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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen über die Verordnung vom 28. September 1914 betreffend die Ergänzung und Abänderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs für die Zeiten der Kriegswirren.

(Vom 28. September 1914.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Wir haben für die .Tage vom 5. August bis zum 30. September für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft im Sinne des Art. 62 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs einen allgemeinen Rechtsstillstand gewährt und dadurch die Möglichkeit ausgeschlossen, während dieser Zeit Betreibungshandlungen vorzunehmen.

Für die im Kriegsdienste befindlichen schweizerischen Wehrmänner dauert der Rechtsstillstand von Gesetzes wegen (Art. 57 SchKG) fort, so lange sie unter den Fahnen stehen. Für die übrige Bevölkerung aber ihn weiter bestehen zu lassen, geht nicht an. Der Rechtsstillstand hat den Geldverkehr zum Teil gehindert, zum Teil ganz unterbunden. Der Schuldner unterliess es, weil er den Zahlungsbefehl, die Pfändung und den Konkurs nicht mehr zu fürchten hatte, seiner Zahlungspflicht nachzukommen und erschwerte oder verunmöglichte es so seinem Gläubiger, seinerseits die ihm obliegenden Verbindlichkeiten zu erfüllen. Während das Institut des Rechtsstillstandes seinem Zwecke nach nur den Notleidenden dienen soll, hat es sich häufig auch der Bemittelte und Reiche zunutze gemacht und sich seinen Gläubigern gegenüber so verhalten, wie wenn seine Schulden gestundet wären.

Unser ganzes Wirtschaftsleben ist ins Stocken geraten. Um es in die alten ordentlichen Bahnen, soweit dies möglich ist, zurückzuführen, haben wir beschlossen, den nach Art. 62 SchKG gewährten Rechtsstillstand nicht zu verlängern, ihn also mit dem 30. September dahinfallen zu lassen.

128 Können vom 1. Oktober an gegen Schuldner, die nicht als Wehrmänner an der Grenze stehen, Zwangsvollstreckungen angehoben und durchgeführt werden, so würden viele nur deshalb in Konkurs geraten oder ausgepfändet werden, weil sie z u r / , ei t nicht in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen und würde so ihre wirtschaftliche Existenz vernichtet, ihr Vermögen entwertet und würden sie selbst von den in einzelnen Kantonen recht harten, öffentlichrechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses getroffen. Dies nach Möglichkeit zu verhindern, ist der Zweck der von uns am 28. September 1914 erlassenen Verordnung betreffend Ergänzung und Abänderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs für die Zeit der Kriegswirren.

Die von uns aufgestellten neuen Vorschriften greifen so tief in das geltende Betreibungsrecht ein, dass es uns als angezeigt erscheint, ihnen einige erläuternde Bemerkungen mit auf den Weg zu geben. Wir stützen uns dabei zum Teil auf die Ausführungen eines eingehenden Berichtes, den die mit der Prüfung des Verordnungsentwurfes betraute Expertenkommission erstattet hat.

Die Verordnung lässt den Bundesratsbeschluss betreffend Schutz der in der Schweiz domizilierten Schuldner gegenüber den im Auslande domizilierten Gläubigern, vom 17. August 1914, unberührt. Soweit also im Ausland weitergehende, das privatrechtliche Verhältnis betreffende Stundungsvorschriften zum Schütze der dortigen Schuldner bestehen, können sich die in der Schweiz wohnenden Schuldner gegenüber Gläubigern des Auslandes nach wie vor auf diese Vorschriften berufen. Sie werden dies entweder im Verfahren gemäss Art. 85 SchKG oder vor dem Konkursrichter gestützt auf Art. 172 Ziffer 3 oder in der Wechselbetreibung bei Erhebung des Rechtsvorschlages gemäss Art. 182 Ziffer l tun können.

l. Eigentliche Rechtsstillstandsersatzmassnaiimen. Sie haben den Zweck im Auge, Auspfändungen und Konkurseröffnungen zu verhüten, und bestehen in folgendem : 1. A u f s c h i e b u n g der V e r w e r t u n g bei der B e t r e i b u n g auf P f ä n d u n g und auf Pfandverwertung (Art. l und 2 der Verordnung). Ist es in diesen Betreibungen zu einem Verwertungsbegehren gekommen, so soll nach der Verordnung der Schuldner die Vorwertung dadurch vermeiden können, dass er monatliche Abschlagszahlungen von mindestens einem

129 Achtel der Forderungssumme zu leisten sich verpflichtet und die erste Rate sofort bezahlt. Diese Vorschrift soll einerseits verhindern, dass während der Zeit der Krisis die gepfändeten Gegenstände auf einer Versteigerung zu Preisen losgeschlagen werden, die in keinem Verhältnis zu ihrem Werte stehen; anderseits bezweckt sie, dem zahlungswilligen Schuldner eine durch die Verhältnisse gebotene längere Zahlungsfrist einzuräumen. Im Gegensatz zu Art. 123 SchKG hat nach der Verordnung der Schuldner, der die vorgeschriebene Ratenzahlung verspricht und eine Rate sofort zahlt, ein Anrecht auf Verschiebung der Verwertung. Einer Bewilligung des Betreibungsbeamten, einer Untersuchung der Verhältnisse des einzelnen Falles durch die Vollstreckungsbehörden bedarf es nicht. Die Vergünstigung tritt ohne weiteres ein. Nur wenn der Gläubiger nachweist, dass der Schuldner zur sofortigen Vollzahlung oder doch zur Entrichtung grösserer Raten imstande ist, soll der Aufschub von der Aufsichtsbehörde aufgehoben oder an die Bedingung grösserer Abschlagszahlungen geknüpft werden.

Für einzelne Forderungen, die in Art. 2 der Verordnung näher bezeichnet sind, schien es notwendig, eine Ausnahme von diesen Vorschriften zu machen. Für sie gilt daher Art. 123 SchKG in seiner gegenwärtigen Gestalt. Diese Ausnahme rechtfertigt sich, was die in Ziffer l des Art. 2 angeführten Forderungen unter Fr. 50 anbelangt, durch die Erwägung, dass die Kosten der Abschlagszahlung, je kleiner die Quoten sind, verhältnismässig um so grösser werden, und dass so geringe Forderungen bei gutem Willen des Schuldners nach Art. 123 SchKG in vier Raten sollten abbezahlt werden können. Die Lohn- und Gehaltsforderungen sodann (Ziffer 2 lit. a--c) sind durch Art. 219 SchKG schon besonders privilegiert ; ihre Ausnahmestellung bedarf daher einer besondern Begründung nicht. Diesen Ansprüchen die Alimentenforderungen [Ziffer 2 lit. d) gleichzustellen, drängt sich von selbst auf. Die Ansprüche der öffentlichen Kassen (Ziffer 2 lit. è) sollten möglichst bald befriedigt werden. Die Öffentlichkeit kann den vielen ausserordentlichen Anforderungen, die zurzeit an sie gestellt werden, nur dann gerecht werden, wenn sie auf die Befriedigung ihrer fälligen Ansprüche nicht Jahr und Tag warten muss. Wo sich die öffentlichen Kassen der Unmöglichkeit des Schuldners
gegenüber sehen, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, werden sie, wie bisher, die nötige Nachsicht freiwillig üben. In betreff der Ziffer 3 endlich ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen über den Aufschub der Verwertung dem Schuldner ein Privileg gewähren, auf das er verzichten kann,

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und dass ein solcher Verzicht oft in seinem eigenen Interesse liegt, indem er sich damit dem gemeinen Exekutionsrechte unterstellt und unter den jetzigen Umständen seine Kreditfähigkeit zu steigern vermag.

Entsteht Streit darüber, ob man es mit einer Forderung zu tun habe, welche unter dem neuen oder unter dem bisherigen Rechte steht, so haben die Betreibungsbeamten und auf Beschwerde die Aufsichtsbehörden zu entscheiden.

2. A u f s c h i e b u n g der K o n k u r s e r ö f f n u n g (Art. 3 bis 11 der Verordnung). Auch dem der Konkursbetreibung unterstehenden Schuldner will die Verordnung die Möglichkeit gewähren, die in Betreibung gesetzte Forderung, selbst wenn es schon zur Konkursandrohung gekommen ist. noch durch Abschlagszahlungen zu tilgen und dadurch die Konkurseröffnung von sich abzuwenden.

Der auf Konkurs betriebene Schuldner verdient wie der der Pfändungsbetreibung unterliegende Debitor eine solche Rücksichtnahme. Nach dem System unseres Betreibungsgesetzes kommt es auch ihm gegenüber nur dann zu einer Generalliquidation seines Vermögens, wenn er den im Zahlungsbefehl und in der Konkursandrohung liegenden Aufforderungen zur Befriedigung eines einzelnen treibenden Gläubigers nicht nachkommt. In vielen, man kann sagen in den meisten Fällen, dienen Zahlungsbefehl, Konkursandrohung und sogar die Vorladung vor den Konkursrichter nur als Zwangsmittel, um den Schuldner zur Leistung an den treibenden Einzelgläubiger anzuspornen. Das Betreibungsgesetz gibt also dem Schuldner jetzt schon, bevor es den Konkurs eröffnen lässt, eine bestimmte Zahlungsfrist zur Befriedigung der treibenden Gläubiger. Es bedeutet also nur eine weitere Ausbildung dieses Gedankens, wenn in der Vorordnung diese Frist durch Einschiebung des Abzahlungsverfahrens verlängert wird.

Der Zweck dieser Bestimmungen ist nicht darauf gerichtet, um allen Preis jeden Konkurs zu vermeiden. Sie wollen nur .ermöglichen, dass die Schuldner, die momentan, der Krisis wegen, in Verlegenheit sind, durch ein Hinausschieben der Konkurseröffnung die Möglichkeit erhalten, sich unterdessen mit den betreibenden Gläubigern zu arrangieren. Es wird Sache einer verständigen Würdigung jedes einzelne^ Falles durch die Konkursgerichte, die hierüber zu entscheiden haben, sein, dass mit dieser Vergünstigung nicht Missbrauch getrieben wird.

131 Die Stellung des Schuldners in der Konkursbetreibung ist -- verglichen mit der Lage des der Pfändungsbetreibung unterliegenden Debitors -- insofern erschwert, als der Schuldner dem Konkursgerichte dartun muss, dass er infolge der Kriegsereignisse, ohne sein Verschulden, au der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten verhindert ist. Ein strikter Beweis kann nicht verlangt werden.

Daher begnügte man sich mit dem Erfordernis des Glaubhaftmachens.

Die Raten, die der Schuldner zu zahlen hat, sind hier entsprechend dem in der Konkursbetreibung liegenden stärkern Zwang auf den Schuldner, grösser, der Aufschub also auch weniger lang, als bei der Pfändungs- und der Pfandverwertungsbetreibung. Auch musste ein Unterschied gemacht werden zwischen der gewöhnlichen Konkurs- und Wechselbetreibung : für diese ist die Zahlungsfrist noch kürzer, und sind die Raten noch grösser angesetzt, als bei jener. Dadurch wird die besondere Wechselstrenge auch unter dem neuen Rechtszustand aufrechterhalten.

Die Aufsichtsbehörden werden darauf zu achten haben, dass die Betreibungsbeamten die Einhaltung der Fristen für die Abschlagszahlung gehörig überwachen und von ihrer Nichtbeachtung dem Konkursgericht jeweilen sofort Anzeige machen.

Sollte die Möglichkeit, die Schuld in Abschlagszahlungen zu tilgen, für den Schuldner nicht iu sehr vielen Fällen zum vorneherein illusorisch gemacht werden, so konnte an der in Art. 182 Ziffer 4 SchKG vorgesehenen Verpflichtung, die Wechselsumme im vollen Betrage schon bei der Erhebung des Rechtsvorschlages zu deponieren, nicht mehr festgehalten werden. Eine blosse Sicherstellung erschien für alle Fälle als genügend, in denen der Schuldner die Unmöglichkeit der sofortigen Hinterlegung als Folge ' der Kriegswirren glaubhaft macht.

Für das Verfahren vor den Konkursbehörden gelten die bisherigen Bestimmungen des eidgenössischen und kantonalen Rechtes, jedoch mit folgenden Abänderungen: a. Auch in der Wechselbetreibung (vgl. Art. 168 SchKG für die ordentliche Konkursbetreibung) musste, entgegen der Bestimmung des Art. 189 SchKG, die Vorladung der Parteien zu der Verhandlung über das Konkursbegehren obligatorisch erklärt werden.

b. Das Erkenntnis über das Einstellungsgesuch muss, auch wenn es sich um eine Wechselbetreibung handelt, an die obere kantonale Instanz weiterziehbar sein, und, da der Berufungskläger Zeit haben muss, das Material für die zweite Instanz allfällig

132 zu ergänzen, war es notwendig, eine einheitliehe Rekursfrist vonzehn Tagen anzusetzen. Entgegenstehende kantonale Bestimmungen über die Rekursmöglichkeit und über die Rekursfristen sind dadurch aufgehoben.

c. Damit das Verfahren nicht zu lange in der Schwebe bleibe, musste für die Erledigung in der zweiten Instanz (vgl.

Art. 171 SchKG für die erste Instanz) eine Frist vorgeschrieben werden. Ebenso erschien es notwendig, auch für das Berufungsverfahren eine mündliche oder schriftliche Einvernahme der Parteien vorzusehen.

d. Der Berufung wurde, im Gegensatz zu den Bestimmungen des Art. 174 SchKG, schlechthin aufschiebende Wirkung zuerkannt, um die mit der gegenwärtigen, abweichenden Ordnung der Dinge verbundenen Komplikationen zu vermeiden.

Wenn die Einstellung der Verhandlung von der ersten Instanz verweigert wird und diese daher den Konkurs ausspricht, darf also die Mitteilung des Konkurserkenntnisses an das Konkursamt, den Grundbuchführer und das Handelsregisteramt erst nach unbenutztem Ablauf der Berufungsfrist erfolgen. Der Konkurs gilt aber, wenn es nicht zur Berufung kommt, von dem Zeitpunkt an als eröffnet, in dem er vom Konkursrichter ausgesprochen wurde, spricht ihn erst die zweite Instanz aus, erst von ihrem Entscheide an.

e. Erfolgt die Einstellung der Verhandlung über das Konkursbegehren, so muss zur Anordnung des Güterverzeichnisses entgegen der Bestimmung des Art. 162 SchKG das blosse Begehren des Gläubigers genügen.

f. Dass das Konkurserkenntnis auch nicht ausgesprochen werden darf, solange ein Verfahren über die allgemeine Betreibungsstundung schwebt, scheint keiner besondern Begründung zu bedürfen. Eine ausdrückliche Bestimmung ist aber beim gegenwärtigen Rechtszustand notwendig, um solche Konkurseröffnungen zu verhindern.

3. A l l g e m e i n e B e t r e i b u n g s s t u n d u n g d u r c h die N a c h l a s s b e h ö r d e n (Art. 12 bis 22 der Verordnung). Wenn die soeben erörterten Bestimmungen über die Aufschiebung der Konkurseröffnung verhindern wollen, dass der in momentane Verlegenheit gekommene Schuldner, der nur wenigen Betreibungen ausgesetzt ist, durch einzelne Gläubiger zu stark bedrängt wird, so zielen dagegen die Vorschriften der Art. 12--22 der Verordnung in erster Linie darauf ab, die ökonomische Situation von Schuldnern mit einem ausgedehnteren Geschäftsbetrieb und

133 mit vielen Verbindlichkeiten dadurch zu retten, dass sie für eine gewisse Zeit vor allen Betreibungen sicher gestellt werden, ihnen also gleichsam ein allgemeiner Rechtsstillstand bewilligt wird.

Doch kann die Institution der allgemeinen Betreibungsstundung auch von den der Pfändungs- und Pfandverwertungsbetreibung unterliegenden Schuldnern angerufen werden, wenn sie infolge der Kriegsverhältnisse in eine derart bedrohte Lage geraten sind, dass nur ein vollständiger Rechtsstillstand während geraumer Zeit sie vor dem Ruin retten kann, da sie entweder von so vielen Seiten bedrängt sind, dass sie auch nicht einmal Abschlagszahlungen aufbringen können oder so sehr aller Mittel entblösst sind, dass sie Zahlungen überhaupt nicht zu leisten im Stande sind.

Hier kann es sich um eine Bewilligung dieser Vergünstigung nur nach Prüfung der Verhältnisse im einzelnen Falle handeln.

Und da dabei die gesamte finanzielle Situation des Schuldners zu untersuchen ist, lag es nahe, diesen Entscheid den Nachlassbehörden zu übertragen, welche ja im Nachlassverfahren bereits ähnliche Aufgaben haben. Auch das Verfahren konnte an das bestehende angeschlossen werden, und für die Wirkungen einer solchen Stundung bot ebenfalls die Nachlassstundung, wie sie in Art. 295--298 SchKG geregelt ist, bereits die nötige Grundlage.

Voraussetzung für die Bewilligung eines Gesuches musste natürlich wieder sein, dass der Schuldner, der es stellt, einer solchen Wohltat würdig sei, das heisst, dass seine Zahlungsverlegenheit nur eine momentane, durch die Kriegsereignisse veranlasste ist und dass begründete Aussicht dafür besteht, dass er nach Eintritt normaler Zeiten seinen Verpflichtungen wieder voll nachkommen könne. Die Stundung soll auf alle Fälle nicht dazu dienen, einen doch in sicherer Aussicht stehenden Ruin aufzuhalten. Die Nachlassbehörden haben die Schuldner, für die eine Besserung ihrer Situation nach dem Wiedereintritt normaler Verhältnisse nicht in Aussicht steht, und welche an eine Vollzahlung ihrer Gläubiger überhaupt nicht mehr denken können, auf den Weg des gewöhnlichen Nachlassvertrages zu verweisen. Wenn der Schuldner sein Geschäft während der Stundung weiter betreiben kann und daraus einen Verdienst erzielt, der über seine Lebensbedürfnisse hinausgeht, so soll die Stundung nur unter der Bedingung bewilligt werden,
dass der Überschuss zu Abschlagszahlungen an die Gläubiger verwendet wird. Die Verordnung sieht als Garantie dafür, dass die Verhältnisse eine gründliche und auch eine sachkundige Prüfung erfahren, vor, dass zum Entscheid überall da, wo es nötig er-

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scheint, d. h. wo im Schosse der Nachlassbehörde solche nicht schon vorhanden sind, Sachkundige zur Verhandlung und zum Entscheid beigezogen werden, die über die einschlägigen geschäftlichen Verhältnisse orientiert sind und in der Sache nicht als befangen erscheinen. In vielen Fällen dürfte die ßeiziehung eines einzigen Sachverständigen genügen.

Die Betreibungsstundung soll, wie erwähnt, dem Schuldner die Möglichkeit geben, seine Verhältnisse so zu ordnen, dass er nach ihrem Ablaufe in der Lage ist, seinen Verbindlichkeiten wieder nachzukommen, Eine Stundung von im Maximum sechs Monaten dürfte einstweilen als ausreichend erscheinen.

Die Betreibungsstundung als solche hat keine privatrechtlichen Wirkungen. Durch sie werden alle Betreibungen eingestellt und neue untersagt. Ausgenommen ist auch hier die Betreibung für Forderungen, die nach Art. 219 SchKG in der ersten Klasse privilegiert sind, sowie für Ansprüche der öffentlichen Kassen, und für Alimentenforderungen. Auch stehen die Verjährungs- und Ver Wirkungsfristen still, die durch die Betreibung unterbrochen werden können. Der Schuldner soll in seiner geschäftlichen Tätigkeit im Prinzip nicht eingeschränkt sein; dagegen darf er keine Handlungen vornehmen, welche nach Aufhebung der Stundung zu einer ungleich massigen Befriedigung seiner Gläubiger gleichen Ranges führen müssten. Zu diesem Zwecke sind einerseits alle auf Begünstigung einzelner Gläubiger abzielenden Handlungen als ungültig erklärt; anderseits soll dem Schuldner in der Regel, wenn er ein irgendwie namhaftes Geschäft betreibt, ein Sachwalter beigegeben werden, der, sobald er solche Handlungen konstatiert, davon der Nachlassbehörde Anzeige zu machen hat, damit sie die Stundung widerrufen kann.

Liegen ganz einfache Verhältnisse vor, so kann von der Ernennung eines Sachwalters Umgang genommen werden. Geht der Schuldner neue Schulden ein, wozu er an und für sich berechtigt ist, so soll in der Regel ein äquivalenter Gegenwert vorhanden sein. Ihre Bezahlung ist gestattet, soweit dadurch nicht eine Schädigung der Vermögensmasse bewirkt wird, wie sie bei Bewilligung der Stundung bestand. Schulden, die vor der Bewilligung der Stundung bestanden, dürfen nur dann getilgt werden, wenn ihre Vollzahlung ohnehin gesichert erscheint, wenn es sich also handelt z. B. um die in erster Klasse privilegierten
Forderungen, oder um durch hinreichendes Pfand gedeckte usw.

Es ist nicht notwendig, dass die vom Sachwalter aufgezeichneten Vermögensbestandteile als solche in natura erhalten werden; es

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soll nur keine Veränderung der Wertsumme zum Nachteil der Gläubiger stattfinden.

Was das Verfahren, anbelangt, so gelten im allgemeinen die kantonalrechtlichen Bestimmungen über das Verfahren vor den Nachlassbehörden für die Verhandlung sowohl über die Bewilligung wie über den Widerruf der Stundung. Doch haben die Nachlassbehörden von Amtes wegen alle zur Aufklärung des Sachverhaltes nötigen Erhebungen anzuordnen. Auch soll, wenn das Verfahren sich voraussichtlich in die Länge zieht, zur Sicherung der Gläubiger während dieser Zeit zum mindesten ein GüteYverzeichnis aufgenommen werden. Es können aber auch noch weitergehende Verfügungen getroffen werdeu, wie sie Art. 170 SchKG vorsieht : Sperrung des Grundbuches, Sistierung von Verwertungen in pendenten Betreibungen usw. Wie die erste, so muss auch die zweite Instanz die Gläubiger anhören. Die Gläubiger sind zur erstinstanzlichen Verhandlung persönlich vorzuladen ; eine Vorladung durch öffentliche Bekanntmachung schliesst die Verordnung aus. In betreff der zweitinstanzlichen Verhandlung genügt es, wenn die Gläubiger, die an der ersten Verhandlung teilgenommen haben, eingeladen werden ; die ändern Gläubiger haben durch ihr Nichterscheinen zu erkennen gegeben, dass sie an dem Verfahren nicht teilnehmen wollen.

Die Stundung ist ·wie die Nachlassstundung auf Antrag eines Gläubigers oder des Sachwalters zu widerrufen, wenn der Schuldner sich ihrer unwürdig erweist, indem er die 'Weisungen des Sachwalters oder die gesetzlichen Verpflichtungen nicht beachtet. In diesen Fällen hat er zum vorneherein auch die Bewilligung einer eigentlichen Nachlassstunduug nach Art. 293 ff. SchKG verwirkt. Wenn der Schuldner einen eigentlichen Nachlassvertrag anstreben will, so erscheint es endlich gegeben, dass er dazu nicht etwa nach Ablauf der Betreibungsstundung eine neue Nachlassstundung nach Art. 295 SchKG nachsucht, sondern die Vorbereitungen für den Nachlassvertrag während der Betreibungsstundung trifft.

Endlich sei noch darauf verwiesen, dass die Bestimmung des Art. 19 der Verordnung -- wie ihr Korrelat für die Sistierung der Konkurseröffnung in Art. 11 -- sich als notwendig erwiesen hat, um die Anfechtungsrechte der Gläubiger nicht zu benachteiligen, weil die bundesgerichtliche Praxis bis jetzt die Sechsmonatfrist der Art. 286 und 287 SchKG nicht als eine Verwirkungsfrist, sondern als ein ,,Tatbestandsmerkmal der Anfechtungsklage" erklärte, sodass die Frist unter keinen Umständen eine Verlängerung erfahren kann.

136 II. Verlängerung der Nachlassstundung beim Nachlassvertrag.

Nach Artikel 295 SchKG gewährt die Naehlassbehörde untergewissen Voraussetzungen eine Nachlassstundung von zwei Monaten und ist berechtigt, sie um höchstens zwei Monate zu verlängern.

Der Artikel 23 der Verordnung verschafft nun dem Schuldner, der einen Nachlassvertrag anstrebt und wegen der heute bestehenden, wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, innert der vier Monate die nötigen Zustimmungserldärungen zum Nachlassvertrag beizubringen oder die Erfüllung des Nachlassvertrages sicherzustellen, die Möglichkeit, eine Verlängerung der Nachlassstundung um höchstens zwei Monate zu erhalten. Wie die Institution des Nachlassvertrages überhaupt, so bezweckt auch diese Vorschrift, den ehrlichen bedrängten Schuldner vor dem Konkurse und der Auspfändung zu bewahren und schliesst sich so eng an die vorhergehenden Bestimmungen an.

III. Öffentlichrechtiiche Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses. Die soeben erörterten Bestimmungen werden dazu beitragen, viele Schuldner vor dem wirtschaftlichen Ruin zu schützen. Es ist aber unausbleiblich, dass Auspfändungen stattfinden und Konkurse eröffnet werden, die ihren Grund ausschliesslich oder in der Hauptsache in der heute bestehenden wirtschaftlichen Lage haben. An die Auspfändung und den Konkurs knüpfen sich nun in der Regel gewisse Ehrenfolgen.

Art. 26 SchKG legt es in die Zuständigkeit der Kantone, die öffentlichrechtlichen Folgen der fruchtlosen Pfändung und des Konkurses festzustellen. Die Kantone haben in sehr verschiedener Weise von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. Es gibt solche, die den Ausgepfändeten und Konkursiten -in den bürgerlichen Ehren und Rechten nicht einstellen ; es gibt aber auch kantonale Gesetze, die auch dann, wenn der wirtschaftliche Zusammenbruch ein unverschuldeter war, dem Ausgepfändeten und Konkursiten die bürgerliche Ehrenfähigkeit, das heisst vor allem die Fähigkeit, in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen und zu wählen, auf Jahre hinaus und sogar dauernd entziehen, und ihn so mit einer Strafe belegen, die jedenfalls da jeder innern Berechtigung entbehrt, wo die Katastrophe darauf zurückzuführen ist, dass der Schuldner zufolge der gegenwärtigen Lage seine Aktiven nicht flüssig machen kann oder keinen oder einen nur beschränkten Verdienst hat.
Der Bundesrat hat sich schon mehr als einmal (vgl. Bundesbl.

1874, IH, S. 43 ff., und 1882, III, S. 14 ff.) dahin ausgesprochen,, dass es sich nicht rechtfertigt, an die Auspfändung und an den

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Konkurs die Ehrenfolge des Stimmrechtsentzugs zu knüpfen. Er scheut sich aber davor, bei der Verschiedenartigkeit der in dieser Hinsicht in den einzelnen Landesteilen und Kantonen bestehenden und eingewurzelten Rechtsanschauungen die Frage für die Zeit der Kriegswirren selbst zu lösen. Es muss also die materielle Regelung der Sache zurzeit noch in der Hand der Kantone belassen werden.

Sollte sich nun aber, wie vorauszusehen ist, in einzelnen Kantonen das Bedürfnis zeigen, die geltenden, harten Ehrenfolgengesetze zu mildern, so wird dies vielerorts praktisch unmöglich sein, weil eine Gesetzesrevision erforderlich wäre und diese nicht oder nicht rasch genug erfolgen könnte. Wir delegieren daher in Art. 24 der Verordnung -- wie es in ähnlicher Weise der Art. 52 Abs. 2 des Schlusstitels des schweizerischen Zivilgesetzbuches getan hat -- die dem Bunde in dieser Materie zustehende Gesetzgebungskompetenz an die K a n t o n s r e g i e r u n g e n und ermächtigen sie für die Zeit der Kriegswirren, die öffentlichrechtlichen Folgen der Auspfändung und des Konkurses festzustellen.

Die -Bundeskanzlei ist bereit, Abzüge dieses Kreisschreibens und der Verordnung an die Kantonsregierungen gratis abzugeben, wenn die Bestellungen bis zum 7. Oktober 1914 eintreffen.

Wir benutzen diesen Anlass, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 28. September 1914.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Hoffmann.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schatzmann.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen über die Verordnung vom 28. September 1914 betreffend die Ergänzung und Abänderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs für die Zeiten der Kriegswirren. (Vom 28.

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07.10.1914

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127-137

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