#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

XXII. Jahrgang. lll.

Nr. 29.

#ST#

23. Juli 1870

Botsch ast des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend die gegenwartige Lage der Schweiz und die zum Schuze derselben erforderlichen Massregeln.

(Vom 16. Juli 1870.)

Tit..

An dem scheinbar unbewölkten politischen Horizonte hat sich mit einer ganz unerhörten Schnelligkeit ein Gewitter angesammelt, das den Frieden Europas in schwerster Weise bedroht. Die von der spanischen Regierung in Aussieht geuommene Wahl des preußischen prinzen Leopold von Hoheuzollern, welche am 3. Juli bekannt gegeben wurde, war der Erisapsel, welcher Fraukreich und den deutschen Rordbund entzweite, und dureh eine Verkettung von Verumftändungen, die in ihren Einzelnheiten noch nicht vollig aufgeklärt sind, zu einer Kriegserklärung Frankreichs führte, welche am 15. Juli vom sranzosisehen Minister des Auswärtigen den versammelten Staatskörpern zur Kenntniss gebracht wurde.

Der Bundesrath hat von Ansang an diesen drohenden Konflikt mit grosster Aufmerksamkeit verfolgt und in aller Stille seiue Disposi.tionen gel.rofsen , um von den Ereignissen nicht überrascht zu werden Jndem er sieh nun die Ehre .gibt, der h. Bundesversammlung, welcher die hochste Entscheidung zukommt , saehbezügliche Anträge vorzulegen , kann er von vornherein die Erklärung abgeben , dass die Schweiz für alle Eventualitäten gerüstet dasteht.

Bundesblatt.Jahrg XXII. Bd. III.

1

Welche Stellung die Schweiz zu diesem Konflikte einzunehmen habe, kann nicht zweifelhaft sein.

Die europäischen Verträge , n.ie das Gebot der eigenen Selbsterhaltung , empfehlen ihr übereinstimmend die Neutralität, d. h. die Nichteinmischung in diese ihr fremden .Bändel.

Damit indess diese Stellung wirksam gewahrt werden könne, bedarf es der vollen Entschlossenheit der schweizerischen Ration, jeden fremden Krie..

ger, der sich ihrem Gebiete nahen wollte, mit den Waffen in der .^and zurückweisen.

Es lässt sich nicht zum voraus erkennen, wie gross der Krastauswaud sein müsse, um diesen Zwek zu erreichen , es hängt dies von Zeit und Umständen ab. Der Krieg zwischen den bezeichneten beiden Grossmächten wird unter allen Unistanden sehr grosse Proportionen annehmen ; das Kriegstheater kann sich der Schweiz nahen oder sich von ihr entfernen , dritte Mächte können im ^erlanfe mit in den Krieg gezogen werden ; alle diese Ver.^mftändnugen können wechselnde Eutschliessn..gen erheischen. Der B..ndesratl.. ist daher in die Roth.veudigl^eit versezt, an die Bundesversammlung das Ansuchen zu stellen, sie moge ihn. das gesammte Bundesheer, sowie die ganze ökonomische Kraft ber Ration znr Verfügung anheimgeben. Der Bundesrath ist sich der schweren Verantwortlichkeit vollbewusst, welche er durch die ..Bewährung solch' unbedingter Vollmachten und Kredite übernimmt, er wird sie nach Bflicht und Gewissen handhaben und über diese Verwendung seinerzeit genane Rechenschast ablegen.

Der rasche Gang der Ereignisse ..othigte den Bundesrath, bereits ein Truppenaufgebot in grösserm Massstabe zn treffen. Ra.h seiner Ansieht mnss die Schweiz von Anfang an den kriegführenden Mächten den Beweis leisten , dass sie a..ch die größten .^pser nicht scheut , um ihre politische Stellung mit Raehdruk ausrecht zu erhalten. Der Bundesratl.. ersaht daher nm nachträgliche Genehmigung dieser Massregel.

Da die Zahl der einberufenen Truppen laut gesezlicher Vorschrift die Wahl eines Generals und eines Ehess des Generalstabs nothwe..dig macht , so wünschen wir , dass Jhre hohe Behörde sosort zur Besez....g

dieser wichtigen stellen schreite.

Frühern Vorgängen entsprechend, wird es angemessen sein, wenn die Eidgenossenschaft den Mächten, welche il^re Reutralität gewährleistet haben, von ihrer Entschließung, diese Neutralität u^it allem Raehdruk wahren zu wollen, znm voraus Keuntniss gibt. Der Bundesrath hält es der Sachlage für angemessen , dass die Bnndesvers.nnml.nng diesen Akt selbst beschließe und den Bundesrath mit dessen Anssührnng beans-

trage. Beiläufig sind durch das Mittel der schweizerischen Gesandtsehasten in Baris und Berlin den kriegführenden Mächten bezügliche Erklärungen abgegeben und Gegenerklärungen gefordert worden.

Der

Bundesrath wird nach deren Eingang im Falle sein , darüber weitere Berichte an die Bundesversammlung gelangen zu lassen.

Wir erwähnen beiläufig noch eines Spe^alverhältnisses.

Bekannt-

.lieh wird durch die Verträge von l 8l 5 den Gebietstheilen des nord..

lichen Savo.^ens, gleich wie der Schweiz eine immerwährende Neutralität Zugesichert uud der Eidgenossensehast die Befngniss eingeräumt, im Falle von ausgebroehenem oder nahe bevorstehendem Kriege zwischen benachbarten Mächten in jene Laudestheile Truppen zu verlegen , sofern sie dies sur angemessen erachten sollte.

Jn dem. Turiuervertrage vom 24. März 1860, dnrch welchen der Besiz von Savoi.eu an Frankreich überging, wurde dieses Recht der Eidgenossenschast vorbehalten , indem Artikel 2 desselben lautet: ^ll est e^.lem......... e n . e n d n que ..^ Majesté le Roi de ^rd^ne ne peut ^^le^er les parties neutralistes de la ^voie qn'.^n^ con...

dirons an^qnelles il les possede lui..meme, el qu'il ^.pp.^endr.^ à S^ M.^jesl.e l^mpereur des Francis de s'entendre a ce sujet, t.^nt .^vec les ^..nss^.nces représentes ^.u Coures de Vienne qu^vee l^ Conkédation Helvetiqne, et de leur donner les ^r^nties qui résument de^ slipnl.^ions r.^ppeiées d^.ns le présent article. ^ Es ist dermalen uoch unsicher. ob es in der Kouvenieuz der Schweiz.

liegen wird, von diesem Rechte Gebrauch zu machen; es taun dies ini ^ause der Zeit möglicherweise räthlich werden , wenn sieh das Kriegstheater erweitern sollte. U^. jeden ...^eheiu ^u vermeiden, als ob es sieh iu diesem ^alle um einen Akt der Feindseligkeit handle, wird es geratheu sein , iu der beabsichtigten Kuudgebuug au die Mächte dieses Verhältnisses von voruhereiu zu erwähnen und iu solcher Weise^ die Reehte der Eidgeuossensehast sur alle ^älle zu wahren. ^ie franzosisehe Regierung wird über ^diesen Bunkt noeh besonders zu verständigen sein.

Jn militärischer Beziehung ist die Schweig so ausgerüstet, dass sie allen Eventualitäten gewachsen sein dürste. ^ie Bewaffnung der Jnfanterie, der Seharssehüzen und der Artillerie ist iu bessteu. Zustande.

Wenn auch die Fabrikation der Repetirgewehre uoeh nieht so weit vor^ gesehritten ist, so steht dessen ungeachtet die Jnsanteriebewasfnung derjenig.^. keines andern europäischen Heeres nach. ^ie Munitions^ vorräthe aller Art sind in reichlichster Art vorhanden und die Beschas^ snng noch weiterer Reservevorräthe ist iu vollem Gauge. .^essgleicheu siud wir ^üblicherweise u^it Courage hinreichend versehen. .

seiu.

Ein Bferdea..sfuhrverbot schien uns zur ^eit noch nicht uothig zu ^ie beiden kriegführenden Mächte sind iu der Lage, hinreichen-

des Material für ihre diessälligen Bedürfnisse im eignen Lande zu finden.

Wir haben iudess Anordnungen getroffen , um über den Zu- uud Absluss von Bserden genau unterrichtet zu werden, und wären dadurch in

der Lage, im Rothsaile durch eine Aussuhrbeschränkung auch diesen Theil unserer Armeebedürfnisse rechtzeitig siehern zu konnen.

Jn finanzieller Beziehung mangelt es uns nicht an den nothigen Baarmitteln, um die Armee für längere Zeit zu unterhalten. es ist.

das Finauzdepartement von uns beauftragt worden , sür Beschaffung

weiterer Mittel, die sich in ausgiebiger Art zur Disposition stellen, zu sorgen.

So darf denn die Schweiz, wohl gerüstet und stark durch ihre Einigkeit , den Opfersiun ihrer Bevolkerung und den vaterländischen ...^eist ihrer Armee, der schweren Zukunft mit .Vertrauen entgegengehen.

Wenn sie sich auch an Zahl mit den Heeren der kriegführenden Staaten nicht messen kann, so darf sie dennoch ohne Fnrcht den kommenden Ereignissen ins Auge sehen, denn das Bewusstsein, dass sie .....Jemandes Recht antastet, sondern nur die heiligsten Güter der Menschheit und ...es Vaterlandes zu vertheidigen im Begriffe steht, wird ihr die Kraft geben, zu verhindern, dass ein Feind die Marken dieses Landes übersehreite oder , wenn frevler Uebermnth dennoch ans solchen Einbruch sinnen sollte, denselben zu züchtigen.

Jndem wir die Ehre haben , Jhnen die Akten , welche über die

bisherigen Vorgänge nähern Aufschlnss geben, zur Verfügung zu stellen und Jhnen nachstehenden Beschlussentwnrf zur Annahme unterbreiten, ergreisen wir den Aulass , Jhnen , Tit. , die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung und Ergebenheit zu erneuern.

Bern, den t6. Juli 1870.

Jm Ramen des schweiz. Bundesrathes ,

Der Bundespräsident: I.)r. .^. Dubs.

Der Kanzler der Eidgen ossenschast:

Schiel

Beschlußentwnrs.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft,

nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 16. Jnli 1.^70, betreffend die gegenwärtige Lage der Schweiz und die zum Schnze derselben erforderliehen Massregeln, beschließ: Art. 1. Die schweizerische Eidgenossenschaft wird bei dem bevorstehenden Kriege ihre Neutralität mit allem Rachdrnk festhalten.

Der Bundesrath wird beauftragt, diese Erklärung iu einer angemessenen Kundgebung den kriegsührenden Staaten und den Mächten, welche als die Garanten der Verträge von 1815 erscheinen, zur Kenntniss zu bringen.

Art.

2.

Das

von dem Bundesrathe erlassene Trnppenausgebot

wird bestätigt.

Art. 3. Der Bundesrath ist ermächtigt, die zur Aufrechthaltnng der Neutralität und zur Sicherstellung des schweizerischen Gebiets weiter erforderlichen Truppen aufzubieten und die . übrigen uothigen Vertheidigungsmassregeln anzuordnen.

Art. 4. Dem Bundesrathe wird ein unbedingter Kredit zur Bestreitung der Ausgaben erosfnet, -welehe.. er iu Anwendung der ihm in dem vorhergehenden Artikel ertheilten Vollmachten zu machen sein wird.

Jnsbesondere erhält der Bundesrath die Ermächtigung zum Abschlnss.. allfällig erforderlich werdender Anleihen.

Art. 5. Die Bundesversammlung schreitet sosort zur Ernennung des Oberbefehlshabers und des Ehefs des Generalstabes.

Art. 6. Der Bundesrath hat der Bundesversammlung bei ihrem nächsten Zusammentritte über den Gebrauch, den er von den ihm traft des gegeuwärtigen Beschlusses ertheilten Vollmachten gemacht habeu wird, Rechenschast abzulegen.

Art. 7.

beaustragt.

Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses

^ o t e . Der vorstehende Antrag ist am I.^. Juli 1870 ^on beiden gebenden .Käthen einstimmig zum BesehIusse erhoben worden.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend die gegenwärtige Lage der Schweiz und die zum Schuze derselben erforderlichen Massregeln. (Vom 16. Juli 1870.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1870

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

29

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

23.07.1870

Date Data Seite

1-5

Page Pagina Ref. No

10 006 561

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.