Jugendrichterin, der Jugendrichter und die Jugendanwältin, der Jugendanwalt angesprochen. Es handelt sich also um einen übergeordneten Begriff. Sache der Kantone ist es, die zuständige Untersuchungsbehörde zu bezeichnen. Es kann sich entweder um einen oder mehrere Jugendrichterinnen und Jugendrichter oder auch einen oder mehrere Jugendanwältinnen oder Jugendanwälte handeln (Art. 6 Abs. 1bis des geänderten Entwurfs).

Mit der Wahl des Strafverfolgungsmodells wird also auch die zu verwendende Bezeichnung festgelegt. Wo der geänderte Entwurf von der Untersuchungsbehörde spricht, sind immer Jugendrichterin bzw. Jugendrichter und Jugendanwältin bzw.

Jugendanwalt erfasst. Wo eine Bestimmung nur für eines der beiden Strafverfolgungsmodelle gelten soll, bringt dies nun auch das Gesetz zum Ausdruck: Es ist dann nur noch von der «Jugendrichterin», vom «Jugendrichter» oder von der «Jugendanwältin», vom «Jugendanwalt» die Rede. Damit werden umständliche Vorbehalte und Ausnahmeregelungen überflüssig, was die Klarheit des gesamten Erlasses massgeblich erhöht.

3127

2.1.2.2

Personalunion zwischen untersuchender und urteilender Person vs. Rechtsstaatlichkeit

Im Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht ist das Jugendstrafrecht sog. Täterstrafrecht. Im Zentrum steht daher das Bestreben, strafbare Jugendliche zu erziehen und sie wo nötig wieder in die Gesellschaft zu integrieren.3 Diese Grundsätze müssen auch im Jugendstrafverfahren ihren Ausdruck finden.

Deshalb ist es bedeutsam, dass der angeschuldigte Jugendliche im Verlaufe des Verfahrens möglichst nur mit einer einzigen Amtsperson in Kontakt tritt, damit eine gewisse persönliche Beziehung aufgebaut werden kann. Diese Gedanken legen eine Lockerung der Unvereinbarkeitsbestimmung von Artikel 10 nahe.

Allerdings stehen einer Personalunion von untersuchender und urteilender Behörde gewichtige rechtsstaatliche Bedenken gegenüber: Es besteht mindestens die Vermutung, dass sich eine urteilende Person kaum mehr von den eigenen Untersuchungsergebnissen distanzieren kann, sodass die Unabhängigkeit der Richterin oder des Richters ernsthaft in Frage gestellt werden muss. Im Erwachsenenstrafrecht wurde deshalb die Personalunion von untersuchender und urteilender Behörde bereits vor Längerem beseitigt.4 Das Jugendstrafverfahren steht also im Spannungsverhältnis zwischen dem Postulat des Täterstrafrechts und dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit: Einerseits soll die jugendliche beschuldigte Person zu einer Vertreterin oder einem Vertreter der Jugendstrafbehörden eine persönliche Beziehung aufbauen können, andererseits soll die Beurteilung durch eine möglichst unabhängige Person erfolgen.

Zwischen diesen beiden Polen gilt es einen Kompromiss zu finden. Mit Blick auf die in der Praxis sehr geringe Anzahl von Urteilsanfechtungen ist indessen davon auszugehen, dass die Beurteilten an der Unabhängigkeit der Richterin oder des Richters nur selten Zweifel hegen. Die Unvereinbarkeitsregelung gemäss Artikel 10 scheint daher allzu streng.

Für eine Abschwächung der Unvereinbarkeitsregelung nach Artikel 10 sprechen ferner die folgenden Gründe: ­

3

4 5 6

Weder die BV noch die EMRK noch die Kinderrechtskonvention schreiben eine Trennung zwischen untersuchender und urteilender Behörde im Bereich des Jugendstrafverfahrens zwingend vor: Laut Bundesgericht hält eine Personalunion von untersuchender und urteilender Behörde im Jugendstrafverfahren vor den Garantien der Bundesverfassung und der EMRK stand5, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bis heute offen gelassen, ob Artikel 6 Absatz 1 EMRK im Strafverfahren gegen Jugendliche gleichermassen anzuwenden ist wie im Strafverfahren gegen Erwachsene.6

Vgl. statt vieler S. Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl., Zürich 1997, vor Art. 82 N 5; Botschaft zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht vom 21. September 1998, BBl 1999 2417.

BGE 112 Ia 290 ff.; 113 Ia 72 ff.; 117 Ia 157 ff.

BGE 121 I 208, E. 4b Nortier vs. Niederlande, Urteil vom 24.8.1993, Serie A, Nr. 267, Ziff. 38.

3128

­

In kleinen Kantonen steht oft nur eine sehr geringe Anzahl von Fachpersonen zur Verfügung. Der Ausstand der zuständigen Jugendrichterin oder des zuständigen Jugendrichters führt dann dazu, dass das Urteil von einem mit dem Jugendstrafrecht nicht vertrauten Richtergremium gefällt werden muss. Auch dies ist nicht im Interesse des Jugendlichen. Je grösser im Übrigen das fachliche Übergewicht der Anklägerin oder des Anklägers, desto eher sind die Gerichte geneigt, den gestellten Anträgen zu folgen. Die «Unabhängigkeit» des Gerichtes ist in diesen Fällen eine bloss scheinbare.

­

Das Jugendgericht setzt sich zusammen aus der Präsidentin oder dem Präsidenten und zwei Beisitzerinnen oder Beisitzern (Art. 7 Abs. 2). Bei der Urteilsfällung wirken also immer auch zwei Personen mit, die sich bis anhin mit dem Fall nicht befasst hatten.

­

Den Jugendlichen stehen Rechtsmittel an unabhängige Instanzen zur Verfügung.

Andererseits muss natürlich auch die neue Regelung rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Unter diesem Gesichtspunkt ist und bleibt es problematisch, wenn untersuchende und urteilende Person identisch sind.

Bei dieser Ausgangslage scheint es sachgerecht, der oder dem beschuldigten Jugendlichen das Recht einzuräumen, die untersuchende Jugendrichterin oder den untersuchenden Jugendrichter als urteilende Person ohne jede Begründung abzulehnen (vgl.

den neuen Artikel 10), gleichzeitig aber die Fälle der Unvereinbarkeit ganz aus der JStPO zu streichen. Damit kann beiden Anliegen gleichzeitig so weit als möglich Rechnung getragen werden.

2.1.2.3

Zuständigkeit beim Vollzug der Urteile

Jugendstrafurteile sollen von einer Person vollzogen werden, welche über ausgewiesene Fachkenntnisse verfügt und die beschuldigte Jugendliche oder den beschuldigten Jugendlichen persönlich kennt.

Diese Voraussetzungen sind bei Mitgliedern von Jugendgerichten häufig nicht gegeben: Zunächst sind Jugendgerichte gerade in kleineren Kantonen mit Personen besetzt, die sich nur selten mit Jugendstrafrecht zu befassen haben, sodass diese gar keine Möglichkeit haben, entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Zudem kennen die Mitglieder des Jugendgerichts die beschuldigte Jugendliche oder den beschuldigten jugendlichen Person naturgemäss weit weniger gut als die Untersuchungsbehörde, weil sie regelmässig nur im Rahmen der Hauptverhandlung mit ihr in Kontakt treten.

Schliesslich wurde Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe b des bundesrätlichen Entwurfs, der eine Zuständigkeit des Jugendgerichts vorsieht, seinerzeit eingeführt, weil den Kantonen eine Spezialisierung der Mitglieder des Jugendgerichts vorgeschrieben war. Nachdem diese Bestimmung gestrichen wurde, rechtfertigt sich die besondere Zuständigkeit des Jugendgerichtes nicht mehr: Der Vollzug hat zwingend durch die Untersuchungsbehörde zu erfolgen.

3129

2.1.2.4

Rolle der Jugendstaatsanwaltschaft

Der bundesrätliche Entwurf verpflichtet die Kantone zur Einrichtung einer Jugendstaatsanwaltschaft. Diese Verpflichtung versteht sich von selbst, sofern sich ein Kanton dazu entschliesst, das Jugendrichtermodell umzusetzen. Es braucht dann nämlich eine Behörde, welche vor dem Jugendgericht die Anklage vertritt.

In Kantonen mit Jugendanwaltsmodell hingegen ist die Jugendstaatsanwaltschaft in rechtlicher Hinsicht nicht erforderlich: Die Anklage vor dem Jugendgericht wird dann ja von der Jugendanwältin oder vom Jugendanwalt selbst vertreten. Aufgrund der teilweise geringen Anzahl von Delikten besteht in kleineren Kantonen oft auch kein praktisches Bedürfnis zur Einführung einer solchen Behörde. Das würde dazu führen, dass nicht spezialisierte Personen (etwa Staatsanwältinnen und Staatsanwälte) diese Aufgaben wahrnehmen müssten. Die Jugendstaatsanwaltschaft wird deshalb für Kantone mit Jugendanwaltsmodell nicht mehr vorgesehen. Will ein Kanton die Kompetenzen der Jugendanwältin oder des Jugendanwalts auf verschiedene Personen aufteilen, bleibt ihm dies im Rahmen der bestehenden Organisationsautonomie unbenommen. Insbesondere sind die Kantone berechtigt, eine Ober- oder Generaljugendanwaltschaft vorzusehen (vgl. Art. 9 Abs. 3 des geänderten Entwurfs).

Der bundesrätliche Entwurf umschreibt die Aufgaben der Jugendstaatsanwaltschaft nicht näher. Mindestens die Grundzüge der behördlichen Zuständigkeiten müssen aber erwähnt werden, damit die bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt und bis zu einem gewissen Grade eingeschränkt werden können.

2.2

Ordentliches Verfahren vor der Jugendrichterin oder dem Jugendrichter bzw.

vor der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt?

2.2.1

Ausgangslage

Gemäss bundesrätlichem Entwurf kann die Untersuchungsbehörde nach Abschluss der Untersuchung: ­

das Verfahren einstellen;

­

einen Strafbefehl erlassen;

­

ein ordentliches Gerichtsverfahren durchführen; oder

­

beim Jugendgericht Anklage erheben bzw. erheben lassen.

Diese Regelung steht vorab in Widerspruch zur Rechtslage in all jenen Kantonen, die das Jugendanwaltsmodell kennen: Jugendanwälte sind regelmässig nur zum Erlass von Strafbefehlen kompetent; ein ordentliches Verfahren vor der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt ist systemfremd.

Im Übrigen lässt der bundesrätliche Entwurf selbst bei genauem Hinsehen zwischen ordentlichem Verfahren vor dem Einzelrichter und Strafbefehl kaum Unterschiede erkennen: Auch im Strafbefehlsverfahren kann die zuständige Behörde die beschuldigte Jugendliche oder den beschuldigten Jugendlichen einvernehmen, sie kann dieselben Sanktionen verhängen und über Zivilforderungen befinden.

3130

2.2.2

Lösungsvorschlag

Damit scheint das ordentliche Verfahren vor der Jugendrichterin oder dem Jugendrichter bzw. vor der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt insgesamt überflüssig, die entsprechenden Bestimmungen sind zu streichen.

2.3

Zuständigkeit zur Genehmigung bzw. Überprüfung von Zwangsmassnahmen

2.3.1

Ausgangslage

Gemäss Entwurf des Bundesrates werden Zwangsmassnahmen im Allgemeinen durch die Jugendrichterin oder den Jugendrichter angeordnet (Art. 27 Abs. 3 Bst. a und Art. 30 Abs. 2); eine besondere Regelung besteht für die Sicherheitshaft (Art. 30 Abs. 2).

Die Überprüfung der Untersuchungshaft erfolgt durch das Jugendgericht, jene der Sicherheitshaft durch die Beschwerdeinstanz (Art. 30 Abs. 5 des bundesrätlichen Entwurfs). In Bezug auf die übrigen Zwangsmassnahmen findet sich im bundesrätlichen Entwurf keine explizite Regelung. Damit bleibt offen, ob kraft Artikel 3 dem Zwangsmassnahmengericht auch im Jugendstrafverfahren gewisse Kompetenzen zustehen, obwohl diese Gerichtsbehörde in den Artikeln 7 und 8 des bundesrätlichen Entwurfs keine Erwähnung findet.

2.3.2

Lösungsvorschläge

2.3.2.1

Überwachungsmassnahmen

Immer dort, wo das Zwangsmassnahmengericht eine Massnahme anzuordnen oder zu genehmigen hat (Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, Überwachung von Bankbeziehungen usw.), soll Gleiches auch im Jugendstrafverfahren gelten. In solchen Verfahren sind keine jugendspezifischen Aspekte zu berücksichtigen; diese Aufgabe kann eine für Erwachsene vorgesehene Behörde genau so gut erfüllen. Der Entwurf ist in diesem Sinne zu ergänzen.

2.3.2.2

Untersuchungs- und Sicherheitshaft

Die Haftprüfung obliegt gemäss bundesrätlichem Entwurf dem Jugendgericht bzw.

der Beschwerdeinstanz.

Für eine Zuständigkeit des Jugendgerichts spricht, dass eine auf Jugendstrafrecht spezialisierte Instanz entscheidet. Das Element des Täterstrafrechts findet damit Berücksichtigung. Allerdings sind zahlreiche kleinere Kantone derart geringfügig mit Jugendkriminalität belastet, dass sie für das Jugendgericht gar keine Spezialistinnen und Spezialisten zur Verfügung stellen können. Gleiches gilt für die Beschwerdeinstanz. Gegen die Zuständigkeit des Jugendgerichts zur Überprüfung von U-Haft spricht zudem, dass dessen Einberufung eine gewisse Zeit braucht, was angesichts der statuierten Ordnungsfristen zu Schwierigkeiten führen könnte.

3131

Für die Zuständigkeit des Zwangsmassnahmengerichts spricht demgegenüber, dass bei diesem wegen der Fristen im Erwachsenenverfahren eine Pikett-Organisation besteht.

Bei einer Abwägung der verschiedenen Argumente scheint es sinnvoll, das Zwangsmassnahmengericht mit der Haftprüfung zu betrauen. Den Kantonen bleibt es dabei unbenommen, ein spezielles Zwangsmassnahmengericht für Jugendstrafverfahren einzurichten, doch sollen namentlich die kleineren Kantone für das Jugend- und das Erwachsenenstrafverfahren dieselbe Behörde als zuständig bezeichnen können.

2.4

Zusammenfassung

Damit sich das Gesetz in der täglichen Rechtspraxis bewähren wird, sind gewisse Änderungen erforderlich: ­

Die verwendete Terminologie ist den Gepflogenheiten des kantonalen Rechts anzupassen: Die Jugendrichterin soll «Jugendrichterin», der Jugendrichter soll «Jugendrichter» und die Jugendanwältin soll «Jugendanwältin», der Jugendanwalt «Jugendanwalt» heissen.

­

Die Unvereinbarkeitsbestimmung (Art. 10 des bundesrätlichen Entwurfs) ist zu streichen und durch ein Ablehnungsrecht (Art. 10 des geänderten Entwurfs) zu ersetzen.

­

Das ordentliche Verfahren vor der Jugendrichterin oder dem Jugendrichter bzw. vor der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt ist nicht mehr vorzusehen.

­

Der Vollzug der Urteile soll der Jugendrichterin oder dem Jugendrichter bzw. der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt obliegen.

­

Die Kantone sollen nur dann zur Einführung einer Jugendstaatsanwaltschaft verpflichtet werden, wenn sie das Jugendrichtermodell verwirklichen wollen.

­

Die Aufgaben des Zwangsmassnahmengerichts sind klarzustellen.

Weitere, inhaltlich weniger bedeutsame Anpassungen wurden amtsintern ebenfalls geprüft und werden der Rechtskommission des Ständerates zeitgleich vorgeschlagen. Die entsprechenden Erläuterungen finden sich in Ziffer 3.

3

Erläuterung der geänderten Gesetzesbestimmungen

3.1

Vorbemerkung

In den folgenden Ziffern werden die vorgeschlagenen Änderungen erläutert. Für ergänzende Ausführungen wird auf die Botschaft vom 21. Dezember 20057 verwiesen. Soweit wir lediglich eine Änderung der Artikelnummer vorschlagen, wird auf eine Erläuterung verzichtet.

7

Botschaft StPO/JStPO (Fn. 2), BBl 2006, 1085­1388.

3132

3.2

Gegenstand und Grundsätze (1. Kapitel)

3.2.1

Anwendbarkeit der Schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 3 (Art. 3 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1: Redaktionelle Änderung.

Absatz 2 Buchstabe d des bundesrätlichen Entwurfs untersagt den Jugendstrafbehörden die Anwendung von Artikel 86 StPO8 (Öffentliche Bekanntmachung). Auch bei jugendlichen Straftäterinnen und Straftätern muss aber in Ausnahmefällen eine Zustellung durch Publikation im Amtsblatt möglich sein. Andernfalls könnten Urteile gegen Jugendliche mit unbekanntem Aufenthalt nie in Rechtskraft erwachsen.

3.2.2

Grundsätze, Art. 4 (Art. 4 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1: Alter und Entwicklungsstand sollen und dürfen sich nicht per se zugunsten der Täterin oder des Täters auswirken, sondern nur dann, wenn dies sachlich gerechtfertigt erscheint. Deshalb sind Alter und Entwicklungsstand «angemessen» zu berücksichtigen.

Absatz 2: Gemäss Artikel 4 Absatz 2 des bundesrätlichen Entwurfs achten die Strafbehörden in allen Verfahrensstadien die Persönlichkeitsrechte der oder des Jugendlichen, hören sie an und ermöglichen ihnen, sich aktiv am Verfahren zu beteiligen. Diese Regelung könnte den (falschen) Eindruck erwecken, als bestehe eine Pflicht zur Einvernahme der oder des beschuldigten Jugendlichen. Selbstverständlich besteht aber auch im Jugendstrafverfahren die Möglichkeit der Verfahrenserledigung in einem rein schriftlichen Verfahren (durch Strafbefehl oder Einstellungsverfügung). Der Klarheit halber ist deshalb ein Vorbehalt zugunsten anders lautender Verfahrensvorschriften anzubringen.

Absatz 3 des bundesrätlichen Entwurfs verpflichtet die Strafbehörden dazu, nicht mehr als nötig in den Privatbereich der Jugendlichen «und in den Einflussbereich ihrer Eltern oder ihrer anderen gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter» einzugreifen. Diese Formulierung ist unnötig kompliziert. Auch Eltern sind gesetzliche Vertreterinnen und Vertreter. Im Übrigen steht mit dem Ausdruck «gesetzliche Vertretung» eine geschlechtsneutrale Formulierung zur Verfügung.

Absatz 4 ist in mehrfacher Hinsicht änderungsbedürftig:

8

­

Auch die Inhaberinnen und Inhaber der elterlichen Sorge sind «gesetzliche Vertreterinnen und Vertreter». Eine separate Erwähnung ist daher unnötig.

­

Unter Umständen sind die gesetzliche Vertretung und die Behörde des Zivilrechts einzubeziehen.

­

Die Behörde des Zivilrechts hat per se ein Interventionsrecht, die entsprechende Einschränkung kann gestrichen werden.

Entwurf einer Schweizerischen Strafprozessordnung, BBl 2006 1389­1560.

3133

3.2.3

Verzicht auf Strafverfolgung, Art. 5 (Art. 5 des bundesrätlichen Entwurfs)

Gemäss Artikel 5 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs sieht «die zuständige Strafbehörde» unter gewissen Voraussetzungen von einer Strafverfolgung ab. Als Strafbehörde gilt gemäss Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a auch die Polizei. Der Verzicht auf die Strafverfolgung soll indessen der Untersuchungsbehörde, der Jugendstaatsanwaltschaft, dem Jugendgericht und der Berufungsinstanz vorbehalten bleiben. Die Bestimmung ist entsprechend anzupassen.

Absatz 1 Buchstabe a des bundesrätlichen Entwurfs verweist lediglich auf Artikel 21 Absatz 1 JStG9. Stattdessen wird dann in Absatz 2 Artikel 21 Absatz 2 JStG praktisch wörtlich wiederholt. Diese Regelung scheint unnötig kompliziert: Absatz 2 kann ohne weiteres gestrichen werden, wenn in Absatz 1 Buchstabe a auf Artikel 21 JStG in seiner Gesamtheit verwiesen wird.

Die beiden anderen Anpassungen sind rein redaktioneller Natur.

Absatz 3 des bundesrätlichen Entwurfs verweist auf Artikel 8 StPO. Diese Bestimmung verweist in Absatz 1 ihrerseits auf die Artikel 52, 53 und 54 StGB10 ­ und diese Artikel wiederum sind gemäss Artikel 1 JStG im Strafverfahren gegen Jugendliche gar nicht anwendbar, weil Artikel 21 JStG diesbezüglich eine Sonderregelung enthält.

Die Jugendstrafprozessordnung darf deshalb nur auf Artikel 8 Absätze 2 und 3 verweisen.

3.3

Jugendstrafbehörden (2. Kapitel)

3.3.1

Strafverfolgungsbehörden, Art. 6 (Art. 6 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 6 wurde weitgehend neu formuliert. Die Bestimmung soll den Kantonen die Wahl zwischen den beiden Strafverfolgungsmodellen belassen, ohne ihnen eine missverständliche Terminologie vorzuschreiben.11 Deshalb wird in Absatz 1 Buchstabe b die Bezeichnung «Untersuchungsbehörde» eingeführt. Es handelt sich um einen Oberbegriff, der Jugendrichterinnen bzw.

-richter und Jugendanwältinnen bzw. -anwälte gleichermassen erfasst. Die neuen Absätze 1ter und 2 umschreiben die beiden Strafverfolgungsmodelle in ihren Grundzügen: Die Jugendrichterin oder der Jugendrichter ist Mitglied des Jugendgerichts; die Jugendanwältin oder der Jugendanwalt vertritt vor dem Jugendgericht die Anklage.12 Der geänderte Absatz 1 Buchstabe c macht klar, dass die Kantone grundsätzlich nicht verpflichtet sind, eine Jugendstaatsanwaltschaft vorzusehen. Diese Freiheit ist freilich eine bedingte: Entscheidet sich ein Kanton für das Jugendrichtermodell, ist die Jugendstaatsanwaltschaft für die Anklageerhebung vor Jugendgericht zuständig; 9 10 11 12

Jugendstrafgesetz, SR 311.1 Strafgesetzbuch, SR 311 Vgl. oben, Ziff. 2.1.2.2 Vgl. oben, Ziff 2.1.1

3134

insoweit besteht eine Pflicht zur Einrichtung dieser Behörde. Die weiteren Kompetenzen der Jugendstaatsanwaltschaft werden alsdann in Artikel 22 umschrieben.

Entscheidet sich ein Kanton demgegenüber für das Jugendanwaltsmodell, ist die Jugendstaatsanwaltschaft nicht vorgesehen, wobei aber eine Aufteilung der Kompetenzen im Rahmen der Organisationsautonomie möglich bleibt.

3.3.2

Gerichte, Art. 7 (Art. 7 des bundesrätlichen Entwurfs)

Die Artikel 7 und 8 des bundesrätlichen Entwurfs werden zu einem einzigen Artikel zusammengefasst und dieser dem Artikel 13 StPO angeglichen. Auch die Rechtsmittelinstanzen haben nämlich richterliche Befugnisse; eine separate Bestimmung ist deshalb überflüssig.

In Buchstabe a des neuen Artikels 7 wird nun auch das Zwangsmassnahmengericht ausdrücklich als Behörde mit richterlichen Befugnissen erwähnt. Das ist notwendig, weil ansonsten die Kompetenzen im Bereich der Zwangsmassnahmen unklar bleiben.13 In den Buchstaben c und d werden die Regelungen von Artikel 8 Absatz 1 Buchstaben c und d des bundesrätlichen Entwurfs übernommen.

Absatz 3 des bundesrätlichen Entwurfs wird funktional ersetzt durch Artikel 6. Der neue Absatz 3 übernimmt Artikel 8 Absatz 2 des bundesrätlichen Entwurfs.

3.3.3

Organisation, Art. 9 (Art. 9 des bundesrätlichen Entwurfs)

Gemäss Artikel 9 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs richten sich Organisation und Arbeitsweise der Jugendstrafbehörden nach kantonalem Recht. An diesem Grundsatz ist festzuhalten.

Allerdings bestehen auch hier punktuelle Eingriffe des Bundesrechts, was der Klarheit halber festzuhalten ist. Im Übrigen ist die Bestimmung dem Wortlaut von Artikel 14 Absatz 2 StPO anzupassen. Überdies ist festzuhalten, dass auch die Aufsicht in die Regelungskompetenz der Kantone fällt.

Der neue Artikel 9 Absatz 3 erlaubt es den Kantonen, eine Ober- oder Generaljugendanwaltschaft vorzusehen. Gerade in grösseren Kantonen ist ein hierarchischer Aufbau der Jugendanwaltschaft unter Umständen sinnvoll, weil auf diese Weise gewisse Führungs- und Kontrollaufgaben effizienter wahrgenommen werden können. Die Befugnisse der Ober- oder Generaljugendanwaltschaft ergeben sich aus Artikel 22a.

13

Vgl. oben, Ziff. 2.3

3135

3.4

Allgemeine Verfahrensregeln (3. Kapitel)

3.4.1

Ablehnung, Art. 10 (Art. 10 des bunderätlichen Entwurfs)

Gemäss Artikel 10 des bundesrätlichen Entwurfs kann die Jugendrichterin oder der Jugendrichter nicht Mitglied des Jugendgerichts sein, wenn sie oder er bereits die Untersuchungshaft angeordnet oder die Einweisung zur Beobachtung oder die vorsorgliche Unterbringung verfügt hat (Bst. a), wenn der Sachverhalt umstritten ist (Bst. b) oder wenn eine Beschwerde wegen Verfahrenshandlungen während der Untersuchung oder des Vollzugs hängig ist (Bst. c).

Diese Bestimmung würde häufig dazu führen, dass die Jugendrichterin oder der Jugendrichter im Jugendgericht nicht Einsitz nehmen darf. Das bedeutet einerseits, dass die oder der beschuldige Jugendliche durch eine Person beurteilt wird, die sie oder ihn nicht persönlich kennt. Genau dies macht aber letztlich die Besonderheit des Jugendstrafverfahrens aus. Zudem stehen in kleineren Kantonen nur sehr wenige Fachpersonen zur Verfügung, sodass vermehrt nicht spezialisierte Richterinnen und Richter im Bereich des Jugendstrafrechts tätig sein müssten.

Angezeigt ist also eine Lockerung bzw. Streichung der besonderen Unvereinbarkeitsbestimmung.

Andererseits hat aber auch das Jugendstrafverfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen zu genügen. Zum Kern der Rechtsstaatlichkeit gehört die Unabhängigkeit des Gerichts.

Diese gegensätzlichen Ziele (persönliche Kenntnis der urteilenden Person einerseits ­ richterliche Unabhängigkeit andererseits) lassen sich kaum auf befriedigende Weise in Einklang bringen.

Der völlig neu gefasste Artikel 10 sieht keine besonderen Unvereinbarkeiten mehr vor. Es gelten also einzig die Ausstandsgründe gemäss Artikel 54 StPO. Soweit sich eine Vorbefassung aus dem gewählten Strafverfolgungssystem ergibt, ist indessen Artikel 54 Buchstabe b StPO nicht anwendbar.

Stattdessen sollen die oder der beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung das Recht erhalten, die Person, welche die Untersuchung geführt hat, ohne Angabe von Gründen abzulehnen (Abs. 1). Über dieses Recht ist in geeigneter Weise zu informieren (Abs. 2).

3.4.2

Gerichtsstand, Art. 11 (Art. 11 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 11 des bundesrätlichen Entwurfs soll durch die Regelung ersetzt werden, wie sie in Artikel 38 JStG in ganz ähnlicher Form bereits besteht: Diese Norm ist erst seit dem 1. Januar 2007 in Kraft und es besteht keine Veranlassung, sie nicht weitgehend unverändert in die JStPO zu überführen.

Im Vergleich zum bundesrätlichen Entwurf ergeben sich damit die folgenden Änderungen:

3136

Absatz 1 erster Satz: Redaktionelle Änderung.

Absatz 1 zweiter Satz des bundesrätlichen Entwurfs fällt weg. Die Zuständigkeit der Behörden des Deliktsortes zu dringend notwendigen Ermittlungshandlungen ergibt sich bereits aus allgemeinen prozessualen Grundsätzen und bedarf keiner besonderen Erwähnung.

Absatz 2: Redaktionelle Änderungen.

Gemäss dem neuen Absatz 2bis werden Übertretungen am Deliktsort verfolgt. Diese abweichende Gerichtsstandsregelung rechtfertigt sich in erster Linie aus praktischen Gründen: Bei der Verfolgung von Bagatellstraftaten müssen die persönlichen Verhältnisse des Jugendlichen nicht näher abgeklärt werden. Anders verhält es sich, wenn Schutzmassnahmen angeordnet oder abgeändert werden müssen. Diesfalls steht nicht das Delikt als solches, sondern die Person der Täterin oder des Täters im Vordergrund. Zuständig sind deshalb in solchen Fällen die Behörden am gewöhnlichen Aufenthaltsort.

Absätze 3­5: Redaktionelle Änderungen.

Der neue Absatz 6 schliesslich regelt die Zuständigkeit zum Entscheid bei interkantonalen Gerichtsstandsstreitigkeiten.

3.4.3

Mitwirkung der gesetzlichen Vertretung, Art. 13 (Art. 13 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 13 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs soll in zwei Punkten abgeändert werden: ­

Unter Umständen müssen die gesetzliche Vertretung und die Behörde des Zivilrechts zur Mitwirkung im Verfahren verpflichtet werden können.

­

Eine «Behörde des Zivilrechts» ist immer gegeben, und zwar selbst dann, wenn die oder der beschuldigte Jugendliche in der Schweiz keinen Wohnsitz hat (Art. 315 Abs. 2 ZGB). Das «gegebenenfalls» ist deshalb zu streichen.

Betreffend Absatz 2 werden drei redaktionelle Änderungen vorgenommen: ­

Der Begriff der Vormundschaftsbehörde wird innerhalb des bundesrätlichen Entwurfs einzig an dieser Stelle verwendet. Gemeint ist aber auch hier die Behörde des Zivilrechts; die Terminologie ist zu vereinheitlichen.

­

Angefochten wird nicht die Busse als solche, sondern der Bussenentscheid; der Wortlaut ist zu präzisieren.

­

Die Zuständigkeit der Beschwerdeinstanz ergibt sich bereits aus dem geänderten Artikel 38.

3.4.4

Vertrauensperson, Art. 14 (Art. 14 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 14 des bundesrätlichen Entwurfs erlaubt es der oder dem beschuldigten Jugendlichen, in jedem Stadium des Verfahrens eine Vertrauensperson beizuziehen, «sofern die Interessen der Untersuchung nicht entgegenstehen».

3137

Damit bleibt unberücksichtigt, dass unter Umständen auch private Interessen dem Beizug einer Vertrauensperson entgegenstehen können. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen das Opfer aus berechtigten Gründen ein Zusammentreffen mit der Vertrauensperson vermeiden möchte.

3.4.5

Ausschluss der Öffentlichkeit, Art. 15 (Art. 15 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 15 Absatz 1 zweiter Satz des bundesrätlichen Entwurfs ist in zweifacher Hinsicht zu ändern: ­

Zunächst ist der Wortlaut an den neuen Artikel 6 anzupassen; im Übrigen sollen alle Gerichte über das Verfahren informieren dürfen.

­

Eine Information der Öffentlichkeit soll unter besonderen Umständen bereits vor Abschluss des Verfahrens erfolgen dürfen, etwa über allfällige Verhaftungen nach bekannt gewordenen schweren Straftaten. Selbstverständlich ist dabei der Grundsatz der Unschuldsvermutung zu wahren.

Absatz 2 Einleitungssatz: Die Untersuchungsbehörde soll keine ordentlichen Verfahren mehr durchführen (vgl. Art. 33). Deshalb bedarf der Jugendrichter keiner Erwähnung mehr. Demgegenüber soll bei gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen auch die Berufungsinstanz eine öffentliche Verhandlung anordnen dürfen.

Absatz 2 Buchstabe a: Redaktionelle Änderung.

3.4.6

Umfang der Akteneinsicht, Art. 16 (Art. 16 des bundesrätlichen Entwurfs)

Betrifft nur die französische Fassung.

3.4.7

Vergleich und Wiedergutmachung, Art. 17 (Art. 17 des bundesrätlichen Entwurfs)

Gemäss Artikel 17 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs kann die zuständige Behörde versuchen, zwischen der oder dem Beschuldigten und der geschädigten Person einen Vergleich zu erzielen, und zwar insbesondere bei Antragsdelikten und wenn eine Strafbefreiung nach Artikel 53 StGB in Frage kommt.

Damit werden Vergleich und Wiedergutmachung nicht ausreichend unterschieden: ­

Der Abschluss eines Vergleiches ist nur dann möglich, wenn ein Antragsdelikt Gegenstand des Verfahrens bildet. Im Vergleich einigen sich die Täterin oder der Täter und die geschädigte Person über die zivilrechtlichen Folgen der Straftat. Gelingt diese Einigung, gilt der Strafantrag als zurückgezogen und das Verfahren wird eingestellt.

­

Eine Wiedergutmachung ist hingegen grundsätzlich auch bei Offizialdelikten möglich, sofern die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe erfüllt sind und das Interesse der Öffentlichkeit an der Strafverfolgung gering ist.

Diese Unterscheidung muss bereits in der Sachüberschrift ihren Ausdruck finden.

3138

Zu korrigieren ist ferner der fehlerhafte Verweis in Absatz 1: Artikel 53 StGB ist im Jugendstrafrecht nicht anwendbar (vgl. Art. 1 Abs. 2 JStG), stattdessen kennt das JStG mit Artikel 21 eine besondere Regelung, auf die sich der Verweis beziehen muss.

Schliesslich wird die bundesrätliche «Kann-Formulierung» abgeändert: Die zuständigen Behörden sollen unter den gegebenen Voraussetzungen verpflichtet werden, die Möglichkeit eines Vergleiches oder einer Wiedergutmachung abzuklären.

Die vorgeschlagene Regelung begnügt sich im Wesentlichen damit, auf die Möglichkeit von Vergleich und Wiedergutmachung hinzuweisen und die entsprechenden Zuständigkeiten zu regeln. Die Details ergeben sich aus Artikel 316 StPO und Artikel 21 JStG.

3.4.8

Mediation, Art. 18 (Art. 18 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs ist zunächst an die geänderte Terminologie von Artikel 6 anzupassen. Zudem soll nicht nur das Jugendgericht, sondern auch die Berufungsinstanz das Verfahren sistieren und alsdann eine Mediation initiieren dürfen. Der Ausdruck «Jugendgericht» ist deshalb durch den allgemeineren der «Gerichte» zu ersetzen.

3.5

Parteien und Verteidigung (4. Kapitel)

3.5.1

Begriff, Art. 19 (Art. 19 des bundesrätlichen Entwurfs)

Buchstaben a und abis: Nach bundesrätlichem Entwurf sind «die oder der beschuldigte Jugendliche und ihre oder seine gesetzliche Vertretung» Partei. Diese Formulierung ist missverständlich. Parteistellung kommt der oder dem beschuldigten Jugendlichen und der gesetzlichen Vertretung nicht gemeinsam zu, sie bilden nicht gemeinsam eine Partei.

Im Übrigen ist fraglich, ob der gesetzlichen Vertretung überhaupt Parteistellung zukommt. Sie nimmt die Interessen der oder des Jugendlichen wahr und handelt insoweit als Vertreterin.

Immerhin räumt der geänderte Entwurf der gesetzlichen Vertretung aber verschiedentlich die Befugnis ein, selbstständig prozessuale Rechte wahrzunehmen: ­

Artikel 10 Absatz 1: Recht zur Ablehnung des Jugendrichters;

­

Artikel 13 Absatz 2: Legitimation zur Anfechtung des Bussenentscheides wegen mangelnder Mitwirkung im Verfahren;

­

Artikel 15 Absatz 2: Recht, eine öffentliche Verhandlung zu verlangen;

­

Artikel 16 Absatz 1: Recht auf Akteneinsicht;

­

Artikel 23: Recht, eine Wahlverteidigung zu beauftragen;

­

Artikel 25b Absatz 4: Legitimation zum Einreichen eines Haftentlassungsgesuches; 3139

­

Artikel 32 Absatz 5 Buchstabe a: Recht, gegen den Strafbefehl Einsprache zu erheben;

­

Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe b: Legitimation zum Ergreifen von Rechtsmitteln.

Diese Rechte kann die gesetzliche Vertretung selbständig, also auch ohne und selbst gegen den Willen der oder des Jugendlichen wahrnehmen.14 Deshalb scheint es durchaus gerechtfertigt, auch der gesetzlichen Vertretung Parteistellung einzuräumen.15 Demgegenüber ist die Behörde des Zivilrechts nur ausnahmsweise ­ nämlich wenn eine gesetzliche Vertretung fehlt ­ zur selbstständigen Rechtswahrung berechtigt (vgl. z.B. Art 37 Abs. 1 Bst. b). Die Behörde des Zivilrechts ist deshalb nicht Partei im Jugendstrafverfahren.

Buchstabe c: Die Jugendstaatsanwaltschaft kann je nach Ausgestaltung des kantonalen Rechts nicht nur Berufung einlegen, sondern allenfalls auch andere Rechtsmittel einlegen (Art. 22). Diesfalls ist sie Partei. Gleiches gilt für die Jugendanwältin oder den Jugendanwalt. Die vorgeschlagene Bestimmung fasst diese Konstellationen nach dem Vorbild von Artikel 102 Absatz 1 Buchstabe c StPO zusammen.

3.5.2

Beschuldigte Jugendliche oder beschuldigter Jugendlicher, Art. 20 (Art. 20 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1 Satz 1: Redaktionelle Anpassung.

Absatz 1bis: Der neue Absatz 1bis ersetzt Artikel 20 Absatz 1 Satz 2 des bundesrätlichen Entwurfs: Jugendliche können nur dann rechtswirksam Parteirechte wahrnehmen, wenn sie urteilsfähig sind. Dieser Grundsatz ist aufgrund seiner allgemeinen Tragweite auch in der JStPO festzuhalten.

3.5.3

Jugendstaatsanwaltschaft, Art. 22 (Art. 22 des bundesrätlichen Entwurfs)

Entscheidet sich ein Kanton zur Umsetzung des Jugendrichtermodells, besteht eine Pflicht zur Einrichtung einer Jugendstaatsanwaltschaft16; im Übrigen sind die Kompetenzen der Jugendstaatsanwaltschaft in ihren Grundzügen auf Bundesebene zu regeln.

14 15 16

Bei Interessenkollisionen ist die Einsetzung eines Beistandes nach Artikel 392 ZGB zu prüfen.

Vgl. dazu auch die Verfügung der Bundesanwaltschaft vom 30.4.2003, VPB 2004, Nr.

13, E. 6.

Vgl. oben, Ziffer 2.1.2.4

3140

3.5.4

Ober- oder Generaljugendanwaltschaft, Art. 22a (neu)

Artikel 9 Absatz 3 ermächtigt die Kantone, eine Ober- oder Generaljugendanwaltschaft vorzusehen. Der neue Artikel 22a umschreibt die Kompetenzen dieser Behörde nicht selbst, sondern verweist diesbezüglich auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung hinsichtlich der Ober- oder Generalstaatsanwaltschaft.

Sieht ein Kanton eine Ober- oder Generaljugendanwaltschaft vor, sind demnach die folgenden Bestimmungen anwendbar: ­

Artikel 323 StPO: Befugnisse bei Einstellung des Verfahrens;

­

Artikel 358 Absatz 1 Buchstabe d StPO: Befugnis zur Einsprache gegen Strafbefehle;

­

Artikel 389 Absatz 2 StPO: Befugnis zum Einlegen von Rechtsmitteln nach kantonalem Recht.

Diese Instrumente werden namentlich in grösseren Kantonen die ausreichende Überwachung der Jugendanwaltschaft sicherstellen.

3.5.5

Wahlverteidigung, Art. 23 (Art. 23 des bundesrätlichen Entwurfs)

Der bisherige Absatz 1 ist nunmehr bereits in Artikel 20 Absatz 1bis enthalten; er kann deshalb gestrichen werden.

3.5.6

Notwendige Verteidigung, Art. 24 (Art. 24 des bundesrätlichen Entwurfs)

Gemäss Buchstabe a des bundesrätlichen Entwurfs muss die oder der beschuldigte Jugendliche verteidigt werden, wenn sie oder er eines Verbrechens oder eines schweren Vergehens beschuldigt wird.

Es erscheint wenig sinnvoll, auf eine abstrakte Deliktskategorie abzustellen. Auch für eher geringfügige Straftaten kann eine sog. Unterbringung verhängt werden, die massiv in die Freiheit der verurteilten Person eingreift. Demgegenüber können auch Verfahren bei schweren Vergehen im Einzelfall mit einem milden Urteil abgeschlossen werden. Das Ausmass des Schutzbedürfnisses einer beschuldigten Person richtet sich deshalb nicht nach einer abstrakten Strafdrohung, sondern nach der im Einzelfall drohenden Sanktion. Das ist denn auch das der StPO (Art. 128 Bst. b StPO) zu Grunde liegende Konzept.

Eine notwendige Verteidigung ist deshalb immer dann vorzusehen, wenn der oder dem beschuldigten Jugendlichen ein Freiheitsentzug von mehr als 14 Tagen (Art. 25 JStG) oder eine Unterbringung (Art. 15 JStG) droht.

Buchstabe c: Untersuchungs- und Sicherheitshaft werden in der Regel auf unbestimmte Zeit angeordnet, weil oft nicht von vorneherein klar ist, wie lange ein Haftgrund tatsächlich bestehen wird. Für die Frage nach der notwendigen Verteidigung muss deshalb die effektive Haftdauer massgebend sein.

3141

Buchstabe d: Die Einweisung eines Jugendlichen zur Beobachtung hat in der Regel eine weit geringere Freiheitsbeschränkung zur Folge als etwa eine Untersuchungshaft. Im Übrigen erfolgt sie häufig im Einvernehmen mit dem Jugendlichen und der gesetzlichen Vertretung. Eine notwendige Verteidigung ist in solchen Fällen nicht am Platze.

Buchstabe e: Redaktionelle Änderung.

3.5.7

Amtliche Verteidigung, Art. 25 (Art. 25 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 25 des bundesrätlichen Entwurfs ist in mehrfacher Hinsicht anpassungsbedürftig. Insbesondere unterscheidet die Norm nicht zwischen amtlicher und unentgeltlicher Verteidigung. Diese Begriffe sind indessen auseinanderzuhalten: Die amtliche Verteidigung wird durch eine Behörde eingesetzt, sofern eine Verteidigung nicht besteht, obwohl sie erforderlich erscheint. Durch die amtliche Einsetzung wird die oder der Beschuldigte indessen nicht von der Kostentragungspflicht entbunden.

«Unentgeltlich» ist die Verteidigung nur bei materieller Bedürftigkeit der oder des Beschuldigten.

Der neu gefasste Artikel 25 lehnt sich an die Regelungen der Artikel 130­133 StPO an, berücksichtigt aber auch die Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens: Absatz 1 regelt die Voraussetzungen, unter denen eine amtliche Verteidigung einzusetzen ist, nämlich ­

wenn in einem Fall notwendiger Verteidigung (Art. 24) keine Wahlverteidigung bestimmt wird (Bst. a);

­

wenn der Wahlverteidigung das Mandat entzogen wurde oder sie es niedergelegt hat und die oder der beschuldigte Jugendliche oder ihre bzw.

seine gesetzliche Vertretung nicht innert Frist eine neue Wahlverteidigung bestimmt (Bst. b); oder

­

wenn die oder der beschuldigte Jugendliche oder ihre bzw. seine gesetzliche Vertretung nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügt (Bst. c).

Absatz 2 regelt die Entschädigung der amtlichen Verteidigung. Zur Rückerstattung können indessen ­ in Abweichung von Artikel 133 Absatz 4 StPO ­ im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht auch die Eltern der oder des verurteilten Jugendlichen angehalten werden. Diese Regelung trägt der elterlichen Unterhaltspflicht Rechnung, ohne sie ungebührlich zu überdehnen. Sie steht im Einklang mit den Artikeln 43 und 44 betreffend die Verfahrens- und Vollzugskosten.

3.6

Zwangsmassnahmen, Schutzmassnahmen und Beobachtungen (4a. Kapitel)

Der bundesrätliche Entwurf regelt in Kapitel 5 («Verfahren») auch die sogenannten Zwangsmassnahmen. Im Interesse der Übersichtlichkeit soll der Aufbau des Erlasses diesbezüglich abgeändert werden: Die Vorschriften betreffend die Zwangsmassnahmen sollen ­ gemeinsam mit den Normen betreffend Schutzmassnahmen und Beobachtungen ­ ein eigenes Kapitel bilden.

3142

3.6.1

Zuständigkeit, Art. 25a (Art. 27 Abs. 3 des bundesrätlichen Entwurfs)

Der neue Artikel 25a ordnet die Zuständigkeit zur Anordnung und Überprüfung von Zwangsmassnahmen, Schutzmassnahmen und Beobachtungen.

Absatz 1 regelt die Zuständigkeit der Untersuchungsbehörde. Diese darf Zwangsmassnahmen anordnen, soweit diese Befugnis im Erwachsenenstrafverfahren der Staatsanwaltschaft zusteht. Die Regelung entspricht materiell weitgehend Artikel 27 Absatz 3 Buchstabe a des bundesrätlichen Entwurfs. Allerdings ist die Anordnung bestimmter Zwangsmassnahmen dem Zwangsmassnahmengericht vorbehalten, sodass eine Beschränkung der Zuständigkeit der Untersuchungsbehörde besteht.

Anders als die Staatsanwaltschaft im Erwachsenenstrafprozess kann sie auch Untersuchungshaft anordnen.

Absatz 2: Eine Sicherheitshaft muss auch durch die Berufungsinstanz angeordnet werden können. Der Ausdruck «Jugendgericht» in Artikel 30 Absatz 2 des bundesrätlichen Entwurfs ist deshalb durch den allgemeinen Begriff des «Gerichts» zu ersetzen. Sodann ist die Bestimmung an den neu gefassten Artikel 6 anzupassen.

Absatz 3: Im bundesrätlichen Entwurf findet das Zwangsmassnahmengericht keine Erwähnung. Andererseits verweist aber Artikel 3 auf die Bestimmungen der StPO, ohne dass die Anwendung der entsprechenden Bestimmungen betreffend das Zwangsmassnahmengericht ausgeschlossen würde.

Damit bleibt unklar, welche Kompetenzen dieser richterlichen Behörde im Jugendstrafverfahren zustehen sollen. Absatz 3 soll diese Unklarheiten ­ im Zusammenspiel mit Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a ­ beseitigen: Die Zuständigkeiten und das Verfahren richten sich nach den Bestimmungen der StPO, wobei Artikel 25b eine besondere Regelung für die Überprüfung der Untersuchungshaft vorsieht.17

3.6.2

Untersuchungs- und Sicherheitshaft, Art. 25b (Art. 30 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 2: Zuständigkeit Die Zuständigkeit zur Überprüfung der Untersuchungshaft soll neu dem Zwangsmassnahmengericht übertragen werden: Das Zwangsmassnahmengericht ist personell besser ausgestattet als das Jugendgericht, sodass die Fälle rasch und kompetent zum Abschluss gebracht werden können.18 Verfahren Der bundesrätliche Entwurf enthält keine Vorschrift über das Verfahren vor dem Zwangsmassnahmengericht. Die Haft bedeutet einen schweren Eingriff in die Grundrechte der oder des beschuldigten Jugendlichen. Deshalb statuiert der neue Absatz 2 zweiter Satz im Interesse der Verfahrensbeschleunigung eine Behandlungsfrist von 48 Stunden. Der neue Absatz 2 dritter Satz hält fest, dass im Übrigen die 17 18

Vgl. hierzu bereits oben, Ziffer 2.3 Vgl. dazu bereits oben, Ziffer 2.3

3143

Bestimmungen der StPO (Art. 224 und 225) massgebend sind. Das ergibt sich zwar bereits aus Artikel 3, ist aber der Klarheit halber festzuhalten.

Absatz 3 (neu): Der neue Absatz 3 erster Satz übernimmt inhaltlich Artikel 30 Absatz 3 zweiter Satz des bundesrätlichen Entwurfs. Der neue Absatz 3 zweiter Satz enthält wiederum einen klärenden Verweis auf die anwendbare Bestimmung der Strafprozessordnung.

Absatz 4 (neu): Absatz 4 erster Satz übernimmt inhaltlich Artikel 30 Absatz 4 des bundesrätlichen Entwurfs. In Übereinstimmung mit Artikel 20 wird die Legitimation zum Einreichen eines Haftentlassungsgesuches aber dem oder der urteilsfähigen Jugendlichen und der gesetzlichen Vertretung eingeräumt. Absatz 4 zweiter Satz verweist in Bezug auf das Verfahren auf die anwendbare Bestimmung der StPO.

Absatz 5 (neu) regelt die Anfechtbarkeit der Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts nicht selbstständig, sondern verweist diesbezüglich auf die Regelung der StPO.

3.6.3

Vollzug der Untersuchungs- und Sicherheitshaft, Art. 25c (Art. 31 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 3 (neu): Bereits heute wird ein erheblicher Anteil verhängter Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft im Jugendstrafverfahren in privaten Einrichtungen vollzogen.

Diese Praxis soll beibehalten werden. Dem Staat stehen in der Regel nur «normale» Vollzugsanstalten zur Verfügung. Dort besteht oft keine Möglichkeit, die angeschuldigten Jugendlichen von den Erwachsenen zu trennen19; geeignete Betreuungsangebote und Beschäftigungsmöglichkeiten fehlen meist ganz.

Weil aber mit dem Vollzug einer Untersuchungshaft massiv in elementare Grundrechtspositionen eingegriffen wird, ist eine ausreichend klare Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinne vorausgesetzt, welche den Privaten zu diesem Eingriff ermächtigt. Eine solche Grundlage ist derzeit weder im StGB noch im JStG enthalten: Artikel 379 StGB bezieht sich seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung nach lediglich auf den Straf- und Massnahmenvollzug, sagt also über die Zulässigkeit der Untersuchungshaft in privaten Anstalten nichts aus. Hinzu kommt, dass auch auf kantonaler Ebene ausreichende gesetzliche Grundlagen weitgehend fehlen. Im bundesrätlichen Entwurf ist die Frage nicht ausdrücklich geregelt. Artikel 41 bezieht sich nämlich wiederum einzig auf den Vollzug von Strafen und Massnahmen.

19

Vgl. dazu auch Artikel 37 Buchstabe c des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (SR 0.107): Jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, ist von Erwachsenen zu trennen, sofern nicht ein anderes Vorgehen als dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird.

3144

3.6.4

Vorsorgliche Anordnung von Schutzmassnahmen und Anordnung der Beobachtung, Art. 25d (Art. 29 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 2 von Artikel 29 des bundesrätlichen Entwurfs schreibt den zuständigen Behörden vor, die Dauer einer stationären Beobachtung auf die Dauer einer allfälligen Freiheitsstrafe anzurechnen.

Das scheint inkonsequent. Auch eine Untersuchungshaft ist nicht nur auf die Dauer eines Freiheitsentzuges, sondern auch auf andere Strafen anzurechnen (Art. 1 Abs. 2 Bst. b JStG in Verbindung mit Art. 51 StGB). Die stationäre Beobachtung beschränkt die Freiheit der oder des beschuldigten Jugendlichen unter Umständen ähnlich wie eine Untersuchungshaft, weshalb die Anrechnung in gleicher Weise zu erfolgen hat. Diese Analogie zur Untersuchungshaft muss sodann auch im Verfahren und im Vollzug zum Ausdruck kommen. Deshalb sind gemäss dem neuen Absatz 2 zweiter Satz die Artikel 25b und 25c sinngemäss auch bei Anordnung einer stationären Beobachtung anzuwenden. Diese Regelung steht im Einklang mit Artikel 183 StPO betreffend die stationäre Begutachtung.

3.7

Verfahren (5. Kapitel)

Das Kapitel «Verfahren» wird im Interesse der Übersichtlichkeit in vier Abschnitte aufgegliedert: ­

Abschnitt 1: Untersuchung;

­

Abschnitt 1a: Strafbefehlsverfahren;

­

Abschnitt 1b: Anklageerhebung;

­

Abschnitt 2: Hauptverhandlung.

3.7.1

Polizei (Art. 26 des bundesrätlichen Entwurfs)

Diese Bestimmung kann gestrichen werden. Die Aufgaben der Polizei im Untersuchungsverfahren ergeben sich über Artikel 3 aus der StPO. Dass die Polizei bei ihrer Tätigkeit im Rahmen der Verfolgung von Straftaten Jugendlicher den Behörden der Jugendstrafrechtspflege (und nicht etwa der Staatsanwaltschaft des Erwachsenenstrafprozesses) untersteht, ergibt sich aus Artikel 27 Absatz 2.

3.7.2

Untersuchungsbehörde, Art. 27 (Art. 27 Abs. 1 und 2 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 27 entspricht weitestgehend Artikel 27 Absätze 1 und 2 des bundesrätlichen Entwurfs. Die vorgenommenen Anpassungen sind lediglich terminologischer Natur (vgl. auch die Bemerkungen zu Art. 6).

3145

3.7.3

Zusammenarbeit, Art. 28 (Art. 28 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 28 regelt die Zusammenarbeit der Jugendrichterin oder des Jugendrichters mit anderen Behörden und Einrichtungen, wenn es um die Abklärung der persönlichen Verhältnisse der oder des beschuldigten Jugendlichen geht. Die Regelung entspricht weitestgehend Artikel 28 des bundesrätlichen Entwurfs.

Absatz 1: Redaktionelle Anpassung an Artikel 6.

Absatz 2 verpflichtet die angefragten Instanzen, Einrichtungen und Personen zur Auskunftserteilung, doch wird das Amtsgeheimnis vorbehalten. Dieser Vorbehalt führt zu einer erheblichen Komplizierung des Verfahrens. Jede Information, die eine Amtsperson im Rahmen ihrer Amtstätigkeit erlangt, untersteht dem Amtsgeheimnis gemäss Artikel 320 StGB. Damit müsste eine Lehrperson, welche von einer Jugendrichterin oder einem Jugendrichter um Auskunft ersucht wird, zunächst vom Amtsgeheimnis entbunden werden. Das ist letztlich auch der oder dem beschuldigten Jugendlichen nicht dienlich: Die Jugendrichterin oder der Jugendrichter soll die persönlichen Verhältnisse der oder des Jugendlichen möglichst eingehend abklären.

Allzu hohe administrative Hürden bei der Informationsbeschaffung werden unweigerlich dazu führen, dass gewisse Untersuchungshandlungen unterbleiben.

Der Vorbehalt des Amtsgeheimnisses ist deshalb zu streichen. Wo es um Informationen von Ärztinnen und Ärzte, Priestern und anderen Vertrauenspersonen geht, ist der Schutz durch das Berufsgeheimnis (Art. 321 StGB) gewährleistet.

Aus anderen Erlassen ergeben sich teilweise zusätzliche Mitteilungspflichten. Hinzuweisen ist insbesondere auf Artikel 82 des Entwurfs vom 28. März 2007 einer Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, wo eine umfassende Mitteilungspflicht gegenüber kantonalen Migrationsämtern statuiert wird.

Die Mitteilungspflichten gegenüber Bundesbehörden sind im Anhang der Verordnung vom 10. November 200420 über die Mitteilung kantonaler Strafentscheide (Mitteilungsverordnung) im Einzelnen aufgelistet.

In die JStPO soll kein Verweis auf diese Normen aufgenommen werden, weil ansonsten bei jeder neu geschaffenen Mitteilungspflicht auch die JStPO entsprechend ergänzt werden müsste.

3.7.4

Strafbefehlsverfahren, Art. 32 (Art. 32 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 32 des bundesrätlichen Entwurfs wurde in mehrfacher Hinsicht geändert (vgl. Art. 32 des geänderten Entwurfs).

Angepasst wurde vorab der Aufbau der Bestimmung. Insbesondere erfolgt eine klarere Trennung verschiedener Fragen: Der neue Absatz 1 regelt die Voraussetzungen für den Erlass eines Strafbefehls. Das Verfahren wird mit einem Strafbefehl abgeschlossen, sofern die Beurteilung der Strafsache nicht dem Jugendgericht vorbehalten ist. Die Bestimmung orientiert sich also an Artikel 355 Absatz 1 StPO. Aufgrund der Streichung des ordentlichen Ver20

SR 312.3

3146

fahrens vor der Untersuchungsbehörde ist diese bei gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen verpflichtet, einen Strafbefehl zu erlassen. Die «Kann-Formulierung» gemäss Artikel 32 des bundesrätlichen Entwurfes ist daher aufzugeben.

Absatz 2 (neu) übernimmt die Regelung von Absatz 2 (2. Teilsatz) des bundesrätlichen Entwurfs.

Absatz 3 bestimmt, dass die Untersuchungsbehörde im Strafbefehl auch über Zivilforderungen entscheiden kann, sofern deren Beurteilung ohne besondere Untersuchung möglich ist.

Es wird also nicht mehr vorausgesetzt, dass die Zivilforderung unbestritten ist. Nicht selten erfolgt nämlich eine Bestreitung seitens der oder des Beschuldigten, obwohl die tatsächlichen Verhältnisse bereits ausreichend geklärt sind. Entscheidend muss sein, ob die Beurteilung der Zivilforderung ohne besondere Untersuchung möglich scheint. Ist dies der Fall, soll die Untersuchungsbehörde die Zivilforderung beurteilen dürfen.

Absatz 4 hält fest, dass der Strafbefehl den Parteien und den anderen Verfahrensbeteiligten (im Sinne von Artikel 103 StPO) zu eröffnen ist. Die Privatklägerschaft und die weiteren Verfahrensbeteiligten sollen dabei nur insoweit informiert werden, als ihre Anträge behandelt werden. Anderenfalls wäre Artikel 15 (Nichtöffentlichkeit des Verfahrens) weitgehend obsolet.21 Der neue Absatz 5 regelt die Einsprache gegen den Strafbefehl. Der bundesrätliche Entwurf verweist diesbezüglich auf Artikel 358 StPO. Diese Bestimmung ist im Jugendstrafverfahren nicht sachgerecht. Insbesondere soll der Privatkläger im Strafpunkt nicht zur Einsprache legitimiert sein. Im Übrigen wird Artikel 355 StPO dem Sinn nach übernommen.

Der neue Absatz 6 schliesslich verweist in Bezug auf die weiteren verfahrensrechtlichen Fragen auf die einschlägigen Bestimmungen der StPO. Die Untersuchungsbehörde ist also insbesondere berechtigt, nach einer allfälligen Einsprache das Verfahren einzustellen oder einen neuen Strafbefehl zu erlassen (Art. 359 Abs. 3 Bst. b und c StPO).

3.7.5

Anklageerhebung, Art. 32a (neu)

Der bundesrätliche Entwurf verweist in Bezug auf die Anklageerhebung auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung, namentlich auf die Artikel 325-328 StPO.

Die Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens erfordern indessen gewisse Abweichungen von den Regelungen der Erwachsenenstrafprozessordnung: Artikel 32a Absatz 1 orientiert sich an der Regelung von Artikel 325 StPO.

Insbesondere wird auch in der JStPO von der Anklageerhebung gesprochen. Es soll also nicht ausgeschlossen werden, dass die Jugendrichterin oder der Jugendrichter die Anklageschrift entwirft. Die Zusammenarbeit zwischen Jugendrichterin oder Jugendrichter einerseits und Jugendstaatsanwaltschaft andererseits wird also den Kantonen zur Regelung überlassen. Es sind diesbezüglich unterschiedliche

21

Vgl. auch Art. 36 Abs. 3 Bst. c und Abs. 6 des geänderten Entwurfs betreffend die Eröffnung und Zustellung von Entscheiden des Jugendgerichts.

3147

Vorgehensweisen denkbar, z.B. blosses Weiterleiten der Akten, Verfassen eines Schlussberichtes, der die Untersuchungsergebnisse zusammenfasst, usw.

Voraussetzung der Anklageerhebung ist indessen ­ anders als gemäss Artikel 325 StPO ­ nicht ein hinreichender Verdachtsgrund, sondern eine hinreichende Aufklärung des Sachverhaltes und der persönlichen Verhältnisse. Gerade im Jugendstrafverfahren ist die Abklärung der persönlichen Verhältnisse für die Wahl der geeigneten Sanktion entscheidend. Diese Abklärungen sollen in der Regel bereits vor der Anklageerhebung erfolgen. Selbstverständlich darf aber die Anklageerhebung nicht ohne sachlichen Grund hinausgezögert werden. Insbesondere darf mit der Abklärung der persönlichen Verhältnisse der Vollzug einer allfälligen Sanktion nicht vorweggenommen werden. Es ist Sache der Untersuchungsbehörde, in dieser Frage eine dem Einzelfall angemessene Abwägung vorzunehmen.

Absatz 2 legt fest, wer für die Anklageerhebung zuständig ist. Die Regelung steht im Einklang mit den Artikeln 6 und 22. Die Zuständigkeit richtet sich mithin nach dem konkret umgesetzten Strafverfolgungsmodell.

Die Anklageerhebung, also das Einreichen der Anklageschrift, obliegt im Jugendrichtermodell zwingend der Jugendstaatsanwaltschaft. Dieser muss es unbenommen bleiben, einen allfälligen Entwurf der Jugendrichterin oder des Jugendrichters abzuändern oder auf eine Anklage auch ganz zu verzichten. Sie hat hinsichtlich der Anklageerhebung also das letzte Wort.

Absatz 3 bestimmt, wem die Anklageschrift zuzustellen ist. Die Regelung bedeutet eine notwendige Abweichung von Artikel 328 StPO, denn eine Zustellung muss im Jugendstrafverfahren auch an die gesetzliche Vertretung erfolgen.

Im Übrigen sind die Artikel 325 ff. StPO sinngemäss anzuwenden, was sich indessen bereits aus Artikel 3 ergibt und deshalb keiner besonderen Erwähnung bedarf.

3.7.6

Zuständigkeit, Art. 33 (Art. 33 des bundesrätlichen Entwurfs)

Das ordentliche Verfahren vor der Einzelrichterin bzw. dem Einzelrichter wird nicht mehr vorgesehen.22 Artikel 33 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs ist deshalb zu streichen.

Absatz 2: Mit dem Wegfall der einzelrichterlichen Zuständigkeit ist nunmehr das Jugendgericht zur Beurteilung von Fällen zuständig, in denen der Beschuldigte gegen einen Strafbefehl Einsprache erhoben hat, sofern die Untersuchungsbehörde an diesem Strafbefehl festhält. Eine massgebliche Mehrbelastung dieser Kollegialbehörde ist dadurch nicht zu befürchten: Erfahrungsgemäss wird in Jugendstrafsachen nur selten Einsprache erhoben. Zudem können offensichtliche Fehlentscheide durch die Untersuchungsbehörde auf dem Weg der Wiedererwägung korrigiert werden.23 Die Absätze 3 und 4 entsprechen dem Grundsatz nach dem bundesrätlichen Entwurf.

Die Bestimmungen sind indessen anzupassen, weil das ordentliche Verfahren vor dem Einzelgericht nicht mehr vorgesehen ist.

22 23

Vgl. dazu eingehend oben, Ziffer 2.2.

Vgl. Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 359 Absatz 3 Buchstabe c StPO.

3148

Absatz 5: Redaktionelle Anpassung aufgrund der Streichung des ordentlichen Verfahrens vor der Einzelrichterin bzw. vor dem Einzelrichter.

3.7.7

Persönliches Erscheinen und Ausschluss, Art. 34 (Art. 34 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1: Die oder der beschuldigte Jugendliche und die gesetzliche Vertretung sind grundsätzlich verpflichtet, persönlich vor dem Gericht zu erscheinen. Eine Dispens soll indes auch dann möglich sein, wenn das Gericht von sich aus eine Teilnahme als unnötig erachtet. Ein Gesuch der betreffenden Person soll also nicht vorausgesetzt werden. Im Übrigen hat eine Anpassung an den neuen Artikel 33 (Wegfall des ordentlichen Verfahrens vor der Jugendrichterin oder dem Jugendrichter bzw. vor der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt) zu erfolgen.

Gemäss Artikel 34 Absatz 2 kann das Gericht den Jugendlichen, die gesetzliche Vertretung und die Vertrauensperson von der Hauptverhandlung ganz oder teilweise ausschliessen. Ein solcher Ausschluss ist selbstverständlich nicht ohne Weiteres möglich. Vorausgesetzt ist vielmehr, dass überwiegende öffentliche oder private Interessen einen solchen rechtfertigen. Das ist entsprechend zu ergänzen.

3.7.8

Abwesenheitsverfahren, Art. 35 (Art. 35 des bundesrätlichen Entwurfs)

Anpassung an den geänderten Artikel 6.

3.7.9

Urteilseröffnung und -begründung, Art. 36 (Art. 36 des bundesrätlichen Entwurfs)

Der bundesrätliche Entwurf unterscheidet nicht zwischen der Zustellung des Dispositivs und der Zustellung der Entscheidbegründung. Das Dispositiv ist aus Gründen der Rechtssicherheit zwingend schriftlich abzufassen und zuzustellen. Nur auf die schriftliche Begründung des Entscheides kann unter gewissen Voraussetzungen verzichtet werden.

Absatz 1 ersetzt Artikel 36 Absatz 1 erster Satz des bundesrätlichen Entwurfs. Der Passus «unmittelbar nach der Beratung» soll indessen gestrichen werden: Es versteht sich von selbst, dass die Urteilsbegründung möglichst rasch erfolgen soll. Gleichzeitig soll auf eine mündliche Eröffnung aber auch dann nicht verzichtet werden, wenn diese erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann. Gerade im Jugendstrafverfahren ist der persönliche Kontakt zwischen der oder dem Beschuldigten und der Richterin oder dem Richter besonders bedeutsam. Die oder der Jugendliche soll nicht einer anonymen Gerichtsverwaltung gegenübersehen, die ihre Entscheide schriftlich ausfällt.

Absatz 2 hält fest, dass das Dispositiv des Urteils den Parteien und den anderen Verfahrensbeteiligten am Ende der Hauptverhandlung auszuhändigen oder innert 5 Tagen zuzustellen ist. Die Bestimmung entspricht Artikel 82 Absatz 2 StPO.

3149

Der neue Absatz 3 hält fest, wem die schriftliche Urteilsbegründung zuzustellen ist, nämlich: ­

der oder dem beschuldigten Jugendlichen und ihrer oder seiner gesetzlichen Vertretung;

­

der Jugendanwältin oder dem Jugendanwalt bzw. der Jugendstaatsanwaltschaft, je nachdem, welches Strafverfolgungsmodell der betreffende Kanton verwirklicht hat;

­

der Privatklägerschaft und den weiteren Verfahrensbeteiligten, soweit ihre Anträge behandelt werden.

Absatz 4 (neu): Der neue Absatz 4 ersetzt Artikel 36 Absatz 2 des bundesrätlichen Entwurfs, allerdings mit erheblichen Änderungen: Einleitungssatz: Der Verzicht auf eine Urteilsbegründung ist in den genannten Fällen möglich, aber nicht zwingend: Kommt die zuständige Behörde zum Schluss, sie wolle dem Jugendlichen den Urteilsspruch ­ z.B. aus erzieherischen Gründen ­ auch noch schriftlich begründen, muss dies möglich sein.

Buchstabe a (neu): Gerade im Jugendstrafverfahren ist es besonders bedeutsam, dass dem Jugendlichen der Urteilsspruch erläutert wird. Namentlich die verurteilte jugendliche Person soll verstehen, weshalb eine Sanktion verhängt wurde. Ein Verzicht auf die Urteilsbegründung soll deshalb nur zulässig sein, wenn das Urteil bereits mündlich begründet wurde. Es kann also nicht angehen, dass ein Urteil gegenüber der verurteilten jugendlichen Person überhaupt nie erläutert wurde.

Buchstabe b: Gemäss Artikel 36 Absatz 2 Buchstabe a des bundesrätlichen Entwurfs wäre ein Verzicht auf eine Urteilsbegründung im Jahre 2005 nur in rund einem Drittel der Fälle zulässig gewesen.24 Die bestehende Regelung scheint daher allzu streng: Ist eine mündliche Urteilsbegründung erfolgt, soll das Gericht in der Regel auf eine schriftliche Begründung verzichten können. Den Parteien steht indes das Recht zu, eine Urteilsbegründung zu verlangen (Abs. 5 des geänderten Entwurfs).

Buchstabe c der bundesrätlichen Fassung sieht vor, dass ein Verzicht nur dann erfolgen darf, wenn «die Parteirechte gewahrt worden sind». Diese Bestimmung versteht sich indessen von selbst, ergibt sich doch die Pflicht zur Wahrung der Parteirechte bereits aus Artikel 29 BV. Buchstabe c soll daher gestrichen werden.

Absatz 5 (neu): Im Sinne einer Gegenausnahme verpflichtet der neue Absatz 5 das Gericht, nachträglich eine schriftliche Urteilsbegründung auszufertigen und zuzustellen, wenn eine Partei dies verlangt oder ein Rechtsmittel ergreift.

Absatz 6 (neu): Ergreift nur die Privatklägerschaft ein Rechtsmittel, kann sich die Begründung auf die strittigen Punkte beschränken. Das ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Teilrechtskraft und dient letztlich der Verfahrensökonomie. Die Bestimmung orientiert sich an Artikel 80 Absatz 3 StPO.

24

Im Jahre 2005 ergingen 14 106 Jugendstrafurteile. In 1129 Fällen wurde auf das Verhängen einer Sanktion verzichtet, 3490 Verfahren wurden mit einem Verweis abgeschlossen (BFS, Statistik der Jugendstrafurteile 2005, Tabellen 0 und 5).

3150

3.8

Rechtsmittel (6. Kapitel)

3.8.1

Legimitation, Art. 37 (Art. 37 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1: Redaktionelle Anpassung.

Absatz 2: Die Bestimmung ist dem neuen Artikel 6 anzupassen.

Absatz 3 (neu) verweist auf Artikel 390 Absätze 1­3 StPO. Damit ist klargestellt, dass die JStPO in diesem Bereich keine abschliessende Sonderordnung, sondern punktuell abweichendes Recht darstellt.

3.8.2

Beschwerde, Art. 38 (Art. 38 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 38 des bundesrätlichen Entwurfs vermischt verschiedene Fragen, die es auseinanderzuhalten gilt: Während nämlich im Einleitungssatz von «Beschwerdegründen» die Rede ist, werden in der Folge Anfechtungsobjekte aufgelistet.

Der neue Artikel 38 Absatz 1 verweist deshalb in Bezug auf Zulässigkeit und Beschwerdegründe auf Artikel 401 StPO, während der neue Absatz 1bis die möglichen Anfechtungsobjekte von Artikel 401 Absatz 1 StPO ergänzt. Insgesamt bedeuten diese Änderungen aber nur eine redaktionelle Richtigstellung.

Buchstabe d (neu): Diese neue Bestimmung soll es den Betroffenen ermöglichen, sich auch gegen verfahrensleitende Entscheide zur Wehr zu setzen, sofern diese einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge haben. Die gewählte Formulierung ist verschiedenen Prozessordnungen bereits bekannt und fusst auf der Erkenntnis, dass verfahrensrechtliche Fehler unter Umständen nicht mehr ohne Schaden rückgängig gemacht werden können. Zu denken ist etwa an die Zulassung der Öffentlichkeit zur Hauptverhandlung (Art. 15). Dadurch wird der Rechtsschutz in zentralen Bereichen massgeblich gestärkt, ohne dass für die zuständigen Gerichte ein erheblicher Mehraufwand entstehen würde.

Artikel 38 Absatz 2 des bundesrätlichen Entwurfs unterscheidet bei der Zuständigkeit zur Behandlung von Beschwerden nach dem konkreten Anfechtungsobjekt. Je nach Fall hätte also die Jugendrichterin oder der Jugendrichter, das Jugendgericht oder die Beschwerdeinstanz über die Beschwerde zu befinden. Diese Zersplitterung der Zuständigkeiten würde dazu führen, dass in den einzelnen Kantonen keine einheitliche Praxis entstehen könnte. Zudem untersteht die Polizei im Untersuchungsverfahren der Untersuchungsbehörde. Zwangsmassnahmen der Polizei müssten also bei der vorgesetzten Behörde angefochten werden, was nicht sachgerecht erscheint.

Deshalb soll neu die Beschwerdeinstanz für die Behandlung sämtlicher Beschwerden zuständig zeichnen. Zwar wird es sich bei der Beschwerdeinstanz in den meisten Kantonen um eine Behörde handeln, die sich primär mit Erwachsenenstrafrecht befasst. Dieser Nachteil fällt hier aber weniger ins Gewicht, da die Beschwerdeinstanz in erster Linie «technische», prozessuale Fragen zu entscheiden hat, wo spezifische Kenntnisse im Bereich des Jugendstrafrechts höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. Im Übrigen wird in den meisten Kantonen auch das Jugend-

3151

gericht kaum mit Spezialistinnen und Spezialisten besetzt sein, sodass insoweit kein Unterschied besteht.

3.8.3

Berufung, Art. 39 (Art. 39 des bundesrätlichen Entwurfs)

Mit dem Wegfall des ordentlichen Verfahrens vor dem Einzelrichter entfällt auch die entsprechende Zuständigkeit der Berufungsinstanz.

3.9

Vollzug von Sanktionen (7. Kapitel)

3.9.1

Zuständigkeit, Art. 41 (Art. 41 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1: Gemäss Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe b des bundesrätlichen Entwurfs ist die Präsidentin oder der Präsident des Jugendgerichts für den Vollzug einer Strafe oder Massnahme zuständig, wenn dieses die Sanktion verhängt hat.

Die Mitglieder des Jugendgerichts sind indessen in Fragen des Vollzuges von Strafen und Massnahmen oft nicht spezialisiert. Gerade im Bereich des Jugendstrafrechts besteht eine Vielzahl unterschiedlicher Institutionen und Einrichtungen, die auf jeweils spezifische Bedürfnisse eingerichtet sind. Nur eine erfahrene Fachperson vermag sich hier die erforderliche Übersicht zu verschaffen. Im Übrigen muss bei der Änderung von Vollzugsanordnungen oft rasch reagiert werden. Auch insoweit erweist sich das Jugendgericht gerade in kleineren Kantonen als wenig geeignete Behörde, da die Einberufung eines Jugendgerichts unter Umständen einiges an Zeit erfordert. Deshalb ist es insgesamt sachgerecht, den Vollzug allein in die Hände der Untersuchungsbehörde zu legen.25

3.9.2

Rechtsmittel, Art. 42 (Art. 42 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 42 des bundesrätlichen Entwurfs legt nicht fest, welches Rechtsmittel gegen Vollzugsanordnungen überhaupt ergriffen werden kann. Damit bleibt aber auch die Frage nach Rechtsmittelfrist, Legitimation und Verfahren unbeantwortet.

Die geänderte Fassung legt demgegenüber klar fest, dass gegen solche Entscheide das Rechtsmittel der Beschwerde ergriffen werden kann.

Gleichzeitig soll Absatz 2 des bundesrätlichen Entwurfs gestrichen werden. Das hat zur Folge, dass die Zuständigkeit zum Entscheid über das Rechtsmittel auch hier in den Händen der Beschwerdeinstanz vereinigt wird.26 Schliesslich sollen die Regelungen der Buchstaben b und c ausgetauscht werden, da eine bedingte Entlassung zeitlich nach einer allfälligen Überweisung an eine andere Einrichtung erfolgt.

25 26

Vgl. Ziffer 2.1.2.3 Vgl. Ziffer 3.8.2

3152

3.10

Kosten (8. Kapitel)

3.10.1

Verfahrenskosten, Art. 43 (Art. 43 des bundesrätlichen Entwurfs)

Gemäss Artikel 43 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs hat derjenige Kanton die Verfahrenskosten zu tragen, in dem die oder der beschuldigte Jugendliche im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens Wohnsitz hatte.

Diese Regelung hat unter Umständen zur Folge, dass ein Kanton die Kosten zu tragen hat, obwohl er zu keinem Zeitpunkt das Verfahren geführt hat (vgl. Art. 11 betreffend den Gerichtsstand). Das würde unnötigen Administrativaufwand verursachen. Zuständigkeit und Kostentragungspflicht sollen deshalb stets zusammenfallen: Die Verfahrenskosten sollen von jenem Kanton getragen werden, der das Urteil gefällt hat.

Absatz 3 (neu): Der bundesrätliche Entwurf lässt offen, ob es sich bei Artikel 43 um eine abschliessende Regelung der Kostentragungspflicht handelt oder ob die Bestimmungen der StPO ergänzend anzuwenden sind.

Es besteht kein sachlicher Grund, die Bestimmungen der StPO nicht auch im Jugendstrafverfahren zur Anwendung zu bringen. So muss es z.B. möglich sein, die Kosten dem Strafantragsteller aufzuerlegen, wenn die oder der beschuldigte Jugendliche in der Folge freigesprochen wird (Art. 434 Abs. 2 Bst. a StPO).

Der vorgeschlagene Artikel 43 Absatz 3 beseitigt die bestehenden Unklarheiten durch einen Verweis auf die einschlägigen Bestimmungen der StPO.

3.10.2

Vollzugskosten, Art. 44 (Art. 44 des bundesrätlichen Entwurfs)

Artikel 44 des bundesrätlichen Entwurfs definiert in Absatz 1 den Begriff der Vollzugskosten. Erfasst sind gemäss Buchstabe b auch die Kosten einer angeordneten Beobachtung. Die Absätze 2­6 lassen dann aber offen, wer diese Kosten effektiv zu tragen hat.

Die vorgenommenen Anpassungen in den Absätzen 2, 3 und 5 schliessen diese Lücke. Alle übrigen Anpassungen sind rein redaktioneller Natur.

3.11

Schlussbestimmungen (9. Kapitel)

3.11.1

Änderung bisherigen Rechts, Art. 45 (Art. 45 des bundesrätlichen Entwurfs)

3.11.1.1

Änderung des Jugendstrafgesetzes

Der neue Artikel 45 Absatz 1bis erlaubt es den Kantonen, für den Vollzug von Strafen und Massnahmen private Einrichtungen beizuziehen.

Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass der Vollzug im Bereich des Jugendstrafrechts in der Schweiz bereits seit Jahren in erheblichem Ausmass in privaten Einrichtungen erfolgt. Der Vollzug von Strafen und Massnahmen bedeutet 3153

unter Umständen einen massiven Eingriff in elementare Grundrechtspositionen, sodass eine klare gesetzliche Grundlage in einem Gesetz im formellen Sinne erforderlich ist. Die bestehenden gesetzlichen Grundlagen genügen diesen Auforderungen nicht vollumfänglich. Insbesondere bezieht sich Artikel 379 StGB - der auch im Jugendstrafrecht Anwendung findet ­ nur auf den Vollzug von Strafen in der Form der Halbgefangenschaft. Eine Ergänzung des Jugendstrafgesetzes scheint daher geboten.

Sache der Kantone wird es sein, eine Umsetzungsgesetzgebung zu erlassen, welche den Vorgaben der Bundesverfassung mit Blick auf die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe genügt.

Diese Änderungen des Jugendstrafgesetzes sollen vorzeitig in Kraft gesetzt werden, damit die erforderlichen gesetzlichen Grundlagen möglichst bald zur Verfügung stehen. Sie können gestrichen werden, sobald die Jugendstrafprozessordnung in Kraft gesetzt wird (vgl. Art. 41 Abs. 2).

3.11.1.2

Änderung des DNA-Profil-Gesetzes

Das DNA-Profil-Gesetz, das Jugendstrafgesetz und die Revision des Allgemeinen Teils des Schweizerischen Strafgesetzbuches befanden sich zur gleichen Zeit in den parlamentarischen Beratungen. Keines der Gesetze war jedoch in Kraft, während die andern noch beraten wurden. Dies erschwerte die Abstimmung zwischen den drei Erlassen erheblich. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen holen das Versäumte nach. Sie sind vornehmlich redaktioneller Natur, sollen also lediglich die Klarheit des Erlasses erhöhen bzw. wiederherstellen.

Artikel 1 und 1a: Redaktionelle Änderungen.

Zu Artikel 5: Bst. a: Der geltende Buchstabe a nimmt keinen Bezug auf die Sanktionen des Jugendstrafgesetzes. Der neue Buchstabe a präzisiert dagegen, dass es sich um eine Freiheitsstrafe des Erwachsenenstrafrechts nach Artikel 40 des Strafgesetzbuches (StGB) oder um einen Freiheitsentzug im Sinne von Artikel 25 des Jugendstrafgesetzes (JStG) handeln muss.

Bst. c: Nach geltendem Recht sind Probeentnahme und Erstellung eines DNAProfils von Personen zulässig, «gegenüber denen eine Massnahme oder die Verwahrung angeordnet worden ist». Diese Regelung ist auf das Erwachsenenstrafrecht zugeschnitten: Im Jugendstrafrecht sind die Voraussetzungen zur Verhängung einer Massnahme weit weniger streng als im Erwachsenenstrafrecht. Bei Jugendlichen soll die Erstellung eines DNA-Profils deshalb nur dann zulässig sein, wenn sie mit einer Unterbringung im Sinne von Artikel 15 JStG belegt wurden. Gleichzeitig ist klarzustellen, dass auch von einem Erwachsenen ein DNA-Profil nur dann erstellt werden darf, wenn ihm gegenüber eine therapeutische Massnahme nach den Artikeln 59­63 StGB oder eine Verwahrung nach Artikel 64 StGB angeordnet wurde.

Zu Artikel. 16: Artikel 16 legt fest, wann DNA-Profile aus der Datenbank zu löschen sind. Für Jugendliche, die als Täter ausgeschlossen werden konnten, die gestorben sind, deren Verfahren eingestellt wurde oder die freigesprochen wurden, gelten Absatz 1 Buch-

3154

staben a­d und Absatz 2. Insoweit besteht kein Revisionsbedarf. Soweit es jedoch zu einer Verurteilung kommt, ist Artikel 16 DNA-Profil-Gesetz einzig auf die Sanktionen des Erwachsenenstrafrechts ausgerichtet. Mit Bezug auf verurteilte Jugendliche besteht eine Lücke, welche in Analogie zu den Reglungen für Erwachsene zu schliessen ist. Deshalb braucht es die neuen Buchstaben g, h und i. Bei den Buchstaben e und f erfolgt sodann eine Anpassung an das geänderte Sanktionensystem des Erwachsenenstrafrechts.

Absatz 1 Buchstabe e: Die vorgeschlagene Ergänzung nimmt auf die neu geschaffene Möglichkeit des teilbedingten Strafvollzugs (Art. 43 StGB) Rücksicht.

Absatz 1 Buchstabe. f: Bezahlt eine verurteilte Person eine Geldstrafe nicht, tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe nach Artikel 36 StGB. Gleich verhält es sich, wenn eine verhängte gemeinnützige Arbeit trotz Mahnung nicht oder nicht den festgelegen Bedingungen und Auflagen entsprechend geleistet wird (Art. 39 StGB).

Diese Konstellationen gelten nicht als «Vollzug einer Freiheitsstrafe» im Sinne von Absatz 4, denn die Freiheitsstrafe tritt hier lediglich an die Stelle einer anderen (milderen) Sanktion. Deshalb wäre die lange Frist von 20 Jahren nach Absatz 4 auch nicht sachgerecht. Vielmehr ist Buchstabe f so zu ergänzen, dass das Profil unmittelbar nach dem Vollzug der Umwandlungsstrafe zu löschen ist.

Absatz 1 Buchstaben g, h und i: Die Löschungsfrist von fünf Jahren nach Absatz 1 Buchstaben g und h entspricht den Fristen nach Absatz 1 Buchstaben e und f, die bei Taten vorgesehen sind, welche mit einer geringen Strafe sanktioniert wurden. In Absatz 1 Buchstabe i werden zudem die jugendstrafrechtlichen Schutzmassnahmen nach den Artikeln 12­14 JStG (Aufsicht, persönliche Betreuung und ambulante Behandlung) aufgenommen, die ebenfalls eine Löschungsfrist von fünf Jahren rechtfertigen.

Absatz 1 Buchstaben j und k: Die Frist von 20 Jahren nach Absatz 4 bezieht sich auf Urteile gegen Erwachsene, die eine Freiheitsstrafe, eine Verwahrung oder eine therapeutische Massnahme enthalten. Die Entsprechung im Jugendstrafrecht bildet der Freiheitsentzug nach Artikel 25 JStG und die Unterbringung nach Artikel 15 JStG. Vor dem Hintergrund, dass die Delinquenz im Jugendalter eher episodenhaften Charakter hat und in diesem Alter auf das weitere Leben
des Täters ein massgeblicher Einfluss genommen werden kann, rechtfertigt sich eine Löschungsfrist von 10 Jahren nach Vollzug der Sanktion. Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Löschung gestützt auf Artikel 17 DNA-Profil-Gesetz verhindert werden kann.

Zu Artikel 17 Absatz 1: Diese Bestimmung ist mit Bezug auf die vorgeschlagenen neuen Regelungen in Artikel 16 Absatz 1 zu ergänzen.

3.11.2

Anwendbares Recht, Art. 46 (Art. 46 des bundesrätlichen Entwurfs)

Gemäss Artikel 46 Absatz 1 des bundesrätlichen Entwurfs werden Verfahren und Vollzugsmassnahmen, die bei Inkrafttreten des neuen Rechts hängig sind, nach den Bestimmungen der JStPO fortgeführt.

3155

Vollzugsmassnahmen können aber nicht in einem technischen Sinne «hängig» sein.

Diese terminologische Ungenauigkeit ist zu bereinigen; die Anpassung ist indessen rein redaktioneller Natur.

3.11.3

Zuständigkeit, Art. 47 (Art. 47 des bundesrätlichen Entwurfs)

Vgl. die Bemerkungen zu Artikel 46.

3.11.4

Erstinstanzliches Hauptverfahren, Art. 48 (Art. 48 des bundesrätlichen Entwurfs)

Anpassung an den neu gefassten Artikel 10.

3.11.5

Abwesenheitsverfahren, Art. 49 (Art. 49 des bundesrätlichen Entwurfs)

Betrifft nur die französische Fassung.

3.11.6

Rechtsmittel, Art. 50 (Art. 50 des bundesrätlichen Entwurfs)

Absatz 1: Betrifft nur die französische Fassung.

Absatz 2: Redaktionelle Änderung.

3.11.7

Vorbehalt der Verfahrensgrundsätze nach neuem Recht, Art. 51 (Art. 51 des bundesrätlichen Entwurfs)

Buchstabe b: Anpassung an den geänderten Artikel 10.

Buchstabe d: Betrifft nur die französische Fassung.

3.11.8

Vollzug, Art. 52 (Art. 52 des bundesrätlichen Entwurfs)

Betrifft nur die französische Fassung.

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