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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung- über die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an eine ausserordentliche Herbst- und Winterzulage für Arbeitslose.

(Vom 22. September 1922.)

Wir beehren uns, Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an eine ausserordentliche Herbst- und Winterzulage für Arbeitslose zu unterbreiten und Ihnen im folgenden die Gründe darzulegen, die zu dieser Vorlage geführt haben.

I.

Anlässlich der Genehmigung des Bundesratsbeschlusses vom 3. März 1922, durch den die Höchstbeträge der Arbeitslosenunterstützungen herabgesetzt wurden, nahm der Nationalrat am 6. April 1922 das Postulat Sträuli an, das folgenden Wortlaut hat : ,,Der Bundesrat wird eingeladen zu prüfen, ob nicht zum Höchstbetrag der Unterstützung von 9 Franken ein Zuschlag von je 50 Rappen für das siebente und jedes weitere unterstützungspflichtige Familienglied gewährt werden solle.cc Da die neuen Höchstansätze für Personen, die eine Unterstützungspflicht gegenüber sechs und mehr Personen erfüllen, je nach der Ortskategorie Fr. 9, 8 und 7 betragen, so hätte die Verwirklichung des Postulates Sträuli eine neue Abänderung des Bundesratsbeschlusses vom 3. März 1922 bedingt.

In der Folge setzten auch von anderer Seite Bestrebungen «in, die auf eine Abänderung dieses Beschlusses und die Wiederherstellung der frühern Höchstansätze hinzielten. Zudem wurde da und dort, namentlich in grössern Städten, der Versuch unternommen, durch Zulagen irgendwelcher Art über die von bundeswegen festgesetzten Höchstansätze hinauszugehen.

Bundesblatt, 74. Jahrg. Bd. III.

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214 Ganz besonders heben wir hervor, dass die neuenburgischen Gemeinden La Chaux-de-Fonds und Le Lode mit allem Nachdruck für sich die Wiedereinführung der alten Höchstansätze beanspruchten. Sie machten geltend, dass sie hauptsächlich auf die Uhrenindustrie angewiesen seien, dass unter der ungemein langen Dauer der Krisis in dieser Industrie die gesamte Bevölkerung leide und dadurch auch die Lage der Arbeitslosen ungünstig beeinflusst werde, denn diese hätten viel weniger als anderswo die Möglichkeit, gelegentlich ausserberufliche Arbeit zu finden.

Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die geographische Lage dieser Gemeinden ganz besondere ungünstige Bedingungen aufweise: das Klima sei rauh, der Winter lang und streng, der Boden für Acker- und Gemüsebau nicht geeignet, es fehlen die Möglichkeiten, die Arbeitslosen bei Notstandsarbeiten zu verwenden. Mit den alten Ansätzen seien die Arbeitslosen knapp ausgekommen; mit den neuen sei das nicht mehr der Fall.

In zahlreichen Eingaben wurden alle diese Forderungen geltend gemacht. Die Begehren der Gemeinden La Chaux-de-Fonds und Le Locle wurden zudem in verschiedenen Konferenzen mit den gewerkschaftlichen und politischen Organisationen, den Gemeindebehörden und dem Regierungsrat des Kantons Neuenburg behandelt.

In unserer Sitzung vom 28. Juni 1922 nahmen wir zu allen diesen Fragen und Forderungen Stellung. Wir lehnten es ab, auf den Beschluss vom 3. März 1922 zurückzukommen und die Höchstansätze zu erhöhen ; dagegen luden wir das Volkswirtschaftsdepartement ein, die Frage zu prüfen und uns Bericht und Antrag zu unterbreiten, ob dem Postulat Sträuli und den Begehren und Eingaben inbezug auf die hochgelegenen Gegenden des Kantons Neuenburg in der Form von Herbst- und Wintcrzulagen, namentlich an kinderreiche Familien, Rechnung getragen werden könne. Ferner sprachen wir uns dahin aus, es sei an dem im Bundesratsbeschluss betreffend Arbeitslosenunterstützung vom 29. Oktober 1919 (Art. 14) zum Ausdruck gelangten Grundsatz festzuhalten, dass es den Kantonen und Gemeinden nicht gestattet sei, Arbeitslosenunterstützungen in weiterem Umfange zu gewähren, als die Bundesvorschriften vorsehen. Ausnahmen hiervon sollen nur in dringenden Fällen zugelassen und hierfür die Genehmigung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements eingeholt werden. Wir ersuchten
ferner dieses Departement, Kantonen und Gemeinden, die ohne seine Genehmigung Ausnahmen gewähren, nach Art. 14, Abs. 5, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 die Beiträge des Bundes an die Arbeitslosen-

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fürsorge zu entziehen und die übrigen Beteiligten von der Beitragspflicht zu entheben.

Durch Kreisschreiben vom 26. Juni 1922 setzten wir die Kantonsregierungen von unserm Beschluss in Kenntnis. Über die Erwägungen, die uns dabei geleitet hatten, spricht sich dieses Kreisschreiben folgendermassen aus: ,,Die Gründe, welche zur Herabsetzung der Höchstbeträge der Arbeitslosenunterstützungen führten, bestehen heute in . vermehrtem Masse, da die Lebenskosten seit Fassung jenes Beschlusses stetig gesunken sind. Wenn auch die Zahl der Arbeitslosen seit Ende Februar 1922 abgenommen hat, so ist damit keineswegs gesagt, dase ein nahes Ende der Krisis in Aussicht steht. Man muss sich vielmehr auf eine lange Dauer gefasst machen. Der Bund, die Kantone und Gemeinden haben für die Arbeitslosenfürsorge grosse Opfer gebracht. Sollen sie bis ans Ende aushalten können, so müssen sie mit ihren Mitteln haushälterisch umgehen. Es würde in der grossen Mehrheit des Volkes nicht verstanden, wenn von den neuen Ansätzen wieder abgewichen würde, bevor die Erfahrungen die unbedingte Notwendigkeit er-geben hätte. Der Bundesrat kann sich daher nicht entschliessen, auf seinen Beschluss vom 3. März 1922 zurückzukommen.

Sollte sich zeigen, dass in gewissen Gegenden mit besonders ungünstigen Lebensverhältnissen oder in einzelnen besonders schweren Fällen, z. B. kinderreichen Familien, wie sie das vom Nationalrat angenommene Postulat Sträuli im Auge hat, ein unbedingtes Bedürfnis nach einer Zulage besteht, so kann ihm in anderer Form, durch Gewährung entsprechender Herbst- und Winterzulagen, Rechnung getragen werden. Der Bundesrat erklärt sich bereit, zu prüfen, ob auf diesem Weg eine Lösung gefunden werden kann.

Der Bundesrat hat ferner auf Ansuchen des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements zu der Frage Stellung genommen, ob einzelne Kantone oder Gemeinden in der Arbeitslosenfürsorge über die vom Bund festgesetzten Ansätze hinausgehen dürfen, selbst wenn sie die Mehrkosten zu ihren Lasten nehmen.

Der Bundesrat nimmt injdieser Frage folgende Haltung ein: Art. 14 des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung enthält nachstehende Vorschrift : Gewährt ein Kanton oder eine Gemeinde Arbeitslosenunterstützungen in weiterem Umfang, als in diesem Besehluss vorgesehen ist, so kann das eidgenössische Volkswirtschafts-

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département dem Kanton oder der Gemeinde die Beiträge des Bundes entziehen und die übrigen Beteiligten von der Beitragspflicht entheben.

Aus dieser Bestimmung geht hervor, dass die Bundesvorschriften absolute Geltung haben und dass es den Kantonen und Gemeinden nicht frei steht, über sie hinauszugehen, ohne die angedrohten Folgen gewärtigen zu müssen.

Die Gründe, die zu jener Vorschrift führten, sind einleuchtend.

Es sollte verhindert werden, dass einzelne Kantone und Gemeinden durch einseitiges Vorgehen andere zum Nachfolgen veranlassen, unbekümmert darum, ob die allgemeinen Verhältnisse und insbesondere die Finanzlage es rechtfertigen. Es sollte ferner verhindert werden, dass insbesondere die Städte durch erhöhte Ansätze und sonstige Leistungen ein besonderer Sammelpunkt für Arbeitslose werden. Der Bund hat ein Interesse daran, dass die finanziellen Kräfte der Kantone und Gemeinden nicht mehr in Anspruch genommen werden, als es die Bundesvorschriftcu erheischen ; denn wenn sie die finanziellen Mittel zur Durchführung der Arbeitslosenfürsorge nicht mehr aufbringen, so wird -- wie dies bereits geschehen ist -- dem Bund zugemutet, die Lasten gänzlich oder wenigstens in vermehrtem Masse auf sich zu nehmen.

Es ist aber ausgeschlossen, dass der Bund das kann. Da voraussichtlich noch mit einer längern Dauer der Krisis zu rechnen ist, so ist es Pflicht der verantwortlichen Behörden, darüber zu wachen, dass mit den Mitteln haushälterisch umgegangen wird.

Was dann insbesondere die Behandlung der Ausländer anbetrifft, so ist es dem Bund nicht gleichgültig, wie einzelne Kantone und Gemeinden vorgehen. Der Abschluss von Gegenseitigkeitsverträgen oder besonderer Abkommen mit dem Ausland ist Sache des Bundes. Setzen sich Kantone und Gemeinden über die Stellungnahme des Bundes hinweg, so wird dessen Aktionsfreiheit beeinträchtigt.

Alle diese Gründe, welche seinerzeit zur Aufnahme der erwähnten Vorschrift in Art. 14 des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 geführt haben, bestehen noch heute. Der Bundesrat hat keine Veranlassung, von seiner in jener Vorschrift zum Ausdruck gebrachten Stellungnahme abzuweichen. Demnach ist den Kantonen und Gemeinden nicht gestattet, in der Arbeitslosenfürsorge Leistungen zu verabfolgen, die über die Vorschriften des Bundes hinausgehen.

Abweichungen von diesem Grundsatz sollen nur ausnahmsweise und in besonders dringenden Fällen zugelassen und hierfür

217 die Genehmigung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements eingeholt werden. Wo dies nicht geschieht, soll das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement von Art. 14, Abs. 5, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 Gebrauch machen und Kantonen oder Gemeinden, die Arbeitslosenunterstützungen in weiterm Umfange gewähren, als die Bundesvorschriften vorsehen, die Beiträge des Bundes entziehen und die übrigen Beteiligten von der Beitragspflicht entheben."·

II.

Gestützt auf unsern Beschluss vom 26. Juni ,1922 lud das Volkswirtschaftsdepartement die Kantonsregierungen zur Vernehmlassung über die Frage ein, ob dem Postulat Sträuli und den besondern ungünstigen Verhältnissen einiger Gegenden durch Gewährung ausserordentlicher Herbst- und Winterzulagen Rechnung getragen werden solle.

Aus den eingetroffenen Antworten ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild : fünfzehn Kantone erklärten sich mit Bestimmtheit für die Gewährung einer Herbst- und Winterzulage; drei Kantone äusserten sich weniger bestimmt, verhielten sich aber nicht ablehnend ; sieben Kantone sprachen sich entschieden dagegen aus.

Beinahe alle Kantone, welche sich nicht gegen die Zulagen aussprachen, wünschen, dass sie niedriger bemessen werden als das letzte Jahr. Mehrheitlich befürworten sie sodann die Gewährung der Zulagen nur an Arbeitslose, welche eine gesetzliche Unterstützüngspflicht erfüllen, und die Abstufung der Zulagen nach der Zahl der vom Arbeitslosen zu unterstützenden Personen.

Sieben Kantone wünschen, dass die Zulagen ganz oder teilweise in Form von Naturalleistungen verabreicht werden möchten.

Besondere Vorschläge reichte der Regierungsrat des Kantons Neuenburg für die drei Gemeinden La Chaux-de-Fonds, Le Locle und Les Brenets ein, wobei er sich auf die hiervor erwähnten ganz besondern Verhältnisse dieser drei Gemeinden berief.

In diesem Zusammenhang ist ferner zu erwähnen eine Eingabe des schweizerischen Gewerkschaftsbundes vom 22. August 1922, worin die Gewährung einer einmaligen Anschaffungszulage in der Höhe der letztjährigen Zulagen und überdies eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützungen um 20 °/o für die Zeit vom 1. Oktober 1922 bis 1. April 1923 gefordert -wurden. In bezug auf die Anschaffungszulage enthält die Eingabe folgende Begehren:

218 a. Anspruchsberechtigt sind alle eingeschriebenen Arbeitslosen, Teilarbeitelosen und diejenigen Notstandsarbeiter, deren Lohneinkommen nicht wesentlich höher ist als die Unterstützung, die sie bei Totalarbeitslosigkeit beziehen könnten.

b. Der Anspruch auf die Anschaffungszulage ist fällig nach dem 90. Tage der gemeldeten Arbeitslosigkeit. Nach Ablauf von je weitern 90 Tagen Arbeitslosigkeit erneuert sich der Anspruch.

c. Die Anschaffungszulage wird auch dann ausgerichtet, wenn der Unterstützungsansprucb nicht mehr besteht, der Ansprecher aber noch arbeitslos gemeldet ist und keine Arbeit finden kann.

Die Anschaffungszulage kann auch solchen Arbeitslosen zugesprochen werden, die vom Bezug der öffentlichen Unterstützung ausgeschlossen wurden, sich aber in Not befinden.

d. Der Anspruch auf die Anschaffungszulage kann durch Klage geltend gemacht werden nach den Bestimmungen der Verordnung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements vom 2. März 1922 über das Verfahren in Streitsachen betreffend Arbeitslosenunterstützung. Massgebend hierfür sind die Artikel 5, 6, 7, 12, 13.

III.

In der Botschaft betreffend Gewährung neuer Kredite für die Arbeitslosenfürsorge vom 1. September 1922 haben wir über die bisherige Entwicklung der Arbeitslosigkeit berichtet und uns dahin ausgesprochen, dass trotz der erfreulichen Abnahme der Arbeitslosigkeit seit dem Monat Februar die wirtschaftliche Lage noch unsicher und mit Ruckschlägen zu rechnen sei, und dass schon der bevorstehende Winter vermutlich eine Verschärfung bringen werde. Wir sind daher in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Kantone der Ansicht, dass die Möglichkeit der Gewährung von Herbst- und Winterzulagen geschaffen werden soll. Aus den Vernehmlassungen der Kantone geht aber hervor, dass die Verhältnisse von Kanton zu Kanton verschieden geartet sind und infolgedessen das Bedürfnis nach der Einführung solcher Zulagen nicht überall in gleichem Mass vorhanden ist. Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, die Gewährung von Zulagen in einer für die Kantone verbindlichen Weise vorzuschreiben. Der Bund muss sich vielmehr, gleich wie das letzte Jahr, darauf beschränken, denjenigen Kantonen, welche das Bedürfnis nach Gewährung solcher Zulagen haben, die Ermächtigung hierzu zu geben und den Rahmen aufzustellen, innert dem sich die Kantone bewegen dürfen.

219 Mit der Mehrheit der Kantone halten auch wir dafür, dass die Zulagen auf die Arbeitslosen, welche eine Unterstützungspflicht erfüllen, einzuschränken und nach der Zahl der zu unterstützenden Personen abzustufen seien. Damit werden die kinderreichen Familien besonders berücksichtigt ; es liegt dies im Sinne des Postulats Sträuli, das wir damit als erledigt betrachten.

Der nachstehende Beschlussentwurf ist auf dieser Grundlage aufgebaut. Er lehnt sich im übrigen in der Hauptsache an die Fassung des Bundesbeschlusses vom 21. Oktober 1921 an.

Die Anträge des Gewerkschaftsbundes gehen zu weit; es besteht keine Aussicht, dass sie von den Kantonen durchgeführt würden. Da die Vorlage die Kantone zur Gewährung von Zulagen nur ermächtigen aber nicht zwingen will, so ist es nicht möglich, darin Bundesvorschriften aufzustellen über das Verfahren bei Verweigerung von Zulagen, die kantonal beschlossen sind. Es muss das den Kantonen überlassen werden, wobei hervorzuheben ist, dass die kantonalen Instanzen endgültig zu entscheiden haben und ein Rekurs an die eidgenössische Rekurskommission ausgeschlossen ist.

Zu den einzelnen Artikeln des Beschlussentwurfes haben wir, folgendes zu bemerken : ZM Art. 1. Dieser Artikel umschreibt den Umfang der Anspruchsberechtigung.

Vorerst ist darauf hinzuweisen, dass die Zulagen nur an Schweizerbürger ausgerichtet werden sollen. Im letztjährigen Beschluss war das nicht ausdrücklich gesagt, aber es wurde in der Praxis so gehandhabt. Da die arbeitslosen Schweizer im Ausland, auch in den Ländern, wo die Gegenseitigkeit besteht, keine Zulagen erhalten, so erachten wir die Einschränkung auf Schweizerbürger als angezeigt.

Ferner ist hervorzuheben, dass nach der Vorlage die Arbeitslosen, die keine Unterstützungspflicht erfüllen, von der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen sein sollen, entsprechend der Auffassung der Mehrheit der Kantone. Anderseits wird der Kreis der Anspruchsberechtigten gegenüber dem letzten Jahr erweitert, indem die Bedingung der 90tägigen Arbeitslosigkeit nicht mehr an einem bestimmten Stichtag, sondern im Zeitraum vom 31. Oktober 1922 bis 31. Januar 1923 erfüllt sein muss. Das Abstellen auf einen bestimmten Stichtag hat Unbilligkeiten zur Folge gehabt, auf die von verschiedener Seite hingewiesen wurde.

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Neu gegenüber dem letzten Jahr ist die Ausdehnung der Anspruchsberechtigung auf die Notstandsarbeiter. Es hat sich bei den letztjährigen Erfahrungen die Berechtigung dieser Ausdehnung gezeigt, da sonst der Notstandsarbeiter unter Umständen schlechter gestellt wäre als derjenige, der Barunterstiitzung bezieht. Verschiedene Kantone sahen sich daher schon das letzteJahr veranlasst, die Notstandsarbeiter in die Ansprucbsberechtigung einzubeziehen, womit sich der Bundesrat einverstanden erklärte.

Zu Art. 2. Die hier vorgesehenen Ansätze entsprechen den Wünschen der Mehrheit der Kantone.

Zu Art. 3. Nach der Stellungnahme der Kantone halten wir es nicht für zweckmässig, die Naturalleistungen verbindlich zu erklären. Es soll diesbezüglich den Kantonen Freiheit gelassen werden dasjenige vorzukehren, was sie entsprechend ihrer» Verhältnissen für gut finden.

Zu Art. 4. Dieser Artikel regelt die Verteilung der Kosten der Zulagen gemäss der Lastenverteilung bei den Arbeitslosenunterstützungen, unter Ausschaltung der Beitragspflicht der Arbeitgeber (siehe Art. 14, Abs. l und 3, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung).

Die vom Bund letztes Jahr durch die Ausrichtung von Herbstund Winterzulagen erwachsenen Ausgaben beliefen sich insgesamt auf rund Fr. 800,000. Wir halten dafür, dass die Aufwendungen des Bundes nach der gegenwärtigen Vorlage nicht mehr als l Million Franken betragen werden. Genaue Berechnungen können nicht aufgestellt werden, indem nicht feststeht, wie viele Kantone Zulagen gewähren werden und in welchem Umfange das geschehen wird.

Die Ausgaben, die dem Bund erwachsen, sollen zu Lasten des Kredites von 50 Millionen Franken für die Arbeitslosenfürsorge gehen, um den wir mit Botschaft vom 1. September 1922 nachgesucht haben.

Zu Art. 5. Die Bestimmung in Absatz l ist hauptsächlich aufgenommen worden, um die hiervor erwähnten besondern Verhältnisse der drei neuenburgischen Gemeinden La Chaux-de-Fonds, Le Locle und Les Brenets berücksichtigen zu können. Es ist durch das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement festgestellt worden, dass in diesen drei Gemeinden ausserordentlich ungünstige Umstände zusammenwirken, wie kaum in einer andern Gegend der Schweiz. Mit Rücksicht auf diese besondern Schwierigkeiten

221 erscheint ein weiteres Entgegenkommen gerechtfertigt. Der Regierungsrat des Kantons Neuenburg hat uns hierüber Vorschläge eingereicht. Durch den Art. 5 soll dem Bundesrat die Ermächtigung erteilt werden, solchen besondern Verhältnissen Rechnung zu tragen. Ob auch in andern Gegenden Umstände vorliegen, die eine Überschreitung der Grenzen des Bundesbeschlusses ausnahmsweise rechtfertigen, können wir zurzeit nicht feststellen.

Wir erklären aber schon jetzt, dass wir von der Ermächtigunggemäss Art. 5 so wenig als möglich Gebrauch machen werden.

Die Vorschrift in Absatz 2 soll Gewähr dafür bieten, das» die Kantone und Gemeinden sich auch wirklich an die im Bundesbesohluss oder in Ausnahmefällen vom Bundesrat festgesetzten Grenzen halten.

Wir beantragen Ihnen, den beiliegenden Entwurf zum Beschluss zu erheben.

B e r n , den 22. September 1922.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Dr. Haab.

Der Bundeskanzler: Steiger.

222 (Entwurf.)

Bundesbeschluss über

Ausrichtung einer Herbst- und Winterzulage an Arbeitslose.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsichtnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 22. September 1922, beschliesst: Art. 1. Die Kantone werden ermächtigt, an arbeitslose Schweizerbürger, die frühestens am 31. Oktober 1922 und spätestens am 31. Januar 1923 während der vorausgegangenen sechs Monate 90 Tage unverschuldet gänzlich arbeitslos gewesen sind, eine gesetzliche Unterstützungspflicht erfüllen, und sich in bedrängter Lage befinden, eine einmalige ausserordentliche Herbst- und Winterzulage auszurichten.

Die ausserordentliche Herbst- und Winterzulage kann auch an teilweise Arbeitslose und an Notstandsarbeiter ausgerichtet werden, sofern sie im gleichen Zeitraum ineinander gerechnet 90 Tage arbeitslos waren oder wenn ihr Einkommen, bestehend aus Lohn und allfälliger Arbeitslosenunterstützung, in dieser Zeit die Unterstützungssumme nicht überschritten hat, die sie bei gänzlicher Arbeitslosigkeit bezogen hätten.

Bei selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit finden die Art. 10 und 11 des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung entsprechende Anwendung.

Art. 2. Die Kantone bestimmen Art und Höhe der Zulage, dürfen aber, Art. 5 vorbehalten, über folgende Höchstansätze nicht hinausgehen :

223 Für Arbeitslose, welche eine gesetzliche Unterstützungspflicht erfüllen a. gegenüber l Person Fr. 50 b.

,, 2 Personen ,, 60 '· * 3 ,, ,, 7 0 *· ,, 4 ,, ,, 8 0 «· * 5 ,, ,, 9 0

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,, 8 und mehr Personen ,, 120 Treffen die Voraussetzungen zum Bezug der Zulage bei mehreren im gleichen Haushalt lebenden Personen zu, so sind die Zulagen angemessen herabzusetzen.

Art. 3. Die Zulagen können in Naturalleistungen bestehen.

Art. 4. Der Bund leistet an die Kosten dieser Zulagen einen Beitrag von 50 °/o. Die hierfür erforderlichen Summen gehen zu Lasten des durch Bundesbeschluss vom 1922 bewilligten Kredites von 50 Millionen Franken für die Arbeitslosenfürsorge.

Der Rest der Kosten entfällt auf den Wohnsitzkanton, deidie Wohnsitzgemeinde bis zur Hälfte des kantonalen Anteils belasten kann.

Art. 5. Über die in Art. l und 2 festgesetzten Grenzen darf nur ausnahmsweise und nur für Gemeinden in besonders ungünstiger örtlicher Lage und mit ungünstigen Lebensbedingungen hinausgegangen werden. Es bedarf hierzu der Genehmigung des Bundesrates.

Gegenüber Kantonen oder Gemeinden, die sich nicht an die festgesetzten Grenzen halten, ist Art. 14, Abs. 5, des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung zur Anwendung zu bringen.

Art. 6. Dieser Beschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft. Der Bundesrat wird mit seinem Vollzug beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung- über die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an eine ausserordentliche Herbst- und Winterzulage für Arbeitslose.

(Vom 22. September 1922.)

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39

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27.09.1922

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213-223

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