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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Wiederaufbau der Festung Dailly (Vom 28. April 1948) Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, Wir beehren uns, Ihnen eine Botschaft mit einem Entwurf zu einem Bundesbeschluss über den "Wiederaufbau der Festung Dailly zu unterbreiten.

I

In der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1946 wurde die Festung Dailly (St. Maurice) durch heftige Explosionen grösstenteils zerstört, wobei 1.0 Zivilarbeiter ums Leben kamen. Die Entwicklung grosser Mengen Giftgase und das Vorhandensein von gefährlichem Material innerhalb der Festung erlaubton es nicht, sich unverzüglich ein Bild über den Umfang der Zerstörungen zu machen.

Erst nach mehreren Tagen wurde ein systematisches Absuchen der unterirdischen Bäume möglich, wobei festgestellt werden musste, dass diese Katastrophe in ihrem Ausmass alles übertraf, was sich bisher in der Geschichte des schweizerischen Festungswesens zugetragen hatte. In der Tat, wenn sich auch das äussere Bild der Festung kaum verändert hat, so erstrecken sich doch die unterirdischen Verheerungen auf den ganzen und zudem modernsten Teil des Werkes und kommen einer totalen Zerstörung desselben gleich. Die Festung St. Maurice ist dadurch eines Teils ihrer Artillerie und mehrerer wichtiger Anlagen verlustig gegangen.

Die Voruntersuchung hat ergeben, dass verschiedene Munitionsmagazine nacheinander explodiert sind. Die erste Explosion eines dieser Magazine hat, diejenigen der andern in Zeitabständen von zwei bis fünf Minuten nach sich gezogen.

Am 7. Juni 1946 wurde eine aus fünf Experten bestehende Kommission unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr. A, Rohn, Schulratspräsident der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, vom militärischen Untersuchungsrichter damit beauftragt, die direkten oder indirekten Ursachen der Katastrophe von Dailly abzuklären. Diese Kommission wurde eingeladen, sich über alle nach der Katastrophe sowohl in zivilen als auch in militärischen Kreisen aufgestellten Hypothesen auszusprechen. Es handelte sich im besonderen um die Beantwortung folgender Fragen: .

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;i. Stellen die Explosionen im Zusammenhang mit den im Frühjahr 194B im Wallis erfolgten Erdbeben oder mit andern Vorgängen geologischer Natur?

2. Welche Ursachen, beispielsweise chemischen oder elektrischen Charakters, haben zur Entzündung der Munitionsdepots geführt ? Sind unzweckmässige Massnahraen getroffen oder Nachlässigkeiten begangen worden, welche die Ursache der Katastrophe erklären lassen?

8. Müssen die Explosionen der Unvorsichtigkeit oder der Böswilligkeit zugeschrieben werden?

4. Ist das Unglück auf die Zersetzung oder die spontane Entzündung der Munition zurückzuführen?

Die Experten waren sich von Anfang an bewusst, dass ihre Aufgabe in allererster Linie darin bestand, die Ursachen der Katastrophe zu ermitteln, um deren Wiederholung zu verhindern und dies besonders mit dem Ziele, dazu beizutragen, allen in den Festungen oder den Munitionsmagäsdnen beschäftigten Personen das Vertrauen in ihre Aufgabe zurückzugeben. Das gänzliche Fehlen jeglicher Anhaltspunkte zur Orientierung der Nachforschungen hat die Aufgabe der Experten ausserordentlich erschwert. Die Kommission sowie die Kriegstechnische Abteilung haben eine Beihe chemisch-physikalischer, technologischer, elektrischer Untersuchungen und- Versuche und dergleichen durchgeführt.

Die in einem vom 12. April 1947 datierten Bericht enthaltenen Schlussfolgerungen der Experten können wie folgt Kusammengefasst werden: 1. Der konkrete Fall der Katastrophe von Dailly hat mit geologischen Vorgängen bestimmt nichts zu tun. Der Zustand, in weichein, sich die Kavernenwände der Munitionskammern nach der Explosion befanden, gibt auf die Frage der Erdbebenwirkung eine eindeutige Antwort.

2. Keine Spur lässt schliessen, dass die Ursachen des Unglücks, beispielsweise einer Entzündung von Stoffen, die in den Magazinen oder in deren Nähe deponiert waren, einem Kurzschluss oder dem Brand eines elektrischen Apparates zuzuschreiben sind. Die in andern Magazinen der Festung Dailly überprüften elektrischen Installationen haben sich als einwandfrei erwiesen, und es ist nicht wahrscheinlich, dass ein Mangel in deren Ausführung zum Unglück geführt hat.

8. Die Experten sind ferner der Ansicht, dass Nachlässigkeit oder Böswilligkeit die Katastrophe nicht erklären lassen; weder die im Werk beschäftigten Arbeiter noch die mit dem Betrieb der Anlagen
beauftragten Leute können verdächtigt werden, etwas dazu beigetragen zu haben.

4. Nachdem sie keine beweisbringenden Merkmale feststellen konnte, die hätten schliessen lassen, dass die Katastrophe äussern Einwirkungen (Hitze, Brand, Erschütterung, Sabotage usw.) zuzuschreiben ist, nimmt die Expertenkommission an, dass die Zersetzungserscheinung der Nitrozellulosepulver als wahrscheinliche Ursache der Explosion von Dailly in Frage kommt. Die zahlreichen diesbezüglich erhobenen Nachforschun-

190 gen haben jedoch keinen definitiven Beweis erbracht, dass dem wirklich so ist: Es war auch nicht möglich, zu beweisen, dass die Nitrozellulosepulver auf inangelha Pte Art hergestellt, oder dass sie nicht den Stabilitätsprüfungen, wie sie die zur 2eit der Fabrikation gültigen Vorschriften verlangten, unterworfen worden wären. Die Untersuchung sämtlicher Munitionssorten, wie die vor der Explosion in den Magazinen von Dailly eingelagerten, hat keinerlei Mängel an den Tag gebracht.

Abschliessend haben die Experten der Militärverwaltung eine Serie zweckmässig erscheinender Massnahmen zur Prüfung empfohlen, um derartigen Katastrophen vorzubeugen. Obschon die bestehenden Vorschriften über die Fabrikation, Behandlung, Lagerung und den Unterhalt der Munition sehr streng sind, wird selbstverständlich nichts unterlassen werden, um die Sicherheit der Depots noch zu erhöhen.

Die Katastrophe von Blausee/Mitholz hat bei unserer Bevölkerung eine neue Beunruhigung ausgelöst. Obschon die Munitionsmagazine der Festungen sich von denjenigen, in welchen die grossen Beserven unseres Landes eingelagert sind, wesentlich unterscheiden, werden sämtliche bisher getroffenen oder nach Abschluss der Untersuchung allfällig noch zu treffenden Massnahmen auch auf die Festungsanlagen ausgedehnt. In bezug auf die Sicherheit der Bevölkerung und der Besatzung tragen die Projekte für den Wiederaufbau von Dailly allen bisher von der Expertenkommission und den Spezialisten des eidgenössischen Militärdepartements beantragten Massnahmen Eechnung. Sollten die nach der Katastrophe von Blausee angeordneten Expertisen die tatsächlichen Ursachen des Unglücks ermitteln, so wird das Projekt für den AViederaufbau von Dailly davon kaum oder gar nicht berührt werden. Es wäre somit nicht angebracht, aus solchen Erwägungen Arbeiten aufzuschieben, welche dazu angetan sind, eine empfindliche Lücke in unserer Landesverteidigung zu schliessen.

II Um der Bedeutung der Festung St. Maurice gerecht werden zu können, erachten wir es als unerlässlich, nachstehend ihre Geschichte kurz sprechen zu lassen.

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Schon im 11. Jahrhundert besass St. Maurice seinen Turm mit einer Eingmauer als Sperre des Engpasses. Die heutigen Festungsanlagen stammen aus dem letzten Jahrhundert, und General Dufour war ihr erster Erbauer. Mit der Verbesserung der Verkehrswege,
der grössern Reichweite und erhöhten Wirkung der neuen Waffen vollzog sich die Entwicklung der Verteidigungen des Engpasses mit dem Ende des 19. Jahrhunderts gegen die umliegenden Höhen hinauf.

In dieser Zeit wurde vorerst die Festung Savatan und später die Festung Dailly erbaut. Während und nach dem ersten. Weltkrieg von 1914 bis 1918 wurde die Festung St. Maurice noch erweitert, indem die Artillerie verstärkt und die Aussenverteidigungen durch den Bau neuer Anlagen ergänzt wurden.

191 Im Verlaufe des Krieges von 1939 bis 1945 ist an der ursprünglichen Zweckbestimmung der Festungsanlagen von St. Maurice keine Änderung von Bedeutung eingetreten. Sie wurden in bezug auf ihre Bewaffnung und Ausrüstung modernisiert, und es war gerade die Festung Dailly, welcher mit Rücksicht auf die ihr im Befestigungssystem St-Maurice zukommende Rolle mehrheitlich diese Verbesserungen zugute kamen.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass St. Maurice im Verein mit den Festungen von St. Gotthard und Sargans in unserer Landesverteidigung als Kernwerke des Zentralraumes eine erste Rolle spielt. Die der Sperre der Engpässe von jeher zugekommene Bedeutung ist den zivilen und militärischen Behörden unseres Landes, welche stets bestrebt waren, diesen drei Festungen die für die Anforderungen des Krieges notwendigen Modernisierungen /uteil werden zu lassen, nie entgangen.

Nun wäre es sicher falsch, wenn man sich mit einer Wiederinstandstellung der zerstörten Festungsteile und Waffen begnügen würde, statt die Gelegenheit zu ergreifen, die Arbeiten in den Rahmen eines Gesamtplanes der Festung St. Maurice hineinzustellen. St. Maurice bildet ·-- wir haben schon oben darauf hingewiesen -- ein uneinheitliches, in grossen Zeitabständen nach und nach entstandenes Werk. Es hegt nahe, die heute notwendige Wiederherstellung in den Dienst einer zweckmässigen Organisation des Gesamtwerkes zu stellen.

Die Zerstörungen sollen somit in Verbindung mit einer Neugruppierung der Mittel behoben werden, unter gleichzeitigem Verzicht auf alle diejenigen Anlagen, welche den Anforderungen des modernen Krieges nicht mehr genügen. Man könnte sich fragen, ob es nicht zweckmässiger wäre, die unterirdischen Anlagen, welche unter der Explosion Schaden genommen haben, aufzugeben und an einem für die Verteidigung günstigeren Ort eine neue Festung zu bauen.

Auf diese Idee wurde nicht eingetreten, da die günstige Lage von Dailly in der Tat unbestritten bleibt. Der Felssohutz (Überdeckungen) ist den gestellten Anforderungen gewachsen. Durch das Weglassen der schwächern Teile wird es beim Wiederaufbau möglich sein, dieser Festung die gleichen Eigenschaften zu verleihen, wie sie die modernsten Werke unseres Landes besitzen. Im übrigen wurde aus spartechnischen Gründen auf alle Projekte, in welchen die noch brauchbaren, alten Anlagen
nicht, berücksichtigt worden waren, im voraus verzichtet.

III Die gleich nach der Katastrophe in Angriff genommenen Studien sind unter Berücksichtigung aller Anforderungen des modernen Krieges geführt worden und haben sich -- wie bereits erwähnt -- nicht allein auf die Festung Dailly beschränkt. Sie wurden auf das gesamte Verteidigungssystem von St. Maurice ausgedehnt und umfassen mehrere Etappen. In erster Linie soll der Festung St. Maurice sobald als nur möglich ein Teil der ihr durch die Katastrophe vom 28. Mai 1946 entrissenen Mittel zurückgegeben werden. Die

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weiteren Etappen sehen sodann eine Beihe von unerlässlichen Verbesserungen und Verstärkungen vor, deren Ausführung jedoch aufgeschoben werden kann. Die Gesamtkosten für den vom eidgenössischen Militärdepartement nun vorgesehenen ersten Ausbau, der im Eahmen eines Gesamtausbauplanes erfolgen soll, stellen sich auf Fr. 20 290 000.

Der beiliegende Bundesbeschlussentwurf bezieht sich auf die Arbeiten des ersten Ausbaues. Wenn wir der Aufschiebung der Arbeiten der weitem Etappen auf eine spätere Zeit zustimmen, so tragen wir nur unsern beschränkten finanziellen Mitteln Rechnung. Es bleibt einer spätem Zeit überlassen, die Umgestaltung eines weiteren Teiles der Festung St. Maurice durchzuführen.

Aus wohl verständlichen Gründen ist es hier nicht möglich, im einzelnen auf die geplanten Arbeiten einzutreten. Die Bücksicht auf die Geheimhaltung macht es uns zur Pflicht, über Einzelheiten des Ausbaues den parlamentarischen Kommissionen auf besonderen Wegen die entsprechende Orientierung zu vermitteln.

Von den Kosten im Betrage von Fr. 20 290 000 kann der Betrag von ca. Fr. 5 000 000 abgezogen werden, der der Auszahlung der Versicherungsgesellschaften abzüglich der Aufwendungen für die Aufräumung der Stollen, Kasematten und Instandstellung der beschädigten Munition und der Entschädigungen an die Familien der Todesopfer entspricht.

Zur teilweisen Deckung der Kosten der ersten Etappe, d. h. bis zu einem Betrage von ca. Fr. 5 000 000, kann deshalb das Konto «Depot Explosionsschäden Dailly» herangezogen werden.

Das Bauprogramrn dieser in sich abgeschlossenen Arbeiten erstreckt sich auf mehrere Jahre. Der jährliche Kreditbedarf wird der Dringlichkeit sowie den kpnjunkturpolitischen Verhältnissen angepasst und jeweils im Voranschlag eingestellt, Dagegen wird es mit Bücksicht auf die von der Industrie verlangten, langen Lieferfristen notwendig sein, schon im Jahre 1948 Materialbestellungen zu vergeben. Ausnahmsweise sollen sie, wie weiter oben schon dargelegt, dem Konto «Depot Explosionsschäden Dailly» belastet werden.

Wir empfehlen .Ihnen, den unserer Botschaft beigelegten Bundesbeschlussoritwurf zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 23. April 1948.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident : Celio Der Bundeskanzler: Leimgruber

193 Entwurf)

Bundesbeschluss über

den Wiederaufbau der Festung Dailly

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 28. April 1948, beschliesst:

Art. l Der Wiederaufbau und die- Verstärkung der Festung Dailly mit einem Aufwand von Fr. 20 290 000 wird bewilligt, Art. 2 Der jährliche Kreditbedarf ist in den ordentlichen Voranschlag einzustellen.

Zur teilweisen Deckung der Kosten ist das Konto «Depot Explosionsschaden Dailly» heranzuziehen, Art. 3 Dieser Beschluss tritt, als nicht allgemeinverbindlicher Natur, sofort in Kraft.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Wiederaufbau der Festung Dailly (Vom 23. April 1948)

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29.04.1948

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