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Schweizerische

uudesblatt.

Jahrgang V. Band I.

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Samstag, den 25. Hornung 1853.

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ständeräthlichen Kommission, betreffend die Garantirung der Verfassung des Kantons Graubünden.

(Vom 17. Januar 1853.)

Tit.

Der Große Rath des Kantons Graubünden fah sich unterm 14. Oktober 1850, im Hinblike darauf, daß die Verfassung des Kantons vom Iahr 1814 feit dem Inkrafttreten der neuen schweizerischen Bundesverfassung, und theilweife in Folge der leztern verschiedenen Abänderungen faktifch eine Revision erfahren, zu dem Auftrage an die Standeskommiffion veranlaßt, die noch gültigen Bestimmungen der ursprünglichen Kantonsverfassnng mit den seither eingetretenen Abänderungen Bundesblatt. Iahra.. V. Bd. I.

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426 zusammen zu stellen und diese Zusammenstellung nach Vorschrift von Art. 6 der Bundesverfassung als revidirte, nunmehr gültige Kantonsverfassung den Bundesbehörden zur Gewährleistung vorzulegen. In ihrem Begleitschreiben vom 31. Iuli v. I., womit die Regierung des hohen Standes Graubünden für dieselbe die Gewährleistung des Bundes nachsucht, bemerkt sie: es babe fich die gänzliche Erledigung des ihr vom Großen Rathe ertheilten Auftrags aus dem Grunde hinausgezogen, weil vor der Mittheilung der Verfassung an die Kantonsbehörden noch das Schiksal einiger dem Volke vorgelegter Abänderungsvorschläge abgewartet werden sollte.

Mit Zuschriften vom 18. November und 14. Dezember v. I. lud darauf der schweizerische Bundesrath die Regierung des hohen Standes Graubünden ein, darüber eine o f f i z i e l l e Erklärung abzugeben, daß und unter welchem Datum die verschiedenen Abänderungen der Kantonsverfassung, wie fie in der gedrukten und mit Begleitschreiben der graubündnerischen Regierung vom 31. Iuli v. I. übermittelten Zusammenstellung enthalten find, vom Volke genehmigt worden seien.

Die Regierung des hohen Standes Graubünden säumte nicht, der Einladung des Bundesrathes beförderlich zu entsprechen.

In ihrer darüber unterm 31. Dezember v. I. an den Bundesrath eingereichten Vernehmlassung theilte fie die Abänderungen der von der Tagsazung im Iahr 1820 gewährleisteten graubündnerischen Kantonsverfassung in drei Klassen , und zwar : 1) in Verfassungsänderungen , welche als eine nothwendige Folge der Verfassung und Gefezgebung des Bundes angesehen werden müssen, und daher nach

427 der Anficht der graubündnerifchen Kantonsbehörden der Genehmigung des Volkes nicht bedürfen; 2) in Verfassungsänderungen, welche dem Volke vorgelegt und von demfelben genehmigt wurden ; 3) in Verfassungsänderungen, welche bloß die Form beschlagen, und in welcher Beziehung man, wie sich die Regierung des hohen Standes Graubünden ausdrükt, "mit der größten Vorficht zu Werke gegangen und nur diejenigen Abänderungen in der Anordnung und Redaktion sich erlaubt hat, welche unerläßlich erschienen, um dem Ganzen wenigstens eine einigermaßen erträgliche Form zu geben."

Unter die in der ersten Klasse enthaltenen Verfafsungsänderungen stellt die Zuschrift der Regierung des .hohen Standes Graubünden vom 31. Dezember v. I.

.vor Allem die Aufhebung des früher bestandenen "Bundsbürgerrechts", vom 9. Oktober 1850, und sügt bei, daß in Folge der Aufhebung der Bünde die Art. 3, 10, 11, 13, 17 und 18 der im Iahr 1820 gewährleisteten VerFassung ebenfalls abgeändert worden feien. Unter die gleiche Ziffer 1 der Verfafsungsabänderungen in Folge der neuen Bundesverfassung fallen im Weitern die Art. 4, 23, 24 und 25 der alten bündnerischen Kantonsverfafsung, welche sämmtlich, mit Ausnahme. des Art. 4 d e r s e l b e n , mit der Bundesverfassung in Einklang gebracht worden sind.

Zur z w e i t e n Klasse der Verfassungsänderungen, d. h. zu denjenigen, welche dem Volke v o r g e l e g t und von demfelben g e n e h m i g t worden sind, gehört vor Allem die neue Eintheilung des Kantons, beziehungsweise die Aufhebung der Hochgerichte und Gerichte und dagegen die Aufstellung von Bezirken und Kreisen. Dieselbe beschlägt den Art. 3 der alten und neuen Versas-

428 sung. Eine notwendige Folge davon war/daß die Art. 2,

4, 5, 8, 12, 15, 16 und 34 mehr oder weniger abgeändert und die Art. 6 ..und 18 ganz weggelassen werden mußten.

Der Bestand des Großen Rathes ist laut Art. 7 der

revidirten Verfassung auf 73 Mitglieder sestgesezt, durch ein besonderes Verfassungsgesez vom Iahr 1851 aber wieder auf 67 reduzirt , also um sechs Mitglieder vermindert, diese Zahl aber in die "revidirte Verfassung" darum nicht aufgenommen worden, weil diese "schon vorher zusammen gestellt worden war. Der Art. 8 der revidirten Verfassung enthält, kraft eines besondern vom Volke angenommenen Gesezes vom 9. Dezember 1846 resp. 3. März 1847, eine Vermehrung der Befugnisse des Großen Rathes in so weit, als dem Großen Rathe die Ausübung des Begnadigungsrechtes anheim gegeben worden ist.

In Folge des neuen, unterm 3. Iuli 1850 ausgeschriebenen und laut Klassifikation vom 19. Oktober gleichen Iahres mit 59 von 73 Kreismehren angenommenen

Rekursgesezes haben sowohl der Art. 12 als die Art. 19 und 20 der alten Verfassung in Bezug auf die Kompetenzen der Appellationsinstanz, resp. des Kleinen Rathes,

der Standeskommission, der Bezirksgerichte und des Obergerichts eine Abänderung erlitten.

Im Art. 21 wird die Ueberweisungsbefugniß der Gerichte bezüglich der Privatverbrechen, und zwar gestüzt auf das Gesez vom 30. Iuni 1844 über die Organisation

und den Geschäftskreis des kantonalen Kriminalgerichts

erwähnt.

Im Art. 28 mußte darauf Rükficht genommen werden, daß das konfessionelle Verhältniß von z w e i und ein Dritttheil in einzelnen Behörden vermöge ihrer Mitglie^

429 derzahl nicht mehr anwendbar fei, wo demnach, wie z. B. bei dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Erzie-

.hungsrathe gefezlich das Verhältnis von 3 und 2 Fünftheilen angenommen werden mußte.

Im Art. 29 endlich, der die Auskäuflichkeit der Weidrechte auf Privatgütern befchlägt, wurde der in das

am 3. Iuli ausgefchriebene und am 19. Oktober 1850 angenommene Gefez niedergelegte Grundfaz festgehalten, wornach die zu Gunsten frommer Stiftungen und Korporationen bestehenden Bodenzinfe, Zehnten und ähuliche Beschwerden losgekauft, die Befizer aber, wider ihren Willen, von Seite der Pflichtigen zum Loskaufe nicht angehalten werden können.

Zur dritten Klasse, zu jenen Abänderungen näm.lich, ,,welche bloß die Form beschlagen," gehört haupt-

sächlich das Kapitel der Iustizeinrichtungen und Tribunale,

.welches mit Rüksicht sowohl auf die neue Gerichtseintheilung als auf das unterm 9. Oktober 1850 mit 45 .oon 72 Stimmen angenommene Gefez über die Kompe .tenzen der vermiedenen Gerichtsbehörden in Zivilfachen eine veränderte Form erhalten hat.

Nach diefen Aushebungen berührt Ihre Kommission die Botschaft des Bundesrathes vom 5. l. M. , womit diese leztere in Begleit eines darauf bezüglichen Beschlussesvorschlages die graubündnerische Kantonsverfafsnng zur Ertheilung der laut der Bundesverfassung erforderlichen Gewährleistung empfohlen hat.

Der Bundesrath geht in seiner Botschaft von der Voraussezung aus, es sei offenbar in der Abficht der .Regierung des hohen Standes Graubünden gelegen,

430 nur die Garantie der seit der neuen Bundesversassung vom graubündnerischen Volke an..'

genommenen Verfassungsabänderungen nachzusuchen. Daran knüpft der Bundesrath die Schlug folgerung, daß, weil die auf die Revifion bezüglichen Artikel vermöge Art. 4 der Uebergangsbestimmungen der Bundesverfassung in Kraft verbleiben dürfen, obwohl fie dem dießfallfigen Prinzip der Bundesverfassung nicht entsprechen, von einer weitern Prüfung der übrigen, ans der frühern Verfassung hergenommenen alten A r t i k e l zu abftrahiren fei. Der Bundesrath findet, es beziehe.

fich dieses namentlich auf die Art. 5 und 34 der gegenwärtigen oder neuen graubündnerischen Verfassung, welche.

die Bedingungen feststellen, nach welchen sowohl eine Revifion der Verfassungen der einzelnen Gerichte und Hochgerichte als der Verfassung des Kantons eingeleitet und durchgeführt werden kann. Der Bundesrath geht.

von der weitern Vorausfezung aus, daß da, wo die Kantonsverfassung fich auf bestehende oder noch zu erlassende Geseze beziehe, fich von selbst verstehe, daß diese Geseze weder der Bundes- noch der Kantonsverfassung.

widersprechen dürfen. Er nimmt im Fernern an, daß da, wo von Staatsverträgen die Rede ist, die Rechte des Bundes vorbehalten seien und daher nur von folchen Staatsverträgen gesprochen werde, bei welchen die Kantone mitzuwirken haben.

So und von diefen V o r a u s s e z u n g e n ausg e h e n d , findet der Bundesrath in der Verfassung des.

hohen Standes Graubünden nichts der Bu..desvi.rfassung. Widersprechendes; er findet vielmehr, es seien, mit Ausnahme der Revifionsartikel, die übrigen Widersprüche beseitigt und eine neue Gebietseintheilung und Organi-

431 sation des Gerichtswesens eingeführt worden, welche unzweifelhaft der kantonalen Kompetenz anheimfalle.

Nach diefer einläßlichen Expofition, welche fich theils auf die vom Bundesrathe geforderte Vernehmlassung der Regierung des h. Standes Graubünden vom 31. De-

zember v. I., theils aus die bundesräthliche sachbezügliche Botschaft vom 5. l. M. bezieht, und die Ihre Kommission Jhnen, Tit., zu besserm Verständnisse der Angelegenheit und zu leichterer Löfung der Frage über

Gewährleistung oder Nichtgewährleistung der graubündnerischen Kantonsversassung vorlegen zu sollen glaubte, geht die Kommission, welche fich am 16. d. bei Abwesenheit eines ihrer Mitglieder, mit der Prüfung der-

selben beschäftigt hat, zu der Erklärung über, daß sie in ihrer Mehrheit mit den A n s i c h t e n und Ant r ä g e n des B u n d e s r a t h e s nicht einig g e h e n könne.

Sie hat jedoch, ehe sie dafür ihre Gründe angibt, vorerst ihr Bedauern auszusprechen, einerseits darüber, daß nach ihrer Anficht die Akten nicht in der wünfchbaren Vollständigkeit vorliegen, andererseits über die Form, in welcher die Verfassung des hohen Standes Graubünden zur Ertheilung der eidgenössischen Gewährleistung der obersten Bundesbehörde unterstellt worden ist.

Sie

will sich jedoch im Hinblike und in Würdigung der eigenthümlichen Verhältnisse des die Gewährleistung nach- .

suchenden Standes über das Eine und Andere hinwegsezen und sosort zur Erörterung der Hauptsache schreiten.

Sie hat es vor Allem mit der Voraussezung des .Bundesrathes zu thun, welche an die Spize seiner Bot[..hast vom 5. d. gestellt ist und die morsche Brüke zu

432 den drei Motiven seines Beschlussesvorschlages und zu seinem Antrage auf C.rtheilung der eidgenösfischen Gewährleifiung bildet: wir meinen dje "Vorausfezung ," es fei offenbar in der Abficht der graubündnerischen Kantonsregierung gelegen, nur die Garantie für jene Verfassungsänderungen nachzusuchen, welche seit der Einsührung der neuen fchweizerifchen Bundesverfassung eingetreten seien. Diese bundesräthliche Voraussezung hält die Mehrheit Ihrer Kommission für eine vollkommen unbegründete. Sie wird nämlich von der Regierung des hohen Standes Graubünden nicht bloß, weder in Ihrer Znschrift vom 31. Inli v. J. an den Bundesrath, womit fie für die abgeänderte Kantonsverfassung die Gewährleistung des Bundes nachsucht, mit einer

Sylbe ausdrüklich berührt , sondern es geht sowohl aus der eben besagten Zuschrift, so wie aus ihrer einläßlichen Vernehmlassung vom 31. Dezember 1852 das Gegentheil sehr klar hervor. In der erstern erklärt die Regierung des hohen Standes Graubünden wörtlich: ,,fie habe, um einem Auftrage des dortseitigen Großen Rathes ein Genüge zu thun, die noch gültigen Bestimmungen der ursprünglichen Kantonsversassung mit den seither eingetretenen Abänderungen zusammen gestellt und lege diese Zusammenstellung, nach Vorschrift der B u n d e s v e r f a s s u n g Art. 6, als r e v i d i r t e nunmehr gültige K a n t o n s v er f a ssun g den B und e s b e h ö r d e n zur Gewährleistung vor." Auch in der Vernehmlassung über die einzelnen Verfassungsänderungen vom 31. Dezember v. I. findet die Voraussezung des Bundesrathes gar keinen Anhaltspunkt.

Ist diese Anschauung richtig und kann dagegen kein Widerspruch erhoben werden , so liegt nach dem Ermessen der Mehrheit Ihrer Kommission als klar vor, es sei d.e

433 revidirte Verfassung des h. Standes Graubünden, wie sie von der dortfeitigen Regierung im Auftrage des Großen Rathes zusammengestellt worden ist, als ein in sich abgeschloffenes Ganzes anzufehen und von der eidgenöfsischen Bundesversammlung als solches zu b ehandeln, es werde für diefes zusammengestellte Ganze und nicht für bloß einzelne aboder aus dem Ganzen herausgerissene Theile oder Bruchstüke neuern Datums die Gewährleistung des Bundes nachgesucht. Darnach muß auch jeder einzelne Artikel der Kantonsverfassung nach der eigenen Erklärung der graubündnerifchen Kantonsregierung als neu erlassen und neu aufgestellt und daher der Gewährleistung aufs neue bedürftig betrachtet und aufgefaßt werden , und es kann und muß daher in Bezug auf jeden einzelnen Ar.tikel gefragt und unterfucht werden: ob derselbe nach den im Art. 6 der Bundesverfassung gezogenen Gränzen der Bundesverfassung widerfpreche oder nicht.

Die Mehrheit Ihrer Kommiffion gibt nun zwar ohn....

Rükhalt und Bedingung zu, daß der h. Stand Grau.bünden nicht pflichtig gewefen wäre, seine Kantonsverfassnng einer Revifion zu unterstellen, und zwar weder diejenigen Artikel, welche sich auf die Grundsäze, nach denen die Kantonsverfassung revidirt werden kann oder soll, beziehen, noch alle andern Vorschriften derselben, welche mit den übrigen Bestimmungen der Bundesversassung im Widerspruch stehen; die erstern auf die Revifion und den Revifionsmodus bezüglichen Artikel nicht, weil das erste Lemma des Art. 4 der Uebergangsbestimmungen der Bundesverfassung erklärt, es finden die im .Eingange und in Litt. c. des Art. 6 der gegenwärtigen Bundesverfassung enthaltenen Bestimmungen auf die schon in Kraft bestehenden Verfassungen der Kantone

434 keine Anwendung; die übrigen mit der Bundesverfassung im Widerspruche stehenden Artikel nicht , weil fie nach dem zweiten Lemma des gleichen Artikels der nebergangsbefiimmungen vom Tage an, mit welchem die Bundesverfassung als angenommen erklärt worden , als bundesrechtlich aufgehoben zu betrachten find.

Waren sonach nun zwar weder die Behörden noch das Volk des Kantons Graubünden pflichtig, eine Revifion ihrer Verfassung anzubahnen und durchzuführen, so lag dieß dagegen in ihrem nnbestreitbaren R e c h t e , aber nicht bloß in seinem Rechte, sondern eben so sehr im Interesse des schweizerischen Bundes und der Entwiklung der Bundesverfassung in den einzelnen Bundesgliedern. Es muß darum auch das Streben, wo immer es wahrgenommen werde, das Streben, die konstitutionellen und gesezlichen Zustände der Kantone mit den Kardinalgrundsäzen des Bundes in Einklang zu bringen, als eine erfreuliche Erscheinung von der Eidgenossenschaft begrüßt werden, als eine doppelt erfreuliche, wenn fich jenes Streben Bahn bricht in Bundesgliedern, wo sonst bisher entweder in der historie des Kantons, oder im Charakter des Volkes oder in der schwerfälligen Maschinerie einer antidiluvianischen Staatsverfassung die meisten Gegensäze und Widersprüche mit dem Leben und dem Geiste einer von der Neuzeit mehr zentralifirten Bundesverfassung gefunden wurden.

Es darf nach der Anficht der Mehrheit Ihrer Kommisfion nie vergessen und es kann nicht oft genug daran erinnert werden , daß der Art. 4 der Uebergangsbestim.mungen der Bundesverfassung eben selbst eine bloße Uebergangsbestimmung enthält und ist, und daß er

435 daher schon nach der Natur und dem Wortlaute seines ..^aufzeugnisses auf ein ewiges Leben keinen Anfpruch zu machen hat.

Es glaubt die Kommiffion im Weiteren, es fei eine allfällige Berufung auf die Entscheidung der h. Bundesverfammlung in der Revisionsfrage der Verfassung des h. Standes Freiburg für eine gleichmäßige Lösung der vorwürfigen Revisionsfrage von Graubünden vollkommen nnzuläfsig und unstatthaft, weil der erstere Kanton weder je feit dem 12. September 1848 in eine Revision feiner Verfassung eingetreten ist, noch für eine revidirte Versassung die Gewährleistung des Bundes nachgesucht hat, zwei Momente, welche dagegen in Bezug auf den hohen Stand Graubünden faktifch gegeben sind.

Nach dieser allgemeinen Erörterung ist die Mehrheit Ihrer Kommiffion auf dem Standpunkte angelangt , zu untersuchen und zu prüfen, ob die revidirte Verfassung des h. Standes Graubünden einzelne Bestimmungen enthalte, welche einer Gewährleistung des Bundes nach Art. 6 der Bundesverfassung entgegen stehen.

Die Mehrheit Ihrer Kommission hält dafür, daß die revidirte V e r f a f f u n g des eidgenössischen Standes G r a u b ü n d e n , z u s a m m e n g e s t e l l t aus der K a n t o n s v e r f a f s u n g von 1814 und den seither e i n g e t r e t e n e n A b ä n d e r u n g e n d e r s e l b e n mehrere Artikel und Bestimmungen enthalte, welche den Ersordernissen des Art. 6 der Bundesverfassung nicht entfprechen. Sie begnügt sich, dieselben in gedrängter Kürze zu berühren.

436 1.

Nach dem Art. 34 der Verfassung des Kantons Graubünden bleibt zwar der obersten Gewalt der Gemeinden vorbehalten , die gegenwärtige Verfassung zu bessern, zu erläutern, zu mindern und zu mehren; aber schon der Eingang vom zweiten Lemma sezt es in die

Befugniß des Großen Rathes , einen dießfälligen Antrag vorläufig zuzulassen und er kann erst auf die Gemeinden ausgeschrieben werden, wenn oder falls ihn der Große Rath gutgeheißen hat; jede Abänderung kann dann aber nur mit einer Mehrheit von zwei Dritttheilen der Kreisstimmen als gültig anerkannt werden.

Rach dem Art. 6, zweitem Lemma, und der Litt. c.

der Bundesverfassung übernimmt aber der Bund die Gewährleistung nur in so fern die Kantonsversassung revidirt werden kann, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt.

Es tritt sonach die Kantonsverfassung von Graubünden mit der Bundesverfassung in einen patenten Widerspruch. Dieser Satz ift so klar, daß er keiner

einläßlichen Begründung bedarf.

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Nach Art. 22 der neu zusammengestellten graubündnerischen Kantonsverfassung soll in Rechtsansprachen gegen den Kanton von diesem und dem Ansprecher ein Schiedsgericht ernannt werden , das über die Rechtsansprachen nach fruchtlosem Versuch der Güte eidlich und endlich abzusprechen hat. Hält nun auch die Mehrheit Ihrer Kommisfion die Ueberzeugung fest, daß damit weder auf allfällige Ansprachen des Bundes oder eines schweizerischen Kantons gegen den Kanton Graubünden

437 Bezug genommen werden wollte, so spricht doch imn.erhin der klare und unbedingte Wortlaut des Art. 22 der graubündnerischen Kantonsverfassung gegen Ziffer 1, litt. a. und b. und den Schlußsaz des Art. 101 der Bundesverfassung, wonach über Streitigkeiten nicht staatsrechtlicher Natur zwischen den Kantonen unter fich und zwischen dem Bund und einem Kanton das Bundesgericht

als Zivilgericht zu urtheilen befugt und angewiesen ist.

3.

Nach dem dritten Lemma des A..t. 4 der Verfassung des h. Standes Graubünden sind die Kreise befugt, die ihnen zustehenden Mitglieder in den Großen Rath frei entweder aus ihren Bürgern (Kreisbürgern) oder aus den im Kreise niedergelassenen stimmfähigen Schweizerbürgern zu ernennen. Demnach kann also ein graubündnerifcher Kantonsbürger fowohl in dem Kreise, in dem er ein B ü r g e r r e c h t befizt, als in demjenigen, indem er niedergelassen ist, der niedergelassene stimmsähige Schweizerbürger aber nur im Kreise seiner Niederlas-

sung zum Mitglied des Großen Rathes gewählt werden.

Er ist daher im Punkte eines wichtigen politischen Rechts der Schweizerbürger schlimmer gestellt, als der Bürger des Kantons Graubünden. Derart. 4 der dortseitigen Verfassung steht deswegen im Widerfprnche mit Art. 48 der Bundesverfassung , nach welchem sämmtliche Kantone verpflichtet sind, alle Schweizerbürger christlicher Konsession in der Gesezgebung den Bürgern des eigenen Kan-

tons gleich zu halten.

Die Mehrheit Ihrer Kommission beschränkt sich aus obige wesentlichen Aushebungen.

Wollte sie eine noch strengere Scheere an die revi dirte graubündnerische Kantonsverfassung legen, so fände

438 fie dazu Stoff im Art. 2 derselben , wonach die Soitveränetät des graubündnerischen Freistaates, statt ans der Gesammtheit des Volkes, aus jener der politischen Kreisgemeinden ruhend erklärt und beigefügt wird, es äußere sich dieselbe durch die Mehrheit ihrer Kreismehren. Es ist dadurch nicht bloß die Möglichkeit zugelassen, daß die Minderheit der Bürger der Mehrheit derselben das Gesez machen kann, sondern es ist diese Thatsache im Kanton Graubünden schon mehr als einmal zu Tage getreten.

Es genügt indessen der Mehrheit Ihrer Kommisfion, diesen konstitutionellen Uebelfiand angedeutet zu haben, damit derselbe beim rechten Anlasse durch die Behörden und das Volk des Kantons Graubünden beseitigt werde.

Eine gleiche Andeutung mag auch in Bezug auf den Art. 7 der graubündnerischen Staatsverfassung genügen.

Darnach besteht der Große Rath aus 73 Mitgliedern.

Durch ein Gesez vom Iahr 1851 ist dagegen der Bestand des Großen Rathes auf 67 Mitglieder reduzirt worden, diese Zahl aber nicht mehr in die Kantonsversassung aufgenommen worden, weil, wie die Regierung in ihrer Vernehmlassung an den Bundesrath vom 31.

Dezember v. I. sagt, die r evidirte V e r f a s s u n g schon vorher zusammengestellt war.

Bei der Kürze der ihr zugemessenen Zeit hat die Kommission, und vorab der gegenwärtige Berichterstatter, den h. Ständerath bloß noch um eine billige Beurtheilung der Berichterstattung zu ersuchen.

Die Mehrheit Ihrer Kommission unterstellt daher .Ihrem Entscheide den beigelegten Befchlussesvorschlag.

Derselbe lautet wörtlich:

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Bericht der ständeräthlichen Kommission, betreffend die Garantirung der Verfassung des Kantons Graubünden. (Vom 17. Januar 1853.)

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26.02.1853

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425-438

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