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Botschaft zu einem Bundesbeschluss über die Neuordnung der Landesversorgung vom 6. September 1978

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, Wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Neuordnung der Landesversorgung (Änderung von Art. 31bis Abs. 3 Est. e der Bundesverfassung).

Wir versichern Sie. sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

6. September 1978

1978-588

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates: Der Bundespräsident: Ritschard Der Bundeskanzler: Huber

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Übersicht Heutige verfassungsrechtliche Grundlage der Versorgungspolitik ist Artikel 311"5 Absatz 3 Buchstabe e der Bundesverfassung: 3

Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlase. über vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass eine nur auf Kriegssituationen ausgerichtete Versorgungspolitik, wie wir sie vom Ersten und Zweiten Weltkrieg her kennen, modernen Krisenlagen nicht mehr zu genügen vermag. Mit den zur Zeit zur Verfügung stehenden Mitteln kann machtpolitischen Einwirkungen, wie Erpressung, Ausbeutung usw., und marktbedingten Störungen, die - ohne militärische Massnahmen zu erfordern -für die Landesversorgung kritische Situationen heraufbeschwören können, nicht oder nur unzureichend begegnet werden. Nach dem geltenden Wortlaut von Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e der Bundesverfassung können heute nur Vorschriften über vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten erlassen werden. Eine Grundlage für ein Eingreifen bei Versorgungsschwierigkeiten, die sich aus politischen, wirtschaftspolitischen oder sonstigen, durch unser Land nicht beeinflussbaren Ursachen ergeben, konnte der Verfassungsartikel nicht bieten.

Die Revisionsarbeiten am geltenden Gesetz (BG vom 30. September 1955 über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge; SR 531.Q) haben zur einhelligen Auffassung geführt, dass die Postulate einer modernen Versorgungspolitik durch eine Revision dieses Gesetzes allein nicht zu verwirklichen sind und dass eine Verfassungsänderung unumgänglich ist.

Mit der vorgeschlagenen neuen Formulierung des Artikels 31bis Absatz 3 Buchstabe e erhält die Landesversorgung eine Grundlage, die es dem Bund erlaubt, lenkende und eingreifende Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung bei kriegerischer oder machtpolitischer Bedrohung (wirtschaftliche Landesverteidigung), aber auch Vorkehren gegen schwere Mangellagen zu treffen, welche die Wirtschaft nicht selbst zu beheben vermag.

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Botschaft l

Historischer Überblick

In den letzten Jahren zeigte sich immer mehr, dass die Befugnisse und Instrumente des Bundes nicht ausreichen, um die Versorgung unseres Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen jederzeit sicherzustellen. Insbesondere Hessen die Schwierigkeiten auf dem Erdölsektor! in den Jahren 1973-1974 deutlich werden, dass die Landesversorgung auch ohne kriegerische Bedrohung unseres Landes gefährdet werden kann. Diese Erkenntnis führte denn auch zu verschiedenen parlamentarischen Vorstössen (Interpellation Baumberger vom 29. Januar 1974, Postulat Künzi vom l I.März 1974, Postulat Cavelty vom 16. September 1974, Interpellation Fischer vom 4. Juni 1975), mit denen wir aufgefordert wurden, dafür zu sorgen, dass dem Bund der ausdrückliche Auftrag und die nötigen Kompetenzen zur Sicherstellung der Landesversorgung mit Rohstoffen,; Nahrungsmitteln und Energieträgern erteilt werden.

Aufgrund ;der damals bereits begonnenen Revisionsarbeiten am Bundesgesetz über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge wurde 1974 der Vorentwurf eines neuen Gesetzes über «vorsorgliche Massnahmen für die, wirtschaftliche Landesverteidigung» einer von uns eingesetzten Expertenkommissipn unterbreitet. Diese gelangte zur Auffassung, dass Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen und zum Schutz schweizerischer Vermögenswerte getroffen werden sollten, und zwar nicht nur für den Fall gefährdeter oder gestörter Zufuhren oder des Einbezugs unseres Landes in internationale Konflikte. Dabei wurde aber auch die Frage aufgeworfen, ob Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e der Bundesverfassung entsprechend erweitert werden müsste.

Aufgrund der Stellungnahme der Expertenkommission beauftragte der Delegierte für wirtschaftliche Kriegsvorsorge mit Zustimmung des Vorstehers des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes Herrn Prof. Dr. Rudolf Probst, Bern, Bericht zu erstatten zur Frage der Konzeption für die Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen und gegebenenfalls Vorschläge zu unterbreiten für die Revision des, geltenden Rechts. Prof. Probst legte Mitte 1975 ein umfassendes Gutachten mit Entwürfen für einen erweiterten Verfassungsartikel sowie · ein umfassendes Landesversorgungsgesetz vor. Eine Arbeitsgruppe, in der alle interessierten
Departemente des Bundes vertreten waren, hat die Entwürfe durchberaten und überarbeitet. Diese wurden anschliessend der Expertenkommission unterbreitet, die am 24. September 1976. 25. Oktober 1976 und am 19. Januar 1977 zusammentrat. Sie hat die Notwendigkeit einer erweiterten verfassungsrechtlichen Grundlage einhellig anerkannt und die von der Arbeitsgruppe vorgeschlagene Formulierung angenommen. Vom 2. Dezember 1977 bis Ende Mai 1978 wurde das Vernehmlassungsverfahren durchgeführt.

Auch hier hat man mit grosser Mehrheit eine erweiterte Verfassungsgrundlage für die Landesversorgung als notwendig erachtet. Die vorgeschlagene Formulierung wurde in der Regel gutgeheissen, doch kam in zahlreichen Stellungnahmen die Befürchtung zum Ausdruck, sie könne Anlass zu Struktur- oder konjunkturpoliti701

sehen Massnahmen geben. Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, haben wir eine neue Formulierung ausgearbeitet; die Expertenkommission hat sie am 2. Juni 1978 gutgeheissen. Wir sind der Auffassung, dass diese Formulierung in die Bundesverfassung aufgenommen werden soll.

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Notwendigkeit einer neuen Verfassungsbestimmung über die Landesversorgung

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Versorgungspolitische Erfahrungen

Vom Ende der Suezkrise (1956) bis anfangs der siebziger Jahre waren auf dem Gebiet der Landesversorgung keine namhaften Schwierigkeiten zu verzeichnen.

Im Jahre 1973 brach dann der Krieg im Nahen Osten aus, der beim Erdöl und bei Erdölprodukten zu enormen Preissteigerungen führte. Hinzu kam, dass das Erdöl als Druckmittel eingesetzt wurde, was auf dem europäischen Markt eine gewisse Verknappung auf diesem Sektor verursachte. Angesichts dieser Situation beschlossen wir, einschränkende Massnahmen zu ergreifen. So wurden gestützt auf das Bundesgesetz vom 30. September 1955 über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge folgende Bestimmungen erlassen: - Bundesratsbeschluss (hiernach BRB) vom 14. November 1973 über die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit ausserorts (AS 1973 1697) - BRB vom 21. November 1973 über Einschränkungen im Verbrauch flüssiger Treib- und Brennstoffe (AS 1973 1727) - BRB vom 16. November 1973 über die Abgabe von Treibstoffen an Tankstellen (AS 1973 1732) - BRB vom 21. November 1973 über das Sonntagsfahr- und Flugverbot (AS 1973 1734) - BRB vom 7. Dezember 1973 über die Einreise mit ausländischen Motorfahrzeugen (AS 1973 1835) Da die Zufuhren nicht sehr stark eingeschränkt waren, vertraten wir die Auffassung, die Situation könne mit diesen einfachen, relativ wenig einschneidenden Massnahmen behoben werden. Wir waren insbesondere der Ansicht, dass die vorhandenen Pflichtlager als strategische Reserve zu halten seien und nicht bei den ersten Anzeichen einer Einfuhrerschwerung verbraucht werden dürften.

Bei einer starken Verschlechterung der Einfuhrmöglichkeiten wäre eine Inanspruchnahme der Pflichtvorräte wohl nicht zu vermeiden gewesen. Ab Anfang 1974 verbesserten sich aber die Versorgungsmöglichkeiten wieder, so dass wir die aufgezählten Erlasse bis zum März 1974 schrittweise aufheben konnten.

Auch bei den Lebensrnitteln, insbesondere beim Zucker, traten Schwierigkeiten auf. Bekanntlich stammten in den letzten Jahren über 90 Prozent unserer Zuckerimporte aus der Europäischen Gemeinschaft. Ende Juli 1974 wurde erstmals offiziell bekannt, dass die Zuckerproduktion der Gemeinschaft 1974 voraussichtlich nicht mehr ausreichen werde, um den Eigenbedarf zu decken. Demzufolge sei bis auf weiteres nicht mehr mit Lieferungen zu rechnen. Gleichzeitig kam es in der Schweiz zu Hamsterkäufen, so dass die noch vorhandenen freien Vorräte massiv abgebaut wurden. In unserer Antwort auf eine Einfache Anfrage Bretscher 702

vom 18. September 1974 erklärten wir. wir hätten aus diesen Gründen eine vorübergehende Freigabe von 15 Prozent der ordentlichen Zuckerpflichtlager bewilligt. Im weitern führten wir aus. die bis Mitte Oktober 1974 tatsächlich abgerufenen Pflichtlagermengen seien unbedeutend. Sie beliefen sich gesamthaft auf weruv ger als l Promille des vorgeschriebenen Pflichtlager-Sollbestandes.

In diesem Zusammenhang verweisen wir ebenfalls auf die Probleme, die 1973 bei: der Versorgung mit Reis entstanden. Im Mai 1973 sperrte die EWG sämtliche Reisexporte aus Italien, die 40-45 Prozent unseres Inlandkonsums decken. Aufgrund der weltweit grossen Nachfrage war es auch schwierig, den Reis aus Übersee zu importieren. Zudem hatte der Hurrican «Deliàh» in den USA die Ernte stark verzögert. Dadurch blieben die Reisimporte in den Monaten August und September wesentlich hinter dem Verbrauch zurück. Die freien Vorräte genügten nicht mehr, und es galt, einen allgemeinen Run bis zum Eintreffen neuer Ware zu vermeiden. Wir beschlossen deshalb, zur Überbrückung dieser Mangellage die Reispflichtlager vorübergehend bis zu 30 Prozent freizugeben.

Sowohl beim Erdöl als auch beim Zucker und beim Reis handelte es sich um vorübergehende Engpässe, die relativ rasch und ohne allzu einschneidende Vorkehren wieder behoben werden konnten. Bei andauernden Schwierigkeiten wäre man indessen nicht darum herumgekommen, schärfere Massnahmen zu ergreifen.

Die getroffenen Massnahmen stützten sich jeweils auf das Bundesgesetz vom 30. September 1955 über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge. Die beschriebenen Fälle zeigten aber eindrücklich, dass die Versorgung der Schweiz nicht nur wegen kriegerischer Ereignisse im Ausland, sondern auch wegen bestimmter Massnahmen einer Staatengruppe, die sich nicht gegen miseri Land richten, ernsthaft gefährdet, ja zeitweise gestört werden kann. Ferner wurde erkannt, dass Marktstörungen aus natürlichen oder wirtschaftlichen Ursachen (Witterung, Ausfuhrbeschränkungen usw.) nicht ohne Folgen für die Schweiz bleiben.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine Vorsorge, die im wesentlichen auf die Konsequenzen kriegerischer Ereignisse ausgerichtet ist. erweitert werden muss, um die Versorgung auch in Zeiten zu sichern, in denen die Einfuhr durch irgend; welche Konflikte, andere Verhältnisse oder Entscheide gestört ist, die von uns nicht beeinflusst werden können.

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Entstehungsgeschichte der heutigen Verfassungsbestimmung

Wie bereits erwähnt, hat unsere Versorgungspolitik ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e der Bundesverfassung: ? Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung yon der Handels- und Gewerbefreiheit. Vorschriften zu erlassen : e. über vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten.

Für das Verständnis dieser Bestimmung sind gewisse Tatsachen aus der Entstehungsgeschichte von Bedeutung: Im ersten Entwurf über eine Partialrevision der Wirtschaftsartikel - der Bundesversammlung mit Botschaft vom 10. September 1937 (BB1 7957 II 833 ff.) zugelei703

têt - findet sich noch keine Bestimmung über die Kriegsvorsorge. Erst die Kommission des Nationalrates (N) hat auf Vorschlag des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes (EVD) den bundesrätlichen Entwurf mit einem Buchstaben cbis «über die Kriegsvorsorge» ergänzt (Kommission des Nationalrates, Protokoll der I.Session, 24.-27. Januar 1938, S. 74). Bundesrat Obrecht begründete diese Ergänzung in der Eintretensdebatte des Nationalrates damit, es gelte für das erst kürzlich einstimmig genehmigte Gesetz über die Sicherstellung der Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern (BG vom 1. April 1938 [BS 10 799] im folgenden Sicherstellungsgesetz) «nachträglich eine klare und bestimmte Verfassungsgrundlage» zu schaffen. Der Bundesrat habe, als er die neuen Verfassungsartikel vorgeschlagen habe, noch nicht an die Kriegsyorsorge gedacht. Erst die Gesetzesberatung habe den Bundesrat auf eine Lücke in der Verfassung aufmerksam gemacht, die er nun schliessen möchte (Sten. Bull. N 1938 334).

Die Vorsorgebestimmung war also nicht im Gesamtkonzept der Neuordnung der schweizerischen Wirtschaftsverfassung enthalten. Sie hatte folglich keinen zum vornherein bestimmten Stellenwert innerhalb der Möglichkeiten zur Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit. Ihre eher zufällige Einordnung in den Absatz 3 des Artikels 31bis der Bundesverfassung ist für die Beurteilung ihres sachlichen Geltungsbereichs, vor allem ihres Verhältnisses zu andern Grundrechten als der Handels- und Gewerbefreiheit, von Bedeutung.

Weiter fällt auf, dass die Kriegsvorsorgebestimmung - immerhin unter die Vorbehalte zur Handels- und Gewerbefreiheit in die Verfassung aufgenommen - von den Räten sowohl in den Beratungen 1938/39 wie auch in der Debatte über die zweite Fassung der Wirtschaftsartikel im Jahre 1945 diskussionslos angenommen wurde. Zweifellos lässt sich dies dadurch erklären, dass es dem Parlament nicht opportun erschien, in Zeiten unmittelbarer Kriegsgefahr (1938/39) die wirtschaftliche Landesverteidigung in Zweifel zu ziehen.

Eine gewichtigere Erklärung findet die diskussionslose Annahme der Kriegsvorsorgebestimmung darin, dass wenige Wochen vor der Beratung der Wirtschaftsartikel das Sicherstellungsgesetz verabschiedet worden war. Gaudenz Staehelin («Tragweite und Entwicklung des Artikels über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge»,
Diss., Basel 1960) bezeichnet es denn auch als «wahrscheinlich, dass die Vorstellungen von deren Tragweite (sc. der Verfassungsbestimmung über die Kriegsvorsorge) sich weitgehend anlässlich der Diskussion um das Sicherstellungsgesetz gebildet hatten» (a. a. O., S. 15). Dieser enge sachliche und zeitliche Konnex zwischen Vorsorgebestimmung der Verfassung und Sicherstellungsgesetz rechtfertigt es, kurz auf die Entstehungsgeschichte des Sicherstellungsgesetzes einzugehen.

Das Sicherstellungsgesetz wurde den Räten mit Botschaft vom 9. November 1937 unterbreitet (BB1 7937III 285 ff.). Unter dem Titel «Die Notwendigkeit wehrwirtschaftlicher Vorsorge» weist der Bundesrat im Begleittext darauf hin, dass «die Pflege der nationalen Wehrbereitschaft ... sich ... heute nicht mehr bloss auf Massnahmen zur militärischen Landesverteidigung» beschränken dürfe. «Vorsorgliche Massnahmen auf dem Gebiet der Volkswirtschaft (seien) im Hinblick auf den Krieg unentbehrlich geworden; sie (bildeten) einen wichtigen Teil der Landesverteidigung» (a. a. O. ; S. 285).

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Sowohl der Berichterstatter des Nationalrats (Sten. Bull. N 1937 875-881) wie auch sein Kollege im Ständerat (Sten. Bull. S 1938 10-16) stellten in ihren Eintretensvoten die allgemeine Wehrwirtschaftspolitik in den Vordergrund und betonten die Verbindung von militärischer und wirtschaftlicher Landesverteidigung.

Beide skizzierten die Aufgaben der Wehrwirtschaft wie folgt: 1. Regelung des Arbeitseinsatzes; 2. Sicherstellung der Transportmöglichkeiten; .3., Sicherstellung der Rohstoffe. Brennstoffe. Wasser- und Kraftversorgung; 4. Industrielle und gewerbliche Kriegswirtschaft; 5. Sicherstellung der landwirtschaftlichen Produktion und der Ernährung; 6. Selbstschutz der Industrie und der Kraftwerke; 7. die finanzielle Kriegsvorsorge; 8. die wehrwirtschaftliche Forschung und die Erziehung zu wehrwirtschaftlicher Disziplin.

(Sten. Bull. N 1937 875; S 1938 14)

Die wesentlich engere Zielsetzung des Gesetzesentwurfes - die Beschränkung auf die Vorratshaltung an lebenswichtigen Gütern - wurde vor allem in den Beratungen des Nationalrats als Stückwerk kritisiert (vgl. die Voten Gafner, Sten. Bull.

N-/P37 881, Müller-BieL 885, Meile-Basel,1 887, Anliker^ 889 und Baumann, 893).

Man rechtfertigte sie aber damit, dass die wirtschaftliche Vorsorge keine Verzögerung erlaube und es sich noch nicht absehen lasse, welche Massnahmen man im ganzen zu treffen habe (Sten. Bull. N 1937 878: vglj Begründung Sten. Bull.

S 1938 14). Der bundesrätliche Sprecher, Bundesrat Obrecht, begegnete den Kritikern des Nationalrats wie folgt: Das vorliegende Gesetz darf nicht dazu missbraucht werden, unter dem Vorzeichen der Kriegsvorsorge in Friedenszeiten eine neue Wirtschaftspolitik im Sinne aller möglichen Umstellungen zu betreiben ... Jede einzelne Massnahme, die wir als Kriegsvorsorge treffen, muss sich aufdrängen als unerlässliche Massnahme unter diesem Gesichtswinkel... Aber es darf nicht davon die Rede sein, unsere ganze Friedenswirtschaft umzustellen, sie massgebend zu beeinflussen einzig auf den Kriegsfall hin.

(Sten. Bull. N 7937 898/899)

Aus der Detailberatung sei, ein Punkt besonders erwähnt: Der Bundesrat schlug den Räten folgende Zweckformulierung vor: «Der Bundesrat wird ermächtigt, die notwendigen Massnahmen für die Beschaffung und Sicherstellung der Güter zu treffen, welche im Kriegsfall für die Versorgung von Volk und Heer unentbehrlich sind» (Art. l Abs. l des Entwurfs). Der Nationalrat folgte dieser Formulierung (Sten. Bull. N 7957 900, Abstimmung S. 904)J Der Ständerat hingegen brachte eine wesentlich weitere Fassung ein, in der er nicht nur die Kriegsvorsorge, sondern auch die Vorsorge für den Fall «wirtschaftlicher Abschnürung» mitberücksichtigte (Sten. Bull. S 1938 23/24). In der Differenzbereinigung konnte sich der Nationalrat dem ständerätlicheri Beschluss anschliessen (Sten. Bull.

N 1938 153/154).

' Artikel l Absatz l des Sicherstellungsgesetzes hatte demnach folgenden Wortlaut: Der Bund trifft für den Fall der wirtschaftlichen Absperrung oder des Krieges die notwendigen Massnahmen zur Beschaffung und Sicherstellung der für die Versorgung von Volk und Heer unentbehrlichen Güter.

Die Bedeutung der Beratungen des Sicherstellungsgesetzes für die Auslegung des Verfassungsartikels über die Kriegsvorsorge wird klar, wenn man der erwähnten beschwichtigenden Erklärung des Bundesrates das folgende Votum des Berichter705

statters im Nationalrat, Nietlispach, zum vorgeschlagenen Verfassungsartikel gegenüberstellt : Bezüglich des Buchstabens cbis über die Kriegsvorsorge erörterte die Kommission die Frage, ob eine Spezialbestimmung für Kriegszeiten zu treffen sei, wie es ein Vorschlag der Nationalbank anregte. Aus der Überlegung heraus, dass im Kriegsfall ohnehin andere Rechtsmittel zur Verfügung stehen müssen, lehnte es die Kommission ab, eine besondere Bestimmung für Kriegszeiten aufzustellen. Dagegen fand sie es für angezeigt, dass dem Bund durch Aufnahme eines Buchstabens'bbis (correcte: cbis) die verfassungsrechtliche Möglichkeit geboten werde, bereits in Friedenszeiten die erforderlichen Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen. Die vorgesehene Formulierung umfasst nicht nur die Sicherstellung des Landes mit lebenswichtigen Gütern, sondern auch alle übrigen Massnahmen, die schon in Friedenszeiten für den Kriegsfall getroffen werden müssen.

(Sten. Bull. N 1938 354/355)

MUSS oder darf aus der Tatsache, dass diese Erklärung von den Räten ohne Widerspruch hingenommen worden ist, auf einen allgemeinen Konsens geschlossen werden, alle Teilbereiche wirtschaftlicher Landesverteidigung, die in der Diskussion als wehrwirtschaftliche Aufgaben bezeichnet wurden, seien nun verfassungsrechtlich gedeckt?

Mit der Ergänzungsbotschaft vom 3. August 1945 wurde der Bundesversammlung ein abgeänderter Entwurf über die Revision der Wirtschaftsartikel unterbreitet (BB1 1945 I 905 ff.). Unter dem Titel «Formelle und redaktionelle Änderungen» erwähnt die Botschaft u. a. den Kriegsvorsorgeartikel: «In Buchstabe e (neu) tritt an Stelle des Ausdruckes 'Kriegsvorsorge' die etwas weiter gefasste Wendung 'vorsorgliche Massnahmen für Kriegszeiten'» (a. a. O., S. 929). Im Parlament wurde lediglich darauf hingewiesen, dass diese Formulierung inhaltlich mit der früheren Fassung übereinstimme (Sten. Bull. N 1945 518). Sie entspricht dem heute geltenden Wortlaut (vgl. AS 1947 1041/1044).

In diesem Zusammenhang wäre es auch interessant zu prüfen, welche Tragweite die eidgenössischen Räte dem Kriegsvorsorgeartikel nach seiner Annahme durch Volk und Stände (6. Juli 1947) beigemessen haben. Dies lässt sich vor allem aus der Entstehung des heute geltenden Bundesgesetzes vom 30. September 1955 über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge ablesen (KVG; SR 531.01).

Weil das Sicherstellungsgesetz den Bundesrat nur in Zeiten «unmittelbarer Kriegsgefahr» ermächtigte, alle ihm notwendig scheinenden Massnahmen zur Sicherstellung der Landesversorgung zu treffen (Art. 7 des Sicherstellungsgesetzes), hielt es der Bundesrat für unumgänglich, angesichts der gespannten internationalen Lage (Korea-Krise) das Parlament um umfassende Ermächtigungen auch für «unsichere Zeiten» zu ersuchen (vgl. den einschränkenden Massnahmekatalog in den Artikeln 3-6 des Sicherstellungsgesetzes). Mit Botschaft vom 30. Januar 1951 (BB1 1951 I 306 ff.) begründete der Bundesrat die Notwendigkeit des sogenannten Korea-Beschlusses (AS 1951 417). Dieser konnte sich auf Artikel l Absatz 3 des Sicherstellungsgesetzes abstützen. Er verstand sich als befristete Sofortmassnahme. In der gleichen Botschaft kündigte der Bundesrat eine Gesamtrevision des Sicherstellungsgesetzes an. Mit Botschaft vom 29. April 1955 (BB1 1955 I 805 ff.) wurde den eidgenössischen
Räten der mehrfach abgeänderte Entwurf eines «Bundesgesetzes über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge» unterbreitet. Bei der Kommentierung der einzelnen Artikel des Entwurfes nimmt die 706

Botschaft u. a. beim Zweckartikel (Art. 1) Bezug auf die neue Verfassungsgrundlage: «... Vorkehren, die in einem sogenannten kalten Krieg der Grossmächte mit Blockade und Gegenblockade zur Sicherung unserer Versorgung bzw. zur Abwehr wirtschaftlicher Nachteile für unser Land notwendig werden, können nur soweit auf das ganze Gesetz abgestützt werden, als sie gleichzeitig vorsorgliche Massnahmen für eigentliche Kriegszeiten darstellen; für weitergehende Vorkehren gegen die Auswirkungen einer wirtschaftlichen Absperrung müssen gegebenenfalls besondere Rechtsgrundlagen geschaffen werden. Insofern ist der Geltungsbereich des neuen Gesetzes enger als jener des Sicherstellungsgesetzes, das in Artikel l Absatz l generell Massnahmen für den Fall der wirtschaftlichen Absperrung ins Auge fasst. Diese Einschränkung ergibt sich aus der neuen verfassungsrechtlichen Grundlage» (a. a. O., S. 819). ' Die nationalrätliche Kommission hat sich aber von dieser Ansicht distanziert, «indem die Mehrheit der Kommission auch die wirtschaftliche Absperrung und nicht nur die Kriegsgefahr im Gesetz (sc. im Zweckartikel) verankert» wissen wollte (Sten. Bull. N 1955 126). Allein der Nationalrat folgte mit knappem Mehr von 69 zu 53 Stimmen dem Vorschlag des Bundesrates. Der Minderheitsantrag auf Zustimmung zum Entwurf des Bundesrates wurde im Rat dahingehend begründet, es gelte die Grenzen zwischen Kriegsvorbereitung einerseits und rein handelspolitischen Massnahmen anderseits klar abzustecken und nicht zu verwischen. Es dürfte mit dem Kriegsvorsorgegesetz keine Handelspolitik betrieben werden (Sten. Bull. N 1955 131/132). Dieser Auffassung konnte sich der Ständerat in der Folge anschliessen (Sten. Bull. S 1955 112).

Daraus wird klar, dass die in Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e enthaltene Zielformulierung «für Kriegszeiten» gleichzusetzen ist mit: im Hinblick auf einen möglichen Krieg, in den die Schweiz, trotz ihrer Neutralität verwickelt werden könnte oder durch den sie zumindest einer Versorgungskrise ausgesetzt würde.

Diese Folgerung ergibt sich zwingend aus dem objektiv-historischen Verständnis, aus den die sogenannte Normsituation bildenden Erfahrungen zweier Weltkriege sowie aus dem Konnex zwischen militärischer und wirtschaftlicher Landesverteidigung. Zu betonen ist noch, dass Artikel 31bls Absatz 3 Buchstabe e der
Bundesverfassung in seiner heutigen Fassung keine Massnahmen zur Sicherstellung der Landesversorgung erlaubt, sofern diese durch andere als kriegerische Ereignisse bedroht wird, selbst wenn solche Massnahmen durchaus im «Gesamtinteresse» gerechtfertigt wären.

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Schlussfolgerungen

Aus den dargestellten Erfahrungen (vai. Ziff. 21) hat sich ergeben, dass die Versorgung unseres Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen heute auch durch andere als kriegerische Ereignisse bedroht werden kann. Die Probleme müssen also umfassender betrachtet werden. Wohl ist der Begriff «Krieg» an sich interpretierbar; er kann z. B. im weitesten Sinne als «Konflikt» aufgefasst werden. Eine derartig extensive Auslegung ist aber auf Verfassungsebene nicht zulässig. Der Begriff «Krieg» bezieht sich auf die Anwendung militärischer Gewalt. Diese kann mit wirtschaftlicher Erpressung oder Ausbeutung verbunden 707

sein und dabei unser Land mittelbar oder unmittelbar treffen. Dem Kriege gleich-e zustellen ist heute - vom Standpunkt der Sicherstellung der Landesversorgung aus - die äussere machtpolitische Bedrohung, die zu den gleichen erpresserischen und ausbeuterischen Wirkungen führen kann. Die Unabhängigkeit des Landes, die innere und äussere Sicherheit, die Neutralität, der soziale Frieden können durch machtpolitisch motivierte Sperre, Drosselung, Verteuerung der Versorgung unseres Landes durchaus ebenso bedroht sein wie im eigentlichen Krieg. Eine dritte, freilich ganz andere Art der Bedrohung kann der Versorgung des Landes von den Märkten her erwachsen. Wegen der geringen und vor allem lückenhaften Selbstversorgung unseres Landes besteht diese Art der Bedrohung ständig.

Unsere Darlegungen unter Ziffer 22 zeigen deutlich, dass die geltende Ordnung, sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesstufe, lückenhaft und teilweise veraltet ist. Das trifft jedenfalls auf die wirtschaftliche Landesverteidigung bei machtpolitischer Einwirkung (ohne Krieg) und auf den Ausgleich der Versorgungslage bei Marktstörungen zu. Darum kann das geltende Recht, soll es wirklich den heutigen Anforderungen entsprechen, nicht lediglich auf Gesetzesstufe revidiert werden. Das Verfassungsrecht ist einzubeziehen.

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Aufgaben und Grenzen der Versorgungspolitik

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Umschreibung der Probleme

Die Störungen des Weltmarkts für gewisse lebenswichtige Güter sowie der Zufuhren haben das Versorgungsproblem für unser Land akut werden lassen. Mit Bedrohungen, Knappheit, Mangel ist heute ernsthaft zu rechnen.

Eine Bedrohung unserer Landesversorgung vom Ausland her kann völlig unpolitische Ursachen haben (etwa eine Missernte) oder unbeabsichtigte Folge einer bestimmten Wirtschaftspolitik sein (z. B. Begünstigung anderer Bezugsländer). Sie kann aber auch machtpolitisch gewollt sein und sich entweder direkt oder indirekt - als Auswirkung einer gegen andere gerichteten Politik - gegen unser Land richten. Den äussersten Fall stellt die kriegerische Bedrohung dar.

Besonders gefährlich könnte die Bedrohung durch einen Monopolinhaber oder ein Angebotskartell werden. Sie könnte sowohl lebenswichtige Güter als auch Dienstleistungen, insbesondere Transportleistungen (Tankerflotte), betreffen.

Die Bedrohung kann mit einem Vertragsbruch zum Nachteil unseres Landes verbunden sein oder mit der Nötigung, eine für uns unvorteilhafte Regelung in Kauf zu nehmen.

Noch stärker kann heute die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen bedroht werden durch das Überhandnehmen der internationalen Spekulation, die organisierte Konzentration des Angebotes und die Diskriminierung der für den Güteraustausch notwendigen Exporte unseres Landes. Das spekulative, d. h. auf Schaffung und Vergrösserung einer Mangellage abzielende Aufkaufen und Horten, das darauf folgende Auf-den-Markt-Werfen von lebenswichtigen Gütern des allgemeinen Bedarfs verursachen schwere Störungen der Versorgung und zeitigen nachteilige Folgen bis zum Verbraucher.

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Ausser dem bereits erwähnten Zusammenschluss der erdölproduzierenden und -exportierenden Länder ist auf den internationalen Märkten für manche Agrarprodukte und Rohstoffe eine Bewegung zur Konzentration des Angebotes in Gang gekommen, welche kartellistisch-monopolistische Züge aufweist. Verschiedene für unsere Versorgung lebenswichtige Güter können davon betroffen werden : Ölfrüchte, Kakao, Kaffee, Bauxit, Kupfer, Zinn und andere Metalle, Mineralöle.

.

: Das sind nun neuartige Probleme, die mit der geltenden Regelung auf Verfassungs- und Gesetzesstufe gar nicht oder nur unbefriedigend zu lösen sind. Daneben kommt aber auch der eigentlichen wirtschaftlichen Kriegsvorsorge eine nach wie vor erstrangige Bedeutung zu. Das Potential der militärischen Machtblöcke stellt eine stete Bedrohung durch Gewalt dar, das schon durch sein blosses Vorhandensein und erst recht bei einem Einsatz, d. h. im Krieg, auch unsere Landesversorgung trifft. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass unser Land eine konsequente Politik der Sicherstellung betrieben hat. Hier besteht eine langjährige und immer wieder ausgewertete Erfahrung. Die auf diesem Gebiet vorhandenen Rechtsgrundlagen bedürfen lediglich einer Anpassung.

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Grundzüge einer schweizerischen Versorgungspolitik

Ziel der Versorgungspolitik ist es, die Versorgung unseres Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen jederzeit sicherzustellen, d. h. sowohl bei Marktstörungen als auch bei machtpolitischer Bedrohung oder Einwirkung von aussen oder Krieg. Für die Schweiz als dichtbesiedeltes, hochindustrialisiertes Land, das" arm an Rohstoffen und ohne ausreichende eigene ernährungs- und energiewirtschaftliche Grundlagen ist, stellt diese Versorgung ein permanentes Problem dar.

Dementsprechend müssen die versorgungspolitischen Massnahmen einerseits die wirtschaftliche Landesverteidigung (äussere machtpolitische Bedrohung, Krieg), anderseits die Marktwirtschaft (Vermeidung und Behebung von Marktstörungen) betreffen. Zwischen diesen beiden Arten von Massnahmen ist eine klare Abgrenzung vorzunehmen. Das ist für die Praxis deswegen wichtig, weil gleiche oder ähnliche Massnahmen (z.. B. Vorratshaltung, Bewirtschaftung) versorgungspolitisch verschieden zu qualifizieren sind, je nachdem, ob sie der wirtschaftlichen Landesverteidigung oder dem marktwirtschaftlichen Bereich zugehören.

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Materielles

Hinsichtlich des marktwirtschaftlichen Bereichs ist davon auszugehen, dass die Sicherstellung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen nach unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung Sache der Privatwirtschaft ist.

Der Staat geht bei seiner Versorgungspolitik davon aus. dass es in erster Linie die marktwirtschaftlichen Kräfte sind, die mit dem ihnen gemässen Vorgehen die Aufgabe erfüllen. Er wird also mit eingreifenden Massnahmen Zurückhaltung üben, solange die Märkte funktionieren. Sicherstellung besteht dann zur Hauptsache in der Schaffung günstiger Voraussetzungen für die private Versorgungstä709

tigkeit sowie in deren Förderung und Unterstützung. In diesem Bereich ist also die Subsidiarität staatlicher Versorgungspolitik gegenüber der freien wirtschaftlichen Tätigkeit ausgeprägt. Deshalb obliegt es auch in erster Linie der Wirtschaft selbst, die auf Marktstörungen beruhenden Mangellagen aufzufangen und sich für den Ausgleich der Versorgung bereitzuhalten. Die bereits geschilderten Erfahrungen zeigen aber, dass das nicht immer gelingt. Ist die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern oder Dienstleistungen durch den Markt nicht sichergestellt, wird ein allgemeines öffentliches Interesse berührt. Darin liegt ein besonderer Grund staatlicher Intervention. Mit andern Worten: es wird vorausgesetzt, dass sich Bedarf und Bedarfsdeckung frei, d. h. durch die Marktkräfte, regulieren. Der Staat hat aber dafür zu sorgen, dass nötigenfalls Massnahmen zur Vermeidung oder Behebung von Mangellagen getroffen werden.

Was die wirtschaftliche Landesverteidigung anbelangt, bildet der Bericht des Bundesrates vom 27. Juni 1973 an die Bundesversammlung über die Sicherheitspolitik der Schweiz (Konzeption der Gesamtverteidigung; BB1 1973 II 112ff.) die Grundlage für die Versorgungspolitik. Auf diesen Bericht sei hier ausdrücklich hingewiesen. In diesem Bereich wird es vor allem darum gehen, die bisherige bewährte, auf den Neutralitätsschutzfall und insbesondere auf den Verteidigungsfall ausgerichtete Versorgungspolitik fortzuführen, sie aber auch auf den Krisenfall mit seinen möglichen äussern machtpolitischen Bedrohungen und Einwirkungen (direkten oder indirekten) auszudehnen und den gemachten Erfahrungen anzupassen.

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Organisation

Es liegt auf der Hand, dass die Organisation der wirtschaftlichen Landesversorgung den erwähnten Grundsätzen entsprechen muss. Das heisst namentlich, dass sowohl die Massnahmen zur Sicherstellung der Landesversorgung als auch deren Durchführung das wirtschaftliche Leben nicht übermässig beeinträchtigen sollen.

Die Versorgungspolitik darf die Wirtschaftspolitik nicht dominieren. Sie muss deshalb von der freien Wirtschaft und dem Staat gemeinsam getragen werden.

Eine ausgewogene Kombination von Wirtschaftsfreiheit und Wirtschaftslenkung bietet Gewähr für eine gut vorbereitete und funktionsfähige Landesversorgung.

Die im Interesse der Landesversorgung zu bewältigenden Aufgaben betreffen alle Bereiche der Wirtschaft; nur wer in täglichem Kontakt mit der Wirtschaft steht, ist in der Lage, die sich stellenden Fragen zu beantworten und angemessene Massnahmen vorzuschlagen. Der Staat ist also auf die Dynamik, die Geschäftserfahrung und die weltweiten Handelsbeziehungen der freien Marktwirtschaft angewiesen. Dieses erwünschte Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Verwaltung besteht schon seit Jahren im Rahmen des sogenannten Milizsystems und hat sich bewährt. Nach diesem System stellen sich geeignete Persönlichkeiten aus der Wirtschaft und der kantonalen und kommunalen Verwaltung freiwillig zur Verfügung für die Übernahme von Funktionen im Interesse der Landesversorgung.

Das Milizsystem stützt sich auf die Zusammenarbeit von Amtsstellen des Bundes.

In diesem Zusammenhang sind ebenfalls die Pflichtlagerorganisationen (Carbura, TSL usw.) zu erwähnen, die für die Landesversorgung eine massgebende Rolle spielen.

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Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die erforderliche Sachkenntnis meistens nur in der Wirtschaft selbst zu finden ist. Dazu kommt, dass der Staat gar nicht in der Lage ist, alle Probleme der Landesversorgung alleine zu bewältigen. Unter diesen Umständen erscheint die Beibehaltung des Milizsystems als die sinnvollste und wirksamste Lösung und darum unbedingt notwendig. Auch im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens kam dies sehr deutlich zum Ausdruck.

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Versorgungspolitische Massnahmen

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Einleitung

Zur Verwirklichung der geschilderten Versorgungspolitik bedarf es nicht nur einer Verfassungsänderung, sondern auch neuer Bestimmungen auf Gesetzesstufe.

Wie bereits erwähnt, gelangte die von uns eingesetzte Expertenkommission zur Auffassung, dass Massnahmen zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gutem und Dienstleistungen und zum Schutz schweizerischer Vermögenswerte getroffen werden sollten, und zwar nicht wie bisher nur dann, wenn die Zufuhren gestört sind oder unser Land in kriegerische Ereignisse einbezogen ist.

Dementsprechend soll die künftige Regelung allen Bedrohungsarten Rechnung tragen und es ermöglichen, die Versorgung unseres Landes jederzeit sicherzustellen. Die nachfolgenden Darlegungen geben einen Überblick über den Inhalt dieser Regelung aus der Sicht der Expertenkommission. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der wirtschaftlichen Landesverteidigung einerseits und den Massnahmen gegen Marktstörungen andererseits.

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Wirtschaftliche Landesverteidigung

Bei der wirtschaftlichen Landesverteidigung wird die Versorgungspolitik mit der Gesamtyerteidigung koordiniert. Diese richtet sich gemäss den Grundsätzen der Sicherheitspolitik nach den verschiedenen Bedrohungen unseres Landes (vgl. Bericht über die Sicherheitspolitik; BB1 1973 II119 ff,). Der erfahrungsgemäss ständig vorhandenen Bedrohung sollen ständige Massnahmen entsprechen (ständige Bereitschaft), der zunehmenden Bedrohung allenfalls weitere Massnahmen.

332.1

Ständige Bereitschaft

In diesem Bereich kann man sich weitgehend an die Massnahmen halten, die das geltende Recht vorsieht. Sie haben sich im allgemeinen bewährt, sollten jedoch auch bei machtpolitischen, nicht-kriegerischen Bedrohungen angewendet werden können. Dementsprechend ist vorgesehen, dass die Vorratshaltung die wichtigste Massnahme der ständigen Bereitschaft bleibt und dass sie nach wie vor in erster Linie Aufgabe der Privatwirtschaft und des einzelnen ist. Die Vorkehren des Gemeinwesens sollen auch hier die privaten Massnahmen nur ergänzen.

Als Hauptinstrument der Vorratshaltung ist wie bisher die Pflichtlagerhaltung vorgesehen. : Der Eigentümer eines Pflichtlagers verpflichtet sich vertraglich ge711

genüber dem Bund, bestimmte Vorräte an einem vereinbarten Ort sachgemäss zu lagern und fortlaufend zu erneuern. Es handelt sich um ein zusätzliches Warenlager, dessen Finanzierung der Bund mittels Garantie erleichtert und dessen Haltung er steuerrechtlich begünstigt. Der Pflichtlagervertrag bestimmt im einzelnen die Rechte und Pflichten des Bundes und des Lagerpflichtigen. An dieser bestens bewährten Institution soll wenig geändert werden; die bisherigen Erfahrungen haben indessen die Notwendigkeit einiger Anpassungen aufgezeigt: - Ursprünglich wurden Pflichtlagerverträge ausschliesslich auf freiwilliger Basis abgeschlossen. Bald zeigte sich aber, dass die betreffenden Branchen und Firmen nicht immer in der Lage waren, überhaupt oder in genügendem Ausmass Pflichtlager anzulegen. Deshalb hat der Bund bereits im geltenden Gesetz die Einfuhr bestimmter Waren der Bewilligungspflicht unterstellt und die Erteilung der Bewilligung vom Abschluss und der Erfüllung eines Pflichtlagervertrages abhängig gemacht. Dieses System des indirekten Zwanges ist beizubehalten.

Daraus geht aber hervor, dass nur Importeure zur Lagerhaltung verpflichtet werden können. Die Erfahrungen zeigen, dass zusätzlich die Möglichkeit geschaffen werden sollte, auch inländische Betriebe heranzuziehen, um bestehende und allenfalls neu auftretende Lücken der Lagerhaltung zu schliessen.

Eine solche Ausdehnung wird vor allem im Industriesektor vorgesehen (wichtige Rohstoffe und Halbfabrikate für verschiedene Sektoren). In diesem Fall würde allenfalls ein indirekter Zwang ausgeübt, indem der Bund die betreffende Branche oder Firma zur Vorratshaltung verpflichten könnte, falls der freiwillige Abschluss eines Pflichtlagervertrages sich nicht verwirklichen liesse.

- Bei der Finanzierung der Pflichtlager übernimmt der Bund gegenüber den Banken eine sehr weitgehende Haftung. Er muss deshalb gegen allfällige Verluste abgesichert werden. So wird ihm schon heute ein besonderes Aussonderungsrecht eingeräumt. Aufgrund dieses Rechtes erwirbt der Bund das Eigentum am Pflichtlager in dem Augenblick, in dem das Konkurserkenntnis oder die Bewilligung einer Nachlassstundimg rechtskräftig wird. In diesem Zusammenhang stellt sich nach jüngsten Erfahrungen die Frage nach der Wirksamkeit des Aussonderungsrechts bei einer Betreibung auf Pfändung oder auf
Pfandverwertung sowie bei einer vertraglich vereinbarten freihändigen Verwertung von verpfändeten Pflichtlagerwaren. Diese Frage bedarf einer gründlichen Überprüfung.

Zu den Massnahmen der ständigen Bereitschaft gehört ebenfalls die vorsorgliche Sicherstellung von lebenswichtigen Dienstleistungen, namentlich auf dem Gebiet des Transportwesens. In diesem Bereiche wird es aber vor allem darum gehen, die bisherige, bewährte Regelung fortzuführen.

332.2

Massnahmen bei zunehmender Bedrohung und bei Störung der Versorgung

Auch bei zunehmender Bedrohung sollen zur wirtschaftlichen Landesverteidigung Massnahmen getroffen werden können. Das heisst, der Bundesrat soll die Möglichkeit haben einzugreifen, wenn die Versorgung erheblich gefährdet oder gestört ist. Diese Massnahmen sind von Fall zu Fall zu treffen; sie bleiben so lange in Kraft, als es die Lage erfordert. Sie können also längere Zeit zur Anwendung 712

kommen. Damit sie gegebenenfalls unverzüglich wirksam zu werden vermögen, sind sie bereits in normalen Zeiten vorzubereiten.

Es handelt sich unter anderem um folgende, zum Teil bereits in der geltenden Gesetzgebung vorgesehene Massnahmen: - Steigerung der inländischen Produktion Vollzug des Ernährungsplanes - Beschaffung von Ersatzstoffen - Bewirtschaftungsmassnahmen (Kontingentierung, Rationierung usw.)

- Verstärkte Lagerhaltung - Schaffung von Importsyndikaten : - Zusätzliche Käufe auf dem Weltmarkt mit Übertragung des Preisrisikos auf den Bund oder eine Pflichtlagerorganisation - Schaffung und Erhaltung von Produktionsstätten.

Die zuletzt erwähnte Massnahme war schon wiederholt Gegenstand von Diskussionen. Es liegt auf der Hand, dass gewisse Betriebe in Zeiten schwerer Bedrohung unter allen Umständen aufrechterhalten werden müssen und dass der Staat in der Lage sein muss, die entsprechenden Massnahmen zu treffen. Es ginge aber nicht an, unter dem Vorwand der versorgungspolitischen Notwendigkeit nicht mehr lebensfähige Unternehmungen mit sicherheitspolitischen Schutzmassnahmen zu stützen. Weiter ist zu betonen, dass eine solche Massnahme sicher nicht im Rahmen der ständigen Bereitschaft getroffen werden kann. Derartige Vorkehren zur Förderung der Selbstversorgung sind nur für Zeiten ernsthafter Bedrohung denkbar. Selbstverständlich können private Unternehmungen mit dem Bund freiwillige Vereinbarungen zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs treffen.

Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die verteidigungswirtschaftliche Lenkung im Bereich der Güter und Dienstleistungen in der Regel eine Preisregulierung erfordert.: Deshalb ist die Möglichkeit einer Preisüberwachung vorzusehen, jedoch nur:für Zeiten zunehmender Bedrohung und ausschliesslich im Zusammenhang mit Bewirtschaftungs- und Verwendungsvorschriften.

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Schutz von Vermögenswerten

Die wirtschaftliche Landesverteidigung umfasst nicht nur die Sicherstellung der Versorgung, sondern auch den Schutz von Vermögenswerten. Eine Regelung auf diesem Gebiet bleibt nach wie vor notwendig. Zur Vermeidung von Lücken soll also der Bundesrat alle notwendigen Bestimmungen erlassen. Dementsprechend sollen die zwei geltenden Bundesratsbeschlüsse (BRB vom 12. April 1957 über den Schutz von Wertpapieren und ähnlichen Urkunden durch vorsorgliche Massnahmen sowie BRB vom 12. April 1957/4. Juli 1958 betreffend vorsorgliche Schutzmassnahmen für juristische Personen, Personengesellschaften und Einzelfirmen) bis zum Inkrafttreten einer besonderen Gesetzgebung in Kraft bleiben.

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Massnahmen gegen Marktstörungen

Es geht hier um die Vermeidung oder Behebung von Marktstörungen und damit von Mangellagen, die ohne machtpolitische oder gar kriegerische Einwirkung ent30 Bundesblatt, l SOJahrg. Bd. II

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standen sind. Solche Mangellagen können, wie bereits erwähnt, sehr verschiedene Ursachen und Folgen haben. Selbstverständlich ist es in erster Linie Aufgabe der Wirtschaft selbst, mit solchen Schwierigkeiten fertig zu werden. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen die Wirtschaft nicht mehr in der Lage ist, solchen Störungen aus eigener Kraft zu begegnen. Unter Umständen hat dann der Staat dafür zu sorgen, dass fördernde und nötigenfalls ergänzende Massnahmen getroffen werden. Dabei gilt aber nach wie vor der Grundsatz, dass sich die staatliche Intervention sowohl zeitlich als auch materiell auf ein Minimum beschränken muss. Darum sind die in Frage kommenden Massnahmen in der künftigen Gesetzgebung abschliessend aufzuzählen.

334.1

Förderungsmassnahmen

Die Förderungsmassnahmen sollen in erster Linie die private Versorgungstätigkeit möglichst wirksam unterstützen, und zwar ohne die Handels- und Gewerbefreiheit einzuschränken. Es geht dabei vor allem um eine aktive Unterstützung der Einfuhrtätigkeit. Der Bund könnte zum Beispiel die gemeinsame Warenbeschaffung durch die Importeure fördern und sich an den Risiken beteiligen. Darunter fällt auch die Ermunterung zur vermehrten Anlage von freien Betriebsvorräten. Sie besteht darin, dass der Bund den Lagerhaltern das freie Verfügungsrecht über diese Waren auch bei der Bewirtschaftung garantiert. Ähnliches würde für die freiwilligen Haushaltvorräte gelten.

334.2

Ergänzende Massnahmen

Bei Marktstörungen sind noch Situationen denkbar, in denen die fördernden Massnahmen des Bundes nicht ausreichen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. In solchen Fällen sollte der Bund befugt sein, Massnahmen zu ergreifen, die vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen. Hier ist in erster Linie an die Schaffung von Ausgleichsvorräten zu denken. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Pflichtlager sowohl nach dem geltenden als auch nach dem neuen Recht für die wirtschaftliche Landesverteidigung reserviert bleiben sollen. Andererseits gilt es aber zu bedenken, dass - wie erwähnt Störungen von den internationalen Märkten her zu folgenschweren Mangellagen bei lebenswichtigen Gütern führen können, die auch durch internationale Zusammenarbeit nicht zu beheben sind. Deshalb wäre die Schaffung von Vorräten in Aussicht zu nehmen, die in Anspruch genommen werden können, ohne dass irgendeine machtpolitische Bedrohung vorliegt. Für die Verwirklichung dieses Systems kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht: einerseits wäre es denkbar, dass die Ausgleichslager vorsorglich bereitgestellt würden und dann dauernd vorhanden sein müssten. In diesem Fall könnten für die Anlegung und den Unterhalt dieser Lager die Bestimmungen über die Pflichtlagerhaltung sinngemäss angewendet werden, d. h. die Halter von Ausgleichsvorräten hätten die . gleichen Rechte und Pflichten wie die Pflichtlagerhalter. Andererseits wäre aber ebenfalls eine Lösung vorstellbar, wonach bei gewissen lebenswichtigen Gütern ein Teil der heutigen Pflichtlager - beispielsweise ein einfacher oder zweifacher 714

Monatsbedarf - für solche Zwecke ausgeschieden würde. Dabei sollte jedoch selbstverständlich die von den Behörden im Rahmen der eigentlichen Pflichtlagerhaltung vorgeschriebene Bedarfsdeckung nicht beeinträchtigt werden. Diesen Erwägungen wird bei der Ausarbeitung der Ausführungsgesetzgebung gebührend Rechnung zu tragen sein. Bereits heute ist aber zu betonen, dass auch auf dem Gebiete der Lagerhaltung die Gebote der Subsidiarität, der Verhältnismässigkeit und der Zweckmässigkeit unbeschränkt gelten müssen. Die Haltung von Pflichtlagern zieht nicht unbedingt die Anlegung von Ausgleichsvorräten nach sich.

Für den Fall, dass sich die Marktstörungen über längere Zeit hinziehen würden, wären auch Bewirtschaftungsmassnahmen. Vorschriften über die Verminderung des Verbrauchs und die Beschränkung der Ausfuhr vorgesehen. Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Landesverteidigung wären diese Massnahmen nicht allgemeiner Natur, sondern hätten eine gezielte, zeitlich und materiell befristete Lenkung eines bestimmten und klar abgegrenzten Bereichs der Marktwirtschaft zum Gegenstand.

Mit den Massnahmen gegen Marktstörungen wird zweifellos ein Postulat zur Diskussion gestellt, das der Landesversorgung einen breiteren und umfassenderen Charakter gibt. Es gilt aber noch einmal zu betonen, dass heute am ehesten mit plötzlichen und folgenschweren Mangellagen zu rechnen ist.

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Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens

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Grundsätzliche Bemerkungen

Mit einem erläuternden Bericht ging folgender Text in die Vernehmlassung: 3

Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen: e. über vorsorgliche Massnahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung sowie allgemein zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen.

Diese Fassung wurde im allgemeinen positiv bewertet. Grundsätzlich wird mit einer Ausnahme die Notwendigkeit der Neuregelung der Bundeskompetenzen im Bereich der Landesversorgung bejaht.

Wenn Befürchtungen laut werden, beziehen sie sich darauf, dass der erweiterte Verfassungsartikel in der vorgelegten Fassung dem Bund die Möglichkeit verschaffen würde, Konjunktur- und Strukturpolitik zu betreiben.

Gewisse Kreise werfen Probleme auf, die mit dem Verfassungsartikel nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen, sondern die gestützt darauf zu erlassende Ausführungsgesetzgebung betreffen. Hier sind vor allem die zahlreichen Stellungnahmen zu erwähnen, die eindeutig für die Beibehaltung des Milizsystems eintreten; vorwiegend aus diesen Kreisen' ist ebenfalls mehr oder weniger starker Widerstand gegen die Schaffung eines Bundesamtes zu verspüren. Im weitern lehnen einige Organisationen die Schaffung von Ausgleichslagern ab, d. h. von Lagern, die im Hinblick auf schwerwiegende Mangellagen angelegt werden sollen.: 715

Andere wenige Stellungnahmen weisen auf verschiedene Fragen hin, die die Belange der Landesversorgung gar nicht oder nur am Rand berühren (strukturpolitische Massnahmen zugunsten der Berglandwirtschaft, der einheimischen Verarbeitungsindustrie im Lebensmittelsektor usw.).

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Kantone

Die Kantone sind mit einer Ausnahme grundsätzlich einverstanden. Vier Kantone schlagen Textänderungen vor: Zwei begnügen sich mit der Streichung des Wortes «allgemein»; der Vorschlag des dritten ist lediglich formeller Natur; der vierte fordert insbesondere, dass Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit lediglich dann möglich sein sollen, wenn die Wirtschaft Marktstörungen nicht aus eigener Kraft beheben kann. Der einzige ablehnende Kanton bemängelt vor allem, dass die Subsidiarität staatlicher Massnahmen nicht zum Ausdruck komme. Im weitern begründet er seine Ablehnung mit der Feststellung, dass die vorgeschlagene Fassung praktisch eine Verstaatlichung der gesamten Wirtschaft erlauben würde.

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Parteien

Auch die befragten Parteien sind mit dem Entwurf grundsätzlich einverstanden.

Eine schlägt vor, das Wort «allgemein» zu streichen, während eine andere eine Einschränkung der Bundeskompetenz durch Einfügung des Wortes «vorübergehend» beantragt.

In eine ganz andere Richtung zielt der Vorschlag, den Ingress des Artikels 31 Absatz 3 als «Muss»- und nicht als «Kann»-Vorschrift zu gestalten.

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Wirtschaftliche Organisationen und Verbände

Naturgemäss ist das Spektrum der Ansichten bei den Verbänden am breitesten, doch hat nur eine Organisation den Artikel völlig abgelehnt. Sie möchte, dass sich die Landesversorgungsbestimmung auf kriegerische und machtpolitische Ereignisse beschränkt; im weiteren gibt sie ihrer Befürchtung Ausdruck, dass der Vorschlag der staatlichen Intervention unbegrenzte Möglichkeiten einräume.

Alle anderen sind mehr oder weniger mit dem Vorschlag einverstanden. Werden Änderungswünsche vorgetragen, so enthalten sie immer den Vorschlag, den Verfassungstext einschränkender zu gestalten. Die Befürchtung, dass die Formulierung zu Struktur- und konjunkturpolitischen Massnahmen missbraucht werden könnte, wird vor allem in den Stellungnahmen der Wirtschaftsvertreter geäussert.

Die Änderungswünsche kommen deshalb auch vorwiegend aus dieser Richtung.

Insgesamt machen dreizehn Verbände oder Organisationen formulierte Änderungsvorschläge.

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Neue Verfassungsbestimmung über die Landesversorgung

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Vorbemerkungen

Wie wir festgehalten haben, kann sich die Revision des geltenden Rechts, soll es wirklich den heutigen Anforderungen entsprechen, nicht auf die Ausführungsgesetzgebung beschränken; vielmehr ist auch die verfassungsrechtliche Grundlage zu revidieren.

Neben Artikel 3l bis Absatz 3 Buchstabe e finden sich in der Bundesverfassung weitere Bestimmungen, welche die Landesversorgung betreffen, wie etwa Artikel 22illater Absatz l der Bundesverfassung über, die Raumplanung, der die Ausscheidung von Landwirtschaftszonen ermöglicht, Artikel 23bis über die Brotgetreideversorgung, Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe b über die Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft sowie Artikel 32bis Absatz 2 über die Gestaltung der Alkoholgesetzgebung.

Diese Normen könnten für einige Massnahmen des geplanten Landesversorgungsgesetzes eine Grundlage bieten, doch verbleiben im Gesetz zu regelnde Bereiche, die sich nicht auf die geltende Verfassung abstützen lassen. Deshalb ist eine einwandfreie, umfassende verfassungsrechtliche Grundlage für das Versorgungsrecht unerlässlich.

Die Lösung über eine extensive Auslegung des bestehenden Artikels 31bis Absatz 3 Buchstabe e wurde geprüft, musste aber verworfen werden, weil die machtpolitische Bedrohung ohne Waffengewalt keineswegs unter den Begriff «Krieg» sub.sumiert werden kann und auch eine in der Wirtschaft selbst begründete Störung der Versorgungslage von der Bestimmung nicht erfasst wird.

Aus diesen Erwägungen erachten wir eine Teilrevision der Verfassung für unumgänglich.

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Verfassungsrechtliche Grundsätze

Das neue Versorgungsrecht hat den Grundsätzen der Bundesverfassung Rechnung zu tragen und sich insbesondere in das System des geltenden Wirtschaftsverfassungsrechts einzufügen. Es muss also der Grundkonzeption unserer Wirtschaftsordnung - Wirtschaftsfreiheit und Wettbewerbswirtschaft, verbunden mit der staatlichen Förderung der Wohlfahrt - entsprechen. Es ist jedoch möglich, dass einzelne Massnahmen des Versorgungsrechts mit den in der Verfassung garantierten Grundrechten in Konflikt geraten, wie beispielsweise die Dienstleistungspflicht zum Selbstbestimmungsrecht oder die Beschlagnahme oder das Verwendungsverbot zur Eigentumsgarantie. Diesem Konflikt ;sind jedoch viele staatliche Massnahmen ausgesetzt. Diese Spannungen auszugleichen, ist eine Daueraufgabe der Rechtsordnung. Nur dort, wo das Interesse des Versorgungsrechts andere berührte Interessen überwiegt, rechtfertigt sich die mit dem Versorgungsrecht notwendigerweise verbundene Beschränkung von Grund- und Freiheitsrechten. Allgemeine staatsleitende Grundsätze, wie die Prinzipien der Erforderlichkeit, der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität; schützen vor Willkür und garantieren auch im Bereich der Versorgungsmassnahmen die Rechtsstaatlichkeit.

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Ausserdem bildet der Kern- oder Wesensgehalt der Grundrechte eine absolute Schranke gegen Eingriffe in die Individualsphäre.

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Standort der neuen Bestimmung und Textvorschlag

Für die textliche Gestaltung und die Einordnung des neuen Artikels in die Verfassung bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. Wie bereits ausgeführt, ist die geltende Lösung deswegen ungenügend, weil sie bei machtpolitischer Bedrohung (ohne Krieg) nicht anwendbar ist. Eine Regelung im Rahmen einer generellen Bestimmung über die Gesamtverteidigung vermöchte den gestellten Ansprüchen ebenfalls nicht zu genügen, weil sie den Fall der blossen Marktstörung nicht einbeziehen kann. Die Abstützung des Versorgungsrechts auf ergänzende Verfassungsbestimmungen aus vielen verschiedenen Bereichen, die unter anderem auch für die Landesversorgung Bedeutung haben, führt zu keinem befriedigenden Ergebnis, da diese Bestimmungen primär andere oder weitere Ziele haben als die Sicherung der Landesversorgung für Zeiten gestörter Zufuhr. Daraus würden sich schwierige Interpretationsprobleme ergeben, da im Einzelfall abgeklärt werden müsste, inwiefern auch eine Kompetenz zur Gesetzgebung über die Sicherstellung der Landesversorgung in der Bestimmung enthalten ist. Würde andererseits ein völlig verselbständigter Artikel über die Landesversorgung eingefügt, bliebe entweder dessen Verhältnis zu den Wirtschaftsartikeln ungeklärt oder die in Artikel 31bis der Bundesverfassung genannten Voraussetzungen für Gesetzeserlasse, die Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit zulassen, müssten wiederholt werden.

Die Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen gehört zum Massnahmenrecht des Wirtschaftsverwaltungsrechts des Bundes. In Artikel 31bis der Bundesverfassung geht es allgemein um die Wohlfahrt des Volkes und die wirtschaftliche Sicherung der Bürger. Die Landesversorgung fällt in diesen Themenkreis. Wir schlagen deshalb vor, als Standort einer neuen verfassungsrechtlichen Grundlage für die Landesversorgung Artikel 3lbis Absatz 3 Buchslabe e der Bundesverfassung beizubehalten.

Bei dieser Lösung ist das Verhältnis der neuen Kompetenznorm zu den übrigen in Absatz 3 von Artikel 31bis enthaltenen Normen zu beachten, die wie folgt lauten: 3

Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen: a. zur Erhaltung wichtiger, in ihren Existenzgrundlagen gefährdeter Wirtschaftszweige oder Berufe sowie zur Förderung der beruflichen Leistungsfähigkeit der Selbständigerwerbenden in solchen Wirtschaftszweigen oder Berufen; b. zur Erhaltung eines gesunden Bauernstandes und einer leistungsfähigen Landwirtschaft sowie zur Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes;

c. zum Schütze wirtschaftlich bedrohter Landesteile; d. gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und ähnlichen Organisationen.

Alle unter den Buchstaben a-e aufgeführten Bundeskompetenzen stehen in einer mehr oder weniger engen Beziehung zur Versorgungsaufgabe der Wirtschaft. Die in den Buchstaben b und e aufgeführten Gesetzgebungsbefugnisse treten unter 718

diesem Aspekt nur besonders deutlich hervor. Aber auch die Existenzsicherung gefährdeter wichtiger Wirtschaftszweige und Berufe nach Buchstabe a strebt unter anderem ebenfalls die Erhaltung des Versorgungsapparates der nationalen Wirtschaft an. Und auch zwischen dem Schutz der wirtschaftlich bedrohten Landesteile nach Buchstabe c und der optimal ausgewogenen Aufteilung der Versorgungsaufgabe über das ganze Land besteht ein Zusammenhang. Es geht darum zu verhindern, dass sich Gebiete wirtschaftlich und bevölkerungsmässig entleeren und dadurch die Versorgungsaufgabe erschweren. Die Ermächtigung nach Buchstabe d, volkswirtschaftlich oder sozial schädlichen Einflüssen von Kartellen und ähnlichen Organisationen zu begegnen, gewährleistet insbesondere den freien Leistungswettbewerb. Dieser vermag ,am ehesten die materiellen Lebensbedürfnisse des Landes zu befriedigen.

Der geltende Artikel 31bis Absatz 3 gewährt dem Bund keine ausreichenden Kompetenzen für eine Bundesgesetzgebung, welche die Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen nicht nur für Kriegs-, sondern allgemein für Notzeiten sicherstellen soll. Zwar schafft er notwendige Randbedingungen zur Erfüllung der Versorgungsaufgabe. Doch bedarf es für das Versorgungsrecht einer eigentlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, damit die wirtschaftliche Landesverteidigung gegen kriegerische und andere machtmässige Einwirkungen von aussen ermöglicht wird und aussërdem empfindliche Marktstörungen abgewehrt werden können. Die neue Verfassungsbestimmung und die entsprechende Gesetzgebung sollen ermöglichen, dass die schweizerische Wirtschaft selbst unter erschwerten äusseren Bedingungen funktionstüchtig bleibt und ihre Versorgungsaufgabe erfüllen kann.

Es sei nochmals daran erinnert, dass ein enger Konnex besteht zwischen der Sicherstellung der Landesversorgung und andern Zuständigkeitsbereichen des Bundes: Getreideversorgung, Verkehrs- und Energiewirtschaft, Währungsrecht.

Bodenrecht und insbesondere militärische Landesverteidigung. Der neue Vorsorgeartikel soll die Bestimmungen über diese Zuständigkeiten keineswegs ersetzen.

So wird man sich z. B. für die Versorgung des Landes mit Getreide weiterhin auf Artikel 23bis und für die Landesversorgung mit Kernenergie auf Artikel 24iuinciuics der Verfassung stützen.

Um jede Unklarheit
zu vermeiden, sei hier noch einmal an die Aufgabe erinnert, welche die neue Bestimmung über die Landesversorgung zu erfüllen hat. Es geht nicht darum, den Anwendungsbereich des heute geltenden Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e ins Uferlose zu erweitern. Im Gegenteil, es handelt sich in erster Linie darum, die wirtschaftliche Landesverteidigung mit den im wesentlichen bereits heute geltenden Massnahmen sicherzustellen. Nach der neuen Verfassungsbestimmung sollen diese Massnahmen jedoch nicht mir für Kriegszeiten, sondern auch bei machtpolitischer Bedrohung oder bei Marktstörungen getroffen werden können. Dabei bleibt selbstverständlich die staatliche Intervention wie bisher subsidiär. Es ist offensichtlich, dass der Geltungsbereich der Bestimmung in ihrer neuen Fassung umfassender sein wird. Doch sind gestützt darauf nur Massnahmen zum Zwecke der wirtschaftlichen Landesverteidigung sowie der Sicherstellung der Landesversorgung möglich. Von daher ist der Geltungsbereich begrenzt.

Er ermächtigt deshalb nicht zu handels-, konjunktur- oder energiepolitischen Massnahmen.

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Es bleibt zu erwähnen, dass Versorgungsprobleme nicht ausschliesslich mit internen Massnahmen gelöst werden können, dass vielmehr auch das Staatsvertragsrecht eine massgebliche Rolle spielt.

Dies gilt in zweifacher Hinsicht: einerseits stützt sich unsere Versorgung teilweise darauf; andererseits bilden das Staatsvertragsrecht und mit ihm die wegen der wechselseitigen Abhängigkeiten im Wirtschaftsverkehr zu beachtenden handelspolitischen Erfordernisse gegenüber dem Ausland eine Schranke für autonome landesrechtliche Regelungen. Wichtig sind sowohl die auf Liberalisierung des zwischenstaatlichen Güterverkehrs gerichteten multilateralen Abkommen (wie GATT, EWG, EFTA) als auch Spezialabkommen, die ganz oder teilweise der Versorgung dienen (Internationales Energieabkommen, Rohwarenabkommen).

Schliesslich ist auf eine wichtige Funktion der neuen Verfassungsbestimmung hinzuweisen: Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e bietet in seiner heutigen Fassung auch die Grundlage für gesetzliche Vorschriften über Massnahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung, wie den Schutz von Vermögenswerten und von Wertpapieren sowie ähnlichen Vorkehren. Bei der neuen Formulierung ist darauf zu achten, dass die Grundlage für diese Massnahmen erhalten bleibt.

Diese Überlegungen führen zu folgendem Textvorschlag: Bundesverfassung Artikel 31hls Absatz 3 3 Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit, Vorschriften zu erlassen:

e. über vorsorgliche Massnahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung, ferner zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen bei schweren Mangellagen, welche die Wirtschaft nicht selbst zu beheben vermag.

Damit erhält der Bund die Befugnis und die Aufgabe, auf dem Wege der ordentlichen Rechtsetzung Vorschriften zu erlassen über - Massnahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung, zur Sicherstellung der Versorgung, sowohl für den Fall machtpolitischer äusserer Bedrohung ohne Anwendung von Waffengewalt als auch für den Kriegsfall.

- Massnahmen gegen schwere, marktbedingte Versorgungsstörungen, welche die Wirtschaft nicht selbst zu beheben vermag.

- Massnahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung ausserhalb des Versorgungsrechts, vor allem zum Schutz von Vermögenswerten.

Die nunmehr vorgeschlagene Formulierung erfüllt die an die verfassungsrechtliche Grundlage der Landesversorgung gestellten Anforderungen. Sie trägt den Anregungen und Bemerkungen Rechnung, die im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens vorgebracht wurden. Der ursprüngliche Text erweckte vielleicht allzusehr den Eindruck, die Landesversorgung könnte zu einer Aufgabe werden, die allein vom Staat wahrgenommen werden müsse. Aus den Erwägungen der vorliegenden Botschaft geht hervor, dass dies nie die Absicht der Behörden war. Mit der neuen Fassung sind handelspolitische Repressions- sowie konjunktur- und strukturpolitische Massnahmen ausgeschlossen.

Schliesslich ist noch daran zu erinnern, dass die dem Bund unter Artikel 31bis Absatz 3 Buchstabe e eingeräumten Kompetenzen von ihm nur ausgeübt werden 720

können, wenn die im Ingress des dritten Absatzes erwähnten Bedingungen, die sich sowohl auf Buchstabe e als auch auf die Buchstaben a-d beziehen, erfüllt sind. Das bedeutet, dass der Bund Massnahmen erst treffen kann, «wenn das Allgemeininteresse dies rechtfertigt», und auch dann kann er nur «nötigenfalls» vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit abweichen. Die Pflicht zu entsprechender Interessenabwägung und die Grundsätze der Notwendigkeit, der Subsidiarität sowie der Verhältnismässigkeit bleiben damit auch für die ergänzte Verfassungsbestimmung deutlich hervorgehoben.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

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Finanzielle Auswirkungen

Allgemein ist daraufhinzuweisen, dass die finanziellen Auswirkungen wesentlich von der Ausgestaltung des neuen Landesversorgungsgesetzes abhängig sind.

Immerhin dürften sich die direkten finanziellen Verpflichtungen, die dem Bund erwachsen werden, in engem Rahmen halten. Im Normalfall werden die Aufwendungen in einer ähnlichen Grössenordnung bleiben wie heute. Es ist indessen zu beachten, dass bei gestörten Verhältnissen der Interventionsbereich des Bundes grösser wird: beispielsweise könnten Bewirtschaftungsmassnahmen auch bei Marktstörungen getroffen werden. Daraus könnten möglicherweise Mehrkosten entstehen, die heute aber aus verständlichen Gründen nicht zu ermitteln sind.

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Personelle Auswirkungen

Auch die personellen Folgen sind wesentlich von der Ausgestaltung des neuen Landesversorgungsgesetzes abhängig. Sie dürften beim Bund jedoch gering sein.

Nach Möglichkeit wird danach getrachtet, mit dem bisherigen Bestand auszukommen. Solange die Wirtschaft im Milizsystem wertvolle Kräfte zur Verfügung stellt, sollten auch zusätzliche Aufgaben bewältigt werden können. Ein Ausbau der Dienststelle des Delegierten für wirtschaftliche Kriegsvorsorge und einzelner Ämter des Bundes könnte sich dann aufdrängen, wenn aufgrund der erweiterten Verfassungsgrundlage wesentliche neue Aufgaben übernommen werden müssten.

Wenn die genannte Dienststelle in ein Bundesamt für Landesversorgung umgewandelt werden soll, wie dies übrigens im Bundesgesetz über die Reorganisation der Bundesverwaltung vorgesehen ist, so handelt es sich dabei vorwiegend um eine formelle Massnahme.

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Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Im Prinzip sind die meisten Bestimmungen, welche die Kantone und Gemeinden betreffen, bereits in der geltenden Regelung enthalten. Doch können die geringen rechtlichen Änderungen die Kantone etwas mehr belasten als bisher. Es ist daran zu erinnern, dass nicht erst bei unmittelbarer Kriegsgefahr, sondern auch bei machtpolitischer Bedrohung Massnahmen zu ergreifen sind. Die zuständigen kantonalen Stellen müssten somit wohl früher als bis anhin gewisse Aufgaben 721

übernehmen. Bei der Durchführung der vorgesehenen Massnahmen ist die Mitwirkung der Kantone unerlässlich. Auch bei der Anwendung von allfälligen Bewirtschaftungsmassnahmen gegen Marktstörungen ist der Einsatz der kantonalen Behörden unumgänglich. Im Normalfall dürfte indessen die Belastung der Kantone nicht grösser sein als bisher.

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Bezug auf die Richtlinien der Regierungspolitik

Wir haben in den Richtlinien der Regierungspolitik in. der Legislaturperiode 1975-1979 vom 28. Januar 1976 (BB1 1976 I 442) die Vorlage über eine erweiterte Verfassungsbestimmung betreffend die Landesversorgung angekündigt.

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Schlussbemerkungen

Mit der Schaffung einer neuen Verfassungsbestimmung über die Landesversorgung wird zwar eine unerlässliche Voraussetzung für eine sinnvolle und zeitgemässe Versorgungspolitik erfüllt, diese selbst aber noch nicht gewährleistet. Die Frage, wie weit die einzelnen Ziele auch tatsächlich erreicht werden, hängt in entscheidendem Masse von der aufgrund der neuen Bestimmung zu erlassenden Ausführungsgesetzgebung ab. Die Vorarbeiten für ein neues Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung sind bereits weit gediehen, so dass wir bei einer Annahme der hier vorgeschlagenen Verfassungsbestimmung durch Volk und Stände in der Lage wären, dem Parlament innert nützlicher Frist einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen.

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Bundesbeschluss über die Neuordnung der Landesversorgung

Entwurf

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 6. September 1978 ", beschliesst : I

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 31bis Abs. 3 Est. e 3 Wenn das Gesamtinteresse es rechtfertigt, ist der Bund befugt, nötigenfalls in Abweichung von der Handels- und Gewerbefreiheit. Vorschriften zu erlassen: e. über vorsorgliche Massnahmen der wirtschaftlichen Landesverteidigung, ferner zur Sicherstellung der Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen bei schweren Mangellagen, welche die Wirtschaft nicht selbst zu beheben vermag.

II Dieser Beschluss untersteht der Abstimmung des Volkes und der Stände.

6117

D BEI 1978 II 699

723

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft zu einem Bundesbeschluss über die Neuordnung der Landesversorgung vom 6.

September 1978

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1978

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

39

Cahier Numero Geschäftsnummer

78.057

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.09.1978

Date Data Seite

699-723

Page Pagina Ref. No

10 047 477

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