13.044 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts vom 22. Mai 2013

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. Mai 2013

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Ueli Maurer Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2013-0607

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Übersicht Mit dem Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) über die Zusammenarbeit bei der Anwendung ihres Wettbewerbsrechts soll die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragsparteien gestärkt werden. 2008 wurden Gespräche zum Zusammenarbeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU aufgenommen. Am 18. August 2010 genehmigte der Bundesrat das Verhandlungsmandat. Die Verhandlungen dauerten von März 2011 bis April 2012. Das Abkommen wurde am 17. Mai 2013 unterzeichnet.

Aufgrund der wachsenden Integration der Weltwirtschaft nehmen grenzüberschreitende wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zu. Die Wettbewerbsbehörden, deren Handlungsspielraum auf das nationale Hoheitsgebiet beschränkt ist, stossen beim Vollzug der Wettbewerbsgesetzgebung auf Schwierigkeiten. Die internationale Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden ist ein wichtiges Mittel, damit die Wettbewerbsgesetzgebung auch bei grenzüberschreitenden Verhaltensweisen wirksam umgesetzt werden kann. Mit ihrer stark auf die internationalen Märkte ausgerichteten Wirtschaft hat die Schweiz ein besonderes Interesse an einer internationalen Zusammenarbeit auch im Rahmen ihrer Wettbewerbspolitik. Da der Wettbewerb ein wichtiges Instrument zur Vermeidung überhöhter Preise ist, trägt das hier beantragte Abkommen auch zur Bekämpfung der «Hochpreisinsel» bei, die unter anderem auf grenzüberschreitende wettbewerbswidrige Verhaltensweisen zurückzuführen ist.

Angesichts der starken Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften der Schweiz und der EU ist die Verbesserung der Zusammenarbeit mit der EU von besonderem Interesse für die Schweiz, dies umso mehr, als unser Land nicht über dieselben Möglichkeiten der Zusammenarbeit verfügt wie die EU-Mitgliedstaaten unter sich.

Der Abschluss des Abkommens wurde dadurch ermöglicht, dass die Wettbewerbsgesetzgebungen der beiden Vertragsparteien äquivalent sind. Das Abkommen wird sowohl in der Schweiz als auch in der EU zu einem besseren Schutz des Wettbewerbs beitragen. Dies liegt im Interesse beider Vertragsparteien. Die Verfahrensführung wird wirksamer, und Inkohärenzen können vermieden werden, wenn gleiche oder miteinander verbundene Sachverhalte betroffen sind. Seit vielen Jahren sind die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU mit grenzüberschreitenden
Verhaltensweisen konfrontiert, bei denen eine formelle Zusammenarbeit die Untersuchungen wirksamer gemacht hätte.

Mit dem Abkommen soll eine engere Zusammenarbeit zwischen der Eidgenössischen Wettbewerbskommission (WEKO) und der Wettbewerbsbehörde der Europäischen Kommission ermöglicht werden. Diese Zusammenarbeit wird nicht obligatorisch sein; sie bietet den Behörden die Möglichkeit, sich ihre Vollzugsmassnahmen gegenseitig mitzuteilen, diese zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Unter strikten Bedingungen soll auch der Austausch vertraulicher Informationen möglich sein, welche für die Durchführung von Untersuchungen benötigt werden. Vertrauliche Informationen sollen nur dann ausgetauscht werden dürfen, wenn die Behörden

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der beiden Vertragsparteien dieselben oder miteinander verbundene Fälle untersuchen. Das Abkommen ermöglicht einen besseren Zugang zu Beweismitteln, sorgt jedoch weiterhin für die erforderlichen Garantien, insbesondere betreffend Vertraulichkeit, Spezialitätsprinzip sowie Rechte der Verfahrensparteien und freies Ermessen der ersuchten Behörde, auf ein Ersuchen der anderen Vertragspartei einzutreten oder nicht.

Das Abkommen enthält ferner Bestimmungen zu den Notifikationen, zur Verfahrenskoordination, zur Berücksichtigung der Interessen der anderen Vertragspartei bei der Umsetzung des Wettbewerbsrechts (Negative Comity), zur Möglichkeit, die Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei zu bitten, in einem konkreten Fall gewisse Massnahmen zu treffen (Positive Comity), sowie zu den Konsultationen. Die Behörde einer Vertragspartei ist auf keinen Fall verpflichtet, eine Massnahme (z. B.

eine Durchsuchung) auf Ersuchen der Behörde der anderen Vertragspartei durchzuführen.

Im Rahmen der Verhandlungen haben die Schweiz und die Europäische Kommission einen ergänzenden Notenaustausch vereinbart, um gewisse praktische Probleme bei der Notifikation hoheitlicher Akte durch die jeweils andere Behörde zu regeln. Die Verbalnoten sehen im Sinn eines vereinfachten Verfahrens vor, dass die Kommission ihre Akte der zuständigen Schweizer Behörde (WEKO) zustellt, die sie ihrerseits den betroffenen Unternehmen weiterleitet.

Das Abkommen beruht auf dem Grundsatz der Äquivalenz der jeweiligen wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen der Vertragsparteien. Die Vertragsparteien wenden weiterhin ihre nationalen Gesetzgebungen an. Das Abkommen ist verfahrensrechtlicher Natur und verlangt keine materielle Harmonisierung des Rechts. Die Frage nach der Übernahme des Rechtsbestandes (acquis) der EU und die institutionellen Fragen stellen sich daher nicht. Die staatlichen Beihilfen, die Teil des Wettbewerbsrechts der EU sind, vom Schweizer Kartellgesetz jedoch nicht behandelt werden, sind nicht Gegenstand des Abkommens.

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Botschaft 1

Grundzüge des Abkommens

1.1

Ausgangslage

Angesichts der starken Verflechtung zwischen den Volkswirtschaften der Schweiz und der Europäischen Union (EU) nehmen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, welche die Gerichtsbarkeit der Schweiz und jene der EU betreffen, zu. Die Wettbewerbsbehörden stossen beim Vollzug der Wettbewerbsgesetzgebung auf Schwierigkeiten, da ihr Handlungsspielraum juristisch grundsätzlich auf das nationale Hoheitsgebiet beschränkt ist. Auf internationaler Ebene ist heute weitgehend anerkannt, dass eine wirksame Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden zur Verbesserung der Lage beiträgt.

Heute verfügen die Schweiz und die EU über kein spezifisches Instrument für die Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich. Von den geltenden Abkommen mit der EU enthält nur das Abkommen vom 21. Juni 19991 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr (Luftverkehrsabkommen) Bestimmungen zur Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich, die jedoch auf den Luftverkehrssektor beschränkt sind. Die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU erfolgt somit vorwiegend informell, entweder bilateral oder im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und des internationalen Wettbewerbsnetzwerks (International Competition Network, ICN). Diese Zusammenarbeit ist begrenzt, namentlich weil der Austausch von Informationen, die eine Behörde im Verlauf eines Verfahrens erlangte, nicht zulässig ist. Solche Informationen sind im schweizerischen Recht wie im Gemeinschaftsrecht durch Bestimmungen zum Amtsund zum Geschäftsgeheimnis geschützt. Ausserdem ist die Schweizer Wettbewerbsbehörde heute im Vergleich zu den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten der EU benachteiligt, die im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes (European Competition Network, ECN) vertrauliche Informationen untereinander und mit der Europäischen Kommission austauschen können. Diese Situation beeinträchtigt den wirksamen Vollzug der schweizerischen Wettbewerbsgesetzgebung im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, indem der Zugang zu Beweismitteln ausserhalb des Hoheitsgebiets der Schweiz erschwert wird. Sie führt auch zu Doppelspurigkeiten sowie zu einem Mangel an Kohärenz bei Entscheiden zu den gleichen Sachverhalten. In den
letzten Jahren war die Schweizer Wettbewerbsbehörde mit mehreren Fällen grenzüberschreitender Kartelle konfrontiert, bei denen eine Zusammenarbeit im Sinne des Abkommens die Arbeit wirksamer gemacht hätte. Bei den folgenden Beispielen handelt es sich um Fälle, bei denen die Schweiz und die EU parallele Verfahren durchgeführt haben: ­

1

Am 13. Februar 2006 eröffnete die Wettbewerbskommission (WEKO) eine Untersuchung betreffend verschiedene Fluggesellschaften wegen Abreden im Bereich Luftfracht. Es ging bei diesen Abreden um verschiedene Preiszuschläge im Rahmen von Luftfrachttransporten, so etwa Treibstoff-, Sicherheits-, Kriegsrisiko- und Zollabfertigungszuschläge. Die Untersuchung in SR 0.748.127.192.68

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der Schweiz ist noch hängig. Die EU schloss ihr Verfahren betreffend diese Abreden mit Entscheid vom 9. November 2010 und einer Sanktion von 799 Millionen Euro gegen die beteiligten Unternehmen ab.

­

Am 18. Juli 2007 eröffnete die WEKO eine Untersuchung gegen verschiedene Unternehmen wegen Abreden im Bereich Beschläge für Fenster und Fenstertüren. Die an den Abreden beteiligten Unternehmen waren sowohl in der Schweiz als auch international tätig. Die Untersuchung wurde am 18. Oktober 2010 mit Verfügung der WEKO und einer Sanktion von rund 7,6 Millionen Franken abgeschlossen. Drei Unternehmen haben gegen die Verfügung Beschwerde eingereicht. Das parallele Verfahren in der EU wurde am 28. März 2012 mit einer Sanktion von 85 Millionen Euro abgeschlossen.

­

Am 10. Oktober 2007 eröffnete die WEKO eine Untersuchung betreffend den Verband Spedlogswiss sowie gegen verschiedene international tätige Speditions- und Logistikunternehmen. Es bestand der Verdacht auf unzulässige Abreden bei der Festsetzung von Preiszuschlägen, Gebühren und Speditionstarifen bei Speditionsdienstleistungen. Die Untersuchung in der Schweiz wurde am 11. Dezember 2012 mit einer einvernehmlichen Regelung abgeschlossen, die Sanktionen von 6,2 Millionen Franken vorsieht. Das Verfahren der EU wurde am 28. März 2012 mit Sanktionen in der Höhe von 169 Millionen Euro beendet.

­

Am 16. Dezember 2008 eröffnete die WEKO eine Untersuchung betreffend verschiedene international tätige Unternehmen im Bereich Komponenten für Heiz-, Kühl- und Sanitäranlagen (Wassermanagement). Die Untersuchung wurde am 10. Mai 2010 mit Verfügung der WEKO und einer Sanktion von 169 000 Franken abgeschlossen. Der Entscheid der WEKO ist rechtskräftig.

Das parallele Verfahren bei der EU ist noch hängig.

­

Am 3. Februar 2012 eröffnete die WEKO eine Untersuchung betreffend verschiedene Banken im Zusammenhang mit den LIBOR-Manipulationen. Es besteht der Verdacht, dass die Banken mittels unzulässiger Abreden die Höhe des LIBOR-Zinssatzes manipuliert haben. Die Verfahren in der Schweiz und in der EU sind im Gange.

Angesichts dieser Feststellungen haben die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU seit mehreren Jahren den Wunsch nach einem Rechtsrahmen geäussert, der ihnen eine bessere Zusammenarbeit erlaubt.

1.2

Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Die EU schlug der Schweiz 2008 über ihre damalige Wettbewerbskommissarin vor, die Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich zu verstärken. Die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU legten im Dezember 2008 eine Machbarkeitsstudie vor, welche die Nützlichkeit eines solchen Abkommens und seine Machbarkeit angesichts des hohen Übereinstimmungsgrades des Wettbewerbsrechts der beiden Parteien aufzeigt. Im Herbst 2009 fanden exploratorische Gespräche statt. Am 18. August 2010 genehmigte der Bundesrat das Verhandlungsmandat. Anschliessend wurden in Übereinstimmung mit Artikel 152 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes

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vom 13. Dezember 20022 die Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments und gemäss Bundesgesetz vom 22. Dezember 19993 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes die Konferenz der Kantonsregierungen konsultiert.

Die Verhandlungen wurden im März 2011 aufgenommen und ohne Verzug vorangetrieben, weitgehend mittels Videokonferenzen. Da die beiden Vertragsparteien eine gemeinsame Sicht der verschiedenen Aspekte des Abkommens hatten und sie die Gesetzgebungen im Wettbewerbsbereich als äquivalent betrachteten, schritten die Verhandlungen rasch voran und konnten im April 2012 abgeschlossen werden. Im Mai 2012 bestätigten die Vertragsparteien das Verhandlungsergebnis auf diplomatischem Weg. Die im Verhandlungsmandat definierten Vorgaben wurden vollumfänglich eingehalten. Ein grosser Teil der Diskussionen betraf die konkrete Ausgestaltung des Informationsaustausches. Ziel beider Seiten war es, einen raschen und effizienten Informationsaustausch für die Behörden zu ermöglichen, wobei die Vertraulichkeitsbestimmungen und die Verfahrensgarantien im jeweiligen Recht der Vertragsparteien einzuhalten sind. Andere Elemente des Abkommens stützen sich auf bereits bestehende Abkommen, welche die beiden Parteien abgeschlossen hatten.

Auf Schweizer Seite wurden die Verhandlungen über das Kooperationsabkommen auch als Gelegenheit angesehen, einige praktische Probleme im Bereich der Notifikation hoheitlicher Akte durch ausländische Behörden zu regeln. Die Schweiz hatte sich in der Vergangenheit wiederholt gegen die direkte Notifikation von Verfügungen der Europäischen Kommission gegenüber Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ausgesprochen. Vor den Verhandlungen hatte die Europäische Kommission ihr Interesse geäussert, mit der Schweiz eine Lösung zu dieser Frage zu finden. Da diese Frage der Notifikation hoheitlicher Akte an Unternehmen in der EU jedoch auch in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, hätte die Aufnahme dieses Themas in das Abkommen die Teilnahme aller Mitgliedstaaten der EU erfordert (sog. «gemischtes Abkommen»), was kaum praktikabel gewesen wäre. Es wurde daher entschieden, die Frage der Notifikationen in einem separaten Notenaustausch zu regeln, der zukünftige Verhandlungen zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der EU ermöglicht (vgl. Ziff. 1.5).

Der Bundessrat
und der EU-Rat verabschiedeten das Abkommen am 27. März 2013 bzw. am 22. April 2013. Der Vorsteher des WBF und von Seiten der EU die irische Präsidentschaft sowie der Vize-Präsident der Europäischen Kommission Joaquín Almunia unterzeichneten das Abkommen am 17. Mai 2013 in Brüssel unterzeichnet.

1.3

Überblick über den Inhalt des Abkommens

Das Kooperationsabkommen ist von seiner Natur her ein verfahrensrechtliches Abkommen und sieht keine materielle Harmonisierung der Wettbewerbsrechte vor.

Es beruht auf dem Grundsatz der Äquivalenz der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen der beiden Vertragsparteien. Die Frage nach der Übernahme des Rechtsbestandes der EU stellt sich daher nicht, und jede Vertragspartei wendet weiterhin ihr eigenes Recht an. Durch das Abkommen wird auch kein gemeinsames Organ wie zum Beispiel ein gemischter Ausschuss geschaffen. Die bei den bilateralen Abkom-

2 3

SR 171.10 SR 138.1

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men über den Marktzugang relevanten institutionellen Fragen stellen sich somit für dieses Abkommen nicht.

Die Zusammenarbeit betrifft die Untersuchungen und die Verfahren im Bereich der Abreden, der Missbräuche marktbeherrschender Stellungen und der Unternehmenszusammenschlüsse. Dagegen sind staatliche Beihilfen, die Teil des Wettbewerbsrechts der EU, jedoch nicht Gegenstand des Kartellgesetzes vom 6. Oktober 19954 (KG) sind, nicht Gegenstand des Abkommens. Die Zusammenarbeit wird durch die Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien durchgeführt, d. h. die Wettbewerbskommission (WEKO) für die Schweiz und die Europäische Kommission auf Seiten der EU. Die Zusammenarbeit zwischen der WEKO und den Behörden der EU-Mitgliedstaaten ist vom Abkommen nicht abgedeckt.

Das Abkommen regelt die Notifikationen zwischen den Wettbewerbsbehörden, die Koordinierung der wettbewerbsrechtlichen Durchsetzungsmassnahmen, das Positive Comity und das Negative Comity sowie die Konsultationen einerseits zwischen den Vertragsparteien und andererseits zwischen den Wettbewerbsbehörden. In diesen Bereichen stützt sich der Text des Abkommens weitgehend auf die Empfehlungen des OECD-Rates von 1995 zur Zusammenarbeit zwischen Mitgliedsstaaten im Bereich der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, welche den internationalen Handel betreffen (OECD-Empfehlung von 1995)5 sowie auf die Bestimmungen, welche die Schweiz und die EU in ihren jeweiligen Abkommen mit Japan vereinbart haben6. Die Bestimmungen dieser Abkommen decken allerdings den Austausch vertraulicher Informationen ebenso wenig ab wie die Empfehlung der OECD von 1995. In dieser Hinsicht unterscheidet das Abkommen zwischen der Übermittlung von nicht vertraulichen Daten und dem Austausch von vertraulichen Informationen, wobei Letzterer besonders strikten Anforderungen unterliegt.

1.4

Würdigung

Das Abkommen wird sowohl in der Schweiz als auch in der EU zu einem besseren Schutz des Wettbewerbs beitragen. Dies liegt im Interesse beider Vertragsparteien.

Es ermöglicht eine wirksamere Umsetzung der Wettbewerbsgesetzgebungen. Da die Wettbewerbsrechte der Schweiz und der EU materiell vergleichbar sind, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Behörden Untersuchungen zu identischen Verhaltensweisen durchführen und somit über die jeweils andere Behörde interessierende Informationen verfügen. Dank der Möglichkeit, Informationen zu grenzüberschreitenden Fällen auszutauschen und die Verfahren zu koordinieren, wird das Abkommen die Umsetzung der Wettbewerbsgesetzgebung verbessern und die Feststellung und Beurteilung von Verstössen gegen das Wettbewerbsrecht in der Schweiz und in der EU erleichtern. Die Verfahrensführung wird wirksamer, und Inkohärenzen können vermieden werden, wenn es um den gleichen Sachverhalt geht. Das Vorgehen der WEKO wird optimiert, denn sie kann auf der Grundlage des Abkommens Beweismittel der Europäischen Kommission nutzen. Dies wird den Nachteil wettmachen, den die WEKO heute gegenüber den Wettbewerbsbehörden der EU-Länder 4 5 6

SR 251 Diese Empfehlung ist abrufbar unter: http://acts.oecd.org/ Für die Schweiz sind diese Bestimmungen Teil des Umsetzungsabkommens zum Abkommen vom 19. Februar 2009 über Freihandel und wirtschaftliche Partnerschaft (FHWPA) mit Japan, das am 1. September 2009 in Kraft getreten ist (SR 0.946.294.632).

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erleidet, die im Rahmen des ECN bereits untereinander und mit der Europäischen Kommission zusammenarbeiten.

Das Abkommen entspricht den internationalen best practices, insbesondere jenen der OECD. Hinsichtlich des Austausches von vertraulichen Informationen im Wettbewerbsbereich ist die beschlossene Lösung ausgewogen. Sie erlaubt einen besseren Zugang zu Beweismitteln, bewahrt jedoch weiterhin die erforderlichen Garantien, insbesondere betreffend Vertraulichkeit, Spezialitätsprinzip sowie Rechte der Verfahrensparteien und freies Ermessen der ersuchten Behörde, einem Ersuchen der anderen Vertragspartei Folge zu leisten oder nicht.

Die Umsetzung des Abkommens wird durch die Äquivalenz der beiden Systeme erleichtert, die sich aus der Ähnlichkeit des Wettbewerbsrechts der EU und des Schweizer Kartellrechts ergibt.

Im Hinblick auf die Beziehungen mit der EU bietet das Abkommen der Schweiz ein Kooperationsinstrument, das der wirtschaftlichen Verflechtung mit ihrem wichtigsten Handelspartner angemessen ist. Die Schaffung von Mechanismen, die den Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU ermöglichen, ihre Wettbewerbsgesetzgebung in Fällen grenzüberschreitender wettbewerbswidriger Verhaltensweisen besser umzusetzen, kommt beiden Vertragsparteien zugute. Das Interesse der Schweiz ist umso grösser, als sie nicht über dieselben Möglichkeiten der Zusammenarbeit verfügt wie die EU-Mitgliedstaaten unter sich und ihr Markt verhältnismässig klein ist, was die Wahrscheinlichkeit, dass grenzüberschreitende unzulässige Verhaltensweisen auftreten, erhöht. Ausserdem wird das Abkommen zur Bekämpfung der «Hochpreisinsel» beitragen. Da es sich um ein Zusammenarbeits- und nicht um ein Marktzugangsabkommen handelt, sieht dieses keine Harmonisierung der Gesetzgebungen vor und ist somit nicht durch die institutionellen Fragen betroffen, die seit einigen Jahren zwischen der Schweiz und der EU diskutiert werden. Der Abschluss dieses Abkommens wurde dadurch ermöglicht, dass die Wettbewerbsgesetzgebungen der beiden Vertragsparteien äquivalent sind. Dieser Aspekt könnte auch zur Regelung wettbewerbsrechtlicher Fragen in anderen sich zurzeit zwischen der Schweiz und der EU in Verhandlung befindenden Abkommen beitragen.

1.5

Notenaustausch zur Notifikation hoheitlicher Akte

Das Abkommen wird von einem Notenaustausch zur Notifikation hoheitlicher Akte im Bereich der Wettbewerbspolitik begleitet. Diese Frage wird auf Wunsch der Europäischen Kommission getrennt vom Abkommen behandelt, da die Notifikation solcher Akte an Unternehmen im EU-Raum in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. Eine gegenseitige Regelung hätte daher den Abschluss eines gemischten Abkommens erfordert, bei dem auch die Mitgliedsstaaten Vertragsparteien wären.

Die Beteiligung der Mitgliedstaaten hätte zu einem komplizierteren und längeren Verhandlungs- und Ratifizierungsverfahren geführt. Es ist jedoch vorgesehen, später individuelle Abkommen mit gewissen EU-Mitgliedstaaten auszuhandeln.

Von einer Wettbewerbsbehörde stammende hoheitliche Akte wie Beschlüsse, die Verstösse gegen das Wettbewerbsrecht feststellen oder sanktionieren, sind heute auf diplomatischem Weg zu notifizieren, wenn das betroffene Unternehmen nicht über eine Adresse im Hoheitsgebiet der Behörde verfügt, welche diese Akte erlässt. In 3966

der Vergangenheit hat die Europäische Kommission solche Akte allerdings direkt Unternehmen mit Sitz in der Schweiz notifiziert, was bei diesen Unternehmen zur Frage führte, wie sie derart notifizierten Akten Folge leisten sollten. Der Notenaustausch regelt ein vereinfachtes Verfahren für die Notifikation hoheitlicher Akte der Europäischen Kommission an Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, die nicht über eine Adresse im Gebiet der EU verfügen. Die Europäische Kommission wird solche Akte neu der WEKO zustellen, welche sie ihrerseits an den Adressaten weiterleitet.

Dokumente, die keine hoheitlichen Akte darstellen, wie Informationsanfragen ohne Sanktionsandrohung, können weiterhin direkt den Unternehmen mit Sitz in der Schweiz zugestellt werden. Der Notenaustausch führt damit zu einer besseren Rechtssicherheit für die Unternehmen mit Sitz in der Schweiz.

Angesichts der Tatsache, dass in der EU in diesem Bereich die Mitgliedstaaten für die Entgegennahme von Notifikationen aus dem Ausland zuständig sind, war die EU nicht in der Lage, dasselbe Verfahren für Notifikationen der WEKO an Unternehmen mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat anzubieten. Durch den Notenaustausch verpflichtet sich die Europäische Kommission jedoch, die EU-Mitgliedstaaten über das mit der Schweiz vereinbarte Verfahren zu informieren und sie aufzufordern, eine ähnliche Lösung für Notifikationen der WEKO auf ihrem Hoheitsgebiet in Betracht zu ziehen. Dieses Vorgehen soll zum Abschluss von Abkommen mit den EU-Mitgliedstaaten betreffend die Notifikation hoheitlicher Akte im Wettbewerbsbereich führen. Obwohl die vereinbarte Lösung nicht vollständig gegenseitig sein kann, erlaubt sie doch die Behebung eines häufig vorkommenden praktischen Problems der Schweizer Unternehmen und begünstigt den Abschluss ähnlicher Verfahren zwischen der Schweiz und den EU-Mitgliedstaaten, gegenüber denen die Frage der Notifikationen eine praktische Bedeutung hat.

Der Bundesrat hat diesen Notenaustausch auf der Grundlage von Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe c des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19977 gutgeheissen. Die Bestimmung ermächtigt den Bundesrat, selbstständig völkerrechtliche Verträge abzuschliessen, welche Gegenstände betreffen, die in den Zuständigkeitsbereich des Bundesrates fallen und für die eine Regelung in Form eines
völkerrechtlichen Vertrags angezeigt ist. Artikel 31 Absatz 1 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 19988 sieht vor, dass der Bundesrat bei bedeutenden Fällen dafür zuständig ist, einem fremden Staat die Bewilligung zur Vornahme von Handlungen zu erteilen, die einer Behörde oder einem Beamten zukommen (vgl. Art. 271 des Strafgesetzbuchs, StGB9). Der Notenaustausch ist notwendig, um ein vereinfachtes Verfahren vorzusehen, d. h. eine Bewilligung im Sinne von Artikel 271 Absatz 1 StGB für die Notifikation von Akten der Europäischen Kommission an Unternehmen mit Sitz in der Schweiz durch die WEKO. Dieser Notenaustausch fand gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Abkommens am 17. Mai 2013 statt.

7 8 9

SR 172.010 SR 172.010.1 SR 311.0

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2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Abkommens

Präambel Die Präambel des Abkommens weist insbesondere darauf hin, dass die Wettbewerbssysteme der EU und der Schweiz hinsichtlich materieller Regeln und Verfahren vergleichbar sind. Dies bedeutet in der Praxis, dass unter beiden Gesetzgebungen grundsätzlich dieselben Handlungsweisen als unzulässig erachtet werden. Die Behörden der Vertragsparteien haben auch ähnliche Untersuchungsinstrumente zur Verfügung, und die Verfahrensparteien haben vergleichbare Verteidigungsrechte.

Diese Ähnlichkeit der Rechtssysteme der Vertragsparteien ist eine notwendige Voraussetzung für den Abschluss eines solchen Zusammenarbeitsabkommens. Die Präambel verweist schliesslich auch auf die Empfehlung der OECD von 1995, die auf internationaler Ebene einen wichtigen Standard für die Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich darstellt.

Art. 2

Begriffsbestimmungen

Artikel 2 enthält die wesentlichen Begriffsbestimmungen für das Abkommen. Die Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien werden definiert (Ziff. 1), d. h. für die Schweiz die WEKO einschliesslich ihres Sekretariats und für die EU die Europäische Kommission hinsichtlich ihrer Befugnisse nach dem Wettbewerbsrecht. Sodann wird das Wettbewerbsrecht definiert, und zwar als die jeweiligen Regeln der Vertragsparteien betreffend unzulässige Abreden, Missbräuche einer marktbeherrschenden Stellung und Unternehmenszusammenschlüsse sowie die diesbezüglichen Änderungen (Ziff. 3). Für die Schweiz handelt es sich dabei um das KG und die dazu erlassenen Verordnungen, insbesondere die Verordnung vom 17. Juni 199610 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen und die KG-Sanktionsverordnung vom 12. März 200411. Für die EU geht es insbesondere um die Verordnung (EG) Nr. 1/200312 und um die Freistellungsverordnungen. Die Definition der wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen (Ziff. 4) bezieht sich ihrerseits auf das Wettbewerbsrecht der Vertragsparteien. Dasselbe gilt für die Durchsetzungsmassnahmen (Ziff. 5). Für die Schweiz umfassen die Durchsetzungsmassnahmen die Untersuchungen im Sinne von Artikel 27 KG13 und die Prüfungsverfahren bei Unternehmenszusammenschlüssen nach Artikel 33 KG.

Art. 3

Notifikationen

Die Notifikation von Durchsetzungsmassnahmen durch die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei, die wichtige Interessen der anderen Vertragspartei berühren können, ist ein klassisches Instrument der internationalen Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich und bildet häufig deren Ausgangspunkt. Artikel 3 stützt sich massgeblich auf die Bestimmungen der OECD-Empfehlung von 1995 und auf das 10 11 12

13

SR 251.4 SR 251.5 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (Art. 101 und 102 der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der EU), ABl. L 1 vom 4.1.2003, S. 1.

SR 251

3968

Abkommen über Freihandel und wirtschaftliche Partnerschaft (FHWPA) zwischen der Schweiz und Japan14. Das Abkommen sieht ein einfaches und schnelles Vorgehen für die Notifikationen vor, indem diese auf elektronischem Weg vorgenommen werden können (Abs. 1 in fine). Absatz 2 enthält eine beispielhafte Liste mit Fällen, in denen eine Notifikation vorgenommen werden muss. Es steht den Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien frei, auch andere Notifikationen vorzunehmen, wenn sie der Ansicht sind, dass ihre Durchsetzungsmassnahmen die Interessen der anderen Vertragspartei berühren könnten.

In den Absätzen 3 und 4 wird der Zeitpunkt festgelegt, zu dem eine Notifikation vorgenommen werden muss. Auf Schweizer Seite hat die Notifikation zu erfolgen, wenn ein Prüfungsverfahren nach Artikel 33 KG15 oder eine Untersuchung nach Artikel 27 KG eingeleitet wird (Art. 3 Abs. 3 Bst. b und Abs. 4 Bst. b). Dieser Zeitpunkt fällt mit jenem zusammen, zu dem die entsprechenden Angaben laut Schweizer Recht veröffentlicht werden müssen.

Inhaltlich muss die Notifikation ausführlich genug sein, um der sie erhaltenden Behörde zu erlauben, die wahrscheinlichen Auswirkungen auf die Interessen ihres Hoheitsgebiets abzuschätzen. Die in der Notifikation anzugebenden Informationen sind in Absatz 5 aufgeführt (Namen der von der Untersuchung betroffenen Unternehmen, untersuchte Verhaltensweisen und Märkte, auf die sie sich beziehen, die anwendbaren Rechtsvorschriften und Datum der Durchsetzungsmassnahmen). Sie entsprechen den in der Schweiz bei der Eröffnung einer Untersuchung oder der Prüfung eines Unternehmenszusammenschlusses veröffentlichten Informationen.

Art. 4

Koordinierung von Durchsetzungsmassnahmen

Artikel 4 Absatz 1 erlaubt den Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien, ihre Durchsetzungsmassnahmen zu koordinieren, wenn diese miteinander verbundene Vorgänge betreffen. Diese Formulierung ist bewusst weit gefasst, sodass eine Koordinierung möglich ist, sobald die Wettbewerbsbehörden, auch schon in einem frühen Stadium des Verfahrens (z. B. bei Hausdurchsuchungen), mit miteinander verbundenen Sachverhalten zu tun haben. Auf dieser Grundlage können die WEKO und die Europäische Kommission zum Beispiel die Bedingungen und Auflagen für die Genehmigung eines Zusammenschlusses, der bei beiden Behörden gemeldet wurde, koordinieren. Sie können auch Informationen zur Abgrenzung der Märkte oder zum Stand von Verfahren austauschen. Wie in Artikel 4 Absatz 1 ausdrücklich erwähnt wird, können die Behörden Durchsuchungen auch zeitlich aufeinander abstimmen.

Dieser Aspekt ist besonders wichtig, denn wenn eine Behörde vor der anderen eine Durchsuchung durchführt, geht der Überraschungseffekt bei der zweiten verloren und das Einholen von Beweisen wird erschwert.

Können Durchsetzungsmassnahmen bei miteinander verbundenen Vorgängen koordiniert werden, so trägt dies in der Praxis zur Effizienz der Wettbewerbsbehörden und zur Kohärenz für die von diesen Massnahmen betroffenen Unternehmen bei.

Diese beiden Aspekte kommen auch in der Liste der Gesichtspunkte zum Tragen, welche die Wettbewerbsbehörden bei der Prüfung berücksichtigen, ob bestimmte Durchsetzungsmassnahmen koordiniert werden können (Abs. 2). In Absatz 3 wird ausdrücklich festgehalten, dass die Koordinierung das Recht der Behörden nicht 14 15

SR 0.946.294.632 SR 251

3969

beeinträchtigt, Entscheide unabhängig voneinander zu treffen. So kann die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei ­ vorbehaltlich der ordnungsgemässen Unterrichtung, die keiner Formvorschrift unterliegt ­ der Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei ihre Absicht mitteilen, die Koordinierung einzuschränken und bestimmte Durchsetzungsmassnahmen alleine durchzuführen.

Art. 5 und 6

Vermeidung von Konflikten (Negative Comity) und Positive Comity

In Artikel 5 wird der Grundsatz der Negative Comity festgehalten, d. h. die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei hat den wichtigen Interessen der anderen Vertragspartei bei der Durchsetzung ihres Wettbewerbsrechts Rechnung zu tragen.

Artikel 6 enthält den Grundsatz der Positive Comity, der die Ersuchen betrifft, welche die Behörde einer Vertragspartei an jene der anderen Vertragspartei richtet, um sie zum Ergreifen gewisser Massnahmen aufzufordern. Diese beiden Grundsätze zählen zu den zentralen Konzepten der internationalen Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich und sind auch in der Empfehlung der OECD von 1995 enthalten.

Diese Bestimmungen sind unverbindlich formuliert. Die Wettbewerbsbehörden können somit weiterhin nach ihrem eigenen Ermessen über die zu ergreifenden Durchsetzungsmassnahmen bestimmen. Insbesondere bringt die Positive Comity nach Artikel 6 keine Verpflichtung für eine Wettbewerbsbehörde mit sich, Durchsetzungsmassnahmen auf Ersuchen der anderen Behörde zu treffen. Ausserdem darf eine Wettbewerbsbehörde die andere nicht auffordern, ihre Ermittlungsbefugnisse einzusetzen, um Beweise für sie einzuholen, indem sie zum Beispiel eine Durchsuchung in ihrem Namen durchführt. Die Artikel 5 und 6 erlauben den Wettbewerbsbehörden in erster Linie, über relevante Entwicklungen für die wichtigen Interessen ihres Hoheitsbereichs informiert zu werden, und geben ihnen die Gelegenheit, ihre Ansicht einzubringen. Die «wichtigen Interessen» einer Vertragspartei werden in diesem Zusammenhang nicht definiert; die Beurteilung liegt damit im Ermessen der jeweiligen Wettbewerbsbehörde der Vertragsparteien. Die Liste von Beispielen im Bereich der Notifikationen in Artikel 3 Absatz 2 dieses Abkommens kann als Anhaltspunkt dienen.

Im Bereich der Negative Comity entbinden die in diesem Zusammenhang vorgesehenen Notifikationen die Wettbewerbsbehörden laut Artikel 5 Absatz 2 in fine nicht von ihrer Notifikationspflicht zum Zeitpunkt der Eröffnung eines Verfahrens gemäss Artikel 3 Absätze 3 und 4.

Art. 7

Informationsaustausch

Absatz 1: Absatz 1 legt den Grundsatz fest, dass Ansichten und Informationen unter den in den Artikeln 7­10 festgelegten Bedingungen ausgetauscht werden können.

Die Behörden sind dazu nicht verpflichtet, sie erhalten nur die Möglichkeit dafür.

Der Austausch von nicht vertraulichen Informationen ist uneingeschränkt möglich (Abs. 2). Vertrauliche Informationen gemäss den Absätzen 3 und 4 können hingegen nur in einem formellen Untersuchungsverfahren nach Artikel 27 KG16 ausgetauscht werden. Sobald das Verfahren vor der WEKO abgeschlossen ist, können keine Informationen mehr ausgetauscht werden. Artikel 7 unterscheidet zwischen Erörterungen (Abs. 2), Informationsaustausch mit Zustimmung des betroffenen Unternehmens (Abs. 3) und Austausch von im Untersuchungsverfahren erlangten Informatio16

SR 251

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nen ohne Zustimmung des betroffenen Unternehmens (Abs. 4 ff.), wobei Letzterer besonders strikter Bedingungen unterliegt.

Sobald die Behörden eine Zusammenarbeit beschliessen, ist der Informationsaustausch sowohl für Erörterungen als auch für die Übermittlung von Dokumenten durch Artikel 7 Absätze 2­8 in Verbindung mit den Artikeln 8­10 kaskadenartig geregelt. Je höher der Schutzbedarf der auszutauschenden Informationen, desto strenger sind die Voraussetzungen für die Übermittlung; dies geht bis hin zur Möglichkeit der Verweigerung der Übermittlung. Diese Kaskade besteht aus folgenden Elementen: ­

Die Wettbewerbsbehörden dürfen über alle nicht vertraulichen Informationen sprechen, die sie in einem Verfahren oder ausserhalb eines solchen erlangt haben (Abs. 2).

­

Die Wettbewerbsbehörden dürfen Dokumente und Informationen austauschen, wenn die Unternehmen, von denen die Informationen stammen, dem ausdrücklich zugestimmt haben. Informationen, die Personendaten enthalten, dürfen nur ausgetauscht werden, wenn beide Behörden einen vergleichbaren Sachverhalt in einem formellen Untersuchungsverfahren ermitteln (Abs. 3).

­

Liegt keine Zustimmung der betroffenen Unternehmen vor, so können die Behörden die Informationen nur auf ein formelles Gesuch der Behörde der anderen Vertragspartei hin übermitteln. Beide Behörden müssen den gleichen Sachverhalt in einem formellen Untersuchungsverfahren ermitteln. Das Gesuch muss schriftlich erfolgen und das genaue Verfahren, den untersuchten Sachverhalt, die allenfalls verletzte Gesetzesbestimmung und die beteiligten Unternehmen nennen. Die angefragte Behörde entscheidet, welche Informationen aus ihrem Verfahren relevant sind und die Voraussetzungen für die Übermittlung erfüllen (Abs. 4).

­

Informationen, die eine Behörde mit einer Bonusmeldung oder in Verhandlungen über eine einvernehmliche Regelung erhält, dürfen nicht übermittelt werden, es sei denn, das betreffende Unternehmen stimme dem ausdrücklich zu (Abs. 6).

­

Dokumente dürfen nicht ausgetauscht werden, wenn die Verwendung der Informationen aus rechtsstaatlichen Gründen nicht zulässig ist, z. B. wenn das Verbot der Selbstbelastung nicht eingehalten wurde oder das Anwaltsgeheimnis verletzt ist (Abs. 7).

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Unabhängig von der Art der Information ist keine Behörde zur Übermittlung verpflichtet, insbesondere wenn wichtige Interessen dagegen sprechen oder ihr bei der Aufbereitung oder Übermittlung der Informationen ein unverhältnismässiger Aufwand entstehen würde (Abs. 5).

Absatz 2: Die Dossierverantwortlichen müssen Fälle, die unter das Amtsgeheimnis fallen, mündlich erörtern können. Es handelt sich in diesem Absatz um mündlich ausgetauschte Informationen, während der Austausch gemäss den Absätzen 3 und 4 in der Übermittlung von Dokumenten besteht. Absatz 2 erlaubt informelle Kontakte zwischen den Mitarbeitenden, auch in einer frühen Phase des Verfahrens vor der formellen Eröffnung einer Untersuchung. Solche Kontakte können insbesondere infolge einer Notifikation im Sinne von Artikel 3 oder eines Ersuchens im Rahmen der Positive Comity nach Artikel 6, im Hinblick auf die Koordinierung von Massnahmen im Sinne von Artikel 4 oder für einen Informationsaustausch gemäss Arti3971

kel 7 Absätze 4 ff. erfolgen. Die Absätze 5 und 6 sowie die in Artikel 8 festgelegten Einschränkungen für die Verwendung der Informationen sowie die Vertraulichkeitspflichten gemäss Artikel 9 gelten auch für diese informellen Kontakte.

Absatz 3: Absatz 3 regelt den Informationsaustausch gestützt auf die ausdrückliche schriftliche Zustimmung des betroffenen Unternehmens (waiver). Dieser Absatz betrifft die Situation, in der ein Unternehmen ­ zum Beispiel wenn es einen Zusammenschluss meldet oder der Wettbewerbsbehörde andere Informationen liefert ­ auf die Vertraulichkeit verzichtet und die Behörde ermächtigt, Informationen mit einer oder mehreren ausländischen Behörden auszutauschen. Die Präzisierung, dass personenbezogene Daten nur übermittelt werden dürfen, wenn die Wettbewerbsbehörden dieselben oder miteinander verbundene Verhaltensweisen oder Rechtsgeschäfte untersuchen, widerspiegelt die Anforderungen der Verhältnismässigkeit und der Zweckmässigkeit der Übermittlung von Informationen gemäss Datenschutzgesetzgebung (Art. 4 Abs. 2 und 3 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199217 über den Datenschutz, DSG). Ein solcher Informationsaustausch muss ausserdem die Bestimmungen des DSG einhalten, wie durch den Verweis auf Artikel 9 Absatz 3 des Abkommens unterstrichen wird.

Absatz 4: Falls das Unternehmen, das die Informationen geliefert hat, nicht auf deren Vertraulichkeit verzichtet, legt Absatz 4 die Voraussetzungen fest, unter denen die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei im Untersuchungsverfahren erlangte Informationen als Beweismittel an die Wettbewerbsbehörde der anderen Vertragspartei übermitteln kann. Die betreffenden Anforderungen sollen insbesondere das Risiko von fishing expeditions ausschliessen. Ausserdem können nur Informationen, die der Behörde bereits vorliegen, Gegenstand eines solchen Austausches sein. Das Einholen von Informationen bei Unternehmen im Namen der Behörde der anderen Vertragspartei wird damit ausgeschlossen. In Absatz 4 Buchstabe a wird präzisiert, dass die Informationen nur übermittelt werden dürfen, wenn beide Wettbewerbsbehörden dieselben oder miteinander verbundene Verhaltensweisen (z. B. eine unrechtmässige Abrede oder einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) oder Rechtsgeschäfte (z. B. einen Zusammenschluss) untersuchen. Eine miteinander verbundene
Verhaltensweise liegt zum Beispiel vor, wenn die von einem Kartell betroffenen Märkte der Schweiz und der EU nicht genau identisch sind, ebenso wenn in der Schweiz und in der EU nicht genau dieselben Unternehmen am Kartell beteiligt sind. Laut Absatz 4 Buchstabe b ist für den Informationsaustausch ein formelles (schriftliches) Ersuchen erforderlich, das gewisse Mindestangaben enthalten muss. Da zum Zeitpunkt des Ersuchens die Identität aller Unternehmen nicht immer bekannt ist, die Gegenstand der Untersuchung oder des Verfahrens sind, genügt es, dass die ersuchende Behörde diejenigen Unternehmen mitteilt, gegen die sich die Untersuchung oder das Verfahren zum Zeitpunkt des Ersuchens richtet.

Absatz 4 Buchstabe c erlaubt in der Praxis, den Informationsaustausch auf jene Informationen zu beschränken, die für die ersuchende Behörde von Belang sind.

Diese Einschränkung trägt dazu bei, dass die Zusammenarbeit für die Wettbewerbsbehörden nicht zu einer zu grossen Belastung wird.

Absatz 5: Auch wenn alle Bedingungen erfüllt sind, kann die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei frei entscheiden, ob sie im Untersuchungsverfahren erlangte Informationen erörtern oder übermitteln will. Namentlich kann sie die Zusammenar-

17

SR 235.1

3972

beit verweigern, wenn sie nicht über die erforderlichen Ressourcen für den Informationsaustausch verfügt.

Absatz 6: Der Informationsaustausch darf nicht dazu führen, dass die Effizienz von Bonusmeldungen, mit denen die Unternehmen für ihre Kooperation belohnt werden, oder von Vergleichsverfahren gefährdet wird. Wenn im Rahmen solcher Verfahren gelieferte Informationen durch die Wettbewerbsbehörde einer Vertragspartei frei erörtert oder übermittelt werden könnten, könnte das Unternehmen, das die Informationen geliefert hat, im anderen Hoheitsgebiet in eine nachteilige Lage geraten, insbesondere, falls es dort keine Kronzeugenregelung beantragt hat. Die Wettbewerbsbehörden der Schweiz und der EU messen dem Schutz des Instituts der Bonusmeldung einen sehr hohen Stellenwert bei. Jegliche Übermittlung von Informationen aus einer solchen Meldung ohne Zustimmung der betroffenen Partei(en) würde die Institution in Frage stellen und das Vertrauen der meldenden Unternehmen in die sorgfältige und vertrauliche Behandlung der Informationen durch die Behörden untergraben. Die Bonusmeldung hätte nicht mehr die Wirkung, die sie aufgrund der besonderen Behandlung der gelieferten Informationen durch die Wettbewerbsbehörde im Normalfall hat. Eine ähnliche Problematik herrscht beim Vergleichsverfahren, das ebenfalls eine kooperative Beziehung zwischen der Wettbewerbsbehörde und dem Unternehmen, das gegen die Wettbewerbsregeln verstossen hat, voraussetzt.

Absatz 7: Absatz 7 konkretisiert den Grundsatz der «doppelten Schranke» (double barrier). Laut diesem im Kartellrecht anerkannten Grundsatz darf eine Behörde nur Informationen übermitteln, die sie selbst in ihren Verfahren verwenden dürfte. Sie muss auch die von ihrer Rechtsordnung vorgesehenen Rechte und Schutzbestimmungen einhalten, wenn sie von der anderen Behörde erhaltene Informationen verwendet. So dürfte die WEKO der Europäischen Kommission die Korrespondenz zwischen einem Anwalt und seinem Klienten nicht übermitteln, und die Europäische Kommission dürfte eine solche Korrespondenz nicht verwenden, da diese nach dem Recht der Schweiz und der EU geschützt ist. Wenn die Rechtsordnungen der die Informationen übermittelnden Behörde und jene der sie erhaltenden Behörde ähnliche Garantien vorsehen, wie dies bei der Schweiz und der EU der Fall ist, sind die mit dem
Informationsaustausch verbundenen Risiken für die Rechte der Beteiligten gering. Die Übermittlung von der WEKO bereits vorliegenden Informationen an die Europäische Kommission oder umgekehrt stellt keine Verfügung dar. Daher besteht dagegen keine Beschwerdemöglichkeit. Die betroffenen Unternehmen werden über die Übermittlung der Informationen in Übereinstimmung mit der Datenschutzgesetzgebung informiert. In einem Bereich wie dem Kartellrecht erfordert die Wirksamkeit der Durchsetzungsmassnahmen einen schnellen und effizienten Austausch; ein Beschwerdeverfahren, das mehrere Monate dauern könnte, würde das Abkommen seines Sinnes entleeren. Das Abkommen schränkt jedoch die im internen Recht bestehenden Möglichkeiten der Parteien, die der Ansicht sind, dass ihre Rechte bei der Erhebung der Informationen verletzt worden sind, nicht ein, gegen eine Endoder Zwischenverfügung der WEKO Beschwerde zu erheben, indem sie sich auf die Verletzung dieser Rechte berufen. Sollte die Übermittlung die strikten Bedingungen des Rechts auf Anhörung oder eine der zahlreichen im Abkommen vorgesehenen Schutzbestimmungen verletzen, könnte das betroffene Unternehmen diese geltend machen, um die Verfügung der Behörde, welche die Informationen erhalten hat, anzufechten.

3973

Absatz 8: Absatz 8 verankert den Grundsatz aus dem Datenschutz, laut dem jeder, der personenbezogene Daten bearbeitet, zu gewährleisten hat, dass diese korrekt sind und dass betroffene Dritte die Möglichkeit haben, die Berichtigung unrichtiger Daten zu verlangen. Diese Bestimmung ist durch den Unterschied zwischen der Gesetzgebung der Schweiz und der EU hinsichtlich der Möglichkeit für Dritte, sie betreffende unrichtige Daten korrigieren oder aus dem Dossier streichen zu lassen, begründet. In der EU haben Dritte keinen Zugang zum Dossier und können darin enthaltene sie betreffende Daten nicht ändern. Absatz 8 korrigiert diesen Unterschied, indem er den Unternehmen beider Vertragsparteien erlaubt, ihre Daten durch ihre jeweilige Wettbewerbsbehörde korrigieren zu lassen.

Art. 8

Verwendung von Informationen

Hinsichtlich der Verwendung von Informationen legt Artikel 8 Absatz 1 den Grundsatz der Zweckbestimmung fest: Nur die Behörde, welche die Informationen erhält, darf diese verwenden, und zwar ausschliesslich für die Durchsetzung ihres Wettbewerbsrechts. Die erhaltenen Informationen dürfen also keinen anderen Behörden wie Strafbehörden oder Steuerbehörden weitergegeben werden. Laut Absatz 2 darf die empfangende Wettbewerbsbehörde die im Untersuchungsverfahren erlangten Informationen nur in einem Verfahren verwenden, das dieselben oder miteinander verbundene Verhaltensweisen oder Rechtsgeschäfte betrifft. Diese Bestimmung ergibt sich aus Artikel 7 Absätze 3 und 4 Buchstabe a. Gemäss Absatz 3 dürfen ohne die Zustimmung des betroffenen Unternehmens übermittelte Informationen nur für den in dem Ersuchen festgelegten Zweck verwendet werden. Die empfangende Behörde darf somit diese Informationen nicht in einem anderen Verfahren gegen dasselbe Unternehmen verwenden. Zudem dürfen laut Absatz 4 nach dem Abkommen ausgetauschte Informationen nicht für die Verhängung von Sanktionen gegen natürliche Personen verwendet werden. Im schweizerischen Recht betrifft dieser Ausschluss insbesondere die strafrechtlichen Sanktionen gemäss den Artikeln 54 ff. KG18. Das freie Ermessen der ersuchten Wettbewerbsbehörde findet in Absatz 5 erneut Ausdruck. Dieser erlaubt der ersuchenden Behörde, zusätzliche Bedingungen für die Verwendung der Informationen aufzuerlegen.

Art. 9

Schutz und Vertraulichkeit der Informationen

Absatz 1: Die Wettbewerbsbehörden der Vertragsparteien haben die gestellten oder eingegangenen Informationsanfragen vertraulich zu behandeln und die Vertraulichkeit der nach diesem Abkommen erlangten Informationen nach ihren jeweiligen Rechtsvorschriften zu wahren. Die WEKO und die Europäische Kommission unterliegen bei ihren Tätigkeiten beide dem Amtsgeheimnis. Im Schweizer Recht ist diese Verpflichtung in Artikel 25 KG19 festgehalten. Auf Seite der EU ist die Pflicht für die Beamten der EU, das Berufsgeheimnis zu wahren, in Artikel 339 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV)20 verankert. Dieser wird hinsichtlich Wettbewerbsrecht durch Artikel 28 der Verordnung (EG) Nr. 1/200321 und

18 19 20 21

SR 251 SR 251 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung), ABl. C 83 vom 30.3.2010.

Siehe Fussnote 12.

3974

durch Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 139/200422 umgesetzt. Artikel 9 Absatz 1 bedeutet ausserdem, dass die WEKO keine erhaltenen Informationen an den Preisüberwacher weitergeben darf, was ihr ansonsten nach Artikel 25 Absatz 3 KG erlaubt wäre. Die Fälle, in denen Informationen offengelegt werden dürfen, sind unter den Buchstaben a­d präzise definiert. Die in Buchstabe a erwähnten gerichtlichen Entscheidungen betreffen die Genehmigungen der einzelstaatlichen Gerichte, die erforderlich sind, damit die Europäische Kommission Nachprüfungen gemäss den Artikeln 20 Absatz 8 und 21 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 durchführen kann. Diese gerichtlichen Entscheidungen müssen denselben Fall betreffen, für den die Informationen bei der WEKO erfragt worden sind. Buchstabe b bezieht sich auf das den Parteien in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren zustehende Recht auf Akteneinsicht. Die Offenlegung vor Gericht in Rechtshilfeverfahren ist laut Buchstabe c eine weitere Ausnahme von der Pflicht, die Vertraulichkeit zu wahren. Diese Gerichte unterliegen sowohl in der Schweiz als auch in der EU ähnlichen Geheimhaltungsverpflichtungen wie die Wettbewerbsbehörden. In der Schweiz betrifft diese Bestimmung die Beschwerdeverfahren gegen Verfügungen der WEKO vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesgericht. Nach Buchstabe d ist die Offenlegung schliesslich möglich, sofern und soweit dies für die Ausübung des Rechts auf Zugang zu amtlichen Dokumenten nach den Rechtsvorschriften einer Vertragspartei unerlässlich ist. Im Schweizer Recht geht es um Fälle nach dem Öffentlichkeitsgesetz vom 17. Dezember 200423 (BGÖ) und im Gemeinschaftsrecht um solche gemäss Artikel 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union24, konkretisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 1049/200125. Im Schweizer Recht unterliegt der Zugang zu den Dokumenten den in den Artikeln 7 ff. BGÖ vorgesehenen Ausnahmen. Auf europäischer Seite ist die Konsultation der Dokumente erst nach Abschluss des betreffenden Verfahrens möglich.

In allen Fällen, in denen eine Offenlegung im Sinne von Absatz 1 vorgesehen ist, hat die Informationen empfangende Wettbewerbsbehörde den Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu wahren. Geschäftsgeheimnisse werden je nach dem internen Recht der Vertragsparteien definiert, d. h. nach Artikel 25 Absatz 4 KG und nach
Artikel 339 AEUV. Das Abkommen lässt den Zeitpunkt offen, zu dem Geschäftsgeheimnisse identifiziert werden müssen. Bei der Übermittlung von Informationen kann die ersuchte Behörde entweder bereits die enthaltenen Geschäftsgeheimnisse bezeichnen oder die Dokumente mit dem Hinweis übermitteln, dass sie Geschäftsgeheimnisse enthalten können, womit die empfangende Behörde zuständig ist, diese in Absprache mit dem betroffenen Unternehmen zu identifizieren. In der Schweiz werden die Geschäftsgeheimnisse gemeinsam von der WEKO und vom betroffenen Unternehmen identifiziert und bereits bei der Übermittlung der Informationen an die Europäische Kommission als solche vermerkt.

Absatz 2: Die Parteien nehmen umgehend Konsultationen auf, wenn Informationen in einer den Bestimmungen von Artikel 9 zuwiderlaufenden Weise verwendet oder offengelegt wurden. Dieses Vorgehen ermöglicht den Vertragsparteien, eventuelle 22 23 24 25

Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1.

SR 152.3 ABl. C 303 vom 14.12.2007, S. 1.

Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. L 145 vom 31.5.2001, S. 43.

3975

Schäden möglichst gering zu halten und die Wiederholung einer solchen Situation zu vermeiden.

Absatz 3: Die Datenschutzgesetzgebungen der Schweiz und der EU enthalten Anforderungen, die bei der Übermittlung von Personendaten ins Ausland eingehalten werden müssen. Das Abkommen präzisiert, dass diese Anforderungen beim Informationsaustausch eingehalten werden müssen, wobei jede Vertragspartei den Schutz personenbezogener Daten nach ihren jeweiligen Rechtsvorschriften zu gewährleisten hat. Das Abkommen bildet eine Rechtsgrundlage im Sinne von Artikel 17 DSG26 für die Bearbeitung von Personendaten. Es definiert den Zweck der Bearbeitung, beschreibt die Informationen, die übermittelt werden dürfen, sowie die betroffenen Personen (Art. 7 ff.). Der Erhalt und die Übermittlung von Personendaten stellen eine Bearbeitung im Sinne des DSG dar. Beim Erhalt von Informationen nach Artikel 18a Absatz 3 DSG in Fällen, in denen die Daten nicht bei der betroffenen Person beschafft werden, sondern bei Dritten (wie der Europäischen Kommission), muss die betroffene Person spätestens bei der Speicherung der Daten oder, wenn die Daten nicht gespeichert werden, bei der ersten Bekanntgabe an Dritte informiert werden. Laut den Artikeln 18b Absatz 1 und 9 Absatz 2 DSG kann ein Bundesorgan jedoch die Information verweigern, einschränken oder aufschieben, soweit die Auskunft den Zweck einer Strafuntersuchung oder eines anderen Untersuchungsverfahrens in Frage stellt. Die WEKO kann also die Information der betroffenen Person verweigern, einschränken oder aufschieben, wenn diese Auskunft ihre Untersuchung gefährden könnte. Was die Übermittlung der Informationen angeht, dürfen laut Artikel 6 DSG Personendaten nicht ins Ausland bekannt gegeben werden, wenn dadurch die Persönlichkeit der betroffenen Personen schwerwiegend gefährdet würde, namentlich weil eine Gesetzgebung fehlt, die einen angemessenen Schutz gewährleistet. Für natürliche Personen bietet die Verordnung (EG) Nr. 45/200127einen angemessenen Schutz. Bei juristischen Personen, die von dieser Verordnung nicht abgedeckt werden, zeigt die vergleichende Analyse, dass die allgemeinen Grundsätze des vom DSG gebotenen Schutzes, insbesondere Rechtmässigkeit, Verhältnismässigkeit, Zweckmässigkeit, Korrektheit und Sicherheit der Daten sowie das Zugangsrecht in den durch die
Europäische Kommission durchgeführten Verfahren respektiert werden. Die Unterschiede zwischen der Gesetzgebungen der Schweiz und der EU hinsichtlich der Möglichkeit für Dritte, diese betreffende unrichtige Daten korrigieren oder aus dem Dossier streichen zu lassen, werden im Abkommen besonders behandelt (siehe Art. 7 Abs. 8). Das Abkommen hält somit die Anforderungen des DSG ein.

Art. 10

Unterrichtung der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und der EFTA-Überwachungsbehörde

Auf der Grundlage des Wettbewerbsrechts der EU und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat die Europäische Kommission gewisse Informationspflichten gegenüber den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten (d. h. gegenüber der für die Anwendung des Wettbewerbsrechts zuständigen Behörde jedes Mitgliedstaats gemäss Artikel 2 Ziffer 2 des Abkommens) sowie gegenüber der 26 27

SR 235.1 Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verbreitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.

3976

EFTA-Überwachungsbehörde (ESA). Artikel 10 präzisiert die Tragweite dieser Pflichten im Zusammenhang mit dem Abkommen. Die Europäische Kommission kann die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten über die Notifikationen der WEKO unterrichten, die ihre wichtigen Interessen berühren (Abs. 1 Bst. a). Zudem kann die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Aktivitäten die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten über die Zusammenarbeit und die Koordinierung auf der Grundlage des Abkommens informieren (Abs. 1 Bst. b). Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten arbeiten an der Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts mit der Europäischen Kommission zusammen. Ihre Beteiligung wird durch das Wettbewerbsrecht der EU geregelt, insbesondere durch die Artikel 11 und 14 der Verordnung (EG) Nr. 1/200328 und Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 139/200429.

Die Kommission übermittelt den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten eine Kopie der wichtigsten Schriftstücke, die sie eingeholt hat (Art. 11 Abs. 2 Verordnung [EG] Nr. 1/2003; Art. 19 Abs. 1 Verordnung [EG] Nr. 139/2004). Bevor sie eine Entscheidung trifft, hat sie ausserdem einen beratenden Ausschuss anzuhören, der sich aus Vertretern der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten zusammensetzt (Art. 14 Abs. 1 und 2 Verordnung [EG] Nr. 1/2003; Art. 19 Abs. 3 und 4 Verordnung [EG] Nr. 139/2004). Absatz 1 Buchstabe c des Abkommens präzisiert, dass die Europäische Kommission die Informationen, die von der WEKO nach Artikel 7 des Abkommens übermittelt wurden, insbesondere im Untersuchungsverfahren erlangte Informationen, den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nur zur Erfüllung ihrer Informationspflichten nach diesen Bestimmungen offenlegen darf. Die Europäische Kommission ist ebenfalls befugt, diese Informationen der ESA zu übermitteln, wenn sie dazu gemäss Artikel 6 oder 7 des Protokolls 23 zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 17. März 1993 verpflichtet ist (Abs. 1 Bst. d). Diese Artikel behandeln die Teilnahme an beratenden Ausschüssen und das Ersuchen um Übermittlung von Unterlagen, das eine Überwachungsbehörde an eine andere richten kann. In allen Fällen muss nach Absatz 2 der Grundsatz der Nutzung für einen bestimmten Zweck eingehalten werden, und die Behörden der Mitgliedstaaten sowie die ESA dürfen die auf diese Weise erhaltenen Informationen
weder offenlegen noch für ihre eigenen Verfahren verwenden. Insbesondere bei der Übermittlung von vertraulichen Informationen gemäss Artikel 7 Absätze 3­6 wird die Wettbewerbsbehörde der Schweiz die EU-Wettbewerbsbehörde ausdrücklich daran erinnern, dass die übermittelten Informationen durch das Amtsgeheimnis und das Geschäftsgeheimnis geschützt sind und den Mitgliedstaaten der EU bzw. der ESA nur zum Zweck der Konsultation vor dem Entscheid der Europäischen Kommission übermittelt werden dürfen. Die Europäische Kommission wird auch aufgefordert, bei der Weiterleitung von vertraulichen Informationen aus der Schweiz die Mitgliedstaaten und die ESA an diese Verpflichtungen zu erinnern.

Falls Zweifel bestehen, dass vertrauliche Informationen aus der Schweiz nicht genügend geschützt sein könnten, wird die WEKO von einer Übermittlung so lange absehen, bis die notwendigen Zusicherungen zur vertraulichen Behandlung vorliegen. Sollten Informationen in Verletzung der Pflichten aus dem Amtsgeheimnis und der Verwendungsbeschränkungen gemäss den Artikeln 8­10 weitergegeben werden, würde die WEKO dies in Konsultation mit der Europäischen Kommission klären und korrigieren, bevor weitere Informationen übermittelt werden.

28 29

Siehe Fussnote 12.

Siehe Fussnote 22.

3977

Art. 11

Konsultationen

Das Abkommen sieht Konsultationen einerseits zwischen den Vertragsparteien und andererseits zwischen ihren Wettbewerbsbehörden vor. Diese Konsultationen erfolgen ad hoc, auf Ersuchen einer Vertragspartei beziehungsweise einer Behörde. Das Abkommen schafft somit keine ständigen Institutionen vom Typ eines gemischten Ausschusses. Bei den Konsultationen zwischen den Vertragsparteien ist der besondere Fall der Gesetzesänderungen und der Änderungen relevanter Praktiken für das Funktionieren des Abkommens spezifisch in Artikel 11 Absatz 2 geregelt. Diese Bestimmung gewährleistet, dass die Folgen solcher Änderungen für das Abkommen identifiziert werden und das Abkommen falls nötig entsprechend dem in Artikel 14 festgelegten Verfahren angepasst wird, um diesen Änderungen Rechnung zu tragen.

Art. 12

Mitteilungen

Die Kontaktstellen der Vertragsparteien werden nach der Genehmigung des Abkommens benannt.

Art. 13

Geltendes Recht

Das Abkommen bezweckt keine materielle Harmonisierung des Wettbewerbsrechts der Vertragsparteien. Letztere behalten somit ihre Unabhängigkeit sowohl bei der Formulierung als auch bei der Durchsetzung ihres Wettbewerbsrechts.

Art. 14

Inkrafttreten, Änderung und Kündigung

Das Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten Monats nach dem Datum der letzten Genehmigungsnotifikation in Kraft. Die Vertragsparteien können das Abkommen ändern, und jede Vertragspartei kann es jederzeit mit einer Frist von sechs Monaten kündigen.

3

Auswirkungen

3.1

Finanzielle Auswirkungen und Auswirkungen auf den Personalbestand des Bundes, der Kantone und der Gemeinden

Das Abkommen hat keine Auswirkungen auf die Finanzen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden. Durch die Kooperationstätigkeiten hervorgerufene zusätzliche Arbeit könnte zu Auswirkungen beim Personal des Bundes führen. Jedoch dürften die durch diese Zusammenarbeit hervorgerufenen Zeit- und Effizienzgewinne den allfälligen Mehraufwand wettmachen.

3.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die nachteiligen Auswirkungen wettbewerbsschädigender Abreden treffen in erster Linie andere Unternehmen, insbesondere auch exportierende Unternehmen, die den Firmen, die ein Kartell bilden, Waren abnehmen oder ihnen zuliefern. Als Konsequenz zahlen die Endabnehmer zu hohe Preise. Zu den Endabnehmern in der 3978

Schweiz gehören neben den Unternehmen die Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch der Staat (öffentliches Beschaffungswesen). Die volkswirtschaftlichen Kosten von Kartellen entstehen entsprechend durch Wohlfahrtseinbussen der Haushalte, durch zu hohe Staatsausgaben und eine verringerte Wettbewerbsfähigkeit im Export. Diese Nachteile werden durch die allenfalls erzielten Kartellrenten nicht aufgewogen, vielmehr sind abgesprochene Preise und Geschäftsbedingungen oft mit dem Fortbestand wenig effizienter Unternehmensstrukturen in den kartellierten Branchen verbunden oder führen zu überhöhten Werbe- und Akquisitionsaufwendungen. Solche ineffizienten Wirtschaftsstrukturen und Kostenelemente erhöhen die volkswirtschaftlichen Kosten einer ungenügenden Wettbewerbsintensität.

Diese grundsätzlichen Feststellungen sind mit der weltweiten Entwicklung der Wirtschaftsstrukturen in Verbindung zu bringen, die immer mehr in Richtung globaler Wertschöpfungsketten weisen. Damit ist gemeint, dass sich die Unternehmen der einzelnen Länder immer mehr auf Teilaktivitäten bei der Erzeugung von wirtschaftlichen Leistungen konzentrieren, wie Forschung und Entwicklung, Design, kapital-, know-how- oder arbeitsintensive Produktionsschritte, Headquarter-Funktionen usw.

Auch wenn das Auswirkungsprinzip gilt, muss sich das Wettbewerbsrecht der verstärkten grenzüberschreitenden Verflechtung der Unternehmen anpassen, denn Untersuchungshandlungen innerhalb der nationalen Grenzen werden die nötigen Beweismittel zur Untersuchung eines Falles immer weniger in genügendem Mass beibringen können.

Die verbesserte Anwendung des Wettbewerbsrechts in Fällen, in denen sowohl der schweizerische Markt wie der Markt der EU betroffen sind, wird die Unternehmen zu grösserer Vorsicht beim Eingehen von wettbewerbsrechtlich zweifelhaften Vereinbarungen anhalten. Ein besseres, da abgestimmtes Vorgehen in Fällen, die sich in der Schweiz wie der EU auswirken, liegt im allseitigen volkswirtschaftlichen Interesse.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

Das Zusammenarbeitsabkommen im Wettbewerbsbereich ist Teil des in der Botschaft vom 25. Januar 201230 über die Legislaturplanung 2011­2015 und im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201231 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigten Ziels 9 «Das Verhältnis der Schweiz zur EU ist gestärkt». Ausserdem bezieht sich das Abkommen auf zwei Handlungsfelder der Wachstumspolitik 2012­2015 des Bundesrates, nämlich die Belebung des Wettbewerbs auf dem Binnenmarkt und die internationale Öffnung der Wirtschaft. Indem es die Anwendung der Wettbewerbsgesetzgebung wirksamer macht, fördert das Abkommen die Ziele der Wachstumspolitik und trägt zu günstigen Rahmenbedingungen für ihre Realisierung bei.

30 31

BBl 2012 550 610 BBl 2012 7155 7158

3979

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Das Abkommen stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung32 (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren, unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Bundesversammlung. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge, die unbefristet und unkündbar sind, die den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, dem fakultativen Referendum. Dieses Abkommen ist unbefristet, kann jedoch jederzeit mit einer Vorankündigung von sechs Monaten gekündigt werden. Es bringt keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation mit sich.

Hingegen enthält das Zusammenarbeitsabkommen wichtige rechtsetzende Bestimmungen. Der Austausch vertraulicher Informationen stellt im Bereich des Wettbewerbsrechts ein neues Instrument dar. In der Schweiz werden solche Bestimmungen in der Regel auf Gesetzesebene verankert. Daher untersteht der Genehmigungsbeschuss dem fakultativen Referendum im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen

Das Abkommen ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Das einzige Abkommen zwischen der Schweiz und der EU, das gewisse Fragen der Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich regelt, ist das Luftverkehrsabkommen33.

Das vorliegende Abkommen gilt auch für Sachverhalte, die vom Luftverkehrsabkommen abgedeckt werden, und ist mit den darin enthaltenen Verpflichtungen vereinbar. Insbesondere ist die Frage der jeweiligen Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden nach Artikel 11 des Luftverkehrsabkommens zu regeln und wird vom vorliegenden Abkommen nicht berührt. Die Bestimmungen des Luftverkehrsabkommens zum Informationsaustausch und zur Zusammenarbeit (Art. 19) können parallel zu den Bestimmungen dieses Abkommens angewandt werden. Ausserdem hat das vorliegende Abkommen und die darin vorgesehene formelle Zusammenarbeit keine Auswirkungen auf das Freihandelsabkommen vom 22. Juli 197234 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, das materielle Verpflichtungen im Bereich des Wettbewerbs enthält.

5.3

Datenschutz

Die Vereinbarkeit des Abkommens mit der Datenschutzgesetzgebung wird in Kapitel 2 dieser Botschaft behandelt.

32 33 34

SR 101 SR 0.748.127.192.68 SR 0.632.401

3980

5.4

Vernehmlassungsverfahren

Das Abkommen erfordert keine Anpassung des nationalen Rechts. Die Wettbewerbsbehörden wenden bei ihrer Zusammenarbeit ihr jeweiliges Recht an, und die Schweiz geht keine Zusammenarbeitsverpflichtung ein, die nicht mit ihrer Gesetzgebung vereinbar wäre. Das Abkommen hält ausdrücklich fest, dass es die Formulierung und Umsetzung des Wettbewerbsrechts der Vertragsparteien nicht berührt. Im Einklang mit Artikel 2 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200535 wurde auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet. Ein solches Vorgehen rechtfertigt sich für Verträge ohne oder mit geringfügigen Auswirkungen auf das nationale Recht in Übereinstimmung mit den Leitlinien der Bundeskanzlei vom 30. August 2006 zur Konsolidierung der Praxis betreffend Vernehmlassungsverfahren zu völkerrechtlichen Verträgen.

Die Frage der internationalen Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbsbehörden wurde 2010 in der Vernehmlassung zur Revision des KG angesprochen. Bei dieser Vernehmlassung haben die befragten Kreise den Nutzen einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit im Wettbewerbsbereich anerkannt und die Meinung geäussert, dass eine gegenseitige, auf Abkommen gestützte Lösung gegenüber einer unilateralen Bestimmung im KG zu bevorzugen sei.

35

SR 172.061

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