Umsetzung von Artikel 50 der Bundesverfassung Bericht des Bundesrates in Erfüllung der beiden gleichlautenden Postulate Fluri 13.3820 und Germann 13.3835 vom 13. Mai 2015

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Übersicht Mit dem vorliegenden Bericht entspricht der Bundesrat den Anliegen von zwei gleichlautenden Postulaten (Fluri 13.3820 und Germann 13.3835 «Umsetzung von Artikel 50 der Bundesverfassung. Erfahrungen»). Mit ihnen wurde der Bundesrat beauftragt, über die Wirkung von Artikel 50 der Bundesverfassung Bericht zu erstatten.

Artikel 50 der Bundesverfassung (BV) wurde 1999 im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung geschaffen. Darin wird die «Gemeindeautonomie nach Massgabe des kantonalen Rechts gewährleistet» (Abs. 1), und es werden dem Bund Pflichten zur Rücksichtnahme auferlegt, einerseits in Bezug auf die Gemeinden (institutionelle Dimension: Abs. 2) und anderseits auf die «besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete» (räumliche Dimension: Abs. 3).

Verschiedene Massnahmen setzen Artikel 50 BV um oder stehen in engem Zusammenhang damit: ­

erstens Anweisungen an die Verwaltung, namentlich die «Richtlinien vom 16. Oktober 2002 zuhanden der Bundesverwaltung betreffend die Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden» und der «Leitfaden der Bundeskanzlei für Botschaften des Bundesrates»;

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zweitens institutionell ausgerichtete Massnahmen, unter denen vor allem die Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK), die Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung und die Pflicht zum Einbezug der «gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete» ins Vernehmlassungsverfahren zu erwähnen sind;

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drittens die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, welche die bisherige Aufgabenteilung zwischen den Kantonen und den Gemeinden respektiert und die «Städte und Agglomerationen» sowie «die Berggebiete» bei der Dotierung des Lastenausgleichs berücksichtigt;

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viertens die Strategien zur Agglomerationspolitik und zur Politik der ländlichen Räume und der Berggebiete;

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und fünftens räumlich ausgerichtete Massnahmen in verschiedenen Aufgabengebieten und dementsprechend eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden.

Insgesamt hat sich Artikel 50 BV als behutsame und zugleich erfolgreiche Neuerung erwiesen. Seit Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung wurde die Gemeinde als Institution gestärkt und die kommunale Ebene als Ganzes in der Verfassung besser sichtbar gemacht. Die Städte und Agglomerationen sind in den Fokus der Bundespolitik gerückt, ohne dass dies zulasten der ländlichen Räume und der Berggebiete gegangen wäre. Neuerdings werden die Politik für Agglomerationen und diejenige

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für die ländlichen Räume und Berggebiete stärker auf einander abgestimmt, um zu einer kohärenten Raumentwicklung beizutragen und um Synergien zu nutzen.

Trotz der Erfolge gibt es noch verschiedene Mängel und zugleich ein Potenzial dafür, dass den Anliegen der Gemeinden und der städtischen Gebiete, der Agglomerations- und der Berggebiete bei der Rechtsetzung und bei der Umsetzung noch besser Rechnung getragen wird. Verbesserungen werden nun vor allem bei der besseren Vorbereitung von Erlassen in Hinblick auf den Einbezug von Anliegen der Gemeinden sowie der Städte, der Agglomerationen und der Berggebiete, bei der raumordnungspolitischen Koordination und bei den statistischen Grundlagen vorgenommen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Ausgangslage 1.1 Postulate Fluri 13.3820 und Germann 13.3835 1.2 Weitere Vorstösse 1.3 Vorgehen

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2

Artikel 50 BV über die Gemeinden 2.1 Entstehung 2.2 Inhalt 2.2.1 Absatz 1: Verfassungsrechtlicher Schutz der Gemeindeautonomie 2.2.2 Absatz 2: Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber den Gemeinden 2.2.3 Absatz 3: Rücksichtnahme auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete 2.3 Bedeutung

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3

Wirkungsmodell der Umsetzung von Artikel 50 BV

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4

Massnahmen des Bundes im Zusammenhang mit Artikel 50 BV 4.1 Vorbemerkungen 4.2 Anweisungen an die Verwaltung 4.2.1 Richtlinien zuhanden der Bundesverwaltung betreffend die Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden 4.2.2 Leitfaden für Botschaften des Bundesrates 4.3 Institutionelle Massnahmen 4.3.1 Vernehmlassungsgesetz 4.3.2 Tripartite Agglomerationskonferenz 4.3.3 Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung 4.3.4 Europäisches Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften 4.3.5 Zusammenarbeit innerhalb der Bundesverwaltung 4.4 Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen 4.5 Räumlich orientierte Strategien des Bundes 4.5.1 Überblick 4.5.2 Agglomerationspolitik des Bundes 2016+ (AggloPol) 4.5.3 Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete (P-LRB) 4.6 Massnahmen mit engem Bezug zur kommunalen Ebene und tripartiten Zusammenarbeit

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6

Praxis der Bundesbehörden bei der Umsetzung von Artikel 50 BV 5.1 Rücksichtnahmepflichten des Bundes in Botschaften des Bundesrates und in Anträgen an den Bundesrat 5.2 Angaben in Botschaften des Bundesrates über die Auswirkungen auf die Gemeinden 5.3 Angaben in Botschaften des Bundesrates über die Auswirkungen auf die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete

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Artikel 50 BV: Erfolge und weiterer Umsetzungsbedarf 6.1 Artikel 50 als behutsame und erfolgreiche Neuerung 6.2 Eingeleitete Verbesserungen 6.3 Weitere Umsetzungsanstrengungen nötig 6.3.1 Gemeinde- und Miliztauglichkeit der Massnahmen des Bundes 6.3.2 Einbezug der Gemeinden bei der Erarbeitung von Erlassentwürfen 6.3.3 Aktive Nutzung des Vernehmlassungsverfahrens 6.3.4 Angaben über die raumrelevanten Auswirkungen in Botschaften des Bundesrates sowie in Anträgen an den Bundesrat 6.3.5 Evaluation und Anpassung der Verordnung über die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben 6.3.6 Verbesserung der statistischen Grundlagen 6.3.7 Schlussfolgerungen

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Literatur

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Abkürzungen

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Bericht 1

Ausgangslage

1.1

Postulate Fluri 13.3820 und Germann 13.3835

Nationalrat Fluri und Ständerat Germann reichten am 26. September 2013 zwei gleichlautende Postulate (Fluri 13.3820 und Germann 13.3835 «Umsetzung von Artikel 50 der Bundesverfassung. Erfahrungen») ein. Darin wurde der Bundesrat aufgefordert, über die Wirkung von Artikel 50 der Bundesverfassung1 (BV) Bericht zu erstatten. Gemäss der Begründung solle die Evaluation auf langjährige Erfahrungen abgestützt werden, und sie solle aufzeigen, welches die Folgen des neuen Verfassungsartikels seien, wie er von den Bundesstellen interpretiert werde und welche konkrete Bedeutung der Artikel habe. Dabei sei auch zu untersuchen, ob die in den Artikel gesetzten Erwartungen erfüllt würden und wie sich der neue Verfassungsartikel auf die politischen Entscheidprozesse ausgewirkt habe. Schliesslich seien Verbesserungsmöglichkeiten zur Umsetzung von Artikel 50 BV aufzuzeigen. Der Bundesrat beantragte die Annahme der beiden Postulate. Der Ständerat stimmte dem Postulat Germann am 11. Dezember 2013 zu, der Nationalrat dem Postulat Fluri am 13. Dezember 2013.

1.2

Weitere Vorstösse

Mit dem Postulat 02.3083 «Umsetzung des Gemeinde-, Städte- und Berggebietsartikels» hatte bereits 2002 Nationalrat Joder um Aufschlüsse über die Umsetzung von Artikel 50 BV ersucht. Der Bundesrat war bereit, das Postulat anzunehmen. Der Vorstoss wurde vom Nationalrat am 21. Juni 2002 angenommen. Der Bundesrat beantragte in seinem Bericht vom 23. Juni 2004 über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2003 mit Verweis auf die Richtlinien vom 16. Oktober 2002 (s. Ziff. 4.2.1) und die Schaffung der Tripartiten Agglomerationskonferenz (s. Ziff. 4.3.2) die Abschreibung des Vorstosses. Diesem Antrag wurde stattgegeben.

Zwei weitere Vorstösse gilt es zu erwähnen: Mit dem Postulat 03.3136 «Neue Regionalpolitik. Konferenz für die Entwicklung des ländlichen Raumes und der Berggebiete» verlangte Ständerat Stadler 2003 vom Bundesrat, «zusammen mit den Kantonen und den Gemeinden die Einsetzung einer der Agglomerationskonferenz ähnlichen Konferenz für die Entwicklung des ländlichen Raumes und der Berggebiete ins Auge zu fassen.» Über den richtigen Weg zur Umsetzung dieses Anliegens finden zurzeit noch Diskussionen statt (s. Ziff. 6.2). In der im Jahre 2012 von beiden Räten überwiesenen Motion von Ständerat Maissen 11.3927 «Strategie des Bundes für die Berggebiete und ländlichen Räume» wurde der Bundesrat ferner beauftragt, «zusammen mit den wichtigsten Vertretern der Berggebiete und ländlichen Räume eine kohärente Strategie des Bundes für die Berggebiete und ländlichen Räume zu entwickeln.» Dieser Auftrag wurde bereits umgesetzt (s. Ziff. 4.5.3).

1

SR 101

3886

1.3

Vorgehen

Die Federführung für die Evaluation der Umsetzung von Artikel 50 BV lag beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und dort beim Bundesamt für Justiz (BJ). Dieses setzte nach Vorabklärungen eine Begleitgruppe ein, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), des Schweizerischen Gemeindeverbandes (SGV), des Schweizerischen Städteverbandes (SSV), der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB), des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO)2. Die Begleitgruppe äusserte sich zum Konzept und zum Entwurf des Berichts.

2

Artikel 50 BV über die Gemeinden

2.1

Entstehung

In der Bundesverfassung von 18743 (aBV) gab es keine spezifischen Bestimmungen über die dritte Staatsebene.4 Auch die Städte und Agglomerationen wurden darin nicht erwähnt, anders als die Berggebiete. Letztere wurden in den Artikeln 36quater aBV (Schwerverkehrsabgabe) und 42ter aBV (Finanzausgleich) erwähnt.

Ende des letzten Jahrhunderts wuchsen der Problemdruck und die Herausforderungen in den urbanen Zentren der Schweiz und parallel dazu das wissenschaftliche Interesse an der Städtethematik. Die Rechtswissenschaft begann, sich mit dem Verhältnis von Bund und Gemeinden zu befassen (Thürer 1986, Kägi-Diener 1998).

Ende der 1980er-Jahre wurde das Nationale Forschungsprogramm 25 «Stadt und Verkehr» lanciert (s. Klöti/Haldemann/Schenkel 1993). Auch politisch wurde die Städte- und Agglomerationsthematik aktuell. Der SSV forderte 1994 eine nationale Städtepolitik. Nationalrat von Allmen reichte 19965 eine Motion ein mit dem Zweck, die Gemeinde als Glied des Bundesstaates in der Verfassung sichtbar zu machen. Der SSV und der SGV überbrachten dem Parlament im Frühjahr 1997 ferner eine gemeinsame Erklärung. Sie forderten einen Verfassungsartikel, der Bund, Kantone und Gemeinden als Partner des föderalistischen Gefüges anerkennt, der den Bund verpflichtet, Auswirkungen auf die Gemeinden zu beachten, und der die Gemeindeautonomie garantiert und Bund wie Kantone daran bindet. Aufgrund des politischen Drucks erweiterte die Verfassungskommission des Nationalrats die vom Bundesrat ursprünglich vorgeschlagene Bestimmung6 im Sinne des heutigen Artikels 50 BV. Der Ständerat hatte anfänglich eine andere Fassung bevorzugt. Er 2

3 4

5 6

Die Begleitgruppe setzte sich aus folgenden Personen zusammen: Werner Bussmann (BJ, Vorsitz), Annette Christeler Kappeler (SECO), Thomas Egger (SAB), Ueli König/ Reto Lindegger (SGV), Thomas Minger (KdK), Martin Tschirren (SSV), Florian Schuppli (ARE).

Zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Systematische Rechtssammlung > Suche «BV» > Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 > Fassung vom 7. Febr. 1999 Die Gemeinden wurden aber im Rahmen verschiedener Bundeskompetenzen (Art. 31quinquies Abs. 3, 41bis Abs. 2, 41ter Abs. 2 und 5 Bst. c, 42quinquies Abs. 1­3, 43 Abs. 4­6, 44 Abs. 2 und 3, 74 Abs. 4 und 100 Abs. 2 aBV) erwähnt.

Mo 96.3414 von Allmen vom 10. Sept. 1996 «Föderalistische Zusammenarbeit im Bundesstaat» Art. 41 des Verfassungsentwurfes 1996 lautete: «Die Kantone bestimmen die Organisation der Gemeinden und deren Autonomie.» (BBl 1997 597)

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fügte in Absatz 3 die «Berggebiete» zusätzlich zu den «Städten und Agglomerationen» ein.

Artikel 50 findet sich in einem eigenen Abschnitt im 3. Titel der BV (Bund, Kantone und Gemeinden), und zwar nach dem Abschnitt über das Zusammenwirken von Bund und Kantonen und vor dem Abschnitt über die Bundesgarantien.

2.2

Inhalt

Artikel 50 BV enthält drei Absätze folgenden Inhalts:

2.2.1

Absatz 1: Verfassungsrechtlicher Schutz der Gemeindeautonomie

Absatz 1 garantiert die Gemeindeautonomie. Diese wird zu einem vom Bund geschützten Recht ­ allerdings nur innerhalb der kantonalrechtlichen Grenzen (vgl.

BGE 131 I 91). Damit wird die Stellung und Funktion der Gemeinden v. a. in die Verantwortung des Kantons gelegt (s. auch Tschannen 2011: 246). Der Gemeindeautonomie fehlt es an durchsetzungsfähiger Verbindlichkeit gegenüber dem Bund.

Für ihn hat sie v. a. politische Bedeutung. Ein Teil der Lehre geht immerhin davon aus, dass ein Mindestmass an Gemeindeautonomie bestehen muss (Aubert 2003: Rz. 6; Biaggini 2007: Art. 50, Rz. 3) bzw. dass die Gemeindeautonomie einen bundesrechtlichen Kern im Sinne einer Institutsgarantie aufweist (Kägi-Diener 2014: Rz. 9).

Gegen eine Verletzung der Gemeindeautonomie kann sich eine Gemeinde letztinstanzlich vor Bundesgericht mit einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zur Wehr setzen (Art. 189 Abs. 1 Bst. e BV, Art. 82, 89 Abs. 2 Bst. c und 95 Bst. c des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 20057). In gewissen Fällen steht nur die subsidiäre Verfassungsbeschwerde zur Verfügung (vgl. BGE 140 I 285 E. 1.2). Zur Gemeindeautonomie gibt es eine lange und ausführliche Rechtsprechung (s. Kägi-Diener 2014: Rz. 9­16; Tschannen 2011: 246­253; Meyer 2011: 12 ff.).

2.2.2

Absatz 2: Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber den Gemeinden

Absatz 2 verlangt, dass der Bund bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden und damit auf die dritte Staatsstufe beachtet. Diese Bestimmung ist somit einem institutionellen Fokus verpflichtet. Als Handlungsträger angesprochen sind die eidgenössischen Räte, der Bundesrat und die Bundesverwaltung. Mit «Handeln» sind Massnahmen wie Erlasse, Planungen, öffentliche Werke, finanzielle Entscheidungen und Verwaltungshandeln gemeint. «Beachtung» beinhaltet das Abschätzen der Wirkungen solchen Handelns auf die Gemeinden als dritte Staatsebene und, soweit möglich, das Vermeiden unerwünschter Konsequenzen. Unerwünschte Wirkungen auf die Gemeinden könnten beispielsweise durch Erlassän7

SR 173.110

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derungen verursacht werden, die (unnötigerweise) erhöhte Anforderungen an die Gemeindebehörden stellen und dadurch eine Verlagerungen von Aufgaben auf Bezirke oder auf die Kantone begünstigen. Die Auswirkungen auf die Gemeindeebene sind allerdings meist schwer abschätzbar, da Bundesvorschriften in den Kantonen unterschiedlich umgesetzt werden.

Absatz 2 sowie der nachfolgend behandelte Absatz 3 beinhalten eine Abwägungs-, aber nicht eine Ergebnisverpflichtung (Biaggini 2007: Art. 50, Rz. 8). Die zuständigen Organe (Bundesverwaltung, Bundesrat, eidg. Räte) sollen jeweils «en connaissance de cause» handeln. Sie haben aber auch Ermessensspielraum, wie weit sie die entsprechenden Informationen bei der Ausgestaltung von Massnahmen tatsächlich berücksichtigen wollen.

2.2.3

Absatz 3: Rücksichtnahme auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete

Mit Absatz 3 ändert sich die Optik. Nimmt Absatz 2 Bezug auf die institutionelle Ebene («Gemeinden»), so scheint Absatz 3 vorerst ebenfalls einen institutionellen Bezug aufzuweisen («Städte»); die Optik ist aber raumbezogen. Der Absatz verlangt nämlich, dass der Bund Rücksicht nimmt «auf die besondere Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete». Man kann davon ausgehen, dass die «Rücksichtnahme», ähnlich wie die «Beachtung» in Absatz 2, das Abschätzen der Wirkungen solchen Handelns auf die erwähnten räumlichen Gebiete und, soweit möglich, das Vermeiden unerwünschter Konsequenzen beinhaltet.

Einerseits bezieht sich die Pflicht zur Rücksichtnahme nach Absatz 3 auf die «Städte und Agglomerationen». Als städtisches Gebiet galten bis Ende 2014 Agglomerationen und isolierte Städte gemäss einer Definition des Bundesamts für Statistik (BFS) aus dem Jahre 2000. Diese diente als Orientierungsgrundlage für verschiedene Politiken. Das BFS hat nun die Agglomerationsdefinition grundlegend überarbeitet und im Dezember 2014 eine Definition zum Raum mit städtischem Charakter veröffentlicht (BFS 2014). Diese schliesst die Definition der Agglomerationen mit ein.

Statistische Messungen in den letzten Jahrzehnten bestätigen, dass sich Agglomerationen über die Zeit dynamisch entwickeln. Die bisherige Definition vermochte diese Entwicklungsphänomene nur noch unzureichend abzubilden. Gemeindefusionen beeinflussten das Resultat. Ausserdem standen früher benötigte Datensätze nicht mehr in der gleichen Form zur Verfügung. Die neue Definition erlaubt es, aktuelle Datensätze zu nutzten. Sie umfasst sowohl morphologische als auch funktionale Kriterien. Der urban geprägte Raum der Schweiz wird nach folgenden Grundkategorien unterschieden: Agglomerationskerngemeinden, Agglomerationsgürtelgemeinden, mehrfach orientierte Gemeinden (also Gemeinden, die funktional nicht nur auf eine, sondern auf mehrere Agglomerationskerne ausgerichtet sind) und Kerngemeinden ausserhalb der Agglomerationen. Die übrigen werden als Gemeinden ohne städtischen Charakter bezeichnet. Bevor die neue Definition als Orientierungsgrundlage für öffentliche Politik verwendet werden kann, bedarf es noch verschiedener Arbeiten und Abklärungen.

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Andererseits bezieht sich die Rücksichtnahme auf «die Berggebiete». Dieser Begriff ist in verschiedenen gesetzlichen Erlassen verankert8 und wird dort für die Definition von teilweise unterschiedlichen geografischen Abgrenzungen verwendet. Das in der Regionalpolitik definierte «Berggebiet» orientiert sich am wirtschaftlichen Potenzial der Regionen. Das Berggebiet wurde im Investitionshilfegesetz, welches durch das Bundesgesetz vom 6. Oktober 20069 über Regionalpolitik abgelöst wurde, gemeindescharf abgegrenzt. Das «Berggebiet» aufgrund des landwirtschaftlichen Produktionskatasters basiert auf der klimatischen Lage, der Verkehrslage und der Oberflächengestaltung.

Die «Städte und Agglomerationen» und «die Berggebiete» decken zusammen einen Grossteil der Bevölkerung und des schweizerischen Territoriums ab. Beide Gebiete haben auch einen Schnittbereich, nämlich die in den Berggebieten gelegenen Städte und Agglomerationen (z. B. La-Chaux-de-Fonds, Interlaken, Davos, Brig). Ein Grossteil der Massnahmen des Bundes, die raumrelevant sind, fällt damit unter die Pflicht zur Rücksichtnahme nach Artikel 50 Absatz 3 BV. Tschannen (2011: 245) bezeichnet Absatz 3 kritisch als «nahezu flächendeckende Allerweltsnorm». Der breite Geltungsbereich ist aber Resultat eines gewollten Kompromisses. Dahinter steckt letztlich das Ziel einer differenzierten Politik des Bundes im Hinblick auf die Städte und Agglomerationen sowie die strukturschwachen Gebiete.

Räumlich nicht abgedeckt durch Artikel 50 Absatz 3 BV sind die ländlichen Gebiete ausserhalb des Berggebiets, die nicht Teil einer Agglomeration sind, somit v. a. das ländliche Mittelland. Allerdings wurde und wird dieses Gebiet nicht aus der raumrelevanten Politik des Bundes ausgespart. Vielmehr besteht eine Vielzahl von Politiken mit spezifischer Wirkung im ländlichen Raum, insbesondere die «Politik der ländlichen Räume und Berggebiete» (vgl. Ziff. 4.5.3).

2.3

Bedeutung

Verfassungsrechtlich hat sich seit dem Inkrafttreten von Artikel 50 BV im Vergleich mit der Rechtslage unter der alten Bundesverfassung vor allem Folgendes geändert: ­

8

9

Artikel 50 BV hat eine grosse symbolische und damit auch politische Bedeutung. Damit wird die dritte Staatsebene nun erstmals in der Bundesverfassung explizit erwähnt; diese ist nicht mehr «gemeindeblind». Die grosse Bedeutung der Gemeinden im schweizerischen Staatswesen (28 % der Staatsausgaben bzw. -einnahmen, 32 % des Personals im öffentlichen Dienst) ist freilich aufgrund von Artikel 50 BV nicht erkennbar. Dieses Schicksal teilen die Gemeinden zu einem gewissen Teil mit den Kantonen: Ihre vielfältigen und wichtigen Aufgaben sind in der Bundesverfassung nur in einzelnen Facetten sichtbar (im Kapitel über die «Zuständigkeiten»; Art. 54­125 BV). Die eigenständigen Aufgaben der Kantone, z. B. im Erziehungs-, Gesundheits- und Kulturbereich, bleiben weitgehend ausgeblendet. Es gilt allerdings zu beachten, dass die Beschränkung der BundesArt. 8 Infrastrukturfondsgesetz vom 6. Okt. 2006 (SR 725.13), Art. 6 des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1952 über die Familienzulagen in der Landwirtschaft (SR 836.1), Art. 2 des Bundesgesetzes vom 20. März 1970 über die Verbesserung der Wohnverhältnisse in Berggebieten (SR 844) sowie Art. 4 Abs. 2 Bst. b des Bundesgesetzes vom 6. Okt. 2006 über Regionalpolitik (SR 901.0).

SR 901.0

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verfassung auf die Aufgaben des Bundes und damit ihre «Kantons- und Gemeindeblindheit» autonomieschonend ist. Eine Erweiterung der Kompetenzen des Bundes setzt nämlich eine Verfassungsänderung voraus, die der Abstimmung von Volk und Ständen untersteht:

3

­

In programmatischer Hinsicht wirkt Artikel 50 Absatz 1 BV als Postulat, die Gemeindeautonomie in möglichst hohem Masse zu realisieren (Meyer 2011: 415).

­

Artikel 50 BV ist vor allem für die Städte und Agglomerationen von Bedeutung. Dass die Schweiz stark durch sie geprägt wird, findet in der Bundesverfassung nunmehr einen Widerschein. Die Berggebiete wurden demgegenüber bereits in der alten Bundesverfassung erwähnt.

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Artikel 50 BV gibt der Gemeindeautonomie eine bundesverfassungsrechtliche Weihe. Wie bereits erwähnt, liegt es aber an den Kantonen, den Umfang der Gemeindeautonomie genau festzulegen.

­

Artikel 50 BV weist dem Bund gegenüber früher keine neuen Kompetenzen zu. Insbesondere bilden die Bestimmungen dieses Artikels für sich alleine keine genügende Rechtsgrundlage für die Ausrichtung von Subventionen.

Spezifische Massnahmen (z. B. zugunsten der Agglomerationen oder der Berggebiete) setzen deshalb immer eine entsprechende Bundeskompetenz in diesem Bereich voraus. Der Handlungsspielraum des Bundes hängt folglich wesentlich von der Art der zur Verfügung stehenden Bundeskompetenz im jeweiligen Politikbereich ab.

­

Artikel 50 BV auferlegt dem Bund in den Absätzen 2 und 3 neue Verpflichtungen in Bezug auf die Gemeinden im Allgemeinen sowie die Städte, Agglomerationen und Berggebiete im Besonderen. Er muss ihre Gegebenheiten beachten bzw. darauf Rücksicht nehmen. Diese Verpflichtung kommt demnach einer Handlungsanweisung an alle Bundesorgane gleich, die neben der Rechtsanwendung auch die Rechtsprechung und die Rechtsetzung umfasst (vgl. Kölz 2001: 17 ff.).

Wirkungsmodell der Umsetzung von Artikel 50 BV

Ein Wirkungsmodell beinhaltet Überlegungen und Hypothesen darüber, wie eine bestimmte Norm in der Praxis umgesetzt wird und welche Wirkungen sie zeitigt. Es zeigt somit die einzelnen Schritte auf, die erforderlich sind, damit eine rechtliche Bestimmung in der Wirklichkeit Früchte trägt.

Das Wirkungsmodell von Artikel 50 BV ist in Abbildung 1 dargestellt.

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Abbildung 1 Artikel 50 BV Absatz 1

Absatz 2

Absatz 3

Vollzugsorganisation

Gerichte

Eidgenössische Räte, Bundesrat, Bundesverwaltung

Eidgenössische Räte, Bundesrat, Bundesverwaltung, insb. ARE und SECO

Umsetzungsakte sowie Massnahmen im weiteren Zusammenhang mit Art. 50 BV

Gerichtsurteile

­ Richtlinien des Bundesrates vom 16. Oktober 2002 ­ Leitfaden für Botschaften des Bundesrates ­ Vereinbarung über die Tripartite Agglomerationskonferenz ­ Ratifizierung der Charta der kommunalen Selbstverwaltung ­ Vernehmlassungsgesetz Verabschiedung von Strategien

Verhaltensänderungen der Bundesbehörden

Bundesbehörden, die Erlasse und Umsetzungsentscheide vorbereiten, informieren in Anträgen an den Bundesrat und in Botschaften des Bundesrates über ... bzw. berücksichtigen ...

­10

... die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden, die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete Erlasse tragen diesen Aspekten Rechnung:

Wirkungen bezüglich der übergeordneten Ziele

Sicherung Berücksichtigung der der Gemein- Anliegen in Bezug deautonomie auf die Gemeinden

Berücksichtigung der besonderen Situation der Städte und der Agglomerationen sowie der Berggebiete

Das vorliegende Wirkungsmodell enthält Hypothesen darüber, inwieweit die Vorgaben von Artikel 50 BV in der Rechts- und Verwaltungspraxis befolgt werden und welche Wirkungen sich daraus ergeben. Inwieweit eine solche Kausalität in der Wirklichkeit gegeben ist, ist aber unsicher. Während einzelne Erlasse und Weisungen, beispielsweise die Richtlinien des Bundesrates vom 16. Oktober 2002 zuhanden der Bundesverwaltung betreffend die Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden (s. Ziff. 4.2.1), klar als «Wirkung» der Aufnahme von Artikel 50 in die neue Bundesverfassung verstanden werden können, ist bei anderen Entwicklungen dieser Zusammenhang fraglich. Verschiedene Herausforderungen und Probleme (insb. urbane Herausforderungen, funktionale Räume, immer komplexere Umsetzungsaufgaben), die zur Aufnahme von Artikel 50 in die Bundesver-

10

Der Verfassungsgeber verzichtete auf eine explizite Vorschrift zur Bindung des Bundes an die Gemeindeautonomie (vgl. AB S/Separatdruck 1998: 64 f.; Kägi-Diener 2014: Rz. 11).

3892

fassung beigetragen haben, hätten möglicherweise auch ohne diese Verfassungsbestimmung zu Erlassen oder anderen Massnahmen des Bundes geführt.

4

Massnahmen des Bundes im Zusammenhang mit Artikel 50 BV

4.1

Vorbemerkungen

Die Gemeinden, die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete sind nicht erst seit dem Inkrafttreten von Artikel 50 BV ein Thema von Massnahmen des Bundes. Namentlich die Förderung der Berggebiete in all ihren Facetten hat eine lange Tradition. In der Folge beleuchten wir in erster Linie die Massnahmen, die der Bund seit dem Inkrafttreten der neuen Verfassungsbestimmung am 1. Januar 2000 ergriffen hat. Die bereits erwähnte, schon länger bestehende Förderung der Berggebiete, beispielsweise im Rahmen der Neuen Regionalpolitik oder der Landwirtschaftspolitik, wird nicht weiter ausgeführt, auch wenn diese Sektoralpolitiken seit 2000 grundlegend und mit räumlich spezifischer Wirkung weiterentwickelt wurden.

Wir erwähnen dabei einerseits Massnahmen, die direkt auf Artikel 50 BV zurückzuführen sind (insb. Anweisungen an die Verwaltungen), und andererseits Massnahmen, die zwar nicht als direkte Folgen von Artikel 50 BV bezeichnet werden können, aber dennoch in einem engen inhaltlichen Zusammenhang dazu stehen.

4.2

Anweisungen an die Verwaltung

4.2.1

Richtlinien zuhanden der Bundesverwaltung betreffend die Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden

Der Bundesrat hat am 16. Oktober 2002 Richtlinien zuhanden der Bundesverwaltung betreffend die Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden erlassen; sie sind seit dem 1. November 2002 in Kraft.11 Als Verwaltungsweisungen sind sie nicht in die Systematische Rechtssammlung aufgenommen worden, aber auf der Website des Bundesamts für Justiz veröffentlicht.12 Das Bundesamt für Justiz hat am 26. Oktober 2005 alle Bundesämter über die Richtlinien informiert und in einer Beilage die wichtigsten Elemente zusammengefasst. Dazu gehören insbesondere: der Einbezug der Städte und Gemeinden bei der Rechtsetzung; die Kontakte Bund­Gemeinden sollen vor allem in tripartitem Rahmen und damit unter Einschluss der Kantone erfolgen, in Ausnahmefällen sind auch Direktkontakte möglich; bei der Ausarbeitung von Bundeserlassen ist darauf zu achten, den Gemeinden Anhörungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren und Beschwerderecht vor Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsinstanzen einzuräumen, wenn dies sinnvoll ist.

11 12

BBl 2002 8385 www.bj.admin.ch > Staat & Bürger > Föderalismus

3893

4.2.2

Leitfaden für Botschaften des Bundesrates

Artikel 141 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200213 (ParlG) führt die einzelnen Punkte auf, über die in Botschaften des Bundesrates Angaben zu machen sind. Der Leitfaden für Botschaften des Bundesrates (Botschaftsleitfaden)14 konkretisiert die entsprechenden Vorgaben des ParlG und ergänzt sie um weitere Erfordernisse. Schon der Vorgänger des Botschaftsleitfadens, das Schema zur Gestaltung von Botschaften des Bundesrates an die eidg. Räte, enthielt (bereits vor dem Inkrafttreten von Art. 50 BV) Vorgaben, wonach die finanziellen und personellen Auswirkungen einer Vorlage auf die Gemeinden darzustellen seien. Im Rahmen des von einer interdepartementalen Arbeitsgruppe begleiteten Projekts «Optimierung von Botschaften» erarbeitete die Bundeskanzlei den Botschaftsleitfaden, der 2006 erstmals erschien. Die damalige Fassung enthielt Vorgaben zur Darstellung der finanziellen, personellen und sonstigen Auswirkungen einer Vorlage auf Kantone und Gemeinden (Unterkapitel 3.2) sowie zur Darstellung der Auswirkungen auf die «Städte, Agglomerationen und die Berggebiete» (Unterkapitel 3.4 «Andere Auswirkungen»). In der Version 2012 sind die beiden Unterkapitel zusammengefasst in «3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete». Damit werden die Anforderungen nach Artikel 50 Absätze 2 und 3 BV in einem kohärenten Text konkretisiert. Der Botschaftsleitfaden wird auch im Rahmen von Berichten von Kommissionen zu parlamentarischen Initiativen beachtet.

4.3

Institutionelle Massnahmen

4.3.1

Vernehmlassungsgesetz

Das Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 200515 legt in Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe c fest, dass «die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete» im Rahmen eines Vernehmlassungsverfahrens zur Stellungnahme eingeladen werden. Damit werden deren Mitwirkungsrechte rechtlich abgesichert.

Die Beteiligung dieser Dachverbände an Vernehmlassungen ist allerdings schon seit Längerem gängige Praxis.

Nicht völlig geklärt war bisher, inwieweit die Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete auch bei Anhörungen einzubeziehen sind. Bei vielen Anhörungen wurde dies so gehandhabt. Mit der Änderung vom 26. September 201416 des Vernehmlassungsgesetzes fällt die Unterscheidung zwischen Vernehmlassungen und Anhörungen ohnehin weg.

13 14 15 16

SR 171.10 www.bk.admin.ch > Dokumentation > Sprachen > Deutschsprachige Dokumente SR 172.061 BBl 2014 7267

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4.3.2

Tripartite Agglomerationskonferenz

Die Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) ist die politische Plattform von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden für eine gemeinsame Agglomerationspolitik in der Schweiz. Sie wurde am 20. Februar 2001 vom Bundesrat, der KdK, dem SSV und dem SGV gegründet. Das Statut der TAK wird heute in der Vereinbarung vom 30. Dezember 201117 zwischen dem Bund, den Kantonen sowie den Städten und Gemeinden zur Fortsetzung der Tripartiten Agglomerationskonferenz (TAK) geregelt. Ziel der TAK ist, dass der Bund, die Kantone sowie die Städte und Gemeinden enger zusammenarbeiten und eine gemeinsame Agglomerationspolitik umsetzen. Neben der gegenseitigen Information will die TAK vor allem zur Stärkung der Zusammenarbeit in den Agglomerationen beitragen und konkrete Agglomerationsprobleme in relevanten Sektoralpolitiken anpacken. Mit der revidierten TAK-Vereinbarung vom 30. Dezember 2011 verfolgt die TAK neu auch das Ziel aufzuzeigen, wie die ländlichen Räume in die tripartite Zusammenarbeit einbezogen werden können.

Die TAK befasste sich in den Jahren 2001­2014 unter anderem mit Fragen der strategischen Ausrichtung sowie der Weiterentwicklung der Agglomerationspolitik.

Erwähnung verdienen ein Bericht zu den kantonalen Agglomerationsstrategien sowie die «Tripartite Strategie zur schweizerischen Agglomerationspolitik» (TAK 2013). Weiter entwickelte die TAK Modelle zur institutionellen Ausgestaltung der Zusammenarbeit in Agglomerationen sowie Lösungsansätze und Massnahmen in Sektoralpolitiken wie z. B. der Ausländer- und Integrationspolitik. Inzwischen liegt auch ein Bericht der TAK zum Einbezug der ländlichen Räume in die tripartite Zusammenarbeit vor (vgl. Ziff. 6.2).

Aus der Sicht der beteiligten Partner erweist sich die TAK als sinnvolles Gesprächsforum, um die Sichtweisen der drei Staatsebenen zu wichtigen Fragen zusammenzuführen und um Impulse zu geben, wie die entsprechenden Probleme bewältigt werden sollen. Sie ermöglicht insbesondere einen pragmatischen Austausch über Themen, für die es sonst keine geeigneten Diskussionsplattformen gibt. Die TAK als Organ verfügt bloss über ein Budget für ihre Projekte (v. a. Studien) und hat keine Entscheidkompetenzen. Von daher kann die TAK auch nicht selbst operativ tätig werden. Ihre Rolle liegt primär im Bereich der Koordination im Sinne des gegenseitigen Informationsaustausches,
der Konsultation sowie der Abstimmung zwischen den Trägern. Mittels Empfehlungen kann die TAK politische Prozesse initiieren. Die Umsetzung bleibt jedoch stets den institutionellen Akteuren vorbehalten.

Die TAK ist das einzige politikübergreifende Gremium der Zusammenarbeit Bund­ Kantone­Gemeinden. Daneben gibt es aber aufgabenspezifische tripartite Zusammenarbeitsformen in Bereichen, in denen Bund, Kantone und Gemeinden eng zusammenarbeiten, sowie bei Massnahmen mit besonderen Auswirkungen auf die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete. Diese aufgabenspezifischen Zusammenarbeitsformen werden in Ziffer 4.6 dargestellt.

17

SR 701

3895

4.3.3

Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung

Für die Gemeindeebene von Bedeutung ist auch die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung vom 15. Oktober 198518. Sie wurde vom Europarat ausgearbeitet und 1985 zur Unterzeichnung aufgelegt. Ihre Ratifizierung durch die Schweiz war während längerer Zeit durch Bedenken der Kantone über die Einschränkung ihrer Kompetenzen, die Gemeindeangelegenheiten zu regeln, blockiert.

In den Jahren 2002 und 2003 kam es dann aber zu einer Verständigung zwischen dem Bund, den Kantonen und den Kommunalverbänden. Gestützt auf den entsprechenden Kompromiss (insb. Bezeichnung der vom Geltungsbereich auszuschliessenden Bestimmungen der Charta) unterbreitete der Bundesrat am 19. Dezember 2003 den eidgenössischen Räten die Botschaft zur Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung19. Die Bundesversammlung genehmigte die Charta am 15. Dezember 2004. Die Charta enthält politische, verwaltungstechnische und finanzielle Grundsätze, deren Einhaltung den kommunalen Gebietskörperschaften erlaubt, ihre eigenen Angelegenheiten möglichst autonom zu besorgen. Sie entspricht weitgehend dem Rahmen, den die Kantone bisher ihren Gemeinden gesetzt haben.

Unmittelbar anwendbar sind vor allem Bestimmungen, welche die Anhörung der Gemeinden (z. B. bei der Änderung kommunaler Gebietsgrenzen) sicherstellen. Die Charta verlangt in Artikel 2, dass der Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung in der innerstaatlichen Gesetzgebung und so weit als möglich in der Verfassung garantiert sein soll. Darunter sind auch die kantonale Gesetzgebung und die Verfassungen der Kantone zu verstehen. Diese Anforderung war beim Inkrafttreten der Charta in der Schweiz (1. Juni 2005) mit Artikel 50 Absatz 1 BV bereits erfüllt.

Damit sind Artikel 50 BV und die Charta gegenseitig aufeinander bezogen: Artikel 50 BV kann als Umsetzung von Artikel 2 der Charta betrachtet werden. Gleichzeitig hat die Schaffung von Artikel 50 BV die Ratifikation der Charta begünstigt.

4.3.4

Europäisches Rahmenübereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften

Obgleich von der Bundesversammlung bereits am 3. Dezember 1981 genehmigt, ist auch das Europäische Rahmenübereinkommen vom 21. Mai 198020 über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften, das sog. Madrider Übereinkommen (mit drei Zusatzprotokollen), in den Kontext von Artikel 50 BV zu stellen. Das Madrider Übereinkommen hat zum Ziel, den Abschluss von Verträgen zwischen Regionen und Gemeinden beidseits einer Grenze zu fördern und zu erleichtern. Es bildet den rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit unterhalb der nationalstaatlichen Ebene, zum Beispiel in den Bereichen regionale, städtische und ländliche Entwicklung sowie Umweltschutz, Verbesserung der Infrastruktur und Katastrophenhilfe. Das Abkommen erleichtert somit die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Räumen. Darunter fallen namentlich auch grenzüberschreitende Agglomerationen.

18 19 20

SR 0.102 BBl 2004 79 SR 0.131.1

3896

Gestützt auf das Rahmenübereinkommen sind mit den angrenzenden Staaten Übereinkommen getroffen worden, die namentlich auch in grenzüberschreitenden Agglomerationen die Zusammenarbeit erleichtern.21 Des Weitern unterzeichnete der Bundesrat mit Deutschland, Frankreich und Luxemburg 1996 das sogenannte Karlsruher Übereinkommen.22 Dieses bezweckt, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen zu fördern.

Die Schweiz trat dem Abkommen im Namen der Kantone Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Aargau und Jura bei. Inzwischen hat es auch für Schaffhausen, Bern, Neuenburg, Waadt, Genf und Wallis Gültigkeit.

4.3.5

Zusammenarbeit innerhalb der Bundesverwaltung

Die räumlich geprägte, sektorübergreifende Zusammenarbeit wird in der Verordnung vom 22. Oktober 199723 über die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben (nachfolgend: KoVo) geregelt. Diese stützt sich auf die Artikel 8, 55 und 57 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199724 (RVOG). Die KoVo will die raumordnungspolitische Kooperation und Koordination verstärken: zwischen Raumordnungspolitik und Regionalpolitik einerseits sowie zwischen der Raumordnungspolitik und den übrigen, sektoralpolitisch ausgerichteten Bundesaufgaben andererseits. Die KoVo verpflichtet die Departemente, Ämter und Dienststellen der allgemeinen Bundesverwaltung zur raumordnungspolitischen Kooperation und Koordination und umschreibt Aufgaben und Funktionsweise von zwei Organen: der Raumordnungskonferenz des Bundes und des Rats für Raumordnung.

Als bundesinternes Organ zur politikübergreifenden Zusammenarbeit nimmt die in den Artikeln 6­8 KoVo verankerte Raumordnungskonferenz des Bundes eine wichtige Stellung ein. Sie dient als bundesinterne Informations- und Koordinationsplattform für sämtliche raumwirksamen Tätigkeiten. Sie unterstützt die verschiedenen Verwaltungseinheiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und stellt deren Aufgaben in einen raumordnungspolitischen Gesamtzusammenhang.

Für den Informationsaustausch und die Koordination von Themen mit besonderer Relevanz für die Agglomerationen bestand zwischen 2001 und 2011 das Netzwerk Agglomerationspolitik, das sich aus Vertreterinnen und Vertretern mehrerer Bundesstellen zusammensetzte. Im Rahmen der Überprüfung der KoVo soll die punktuelle Erweiterung der ARE-SECO-Zusammenarbeit zu einer Fachgruppe Agglomerationspolitik geprüft werden, um so zur Stärkung der horizontalen Zusammenarbeit auf Bundesebene beizutragen (Bundesrat 2015a: 59 f).

2002 setzte die Raumordnungskonferenz des Bundes das Bundesnetzwerk Ländlicher Raum ein. Es besteht aus ARE, Bundesamt für Umwelt, Bundesamt für Land21

22 23 24

Vereinbarung vom 21. Sept. 2000 zwischen dem Schweizerischen Bundesrat, der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein (SR 0.131.21); Rahmenabkommen vom 24. Febr. 1993 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und Behörden (SR 0.131.245.4) In der AS nicht veröffentlicht.

SR 709.17 SR 172.010

3897

wirtschaft und SECO und hat die Aufgabe, die Sektoralpolitiken des Bundes im ländlichen Raum über die bestehenden Verfahren hinaus zu koordinieren und zu vernetzen. Die Überprüfung der KoVo soll zum Anlass genommen werden, die Zusammensetzung und Funktionsweise des Bundesnetzwerks Ländlicher Raum zu evaluieren; gegebenenfalls sind die notwendigen Anpassungen vorzunehmen (Bundesrat 2015b: 76 f.).

4.4

Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen

Die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA)25 war neben der Justizreform und der Volksrechtsreform der dritte grosse materielle Bereich der Reform der Bundesverfassung.

Konzeptionell befasste sich die NFA primär mit der Bundes- und der Kantonsebene; der Städteverband war in der Projektorganisation indessen ebenfalls vertreten. Die NFA trug jedoch dem sogenannten «Territorialprinzip» konsequent Rechnung. So überliess sie es den Kantonen, wie sie beispielsweise die finanziellen Folgewirkungen der NFA im innerkantonalen Verhältnis oder wie sie den Finanzausgleich zwischen den Gemeinden regeln wollten. Die NFA hielt sich damit an die bisherige Zurückhaltung des Bundesgesetzgebers in Bezug auf die Einflussnahme auf das Verhältnis der Kantone zu den Gemeinden.

Die NFA bestand aus folgenden vier Elementen: ­

Zuteilung der Aufgaben und der Verantwortung für deren Finanzierung (Aufgabenentflechtung zwischen Bund und Kantonen)

­

Regelung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen bei den Verbundaufgaben

­

interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich

­

Finanzausgleich im engeren Sinn: Ressourcenausgleich, Lastenausgleich, Härteausgleich.

Der Finanzausgleich im engeren Sinn ist stark raumwirksam. Er orientiert sich dabei an den Kantonen. Die in Artikel 50 Absatz 3 BV erwähnten Räume, nämlich die «Städte und Agglomerationen» und «die Berggebiete» spielen beim Lastenausgleich eine gewisse Rolle. Der Lastenausgleich wird vollumfänglich vom Bund getragen und besteht aus einem geografisch-topografischen und einem soziodemografischen Lastenausgleich. Bei Letzterem wird noch zusätzlich unterschieden zwischen dem Ausgleich von Sonderlasten aufgrund der Bevölkerungsstruktur und dem Ausgleich von Sonderlasten der Kernstädte. In den Genuss des Lastenausgleichs kommen die Kantone mit den entsprechenden Sonderlasten. Dabei ist der Kostendeckungsgrad beim soziodemografischen Lastenausgleich geringer als beim geografisch-topografischen Lastenausgleich.

Ein weiteres Element innerhalb der NFA, die interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich, dient vor allem den Kantonen mit Kernstädten. Seit Einführung der NFA haben sich die Lastenausgleichszahlungen im Rahmen der interkantonalen Zusammenarbeit merklich erhöht (Bundesrat 2014: Ziff. 5.7). Verankert ist die 25

Botschaft: BBl 2002 2291; Bundesbeschluss: BBl 2003 6591

3898

interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich in Artikel 48a BV und im 4. Abschnitt des Bundesgesetzes vom 3. Oktober 200326 über den Finanz- und Lastenausgleich. Vertragsgrundlage ist die Rahmenvereinbarung vom 24. Juni 2005 über die interkantonale Zusammenarbeit mit Lastenausgleich (IRV)27.

4.5

Räumlich orientierte Strategien des Bundes

4.5.1

Überblick

Das 2012 durch den Bundesrat verabschiedete Raumkonzept Schweiz28 stellt einen erstmals von allen drei Staatsebenen gemeinsam getragenen Orientierungsrahmen für eine nachhaltige räumliche Entwicklung der Schweiz dar. Das Raumkonzept Schweiz soll von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden konkretisiert und umgesetzt werden. Die Weiterentwicklung der Agglomerationspolitik (s. Ziff. 4.5.2) und die Entwicklung einer Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete (s. Ziff. 4.5.3) sind darin als Handlungsansätze zur Konkretisierung des Raumkonzepts Schweiz vorgesehen.

Am 18. Februar 2015 hat der Bundesrat die Berichte zur Agglomerationspolitik des Bundes 2016+ (AggloPol)29 und zur Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete (P-LRB)30 verabschiedet. Die unter Berücksichtigung der tripartiten Strategie zur schweizerischen Agglomerationspolitik31 weiterentwickelte AggloPol und die neu erarbeitete P-LRB sind wesentliche Bestandteile der schweizerischen Raumentwicklung. Die beiden Politiken ergänzen sich gegenseitig und leisten einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des Raumkonzepts Schweiz. Mit den darin enthaltenen räumlich orientierten Strategien wird den spezifischen und gemeinsamen Herausforderungen von Stadt und Land Rechnung getragen und auf eine kohärente Raumentwicklung Schweiz hingewirkt. Zudem wird dadurch ein wesentlicher Beitrag zur Erhaltung und Stärkung des inneren Zusammenhalts der Schweiz geleistet.

Die AggloPol und die P-LRB bauen auf dem in Artikel 50 Absatz 3 BV formulierten Grundsatz auf, Rücksicht auf die besondere Situation von Städten, Agglomerationen und Berggebieten zu nehmen. Artikel 50 BV bildet den rechtlichen Anknüpfungspunkt, überträgt dem Bund jedoch keine entsprechenden Zuständigkeiten (vgl.

Ziff. 2.3). Agglomerationspolitik und Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete setzen demnach immer voraus, dass bereits eine Bundeskompetenz gegeben ist, bei deren Wahrnehmung die besondere Situation der Städte, der Agglomerationen sowie der ländlichen Räume und der Berggebiete berücksichtigt werden kann.

26 27 28 29 30 31

SR 613.2 www.kdk.ch > Themen > NFA und interkantonale Zusammenarbeit www.are.admin.ch > Raumentwicklung & Raumplanung > Strategie und Planung Bundesrat 2015a Bundesrat 2015b www.are.admin.ch > Städte & Agglomerationen > Koordinationsorgane und Zusammenarbeit > Tripartite Agglomerationskonferenz

3899

4.5.2

Agglomerationspolitik des Bundes 2016+ (AggloPol)

Als Reaktion auf die vielfältigen Herausforderungen und Problemstellungen von Kernstädten und Agglomerationen führte der Bund 2001 die Agglomerationspolitik des Bundes ein (Bundesrat 2001). Erfolge wurden bisher insbesondere in der verbesserten horizontalen und vertikalen Zusammenarbeit erzielt. Dank den Agglomerationsprogrammen Verkehr und Siedlung ist es zudem gelungen, die Verkehrs- und Siedlungsentwicklung besser aufeinander abzustimmen.

Am 20. April 2011 hat sich der Bundesrat dafür ausgesprochen, die Agglomerationspolitik weiterzuentwickeln. Grundlage für seinen Entscheid bilden eine externe Evaluation (CEAT, EBP und Infras 2010) sowie eine bundesinterne Standortbestimmung (ARE und SECO 2011). Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK/ARE) und das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF/SECO) beauftragt, ihm 2014 einen Vorschlag zu unterbreiten, wie die Agglomerationspolitik des Bundes ab der Legislaturperiode 2016­2019 ausgerichtet sein soll.

Zudem ist die «Agglomerationspolitik des Bundes ab der Legislaturperiode 2016­ 2019» im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201232 über die Legislaturplanung 2011­ 2015 als Richtliniengeschäft angekündigt worden (Massnahme 101). Auch in den «Perspektiven 2025» des Perspektivstabs der Bundesverwaltung wird der Agglomerationspolitik ein hoher Stellenwert im Zusammenhang mit der Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz attestiert. Gemäss diesem Grundlagendokument ist für den Erhalt und die Verbesserung der Handlungsfähigkeit von Staat und Institutionen ein besonderes Augenmerk auf die weitere Verbesserung der Zusammenarbeit in den Agglomerationsräumen zu richten, von denen die wirtschaftliche Prosperität der Schweiz stark abhängig ist. Um die Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu sichern, muss die Agglomerationspolitik dafür sorgen, dass infrastrukturelle und weitere Voraussetzungen für prosperierende Ballungsräume in effektiver und effizienter Weise geschaffen werden (Bundeskanzlei 2012).

Die AggloPol zielt darauf ab, die 2001 eingeführte Agglomerationspolitik unter Berücksichtigung der aktuellen Herausforderungen zu konsolidieren und zu optimieren. Die Ziele, Themenfelder und Handlungsansätze der Agglomerationspolitik orientieren
sich stark an der gemeinsam von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden erarbeiteten tripartiten Strategie zur schweizerischen Agglomerationspolitik (TAK 2013). Als Querschnittpolitik ist die Agglomerationspolitik thematisch bewusst breit angelegt.

Zur Umsetzung der Agglomerationspolitik des Bundes ist die unbefristete Weiterführung der Agglomerationsprogramme Verkehr und Siedlung von herausragender Bedeutung. Diese soll mit der Schaffung des Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF)33 sichergestellt werden. Mit dem bis Ende 2015 laufenden Programm «Projets urbains» unterstützt der Bund zudem Projekte der Quartierentwicklung in Räumen mit erhöhten Anforderungen. Ein Programm «Zusammenhalt in Quartieren» wird dem Bundesrat zusammen mit einer Anpassung des Raumpla32 33

BBl 2012 7155, hier 7164 Vgl. die Vernehmlassungsunterlagen dazu unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2014 > UVEK

3900

nungsgesetzes vom 22. Juni 197934 im Zusammenhang mit der Revision des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 200535 vorgelegt werden (2016­2019). Themen der Raumentwicklung, der Integrationspolitik, der Wohnbauförderung sowie der Bekämpfung von Diskriminierung werden verknüpft und gemeinsam angepackt.

Weitere Instrumente und Massnahmen zielen darauf ab, die themenübergreifende Zusammenarbeit auf Bundesebene zu stärken, die grenzübergreifende Zusammenarbeit in Städten und Agglomerationen zu erleichtern und ­ gemeinsam mit der P-LRB ­ Partnerschaften zwischen Stadt und Land aufzubauen.

4.5.3

Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete (P-LRB)

Der Bundesrat wurde einerseits mit der Motion Maissen 11.3927 «Strategie des Bundes für die Berggebiete und ländlichen Räume» und andererseits mit der Massnahme 69 der Legislaturplanung 2011­201536 «Entwicklung einer umfassenden Politik des ländlichen Raumes» als Richtliniengeschäft beauftragt, eine kohärente Strategie für die Entwicklung der ländlichen Räume und Berggebiete der Schweiz zu erarbeiten. Darin sollen Leitlinien formuliert werden, in welche Richtung sich die ländlichen Räume und Berggebiete in Zukunft entwickeln sollen. Mit dieser umfassenden Politik soll auch ein Beitrag zur Stärkung der gesellschaftlichen Kohäsion und zur Förderung der gemeinsamen Werte in der Schweiz geleistet werden (Legislaturziel Nr. 17 der Legislaturplanung 2011­2015).

Die P-LRB basiert auf zwei Grundlagenberichten, die einerseits unter Leitung des SECO, andererseits unter Leitung des ARE und begleitet von tripartit zusammengesetzten Expertengruppen erarbeitet wurden (ARE 2014 und SECO 2014). Im Rahmen dieser Arbeiten wurden eine Vision, langfristige Ziele sowie Handlungsansätze für die ländlichen Räume und Berggebiete definiert.

Aus den Grundlagenarbeiten geht hervor, dass auf Bundesebene bereits eine breite Palette von Instrumenten und Massnahmen in verschiedenen Sektoralpolitiken mit Wirkung auf die ländlichen Räume und Berggebiete besteht. Diese tragen zur Bewältigung der zentralen Herausforderungen und zur Zielerreichung bei. Optimierungsbedarf besteht jedoch bei der vertikalen und der horizontalen Koordination der Sektoralpolitiken von Bund und Kantonen. Bei vielen Politiken fehlt ausserdem die räumliche Dimension und somit die räumliche Kohärenz bei deren Umsetzung. Als zentrales Element der künftigen Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete wurde deshalb die verbesserte Steuerung des staatlichen Handelns (Governance) bezeichnet, sowohl auf horizontaler wie auch auf vertikaler Ebene. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt besteht in der Unterstützung der regionalen Akteure bei der Erarbeitung von Entwicklungsperspektiven und der räumlich kohärenten Umsetzung der Sektoralpolitiken auf regionaler Ebene.

Zur Erreichung der gesetzten Ziele sieht der Bund eine Reihe von Massnahmen vor, die teilweise ausschliesslich im Rahmen der P-LRB, teilweise gemeinsam mit der AggloPol in allen Teilräumen der Schweiz umgesetzt werden sollen.

34 35 36

SR 700 SR 142.20 Bundesbeschluss vom 15. Juni 2012 über die Legislaturplanung (BBl 2012 7155, hier 7161)

3901

4.6

Massnahmen mit engem Bezug zur kommunalen Ebene und tripartiten Zusammenarbeit

Zahlreiche Massnahmen des Bundes werden letzten Endes von Gemeinden umgesetzt oder betreffen diese (Art. 50 Abs. 2 BV). Ebenso haben zahlreiche Massnahmen des Bundes in räumlicher Hinsicht besondere Auswirkungen auf die «Städte und Agglomerationen» auf der einen oder «die Berggebiete» auf der anderen Seite (Art. 50 Abs. 3 BV). Es würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen, die zahlreichen Erlasse bzw. Massnahmen mit spezifischen Auswirkungen auf die Gemeinden oder die erwähnten Teilräume umfassend aufzuführen.

Die Bundesämter, die für die einzelne Aufgabengebiete zuständig sind und die entsprechenden Massnahmen planen und erarbeiten, bedürfen ausreichender Informationen, um die Auswirkungen auf die Gemeinden (Art. 50 Abs. 2 BV) oder auf die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete (Art. 50 Abs. 3 BV) abschätzen zu können (vgl. Kägi-Diener 2014: Rz. 18). Im Interesse des Informationsaustauschs und zur Vertiefung des Problemverständnisses gibt es seit einiger Zeit neben der TAK (s. Ziff. 4.3.2) aufgabenspezifische tripartite Zusammenarbeitsgremien. Beteiligt an diesen Mitwirkungsgefässen sind auf Seite Bund die Vorsteherinnen und Vorsteher der zuständigen Departemente und die Amtsleitungen der zuständigen Ämter, auf kantonaler Ebene die zuständigen interkantonalen Direktorenkonferenzen oder die KdK und auf Ebene der Gemeinden und der Teilräume die entsprechenden Dachverbände (v. a. SGV, SSV, SAB). Solche Zusammenarbeitsformen gibt es namentlich in der Sozialpolitik, der Kultur, der Gesundheit, dem Asyl- und Migrationsbereich, der Wohnungspolitik, dem E-Government, dem öffentlichen Verkehr sowie der Raumordnungspolitik. In einigen Sachbereichen gibt es auch ­ z. T. institutionalisierte, z. T. informelle ­ bilaterale Kontakte der Geschäftsleitungen von Bundesämtern mit interkantonalen Direktorenkonferenzen, vereinzelt auch mit den Kommunalverbänden.

5

Praxis der Bundesbehörden bei der Umsetzung von Artikel 50 BV

5.1

Rücksichtnahmepflichten des Bundes in Botschaften des Bundesrates und in Anträgen an den Bundesrat

Damit der Bund seine Rücksichtnahmepflichten und die Abwägungsverpflichtungen (s. Ziff. 2.2.2) wahrnehmen kann, benötigen die zuständigen Entscheidungsträger, namentlich bei Entscheiden über Erlasse, ausreichende Informationen über die Auswirkungen auf die Gemeinden sowie auf die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete.

Entscheiden letztlich die eidgenössischen Räte, so erhalten sie die erforderlichen Informationen in den Botschaften des Bundesrates. Artikel 141 Absatz 2 ParlG legt dafür Vorgaben fest. Von besonderen Bedeutung für die Vollzugsträger (v. a. Kantone und Gemeinden) ist Artikel 141 Absatz 2 Buchstabe d ParlG («die geplante Umsetzung des Erlasses, die geplante Auswertung dieser Umsetzung und die Prüfung der Vollzugstauglichkeit im vorparlamentarischen Verfahren») und Buchstabe f ParlG («die personellen und die finanziellen Auswirkungen des Erlasses und seines Vollzugs auf Bund, Kantone und Gemeinden sowie die Art und Weise der 3902

Kostendeckung, der Einfluss auf die Finanzplanung und das Verhältnis von Kosten und Nutzen»). Die Vorgaben des ParlG sind im Leitfaden für Botschaften des Bundesrates konkretisiert worden. Zusätzlich sind darin auch weitere Vorgaben aufgenommen worden (s. Ziff. 4.2.2), insbesondere die Vorgaben von Artikel 50 Absatz 3 BV, die in Artikel 141 Absatz 2 ParlG (noch) keinen Niederschlag gefunden haben.

Entscheidet der Bundesrat in letzter Instanz, sind im Antrag des zuständigen Departements an den Bundesrat ebenfalls Angaben über die Auswirkungen zu machen.

Darin eingeschlossen sind auch Angaben über allfällige Auswirkungen auf die Gemeinden oder auf die besondere Situation von Städten und Agglomerationen sowie der Berggebiete.

Im Folgenden beschränken wir uns auf die Angaben in Botschaften des Bundesrates.

5.2

Angaben in Botschaften des Bundesrates über die Auswirkungen auf die Gemeinden

Die Befolgung der Vorgaben von Artikel 141 Absatz 2 Buchstaben e und f ParlG sowie des Leitfadens für Botschaften des Bundesrates obliegt den für die Vorlage zuständigen Departementen (bzw. Bundesämtern). Es gibt keine Behörde, welche die Beachtung dieser Vorgaben systematisch überprüft. Dennoch werden die Vorgaben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, befolgt. Hat eine Vorlage Auswirkungen auf die Gemeindeebene, wird dies in der Regel in Kapitel «3.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete» der Botschaft (s. Ziff. 4.2.2) ausgewiesen.

Dabei geht es wie erwähnt um eine Abwägungs- und nicht um eine Ergebnisverpflichtung. So wurde beispielsweise in der Botschaft des Bundesrates vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht) in Kapitel 3.2 «Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden» darauf hingewiesen, «dass dort, wo der Gemeinderat als Vormundschaftsbehörde amtet, Reorganisationen unabdingbar sind, die tendenziell wohl eine Regionalisierung der Behörden bringen könnten»37. Damit wurde auf das Spannungsfeld zur bisherigen, grösstenteils kommunalen Zuständigkeit für das Erwachsenen- und Kindesschutzrecht hingewiesen38. Gleichwohl nahm der Bundesrat die entsprechenden Konsequenzen für die kommunale Ebene in Kauf, um den Erwachsenen- und Kindesschutz zu verbessern. Das Parlament stimmte den Verbesserungen in Kenntnis allfälliger organisationeller Auswirkungen auf die Gemeindeebene und auf die Kundinnen und Kunden zu.

Wenngleich die Vorgaben formell weitgehend befolgt werden, so sind die Angaben inhaltlich nicht immer ausreichend gehaltvoll. Dafür können zahlreiche Faktoren im Hinblick auf die Erlassvorbereitung verantwortlich sein: hoher Zeitdruck, mangelnde personelle Ressourcen, fehlende Sensibilität für die institutionellen Belange der Gemeinden (meist verbunden mit ihrem unzureichenden Einbezug in den Prozess), unzureichende Kenntnisse über die Auswirkungen auf die kommunale Ebene u.a.m.

Um diese Mängel zu beheben, ist es nützlich, kommunale Vertreter in Arbeitsgruppen, die Erlasse vorbereiten, einzubeziehen (vgl. Ziff. 6.3.2) und das Vernehmlas37 38

BBl 2006 7001, hier 7120 BBl 2006 7020 f.

3903

sungsverfahren aktiv zu nutzen, um die Kenntnisse über die Auswirkungen auf der kommunalen Ebene zu verbessern (vgl. Ziff. 6.3.3).

5.3

Angaben in Botschaften des Bundesrates über die Auswirkungen auf die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete

Aus Artikel 50 Absatz 3 BV ergeben sich ähnliche Anforderungen wie im vorangehenden Abschnitt bezüglich der Darstellung der Auswirkungen auf die «Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete» bzw. auf deren «besondere Situation».

Wie in Ziffer 4.2.2 erwähnt, finden sich die entsprechenden Angaben in einem gemeinsamen Unterkapitel. Grundsätzlich haben sehr viele Vorlagen raumrelevante Auswirkungen, somit Auswirkungen auf die «Städte und Agglomerationen» oder die «Berggebiete».

Formell werden die Vorgaben in der Regel befolgt. Inhaltlich sind die entsprechenden Aussagen aber oft nicht ausreichend gehaltvoll. Viele Ämter haben nämlich zu geringe Kenntnisse über die raumrelevanten Auswirkungen der Entscheide in ihrem Aufgabengebiet. Dem ARE als Kompetenzzentrum des Bundes in Raumordnungsfragen fehlen die Ressourcen, um die federführenden Ämter bei der Abschätzung der raumrelevanten Auswirkungen zu unterstützen. Die Kantone und Dachverbände (SGV, SSV und SAB) prüfen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens die Vorlagen des Bundes auf deren institutionelle und raumrelevante Auswirkungen und nehmen bei Bedarf Stellung. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass ihre Angaben und Hinweise oft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Es besteht deshalb ein Verbesserungsbedarf im Hinblick auf die raumrelevanten Erläuterungen in Botschaften.

6

Artikel 50 BV: Erfolge und weiterer Umsetzungsbedarf

6.1

Artikel 50 als behutsame und erfolgreiche Neuerung

Artikel 50 BV hat den geltenden Wortlaut während der Beratungen der neuen Bundesverfassung erhalten; der Bundesrat hatte eine zurückhaltendere Formulierung vorgeschlagen (s. Ziff. 2.1). Artikel 50 BV verleiht dem Bund keine neuen Kompetenzen, sondern auferlegt ihm bloss gewisse neue Pflichten (s. Ziff. 2.2 und 2.3). Die Verfassungsbestimmung gibt der Gemeindeautonomie einen verfassungsrechtlichen Schutz innerhalb der kantonalrechtlichen Grenzen. Sie respektiert damit die kantonale Zuständigkeit für Gemeindeangelegenheiten. Bei der Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung sind keine Mängel oder grundlegenden Probleme zutage getreten, weder auf Seiten des Bundes noch auf Seiten der Kantone oder der Gemeinden. Artikel 50 BV kann damit als behutsame Neuerung der Bundesverfassung gewertet werden.

Artikel 50 BV ist aber auch eine erfolgreiche Neuerung. Vergleicht man die heutige Situation mit derjenigen Ende der 1990er-Jahre, dann sind in Bezug auf die Gemeinden, die Städte und Agglomerationen sowie die Berggebiete verschiedene Änderungen festzustellen (s. Ziff. 4), die in direktem oder indirektem Zusammen-

3904

hang mit Artikel 50 BV stehen oder die von der dahinterstehenden Problematik und Philosophie (vgl. Ziff. 2.1) beeinflusst sind: ­

Richtlinien des Bundesrates vom 16. Oktober 2002 zuhanden der Bundesverwaltung betreffend die Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden;

­

Schaffung der TAK;

­

Ratifikation der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung;

­

Artikel 4 des Vernehmlassungsgesetzes: Einbezug der Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete;

­

NFA;

­

Raumkonzept Schweiz;

­

Agglomerationspolitik des Bundes; Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete;

­

sektorale Massnahmen unter Berücksichtigung der Anliegen von Gemeinden, Städten und Agglomerationen sowie der Berggebiete (s. Ziff. 4.6).

Insgesamt sind die Änderungen und damit die Erfolge beachtlich. Davon profitierten in hohem Mass die Städte und Agglomerationen, die in den Fokus der Bundespolitik geraten sind (s. Kübler 2014: 327). Die Berggebiete zogen weiterhin Nutzen von den seit Langem laufenden Fördermassnahmen. Mit der NFA erhielten v. a. die ressourcenschwachen Kantone, die in den Berggebieten dominieren, erhöhte zweckfreie Mittel und verfügen damit über grössere finanzpolitische Spielräume. Die bessere Berücksichtigung der Anliegen von Städten und Agglomerationen ging somit nicht zulasten der Berggebiete. Zu beachten ist auch, dass verschiedene Kantone (insb.

SZ, NW und AR) mit hohen Anteilen an Berggebieten ihre finanzpolitische Situation in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dank ihrer Agglomerationsnähe oder ihrer günstigen Verkehrslage stark verbessern konnten.

Die Gemeinde als Institution und die kommunale Ebene als Ganzes wurden mit Artikel 50 BV in der Verfassung sichtbar gemacht und damit gestärkt. Die Gemeindeautonomie wurde tendenziell gestärkt. Daneben machen sich allerdings auch gegenläufige Trends bemerkbar. Die immer höheren fachtechnischen Anforderungen an die Umsetzungsinstanzen in verschiedenen Aufgaben (s. das Beispiel des Erwachsenen- und Kindesschutzes in Ziff. 5.2), die Schwierigkeiten, geeignete Milizorgane zu rekrutieren, und die Siedlungsentwicklung in funktionalen Räumen, die mehrere Gemeinden (und z. T. auch Kantone) umfassen, sind für die kommunale Ebene mit grossen Herausforderungen verbunden. Obwohl als Staatsebene unverzichtbar, ist die Gemeindeebene heute grossen Belastungen ausgesetzt, und es ist unsicher, ob die Gemeinden letztlich ihren Autonomiegrad verbessern konnten und können. In einer wissenschaftlichen Studie wurde das Ausmass der Gemeindeautonomie zwischen den Kantonen verglichen (Mueller 2013). Es gibt bisher aber noch keine Studie, welche die Entwicklung der Gemeindeautonomie im Zeitablauf erfasst und Aussagen darüber erlaubt, ob die Gemeindeautonomie seit der Inkraftsetzung von Artikel 50 BV insgesamt zugenommen hat oder nicht.

Eine grosse Herausforderung sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen der institutionellen Ebenen für die tripartite Zusammenarbeit. Den hauptsächlich durch Mitgliederbeiträge finanzierten Kommunalverbänden fehlen im Vergleich zu Bund und Kantonen oftmals die Ressourcen für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

3905

6.2

Eingeleitete Verbesserungen

Sowohl für die Agglomerationspolitik wie für die Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete ist die tripartite Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen sowie Städten und Gemeinden von hoher Relevanz und in geeigneter Form vom Bund mitzutragen.

In der Agglomerationspolitik hat sich die 2001 gegründete Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) für die vertikale Zusammenarbeit etabliert. Sie ist als Plattform der politischen, vertikalen Abstimmung zwischen Bund, Kantonen sowie Städten und Gemeinden nicht mehr wegzudenken. Ein Gremium zur vertikalen Vernetzung der Aktivitäten bezüglich der ländlichen Räume und Berggebiete von Bund, Kantonen und Gemeinden besteht bisher nicht, obwohl dies bereits wiederholt gefordert wurde (vgl. Ziff. 1.2). In seiner Antwort auf die Interpellation 11.3718 «Neue Regionalpolitik und OECD-Empfehlungen» erachtet der Bundesrat eine tripartite Plattform für die ländlicher Räume als nützlich und fordert die Kantone auf, ein entsprechendes Vorhaben anzustossen.

Gegenwärtig prüft die TAK den Einbezug der ländlichen Räume in die tripartite Zusammenarbeit. Ein entsprechender Expertenbericht wurde erstellt (TAK 2013).

Darin sind konkrete Modelle zum Einbezug der ländlichen Räume in die tripartite Zusammenarbeit beschrieben. Im Sommer 2015 wird der Bericht unter Kenntnis der Ergebnisse der Konsultation politisch diskutiert und das weitere Vorgehen festgelegt.

In den im Februar 2015 verabschiedeten Berichten zur AggloPol und P-LRB hat der Bundesrat sich für eine Erweiterung der TAK auf ein tripartites Gremium, welches sich auch den ländlichen Räumen und Berggebieten widmet, ausgesprochen. Er hat dargelegt, unter welchen Bedingungen der Bund eine Erweiterung der TAK mittragen kann. Ob die vertikale Zusammenarbeit tatsächlich in einer gemeinsamen tripartiten Konferenz organisiert werden kann, wie diese in Zukunft heissen soll und welche Arbeitsschwerpunkte gesetzt werden, ist jedoch abhängig vom Ausgang des Projekts der TAK und in einem tripartiten Prozess zu bestimmen.

6.3

Weitere Umsetzungsanstrengungen nötig

Trotz der beachtlichen Erfolge bei der Umsetzung von Artikel 50 BV gibt es noch verschiedene Mängel und zugleich ein Potenzial, um den Anliegen der Gemeinden (Art. 50 Abs. 2) bzw. der städtischen Gebiete, der Agglomerations- und der Berggebiete (Art. 50 Abs. 3 BV) bei der Rechtsetzung und bei der Umsetzung noch besser Rechnung zu tragen. Der Bundesrat strebt Verbesserungen namentlich bei der Planung und Vorbereitung von Erlassen (Ziff. 6.3.1 bis 6.3.3), bei der bundesinternen Zusammenarbeit (6.3.4 und 6.3.5) und bei den statistischen Grundlagen (6.3.6) an.

3906

6.3.1

Gemeinde- und Miliztauglichkeit der Massnahmen des Bundes

Die Schweizer Gemeinden sind im internationalen Vergleich relativ klein. Mehr als 75 % der Gemeinden umfassen weniger als 3500 Einwohnerinnen und Einwohner.

Sie verfügen über eine wenig spezialisierte Verwaltung. Viele Funktionen werden im Milizprinzip wahrgenommen.

Gleichzeitig verfügen die Schweizer Gemeinden über eine relativ hohe Autonomie.

Sie setzen viele Massnahmen des Bundes und der Kantone um. So werden letztlich Bundesmassnahmen in vielen Bereichen (z. B. politische Rechte, Zivilstand, Einwohnerkontrolle, Wohnungswesen, Statistik, Zivilschutz, Steuern, Umweltschutz) auf Gemeindeebene umgesetzt.

Die Umsetzung vieler und häufig anspruchsvoller Bundesmassnahmen bei gleichzeitig relativ kleiner Gemeindegrösse und oft vorherrschendem Milizprinzip ist mit schwierigen Herausforderungen verbunden. Bund, Kantone und Gemeinden tragen zur Milderung dieses Spannungsverhältnisses bei: ­

Die Gemeinden professionalisieren ihre Strukturen, arbeiten zusammen, beispielsweise in Zweckverbänden, und unterstützen einander bei Bedarf. Sie streben Zusammenschlüsse mit Nachbargemeinden an, wenn sie ihre Leistungsfähigkeit verbessern oder den eng verwobenen Siedlungsverhältnissen besser Rechnung tragen möchten.

­

Die Kantone unterstützen die Gemeinden, fördern die Zusammenarbeit mit und unter ihnen und bieten gegebenenfalls Anreize für Gemeindezusammenschlüsse. In gewissen Fällen setzen sie solche Zusammenschlüsse durch.

­

Der Bund seinerseits ist gehalten, bei seinem Handeln die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden zu beachten (Art. 50 Abs. 2 BV; s. Ziff. 2.2.2 und 5.2). Dies setzt voraus, dass die Dienststellen des Bundes, die mit der Erlassvorbereitung und -umsetzung betraut sind, die nötige Sensibilität für die institutionellen Gegebenheiten auf Gemeindeebene aufweisen und die nötigen Informationen einholen. Die Bundesbehörden sollen sich bei der Gestaltung von Massnahmen, die von den Gemeinden umzusetzen sind, und bei der Formulierung von Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von finanziellen und anderen Leistungen möglichst an den aktuellen Verhältnissen in den Gemeinden ausrichten («Miliztauglichkeit»). Sie beziehen bei der Vorbereitung von Erlassen oder bei der Planung von deren Umsetzung nach Möglichkeit Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinden und ihrer Verbände (v. a. SGV und SSV) in die Arbeiten ein (s. nachfolgender Abschnitt).

6.3.2

Einbezug der Gemeinden bei der Erarbeitung von Erlassentwürfen

Artikel 50 Absätze 2 und 3 verlangt eine Rücksichtnahme des Bundes auf «die möglichen Auswirkungen auf die Gemeinden» bzw. «auf die besondere Situation der Städte und Agglomerationen sowie der Berggebiete». Zum Teil fehlen den zuständigen Stellen aber das Wissen und die Sensibilität, um die entsprechenden Anliegen einzubeziehen.

3907

Die wirkungsvollste Massnahme, um die Anliegen der Gemeinden bzw. der Städte und Agglomerationen sowie der Berggebiete bei der Erarbeitung von Erlassentwürfen zu berücksichtigen, ist ihr Einbezug in die allenfalls dazu eingesetzten Expertenkommissionen oder Arbeitsgruppen. Im Bericht «Die Umsetzung von Bundesrecht durch die Kantone» wird die Mitarbeit der Kantone in vorbereitenden Gremien als die wichtigste der darin vorgesehenen Massnahmen bezeichnet (Bundesamt für Justiz/Konferenz der Kantonsregierungen 2013: 15). In Analogie zu diesem Vorschlag rechtfertigt sich auch der Einbezug der Gemeinden, der Städte und Agglomerationen sowie der Berggebiete in die entsprechenden Gremien. Dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: eine Anhörung der zuständigen Organisationen (insb.

SGV, SSV, SAB) zu Beginn der Arbeiten, ihr punktueller Einbezug bei wichtigen Entscheiden oder ihr eingehender Einbezug in die Rechtsetzungsarbeiten. Das Ausmass der Beteiligung hängt dabei von folgenden Faktoren ab: von der Betroffenheit der Gemeinden, Städte, Agglomerationen39 und Berggebiete; von der Fähigkeit der anderen beteiligten Partner (insb. der Kantone), die entsprechenden Anliegen zu vertreten; und schliesslich von der Bereitschaft der betreffenden Organisationen, sich tatkräftig und sachkundig in die Arbeiten einzubringen.

6.3.3

Aktive Nutzung des Vernehmlassungsverfahrens

Ein Vernehmlassungsverfahren über den Vorentwurf dient nicht nur der Prüfung der politischen Akzeptanz eines Vorhabens. Es sollte auch aktiv genutzt werden, um Informationen über den Aufwand für die Umsetzung bei den Kantonen und den Gemeinden und über die räumlichen Auswirkungen (auf die urbanen Gebiete und die Berggebiete) einzuholen.40 Die für das Vernehmlassungsverfahren zuständige Behörde kann durch klar formulierte Fragen die entsprechenden Adressaten dazu anregen, sich zu solchen Auswirkungen zu äussern.

6.3.4

Angaben über die raumrelevanten Auswirkungen in Botschaften des Bundesrates sowie in Anträgen an den Bundesrat

Angaben über die Auswirkungen einer Vorlage auf die Teilräume (Städte und Agglomerationen sowie Berggebiete) werden durch die Verfassung verlangt (Art. 50 Abs. 3 BV, s. Ziff. 2.2.3). Wie in Ziffer 5.3 dargestellt, ist in der aktuellen Praxis der inhaltliche Gehalt der entsprechenden Ausführungen aber oft noch verbesserungsbedürftig. Häufig sind die federführenden Departemente bzw. Ämter zu wenig auf die entsprechenden Fragen sensibilisiert, und sie verfügen nicht über ausreichende Informationen über die räumlichen Auswirkungen ihrer Projekte. In Bezug auf die Darstellung der raumrelevanten Auswirkungen gibt es zudem keine Arbeitsinstrumente (wie Checklisten oder Kurzinformationen). Es gibt auch keine Stelle in der Bundesverwaltung, welche die federführenden Ämter bei dieser Aufgabe unterstützt.

39 40

Die Betroffenheit namentlich der Gemeinden kann aufgrund der jeweiligen Aufgabenteilung Kanton­Gemeinde von Kanton zu Kanton unterschiedlich sein.

Nach Art. 2 Abs. 2 des Vernehmlassungsgesetzes soll das Vernehmlassungsverfahren namentlich auch über die Vollzugstauglichkeit eines Vorhabens des Bundes Aufschluss geben.

3908

Angesichts der knappen Personalsituation ist aber schwierig absehbar, wie Verbesserungen erreicht werden können. Es wird zu prüfen sein, wie anknüpfend an bestehende Verfahren (z. B. Nachhaltigkeitsbeurteilung) und auf möglichst einfache und wenig personalintensive Art und Weise die (federführenden) Ämter, die Vorlagen mit starken räumlichen Auswirkungen ausarbeiten, sensibilisiert und proaktiv unterstützt werden können.

6.3.5

Evaluation und Anpassung der Verordnung über die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben

Die Umsetzung von Artikel 50 BV kann nur gelingen, wenn auf Bundesebene sektorübergreifend zusammengearbeitet wird und es gelingt, bestehende Instrumente besser auf räumlich-differenzierte Zielsetzungen auszurichten. Wie in Ziffer 4.3.5 erläutert, wird die räumlich geprägte sektorübergreifende Zusammenarbeit in der Verordnung vom 22. Oktober 199741 über die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben (KoVo) geregelt.

Trotz der bestehenden Koordinationsbemühungen des Bundes wird sowohl von den Akteuren der ländlichen Räume und Berggebiete als auch von jenen der Agglomerationen bemängelt, dass die Koordination auf Bundesebene noch zu schwach sei.

Zudem haben die Kantone bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass eine kohärente und gesamtheitliche kantonale Planung massgeblich erschwert wird, solange der Bund die von ihm zu erfüllenden Aufgaben von raumordnungspolitischer Relevanz nicht oder nur ungenügend aufeinander abstimmt. Mit seinem Entscheid vom 18. Februar 2015 hat der Bundesrat deshalb ARE und SECO beauftragt, die KoVo zu überprüfen und bis Ende 2015 Vorschläge für deren Anpassung auszuarbeiten. Dabei stehen insbesondere folgende Fragen im Vordergrund: ­

frühzeitiges Konfliktmanagement bei Zielkonflikten und Zielkonkurrenz zwischen verschiedenen raumrelevanten Sektoralpolitiken angesichts begrenzter Ressourcen;

­

vermehrtes Nutzen von Synergien raumrelevanter Sektoralpolitiken, sodass die erwünschten raumwirksamen Effekte von Massnahmen verbessert werden können;

­

ausreichende Kompetenzen, Verbindlichkeit und Ressourcen für die sektorübergreifende Zusammenarbeit auf Bundesebene, namentlich in der Agglomerationspolitik und der Politik für die ländlichen Räume und Berggebiete.

6.3.6

Verbesserung der statistischen Grundlagen

Das Bundesamt für Statistik (BFS) als Kompetenzzentrum für die Bundesstatistik veröffentlicht zahlreiche Statistiken, die für die Gemeinden relevant sind. Dazu zählen beispielsweise Statistiken über die institutionelle Gliederung der Gemeinden oder Gemeindeportraits (mit Kennzahlen zu allen Gemeinden). In Zusammenarbeit mit dem BFS und dem Statistischen Amt der Stadt Zürich veröffentlicht der SSV die 41

SR 709.17

3909

«Statistik der Schweizer Städte». Auch untersucht das ARE im Rahmen der «Raumbeobachtung Schweiz» regelmässig die räumlichen Entwicklungen sowohl in den städtischen wie auch den ländlichen Regionen.

Das «Urban Audit» für die Schweiz wird unter der Leitung des BFS zusammen mit dem ARE und den zehn bevölkerungsstärksten Schweizer Städten durchgeführt. Das Audit ist eine Erhebung statistischer Daten über die Lebensbedingungen auf drei räumlichen Ebenen in städtischen Gebieten (Agglomerationen, Kernstädte und Quartiere). Für Genf und Basel werden auch die in den Nachbarländern liegenden Agglomerationsgemeinden miteinbezogen, da die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen über das Schweizer Territorium hinausgehen. Das europäische statistische Amt Eurostat sammelt Daten in mehr als 30 Ländern und 900 Städten und bietet so vergleichbare Informationen.

Trotz einer Vielzahl von Statistiken fehlen Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden allerdings in einzelnen Bereichen immer wieder für Planungen oder konkrete Vorhaben ausreichend aussagekräftige Daten. Verschiedene Daten liegen in räumlich nicht genügend dichter Form vor, weshalb sie namentlich für kleinere Gemeinden nicht ausreichend verlässlich sind. Im Vergleich mit anderen Staaten fehlt eine spezifische Städte-Statistik des Bundes.

Das BFS ist nicht nur verantwortlich für die grosse Mehrheit der publizierten statistischen Informationen, es koordiniert darüber hinaus auch die statistischen Aktivitäten der übrigen Bundesstellen. Es hat nach Artikel 12 Absatz 2 des Bundesstatistikgesetzes vom 9. Oktober 199242 zudem einen Koordinationsauftrag in Bezug auf die Kantone: «Das Bundesamt wirkt auf eine Koordination mit den kantonalen Statistiken hin, insbesondere um die Erhebungsprogramme aufeinander abzustimmen und Register oder andere Datensammlungen im Hinblick auf die statistische Bearbeitung zu harmonisieren». Diese Koordination mit den Kantonen und auch den Gemeinden erfolgt durch das Kontaktgremium REGIOSTAT, in dem die statistischen Ämter der Kantone, die Statistikvertreter jener Kantone, die kein statistisches Amt führen, sowie die statistischen Ämter der Städte Einsitz nehmen. Seit Ende 2013 ist von Seiten des BFS insbesondere die Zusammenarbeit im Rahmen von REGIOSTAT verstärkt worden, dies mit dem Ziel, die in diesem Gremium vertretenen
kantonalen und kommunalen Statistikgremien nicht nur über die verschiedenen Aktivitäten auf Bundesebene zu informieren, sondern sie vor allem in den Prozess der Erarbeitung des Mehrjahresprogrammes 2015­2019 einzubeziehen. Nach Artikel 9 des Bundesstatistikgesetzes wird für jede Legislaturperiode ein Mehrjahresprogramm erstellt.

Dieses legt jeweils die prioritären Ziele und Massnahmen fest und gibt Auskunft über die geplanten Aktivitäten und Projekte im Bereich der Bundesstatistik. Die verstärkte Zusammenarbeit mit REGIOSTAT hat auch zum Ziel, den zur Bestimmung der Ziele und Massnahmen des statistischen Mehrjahresprogramms notwendigen Dialog mit den Nutzern der öffentlichen Statistik abzustimmen. Mit der damit angestrebten besseren Abstimmung der statistischen Aktivitäten von Bund und Kantonen sollen die statistischen Informationen, die von den verschiedenen Staatsebenen erarbeitet werden, kohärent und effizient erarbeitet werden. Das abgestimmte Vorgehen soll zudem helfen, statistische Lücken aus regionalpolitischer Sicht zu priorisieren.

42

SR 431.01

3910

6.3.7

Schlussfolgerungen

Artikel 50 BV wurde 1999 im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung geschaffen. Den Erfordernissen der neuen Bestimmung wird mit einer Vielzahl von Umsetzungsakten und Massnahmen Rechnung getragen. Artikel 50 BV kann als behutsame und erfolgreiche Neuerung bezeichnet werden. Neben den bereits früher getroffenen Massnahmen wurden in jüngster Zeit weitere Verbesserungen getroffen, und weitere Änderungen befinden sich in Prüfung. Trotz der erzielten Erfolge sind weitere Umsetzungsanstrengungen nötig. Es gilt dabei namentlich: ­

die Gemeinde- und Miliztauglichkeit der Massnahmen des Bundes zu verbessern,

­

die Gemeinden bei der Erarbeitung von Erlassentwürfen besser einzubeziehen,

­

das Vernehmlassungsverfahren besser zu nutzen, um Informationen über den Aufwand für die Umsetzung bei den Kantonen und den Gemeinden und über die räumlichen Auswirkungen (auf die urbanen Gebiete und die Berggebiete) einzuholen,

­

die Angaben über die raumrelevanten Auswirkungen in Botschaften des Bundesrates sowie in Anträgen an den Bundesrat zu verbessern,

­

die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben zu verbessern und

­

statistische Lücken aus regionalpolitischer Sicht zu füllen.

Der Bundesrat wird die von diesen Massnahmen hauptsächlich betroffenen Departemente beauftragen, die entsprechenden Verbesserungen vorzubereiten.

3911

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Abkürzungen AggloPol

Agglomerationspolitik des Bundes 2016+

ARE

Bundesamt für Raumentwicklung

BFS

Bundesamt für Statistik

BJ

Bundesamt für Justiz

BV

Bundesverfassung (SR 101)

KdK

Konferenz der Kantonsregierungen

KoVo

Verordnung vom 22. Oktober 1997 über die raumordnungspolitische Koordination der Bundesaufgaben (SR 709.17)

NFA

Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen

ParlG

Parlamentsgesetz vom 13. Dezember 2002 (SR 171.10)

P-LRB

Politik des Bundes für die ländlichen Räume und Berggebiete

RVOG

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (SR 172.010)

SAB

Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete

SECO

Staatssekretariat für Wirtschaft

SGV

Schweizerischer Gemeindeverband

SR

Systematische Sammlung des Bundesrechts

SSV

Schweizerischer Städteverband

TAK

Tripartite Agglomerationskonferenz

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