Bericht der NEAT-Aufsichtsdelegation der eidgenössischen Räte über die Abklärungen ihrer Arbeitsgruppe betreffend der Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe des Bauloses 151 (Erstfeld) der AlpTransit Gotthard AG vom 19. März 2007

2007-0745

3635

Zusammenfassung Gegenstand der Abklärungen Nachdem sich die NEAT-Aufsichtsdelegation (NAD) bereits mehrfach mit den Problemen beim Baulos Erstfeld beschäftigt hatte, setzte sie am 2. Oktober 2006 eine Arbeitsgruppe ein. Diese hatte den Auftrag, verschiedene Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe bei diesem Los zu klären und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen.

Bei ihren Abklärungen befasste sich die Arbeitsgruppe auch mit den Vorwürfen von Ständerat Jenny, welche dieser in seiner dringlichen Interpellation vom 19. September 2006 und in seinen Ausführungen anlässlich der Herbstsession 2006 in Flims formuliert hatte. Im Hinblick auf das Ziel, Lehren für die Zukunft zu erarbeiten, erweiterte die Arbeitsgruppe die Fragestellung ihrer Abklärungen namentlich bezüglich der laufenden Revisionsarbeiten des öffentlichen Beschaffungswesens, der noch bevorstehenden Vergaben an der Gotthard-Achse der NEAT und der Rolle der Aufsichtsorgane des Bundes.

Würdigung der NAD Entscheidender Schwachpunkt dieser Vergabe war die Reduktion des Verzweigungsbauwerkes Uri Berg lang während des Verfahrens. Dass die ATG eine zu diesem Zeitpunkt abschätzbare Projektänderung in der Ausschreibung nicht berücksichtigte, erst nachträglich korrigierte und die Ausmassreduktionen auch noch selber berechnete, führte zu Problemen. Die aufgrund eines nachträglichen Angebots eines Anbieters in die Wege geleitete «Abgebotsrunde» war zwar rechtens, aber es ist nachvollziehbar, dass der Eindruck entstehen konnte, die Spielregeln der Vergabe seien nach eigenem Gutdünken abgeändert worden.

Als problematisch erachtet die NAD das hier zur Anwendung gelangte zweistufige Verfahren (Guillotine-Prinzip), weil dadurch das Prinzip des wirtschaftlichsten Angebotes beeinträchtigt werden kann.

Als nicht optimal erachtet die NAD auch das Vorgehen der ATG nach dem ersten Beschwerdeentscheid. Dass gewisse Schriftstücke erst auf Verlangen der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen (BRK) nachgereicht wurden, erweckt den Eindruck, man habe die Anforderungen beim Umgang mit einer richterlichen Instanz etwas unterschätzt. Auch die Sensitivitätsanalysen erscheinen im Lichte der vor der dritten Vergabe deutlich umfassender erfolgten Abklärungen als ungenügend. Allerdings ist die Meinung der ATG nachvollziehbar, dass die
BRK tief in ihr Ermessen eingriff.

Das Vorgehen der ATG, die Bearbeitung der zweiten Beschwerde und die Vorbereitung der dritten Vergabe an bisher nicht direkt an diesem Geschäft beteiligte Personen zu übertragen, wertet die NAD positiv. Die Arbeit der eingesetzten Experten fiel umfassender und tiefer gehend aus als bei der ersten Beschwerde. Vermutlich waren die Problematik und die Brisanz des ersten Beschwerdeentscheides von der ATG etwas unterschätzt worden.

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Die NAD erachtet die Zuständigkeiten bei der Realisierung der NEAT als grundsätzlich richtig definiert. Der Bund hat die Kompetenzen bei den Vergaben vollständig an die Ersteller abgetreten. Es ist aber zu prüfen, ob die Aufsichtsbehörden ­ Bundesrat, Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation sowie Bundesamt für Verkehr ­ ihre Aufsicht in ausserordentlichen Situationen aktiver wahrnehmen sollten.

Die von Ständerat Jenny formulierten Vorwürfe sind rechtlich nicht haltbar. Das Vergabeverfahren wickelte sich im Rahmen der rechtsstaatlichen Abläufe ab. Die Spielregeln wurden während der Ausschreibung nicht geändert. Auch für den Verdacht, dass persönliche Aspekte von Betroffenen eine Rolle gespielt haben, fand die NAD keine Hinweise. Nachvollziehbar erscheint, dass das Vorgehen der ATG in verschiedenen Verfahrensschritten ­ besonders beim Verzweigungsbauwerk Uri Berg lang ­ als suboptimal und als unsensibel empfunden werden kann. Allerdings ist das nachträgliche Angebot von Murer-Strabag aussergewöhnlich und verleitete die ATG zu nicht geplanten Schritten. Die Kommunikation zwischen ATG und BAV bei der Reduktion des Verzweigungsbauwerkes verlief nicht optimal.

Auch die beiden Entscheide der BRK werfen durchaus einige Fragen auf. Vor allem entsteht der Eindruck, die BRK habe stark in das Ermessen der Vergabebehörde eingegriffen, obwohl sie darauf verzichtete, selber in der Sache zu entscheiden.

Ausserdem trug die BRK den volkswirtschaftlichen Interessen bei der Gewährung der aufschiebenden Wirkung zu wenig Rechnung.

Die NAD erachtet es als sehr wichtig, aus der Vergabe des Loses Erstfeld Lehren zu ziehen. Sie hat aufgrund ihrer Abklärungen zwölf Empfehlungen formuliert. Zudem wird die NAD der Verwirklichung dieses Bauloses, namentlich bezüglich Vermeidung von Mehrkosten, ein besonderes Augenmerk widmen.

Lehren für die Zukunft Der ATG empfiehlt die NAD namentlich, bei derart komplexen Losen auf Globalofferten, das zweistufige Verfahren (Guillotine-Prinzip) und auf Abgebotsrunden zu verzichten. Dem UVEK empfiehlt die NAD, die Kommunikation zu verbessern und zu prüfen, wie die Aufsicht sowie Einflussnahme in ausserordentlichen Situationen aktiver wahrgenommen werden kann. Und im Hinblick auf die Revision des Beschaffungsrechtes des Bundes formuliert die NAD verschiedene Empfehlungen bezüglich Offertöffnung, Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes, Berücksichtigung öffentlicher Interessen und Abbruch des Verfahrens.

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Abkürzungsverzeichnis ATG

AlpTransit Gotthard AG

BAV

Bundesamt für Verkehr

BoeB

Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen

BRK

Eidgenössische Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen

CBT

Ceneri-Basistunnel

FK

Finanzkommission

GBT

Gotthard-Basistunnel

KVF

Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen

NAD

NEAT-Aufsichtsdelegation der eidgenössischen Räte

NCW

NEAT-Controlling-Weisung

NEAT

Neue Eisenbahn-Alpentransversale

ParlG

Parlamentsgesetz

SBB

Schweizerische Bundesbahnen

SPFA

Sekretariat der parlamentarischen Aufsicht über Finanzen und AlpTransit

UVEK

Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation

VoeB

Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen

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Bericht 1

Auftrag der Arbeitsgruppe, Zusammensetzung und Vorgehen

Nachdem sich die NEAT-Aufsichtsdelegation (NAD) bereits mehrfach mit den Problemen beim Baulos Erstfeld beschäftigt hatte (siehe Ziffer 9.1 des Tätigkeitsberichtes 2005 der NAD1), setzte sie am 2. Oktober 2006 eine Arbeitsgruppe ein, mit dem Auftrag, verschiedene Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe des Bauloses 151 (Erstfeld) durch die AlpTransit Gotthard AG (ATG) zu klären und ­ schwergewichtig ­ Lehren für die Zukunft zu ziehen. Dabei ging es auch um die in der Interpellation von Ständerat This Jenny formulierten Vorwürfe.

Die Arbeitsgruppe setzte sich aus vier Mitgliedern der NAD zusammen: ­

Ständerat Hansruedi Stadler, CVP/UR, Präsident

­

Ständerat Hans Hofmann, SVP/ZH

­

Nationalrat Fabio Abate, FDP/TI

­

Nationalrat Andrea Hämmerle, SP/GR

Die Arbeitsgruppe befragte in sechs Sitzungen insgesamt 15 Personen, namentlich Ständerat This Jenny, Vertreter der Firma Murer-Strabag, der AlpTransit Gotthard AG, des Bundesamtes für Verkehr sowie externe Experten der ATG. Die Firma Marti AG hatte eine formelle Anhörung durch die Arbeitsgruppe abgelehnt.

Die Arbeitsgruppe hatte zudem Gelegenheit, bei der ATG Einsicht in die Vergabeakten des Loses Erstfeld zu nehmen, namentlich auch in die Protokollauszüge von Geschäftsleitung, Verwaltungsrat und dem Ausschuss Technik des Verwaltungsrates der ATG. Für die Klärung verschiedener Fragen verlangte die Arbeitsgruppe ergänzende Unterlagen ein. Ausserdem führte der Präsident der Arbeitsgruppe mehrere informelle Gespräche zur Klärung ergänzender Punkte. Am 19. März 2007 hat die NAD den vorliegenden Bericht verabschiedet.

2

Gegenstand der Abklärungen

2.1

Interpellation von Ständerat Jenny

Am 19. September 2006 reichte Ständerat This Jenny eine dringliche Interpellation ein (06.3431), worin er nach dem zweiten Beschwerdeentscheid der Eidgenössischen Rekurskommission für das öffentliche Beschaffungswesen (BRK) massive Vorwürfe gegen die ATG richtete.

1

Bericht der NEAT-Aufsichtsdelegation der eidgenössischen Räte zuhanden der Finanzkommissionen, der Geschäftsprüfungskommissionen und der Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen betreffend Oberaufsicht über den Bau der Neuen EisenbahnAlpentransversale (NEAT) im Jahr 2005 (BBl 2006 4517).

3639

In seiner dringlichen Interpellation formuliert Ständerat Jenny vorab folgende Vorwürfe (jeweils zitiert): ­

«Dass ein solches Vorgehen, wie es sich in der Vergabe in Erstfeld abgespielt hat, in unserem Land überhaupt möglich ist, bleibt für viele ein Rätsel.

Sind das doch Machenschaften, wie wir sie sonst nur aus kennen. ...

­

Das hier gewählte Vorgehen ist eine nicht zu akzeptierende Machtdemonstration der Neat-Verantwortlichen auf dem Buckel der Steuerzahler. ...

­

Dieses Desaster hat jedoch klar und eindeutig die AlpTransit Gotthard zu verantworten. Sie hat mit ihrer eigenmächtigen, dilettantischen und unsensiblen Handlungsweise die Einsprachen und Verzögerungen bewusst in Kauf genommen. ...

­

Dass die Spielregeln während der Submission nach eigenem Gutdünken abgeändert wurden, ist einzigartig im öffentlichen Beschaffungswesen und öffnet erfolgreichen Einsprachen Tür und Tor. ...

­

Dass nach klaren und eindeutigen Signalen der Rekurskommission die AlpTransit zum zweiten Mal gleich falsch entschied, grenzt an Unvermögen und ist grobfahrlässig. Der Verdacht ist nahe liegend, dass dies nur mit persönlichen Aspekten von Betroffenen zu tun haben kann.»

In der Begründung seiner Interpellation und bei seiner Befragung durch die Arbeitsgruppe machte Ständerat Jenny vor allem geltend, die durchgeführte Abgebotsrunde sei aussergewöhnlich und es sei einzigartig, dass ein Anbieter von sich aus ein Abgebot deponiere. Zudem sei von den beteiligten Ingenieuren ausdrücklich vor den Risiken einer globalen Offerte gewarnt worden. Und schliesslich sei störend, dass die Offertöffnung nicht öffentlich gewesen sei. Noch wesentlich markantere Worte fand der Interpellant anlässlich der Beratung seines Vorstosses in der Herbstsession in Flims, wo er nebst den oben aufgeführten Vorwürfen von Mauschelei sprach und namentlich ins Feld führte, die durchgeführte Abgebotsrunde sei intransparent gewesen, das öffentliche Beschaffungswesen sei nachweislich mit Füssen getreten worden und man habe zweimal Äpfel mit Birnen verglichen.

2.2

Weitere Fragestellungen

Ziel der Arbeitsgruppe war es, aus den Abklärungen zur Vergabe des Loses Erstfeld auch Lehren für die Zukunft zu gewinnen. Sie richtete deshalb bei ihren Befragungen und Abklärungen das Augenmerk auch auf Aspekte, die ihr hinsichtlich der laufenden Revision des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (BoeB) und der Verordnung vom 11. Dezember 1995 über das öffentliche Beschaffungswesen (VoeB) und bezüglich der noch bevorstehenden, weiteren Vergaben an der Gotthard-Achse der NEAT (Bahntechnik; Baulose CeneriBasistunnel) wichtig erschienen. Auch die Rolle der Aufsichtsorgane des Bundes, namentlich des Bundesamtes für Verkehr (BAV), wurde hinterfragt. Wesentlich war zudem für die Arbeitsgruppe, welche Lehren und Massnahmen die ATG intern aus diesem Fall gezogen bzw. eingeleitet hat.

3640

2.3

Wesentliche Punkte der Abklärungen

Die Arbeitsgruppe konzentrierte ihre Abklärungen im Wesentlichen auf folgende Punkte des Vergabeverfahrens: ­

zweistufiges Verfahren

­

Globalofferte

­

Reduktion Verzweigungsbauwerk Uri Berg lang

­

Abgebotsrunde

­

Vorgehen der ATG bei den Beschwerdeentscheiden

­

Erkenntnisse der Experten vor der dritten Vergabe

­

Rolle des BAV in seiner Aufsichtsfunktion

­

Lehren für die Zukunft.

3

Kernpunkte bei der Vergabe des Loses Erstfeld

3.1

Grundsätzliches und Chronologie

Das Los 151 Erstfeld ist das letzte grosse Baulos am Gotthard-Basistunnel der NEAT. Es umfasst ein Auftragsvolumen von rund 413 Millionen Franken (ohne Mehrwertsteuer). Die Ausschreibung sah ein zweistufiges Verfahren vor, wonach die technischen und die finanziellen Offerten zweigeteilt einzureichen sind (siehe Ziff. 3.2). Es gingen fünf Offerten ein. Ein Anbieter wurde nach der technischen Prüfung ausgeschlossen, weil er die minimale Punktzahl nicht erreichte. Einem weiteren Anbieter wurde nach der Öffnung des finanziellen Teils mitgeteilt, dass sein Angebot nicht mehr weiter behandelt werde, weil der Preis deutlich über den anderen Angeboten lag. Im Rennen verblieben folglich die drei Anbieter ARGE ATE (Federführer Zschokke-Locher), Marti und Murer-Strabag.

Sowohl gegen die erste als auch gegen die zweite Vergabe der ATG an die MurerStrabag wurde von Marti Beschwerde erhoben. Beide Male gewährte die BRK die aufschiebende Wirkung, hiess die Beschwerden teilweise gut und wies aufgrund verschiedener Mängel das Geschäft zur Neubeurteilung an die Vergabestelle zurück.

Nach der dritten Vergabe, die wiederum an Murer-Strabag ging, verzichtete die Firma Marti auf einen Rekurs.

Die detaillierte Chronologie der Vergaben geht aus der Beilage hervor.

3.2

Zweistufiges Verfahren

Beim angewendeten zweistufigen Verfahren (Guillotine-Verfahren) haben die Offerenten die Offerte unterteilt in einen technischen und einen finanziellen Teil einzureichen. Die Bauherrin prüft zuerst den technischen Teil. Voraussetzung für die Öffnung des finanziellen Teils ist, dass die technische Offerte eine bestimmte Limite (Punktzahl) erreicht. Wird diese Limite nicht erreicht, scheidet eine Offerte aus, ohne dass der finanzielle Teil geöffnet wird. Haben die Offerten diese Hürde geschafft, zählt nur noch der tiefste Preis als Zuschlagskriterium. Das Bewertungs3641

modell und die dabei angewendeten Kriterien sind in der Ausschreibung zu publizieren. Die ATG hatte bisher alle grossen Baulose am Gotthard-Basistunnel nach diesem Modell vergeben; daraus ergaben sich keine namhaften Probleme.

Dieses Bewertungsmodell ist in der Lehre umstritten. Artikel 21 Absatz 3 BoeB lässt den Zuschlag nach Massgabe des niedrigsten Preises allein bei «weitgehend standardisierten Gütern» zu. Leistungen im Untertagebau hatte der Gesetzgeber dabei kaum vor Augen, weshalb sie von Gesetzes wegen nach Massgabe verschiedener Kriterien zu überprüfen sind und es möglich sein muss, mit höherer Qualität einen höheren Preis aufzuwiegen. Mit Blick auf die künftige Rechtsentwicklung ist zu berücksichtigen, dass die BRK in ihrer Würdigung die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Rügen am «Guillotinenprinzip» nicht als zum vornherein offensichtlich unbegründet qualifizierte.

Das wirtschaftlich günstigste Angebot ist als bestes Preis-/Leistungsverhältnis zu sehen, mit der Konsequenz, dass der Preis regelmässig steigt, je höher die Anforderungen an die Leistung gesetzt werden. Daher ist das wirtschaftlich günstigste Angebot immer unter den Rahmenbedingungen zu beurteilen und entspricht längst nicht immer dem billigsten Angebot.

3.3

Globalofferte

Eine Globalofferte zeichnet sich grundsätzlich dadurch aus, dass eine bestimmte Leistung zu einem fixen Preis erbracht wird. Solche Offerten sind denn im Baugewerbe auch durchaus üblich, gelangen allerdings in aller Regel nur bei Projekten zur Anwendung, bei denen die zu erbringenden Leistungen recht genau umschrieben werden können und kaum Änderungen zu erwarten sind. Aus diesem Grunde ist eine Globalofferte im Untertagebau in der Schweiz nicht üblich. Bei der NEAT wurden denn auch vor dem Los Erstfeld weder am Lötschberg noch am Gotthard grössere Baulose global vergeben. Eine Globalofferte ist aber grundsätzlich rechtlich möglich. Die Schwierigkeit bei Globalofferten liegt naturgemäss in der Vergleichbarkeit mit anderen Offerten, namentlich mit Einheitspreis-Offerten.

Sowohl die Offerte von Marti als auch diejenige von Murer-Strabag waren Unternehmervarianten. Während Marti eine technische Variante anbot, reichte MurerStrabag eine Amtslösung ein, jedoch zu einem Globalpreis. Die Murer-Strabag liess sich dabei offenbar von der Überzeugung leiten, dass sie die geologischen Verhältnisse sehr gut kennt und bei diesem letzten Baulos am Gotthard die Risiken von Projektänderungen als nicht mehr allzugross zu veranschlagen sind. Die Vergleichbarkeit von Globale und Einheitspreisofferte wurde von der BRK als grundsätzlich möglich erachtet, bemängelt wurden jedoch die ungenügenden bzw. fehlenden Sensitivitätsanalysen2. Die geforderten Sensitivitätsanalysen sind ein Versuch, die Unwägbarkeiten in diesem Verfahren so zu berücksichtigen, dass die in ihrer Form völlig unterschiedlichen Offerten im Preiskriterium vergleichbar gemacht werden können. Die Vergabestelle ist verpflichtet, Offerten zur Beurteilung vergleichbar zu machen, was bei einer Global- und Einheitspreisofferte sehr schwierig ist.

2

In der Sensitivitätsanalyse (Empfindlichkeitsanalyse) wird der Einfluss von Inputfaktoren auf bestimmte Ergebnisgrössen untersucht.

3642

3.4

Offertöffnung

Wie in Ziffer 3.2 dargestellt, hatten die Offerenten die Offerten unterteilt in einen technischen und finanziellen Teil einzureichen. Der technische Teil wurde am 27. Oktober 2004 geöffnet. Bis Mitte Dezember 2004 wurden die Angebote nach den Eignungs- und Zuschlagskriterien überprüft.

Nach Abschluss der technischen Prüfung wurde der finanzielle Teil der vier Offerten, welche die technischen Zuschlagskriterien erfüllten, am 22. Dezember 2004 geöffnet. Die Zahlen wurden nicht publik gemacht, die Offertöffnung erfolgte also nicht-öffentlich.

Die NAD nahm jedoch zur Kenntnis, dass die fünf offerierenden Firmen ihre Offertpreise nach der Offerteingabe bei einem Anwalt in Zürich deponiert und untereinander ausgetauscht hatten. Dieses Vorgehen ist zwar rechtens ­ sofern nicht zum Zwecke von Absprachen ­, aber im Lichte der nicht-öffentlichen Offertöffnung von einiger Bedeutung. Die Frage ist im Hinblick auf die Revision von BoeB und VoeB grundsätzlich zu prüfen.

3.5

Abgebotsrunde

Wesentliches Merkmal einer Abgebotsrunde ist, dass den Anbietern die Möglichkeit gegeben wird, ein «letztes Angebot» zu platzieren. In aller Regel geht es dabei um einen Preisnachlass, der meist in pauschaler Form (fixer Nachlass oder Rabatt) gewährt wird. Bei einer regelmässigen Anwendung von Abgebotsrunden trägt der Bauherr allerdings das Risiko, dass die Anbieter solche Abgebotsrunden von Beginn weg in die Offerten mit einrechnen und damit der gewünschte Effekt, dass die Offerenten unter Konkurrenzdruck mit einem Preisnachlass um den Auftrag kämpfen, verfehlt wird.

Eine allgemeine Abgebotsrunde ist gestützt auf Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe a BoeB möglich. Danach kann die Vergabestelle mit den Anbietern namentlich dann Verhandlungen führen, wenn in der Ausschreibung darauf hingewiesen wird und kein Angebot als das wirtschaftlich günstigste erscheint. Beim Los Erstfeld sahen die Ausschreibungsbestimmungen die Möglichkeit von Verhandlungen ausdrücklich vor. Gemäss geltender Praxis dürfen auf Bundesebene diese Verhandlungen auch reine Abgebotsrunden sein, also Verhandlungen über Preise und Preisnachlässe. Der Grundsatz, dass die ATG beim Los Erstfeld eine Abgebotsrunde durchgeführt hat, wurde denn auch rechtlich nicht beanstandet.

4

Erste Vergabe der ATG

4.1

Ausschreibung

Die Geschäftsleitung der ATG beantragte am 23. Oktober 2003 dem Ausschuss Technik des Verwaltungsrates der ATG, das Vorgehen bei der Ausschreibung und der Vergabe zu genehmigen. Am 13. Mai 2004 wurden die Ausschreibungsbedingungen verabschiedet. Die Publikation der Ausschreibung erfolgte alsdann am 19. Mai 2004. Es wurden folgende Zuschlagskriterien publiziert: Termingewährleistung der Bauzeit (40 %), Baustellenorganisation (30 %), Arbeitssicherheit (15 %) 3643

sowie Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit, Qualität der Risikoanalyse des Unternehmens und Umweltbeeinträchtigung (je 5 %).

Die Arbeitsgruppe prüfte den Vorgang der Ausschreibung nicht näher, weil gegen das Ausschreibungsverfahren keine grundsätzlichen Vorwürfe erhoben wurden. Sie stellt aber fest, dass die Ausschreibung die Möglichkeit von Verhandlungen ausdrücklich vorsah und damit gemäss BoeB die Durchführung einer Abgebotsrunde zulässig war.

4.2

Zweistufiges Verfahren und Bewertung der Angebote

Die ATG wendete bei der Ausschreibung des Loses 151 ein zweistufiges Verfahren an. Die Firma Marti rügte die konkrete Anwendung dieses Verfahrens in ihrer ersten Beschwerde. Die BRK trat darauf jedoch nicht ein, da eine Beschwerde gegen die Ausschreibung als solche hätte eingereicht werden müssen. Aus Sicht der BRK waren zudem keine Anhaltspunkte für die Nichtigkeit der Ausschreibungsverfügung erkennbar. Damit war die Ausschreibung rechtskräftig. Ob das «GuillotinenPrinzip» in materieller Hinsicht richterlich geschützt würde, bleibt allerdings weiterhin offen.

In der Ausschreibung wurden die in Ziffer 4.1 erwähnten sechs technischen Zuschlagskriterien bezeichnet. Diese waren mit unterschiedlichen Gewichtungen versehen. Der Bauherr definierte einen Minimalwert von 360 Punkten. Gemäss den Ausschreibungsunterlagen erhält unter den verbleibenden Angeboten jenes mit dem tiefsten Preis den Zuschlag.

Die Prüfung der Angebote durch die ATG ergab, dass einer der fünf Anbieter diesen Minimalwert bei weitem nicht erreichte. Die anderen vier Offerenten erreichten diese Punktzahl, Marti allerdings nur knapp mit 361 Punkten, während beispielsweise Murer-Strabag 401 Punkte erreichte. Vor allem beim mit 40 % gewichtigsten Kriterium «Termingewährleistung der Bauzeit» fiel die Variante 37 der Marti AG deutlich ab. In der tieferen Bewertung bei diesem Kriterium schlug sich namentlich das höhere Terminrisiko nieder, das sich aufgrund des Einsatzes von nur einer Tunnelbohrmaschine ergab. Die Arbeitsgruppe stellte fest, dass diese Bewertungen im Verwaltungsrat der ATG zu Diskussionen Anlass gaben. Es lagen jedoch keine Hinweise vor, dass diese von zwei verschiedenen Gremien, unabhängig voneinander und aufgrund von klaren Kriterienkatalogen vorgenommenen Bewertungen, zu korrigieren wären.

Die Arbeitsgruppe nahm im Weiteren zur Kenntnis, dass die ATG im Frühjahr 2005 an einem Entwurf für einen Vergabeantrag an die ARGE ATE (Zschokke-Locher) arbeitete. Dieses Angebot lag zu diesem Zeitpunkt preislich vor den Mitkonkurrenten. Nach der Eröffnung der Abgebotsrunde wurde dieser Entwurf gegenstandslos, weil nachher die beiden Mitkonkurrenten Marti und Murer-Strabag günstiger waren.

3644

4.3

Reduktion Verzweigungsbauwerk Uri Berg lang

Am 26. Juni 2002 fällte der Bundesrat seinen Grundsatzentscheid für die Linienführung «Berg lang geschlossen». Das UVEK veröffentlichte dazu eine Medienmitteilung. Ab diesem Zeitpunkt war öffentlich bekannt, dass Projektänderungen im Bereich der künftigen unterirdischen Abzweigung sowie Vorinvestitionen für eine spätere Fortsetzung von Uri Berg lang im Betrag von ca. 100 Millionen Franken nötig würden. Diesen Betrag legte der Bundesrat auch seiner Botschaft vom 10. September 20033 zugrunde. Der Ständerat fällte seine Beschlüsse am 17. Dezember 2003 auf dieser Basis.

Am 7. April 2004 verabschiedete der Bundesrat seinen Zusatzbericht4 zur Botschaft zuhanden der Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF), den Finanzkommissionen (FK) sowie der NAD. Darin wies er erstmals auf mögliche Redimensionierungen des Bauwerkes bzw. eine Reduktion der entsprechenden Kosten hin. Er kündete an, dass der Betrag für diese Vorinvestition zurzeit vom BAV kritisch geprüft werde. Der Nationalrat fällte seine Beschlüsse am 10. Juni 2004 in Kenntnis der Botschaft und dieses Zusatzberichtes.

Am 28. August 2004 publizierte das BAV erstmals in einer Medienmitteilung den Umfang der Redimensionierung (Verkürzung der beiden Röhren; Verzicht auf die Demontage-Kavernen für TBM; Verzicht auf fünf Querschläge). Es wurde dabei eine Kostenreduktion auf noch rund 64 Millionen Franken genannt.

Die ATG berücksichtigte dieses Verzweigungsbauwerk in den Ausschreibungsunterlagen in einer Ausführungsvariante, deren Kosten auf knapp über 100 Millionen Franken geschätzt wurden. Jedoch war die ATG bereits am 17. Mai 2004 vom BAV beauftragt worden, Varianten zur Redimensionierung dieses Bauwerkes auszuarbeiten. Die Ausschreibung zu stoppen und zuerst die Variantenwahl abzuwarten, hätte aber zu erheblichen Verzögerungen geführt. Um diese zu vermeiden, liess man die Ausschreibung unverändert laufen, mit der Absicht, die notwendigen Anpassungen erst später vorzunehmen. Am 22. Juli 2004 beantragte die ATG dem BAV eine reduzierte Variante für das Verzweigungsbauwerk, die am 25. August vom BAV bestätigt wurde. Die ATG wies in ihrem Schreiben unter anderem darauf hin, in den Submissionsunterlagen sei dem Wunsch nach Flexibilität beim Verzweigungsbauwerk insofern weitgehend Rechnung getragen worden, als explizit definiert worden sei, dass
Teile dieses Bauwerks weggelassen werden können.

Aufgrund der Medienmitteilung des BAV vom 28. August 2004 gelangte die Firma Murer-Strabag am 1. September 2004 ­ während der Submissionsphase ­ an die ATG mit der Frage, ob die Submissionsunterlagen angepasst würden und wenn ja, bis wann mit einer Nachlieferung der angepassten Unterlagen zu rechnen sei. Die ATG orientierte am nächsten Tag alle Empfänger der Ausschreibungsunterlagen über die konkreten Änderungen beim Los 151 und informierte sie über die Konsequenzen für die Offertstellung. Namentlich wurde festgehalten, das Leistungsverzeichnis sei unverändert und vollständig auszufüllen (die ATG nahm die Reduktion dieser Positionen später aufgrund der Offerten selbst vor), hingegen sei das Installa-

3 4

Botschaft vom 10. September 2003 zum Bundesbeschluss über den Zusatzkredit und die teilweise Freigabe der gesperrten Mittel der zweiten Phase der NEAT 1 (BBl 2003 6543).

Bericht vom 7. April 2004 über die Mehrkosten betreffend den Zusatzbericht und die teilweise Freigabe der gesperrten Mittel der zweiten Phase der NEAT 1 (BBl 2004 2675).

3645

tionskonzept und das Bauprogramm auf die veränderten Verhältnisse hin auszulegen.

Als Konsequenz daraus ergab sich, dass die ATG die Reduktion der wegfallenden Bauteile beim Verzweigungsbauwerk aufgrund der Offerten selber berechnete. Die Berechnung dieser reduzierten Ausmasse bzw. die Reduktion deren Kosten liess sie im April 2005 von den verbleibenden Anbietern bestätigen.

4.4

Abgebotsrunde

Mit Schreiben vom 31. Mai 2005 an die ATG stellte die Murer-Strabag fest, sie habe in ihrer Antwort auf die Redimensionierung des Verzweigungsbauwerkes die Thematik «Overhead-Kosten» nicht vollumfänglich berücksichtigt; gleiches gelte für die Unternehmer-Sensitivitätsanalyse der wegfallenden Teile des Verzweigers. Die Murer-Strabag stellte fest, dass sich die Angebotssumme infolge der wegfallenden Bauteile um rund 30,9 Millionen, und nicht, wie von der ATG berechnet, um rund 20,8 Millionen Franken reduziere.

In der Geschäftsleitung und im Verwaltungsrat der ATG wurde intensiv diskutiert, wie mit dieser Nach-Offerte umzugehen sei. Es setzte sich die Ansicht durch, es sei nicht möglich, dieses Angebot von Murer-Strabag anzunehmen, weil es unzulässig wäre, ausserhalb formeller Verfahren einem einzelnen Anbieter die Möglichkeit zu geben, seine Offerte zu ändern. Damit wäre das Gebot der Gleichbehandlung verletzt worden. Indessen war der ATG klar, dass es in der Öffentlichkeit vermutlich nicht verstanden würde, wenn die Vergabebehörde ein Minderangebot von rund 10 Millionen Franken aus formalen Gründen einfach ausser Acht liesse. Zudem bestand das Risiko, dass Murer-Strabag gegen die Nicht-Berücksichtigung ihres Abgebotes Beschwerde einreicht, weil dieses Abgebot zuschlagsentscheidend wäre.

Die ATG sah deshalb keine andere Möglichkeit, als allen noch verbliebenen Anbietern die Möglichkeit für ein letztes Angebot zu geben, und zwar bezogen auf die gesamte Offerte. Eine Beschränkung des Abgebots auf die Reduktion des Verzweigungsbauwerks hätte eine rechtlich sehr heikle Einschränkung dargestellt. Mit den Abgeboten der verbliebenen drei Anbieter änderte auch die preisliche Rangfolge der Offerten.

4.5

Erste Vergabe der ATG

Am 11. August 2005 beantragte die Geschäftsleitung der ATG, die Arbeiten des Tunnels Erstfeld (Los 151) aufgrund der Vergabekriterien der Murer-Strabag zu vergeben. Im Vergabeantrag wurde namentlich die Bewertung der Angebote eingehend dargestellt. Das Angebot der Murer-Strabag war nach der Abgebotsrunde das preislich günstigste. Der Antrag der Geschäftsleitung wurde gleichentags im Ausschuss Technik des Verwaltungsrates und im Verwaltungsrat diskutiert und verabschiedet.

3646

4.6

Wertung der NAD

Die NAD erachtet das hier zur Anwendung gelangte zweistufige Verfahren (Guillotine-Prinzip) als problematisch, weil dadurch das Prinzip des wirtschaftlichsten Angebotes beeinträchtigt werden kann. Komplexe Bauwerke, wie das Baulos 151, eignen sich für das von der ATG praktizierte zweistufige Verfahren nicht. Auch ist dessen Anwendung rechtlich umstritten.

Bezüglich des Verzweigungsbauwerkes Uri Berg lang stellt die NAD fest, dass bereits in der Vorbereitungsphase der Ausschreibung im BAV über eine Reduktion des Verzweigungsbauwerkes diskutiert wurde. Die ATG war noch vor der Ausschreibung mit der Prüfung von Varianten beauftragt worden. Die NAD neigt zur Aufassung, dass es zweckmässiger gewesen wäre, mit der Ausschreibung zuzuwarten, um die zu diesem Zeitpunkt abschätzbare Projektänderung mit zu berücksichtigen oder eine Variante als Option in die Ausschreibung aufzunehmen.

Es scheint, dass in diesem Fall die Kommunikation zwischen BAV und ATG nicht optimal war und die Situation falsch eingeschätzt wurde. Aus Sicht der NAD hätte das BAV intervenieren und eine genaue Abschätzung von Chancen und Risiken des weiteren Vorgehens vornehmen sollen. Immerhin war die nicht optimale Berücksichtigung der Reduktion des Verzweigungsbauwerkes der Auslöser für die nachfolgenden Schwierigkeiten beim Los 151. Als Indiz für den ungenügenden Informationsfluss erachtet die NAD auch den Umstand, dass die Medienmitteilung des BAV vom 28. August 2004 die Offerenten während des Vergabeverfahrens offenbar unvorbereitet traf und Verunsicherung auslöste, wie die Nachfrage eines Mitbewerbers bezüglich des konkreten Vorgehens bei dieser Projektänderung zeigt.

Als sehr problematisch erachtet die NAD zudem, dass die ATG die Kostenreduktionen beim Verzweigungsbauwerk aufgrund der Offerten selber berechnete. Ein solches Vorgehen birgt formelle Risiken, wie das nachträgliche Angebot der MurerStrabag ja auch zeigte. Zudem riskiert die Vergabestelle bei einem solchen Vorgehen rasch den Vorwurf, fehlerhaft und ungenau vorgegangen zu sein.

Ein nachträgliches Angebot, wie es die Murer-Strabag am 31. Mai 2005 platzierte, ist in der Branche unüblich und kann Misstrauen erwecken. Das Angebot ist auch irritierend, hatte doch die Unternehmung im April 2005 in Beantwortung eines Fragebogens der ATG schriftlich bestätigt, die von der ATG
selber berechneten Kostenreduktionen beim Verzweigungsbauwerk seien korrekt.

Die ATG hat richtigerweise dieses nachträgliche Angebot der Murer-Strabag aus dem Recht gewiesen. Trotzdem geriet sie in Zugzwang. Um das Rekursrisiko so gering wie möglich zu halten, entschloss sie sich, allen Bewerbern gleich lange Spiesse zuzugestehen und eine Abgebotsrunde ­ die ganze Offerte umfassend ­ durchzuführen. Die NAD bezweifelt, dass es aus formalen Gründen notwendig war, diese Abgebotsrunde durchzuführen. Jedoch ist nachvollziehbar, dass die ATG dieses Vorgehen namentlich unter dem Gesichtspunkt des finanziellen Druckes auf das gesamte Bauwerk wählte.

Insgesamt erachtet es die NAD als nachvollziehbar, dass durch das Vorgehen der ATG bei den Mitanbietern und später in der Öffentlichkeit ein gewisses Misstrauen und der Vorwurf des unsensiblen Vorgehens aufkam. Die durchgeführte Abgebotsrunde ist zumindest erstaunlich.

3647

5

Erster Rekursentscheid BRK und zweite Vergabe der ATG

5.1

Einleitung

Am 13. September 2005 erhob die Firma Marti gegen die Vergabe der ATG Beschwerde. In einem Zwischenentscheid vom 21. November 2005 erteilte die BRK der Beschwerde aufschiebende Wirkung. Am 13. Februar 2006 entschied die BRK in der Sache und hiess die Beschwerde der Arbeitsgemeinschaft Marti gut, soweit darauf eingetreten werden konnte. Die Zuschlagsverfügung der ATG vom 11. August 2005 wurde aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die ATG zurückgewiesen.

5.2

Hauptpunkte des Entscheides der BRK

Im Wesentlichen rügte die BRK die ungenügende Vergleichbarkeit von Globale und Einheitspreisofferte, namentlich: ­

zu wenig präzise Abgrenzung zwischen Regiearbeiten und Bestellungsänderungen bei der Offerte von Murer-Strabag,

­

keine nähere Betrachtung allfälliger Mehrkosten bei Änderungen im Abdichtungssystem,

­

fehlende Sensitivitätsanalysen bezüglich der finanziellen Konsequenzen von Projektänderungen.

Nach Ansicht der BRK erwies sich das von der ATG durchgeführte Evaluationsverfahren in Bezug auf die Golbalofferte als klar ungenügend und damit bundesrechtswidrig. Hingegen hält die BRK eine Globalofferte als Variante für zulässig.

5.3

Vorgehen der ATG

5.3.1

Beschränkung auf fünf konkrete Rügen der BRK

Für die ATG war klar, sich auf die von der BRK bemängelten fünf Kernpunkte (Klärung zweier Punkte der Offerte Murer-Strabag; drei Sensitivitätsanalysen) zu beschränken. Man erkannte keine weiteren Elemente, die zu bearbeiten wären. «Im Sinne der Erwägungen» wurde von der ATG so interpretiert, dass diese fünf bemängelten Punkte zu bearbeiten sind, was auch der bisherigen Praxis der BRK entspricht. Es ist im Entscheid der BRK keine klare Aussage zu finden, darüber hinaus seien noch andere Aspekte abzuklären. Ausserdem befürchtete die ATG, dass weitere, von der BRK nicht ausdrücklich verlangte Analysen wiederum Angriffsfläche für einen weiteren Rekurs geboten hätten.

Die ATG stellte bei der Analyse des Rekursentscheides im Weiteren fest, dass die BRK eigene Überlegungen zu Punkten der Vergabe formulierte, die vom Rekurrenten gar nicht bemängelt wurden. Es stellte sich aus Sicht der ATG deshalb durchaus die Frage, ob eine Rückfrage bei der BRK dienlich oder gar notwendig sei. In Betracht gezogen wurde auch ein Erläuterungsbegehren zu ganz bestimmten Punkten des Entscheides. Der Rechtsdient der ATG und der in diesem Geschäft für einzelne Fragen beigezogene Rechtskonsulent rieten jedoch von beiden Schritten ab.

3648

Dabei stand für die ATG vor allem das Bemühen im Vordergrund, im Hinblick auf den Fertigstellungstermin des Gotthard-Basistunnels weitere Zeitverluste zu vermeiden.

5.3.2

Sensitivitätsanalysen

Die ATG beauftragte am 21. Februar 2006 die Firma Basler und Partner mit der Erarbeitung der notwendigen Sensitivitätsanalysen. Die Experten wurden beauftragt, zuerst die Methodik für diese Analysen zu erarbeiten. Diesen Schritt erachtete die ATG als nötig, weil dieses Verfahren nicht üblich ist und deshalb entsprechende Erfahrungswerte weitgehend fehlen.

Aufgrund der Resultate der Sensitivitätsanalysen in Bezug auf die mögliche Abrechnungssumme und der Beantwortung von Fragen durch die Murer-Strabag erstellte die ATG einen neuen Vergleich. Das Resultat dieses Vergleichs zeigte nach Ansicht der Geschäftsleitung der ATG, dass die Globalofferte von Murer-Strabag das Angebot mit dem tiefsten Preis und auch das Angebot mit dem tiefsten Erwartungswert der mutmasslichen Abrechnungssumme ist. Einzig bei der Analyse des Einflusses der Regie zeigte sich ein möglicher Vorteil zugunsten von Marti.

Das wesentliche Risiko beim Tunnelbau liegt in der Geologie. Bei der Globalofferte der Murer-Strabag wird dieses Risiko grösstenteils vom Bauunternehmer getragen, bei der Offerte Marti hingegen von der ATG.

5.3.3

Risiken der Globalofferte

Mit Brief vom 24. Juni 2005 hatte die Ingenieurgemeinschaft Gotthard-Basistunnel Nord (IG-GBT-N) der ATG ihre Ansicht zu einigen Aspekten der beabsichtigten Durchführung einer Abgebotsrunde mitgeteilt. In diesem Brief verweist die IG-GBT-N am Schluss auch darauf, dass die Globalvariante aus ihrer Sicht ein sehr grosses Kostenrisiko enthalte (Angebotsgestaltung, Reduktion Ausmass), das bei der Amtslösung nicht vorhanden sei.

Dieses Schreiben erhielt im Beschwerdeverfahren vor der BRK ein erhebliches Gewicht. Die BRK hatte davon erst von der Beschwerdeführerin Kenntnis erhalten, worauf die ATG versuchte, den Aussagegehalt dieses Hinweises der IG-GBT-N (später auch als «Abmahnung» bezeichnet) zu relativieren. Insbesondere machte die ATG geltend, sie sei diesem Hinweis sehr wohl nachgegangen, letztlich hätten sich aber in einem Gespräch mit der IG-GBT-N die vorgebrachten Vorbehalte als nicht substanziell erwiesen und für die Ingenieurgemeinschaft sei aufgrund dieser Diskussion und den Antworten der ATG die Angelegenheit damals erledigt gewesen.

Tatsächlich hat die IG-GBT-N in Beantwortung eines Fragenkatalogs am 23. März 2006 ihre frühere Risikobeurteilung ausdrücklich geändert.

In ihrer Antwort vom 22. Februar 2007 an die Arbeitsgruppe macht die IG-GBT-N namentlich geltend, aus damaliger Sicht (Frühjahr 2005) hätten insbesondere Risiken in den Bereichen Preisbildung bei Zusatzleistungen oder Mengenänderungen, unklaren Rahmenbedingungen sowie in der relativen Ungenauigkeit der geologischen Prognosen bestanden, die aber in der weiteren Projektbearbeitung ausgeräumt oder präzisiert werden konnten. Zudem sei die neue Beurteilung vom 23. März 2006 3649

nicht Ausdruck eines «Meinungsumschwungs» gewesen, sondern basiere auf neuen Erkenntnissen, besserem Wissen und teilweise geänderten Rahmenbedingungen.

5.3.4

Zweite Vergabe

Aufgrund der von den Experten erarbeiteten Sensitivitätsanalysen gelangte die Geschäftsleitung der ATG zur Schlussfolgerung, das Los Erstfeld sei erneut an die Murer-Strabag zu vergeben. Namentlich wies die Geschäftsleitung darauf hin, das Resultat der Sensitivitätsanalysen zeige, dass die Globalofferte der Murer-Strabag das Angebot mit dem tiefsten Preis und auch das Angebot mit dem tiefsten Erwartungswert (Angebot mit mutmasslich tiefster Abrechnungssumme) sei.

Diesem Antrag folgte der Verwaltungsrat der ATG an seiner Sitzung vom 4. Mai 2006.

5.4

Gewichtung der volkswirtschaftlichen Aspekte

Am Gotthard-Basistunnel sah sich die ATG bisher mit insgesamt fünf Beschwerden konfrontiert. Deren vier gingen zu Gunsten der ATG aus. Nur beim Los 151 entschied die BRK gegen die ATG; dies war auch die einzige Beschwerde, wo die aufschiebende Wirkung gewährt wurde. Die ATG weist darauf hin, dass von 67 öffentlich im Internet publizierten Entscheiden der BRK nur in einem einzigen Fall die aufschiebende Wirkung gewährt wurde. Dass die BRK im Beschwerdefall des Loses Erstfeld die aufschiebende Wirkung gewährte und damit das öffentliche Interesse hinter dasjenige des Beschwerdeführers stellte, wurde von verschiedener Seite kritisiert. Nicht nur werden damit erhebliche Verzögerungen beim Bau des Gotthard-Basistunnels in Kauf genommen, es entstanden bisher Verzögerungskosten von rund 40 Millionen Franken. Gemäss Angaben der ATG belaufen sich die Mehrkosten auf weitere rund 100'000 Franken pro Tag; das BAV bestätigte diese Grössenordnung aufgrund eigener Überprüfungen der Unterlagen der ATG.

5.5

Wertung der NAD

Dass die ATG sich bei der Bearbeitung der Beschwerde strikte auf die von der BRK bemängelten Punkte beschränkte, erscheint der NAD gestützt auf die bisherige Praxis der BRK einerseits nachvollziehbar. Der Zuschlag ist dem wirtschaftlich günstigsten Angebot zu erteilen. Besteht die Möglichkeit, dass der zu erwartende Abrechnungspreis aufgrund der mit einer Sensitivitätsanalyse erfassten allfälligen Risiken sich vom Offertpreis unterscheiden könnte, liegt es nach Meinung der NAD im Ermessen der Vergabebehörde, ob sie diese Kostenfaktoren mitberücksichtigen will oder nicht. Die für diese Beurteilung notwendigen Kriterien sind mit der Ausschreibung bekannt zu geben. Vorliegend stellt sich allerdings die Frage, was gilt, wenn die Vergabestelle nichts festgelegt hat.

Anderseits hielt die BRK in ihrem ersten Entscheid klar fest, «dass die Vergabebehörde vorliegend zwingend verpflichtet gewesen wäre, angesichts der mit einer Globalofferte ­ im Vergleich zu den auf Einheitspreisen basierenden Angeboten ­

3650

verbundenen erhöhten Kostenrisiken, das Globalpreisangebot der Zuschlagsempfängerin einer vertieften Analyse zu unterziehen».

Die NAD kommt deshalb zum Schluss, dass die ATG bei der Bearbeitung des ersten Rekursentscheides nicht optimal vorgegangen ist. Eine noch tiefere Analyse wäre rückblickend betrachtet angebracht gewesen. Insbesondere fällt auf, dass bei der Bearbeitung des zweiten Beschwerdeentscheides die Sensitivitätsanalysen deutlich substanzieller ausfielen.

Nach Auffassung der NAD hätte auch der externe Rechtsberater umfassender in das Verfahren mit einbezogen werden sollen. Ein nur auf Einzelfragen beschränkter Beizug hat den Nachteil, dass bei der Bearbeitung solch komplexer Fälle unter Umständen die Gesamtübersicht fehlt.

Bezüglich des Briefes der IG-GBT-N vom 24. Juni 2005 (sogenannte «Abmahnung») ist die NAD der Ansicht, dass die ATG mit den damaligen Vorbehalten formell umsichtiger hätte umgehen sollen. Es ist unverständlich, dass dieses Schreiben im ersten Beschwerdeverfahren erst auf Verlangen der BRK beigebracht wurde.

Erstaunlich ist für die NAD zudem, dass die ATG gegenüber der BRK die Bedeutung dieser «Abmahnung» der IG-GBT-N nur summarisch begründete, während der Arbeitsgruppe eine recht umfassende Stellungnahme vorliegt. Dies alles führte vor der BRK zu einem Stellenwert des Schreibens der IG-GBT-N, den dieses bei näherer Betrachtung gar nie hatte. Aber auch die Argumentation der IG-GBT-N vom 23. Februar 2007 gegenüber der Arbeitsgruppe überzeugt nicht vollends.

6

Zweiter Rekursentscheid BRK und dritte Vergabe der ATG

6.1

Einleitung

Am 26. Mai 2006 reichte die Arbeitsgemeinschaft Marti Beschwerde gegen die zweite Zuschlagsverfügung der ATG ein. Die BRK hiess die Beschwerde am 11. September 2006 gut. Mit dem Entscheid der BRK wurde die Zuschlagsverfügung der ATG vom 4. Mai 2006 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die ATG zurückgewiesen.

6.2

Hauptpunkte des zweiten Entscheides der BRK

Im zweiten Rekursentscheid rügt die BRK im Wesentlichen folgende Punkte des Vergabeentscheides der ATG: ­

Die ATG beschränkte sich strikte auf die Prüfung der von der BRK beanstandeten Punkte.

­

Die ATG wäre verpflichtet gewesen, angesichts des hohen Kostenrisikos das Globalangebot der Murer-Strabag einer vertieften Analyse zu unterziehen.

­

Zumindest merkwürdig wirken die erneuten Bemühungen der ATG, die von der IG-GBT-N formulierten Aussagen zum Kostenrisiko von Globalofferten zu relativieren.

3651

­

Rundungsreserven im Leistungsverzeichnis hätten von der ATG im Preisvergleich oder via Sensitivitätsanalyse berücksichtigt werden sollen.

­

Projektänderungen (nicht durch geologische Verhältnisse verursacht) und daraus entstehende Nachforderungen sind nicht auszuschliessen. Erfahrungsgemäss machen politisch bedingte Projektänderungen einen erheblichen Anteil aus.

6.3

Vorgehen bei der Vorbereitung des dritten Vergabeentscheides

6.3.1

Massnahmen des UVEK

Angesichts der Gefahr weiterer Verzögerungen bei der Fertigstellung des GotthardBasistunnels lud Bundespräsident Leuenberger als Vorsteher des UVEK im Oktober 2006 die beiden Offerenten und die ATG zu einem Gespräch ein. Die vorherigen rechtlichen Abklärungen des UVEK hatten ergeben, dass im öffentlichen Vergaberecht keine Möglichkeit besteht, das Verfahren durch eine irgendwie geartete Einflussnahme auf die Offertsteller zu beschleunigen und dass diese sich auch nicht an so zustande gekommene Absprachen halten müssten. Ziel des Gesprächs war es, das weitere Vorgehen bei der Vorbereitung des dritten Vergabeentscheides zu klären, um so entweder eine erneute Beschwerde zu vermeiden oder deren Erfolgschancen zu reduzieren. Die Offertsteller wurden darüber informiert, dass die neue Vergabe von Personen vorbereitet werde, die an den ersten beiden Entscheiden nicht beteiligt waren, um jeden Anschein von Befangenheit zu vermeiden. Ebenso wurden Experten in Aussicht gestellt, welche die bisherigen Entscheide analysieren und die neue Vergabe vorbereiten sollten. Im Anschluss an das Gespräch wurden die Offertsteller über diese Experten informiert. Sie erhoben gegen sie keine Einwände. So wurde garantiert, dass in einer allfälligen neuen Beschwerde keine Befangenheit hätte geltend gemacht werden können.

6.3.2

Organisatorische Massnahmen der ATG

Vorerst prüfte die ATG verschiedene Handlungsvarianten, wie namentlich den Abbruch des Verfahrens und eine Neuausschreibung. Sie gelangte zum Schluss, dass in ihrem Handlungsbereich nur zwei Möglichkeiten verblieben: Die Vervollständigung der Evaluation im Sinne des Urteils der BRK und der Beizug von Dritten.

Die ATG beschloss, für die weitere Bearbeitung der zweiten Beschwerde und die Vorbereitung der dritten Vergabe Personen einzusetzen, die bisher nicht in diesen Fall involviert gewesen waren. Diesem Grundsatz wurde ATG-intern vollumfänglich Rechnung getragen, indem die Geschäftsleitung an der Bearbeitung des Geschäfts materiell nicht mehr beteiligt war. Auch im Verwaltungsrat betreuten zwei Personen die dritte Vergabe, die bei der Vorbereitung der zwei ersten Vergaben nicht beteiligt waren. Für die Analyse der beiden BRK-Entscheide und deren Evaluation durch die ATG, die Durchführung einer neuen Evaluation und die Formulierung einer Vergabeempfehlung an die ATG wurde ein Expertenteam eingesetzt, das bisher nicht für die ATG tätig gewesen war. Es war dabei aus Sicht der ATG, aber auch des BAV bzw. UVEK immer klar, dass die Verantwortung für die 3652

dritte Vergabe bei der ATG verbleibt und konkret vom Verwaltungsrat wahrgenommen werden muss.

6.3.3

Beizug von Experten

Für die Analyse der Situation und die Vorbreitung der dritten Vergabe beauftragte die ATG am 25. Oktober 2006 die Firmen Spiess + Partner (Büro für Baurecht) und Bächtold (Ingenieur- und Planungsbüro). Die beiden Bauunternehmer Marti bzw.

Murer-Strabag nahmen diese Experten zur Kenntnis bzw. stimmten ihnen zu. Der Auftrag an die Experten lautete: ­

Analyse der beiden BRK-Entscheide

­

Analyse der bisherigen Evaluation der ATG

­

Festlegen von Kriterien bzw. Vorgaben für die neue Evaluation

­

Durchführung der neuen Evaluation

­

Vergabeempfehlung zu Handen des Verwaltungsrates der ATG.

Am 22. Januar 2007 lieferten die Experten ihre Schlussberichte mit einer Vergabeempfehlung an den Verwaltungsrat der ATG ab.

Die Experten stellten fest, dass das Vergabeverfahren korrekt abgelaufen ist und namentlich kein Anbieter benachteiligt wurde. Insgesamt gelangen sie zum Schluss: «Das Angebot der Murer-Strabag erweist sich nach der Sensitivitätsanalyse und der Berücksichtigung der nicht quantifizierbaren Risiken und Vorteile, die von den Experten nach dem Stand der Technik und aufgrund ihrer Erfahrung bewertet worden sind, insgesamt als das wirtschaftlichste Angebot.» Die Arbeitsgruppe stellt fest, dass die Experten die von der BRK bemängelten Sensitivitätsanalysen einer vertieften Überprüfung unterzogen hat. Namentlich ergab sich dabei folgendes: ­

Rundungsreserven können nur in Positionen mit gerundetem Vorausmass entstehen. Diese Positionen machen aber nur etwa 15 % der Offerte Marti aus; damit betragen die möglichen Rundungs-Ungenauigkeiten lediglich 0,2 bis 0,4 Millionen Franken.

­

Es bestehen keine Hinweise auf Ausmassreserven. Die Analyse der Abrechnung des Nachbarloses 252 (Amsteg) zeigte, dass auch dort keine Ausmassreserven vorhanden waren.

­

Bezüglich der Projektänderungen war die frühere Sensitivitätsanalyse der ATG-Experten korrekt und sinnvoll. Bei differenzierter Beurteilung der Regie würde der Abstand der Erwartungswerte zwischen den beiden Anbietern noch leicht grösser.

­

Bei den «weiteren Projektänderungen» wurden drei ähnliche Lose der NEAT analysiert (Bodio, Amsteg, Steg/Raron). Es zeigte sich, dass die denkbaren Projektänderungen im Schnitt 1,23 % der Vergabesumme ausmachten. Der Anteil an geologischen Überraschungen lag bei 2,8 %. Die Auswirkungen solcher Projektänderungen in den drei Kategorien «sicher», «denkbar» und «unwahrscheinlich» zeigt, dass Marti im besten Fall insgesamt knapp 0,9 Millionen Franken tiefer, im schlechtesten Fall aber auch bis 3653

zu 18 Millionen Franken höher als Murer-Strabag liegt. Diese Differenzen ergeben sich aus dem Umstand, dass Murer-Strabag zwar in einem Bereich preislich deutlich über der Marti liegt (Verkleidung, Innenausbau, Kabelanlagen), in allen anderen Bereichen (Aussenarbeiten, Untertagearbeiten) aber leicht darunter.

­

Zahlungsmodalitäten: Der Vergleich der aufgrund der Offerten deutlich unterschiedlichen Zahlungsreihen der beiden Anbieter ergibt, dass beim Angebot Marti infolge der Teuerung Mehrkosten von mindestens 2 Millionen Franken entstehen. Diese Zahl basiert auf einer angenommenen Teuerung von bloss 1 % pro Jahr. Der NEAT-Teuerungsindex lag indessen durchschnittlich bei 1,6 % (1991­2005) bzw. bei 3,3 % (2003­2005).

In der Summe kommen die Experten zum Schluss, dass je nach Eintretenswahrscheinlichkeit die Abrechnungssumme der Offerte Marti gegenüber der Offerte Murer-Strabag um +2 Millionen Franken (sicher), +1 bis +12 Millionen (denkbar) bzw. um ­2 bis +40 Millionen Franken (unwahrscheinlich) liegen wird.

Zudem zeigte der technische Vergleich, dass das Angebot der Murer-Strabag technisch dem Amtsvorschlag entspricht, während das Angebot Marti eine Variante mit nur einer Tunnelbohrmaschine (TBM) darstellt. Die Termine können bei Marti nur bei optimalsten Bedingungen eingehalten werden. Weitere Vorteile des Angebotes der Murer-Strabag sind ein früherer Start der ersten TBM, eine mindestens drei Monate kürzere Bauzeit, eine kleinere eingerechnete Vortriebsleistung (höhere Chance für Termineinhaltung), ein grösserer Ausbruchsdurchmesser, tiefere Mehrkosten und weniger Verzögerungen bei allfälligem Auftreten von geologischen Überraschungen sowie ein gegen Schluss der Arbeiten weniger gedrängtes Bauprogramm.

6.3.4

Dritte Vergabe

Gestützt auf die Feststellungen der Experten und deren Empfehlungen vergab der Verwaltungsrat der ATG an seiner Sitzung vom 9. Februar 2007 das Los Erstfeld erneut an die Murer-Strabag. Die Publikation erfolgte am 14. Februar 2007, mit einer Rekursfrist von 20 Tagen. Die Firma Marti gab am 5. März 2007 bekannt, dass sie auf eine erneute Beschwerde verzichtet.

Damit ist die Vergabe dieses Auftrages an die Firma Murer-Strabag rechtskräftig.

Die Bauarbeiten am Los Erstfeld können voraussichtlich im April 2007 aufgenommen werden. Weitere Verzögerungen beim Bau des Gotthard-Basistunnels und entsprechende Mehrkosten lassen sich damit vermeiden.

6.4

Wertung der NAD

In formeller Hinsicht wertet die NAD die Bestrebungen der ATG positiv, die Bearbeitung der zweiten Beschwerde und die Vorbereitung der dritten Vergabe sowohl intern als auch extern möglichst mit Leuten vorzunehmen, die bisher bei der Bearbeitung der Vergaben an diesem Los Erstfeld nicht beteiligt waren. Zu begrüssen ist auch die Massnahme, die beiden Offerenten ausdrücklich bestätigen zu lassen, dass sie gegen die eingesetzten Experten keine Einwände vorzubringen haben.

3654

Inhaltlich wertet die NAD die Arbeiten der Experten als umfassender und tiefer gehend als bei der Bearbeitung der ersten Beschwerde. Dies ist vermutlich teilweise auf die weniger präzise und weniger umfassende Auftragserteilung der ATG bei der ersten Beschwerde zurückzuführen. Die Problematik bzw. die Brisanz des ersten Entscheides der BRK wurde innerhalb der ATG wohl auch etwas unterschätzt.

Namentlich war es ungeschickt von der ATG, das Schreiben der IG-GBT-N vom 24. Juni 2005 gegenüber der BRK anfänglich nicht zu erwähnen. Die Bauherrschaft legte sich vermutlich zu wenig Rechenschaft über die Bedeutung dieses Schreibens über die Risiken einer Globalofferte ab. Jedoch erstaunt, dass sich die BRK auch beim zweiten Entscheid immer noch stark auf das erste Schreiben der IG-GBT-N abstützte und deren korrigierende Stellungnahme vom Frühjahr 2006 nicht mehr gross wertete.

Die Arbeiten der zweiten Expertengruppe zeigen als Quintessenz auf, dass die vertiefte Erarbeitung von Sensitivitätsanalysen tendenziell zu einer Verschlechterung der Offerte Marti gegenüber der Offerte Murer-Strabag führt. Diese Erkenntnis bestätigt grundsätzlich die bisherigen Arbeiten der ATG.

7

Rolle des UVEK und des BAV

7.1

Feststellungen

Die heutige Organisation der Aufsicht über das Projekt NEAT überträgt den beiden Erstellern (BLS AT und ATG) eine grosse Verantwortung. Die Ersteller haben die Funktion von Bauherren. Sie sind dem Bund gegenüber für die sorgfältige Projektierung und Erstellung der Werke gemäss den Bestellungen des Bundes sowie den haushälterischen Einsatz der Finanzmittel verantwortlich. Die Zuständigkeiten basieren auf der AlpTransit-Verordnung und sind in den NEAT-Controllingweisungen umfassend geregelt. Damit hat der Bund die Kompetenzen bei der Vergabe vollständig an die Ersteller abgetreten. Diese müssen das BAV lediglich über den Prozessablauf orientieren und die entsprechenden Akten bereit halten. Auch bei den Bestellungsänderungen sind die Abläufe in der NCW genau geregelt.

Demzufolge hält sich das BAV während der Erstellungsphase des Bauwerkes zurück, aus der Überzeugung, dass die klaren Zuständigkeiten der Organisation der NEAT nur dann eine Stärke sind, wenn sich das BAV nicht in die Kompetenzen der Ersteller einmischt. Aus diesen Überlegungen intervenierte das BAV auch nicht, als die ATG mit ihrer Vergabe das erste Mal Schiffbruch erlitt. Erst nach dem zweiten BRK-Entscheid und auf Empfehlung der NAD schaltete sich das UVEK mit einem Vermittlungsvorschlag seines Departementschefs ein. In der Sache selbst wurden der ATG keine Auflagen gemacht.

7.2

Wertung der NAD

Aus Sicht der NAD sind die Zuständigkeiten grundsätzlich richtig geregelt. Der Bundesrat, das UVEK und das BAV müssen sich aber überlegen, ob die strikte Zurückhaltung bei sich abzeichnenden ausserordentlichen Situationen nicht aufzugeben ist. Zu prüfen ist auch, wie die Kommunikation zwischen BAV und den Erstellern bzw. dem Parlament optimiert werden kann.

3655

Die NAD hatte bereits in einer frühen Phase der Vergabe des Loses Erstfeld auf die Möglichkeit hingewiesen, mit den beteiligten Parteien Gespräche zu führen. Dies geschah im vorliegenden Fall erst spät. Im Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren5 ist diese Möglichkeit seit dem 1.1.2007 sogar ausdrücklich vorgesehen.

8

Lehren für die Zukunft und Empfehlungen der NAD

8.1

Massnahmen der ATG

8.1.1

Globalofferte

Eine Globalofferte ist dort sinnvoll, wo die verlangten Leistungen präzise und umfassend beschrieben werden können. Die Schwierigkeit einer Globalofferte liegt naturgemäss in der Vergleichbarkeit mit anderen Offerten, namentlich mit Einheitspreis-Offerten.

Empfehlung 1: Globalofferte Die NAD empfiehlt der ATG, bei komplexen Bauwerken, wie beispielsweise Tunnelbaulosen, auf Globalofferten zu verzichten.

Die ATG hat inzwischen diesem Anliegen entsprochen und für die weiteren grossen Lose (Bahntechnik Gotthard-Basistunnel, grosse Baulose am Ceneri-Basistunnel) auf die Zulassung von Globalofferten als Varianten verzichtet.

8.1.2

Zweistufiges Offertverfahren

Die Vergabe des Loses Erstfeld zeigt, dass das angewendete, zweistufige Offertverfahren bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes hinderlich sein kann. In der Lehre wird dieses Verfahren teilweise als rechtswidrig bezeichnet.

Empfehlung 2: Bewertungsmodell Die NAD empfiehlt der ATG, bei komplexen Bauwerken auf das bisher praktizierte Bewertungsmodell zu verzichten. Die Kriterien für die Bewertung von Offerten sind so zu präzisieren und auszugestalten, dass eine, dem Projekt nutzende, höhere Qualität einen höheren Preis aufwiegen kann.

Die ATG hat dieser Empfehlung bei der Ausschreibung der Bahntechnik am Gotthard-Basistunnel bereits Rechnung getragen.

5

Art. 33b des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (SR 172.021).

3656

8.1.3

Berechnung von Projektänderungen

Als problematisch erachtet die NAD, dass die ATG die Kostenreduktion beim Verzweigungsbauwerk Uri Berg lang selber berechnete und die von den Unternehmern offerierten Beträge entsprechend anpasste. Dieses Vorgehen birgt ein grosses Rekursrisiko.

Empfehlung 3: Projektänderungen während der Ausschreibung Die NAD empfiehlt der ATG, Projektänderungen während der Ausschreibung grundsätzlich von den Unternehmern kalkulieren und offerieren zu lassen.

8.1.4

Abgebotsrunden

Die Abgebotsrunde ist aus Sicht der NAD ein wenig taugliches Instrument im Beschaffungswesen. Bei häufiger Anwendung werden die Anbieter das in ihren Angeboten berücksichtigen.

Empfehlung 4: Verzicht auf Abgebotsrunden Die NAD empfiehlt der ATG, künftig bei komplexen Vorhaben grundsätzlich auf Abgebotsrunden zu verzichten.

8.1.5

Mehrkosten beim Los 151

Die NAD erachtet es im Lichte der politischen Bedeutung dieses Bauloses als besonders wichtig, dass aus der Vergabe an die Murer-Strabag im Rahmen der Globalofferte möglichst keine Mehrkosten entstehen.

Empfehlung 5: Vermeidung von Mehrkosten Die NAD empfiehlt der ATG, sämtliche geeigneten Vorkehren zu treffen, damit aus der Globalofferte beim Baulos Erstfeld bei den relevanten Risikopositionen keine Mehrkosten resultieren.

3657

8.2

Massnahmen auf Stufe BAV und UVEK

8.2.1

Information und Kommunikation

Die Untersuchungen der Arbeitsgruppe haben gezeigt, dass auf Stufe BAV/UVEK bezüglich Information und Kommunikation gegenüber den Erstellern und dem Parlament Optimierungspotenzial besteht.

Empfehlung 6: Information der Ersteller und des Parlamentes Die NAD empfiehlt dem UVEK, jene Instrumente zu schaffen, um die zeitgerechte gegenseitige Information zwischen der Aufsichtsbehörde und den Erstellern sowie zum Parlament sicherzustellen.

8.2.2

Aufsicht in ausserordentlichen Situationen

Die Untersuchungen der Arbeitsgruppe ergaben, dass die Wahrnehmung der Aufsicht auf Stufe BAV/UVEK in sich abzeichnenden kritischen Situationen überprüft werden sollte.

Empfehlung 7: Aufsicht in ausserordentlichen Situationen Die NAD empfiehlt dem UVEK zu prüfen, wie die Aufsicht und die Einflussnahme bei sich abzeichnenden, ausserordentlichen Situationen aktiver wahrgenommen werden kann. Bei Problemen bei der Auftragsvergabe ist frühzeitig die Möglichkeit von Gesprächen mit den Parteien ins Auge zu fassen (Art. 33b des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren, SR 172.021).

Das UVEK hat bei der Prüfung des weiteren Vorgehens bei der Bahntechnik am Gotthard-Basistunnel bereits im Sinne einer aktiveren Einflussnahme gehandelt.

8.3

Revision BoeB/VoeB

8.3.1

Offertöffnung

Das aktuelle Beschaffungsrecht sieht keine öffentliche Offertöffnung vor.

Empfehlung 8: Öffentliche Offertöffnungen Die NAD empfiehlt dem Finanzdepartement (EFD), im Rahmen der Revisionsarbeiten bessere Transparenz zu schaffen und zu prüfen, wie weit Offertöffnungen öffentlich durchgeführt werden sollen.

3658

8.3.2

Abgebotsrunden

Die NAD erachtet Abgebotsrunden als ein wenig taugliches Element im Beschaffungswesen. Insbesondere bei häufiger Anwendung wird der Bewerber dies in seinen Angeboten berücksichtigen.

Empfehlung 9: Reine Abgebotsrunden Die NAD empfiehlt dem EFD, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, um auf reine Abgebotsrunden grundsätzlich zu verzichten. Ausnahmen sollten höchstens in Fällen zugelassen werden, bei denen keines der Angebote als das wirtschaftlich günstigste erscheint.

Verhandlungen mit einer technischen Bereinigung der Offerten müssen aber immer zugelassen sein.

8.3.3

Wirtschaftlich günstigstes Angebot

Das von der ATG angewendete Verfahren, bei dem alle Bewerber, die bei der technischen Beurteilung die Mindestpunktzahl erreichen, nur noch nach dem Preis als einzig verbleibendes Kriterium bewertet werden, stellt nach Ansicht der NAD nicht sicher, dass das effektiv günstigste Angebot den Zuschlag erhält.

Empfehlung 10: Wirtschaftlich günstigstes Angebot Die NAD empfiehlt dem EFD, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass bei komplexen Bauwerken aus der technischen Bewertung und dem Preis das effektiv wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt und auch sichergestellt werden kann, dass eine, dem Projekt nutzende, höhere Qualität einen höheren Preis aufwiegen kann.

3659

8.3.4

Volkswirtschaftliche Interessen

Nach Ansicht der NAD hat die BRK bei der Beurteilung der aufschiebenden Wirkung die öffentlichen Interessen, wie namentlich die volkswirtschaftlichen Interessen, zu wenig berücksichtigt.

Empfehlung 11: Berücksichtigung öffentlicher Interessen bei der Gewährung der aufschiebenden Wirkung Die NAD empfiehlt dem EFD, zu prüfen, wie die Erteilung der aufschiebenden Wirkung restriktiver gehandhabt werden kann. Es soll eine Formulierung in das Gesetz aufgenommen werden, wonach die aufschiebende Wirkung von einer Beschwerdeinstanz nur dann erteilt werden soll, wenn den Interessen eines Beschwerdeführers keine überwiegenden öffentlichen Interessen gegenüberstehen. Solche können nach Ansicht der NAD insbesondere dann vorliegen, wenn durch die Beschwerde hohe Kosten oder Verzögerungen für die Auftraggeberin eintreten oder die Beschwerde eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zur Folge hat.

8.3.5

Abbruch des Verfahrens

Vergabeverfahren dürfen nicht leichtfertig abgebrochen werden. Jedoch stellt sich die Frage, ob für die Bauherrin nicht zusätzlicher Handlungsspielraum für den Abbruch des Vergabeverfahrens zu schaffen ist.

Empfehlung 12: Erleichterung des Abbruchs des Vergabeverfahrens Die NAD empfiehlt dem EFD zu prüfen, ob für die Bauherrschaft zusätzlicher Handlungsspielraum für den Abbruch des Vergabeverfahrens zu schaffen ist.

9

Abschliessende Würdigung

Ziel der Abklärungen der Arbeitsgruppe der NAD war es, Vorwürfe im Zusammenhang mit der Vergabe des Bauloses 151 (Erstfeld) am Gotthard-Basistunnel der NEAT zu klären und für die Zukunft Lehren zu ziehen.

Entscheidender Schwachpunkt dieser Vergabe war die Reduktion des Verzweigungsbauwerkes Uri Berg lang während des Verfahrens. Obwohl zum damaligen Zeitpunkt das BAV von der ATG eine Prüfung einer Reduktion dieses Bauwerkes verlangt hatte, publizierte diese die Ausschreibung unverändert, mit der Absicht, die damals noch nicht entschiedene Variante später in den Offertunterlagen der Anbieter zu korrigieren. Dies geschah denn auch, wobei die ATG die reduzierten Ausmasse aufgrund der Offerten selber berechnete. Zwar liess sie sich die Richtigkeit dieser Anpassungen von den Offerenten bestätigen. Als aber ein Anbieter kurze Zeit später einen nochmals um 10 Millionen Franken tieferen Preis anbot, geriet die ATG in ein Dilemma. Es war klar, dass sie dieses nachträgliche Angebot aus Gründen der Gleichbehandlung nicht annehmen durfte. Gleichzeitig wollte sie aber eine Nach3660

besserung von immerhin 10 Millionen Franken nicht aus formalen Gründen einfach unbeachtet lassen. Sie entschloss sich deshalb, allen Anbietern nochmals Gelegenheit zu einem letzten Angebot zu geben. Dieses Vorgehen hatte die ATG bisher noch nie angewendet. Damit änderte auch die preisliche Rangfolge der Offerten.

Es ist deshalb nachvollziehbar, dass für Aussenstehende der Eindruck entstehen konnte, die Spielregeln der Vergabe seien nach eigenem Gutdünken abgeändert worden und die Abgebotsrunde sei intransparent gewesen. Tatsächlich war diese Abgebotsrunde nicht absolut zwingend. Die ATG hätte das nachträgliche Angebot einfach aus dem Recht weisen und auf weitere Schritte verzichten können. Es gilt jedoch festzuhalten, dass die Abgebotsrunde rechtens war, weil Verhandlungen in der Ausschreibung ausdrücklich ausbedungen worden waren. Die Abgebotsrunde wurde von der BRK nicht gerügt.

Es stellt sich auch die Frage, ob die Kommunikation zwischen dem BAV und der ATG optimal verlief und ob das BAV seine ­ durchaus gewollte und auch konkret so definierte ­ zurückhaltende Rolle bei der Wahrnehmung der Aufsicht über die NEAT nicht aktiver wahrnehmen sollte. Jedenfalls verlief die Reduktion des Verzweigungsbauwerkes nicht optimal und die Risiken des gewählten Vorgehens wurden beiderseits unterschätzt.

Als nicht optimal erachtet die NAD auch das Vorgehen der ATG nach dem ersten Beschwerdeentscheid. Dass gewisse Schriftstücke erst auf Verlangen der BRK nachgereicht wurden (Schreiben der IG-GBT-N betreffend Risiken einer Globale), erweckt den Eindruck, man habe die Anforderungen beim Umgang mit einer richterlichen Instanz etwas unterschätzt. Auch die Sensitivitätsanalysen erscheinen im Lichte der vor der dritten Vergabe deutlich umfassender erfolgten Abklärungen als ungenügend. Allerdings ist die Meinung der ATG nachvollziehbar, dass die BRK tief in das Ermessen der ATG eingriff.

Die von Ständerat This Jenny formulierten Vorwürfe sind rechtlich nicht haltbar.

Seinen Vorwurf der «Mauschelei» und seine Äusserung im Ständerat, das öffentliche Beschaffungswesen sei nachweislich mit Füssen getreten worden, erachtet die NAD als nicht zutreffend. Das ganze Vergabeverfahren wickelte sich im Rahmen der rechtsstaatlichen Abläufe ab, «Machenschaften, wie wir sie sonst nur aus Bananenrepubliken kennen» vermag die NAD
keine zu erkennen. Auch für den Verdacht, dass persönliche Aspekte von Betroffenen eine Rolle gespielt haben, fand die NAD keine Hinweise. Nachvollziehbar erscheint, dass das Vorgehen der ATG in verschiedenen Verfahrensschritten ­ besonders beim Verzweigungsbauwerk Uri Berg lang ­ als suboptimal und als unsensibel empfunden werden kann. Von «grobfahrlässigem» Handeln kann jedoch keine Rede sein. Die Spielregeln wurden während der Ausschreibung nicht geändert. Festzustellen ist allerdings, dass das nachträgliche Angebot der Murer-Strabag aussergewöhnlich ist und die ATG zu nicht geplanten Schritten verleitete. Auch dass die ATG und das BAV bei der Reduktion des Verzweigungsbauwerkes Uri Berg lang nicht optimal vorgingen, leuchtet im Lichte des ganzen Verfahrens ein. Den Vorwurf des dilettantischen Vorgehens mag die NAD jedoch nicht teilen. Und die der ATG unterstellte «Eigenmächtigkeit» zielt an der Tatsache vorbei, dass der Bund die Kompetenzen bei der Erstellung der NEAT-Bauwerke sehr weit gehend ­ und in Kenntnis des Parlamentes ­ an die Ersteller abgetreten hat. Der Feststellung schliesslich, die ATG habe zwei Mal falsch entschieden, ist entgegen zu halten, dass die BRK zwar die Vergaben zwei Mal zur Neubeurteilung an die ATG zurückwies, jedoch nicht festgestellt hat, die Vergabe sei falsch.

3661

Aus der Sicht der NAD werfen auch die beiden Entscheide der BRK durchaus einige Fragen auf. Vor allem entsteht der Eindruck, die BRK habe stark in das Ermessen der Vergabebehörde eingegriffen, obwohl sie darauf verzichtete, selber in der Sache zu entscheiden, was rechtlich möglich gewesen wäre. Es gibt sogar Stimmen, welche die Forderung der BRK nach Sensitivitätsanalysen als rechtlich nicht zulässig erachten, weil solche Analysen in der Ausschreibung nicht vorgesehen waren.

Ausserdem trug die BRK den volkswirtschaftlichen Interessen bei der Gewährung der aufschiebenden Wirkung zu wenig Rechnung, insbesondere, wenn man die lange Dauer des Verfahrens in Betracht zieht.

Die NAD erachtet es als sehr wichtig, aus der Vergabe des Loses Erstfeld Lehren zu ziehen. Sie hat entsprechende Empfehlungen formuliert hinsichtlich Massnahmen der ATG, Massnahmen des BAV sowie im Hinblick auf die laufende Revision des Beschaffungsrechts des Bundes. Zudem wird die NAD der Verwirklichung dieses Bauloses, namentlich bezüglich Vermeidung von Mehrkosten, ein besonderes Augenmerk widmen.

19. März 2007

Im Namen der NEAT-Aufsichtsdelegation der eidgenössischen Räte Der Präsident: Hansruedi Stadler Der Sekretär: Roberto Ceccon

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Beilage

Chronologie der Vergaben des Bauloses 151 Erstfeld 19.05.2004

Publikation der Ausschreibung durch die ATG

19.10.2004

Offerteingabe

27.10.2004

Öffnung des technischen Teils der Offerte

21.12.2004

Brief ATG an Anbieter 2: Ausschluss vom weiteren Verfahren (Angebot erfüllt Zuschlagskriterien nicht)

21.12.2004

Schriftlicher Fragenkatalog an Anbieter 1/3/4/5

22.12.2004

Öffnung des finanziellen Teils der Offerte

10.03.2005

Brief ATG an Anbieter 5: Keine Weiterbehandlung des Angebots (viel höherer Angebotspreis als übrige Anbieter)

31.01.­ 08.04.2005

Unternehmergespräche in drei Runden mit den verbleibenden Anbietern Zschokke, Marti, Murer-Strabag

21.04.2005

Letzte Antworten zu Fragenkatalog ATG eingetroffen

Bis 12.05.2005 Ergänzende Risikoanalyse durch ATG 31.05.2005

Brief Murer-Strabag: Zusätzliche Reduktion bei wegfallenden Teilen des Verzweigungsbauwerkes

Bis 15.06.2005 Juristische Abklärung betr. Gleichbehandlung der Anbieter aufgrund Brief vom 31.05.2005 29.06.2005

Schreiben ATG an Murer-Strabag: Nichtberücksichtigung Brief vom 31.05.2005

29.06.2005

Schreiben ATG an alle drei verbliebenen Anbieter: Aufforderung, ein abschliessendes Angebot abzugeben

14.07.2005

Offertöffnung abschliessende Angebote

11.08.2005

Vergabe Los Erstfeld durch ATG an Murer-Strabag

24.08.2005

Publikation der Vergabe im Schweiz. Handelsamtsblatt

13.09.2005

Beschwerde Firma Marti bei der BRK

21.11.2005

Zwischenentscheid BRK: Gewährung aufschiebende Wirkung

13.02.2006

Entscheid BRK: Gutheissung der Beschwerde

21.02.2006

Auftrag der ATG an Experten zur Durchführung von Sensitivitätsanalysen

19.04.2006

Resultat Sensitivitätsanalysen

04.05.2006

Zweiter Vergabeentscheid der ATG

09.05.2006

Publikation im Schweiz. Handelsamtsblatt

26.05.2006

Beschwerde Firma Marti bei der BRK

11.09.2006

Entscheid BRK: Gutheissung der Beschwerde

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28.09.2006

Besprechung der ATG mit Experten zur Auftragserteilung für Neuevaluation

06.10.2006

Gespräch der ATG mit Vorsteher des UVEK

26.10.2006

Auftragserteilung durch ATG an Experten

03.11.2006

Schreiben Bundespräsident an Marti, Murer-Strabag und ATG

22.01.2007

Evaluationsbericht der Experten liegt der ATG vor

09.02.2007

Dritter Vergabeentscheid der ATG

14.02.2007

Publikation im Schweiz Handelsamtsblatt

05.03.2007

Firma Marti gibt Verzicht auf Beschwerde bekannt

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