Kinderschutz im Rahmen der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 7. November 2006

2006-2888

2521

Abkürzungsverzeichnis ANAG Art.

AS AsylG BBl BFM BGE BK Bst.

bzw.

ca.

EJPD GPK-N KRK PVK SR u. a.

UNO usw.

v. a.

vgl.

z.B.

ZGB Ziff.

2522

Bundesgesetz vom 26. März 1931über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, SR 142.20 Artikel Amtliche Sammlung des Bundesrechts Asylgesetz vom 26. Juni 1998, SR 142.31 Bundesblatt Bundesamt für Migration Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung) Bundeskanzlei Buchstabe beziehungsweise zirka Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (Kinderrechtskonvention), SR 0.107 Parlamentarische Verwaltungskontrolle Systematische Sammlung des Bundesrechts unter anderem United Nations Organisation (Vereinte Nationen) und so weiter vor allem vergleiche zum Beispiel Schweizerisches Zivilgesetzbuch, SR 210 Ziffer

Bericht 1

Hintergrund und Gegenstand der Untersuchung

1.1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) hat auf der Grundlage einer Evaluation der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK)1 am 24. August 2005 einen Bericht zur Anwendung der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht verabschiedet2. Die Untersuchung der PVK zeigte, dass teilweise auch Minderjährige3 in Ausschaffungshaft genommen werden. Die Handhabung der Ausschaffungshaft in Bezug auf minderjährige Personen war jedoch nicht Untersuchungsgegenstand der PVK-Studie. Die GPK-N beauftragte deshalb ihre Subkommission EJPD/BK4 am 24. August 2005, Zusatzabklärungen hinsichtlich des Kinderschutzes im Rahmen der Zwangsmassnahmen durchzuführen. Insbesondere sollte überprüft werden, ob beim Vollzug der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft der Kinderrechtskonvention5, z.B. in Bezug auf die Haftbedingungen, gebührend Rechnung getragen wird.

1.2

Vorgehen und Fragestellungen

Die Subkommission EJPD/BK führte mittels Fragebogen bei allen Kantonen eine Umfrage über die Anwendung der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft bei Minderjährigen durch. Die Erhebung umfasste Fragen zu fünf Themenbereichen: 1. quantitative Angaben zur Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft von Minderjährigen in den Jahren 2002 bis 2004; 2. Anwendung der Zwangsmassnahmen bei Familien und die Frage der Trennung Minderjähriger von den Eltern; 3. Trennung Minderjähriger von Erwachsenen in der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft; 4. Zugang Minderjähriger zu Rechtsvertretung und vormundschaftliche Massnahmen bis zur Ausreise; 5. Überprüfung der Minderjährigkeit und statistische Erfassung.

Die Ergebnisse der Umfrage wurden von der PVK ausgewertet und zusammengefasst (Anhang). Die folgenden Schlussfolgerungen der GPK-N basieren auf der Umfrageauswertung der PVK. Der vorliegende Bericht wurde von der Subkommission EJPD/BK am 19. Oktober 2006 zuhanden der GPK-N verabschiedet, die ihn am 7. November 2006 mit 14 zu 5 Stimmen genehmigte und zur Veröffentlichung freigab.

1 2 3 4

5

Evaluation der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Schlussbericht der PVK vom 15.3.2005 zuhanden der GPK-N, BBl 2006 2603.

Anwendung und Wirkung der Zwangsmassnahmen. Bericht der GPK-N vom 24.8.2006, BBl 2006 2579.

Zum Begriff der Minderjährigen im Ausschaffungsrecht und in der Kinderrechtskonvention siehe Ziff. 1.4.

Der Subkommission EJPD/BK der GPK-N gehören an: die Nationalrätinnen und Nationalräte Lucrezia Meier-Schatz (Präsidentin), Max Binder, Toni Brunner, André Daguet, Jean-Paul Glasson, Walter Glur, Josy Gyr-Steiner, Brigitte Häberli-Koller, Claude Janiak, Geri Müller und Kurt Wasserfallen.

Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 (Kinderrechtskonvention KRK, SR. 0.107).

2523

1.3

Zweck und Grenzen der Untersuchung

Der vorliegende Bericht nimmt Bezug auf die Umsetzung bzw. Einhaltung der Kinderrechtskonvention im Rahmen der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht.

Die Schweiz ist der Kinderrechtskonvention am 24. Februar 1997 beigetreten (Inkrafttreten: 26. März 1997). Im September 2007 wird die Schweiz ihren 2. und 3. Staatenbericht zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention beim UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes einreichen. Mit dem vorliegenden Bericht sollen dem Bundesrat, die Umfrageergebnisse sowie die Schlussfolgerungen der GPK-N rechtzeitig vorgelegt werden, damit er diese im Hinblick auf seine Berichterstattung an den UNO-Ausschuss einbeziehen kann. Die Umfrageergebnisse werfen eine Reihe von Fragen auf, die durch Anhörungen der betroffenen kantonalen Behörden und des BFM geklärt werden könnten. Die GPK-N verzichtet darauf, diesen Fragen selbst vertieft nachzugehen; sie weist jedoch wo nötig darauf hin.

Empfehlung 1

Einbezug der vorliegenden Ergebnisse im Staatenbericht der Schweiz an die UNO

Der Bundesrat bezieht die im vorliegenden Bericht dargelegten Ergebnisse sowie die Resultate weiterer darauf basierender Abklärungen in seinen Staatenbericht zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention an den UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes mit ein.

1.4

Thematische Einführung, Begriffe

Die Ausschaffungshaft als wichtigste Zwangsmassnahme im Ausländerrecht kann von der zuständigen kantonalen Behörde zur Sicherstellung des Vollzugs gegenüber einem Ausländer angeordnet werden, gegen den ein erstinstanzlicher Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt, sofern ein Haftgrund besteht (Art. 13b ANAG6).

Häufigster Haftgrund ist die Untertauchensgefahr. Im Weiteren wird für die Einführung in die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht auf die Evaluation der PVK vom 15. März 2005 sowie den darauf basierenden Bericht der GPK-N verwiesen. In der Schweiz dürfen Minderjährige ab dem 15. Altersjahr in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft genommen werden (Art. 13c Abs. 3 ANAG). Die in dieser Studie als Minderjährige in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft bezeichneten Personen sind demnach 15- bis 17-jährige Jugendliche. Gemäss der Definition der Kinderrechtskonvention gelten sie als Kinder.7 Im Zusammenhang mit dem Vollzug der Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft bei Minderjährigen sind vor allem folgende Artikel der Kinderrechtskonvention von Bedeutung:

6 7

Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26.3.1931 (ANAG; SR 142.20).

Nach Art. 1 der Kinderrechtskonvention ist ein Kind im Sinne dieses Übereinkommens jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

2524

­

Art. 3 Abs. 1: «Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.»

­

Art. 9 Abs. 1: «Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist.»

­

Art. 37 Bst. b: «Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird. Festnahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe darf bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden.»

­

Art. 37 Bst. c: «Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, [...] unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen seines Alters behandelt wird. Insbesondere ist jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, von Erwachsenen zu trennen, sofern nicht ein anderes Vorgehen als dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird; [...]»

­

Art. 37 Bst. d: «Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, das Recht auf umgehenden Zugang zu einem rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand und das Recht hat, die Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen, unabhängigen und unparteiischen Behörde anzufechten, sowie das Recht auf alsbaldige Entscheidung in einem solchen Verfahren.»

2

Schlussfolgerungen der Geschäftsprüfungskommission

2.1

Minderjährige in Ausschaffungshaft

Die Erhebung zeigt, dass in den Jahren 2002­2004 insgesamt 355 Minderjährige oder vermutlich Minderjährige (ohne die 32 Haftfälle aus dem Kanton VS8) in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft genommen wurden. Die Ausschaffungshaft9 betrifft somit eine namhafte Anzahl Minderjähriger. Die GPK-N betrachtet es deshalb als sinnvoll, die Praxis der Kantone bei der Durchführung der Ausschaffungs8

9

Die folgenden Daten des Kantons VS konnten nicht in die Auswertung einbezogen werden, weil sie zu spät eingetroffen sind: Im Kanton VS sind in den Jahren 2002-2004 insgesamt 32 Minderjährige in Ausschaffungshaft genommen worden. Bei 18 von ihnen handelte es sich um abgewiesene Asylsuchende. 10 Minderjährige blieben bis vier Tage in Haft, 13 Minderjährige bis einen Monat, drei bis drei Monate und sechs bis sechs Monate. Die prozentualen Anteile der verschiedenen Haftdauern von Minderjährigen (vgl.

Tab. 1 und 2 im Anhang) ändert sich nicht substanziell, wenn die Angaben des Kantons VS berücksichtigt werden. Drei Minderjährige waren in Begleitung ihrer Eltern in der Schweiz; sie wurden in Haft genommen, weil bezweifelt wurde, dass sie die Schweiz in Begleitung ihrer Eltern verlassen würden.

Da die Vorbereitungshaft nur gerade in einem Fall vorkam, ist im Folgenden nur noch von der Ausschaffungshaft die Rede.

2525

haft bei Minderjährigen, insbesondere im Lichte der Umsetzung der Kinderrechtekonvention, zu überprüfen.

Die Kinderrechtskonvention verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Festnahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe bei einem Kind nur als letztes Mittel und für die «kürzeste angemessene Zeit» angewendet werden darf (Art. 37 Bst. b KRK).

Weiter verlangt die Kindeswohlmaxime der Kinderrechtskonvention, dass bei allen Massnahmen das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt sein soll, der vorrangig zu berücksichtigen ist (Art. 3 Abs. 1 KRK).

Die Umfrageauswertung sowie ein Vergleich mit den Gesamtzahlen der gemäss der Evaluation der PVK von 2005 in Ausschaffungshaft Genommenen hat gezeigt, dass fast 60 Prozent der betroffenen Minderjährigen über 4 Tage inhaftiert werden der Anteil derer, die länger als 3 Monate inhaftiert sind, liegt bei den Minderjährigen je nach Erhebung zwischen 14 und 18 Prozent , bei der Gesamtheit der Ausschaffungshäftlingen jedoch lediglich bei 8 Prozent. Von langen Haftdauern zwischen 6 und 9 Monaten sind bei den Minderjährigen 4­5 Prozent betroffen, während es bei der Gesamtheit der Ausschaffungshäftlinge 2 Prozent sind (siehe Anhang, Tabelle 2). Selbst wenn man einbezieht, dass einige Ausschaffungshäftlinge als Minderjährige erfasst sind, obwohl sie volljährig sind (vgl. Anhang, Punkt 5), erscheint die Zahl der längeren Haftdauern hoch. Aufgrund der Vorgabe der Kinderrechtskonvention würde man eine gegenläufige Tendenz erwarten.

Für die GPK-N ergeben sich aus diesen Zahlen eine Reihe von Fragen: ­

Welches sind die Gründe für die im Schnitt längeren Haftdauern bei Minderjährigen?

­

Die Ausschaffungshaft betrifft fast ausschliesslich unbegleitete, grossmehrheitlich männliche Minderjährige. Ist die Kategorie der Minderjährigen in Ausschaffungshaft besonders schwierig auszuschaffen?

­

Gibt es allenfalls sachfremde Gründe, warum die Kantone Minderjährige länger in Haft behalten (nach Hinweisen, die der GPK aus der Bundesverwaltung zugegangen sind, könnte ein solcher Grund z.B. darin bestehen, dass mit der Rückführung gewartet wird, bis die Auszuschaffenden volljährig sind, weil dann ein organisatorischer Mehraufwand für die Schweizer Behörden entfällt, der bei Minderjährigen entsteht (die Kinderrechtskonvention verlangt, dass Minderjährige nur dann in ihr Heimatland oder einen Drittstaat ausgeschafft werden dürfen, wenn sichergestellt ist, dass sie am Flughafen an Verwandte übergeben werden oder z.B. ein Waisenhaus sie aufnimmt)?

­

Sind die Kantone genügend für das Gebot der Kinderrechtskonvention sensibilisiert, in jedem Einzelfall die Haftdauer möglichst kurz zu halten bzw.

bei jeder Entscheidung das Kindeswohl in die Interessenabwägung miteinzubeziehen?

2526

Empfehlung 2

Abklärung der Gründe für die langen Haftdauern bei Minderjährigen

Die GPK-N empfiehlt dem Bundesrat, die Gründe abzuklären, die bei Minderjährigen zu längeren Haftdauern als bei Volljährigen führen, und gegebenenfalls Massnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung der Kinderrechtskonvention zu treffen.

Im Weiteren stellt die GPK-N wie bereits in ihrem Bericht vom 24. August 2006 über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht fest, dass die grossen Unterschiede in der Praxis der Kantone zu stossenden Ungleichbehandlungen führen können.

Während einzelne Kantone gesetzliche oder verwaltungsrechtliche Bestimmungen kennen, welche die Ausschaffungshaft bei Minderjährigen überhaupt verbieten (obwohl das Bundesrecht vorsieht, dass Minderjährige ab dem 15. Altersjahr in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft genommen werden können, Art. 13c Abs. 3 ANAG), handhaben die meisten Kantone die Haftanordnung bei Minderjährigen nach den gleichen Massstäben wie bei erwachsenen Personen. Das hat zur Folge, dass ein Minderjähriger im einen Kanton bis zu 9 Monaten in Haft genommen wird, während er bei gleichem Verhalten in einem anderen Kanton nicht in Ausschaffungshaft genommen werden kann.

Empfehlung 3

Harmonisierung der Vollzugspraxis in den Kantonen

Der Bundesrat wirkt bei den Kantonen darauf hin, dass sie ihre Vollzugspraxis im Bereich der Ausschaffungshaft bei Minderjährigen harmonisieren und stossende Ungleichbehandlungen im Vergleich zwischen den Kantonen vermieden werden.

2.2

Haftbedingungen und Trennung Minderjähriger in Ausschaffungshaft von Erwachsenen

Die Kinderrechtskonvention verlangt von den Vertragsstaaten, dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen seines Alters behandelt wird und insbesondere von Erwachsenen zu trennen ist, sofern nicht ein anderes Vorgehen als dem Wohl des Kindes dienlich erachtet wird (Art. 37 Bst. c KRK). Die Schweiz formulierte anlässlich der Ratifikation zu Artikel 37 Buchstabe. c (Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen im Freiheitsentzug) folgenden Vorbehalt: «Die Trennung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen im Freiheitsentzug wird nicht ausnahmslos gewährleistet.» Dazu heisst es im ersten Bericht der Schweiz an den UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes: «Die Schweiz kann im weiteren bis anhin keine ausnahmslose Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen im Freiheitsentzug garantieren. [...] Das neue Jugendstrafgesetz wird eine vollständige Trennung der Jungendlichen und Erwachsenen vorsehen.

Während die Trennung im Rahmen der Untersuchungshaft sofort nach Inkrafttreten der neuen Regelung beachtet werden muss, erhalten die Kantone für den Bereich des

2527

Vollzugs von Strafen und Massnahmen eine Frist von 10 Jahren zur Schaffung der erforderlichen Institutionen. Danach wird der Rückzug des Vorbehaltes möglich sein.»10 Die meisten Kantone geben an, für Minderjährige keine besonderen, d.h. ihrem Alter angepassten Haftbedingungen gegenüber Volljährigen zu gewähren, abgesehen von den allgemeinen erleichterten Bedingungen, die für die Ausschaffungshaft als Administrativhaft im Gegensatz zur Untersuchungs- und Strafhaft bestehen (siehe Anhang, Punkt 1). Ein Kanton verweist auf einen Bundesgerichtsentscheid, wonach Minderjährige keinen Anspruch auf ein spezifisches Haftregime haben. Das Bundesgericht führt in diesem Entscheid aus dem Jahre 1996 aus: «Zwar ist der Beschwerdeführer noch minderjährig, doch gibt ihm dies grundsätzlich keinen Anspruch auf ein spezifisches Haftregime, auch wenn bei minderjährigen Häftlingen die Bedürfnisse von Personen des entsprechenden Alters zu berücksichtigen sind.

Nach Artikel 13c Absatz 3 ANAG ist die Anordnung von Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft gegenüber Kindern und Jugendlichen ausgeschlossen, soweit sie das 15. Altersjahr noch nicht zurückgelegt haben. Der Gesetzgeber ging damit davon aus, dass die Haft ab dieser Altersgrenze an sich in den gleichen Einrichtungen wie für Erwachsene vollzogen werden kann» (BGE 122 II 299, E. 7a).

Im Weiteren sind in fast allen Kantonen Minderjährige in Ausschaffungshaft nicht getrennt von Erwachsenen untergebracht. Zu diesem Punkt führt derselbe Bundesgerichtsentscheid aus: «Zu Recht weisen die kantonalen Behörden darauf hin, dass sich die strafrechtlichen und für die Untersuchungshaft geltenden Bestimmungen über die Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen nicht unbesehen auf die ausländerrechtliche Administrativhaft übertragen lassen. Geht es dort um den Schutz von leicht beeinflussbaren Jugendlichen vor Kontakten mit älteren (und eventuell verhärteten) Straftätern, besteht hier in der Regel kein solches Trennungsbedürfnis; ...» (BGE 122 II 299, E. 7a).

Der zitierte Bundesgerichtsentscheid ist noch vor dem Inkrafttreten der Kinderrechtskonvention für die Schweiz im Jahr 1997 ergangen. Zur Frage, ob sich aus der Kinderrechtskonvention ein weitergehendes Trennungsgebot ergibt oder besondere Haftbedingungen abzuleiten sind, hat sich die Rechtsprechung bisher nicht geäussert.
Die GPK-N kommt zum Schluss, dass in Bezug auf die Trennung Minderjähriger von Erwachsenen in der Ausschaffungshaft rechtlicher Klärungsbedarf besteht. Ist das Trennungsgebot der Kinderrechtskonvention für die Ausschaffungshaft als Form der Administrativhaft anwendbar? Ist diese Frage zu bejahen, erachtet es die GPK-N als erforderlich, dass die Kantone im Hinblick auf einen möglichst baldigen Rückzug des Vorbehaltes der Schweiz darauf hinweisen, dass sie die erforderlichen Massnahmen ergreifen, um auf eine solche Trennung hinzuwirken. Offene Fragen bestehen zudem im Bereich der praktischen Umsetzung eines solchen Trennungsgebotes in den Kantonen. Führt die Trennung von Erwachsenen u. U. zu einer gesetzeswidrigen Isolation oder genügt es, Einzelzellen zur Verfügung zu stellen, deren Türen offen sind und die eine freie Zirkulation sowie soziale Kontakte ermöglichen?

Zu prüfen wäre allenfalls, ob Minderjährige, die in Ausschaffungshaft genommen werden, nicht in einigen Zentren in der Schweiz zusammengezogen werden sollten, 10

Erster Bericht der Schweiz an den UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes über die tatsächliche und rechtliche Situation der Kinder in der Schweiz (Zusammenfassung der Originalversion vom 1.11.2000), S. 15.

2528

damit ihnen kindergerechte Haftbedingungen (Trennung von Erwachsenen, ohne dass die Gefahr einer Isolation entsteht, und Möglichkeiten für Minderjährige, untereinander Kontakte zu haben) geboten werden können.

Empfehlung 4

Klärungsbedarf hinsichtlich besonderer Haftbedingungen

Die GPK-N empfiehlt dem Bundesrat, die Frage zu klären, ob sich aus der Kinderrechtskonvention besondere Haftbedingungen und insbesondere ein Trennungsgebot für Minderjährige von Erwachsenen in der Ausschaffungshaft ableiten lassen, und zusammen mit den Kantonen nach praktischen Lösungen für eine allfällige Umsetzung solcher Haftbedingungen zu suchen.

2.3

Trennung Minderjähriger in Ausschaffungshaft von den Eltern

Nach der Kinderrechtskonvention müssen die Vertragsstaaten sicher stellen, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist (Art. 9 Abs. 1 KRK). Inwieweit diese Bestimmung für die Ausschaffungshaft von Minderjährigen überhaupt anwendbar ist, wurde vorliegend nicht näher untersucht. Immerhin kann gesagt werden, dass entsprechend dem Geist und Sinn der Kinderrechtskonvention Minderjährige in der Ausschaffungshaft wenn immer möglich nicht von ihren Eltern getrennt werden sollten.

Die meisten Kantone ordnen bei Familien nur die Ausschaffungshaft des Familienoberhauptes an. Lediglich in wenigen Kantonen wird die Inhaftierung ganzer Familien nicht ausgeschlossen. Die Ergebnisse der Umfrage bei den Kantonen weisen in Bezug auf die Trennung Minderjähriger in Ausschaffungshaft von den Eltern auf keine Problemfelder hin.

2.4

Zugang zu Rechtsvertretung und vormundschaftliche Massnahmen

Nach der Kinderrechtskonvention müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, das Recht auf umgehenden Zugang zu einem rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand hat (Art. 37 Bst. d KRK).

Das Asylgesetz schreibt vor, dass die Kantone unbegleiteten minderjährigen asylsuchenden Personen für die Dauer des Asylverfahrens unverzüglich eine Vertrauensperson zuweisen, die deren Interessen wahrnimmt (Art. 17 Abs. 3 AsylG11). Die meisten Kantone gehen denn auch davon aus, dass diese Vertrauenspersonen ihre Interessenwahrnehmung für die Minderjährigen auch während der Ausschaffungshaft fortsetzen. Diese würden in der Regel bei einer Haftanordnung orientiert. Eine eigentliche Rechtsvertretung stellen den Minderjährigen nur einzelne Kantone, zudem nur unter bestimmten Bedingungen, zur Seite (vgl. Anhang Ziff. 4). Noch 11

Asylgesetz vom 26.6.1998 (SR 142.31).

2529

weniger gewährleistet scheint ein Beistand für die Minderjährigen in Ausschaffungshaft nach ANAG12 zu sein. Ihnen steht keine Vertrauensperson im Sinne des Asylgesetzes zur Seite; doch müssen die Kantone nach den Vorschriften des Zivilgesetzbuches13 dafür besorgt sein, dass für unbegleitete Minderjährige nötigenfalls vormundschaftliche Massnahmen eingeleitet werden. Viele Kantone treffen jedoch keine Massnahmen zur aktiven Unterstützung der Minderjährigen und begnügen sich damit, den Minderjährigen ein Orientierungsblatt über ihre Rechte abzugeben oder auf das Anwaltsverzeichnis aufmerksam zu machen.

Die GPK-N ist der Meinung, dass dem besonderen Schutzbedürfnis von unbegleiteten Minderjährigen in der Ausschaffungshaft im Sinne der Kindeswohlmaxime der Kinderrechtskonvention in geeigneter Weise Rechnung zu tragen ist. Die unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen (Asylgesetz, ANAG) sowie die uneinheitliche Praxis in den Kantonen bergen die Gefahr in sich, dass nicht allen betroffenen Minderjährigen der nötige Beistand zukommt.

Empfehlung 5

Sicherstellung der Rechtsvertretung und allfälliger vormundschaftlicher Massnahmen

Die GPK-N empfiehlt dem Bundesrat, bei den Kantonen darauf hinzuwirken, dass sie eine aktive Rolle bei der Sicherstellung der Rechtsvertretung und allfälliger vormundschaftlicher Massnahmen (Errichtung einer Vormundschaft oder einer Beistandschaft) übernehmen. Anzustreben ist eine unter den Kantonen einheitliche, kooperative und dem Kindeswohl gerecht werdende Praxis.

3

Weiteres Vorgehen

Die GPK-N bittet den Bundesrat, bis Ende März 2007 zu ihren in diesem Bericht vorgelegten Schlussfolgerungen und Empfehlungen Stellung zu nehmen und sie über getroffene Massnahmen zu informieren.

7. November 2006

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Vizepräsident: Pierre-François Veillon Der Sekretär: Philippe Schwab Die Präsidentin der Subkommission EJPD/BK: Lucrezia Meier-Schatz Die Sekretärin der Subkommission: Irene Moser

12 13

Minderjährige, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, aber kein Asylgesuch gestellt haben und in Ausschaffungshaft genommen worden sind.

Schweizerisches Zivilgesetzbuch, Art. 368 (ZGB, SR 210).

2530

Anhang

Umfrage der GPK-N zum Kinderschutz im Rahmen der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht Auswertung der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle vom 21. März 2006

2531

Allgemeine Bemerkungen Auf die schriftliche Umfrage der GPK-N vom 14. November 2005 haben alle 26 angeschriebenen Kantonen geantwortet.14 Wegen verspäteten Eintreffens konnte die Antwort des Kantons VS nicht in die Auswertung einbezogen werden. Die Antworten auf die Fragen der GPK-N sind hinsichtlich Datenqualität nicht immer befriedigend ausgefallen. So konnten die Kantone BS und LU bloss Schätzungen angeben oder der Kanton ZH nur sehr grob strukturierte Daten liefern.

Die Auswertung enthält die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage und geht kurz auf Unterschiede zwischen den Kantonen ein.

1.

Minderjährige in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft

In 20 der befragten Kantone werden Jugendliche in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft genommen. Dabei wurde nur in einem Einzelfall unterschieden, um welche Haftart es sich handelte. Generell scheint die Vorbereitungshaft aber äusserst selten zu sein (Kanton UR nennt explizit einen Fall), weshalb nachfolgend einzig von Ausschaffungshaft die Rede ist.

Die Kantone GE, NE und VD kennen gesetzliche oder verwaltungsinterne Bestimmungen, die Ausschaffungshaft bei Minderjährigen verbieten. Der Kanton TI hat keine Minderjährigen inhaftiert, weil er andere Massnahmen wie etwa Rückkehrprogramme bevorzugt. Der Kanton GL, der ebenfalls keine Minderjährigen inhaftiert hat, belässt minderjährige betroffene Personen am Aufenthaltsort, bis Papiere vorliegen und eine Ausschaffung möglich ist. Die Kantone AI, AR und JU wenden Ausschaffungshaft auf Minderjährige an, hatten aber in den Untersuchungsjahren 2002­2004 keine solchen Fälle. Im Reglement des Kantons FR zur Haft nach Ausländerrecht ist verankert, dass das jungendliche Alter des Inhaftierten im Haftvollzug zu berücksichtigen ist und dass vom Haftregime zugunsten des Minderjährigen abgewichen werden kann.

Zwischen 2002 und 2004 wurden in 17 Kantonen insgesamt 355 Minderjährige oder vermutlich Minderjährige in Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft genommen.

Fast die Hälfte davon stammt aus dem Kanton ZH (162 Fälle), mit Abstand folgen die Kantone BL (42 Haftfälle), BE (39) und BS (24). Die Kantone SO (16), GR (14) und SG (12) wiesen zwischen 12 und 16 Fälle auf, die übrigen Kantone hatten weniger als 10 Fälle in drei Jahren. Alle Kantone mit über 10 Fällen plus der Kanton UR wandten Ausschaffungshaft gegen Minderjährige in jedem der drei untersuchten Jahre an, bei den anderen gab es anordnungslose Jahre.

Nachfolgende Tabelle zeigt, wie lange Minderjährige zwischen 2002­2004 in Ausschaffungshaft genommen wurden (ohne die Kantone ZH und LU [ca. 3­6 Fälle], da nur Unterscheidung über und unter vier Tage Haftdauer bzw. keine Angaben hierzu vorhanden). Zudem geht daraus hervor, wie viele der Minderjährigen Asylsuchende waren. Es zeigt sich, dass die meisten Fälle aus dem Asylbereich stammten: mindestens 139 der 188 inhaftierten Minderjährigen waren Asylsuchende. Zudem fehlt auch hier der Kanton ZH, der in der Statistik nicht zwischen Asyl- und ANAG-

14

In Fussnote 8 (Abschnitt 2.1 des Berichts) finden sich die vom Kanton VS angegebenen Daten zu den Minderjährigen in Ausschaffungshaft.

2532

Bereich unterscheidet; aus der Evaluation der PVK zu den Zwangsmassnahmen15 ist hierzu zu entnehmen, dass in diesem Kanton die ANAG-Fälle mit 74 Prozent deutlich überwiegen, wenn man von allen Fällen (Minderjährige und Volljährige) ausgeht. Dieses Verhältnis ist im Kanton ZH auch beim Segment der Minderjährigen ähnlich. Rund zwei Drittel der zwischen 2001 und 2003 in Ausschaffungshaft gesetzten 190 Minderjährigen zählten zum ANAG-Bereich.

Tabelle 1 Minderjährige in der Ausschaffungshaft nach Haftdauer und Kanton und Anteile Asylsuchender (2002­2004) bis 4 Tage

bis 1 Monat

bis 3 Monate

bis 6 Monate

AG* BE BL BS** FR GR NW OW SG SH SO SZ** TG*** UR ZG

2 5 8 24 4 5 2 1

1 11 5

13 22

10 5

3 6

2

1

2

1

bis 9 Monate

2

2

12

Total

davon Asylsuchende

3 39 42 24 7 14 2 3 12 2 16 6 4 1 4

3 39 33 ** 4 14 2 6 12 1 11 ** 4 7 3 mind. 14 (max. 165)

1 7 6

1 6

1 3

3 1

2

Total

69

39

54

17

9

179

In %

36 %

21 %

29 %

9%

5%

100 %

* ** ***

3 4 1

keine Angaben zum ANAG-Bereich keine Unterscheidung ANAG/Asyl Dauer nur als Mittelwert angegeben

Gemäss der Auswertung ist die Haftdauer bei 36 Prozent der Fälle mit bis zu vier Tagen sehr kurz. Bei 5 Prozent der Fälle, die aus vier Kantonen stammen (Kantone BL, OW, TG und UR), kann die Haft sechs bis neun Monate dauern. Der Kanton ZH hat angegeben, dass von den 162 inhaftierten Minderjährigen 74 Personen weniger als vier Tage in Haft waren und 88 länger. Nimmt man die Fälle aus dem Kanton Zürich und den anderen Kantonen zusammen, so kann gesagt werden, dass fast 60 Prozent der betroffenen Minderjährigen über vier Tage inhaftiert sind.

15

Evaluation der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Schlussbericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 15. März 2005 (BBl 2006 2603).

2533

Um die Lücke der fehlenden Differenzierung der Haftdauer für den Kanton ZH zu schliessen, wurden die diesbezüglichen Daten aus den Jahren 2001­2003 der Evaluation der PVK zu den Zwangsmassnahmen erneut ausgewertet, und zwar spezifisch für die Gruppe der Minderjährigen. In dieser Zeit wurden im Kanton ZH insgesamt 190 Minderjährige inhaftiert: 68 Asylsuchende und 122 aus dem ANAGBereich. Nur in einem einzigen Fall handelte es sich um Vorbereitungshaft (2001, ANAG, Haftdauer 25 Tage). In der folgenden Tabelle werden die Ergebnisse zu den Haftdauern von Minderjährigen jenen der Erhebung der PVK aus dem Jahre 2005 gegenüber gestellt (Minderjährige und Volljährige in Ausschaffungshaft in fünf Kantonen): Tabelle 2 Haftdauer von Minderjährigen in Ausschaffungshaft und Vergleich mit der Erhebung der PVK aus dem Jahre 2005 bis 4 Tage

bis 1 Monat

bis 3 Monate

bis 6 Monate

bis 9 Monate

69 (36 %)

39 (21 %)

54 (29 %)

17 (9 %)

9 (5 %)

93 (48 %)

43 (23 %)

21 (11 %)

26 (14 %)

7 (4 %)

Evaluation der PVK, alle Haftfälle in 5 Kantonen (BL, GE, SH, VS, ZH): N=6952; 2001­2003 4369 (63 %)

1351 (19 %)

685 (10 %)

434 (6 %)

113 (2 %)

Umfrage der GPK, Minderjährige in Haft: N=188; 15 Kantone; 2002­2004 Evaluation der PVK, Minderjährige in Haft im Kanton ZH: N=190; 2001­2003

Hinsichtlich der Haftdauern von Minderjährigen im Kanton ZH ergibt sich ein ähnliches Bild wie aus der Umfrage der GPK, nämlich dass relativ viele Haftfälle bis zu 6 oder 9 Monaten vollzogen werden. Der Vergleich mit der Gesamtzahl der Ausschaffungshaften (Minderjährige und Volljährige) in fünf Kantonen zeigt, dass bei den Minderjährigen ein prozentual höherer Haftanteil von über vier Tagen angeordnet wird. Bei den längeren Haftdauern liegen sie über den Werten der Gesamtpopulation der Häftlinge. Minderjährige werden also vergleichsweise länger in Haft gehalten als Volljährige.

58 Prozent der inhaftierten Minderjährigen stammten aus dem Balkan oder Osteuropa, 27 Prozent aus Afrika und 14 Prozent aus den restlichen Ländern (1 % war unbekannten Ursprungs).

Als weitaus häufigster Haftgrund wird ANAG Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe c (Untertauchensgefahr) genannt; sporadisch erwähnt werden auch ANAG Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe b i.V.m. Artikel 13a Buchstabe e (strafrechtliche Verfolgung wegen Gefährdung an Leib und Leben) oder ­ ein Einzellfall ­ ANAG Artikel 13b Absatz 1 Buchstabe b i.V.m. Artikel 13a Buchstabe b (Missachtung Ein-/Ausgrenzung).

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Das Gros der Kantone handhabt die Praxis für die Haftanordnung bei Minderjährigen nach den gleichen Massstäben wie bei erwachsenen Personen; die Kantone BE und SG geben an, die Verhältnismässigkeit von Haft besonders zu würdigen; der Kanton JU präzisiert, dass Ausschaffungshaft bei Minderjährigen soweit als möglich vermieden werden solle. Der Kanton LU nimmt Rücksicht auf familiäre oder gesundheitliche Aspekte. Im Kanton FR wird Haft erst angeordnet, nachdem man sich versichert hat, dass keine andere Massnahme eine Rückführung bewirken kann.

In jenen Kantonen, die sich dazu äussern, gelten für Minderjährige in Ausschaffungshaft keine besonderen Haftbedingungen. Verwiesen wird etwa auf die bundesgerichtliche Rechtssprechung, wonach Minderjährige keinen Anspruch auf ein spezifisches Haftregime haben (BGE 122 II 312 E.7). Einzelne Kantone betonen gewisse Vorteile für Minderjährige (mehr Gaben in Empfang nehmen; Möglichkeit, zweimal statt einmal wie Erwachsene den Kraftraum zu benutzen). Im Kanton BS können auf Begehren der für die Haft zuständigen Behörden besondere Haftbedingungen erwirkt werden (Trennung von bestimmten Insassen).

Erfahrungen mit milderen Massnahmen als Haft sind unterschiedlich oder gar nicht vorhanden. Zumeist werden sie als eher schlecht beschrieben und es wird betont, mildere Massnahmen würden das Zwangsmittel der Haft nicht ersetzen. Fünf Kantone betrachten sie dagegen als mehr oder weniger praktikable Alternativen (Kantone BS, GL, SO, TG, VD). Ein Kanton hat beobachtet, dass bei Jugendlichen die Bilanz bezüglich milderen Massnahmen schlechter ausfällt als bei Erwachsenen (Kanton AI).

2.

Trennung von den Eltern

Bei Familien mit Kindern gehen die meisten Kantone bei Anordnung von Haft gleich vor: Sie nehmen den Vater in Haft und lassen die Kinder in der Obhut der Mutter. Damit soll auch eine gänzliche Trennung der Kinder von den Eltern vermieden werden. Am Ausreisetag werden Mutter und Kinder polizeilich abgeholt und zum Flughafen gebracht, wohin in der Regel auch der Vater aus der Haft überführt wird. Die Häufigkeit solcher Fälle wird nicht beziffert. Einige Kantone präzisieren, dass dies absolute Ausnahmefälle seien. In den Kantonen BS und LU wird die Inhaftierung ganzer Familien nicht ausgeschlossen.

Jene Kantone, die sich zur Frage äusserten, wie viele begleitete bzw. unbegleitete Minderjährige sich zwischen 2002 und 2004 in Ausschaffungshaft befanden, gaben an, dass es sich bis auf drei Ausnahmen stets um unbegleitete Minderjährige gehandelt habe. In einem Ausnahmefall wurden eine Mutter und deren 17-jährige Tochter inhaftiert, um eine Ausschaffung sicherzustellen (Kanton AG), in einem anderen Fall die Tochter, nachdem deren Mutter untergetaucht war (Kanton BS). Im Kanton FR schliesslich befanden sich einmal ein Vater und sein Sohn zur gleichen Zeit in Ausschaffungshaft (Dauer: unter 4 Tage). Der Kanton ZH betonte, dass in der Statistik nicht zwischen unbegleiteten und begleiteten Jugendlichen unterschieden wird.

Gleichzeitig gab der Kanton ZH an, dass Familien im Normalfall am Vollzugstag direkt zum Flughafen gebracht werden und nur in Ausnahmefällen einzelne Familienmitglieder (Elternteile oder allenfalls auch Jugendliche) vorgängig in Ausschaffungshaft genommen werden müssten.

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3.

Trennung von Erwachsenen in Haft

In fast allen Kantonen sind Minderjährige in Ausschaffungshaft nicht getrennt von Erwachsenen untergebracht. Nur in zwei Kantonen, die allerdings keine Minderjährige inhaftiert hatten, wären sie getrennt von Erwachsenen, und ein Kanton gibt an, gemäss den kantonalen Rechtsgrundlagen sei es Pflicht, geeignete Räume zu finden.

Zwei Kantone schliessen nicht aus, dass Minderjährige im Wegweisungsvollzug ­ zumindest in der Anfangsphase ­ in Einzelhaft genommen werden. In einzelnen Gefängnissen scheint es nur Einzelzellen zu geben, die tagsüber geöffnet werden. Im Kanton SG kann ein Inhaftierter wählen, ob er in einer Einzel- oder Zweierzelle untergebracht werden will.

Der Kanton AG verweist auf sein Einführungsgesetz, wonach Personen in Ausschaffungshaft das Recht auf möglichst uneingeschränkte soziale Kontakte mit anderen inhaftierten Personen in Ausschaffungshaft in der gleichen Vollzugsanstalt haben (ähnlich auch andere Kantone). In der Praxis bedeutet dies, dass die Ausschaffungshäftlinge zirkulieren können, dass die Zellentüre während zehn Stunden offen sein muss usw. Der Kanton AG macht geltend, dass die Trennung von den übrigen Inhaftierten einer gesetzeswidrigen Isolation gleichkäme, da kaum je zwei Minderjährige gleichzeitig in Ausschaffungshaft seien. Der Kanton ZH mit einer namhaften Anzahl Minderjährigen in Ausschaffungshaft bemerkt, die Unterbringung der Insassen in Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft sei generell schwierig (verschiedene Religionen und Ethnien). Es sei deshalb besser, einen Jugendlichen mit einem erwachsenen Landsmann unterzubringen als mit anderen Jugendlichen, zu denen er aus ethnischen oder religiösen Gründen nicht passe.

4.

Zugang zu Rechtsvertretung und vormundschaftliche Massnahmen bis zur Ausreise

Auf die Frage, ob Minderjährige in Ausschaffungshaft eine besondere Betreuung erhielten, antwortete das Gros der Kantone mit Nein. Die meisten wiesen daraufhin, dass für unbegleitete, minderjährige Asylsuchende schon bei Verfahrensbeginn ein Beistand oder ein Vormund ernannt werde. Diese würden in der Regel bei einer Haftanordnung dann auch orientiert.

Nur einzelne Kantone ­ und nur unter bestimmten Bedingungen - stellen einer minderjährigen Person eine Rechtsvertretung zur Seite: der Kanton SZ grundsätzlich bei jeder richterlichen Haftüberprüfung, der Kanton GR, wenn mehr als 45 Tage Haft oder rechtliche Schwierigkeiten zu erwarten sind, der Kanton LU automatisch bei Minderjährigen, deren Altersangaben «offensichtlich nicht falsch» seien, und der Kanton SG bei Haftverlängerungen über drei Monate. Im Kanton FR werden Minderjährige beim Friedensrichter stets angemeldet, damit geprüft werden kann, ob eine Beistandschaft einzusetzen ist. Mit Beginn der Haft kann in diesem Kanton jede Person eine Rechtsvertretung beanspruchen. Bei Minderjährigen wird eine solche in jedem Fall und systematisch bestimmt. Der Kanton SH bietet die Vermittlung einer Rechtsvertretung an. Die übrigen Kantone verneinten die Frage und wiesen darauf hin, dass sie Minderjährigen ein Orientierungsblatt über ihre Rechte abgäben oder auf das Anwaltsverzeichnis aufmerksam machten oder dass es Sache des Gerichts sei, für Inhaftierte eine Rechtsvertretung einzusetzen oder nicht.

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5.

Überprüfung der Minderjährigkeit und statistische Erfassung

Die Kantone wiesen bezüglich der Überprüfung der Minderjährigkeit zumeist daraufhin, dass sie keine besonderen Abklärungen veranlassen würden bzw. dass sie sich auf die Angaben und Abklärungen des BFM abstützten. Im ANAG-Bereich beschränken sich die kantonalen Migrationsämter in der Regel auf Aussagen der betroffenen Person, auf vorhandene Dokumente und Rückfragen bei den ausländischen Vertretungen. Manchmal stammen Angaben aus Altersbestimmungen, welche die Strafverfolgungsbehörden veranlasst haben, weil das Alter relevant für die Gerichtszuständigkeit ist.

Personen im Wegweisungsvollzug, bei denen das Alter nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, behandeln die meisten Kantone nach ihrem aktenkundigen bzw.

angegebenen Alter. Die Kantone AG und LU fügen an, dass Personen, die sich als Minderjährige ausgeben, dies offensichtlich oder wahrscheinlich aber nicht sind, als Volljährige behandelt und erfasst würden. Für die Statistik der allermeisten Kantone sind das aktenkundige Alter bzw. die Angaben des BFM massgebend.

Sieben Kantone mit insgesamt 52 inhaftierten Minderjährigen beantworteten die Frage nach vorhandenen Identitätspapieren. Ihnen zufolge hatten 58 Prozent der Minderjährigen (30 Inhaftierte) keine Identitätspapiere. Der Kanton GR bemerkt hierzu, zwischen 2002 und 2004 sei gegen 14 Personen, welche im Asylverfahren geltend gemacht hätten, minderjährig zu sein, die Vorbereitungs- oder Ausschaffungshaft angeordnet worden. Die Erhebungen hätten gezeigt, dass nach der Beschaffung der erforderlichen Reisedokumente lediglich vier von ihnen mit Bestimmtheit minderjährig waren (3 Fälle waren nicht überprüfbar und bei 7 ergaben die Identitätsüberprüfungen im Heimatstaat Volljährigkeit). Das Alter der inhaftierten Minderjährigen habe zwischen 162/3 und 171/2 Jahre gelegen. Inwieweit dies repräsentativ ist, kann aufgrund der Umfrage bei den Kantonen nicht beantwortet werden.

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