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des schweizerischen Generalkonsuls in St. Petersburg (.Hrn. A.

Glinz, von St. fallen) über das Jahr 1869.

(Vom 14. Mai 1870.)

An den hohen Bundesrath.

Tit..

Die allgemeine Lage des russischen Reichs hat sieh im Vergleiche.

zu den srühern Jahren nicht wesentlich verändert ; die Landwirthschaft

leidet noch in Folge der mangelhaften Bildung des Volkes, die Ernte

ist eine mittelmässige gewesen, der Bestand an Vieh durch Seuchen und schlechte Behandluug bedeutend vermindert. Betrübend ist die Wahrnehmung, dass der Eiser der Gemeinden, für den Volksunterricht Sorge zu tragen, ein Eiser, der in den ersten Jahren nach der Emanzipation.

der Bauern so viel Gutes geschasfen und noch piel Besseres versprach,.

erkühlt scheint. Viele Dorfschulen sind geschlossen, manche Gemeinde, manche Landesversammlung haben srüher für Schulzweke ausgeworfene Summen aus ihrem Budget gestrichen, vielleicht wohl weil sie aus Mangel an geeigneten Lehrkräften dieselben nuzlos verausgabt sahen.

Hoffentlich werden durch die Anstrengung der Regierung, sowie der Ge-

fellfchaft bald eine Menge tüchtiger Elementarlehrer fich über das flache

Land vertheilen konnen und dieses in seiner heranwachsenden Generation aus der Lethargie erwekt werden, die so verderblich ist für seine Land...uxthschaft und Viehzucht.

141 .^

Die Jndustrie dagegen hat sich, in den lezten Jahren nicht unwesentlich gehoben. Gehen wir die einzelnen Zweige durch: 1. B a u m w o l l i nd u st rie.

Spinnereien, Webereien und Drukereien, beschäftigt in 767 Fabriken, 122,000 Arbeiter, Umsaz Rubel 97 1/2 Millionen, Hauptsiz die Gouvernements Moskau und Wladimir,

jedes mit eirea 30 Millionen Umsa^ jährlich. Betersburg und Twex mit je 10 Millionen.

Dann Ehstlaud, Kostroma, Jaroslawl und .Lis-

land mit 1 bis 4 Millionen Umsaz. Ju den Städten Betersburg und

Twer sind die meisten Spinnereien, in Moskau Webereien und Kattundrukereien. Jn den Dorsern um Moskau hat sich ein aus der Schweiz in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts importirter Jndustriezweig heimisch gemacht und allmälig Bedeutung gewonnen, die Mousselineweberei. Dieselbe wird ganz ähnlich wie im Kanton St. Gallen in den Kellern der Bauernhäuser betrieben, und ^.. so billigen Breisen und doch mit soviel Geschik. dass der Sehweizerwaare eine kaum zu überwindende Konkurrenz gemacht wird. Jn Serpuchow, Schuja nnd Jwauowo sind sehr bedeutende Kattundrukereien und Türkisehrothfärbereien. Gesponnen werden nur Garne bis Rr. 40, die hohern Rummern für Mousselines ...us dem Auslaude bezogen.

2. ^eineuindustrie. 111 Fabriken mit 22,000 Arbeitern, jährlieher Umsaz 10 1/2 Millionen. Sie hat ihren Hauptsiz in den Gouvernements Kostroma, Jaroslawl und Wladimir mit je 2 bis 3 Millionen jährlichem Umsaz, dann Betersburg mit einer Million. Ausserdem noch unbedeutend iu Wologda, Moskau, Kaluga, Tu.er, Rjasan, Äscher-

nigofs und Lisland. Die ^lachsindustrie ist noch in ihrer Kindheit,

Russland führt einen grossen Theil seines ^lachses ans, um ihn in Gestalt von deinen wieder aus dem Auslande zu importiren. Schnld daran trägt die sorglose Behandlung des ^lachses, dafür feinere Rr. schwer verwendbar und danu der Maugel einer tüehtigen Appretur, wodurch die iulandischen Leinen den eingeführten an Aussehen bedeutend nachstehen.

3. Ha n sindustri e, S e i l e r w a a r e n. 138 Fabriken mit 5000 Arbeitern, Umsaz im Jahr Rubel 4,000,000. Gouvernements Betersburg und Twer mit je 1 1/2 Millionen, Ehersson, Orel, Jaroslawl 1/2 bis 1/2 Million jedes, wenig in Archangelsk, Wjätka, Berm, Samara,

Smolensk. Bjätan, Eharkosf.

4. Wolle n i u d u f t r i e .

635 Fabriken mit 94000 Arbeitern und einem jährlichen Umsaz von 50 Millionen Rubel.

Zentralpunkt Gouvernement Moskau mit 28 Millionen Umsa^, ^dann Betersburg, Liflaud,. Simbirsk, Gro.^no. Tschernigoff mit je 2 bis 4 1/2 Millionen, sonst sast über ganz Russland als ländliche Jndustrie mit kleinem Umsaz betrieben, hat entschieden eine bedeutende Zukunft.

142 Ueber die Eisenindustrie, welche in lezter Zeit sehr bedeutende Dimensionen angenommen in Folge des sich immer mehr erweiterndem Eiienbahnne^es und des Patriotismus der Gesellschaften, welche theurere russische Schienen, Lokomotiven, Waggons den billigern ausländischen vorziehen, fehlen zur Stunde genaue, statistische Angaben ; die russische Jndustrieausstellung, welche den 15/27. Mai eröffnet wird und sehr reichhaltig zu werden verspricht, wird mir Gelegenheit bieten, dergleichen zu sammeln und werde ich nicht ermangeln, in meinem nächsten Berichte dieselben niederzulegen. Da ich der Ausstellung erwähnt habe, will ich nicht unterlassen, Jhnen mitzutheilen, dass der Hauptarchitekt, der die..

selbe gebaut, ein Schweizer, Herr Fontana, ist ; sein Gehülse ist Architekt Staffieri, ebenfalls Tessiner, und dass die Maler- und Stükarbeiten sast durchweg unter Leitung verschiedener Landsleute aus der italienischen Schweiz ausgeführt sind. Das Gebäude ist geschmakvoll und zwekentsprechend in Holz und Glas gebaut.

E i s e n b a h n e n und V e r k e h r s w e g e . Das System von Kanälen, genannt Mariensystem, welches die Wolga mit der Rewa verbindet und sür unseren Getreide-, sowie andern Rohproduktenhandel von so enormer Bedeutung ist, war im Laufe der Zeit in Verfall gexathen und gab der Kaufmannschaft .zu gerechten Klagen wiederholten Anlass. Jezt ist eine Kommission, unter Beteiligung der besonders interessirten Grosshändler, niedergesezt worden, von der man die gründliche Beseitigung sämmtlicher Hemmnisse ans diesem wichtigen Verkehrswege erwartet.

E i s e n b a h n e n . Der Bau derselben beschäftigt jezt vor Allem Regierung und Volk, und es ist wirklich schon sehr viel geschehen, um Russland mit einem Rez von Schienenwegen zu überziehe... Seit 12 Jahren hat sich die Ansdehnnng des k o n z e s s i on i r t e n Bahunezes

von 2753 auf 11,108 Werst (von 393 aus 1.587 deutsche Meilen) gehoben, .^ie Länge der e r o f s u e t e n Streken hat sich in dieser Zeit

versechsfacht, angenbliklich sind in Betrieb 656..) Werst (938 ^ deutsehe Meilen) wovon 2287 Werst Staatsbahnen.

Anlagekapital erforderten die jezt v o l l e n d e t e n

Bahnen. die

Si.aatsbahneu Rubel 58,247,925. Die Brivatbahneu in Aktien Rubel 193,017,632, in Obligationen Rubel 273,^93,233. erfordern werden

die

jezt im

Bau

begriffenen.

Staatsbahnen Rubel

54,936,960. Die Brivatbahnen in Aktien Rubel 103,107,359, in Obligationen Rubel 119,283,007.

Die Bruttoeinnahmen der russischen Eisenbahnen sind uieht unbedeuteud, selbst wenn man dieselben mit denen der westeuropäischen vergleicht. Die Rieolai-Bahn, von Betersburg nach Moskau, weist eine

Einnahme von Rubel 178,000 per deutsche Meile aus, Moskau-Rjäsan

143 ^ubel 140,000, Moskau^ischn^Rowgorod^ Rubel 119,000, Rjäschsk^orschansk Rubel 91,000. Leider sind die Verwaltungskosten unper-

.^

hältnissmä.ssig gross uud schwanken zwischen 40.^.... der Bruttoeinnahme (Moskau^Rjäsan) und 8^ (Don^Wolaa).

Die Banken haben sich in diesem Jahre, mehrere Kommunalbanken von nur lokaler Bedeutung nicht mitgerechnet, um 3 vermehrt:

die Betersburger Leih- und Diskontobank, eingezahltes Kapital 2 1/2 Millionen ^ Betersburger Jnternationale Handelsbank eingezahltes Kapital 2 Millionen. Moskauer-Handelsbank mit eingezahlten 3 Millionen.

Die Assekuranz -Kompaguien haben sich durch eine Gesellschaft ,,Dwigatel^ vermehrt, welche See- und Landtransport besorgt, die ^ütex hiebei versichert und aus dieselben Vorschüsse gibt.

Die Geldperhaltnisse waren, besonders Ende des Jahres, bequem, Vrivatdiskont sank bis aus 5^., Bankdiskont zwischen 6^. und 7^.., Vorschüsse auf Wertpapiere zu 8^/e. Der Zudrang zu Aktien-Zeiehnungen war sehr gross, fast überall Ueberzeichnungen, besonders beliebt Eisenbahn- und Bankunternehmungen.^

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Bericht des schweizerischen Generalkonsuls in St. Petersburg (Hrn. A. Glinz, von St.

Gallen) über das Jahr 1869. (Vom 14. Mai 1870.)

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