Ablauf der Referendumsfrist: 10. Juli 2008

Bundesgesetz über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes (Zwangsanwendungsgesetz, ZAG) vom 20. März 2008

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf die Artikel 57 Absatz 2, 121 und 123 Absatz 1 der Bundesverfassung1, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 18. Januar 20062, beschliesst:

1. Abschnitt: Gegenstand und Geltungsbereich Art. 1

Gegenstand

Dieses Gesetz regelt die Grundsätze der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes.

Art. 2 1

1 2

Verpflichtete Behörden und Personen

Dieses Gesetz gilt: a.

für alle Bundesbehörden, die bei der Erfüllung ihrer Aufgaben polizeilichen Zwang oder polizeiliche Massnahmen anwenden müssen;

b.

für alle kantonalen Behörden, die im Bereich der Ausländer- und der Asylgesetzgebung polizeilichen Zwang oder polizeiliche Massnahmen anwenden müssen;

c.

für alle kantonalen Behörden, die im Zusammenwirken mit Polizeiorganen des Bundes Aufgaben der gerichtlichen Polizei des Bundes wahrnehmen;

d.

für alle kantonalen Behörden, die im Auftrag einer Bundesbehörde Personen mit Freiheitsbeschränkungen transportieren;

e.

für Private, die von diesen Behörden für die Erfüllung ihrer Aufgaben beigezogen werden.

SR 101 BBl 2006 2489

2004-2005

2311

Zwangsanwendungsgesetz

Für die Armee gilt das Gesetz nur, soweit sie im Inland Assistenzdienst für zivile Behörden des Bundes leistet.

2

Art. 3

Verhältnis zum Verfahrensrecht des Bundes

Dieses Gesetz gilt für die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Bereich der Verfahrensgesetze des Bundes, soweit diese dafür keine besonderen Regelungen enthalten.

Art. 4

Notwehr und Notstand

Das Gesetz ist nicht anwendbar bei Handlungen in Notwehr oder Notstand.

2. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen Art. 5

Polizeilicher Zwang

Als polizeilicher Zwang gilt der gegen Personen gerichtete Einsatz von: a.

körperlicher Gewalt;

b.

Hilfsmitteln;

c.

Waffen.

Art. 6

Polizeiliche Massnahmen

Als polizeiliche Massnahmen gelten: a.

das kurzfristige Festhalten von Personen;

b.

die Durchsuchung von Personen und ihrer persönlichen Effekten;

c.

die Durchsuchung von Räumen und Fahrzeugen;

d.

die Beschlagnahme von Gegenständen.

Art. 7

Zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen berechtigte Behörden

Die Spezialgesetze bezeichnen die Behörden, die zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen berechtigt sind.

Art. 8

Besondere Ausbildung

Personen, die zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen eingesetzt werden, müssen dazu ausgebildet sein.

2312

Zwangsanwendungsgesetz

Art. 9

Grundsätze

Polizeilicher Zwang und polizeiliche Massnahmen dürfen nur zur Aufrechterhaltung oder Herstellung eines rechtmässigen Zustandes angewendet werden, insbesondere:

1

a.

zur Abwehr einer Gefahr;

b.

zum Schutz von Behörden, Gebäuden und Einrichtungen des Bundes;

c.

zur Durchführung des Transportes von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen;

d.

zur Verhinderung der Flucht von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen;

e.

zur Identifizierung von Personen;

f.

zur Beschlagnahme von Gegenständen, wenn ein Gesetz dies vorsieht.

Die Anwendung muss den Umständen angemessen sein; insbesondere müssen das Alter, das Geschlecht und der Gesundheitszustand der betroffenen Personen berücksichtigt werden.

2

Sie darf keine Eingriffe oder Beeinträchtigungen nach sich ziehen, die zum angestrebten Ziel in einem Missverhältnis stehen.

3

4

Grausame, erniedrigende oder beleidigende Behandlungen sind verboten.

Art. 10

Ankündigung

Soweit die Umstände und der Zweck des Einsatzes es zulassen, muss die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen angekündigt werden.

1

Die Ankündigung muss nach Möglichkeit in einer für die Betroffenen verständlichen Sprache erfolgen.

2

Art. 11 1

Einsatz von Waffen

Der Einsatz von Waffen darf nur als letztes Mittel erfolgen.

Feuerwaffen dürfen nur eingesetzt werden, um Personen festzunehmen oder ihre Flucht zu verhindern, wenn:

2

a.

sie eine schwere Straftat begangen haben;

b.

der dringende Verdacht besteht, dass sie eine schwere Straftat begangen haben.

Ein Warnschuss darf nur abgegeben werden, wenn ein Warnruf wirkungslos bleibt oder nach den Umständen keine Wirkung haben kann.

3

4

Über jeden Waffeneinsatz ist der zuständigen Behörde Bericht zu erstatten.

Art. 12

Identifizierbarkeit

Personen, die zur Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen eingesetzt werden, müssen identifizierbar sein.

2313

Zwangsanwendungsgesetz

3. Abschnitt: Besondere Bestimmungen zum polizeilichen Zwang Art. 13

Körperliche Gewalt

Techniken körperlicher Gewalt, welche die Gesundheit der betroffenen Person erheblich beeinträchtigen können, insbesondere durch die Behinderung der Atemwege, sind verboten.

Art. 14

Hilfsmittel

1

Der Bundesrat erlässt eine Liste der zulässigen Hilfsmittel.

2

Er lässt insbesondere zu: a.

Handschellen und andere Fesselungsmittel;

b.

Diensthunde.

Er darf den Einsatz von Hilfsmitteln, welche die Atemwege beeinträchtigen können, nicht zulassen; dazu gehören insbesondere Integralhelme und Mundknebel.

3

Art. 15

Waffen

Folgende Waffen dürfen eingesetzt werden: a.

Schlag- und Abwehrstöcke;

b.

Reizstoffe;

c.

Feuerwaffen;

d.

nicht tödlich wirkende Destabilisierungsgeräte.

Art. 16

Aufgabenbezogener Einsatz von Hilfsmitteln und Waffen

Der Bundesrat erlässt eine Liste der für die jeweiligen Aufgaben zugelassenen Hilfsmittel und Waffen.

Art. 17

Ausrüstung

Der Bundesrat kann die technischen Anforderungen an die Hilfsmittel und die Waffen (Ausrüstung) der Polizeiorgane des Bundes regeln.

1

2

Die Ausrüstung der Polizeiorgane der Kantone richtet sich nach kantonalem Recht.

Art. 18

Anhörung der Kantone

Der Bundesrat hört die Kantone an, bevor er: a.

die Liste der Hilfsmittel nach Artikel 14 Absatz 1 erlässt;

b.

die Liste der Hilfsmittel und Waffen nach Artikel 16 erlässt.

2314

Zwangsanwendungsgesetz

4. Abschnitt: Besondere Bestimmungen zu den polizeilichen Massnahmen Art. 19 1

Kurzfristiges Festhalten

Wird eine Person kurzfristig festgehalten, so muss sie: a.

über den Grund ihrer Festhaltung informiert werden;

b.

die Möglichkeit haben, mit den bewachenden Personen Kontakt aufzunehmen, wenn sie Hilfe benötigt.

Eine Person darf nur solange festgehalten werden, als die Umstände dies erfordern, höchstens aber 24 Stunden.

2

Art. 20

Durchsuchen und Abtasten von Personen sowie Untersuchungen im Intimbereich

Eine Durchsuchung, die mit Körperkontakten verbunden ist, darf nur von Personen vorgenommen werden, die das gleiche Geschlecht wie die durchsuchte Person haben.

1

2

Solche Durchsuchungen müssen unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen.

Die Absätze 1 und 2 gelten nicht für das Abtasten von Personen, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Waffen oder gefährliche Gegenstände mit sich führen.

3

Untersuchungen im Intimbereich von Personen dürfen nur von einem Arzt oder einer Ärztin vorgenommen werden.

4

Art. 21

Beschlagnahme von Gegenständen

Soweit für die Beschlagnahme von Gegenständen keine spezialgesetzliche Regelung gilt, ist Artikel 47 des Bundesgesetzes vom 22. März 19743 über das Verwaltungsstrafrecht anwendbar.

5. Abschnitt: Medizinische Versorgung und Einsatz von Arzneimitteln Art. 22

Erste Hilfe

Erleiden Personen durch polizeilichen Zwang eine gesundheitliche Beeinträchtigung, so leisten die ausführenden Personen erste Hilfe und sorgen wenn nötig für ärztlichen Beistand.

Art. 23

Medizinische Untersuchung

Eine Person, gegen die polizeilicher Zwang angewendet worden ist oder die festgehalten wird, ist medizinisch zu untersuchen, wenn eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann.

3

SR 313.0

2315

Zwangsanwendungsgesetz

Art. 24

Medizinische Überwachung

Eine festgehaltene oder transportierte Person muss durch eine medizinisch geschulte Person überwacht werden, wenn: a.

sie aus medizinischen Gründen mit Arzneimitteln ruhig gestellt wird; oder

b.

eine ärztliche Beurteilung ergibt, dass mit gesundheitlichen Komplikationen zu rechnen ist.

Art. 25 1

Einsatz von Arzneimitteln

Arzneimittel dürfen nicht an Stelle von Hilfsmitteln verwendet werden.

Sie dürfen nur gestützt auf eine medizinische Indikation und von den nach der Heilmittelgesetzgebung zuständigen Personen verschrieben, abgegeben oder verabreicht werden.

2

6. Abschnitt: Transport von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen Art. 26

Vorschriften des Bundesrats

Der Bundesrat erlässt die erforderlichen Vorschriften für den Transport von Personen, die Freiheitsbeschränkungen unterstehen.

1

2

Er regelt insbesondere: a.

wie der Transport vorzubereiten und durchzuführen ist;

b.

unter welchen Umständen die transportierten Personen zu fesseln sind;

c.

die Anforderungen an die Transportmittel;

d.

welche Bedürfnisse der transportierten Personen bei länger dauernden Transporten zu berücksichtigen sind.

Art. 27

Vorbereitung von Rückführungen auf dem Luftweg

Die zwangsweise Rückführung von Personen auf dem Luftwege ist von den zuständigen Behörden jeweils aufgrund der konkreten Umstände vorzubereiten.

1

Die betroffenen Personen sind vorgängig zu orientieren und anzuhören, soweit der Vollzug selbst dadurch nicht in Frage gestellt wird; es ist ihnen insbesondere Gelegenheit zu geben, dringliche persönliche Angelegenheiten vor der Rückführung zu erledigen oder erledigen zu lassen.

2

Eine betroffene Person ist vor Beginn des Transportes ärztlich zu untersuchen, wenn:

3

a.

die betroffene Person dies verlangt;

b.

Anzeichen für gesundheitliche Probleme feststellbar sind.

2316

Zwangsanwendungsgesetz

Art. 28

Begleitpersonen

Personen, die auf dem Luftwege zwangsweise rückgeführt werden, müssen durch besonders ausgebildete Personen begleitet werden. Während der Rückführung müssen sie Gelegenheit haben, sich an eine Person ihres Geschlechts zu wenden.

1

Während des Fluges unterstehen die rückzuführenden Personen und die Begleitpersonen der Bordgewalt des Kommandanten oder der Kommandantin des Luftfahrzeugs.

2

7. Abschnitt: Aus- und Weiterbildung Art. 29

Programme und Koordination

Der Bundesrat regelt die Aus- und Weiterbildungsprogramme für Personen, deren Aufgaben mit der Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Geltungsbereich dieses Gesetzes verbunden sein können. Er hört dazu die Kantone an und sorgt für die erforderliche Koordination unter den beteiligten Bundesstellen und den kantonalen Behörden.

1

2

Er trägt dabei den Erkenntnissen der Wissenschaft und der Technik Rechnung.

Der Bund unterstützt besondere Aus- und Weiterbildungsprogramme für Personen, die mit der zwangsweisen Rückführung von Personen auf dem Luftweg beauftragt sind.

3

Art. 30

Inhalt

In der Aus- und Weiterbildung werden insbesondere folgende Themen behandelt: a.

Umgang mit widerstandwilligen und gewaltbereiten Personen;

b.

Einsatz körperlicher Gewalt;

c.

Einsatz von Hilfsmitteln und Waffen;

d.

Beurteilung gesundheitlicher Risiken der Gewaltanwendung;

e.

Leistung erster Hilfe;

f.

Grundrechte, Persönlichkeitsschutz und Verfahrensrecht;

g.

Umgang mit Personen aus anderen Kulturkreisen.

2317

Zwangsanwendungsgesetz

8. Abschnitt: Haftung für Schäden Art. 31 1 Der Bund haftet nach dem Verantwortlichkeitsgesetz vom 14. März 19584 für Schäden, die:

a.

Organe des Bundes beim Vollzug dieses Gesetzes widerrechtlich verursacht haben;

b.

Organe der Kantone oder Private, die unmittelbar im Auftrag oder unter Leitung der Bundesbehörden tätig gewesen sind, widerrechtlich verursacht haben.

Hat der Bund Ersatz geleistet, so steht ihm der Rückgriff auf den Kanton zu, in dessen Dienst die Person steht, die den Schaden verursacht hat. Das Verfahren richtet sich nach Artikel 10 Absatz 1 des Verantwortlichkeitsgesetzes vom 14. März 1958.

2

9. Abschnitt: Schlussbestimmungen Art. 32

Änderung bisherigen Rechts

Die Änderung bisherigen Rechts wird im Anhang geregelt.

Art. 33

Referendum und Inkrafttreten

1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

Ständerat, 20. März 2008

Nationalrat, 20. März 2008

Der Präsident: Christoffel Brändli Der Sekretär: Christoph Lanz

Der Präsident: André Bugnon Der Protokollführer: Pierre-Hervé Freléchoz

Datum der Veröffentlichung: 1. April 20085 Ablauf der Referendumsfrist: 10. Juli 2008

4 5

SR 170.32 BBl 2008 2311

2318

Zwangsanwendungsgesetz

Anhang (Art. 32)

Änderung bisherigen Rechts Die nachstehenden Bundesgesetze werden wir folgt geändert:

1. Bundesgesetz vom 21. März 19976 über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit Art. 22 Abs. 4 Das nach diesem Gesetz zum Schutz von Personen, Behörden und Gebäuden eingesetzte Personal darf zur Erfüllung seines Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 20087 ist anwendbar.

4

2. Bundesgesetz vom 16. Dezember 20058 über die Ausländerinnen und Ausländer Art. 98a

Anwendung von polizeilichem Zwang und polizeilichen Massnahmen durch die Vollzugsbehörden

Das mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragte Personal darf zur Erfüllung seines Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 20089 ist anwendbar.

3. Bundesgesetz vom 15. Juni 193410 über die Bundesstrafrechtspflege Art. 103 Abs. 3 Die gerichtliche Polizei darf zur Erfüllung ihres Auftrags und, soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Soweit das vorliegende Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, ist das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 200811 anwendbar.

3

6 7 8 9 10 11

SR 120 SR ...; BBl 2008 2311 SR 142.20 SR ...; BBl 2008 2311 SR 312.0 SR ...; BBl 2008 2311

2319

Zwangsanwendungsgesetz

4. Militärgesetz vom 3. Februar 199512 Art. 92 Abs. 3bis 3bis Soweit die Truppe Assistenzdienst im Inland für zivile Behörden des Bundes leistet, ist das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 200813 anwendbar.

5. Zollgesetz vom 18. März 200514 Art. 100 Abs. 1bis und 2 1bis Soweit das vorliegende Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, ist das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 200815 anwendbar.

Die Zollverwaltung bezeichnet im Einzelnen das Personal, das polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden darf und dem die Befugnisse nach den Artikeln 101­105 im Einzelnen zustehen.

2

6. Luftfahrtgesetz vom 21. Dezember 194816 Art. 21 Abs. 1bis 1bis Personal, das an Bord von Luftfahrzeugen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit eingesetzt wird, darf zur Erfüllung seines Auftrags und soweit die zu schützenden Rechtsgüter es rechtfertigen, polizeilichen Zwang und polizeiliche Massnahmen anwenden. Das Zwangsanwendungsgesetz vom 20. März 200817 ist anwendbar.

12 13 14 15 16 17

SR 510.10 SR ...; BBl 2008 2311 SR 631.0 SR ...; BBl 2008 2311 SR 748.0 SR ...; BBl 2008 2311

2320