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Verordnung betreffend

die Einführung des Turnunterrichts für die männliche Jugend vom 10. bis und mit dem 15. Altersjahre.

(Vom 13. Herbstmonat 1878.)

Der schweizerische Bundesrath, in Vollziehung des Art. 81, Lemma l und 2 der Militärorganisation vom 13. Wintermonat 1874 (Amtl. Samml. n. F. I, 257), den Vorunterricht betreffend; auf den Antrag seines Militärdepartements, beschließt:

Art. 1.

Mit dem 1. Mai 1879, beziehungsweise mit dem nächsten neuen Kurse, ist in sämmtlichen Kantonen der durch den Art. 81, Absaz l der Militärorganisation vom 13. Wintermonat 1874 den Kantonen überbundene Turnunterricht in der Primarschule und in den dieselbe ersezenden oder derselben sich anschließenden öffentlichen oder privaten, obligatorischen oder fakultativen Anstalten als obligatorisches Unterrichtsfach ein- und inner drei Jahren durchzuführen.

Diejenigen Kantone, welche für alle oder einzelne ihrer Schulen zur Ausführung dieser Verordnung oder einzelner Theile derselben eine längere Zeit in Anspruch nehmen, sind gehalten, hiefür unter Angabe der Gründe, beim Bundesrathe binnen einer Frist von 6 Monaten, vom Tage des Er laßes dieser Verordnung an, einzukommen.

712 Art. 2.

Dieser Unterricht umfaßt sechs Jahre und erstrekt sich vom 10. bis und mit dem 15. Altersjahre, beziehungsweise über die entsprechenden Schuljahre oder Kurse.

Er gliedert sich in zwei Stufen, von denen in der Regel die erste das 10., 11. und 12., die zweite das 13., 14. und 15. Altersjahr in sich schließt.

Art. 3.

Das Fach des Turnens ist bezüglich der Schulordnung, Disziplin, Absenzen, Inspektion, Prüfungen und soweit immer möglich auch mit Bezug auf die Einordnung in die Stundenpläne den übrigen obligatorischen Fächern gleichzustellen.

Die öffentlichen Schulbehörden werden dafür sorgen, daß der durch diese Verordnung normirte Turnunterricht auch in privaten Schulanstalten mit Knaben von dem betreffenden Alter (Artikel 2) und auch solchen Knaben, die keine Schule besuchen, ertheilt wird.

Art. 4.

Jeder im 10.--15. Altersjahre stehende Knabe, derselbe mag eine Schule besuchen oder nicht, ist zur Theilnahme am obligatorischen Turnunterricht verpflichtet.

Von demselben können nur befreit werden : a. Knaben, die gemäß den ,,Vorschriften, betreffend die Dispensation vom Turnunterricht vom 6. Herbstmonat 1878tt, durch ärztliches Zeugnis als untauglich erklärt werden.

b. Ausländer, welche keine öffentliche Schule besuchen.

Art. 5.

Der Turnunterricht ist zu ertheilen nach Anleitung und Maßgabe der ,,Turnschule für den militärischen Vorunterricht der schweizerischen Jugend vom 10.--20. Jahre", in der Meinung, daß es den Kantonen unbenommen ist, über die in der Turnschule normirten Minimalforderungen hinauszugehen.

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Art. 6.

Als Regel gilt, daß der Turnunterricht nach Jahresklassen ertheilt wird.

An Schulen, an denen ein Lehrer mehreren Jahresklassen vorzustehen hat, ist Klassenzusammenzug gestattet.

Nur ausnahmsweise soll jedoch eine im Turnen gleichzeitig zu unterrichtende Schülerabtheilung die Zahl 50 übersteigen.

Art. 7.

Der Turnunterricht ist schulmäßig zu betreiben und, soweit möglich, auf die ganze jährliche Schulzeit auszudehnen und zu vertheilen.

Auf der ersten Stufe sind für den Turnunterricht wöchentlich im Ganzen zwei, und auf der zweiten Stufe anderthalb bis zwei Stunden zu verwenden.

Art. 8.

Der Unterricht ist nach methodischen Grundsäzen zu ertheilen.

Die je einer Stufe zugetheilten Uebungsgebiete können daher nicht successive in Angriff genommen werden 5 sie gehen vielmehr einander parallel, und zwar unter gehöriger Abwechslung nicht nur von Stunde zu Stunde, sondern innerhalb einer Unterrichtsstunde selbst.

Art. 9.

Nach Anleitung und Maßgabe schon bestehender oder noch zu erlaßender gesezlioher Bestimmungen sorgen die Kantone oder die Gemeinden oder beide zusammen oder auch benachbarte Gemeinden gemeinsam für einen ebenen und trokenen, möglichst in unmittelbarer Nähe des Schulhauses liegenden Turnplaz von wenigstens acht Quadratmeter Flächenraum für jeden Schüler einer gleichzeitig zu unterrichtenden Turnabtheilung.

Im Interesse eines regelmäßigen Unterrichtes^ wird die Erstellung eines geschloßenen, ventilirbaren, hinlänglich hohen, hellen und wo möglich heizbaren Lokales von drei Quadratmetern Fläche für jeden Schüler einer Turnklasse dringend empfohlen.

Bei Neubauten von Schulhäusern und auch bei bedeutenden Umbauten ist auf Erstellung solcher Turnlokalitäten zu dringen.

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In Ortschaften, in denen Turnhallen von 3,5--4 Quadratmeter Fläche per Schüler einer Turnabtheilung bestehen oder erstellt wer"den, kann die Erwerbung eines Turnplazes erlaßen werden, wenn sie mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten und Kosten verbunden wäre.

Art. 10.

Als Hilfsmittel zur Ertheilung des Unterrichtes sind nach Vorschrift der maßgebenden Normalien zu erstellen, beziehungsweise anzuschaffen : a. ein Klettergerüst mit Stange und Seil, b. ,, Stemmbalken mit Sturmbrett, c. ,, Springel mit Sprungseil und zwei Sprungbrettern, d. Eisenstäbe.

Art. 11.

Wo nicht-durch Fachlehrer für den regelmäßigen Betrieb des Turnunterrichtes gesorgt ist, oder wo nicht ein für dieses Fach geeigneter Lehrer .auf besondere Vereinbarung hin für Kollegen einzustehen hat, ist jeder Lehrer zur Ertheilüng des Turnunterrichtes verpflichtet, sofern er die dazu nöthige Bildung sich erworben hat, sei es in den Lehrerbildungsanstalten oder in den Rekrütenschulen, oder in Répétitions- und Fortbildungskursen, die von den Kantonen veranstaltet worden sind oder künftig Veranstaltet werden.

Die Regelung der Entschädigung für die Ertheilüng des Turnunterrichts ist Sache der Kantone.

Art. 12.

Der Bundesrath wird sich in geeigneter Weise Einsicht verschaffen von dem Stand, Gang, Erfolg etc. des Turnunterrichtes und darauf gestüzt die nöthig werdenden Weisungen erlaßen. (Art 81, Lemma 4 der Mil.-Org.)

Art. 13.

Die Kantone sind verpflichtet, am Ende eines jeden Schuljahres (das erstemal im Jahr 1879) nach Anleitung eines ihnen einzuhändigenden Schemas dem Bundesrathe über den Turnunterricht der männlichen Jugend vom 10.--15. Altersjahre Bericht zu erstatten.

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Uebergangsbestimmung.

Art. 14.

Auf beiden Stufen ist da, wo bisher kein Turnunterricht ertheilt wurde, der Anfang zu machen mit dem in der Turnschule für die erste Stufe (10.--13. Altersjahr) vorgeschriebenen Uebungsstoffe.

B e r n , den 13. Herbstmonat 1878.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespräsident: Schenk.

Der Kanzler der Eidgenoßenschaft :

Schiess.

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Verordnung betreffend

die Heranbildung von Lehrern zur Ertheilung des Turnunterrichtes.

(Vom 13. Herbstmonat 1878.)

Der schweizerische Bundesrath, in Vollziehung des Art. 81, Lemma l und 2 der MilitärOrganisation vom 13. Wintermonat 1874, den Vorunterricht betreffend ; auf den Antrag seines Militärdepartements, beschließt:

Art. 1.

Mît dem 1. Mai 1879, beziehungsweise der Eröffnung des nächsten Kurses, ist in allen kantonalen Lehrerbildungsanstalten der Turnunterricht als obligatorisches Fach ein- und durchzuführen, und zwar in einer Weise und Ausdehnung, daß volle Gewähr geboten ist für die zur Ertheilung des Turnunterrichtes an der Volksschule nöthigc Bildung der Lehramtskandidaten.

Art. 2.

Das Fach des Turnens ist in Beziehung auf Anstellung von Lehrkräften, Absenzen, Stundenplan, Censuren, Prüfungen, Abgangszeugnisse auf gleiche Linie zu stellen, wie die andern obligatorischen Fächer.

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Art. 3.

Von dem Zeitpunkte an, da der Turnunterricht in den kantonalen Lehrerbildungsanstalten durchgeführt ist, soll das Fach des Turnens bezüglich der Erwerbung eines Lehrerpatentes oder eines Wahlfähigkeitszeugnisses für die Stufe der Primarschule den Kandidaten gegenüber, die nicht reglementarisch vom Turnunterricht dispensirt waren, oder hätten dispensirt werden raüßen, den gleichen Einfluß ausüben, wie jedes andere obligatorische Fach.

Wer ' an höhern Volksschulen oder andern höhern Schulen, die an die Stelle der Primarschule treten, Turnunterricht ertheilen will, hat sich über die diesfällige Befähigung auszuweisen.

Art. 4.

Vom Turnunterricht kann nur dispensirt werden, wer gemäß den diesfälligen Vorschriften durch ärztliches Zeugnis für denselben als untauglich erklärt worden ist.

Art. 5.

Für die gehörige Durchführung des Turnunterrichtes ist unerläßlich : a. ein ebener, trokener Turnplaz von wenigstens zehn Quadratmeter Fläche für jeden Schüler einer Turnklasse.

b. ein helles, ventilirbares, hinlänglich hohes und heizbares Turnlokal von wenigstens vier Quadratmeter Flächeninhalt für jeden Zögling einer Turnabtheilung.

Art. 6.

Als Hilfsmittel für den Turnunterricht sind in hinlänglicher Anzahl zu erstellen, resp. anzuschaffen: a. Klettergerüst mit Staugen und Seilen, b. Stemmbalken mit Sturmbrettern, c. Springel mit Sprungbrettern und Sprungseilen, d. Eisenstäbe.

Ueberdieß werden zur Berüksichtigung empfohlen alle andern Geräte und Vorrichtungen, die beim jeweiligen Stand des Turnwesens von allgemeiner Bedeutung sind.

Art. 7.

Die Kantone sind dringend eingeladen, für Lehrer, die nicht in Rekrutenschulen oder in ihren Bildungsanstalten die zur Eintheilung

718 des Turnunterrichtes nöthige Befähigung erhielten, so lange Turnkurse anzuordnen, oder in Répétitions- und andern obligatorischen oder fakultativen Kursen Turnunterricht ertheilen zu laßen, bis an sämmtlichen Schulen der Turnunterricht eingeführt ist nach den Bestimmungen der Verordnung betreffend die Einführung des Turnunterrichtes für die männliche Jugend vom 10. bis und mit dem 15. Altersjahre, vom 13. Herbstmonat 1878.

Art. 8.

Es liegt den Kaütonen ob, so lange der Bund es für nöthig erachtet, alljährlich auf den 31. Christmonat (das erstemal im Jahr 1879) nach einem ihnen zuzustellenden Schema Bericht zu erstatten über den Stand der Befähigung der Lehrerschaft an der Volksschule zur Ertheilung des Turnunterrichtes, sowie über das Turnwesen an den Lehrerbildungsanstalten.

Der Bundesrath behält sich, vor, durch Inspektionen sich Kenntnis zu verschaffen über den Stand und Gang des Turnwesena in den kantonalen Lehrerbildungsanstalten.

B e r n , den 13. Herbstmohat 1878.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bund, e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenoßenschaft : Schiess.

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Vorschriften betreffend

die Dispensation vom Turnunterrichte.

(Vom 13. Herbstmonat 1878.)

Der schweizerische Bundesrath, in Vollziehung des Art. 81, Lemma l und 2 der Militärorganisation vom 13. Wintermonat 1874, den Vorunterricht betreffend ; auf den Antrag seines Militärdepartements, beschließt:

Art. 1.

Diejenigen Krankheiten und Gebrechen, welche vom Schulbesuch überhaupt dispensiren, befreien selbstverständlich auch vom Turnunterricht und fallen hier nicht näher in Betracht.

Art. 2.

Ob Krankheiten und Gebrechen, welche den Schulbesuch gestatten, vom Turnunterricht dispensiren, hat ein von der Schulbehörde zu bezeichnender Arzt, in zweifelhaften Fällen im Einverständnis mit dem Hausarzt des zu Dispensirenden, unter Beobachtung der nachstehenden Regeln zu bestimmen.

Art. 3.

Zeigen Schüler beim Turnunterricht auffallende Erscheinungen, wie starkes Herzklopfen, ungewöhnliche Hautröthe, Ohnmacht, starken Husten, Schmerzen in bestimmten Körpertheilen, so soll der Turnlelirer über die Fortsezung oder Modifikation des Turnunterrichtes mit diesen Schülern die Ansicht des bezeichneten Arztes einholen.

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Art. 4.

Vom Turnunterricht befreien gänzlich : a. Herzfehler; b. Schwere Funktionsstörung einer Extremität.

Art. 5.

Vom Turnunterricht befreien theilweise : a. Nicht sicher zurükhaltbare Unterleibsbrüche von denjenigen Uebungen, bei welchen die Bauchmuskeln mitwirken (Geräteturnen), b. Steifigkeit des Handgelenkes vom Geräteturnen, mit Ausnahme der Sprungübungen, c. Steifigkeit des Fußgelenkes, Klump- und Plattfuß, von Sprungübungen, d. andere chronische Leiden je nach dem Ermeßen des Arztes, e. der Zustand der Genesung erheischt im Allgemeinen Schonung und allmähliches Fortschreiten nach Maßgabe der Wiederkehr der Kräfte.

Art. 6.

Keine Befreiung vom Turnunterricht, sondern bloß Rüksichtnahme auf den Kräftezustand erheischen : Schwächlichkeit, schwache Brust und Blutarmuth ohne ein bestimmtes Organleiden, Neurosen, Neigung zum Nasenbluten, zu Katarrh oder Rheumatismus, vollständig" zurükhaltbare Unterleibsbrüche.

Immerhin hat der Turnlehrer bei schwächlichen Schülern außer auf richtige Auswahl und Abstufung der Uebungen besonders darauf zu achten, daß sie sich in den Zwischenpausen nicht erkälten und daß die Luft des Turnlokals möglichst gut und staubfrei erhalten werde.

Art. 7.

Für die Lehramtskandidaten gelten die gleichen Grundsäze, sofern um Dispensation nachgesucht wird.

B e r n , den 13. Herbstmonat 1878.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schenk.

Der Kanzler der Eidgenoßenschaft : Schiess.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Verordnung betreffend die Einführung des Turnunterrichts für die männliche Jugend vom 10. bis und mit dem 15. Altersjahre. (Vom 13. Herbstmonat 1878.)

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1878

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43

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21.09.1878

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711-720

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