Verhalten der Bundesbehörden in der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats vom 3. Dezember 2010

2010-3382

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Das Wichtigste in Kürze Ziel des vorliegenden Berichts ist es, das Verhalten der Bundesbehörden in der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Oberaufsicht zu analysieren.

Dabei umfasst der Untersuchungsauftrag der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) die folgenden drei Hauptthemen: 1.

Führung durch den Bundesrat und Informationsfluss innerhalb des Kollegiums im Zusammenhang mit der Reise des damaligen Bundespräsidenten vom 20. August 2009 nach Libyen und der Unterzeichnung des Abkommens am gleichen Tag;

2.

Führung durch den Bundesrat und Informationsfluss innerhalb des Kollegiums im Zusammenhang mit der Planung von Exfiltrationsoperationen;

3.

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf.

Zu diesem Zweck hat die GPK-S die relevanten Dokumente analysiert und die massgeblich beteiligten Personen angehört. Ausserdem hat die GPK-S in diesem Dossier eng mit der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) zusammengearbeitet.

Nach einer kurzen Einleitung (Kap. 1), folgt die Struktur des Berichts den wichtigsten Zeitabschnitten: Kapitel 2 befasst sich mit dem Zeitraum von Mitte Juli 2008 bis Juni 2009, Kapitel 3 mit den Ereignissen von Juni 2009 bis Ende August 2009 und Kapitel 4 mit der Periode von Ende August 2009 bis zum 13. Juni 2010. Die Planung von Exfiltrationsoperationen werden in einem separaten Kapitel (Kap. 5) behandelt. Die Schlussfolgerungen der GPK-S werden in Kapitel 6 dargelegt.

Die vorliegende Zusammenfassung folgt im Wesentlichen der Struktur des Berichts.

Sie hat zum Ziel, die wichtigsten Schlussfolgerungen der GPK-S in einer Synthese darzulegen. Diese Zusammenfassung vermag jedoch nicht, die Lektüre des Berichts zu ersetzen.

Die wichtigsten Schlussfolgerungen sind die folgenden: Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf von Juli 2008 bis Juni 2009: ­

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Am 14. Juli 2008 ­ d.h. einen Tag vor der Festnahme eines Sohnes des libyschen Revolutionsführers und seiner Ehefrau (hiernach: Ehepaar G.) durch die Genfer Polizei ­ nimmt das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Genf («Département des institutions») Kontakt auf mit der ständigen Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in Genf (hiernach: Schweizer Mission), um Informationen über den Status des Ehepaars G. zu erhalten. Die Schweizer Mission nimmt ihrerseits Kontakt auf mit den zuständigen Personen der Direktion für Völkerrecht des EDA (DV), um diesen Status zu klären. Die zuständigen Personen der DV kommen zum Schluss, dass das Ehepaar G.

keine diplomatische Immunität geniesst. Da sie sich der möglichen politischen Auswirkungen, die eine Intervention der Genfer Polizei auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen haben könnte bewusst sind, beschliessen sie jedoch, keine Standardantwort zu geben, sondern ihrer Antwort an die Genfer Behörden eine Anmerkung beizufügen, um sie auf diese möglichen Auswirkungen aufmerksam zu machen. Zuvor konsultieren sie den stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit), welcher mit der vorgeschlagenen Antwort einverstanden ist. Er erachtet es jedoch nicht als notwendig, die Vorsteherin des EDA zu informieren.

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Aus Sicht der GPK-S war die Antwort des EDA an das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Genf via Schweizer Mission in der vorliegenden Form nicht adäquat, obwohl sie aus einer rein formaljuristischen Betrachtung bezüglich der Frage der diplomatischen Immunität durchaus richtig war. Tatsächlich hätte die Problematik sowohl seitens des Bundes wie auch seitens des Kantons Genf auch auf die politische Ebene gehoben werden müssen. Inskünftig ist innerhalb des EDA zu gewährleisten, dass in derartigen oder ähnlichen Konstellationen die Departementsvorsteherin oder der Departementsvorsteher als politisch Verantwortliche(r) rechtzeitig informiert wird. Es obliegt in erster Linie der Departementsvorsteherin oder dem Departementsvorsteher des EDA, die nötigen politischen Überlegungen anzustellen und gegebenenfalls eine politische Diskussion mit den politischen Behörden des betroffenen Kantons zu führen. Diese Aufgabe kann aufgrund ihrer politischen Natur weder an die Dienststellen der Direktion für Völkerrecht, welche mit der Beantwortung juristischer Fragen betraut sind, noch an die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Politischen Direktion abschliessend delegiert werden.

Empfehlung 1: Information der Vorsteherin des EDA Die GPK-S fordert das EDA auf, bei schwierigen Konstellationen im Zusammenhang mit Fragen der diplomatischen Immunität Richtlinien zu erlassen, welche festlegen in welcher Situation die Vorsteherin oder der Vorsteher des EDA zu welchem Zeitpunkt und durch wen zwingend informiert und/oder konsultiert werden muss, damit sie/er ihre/seine politische Verantwortung wahrnehmen kann.

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Während der ersten Phase der diplomatischen Krise (Juli 2008 bis Juni 2009) finden zahlreiche Kontakte zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden statt; diese sind jedoch informeller Natur.

Information und Führung durch den Bundesrat zwischen Juli 2008 und Juni 2009: ­

Während der ersten Zeitspanne der Krise wird der Bundesrat hauptsächlich mittels Informationsnotizen und mündliche Informationen seitens der Vorsteherin des EDA über die Entwicklungen in dieser Angelegenheit orientiert.

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Der Bundesrat führt vor dem 17. Juni 2009 keine vertiefte Diskussion über dieses Dossier und fällt auch keinen formellen Beschluss. Daraus ergibt sich, dass während dieser ersten Phase die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen ausschliesslich auf der Ebene des EDA und nicht des Bundesrates gehandhabt wurde. Angesichts der Bedeutung und des Ausmasses dieser bilateralen Krise hätte die Führung dieses Geschäfts und insbesondere die Festlegung der einzuschlagenden Strategie nach Ansicht der GPK-S jedoch durch den Gesamtbundesrat als Kollegium erfolgen müssen.

Empfehlung 2: Festlegung der Strategie durch den Bundesrat bei grösseren aussenpolitischen Krisen Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, inskünftig bei grösseren aussenpolitischen Krisen als Kollegium die Strategie (Ziele, Mittel und wenn möglich Zeitplan) festzulegen.

An den Bundesrat übermittelte Informationen und Führung des Bundesrats während dem Sommer 2009: ­

An seiner Sitzung vom 17. Juni 2009 erteilte der Bundesrat dem damaligen Bundespräsidenten (hiernach: Bundespräsident 2009) keinen formellen Auftrag. Ausserdem ist im Beschluss des Bundesrats vom 17. Juni 2009 nichts über die Erteilung eines solchen Mandats zu finden.

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Für die GPK-S ist die Frage, ob der Bundesrat dem Bundespräsidenten 2009 einen Auftrag, keinen Auftrag oder, um es mit den Worten des Bundesrates auszudrücken, bloss einen «formlosen Auftrag» erteilt hat, sekundär.

Wichtig ist die Feststellung, dass der Bundesrat den Inhalt und die Grenzen eines allfälligen Auftrags an den Bundespräsidenten 2009 nicht genau definiert hat.

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So hätte sich der Bundesrat zumindest zum Umfang und zu den Grenzen der übertragenen Kompetenzen äussern müssen, ebenso wie zur Aufteilung der Kompetenzen und zu den Modalitäten der Zusammenarbeit mit dem bis dahin für das Dossier zuständigen Departement ­ in diesem Falle also das EDA ­ respektive zur Art der Unterstützung durch dieses Departement. Insbesondere hätte im Auftrag explizit erwähnt sein müssen, dass der Bundespräsident 2009 im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Abkommen mit Libyen unterzeichnen kann, ohne den Gesamtbundesrat vorher zu konsultieren, falls dies dem Willen des Bundesrats entsprochen hätte.

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An der Sitzung vom 19. August 2009 hat der Bundespräsident 2009 den Bundesrat nicht über seine feste Absicht orientiert, ein Abkommen mit Libyen abzuschliessen und zu unterzeichnen. Aus diesem Grund konnte sich der Bundesrat weder zum Inhalt des Abkommens gemäss Stand vom 19. August 2009 noch zur Frage äussern, ob es zweckmässig wäre, den

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damaligen Bundespräsidenten zu ermächtigen, gegebenenfalls ein solches Abkommen zu unterzeichnen.

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Für die GPK-S ist es inakzeptabel, dass der Bundespräsident 2009 den Bundesrat am Abend des 19. August 2009 nicht über seinen Entscheid informierte, am folgenden Tag dennoch nach Libyen zu reisen, obwohl er am gleichen Tag an der Sitzung des Bundesrats gesagt hatte, er werde nicht reisen.

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Nach Ansicht der GPK-S hat der Bundespräsident 2009 durch die Unterzeichnung eines Abkommens ohne Ermächtigung des Gesamtbundesrats seine Kompetenzen klar überschritten.

Zusammenarbeit zwischen dem damaligen Bundespräsidenten und dem EDA während dem Sommer 2009: ­

Im Laufe des Sommers 2009 ergaben sich einige schwerwiegende Probleme in der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem EDA ­ und umgekehrt.

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Die GPK-S ist der Auffassung, dass der Bundespräsident 2009 unnötigerweise ein erhebliches politisches Risiko eingegangen ist, als er nach Tripolis reiste, ohne einen von der Direktion für Völkerrecht bzw. der Vorsteherin des EDA validierten Text im Gepäck zu haben.

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Ausserdem hat die Weigerung der Vorsteherin des EDA, dem Bundespräsidenten 2009 den stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) als Begleitperson zuzuweisen, dem Aufbau einer von Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung geprägten Zusammenarbeit zwischen den beiden Bundesräten und ihren jeweiligen Departementen unnötig geschadet.

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Weiter stellt die GPK-S fest, dass im Hinblick auf die Reise vom 20. August 2009 die Frage, wer die Vorsteherin des EDA zu welchem Zeitpunkt über welche Entwicklungen zu informieren hatte, vorgängig nicht geregelt wurde.

Dies führte faktisch dazu, dass die Vorsteherin des EDA vor der Unterzeichnung des Abkommens von niemandem auf dem Laufenden gehalten wurde.

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Am 21. August 2009 gibt der Bundespräsident 2009 eine Medienkonferenz in Bern. Nach deren Abschluss haben einige Medien berichtet, dass Journalisten während dieser Konferenz SMS vom EDA erhalten hätten. Darin sei präzisiert worden, dass die Direktion für Völkerrecht vor der Unterzeichnung des Abkommens nicht konsultiert worden sei.

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Bezüglich dieser SMS ist die GPK-S der Ansicht, dass es entgegen dem, was der Bundespräsident 2009 an seiner Medienkonferenz vom 21. August 2009 mehr oder weniger explizit darlegte, zwar zutrifft, dass die Direktion für Völkerrecht nicht zum definitiven Abkommensentwurf konsultiert wurde.

Dennoch hält sie es für inakzeptabel, dass solche SMS während der laufenden Medienkonferenz an einige Journalisten verschickt wurden.

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Die GPK-S erwartet von allen Departementen, dass sie sich vor Medienkonferenzen untereinander über deren Inhalt absprechen, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden.

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Obwohl die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen zwar in mancher Hinsicht einen Sonderfall darstellt, ist die GPK-S der Ansicht, dass die Grundsatzfrage der Rolle des Bundespräsidiums im Bereich der Aussenpolitik bzw. der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidium und dem EDA bzw. einem anderen federführenden Departement in Zukunft jedoch immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Es gilt daher sicherzustellen, dass das Bundespräsidium eine angemessene und ausreichende Unterstützung seitens des EDA bzw. des federführenden Departements erhält.

Empfehlung 3: Übertragung eines Mandates an die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, bei der Übertragung eines Mandates an die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten aus einem Bereich, der bis dahin in der Zuständigkeit eines anderen Departements lag, folgende drei Punkte zu definieren: ­

die Aufteilung der Kompetenzen,

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die Modalitäten der Zusammenarbeit und

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die Verstärkung der Unterstützung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten durch die Bezeichnung der zugewiesenen Personen und die Festlegung des Inhalts und der Dauer ihres Mandats.

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Bundes und des Kantons Genf während dem Sommer 2009: ­

Ab der Übernahme des Dossiers durch den Bundespräsidenten 2009 finden keine Kontakte zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf mehr statt. Die Behörden des Kantons Genf wurden demnach nicht zum definitiven Text konsultiert, der am 20. August 2009 unterzeichnet wurde.

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Die GPK-S hat Kenntnis von zwei Rechtsgutachten genommen, die zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen in Bezug auf die Frage, ob die Mitwirkungsrechte des Kantons Genf im Sinne von Artikel 55 der Bundesverfassung bei der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 verletzt wurden.

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Es steht der GPK-S an dieser Stelle nicht zu, sich für die eine oder die andere der verschiedenen juristischen Interpretationen auszusprechen. Die GPK-S stellt fest, dass die Differenzen mit der Grundfrage der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Kantonen und der Eidgenossenschaft zusammenhängen.

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Angesichts der Tatsache, dass Entscheidungen, die auf internationaler Ebene getroffen werden, einen immer grösseren Einfluss auf die Innenpolitik der Schweiz haben, muss diese Thematik eingehender geprüft werden, um abzuklären, ob es notwendig ist, die Modalitäten der Zusammenarbeit und/oder die bestehenden gesetzlichen Grundlagen zu präzisieren.

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Insbesondere die Frage, in welcher Situation es für den Bund möglich ist, vom allgemeinen Grundsatz der Konsultation der Kantone abzuweichen, um seine Handlungsfähigkeit zu wahren, sowie die materiellen Grenzen der Vertragskompetenz des Bundes im Bereich der Aussenpolitik bedürfen einer eingehenderen Prüfung.

Empfehlung 4: Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes: Prüfung der Differenzen zwischen den Rechtsgutachten Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, in enger Zusammenarbeit mit der Konferenz der Kantonsregierungen die Differenzen zwischen den vorliegenden Rechtsgutachten zu prüfen und einen Bericht zuhanden der APK auszuarbeiten. Dieser Bericht soll insbesondere abklären, ob die bestehenden Gesetzesgrundlagen zu präzisieren sind, und gegebenenfalls die notwendigen Änderungen vorschlagen.

Der Handlungsfähigkeit des Bundes in ausserordentlichen Situationen muss Rechnung getragen werden.

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden von Ende August 2009 bis Juni 2010: ­

Zwischen Ende 2009 und dem 13. Juni 2010 finden erneut informelle Kontakte zwischen dem EDA und den Genfer Behörden statt.

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Was die Häufigkeit und den genauen Inhalt dieser Kontakte anbelangt, gehen die Angaben des EDA und der Genfer Behörden allerdings weit auseinander.

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Die Differenzen betreffen im Wesentlichen die Frage, ob die Genfer Behörden über den Inhalt der Verhandlungen und insbesondere über die beiden sie betreffenden Punkte des Aktionsplans vom 14. Mai 2010 informiert waren. Konkret geht es dabei zum einen um die Wiedereinsetzung des Abkommens vom 20. August 2009 und zum andern um die Entschuldigung für die Veröffentlichung der Fotos des Sohnes des Revolutionsführers anlässlich seiner Festnahme sowie um die Ausrichtung einer finanziellen Entschädigung für den Fall, dass es im Rahmen der Strafuntersuchung nicht gelingen sollte, die für die Verletzung des Amtsgeheimnisses verantwortliche Person zu eruieren.

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Die GPK-S hält fest, dass die gegenwärtige Situation, in der die Erklärungen der einen Seite denen der anderen Seite widersprechen, nicht zufriedenstellend ist. Dies zeigt klar auf, dass die Bundesbehörden und die Genfer Behörden, da sie keine klaren Kommunikationskanäle zu Beginn der Krise

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definiert hatten, demzufolge auch nicht über solche verfügten, als es jeweils nötig gewesen wäre.

Empfehlung 5: Vereinbarung zu den Modalitäten der Zusammenarbeit im Krisenfall Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, zusammen mit den Behörden des Kantons Genf zu prüfen, ob es zweckmässig sei, die Modalitäten der Zusammenarbeit, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung sowie die zuständigen Ansprechpartner (Personen oder Organe) im Falle einer Krise in einer Vereinbarung zu definieren. Die Rückverfolgbarkeit der übermittelten Informationen sollte ebenfalls Gegenstand einer solchen Vereinbarung sein.

Information und Führung durch den Bundesrat zwischen Ende August 2009 und Juni 2010: ­

Aus den Unterlagen des Bundesrats und den Erklärungen der verschiedenen angehörten Personen geht hervor, dass der Bundesrat nach der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 vermehrt in dieses Dossier involviert war.

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Es sind aber auch erhebliche Probleme festzustellen, was den Umfang der Informationen betrifft, die dem Bundesrat als Kollegium übermittelt wurden.

Aus den Protokollen des Bundesrats geht nämlich hervor, dass sich einige Mitglieder darüber beklagten, lückenhaft informiert worden zu sein. Zudem seien vom Bundesrat beschlossene Korrekturen von den betroffenen Departementen nicht umgesetzt worden, so beispielsweise bei den Chronologien zuhanden der parlamentarischen Kommissionen.

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Die Kommission stellt fest, dass sich ab Ende August 2009 ein Klima des Misstrauens innerhalb des Gesamtbundesrates breitmachte. Die GPK-S bedauert diese Situation, die zumindest teilweise darauf zurückzuführen ist, dass die Übertragung des Dossiers an den Bundespräsidenten 2009 am 17. Juni 2009 vom Bundesrat nicht formgerecht vorgenommen wurde.

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Trotz der festgestellten Mängel möchte die GPK-S betonen, dass es während dieser Periode auch positive Aspekte in Bezug auf die Führung des Bundesrats zu erwähnen gibt. So hat der Bundesrat vertiefte Diskussionen geführt und Entscheide über die zu verfolgende Strategie getroffen. Die Umsetzung von restriktiven Massnahmen im Visa-Bereich hat eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Mitgliedern des Bundesrats vorausgesetzt; diese Zusammenarbeit scheint gut funktioniert zu haben.

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Empfehlung 6: Unabdingbare Voraussetzungen für eine effektive Führung durch den Bundesrat bei wichtigen Geschäften Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass in Zukunft die drei folgenden unabdingbaren Voraussetzungen erfüllt sind, damit er bei wichtigen Geschäften eine effektive Führung als Kollegium wahrnehmen kann: ­

korrekte und ausreichende Information durch das oder die betroffene(n) Departement(e);

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formelle Beschlüsse zu Fragen wie etwa zur vollständigen oder teilweisen Übertragung eines Dossiers, zum Inhalt eines Mandats sowie dessen Dauer;

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formelle Beschlüsse zur Kompetenzverteilung und zu den Modalitäten der Zusammenarbeit, wenn mehrere Departemente in die Handhabung eines Dossiers involviert sind.

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Während dem gesamten Untersuchungszeitraum (Juli 2008 bis Juni 2010) hat weder der Ausschuss des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten noch der Sicherheitsausschuss des Bundesrats dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Der Ausschuss des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten führte in dieser Periode zudem keine einzige Sitzung durch.

Empfehlung 7: Ausschuss des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, anlässlich der für Anfang 2011 geplanten Überprüfung der bundesrätlichen Ausschüsse den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten beizubehalten, seine Zusammensetzung und sein Mandat klar zu definieren.

Organisation des Krisenmanagements zwischen Ende August 2009 und Juni 2010: ­

Die departementsübergreifende «Taskforce LI-CH-T», die am 26. August 2009 eingesetzt und der Leitung des Staatssekretärs des EDA unterstellt wurde, umfasste Vertreterinnen und Vertreter von fünf Departementen (EDA, EFD, EVD, EJPD und VBS).

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Der Vorteil dieses Organs bestand darin, dass alle betroffenen Departemente darin vertreten waren und dass alle Papiere, die später dem Bundesrat vorgelegt wurden, von den Vertreterinnen und Vertretern dieser Departemente bereits vorgängig diskutiert worden waren.

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Ebenfalls positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass die «Taskforce LI-CH-T» ebenso wie die bereits zuvor bestehenden Arbeitsgruppen ihre Arbeiten anhand von Protokollen ihrer zahlreichen Sitzungen dokumentierte.

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Gewisse Fragen wurden im Rahmen des vorliegenden Berichts nicht eingehender geklärt, so insbesondere Fragen zu den Informationsflüssen zwischen den Mitgliedern der «Taskforce LI-CH-T» und den Vorsteherinnen und Vorstehern ihrer jeweiligen Departemente. Gemäss den der GPK-S zur Verfügung stehenden Informationen war den Mitgliedern der «Taskforce LI-CH-T» offensichtlich nicht immer klar, dass es ihnen oblag, ihre jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher über die laufenden Arbeiten zu informieren und/oder ihnen wichtige Informationen weiterzuleiten, über die sie manchmal noch vor dem Bundesrat verfügten (z.B. was die Entführung der beiden Schweizer Mitte September 2009 anbelangt).

Empfehlung 8: Informationsflüsse zwischen den Mitgliedern eines departementsübergreifenden Krisenorgans und ihren jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die notwendigen Massnahmen zu treffen, damit in Zukunft bei allen departementsübergreifenden Krisenorganen die Informationsflüsse zwischen ihren Mitgliedern und deren jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern von Anfang an geregelt sind.

Planung der Exfiltration der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger: ­

Für ihre Sitzung vom 31. März 2009 hatte die GPDel die zuständigen Stellen im VBS und EDA gebeten, sie über die Unterstützung des VBS zugunsten des Krisenmanagements des EDA in der anhaltenden bilateralen Krise zwischen Libyen und der Schweiz zu orientieren. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die GPDel erstmals von Planungen und Vorbereitungen für eine Exfiltration der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger.

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Wegen der Sensitivität des Geschäfts und der damals nach wie vor ungelösten Krise zwischen der Schweiz und Libyen beschloss die GPDel, ihre Abklärungen unter strengster Geheimhaltung vorzunehmen und sich vor allem auf die Führung durch den Bundesrat zu konzentrieren.

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Zum Sachverhalt stellt die GPDel fest, dass die Vorsteherin des EDA zwar um die Bemühungen ihres Departements um eine Exfiltration wusste, es aber nicht für notwendig erachtete, sich mit den Einzelheiten zu befassen.

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Als im Spätherbst 2008 die Schweizer Armee Angehörige des ArmeeAufklärungs-Detachements 10 (AAD-10) zur Unterstützung des EDA zur Verfügung stellte, erfolgte dies im Einvernehmen mit dem damaligen Vorsteher des VBS. Bei der Stabsübergabe Ende 2008 hat der vormalige Vorsteher des VBS keine Notwendigkeit erkannt, seinen Nachfolger über die kurz zuvor erfolgte Unterstützung der Armee zugunsten des EDA zu informieren, da nach seinem Informationsstand die von ihm genehmigten Aktivitäten wieder eingestellt worden waren.

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Der neue Vorsteher des VBS erfuhr seinerseits im Januar 2009 vom damaligen Generalsekretär des VBS, dass dieser vom vormaligen Departementsvorsteher von einer Operation erfahren hatte, welche aber abgebrochen worden war. Als im weiteren Verlauf des Jahres 2009 die letzte Operation durch den Chef der Armee genehmigt wurde, besprach dieser vorgängig die Angelegenheit mit dem Vorsteher des VBS.

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Weder die Vorsteherin des federführenden EDA noch die beiden Vorsteher des VBS erachteten es damals als notwendig, das Bundesratskollegium ­ und vorgängig den Sicherheitsausschuss des Bundesrates (SiA) ­ über die Aktivitäten ihrer Departemente im Hinblick auf eine Exfiltration der beiden Schweizer Bürger zu informieren. Der Bundesrat fällte somit nie einen Grundsatzentscheid für eine Planung oder sogar für eine allfällige Durchführung einer Exfiltration.

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Was die Information der übrigen Mitglieder des Bundesrats anbelangt, wurde der Bundespräsident 2008 von einem Vertreter des EDA in sehr groben Zügen informiert, dass eine Exfiltration geplant war. Der Bundespräsident 2009 hatte seinerseits zumindest andeutungsweise vom Bundespräsidenten 2008 erfahren, dass das EDA mit Unterstützung des VBS eine Exfiltration der beiden Schweizer Bürger vorbereiten würde. Von einer Unterstützung des EDA durch die Armee hatte der zukünftige Bundespräsident 2009 hingegen nichts erfahren.

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Für die GPDel steht weniger die Frage des genauen Informationsstandes des Bundespräsidenten 2009 im Vordergrund, als die Frage des Einbezugs des Bundesrates als Kollegium. Artikel 177 der Bundesverfassung, welcher das Kollegial- und Departementalprinzip regelt, sieht nämlich nicht vor, dass der Bundespräsident bloss mit einzelnen Mitgliedern des Bundesrats die Führung und die Verantwortung für ein bestimmtes Geschäft übernehmen kann, ohne dass ein entsprechender vorgängiger Beschluss des Bundesrats vorliegt. Was den Bundespräsidenten 2009 und die Bundespräsidentin 2010 anbelangt, liegt es auf der Hand, dass sie in einer derart heiklen Angelegenheit stets auf dem aktuellsten Informationsstand hätten sein müssen, um auf bilateraler und internationaler Ebene ihrer Rolle gerecht werden zu können.

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Im Rahmen ihrer Untersuchung hat die GPDel keinen Anlass gehabt, an der grundsätzlichen Rechtmässigkeit eines Einsatzes des AAD-10 für die Durchführung einer Exfiltration der in Libyen zurückgehaltenen Schweizer zu zweifeln. Die GPDel ist der Auffassung, dass sich ein moderner Rechtsstaat die notwendigen Mittel geben muss, um derartige Optionen vorzubereiten und sie gegebenenfalls mit der Hilfe anderer Staaten durchführen zu können.

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Die GPDel ist jedoch zum Schluss gelangt, dass das EDA und das VBS den Bundesrat nicht so in die Vorbereitung der Operationen einbezogen haben, wie es die Verordnung vom 3. Mai 2006 über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland (VSPA) vorschreibt. Ungeachtet dessen ist die GPDel jedoch davon überzeugt, dass es ­ angesichts der

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aussenpolitischen Risiken, welche mit derartigen Operationen verbunden sind ­ unabdingbar ist, dass der Bundesrat als oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes (Art. 174 BV) seine Führungsaufgabe rechtzeitig wahrnimmt.

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Das Vorgehen der beiden Departemente EDA und VBS hat diesem Erfordernis nicht genügt. Es wäre in erster Linie Sache der Vorsteherin des EDA gewesen, ein entsprechendes Gesuch unter Einbezug des VBS an den Bundesrat zu richten.

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Die ohne Auftrag des Bundesrats durch das EDA in die Wege geleiteten Exfiltrationsoperationen überstiegen die Kompetenzen, welche die Verordnung dem federführenden Departement zugesteht.

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Im Hinblick auf künftige, unter den Anwendungsbereich der VSPA fallende Operationen stellt die GPDel fest, dass sich diese mit Aktivitäten zur nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung überschneiden können. Derartige Operationen unterliegen anderen rechtlichen Vorgaben und bedürfen auch keiner Genehmigung durch den Bundesrat.

Empfehlung 9: Abgrenzung zwischen Einsätzen nach der VSPA und den Zuständigkeiten des militärischen sowie des zivilen Nachrichtendienstes Die GPDel empfiehlt dem Bundesrat, aufgrund einer Auslegeordnung gegebenenfalls die Abgrenzung zwischen Einsätzen nach der VSPA und den Zuständigkeiten des militärischen sowie des zivilen Nachrichtendienstes vorzunehmen und im Bedarfsfall die Rechtsgrundlagen zu klären.

Empfehlung 10:

Überprüfung des Einbezugs und der Rolle des Bundesrats, so wie in der VSPA definiert

Ebenfalls prüfen sollte der Bundesrat, ob sein Einbezug und seine Rolle, wie sie heute in der VSPA definiert sind, auch tatsächlich zweckmässig geregelt sind. Es stellt sich die Frage, ob es nicht auch Sache des Bundesrats wäre, über die Auslösung wie die Beendigung des Einsatzes zu befinden.

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Im Weiteren hätten das EDA und das VBS ­ vorgängig zu einer Befassung durch den Bundesrat ­ den SiA in ihre Arbeiten miteinbeziehen müssen.

Aufgrund der zeitlichen Verhältnisse wäre dies ohne weiteres möglich gewesen.

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Der SiA ist der einzige ständige Ausschuss des Bundesrates, welcher über eine eigene gesetzliche Grundlage und über eine klar definierte Aufgabe verfügt. Es ist nicht das erste Mal, dass die GPDel feststellt, dass der SiA bei departementsübergreifenden und sicherheitspolitisch relevanten Geschäften aus den SiA-Departementen von diesen übergangen wird. Dieses Vorgehen

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wirft grundlegende Fragen über das Funktionieren, aber auch über Sinn und Zweck dieses Organs auf.

Empfehlung 11:

Überprüfung der Rolle, der Bedeutung und der Aufgabe des SiA

Die GPDel empfiehlt dem Bundesrat, die Rolle, die Bedeutung und die Aufgabe des SiA grundsätzlich zu überdenken und dieses Organ entweder entsprechend zu stärken oder aber, es einem neuen Zweck zuzuführen.

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Die GPDel muss zudem feststellen, dass der Bundesrat nicht in der Lage war, die notwendige Geheimhaltung zu gewährleisten. So zeigte sich die GPDel am 21. Juni 2010 anlässlich ihrer Aussprache mit dem Bundesrat darüber erschüttert, dass am Freitag zuvor besonders heikle Informationen über die Exfiltrationsbemühungen an die Öffentlichkeit gelangt waren. Diese Informationen dürften wegen ihrer Natur nur aus dem engeren involvierten Umfeld der betroffenen Departemente stammen.

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Auch innerhalb des EDA bestand im höheren und mittleren Kader kein hinreichendes Bewusstsein für die Sensitivität gewisser Informationen, wie dies gewisse Vorfälle gezeigt haben.

Empfehlung 12:

Massnahmen zur Gewährleistung der Geheimhaltung auf höchster Stufe innerhalb der Bundesverwaltung

Der Bundesrat wird aufgefordert, in seinem Kompetenzbereich die nötigen Massnahmen zu treffen, um inskünftig die Geheimhaltung auch auf höchster Stufe innerhalb der Bundesverwaltung gewährleisten zu können. Dabei ist auch den technischen Aspekten der den Mitarbeitenden abgegebenen Geräte eine gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

Einsatz des Verteidigungsattachés (VA) Kairo während der Krise mit Libyen: ­

Die GPDel anerkennt, dass das Kontaktnetz eines VA vor Ort im Fall einer Krise der Schweiz zusätzliche Handlungsoptionen eröffnen kann. So mag es im Rahmen einer Verhandlungsstrategie zweckmässig sein, über die nachrichtendienstlichen Kanäle einen Dialog zu führen, um die offiziellen Verhandlungen positiv zu beeinflussen. Ein solches Vorgehen kann aber nur Erfolg haben, wenn es in die gesamte Verhandlungsstrategie eingebettet ist und ­ im vorliegenden Fall seitens des EDA oder zwischenzeitig des EFD ­ ein konkreter Auftrag dafür vorgelegen hätte. Diese Voraussetzungen waren jedoch nicht erfüllt.

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Empfehlung 13:

Richtlinien über den Einbezug und die Führung der VA im Falle von aussenpolitischen Krisen

Dem Bundesrat wird empfohlen, den Einbezug und die Führung der VA im Falle von aussenpolitischen Krisen klar zu regeln.

Beurteilung der Mediation durch einen tunesischen Geschäftsmann in der Präsidialphase: ­

Die GPDel hat die Mediation durch einen tunesischen Geschäftsmann in der Präsidialphase ebenfalls untersucht. Sie hat dabei festgestellt, dass der Bundespräsident 2009 den Bundesrat im Vorfeld seiner Reise nach Libyen nicht über den Beizug eines tunesischen Geschäftsmanns als Mediator informiert hat. Zudem wurden weder die Eignung des Mediators vorgängig geprüft noch die Modalitäten des Einsatzes formell geregelt. Insbesondere wurden keine Bundesstellen einbezogen, welche in der Lage gewesen wären, über allfällige sicherheitsrelevante Aspekte eine Beurteilung abzugeben (NDB, EJPD, EDA). Weitere Einzelheiten werden aus Gründen der Sicherheit und übergeordneten Staatsinteressen nicht bekannt gegeben. Die GPDel hat aber ihre vollständige Beurteilung dem Bundesrat unterbreitet und eine Empfehlung abgegeben. Diese Empfehlung ist eng an den Einzelfall angelegt.

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Die untenstehende Empfehlung wurde verallgemeinert.

Empfehlung 14:

Regelung der Mediation durch Private

Der Bundesrat wird aufgefordert, den Beizug von privaten Mediatoren in aussenpolitischen Krisen klar zu regeln.

Nach Abschluss ihrer Arbeiten kommt die GPK-S zum Schluss, dass die beiden grössten Schwachpunkte beim Umgang der Bundesbehörden mit dieser Krise die nicht funktionierenden Informationsflüsse innerhalb des Bundesrates sowie Kompetenzüberschreitungen in dem Sinne, dass Entscheide, die in die Kompetenz des Gesamtbundesrates gehören, nicht von diesem getroffen wurden, waren.

Schliesslich weist die GPK-S darauf hin, dass sich der vorliegende Bericht zwar auf die grössten Schwachpunkte des Systems in der Berichtsperiode konzentriert, die Kommission sich aber durchaus bewusst ist, wie überaus anspruchsvoll die Handhabung der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen für die Bundesbehörden war. Trotz der in diesem Bericht geäusserten Kritikpunkte, möchte die GPK-S auch unterstreichen, dass sowohl die Vorsteherin des EDA als auch der Bundespräsident 2009 sehr stark in diesem Dossier engagiert waren und viel Energie und Arbeit investiert haben, um den beiden Schweizern eine Ausreise aus Libyen zu ermöglichen.

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Inhaltsverzeichnis Das Wichtigste in Kürze

4216

Abkürzungsverzeichnis

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1 Einleitung 1.1 Ausgangslage 1.2 Gesetzlicher Auftrag der Geschäftsprüfungskommissionen und Gegenstand der Untersuchung 1.3 Grenzen der Untersuchung 1.4 Vorgehen 1.5 Struktur des Berichts 1.6 Ziel des Berichtes

4232 4232 4233 4234 4235 4237 4237

2 Phase I: Mitte Juli 2008 bis Juni 2009 2.1 Zusammenfassung des Sachverhalts 2.2 Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S 2.2.1 Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf 2.2.2 Information und Führung durch den Bundesrat 2.2.3 Führung und Organisation des Krisenmanagements durch das EDA 2.2.4 Umstände der frühzeitigen Pensionierung des Botschafters der Schweiz in Libyen

4237 4237 4250

3 Phase II: von Juni 2009 bis Ende August 2009 3.1 Zusammenfassung des Sachverhalts 3.2 Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S 3.2.1 An den Bundesrat übermittelte Informationen und Führung des Bundesrats 3.2.2 Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten und dem EDA 3.2.3 Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Bundes und des Kantons Genf

4257 4257 4276

4 Phase III: Vom 26. August 2009 bis 13. Juni 2010 4.1 Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S 4.1.1 Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden 4.1.2 Information und Führung durch den Bundesrat 4.1.3 Organisation des Krisenmanagements

4288 4288

5 Planung der Exfiltration der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger 5.1 Oberaufsicht im Zuständigkeitsbereich der GPDel 5.2 Aufarbeitung der Empfehlungen der GPDel durch den Bundesrat

4250 4254 4255 4256

4276 4278 4281

4288 4292 4295 4296 4296 4298

4229

5.3 Abklärungen der GPDel im Auftrag der GPK-S 5.3.1 Kenntnisstand des Bundesrats und seiner Mitglieder 5.3.2 Rechtliche Fragen 5.4 Beurteilung der GPDel 5.5 Weitere Abklärungen der GPDel für die GPK-S 5.5.1 Einsatz des Verteidigungsattachés Kairo während der Krise mit Libyen 5.5.2 Beurteilung 5.5.3 Beurteilung der Mediation durch einen tunesischen Geschäftsmann in der Präsidialphase

4299 4299 4300 4303 4306 4306 4307 4309

6 Schlussfolgerungen

4309

7 Weiteres Vorgehen

4310

Anhänge: 1 Liste der angehörten Personen 2 Minutes of Meeting Between the Great Socialist Libyan Arab Jamahiriya And The Swiss Confederation, 15.8.2008 (Text auf Englisch) 3 Memorandum of Understanding To Establish an Independent Joint Ad-Hoc Committee to Investigate the Complaints of Libyan Side, 15.8.2008 (Text auf Englisch) 4 Agreement between The Great Socialist People's Libyan Arab Jamahiriya And The Swiss Confederation, 20.8.2009 (Text auf Englisch) 5 Plan of Action, 14.5.2010 (Text auf Englisch) 6 Statement, 13.6.2010 (Text auf Englisch) 7 Erste Würdigung der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20. August 2009 aus bundesstaatsrechtlicher und föderalistischer Sicht unter der Leitung von Prof. B. Waldmann, September 2009 8 Gemeinsames Gutachten der Direktion für Völkerrecht und des Bundesamtes für Justiz zur Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20. August 2009, 16.10.2009 9 Organisation des Krisenmanagements: kurze Beschreibung der verschiedenen interdepartementalen Organe

4230

4312 4314

4315

4316 4318 4320

4321

4351 4367

Abkürzungsverzeichnis AAD-10 APK BGMK BJ BV CdA DI DR DSPE DV EDA EDI EFD EJPD EVD FinDel GPDel GPK-N GPK-S KdK MoU NDB PA II PA VI ParlG RVOG SECO SiA SND StGB UNO VA VAE VBS VSPA

Armee-Aufklärungs-Detachement 10 Aussenpolitische Kommissionen Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (SR 138.1) Bundesamt für Justiz Bundesverfassung (SR 101) Chef der Armee «Département des institutions» des Kantons Genf Direktion für Ressourcen Département de la sécurité, de la police et de l'environnement des Kantons Genf Direktion für Völkerrecht Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössisches Finanzdepartement Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement Finanzdelegation Geschäftsprüfungsdelegation Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats Geschäftsprüfungskommission des Ständerats Konferenz der Kantonsregierungen Memorandum of Understanding Nachrichtendienst des Bundes (seit dem 1.1.2010) Politische Abteilung II, Afrika, Mittlerer Osten Politische Abteilung VI, Schweizerinnen und Schweizer im Ausland Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, SR 171.10) Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (SR 172.010) Staatssekretariat für Wirtschaft Sicherheitsausschuss des Bundesrats Strategischer Nachrichtendienst Strafgesetzbuch (SR 311.0) Organisation der Vereinten Nationen Verteidigungsattaché Vereinigte Arabische Emirate Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Verordnung vom 3. Mai 2006 über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland (SR 513.76)

4231

Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Nach der Verhaftung eines Sohnes des libyschen Revolutionsführers und seiner Ehefrau durch die Genfer Polizei am 15. Juli 2008 entwickelte sich eine noch nie dagewesene diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen.

Zwei Schweizer Bürger wurden während 19 respektive 23 Monaten in Libyen zurückgehalten. Während 53 Tagen wurden sie getrennt voneinander an einem geheimen Ort festgehalten, ohne Kontaktmöglichkeit weder zu den Schweizer Behörden noch zu ihren Angehörigen.

Das Schicksal der beiden Schweizer Bürger löste im ganzen Land grosse Emotionen aus. Ihre Ausreise aus Libyen war während aller Verhandlungen mit den libyschen Behörden das Hauptziel der Schweizer Behörden.

Diese Krise, welche durch eine komplexe Interessenlage, durch die Intervention zahlreicher Akteure und durch fortlaufend neue Entwicklungen mit hohem Widerhall in den Medien charakterisiert war, führte sowohl im Parlament als auch in der Öffentlichkeit zu Fragen im Zusammenhang mit dem Krisenmanagement der Bundesbehörden.

Insbesondere zwei Ereignisse warfen die Frage auf, inwiefern der Bundesrat überhaupt fähig ist, als Kollegium zu arbeiten.

Dies betrifft zum einen das Abkommen, welches der damalige Bundespräsident am 20. August 2009 im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft unterzeichnet hat. Dieses Abkommen führte unmittelbar zu Diskussionen darüber, ob der Bundespräsident ein Mandat des Bundesrats zur Unterzeichnung eines Abkommens erhalten hatte. Zudem wurde auch die Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten und dem Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hinterfragt.

Zum anderen betrifft es die vom EDA unter Mitwirkung des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) erarbeiteten Operationsplanungen zur Exfiltration der beiden Schweizer Bürger. In einer Erklärung, welche die Bundespräsidentin im Namen des Bundesrates am 21. Juni 2010 vor den Medien abgab, wurde die Existenz solcher Pläne bestätigt. Diese Erklärung schlug in der Politik und der Medienlandschaft der Schweiz hohe Wellen und löste zahlreiche Fragen aus, insbesondere was den Zeitpunkt der Information und des Einbezugs des Gesamtbundesrats bzw. der einzelnen Mitglieder des Kollegiums in diese Planungen anbelangte.

Ab Mitte Juli 2008 bis zur Veröffentlichung des vorliegenden Berichts wurden auch die Aufteilung der
Kompetenzen und die Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf bei der Beilegung dieser diplomatischen Krise verschiedentlich hinterfragt.

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) beschloss am 13. Oktober 2009, die Bewältigung der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen zu untersuchen, und zwar zuerst mit Fokus auf das Krisenmanagement des EDA und danach mit Fokus auf das Krisenmanagement der Bundesbehörden insge4232

samt.1 Zu diesem Zeitpunkt wurden die beiden Schweizer Bürger noch an einem geheimen Ort festgehalten und niemand konnte voraussagen, wie sich die Situation entwickeln würde.

Da die GPK-S der Auffassung war, es bestehe ein öffentliches Interesse an einer möglichst raschen Abklärung der zentralen Fragen zur Funktionsweise des Bundesrats, beschloss sie am 25. August 2010, ihre Arbeiten auf die diesbezüglichen Fragen zu konzentrieren (siehe Kap. 1.2 unten) und Anfang Dezember 2010 einen entsprechenden Bericht zu veröffentlichen.

1.2

Gesetzlicher Auftrag der Geschäftsprüfungskommissionen und Gegenstand der Untersuchung

Die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) üben im Auftrag der eidgenössischen Räte die Oberaufsicht über die Geschäftsführung des Bundesrats und der Bundesverwaltung, der eidgenössischen Gerichte und der anderen Träger von Aufgaben des Bundes aus. Diese Zuständigkeit ist in Artikel 169 der Bundesverfassung (BV)2 sowie in Artikel 26 und 52 des Parlamentsgesetzes (ParlG)3 festgelegt. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe verfügen die GPK über weitgehende Informationsrechte (siehe Art. 153 ff ParlG). Gemäss Artikel 52 Absatz 2 ParlG legen sie den Schwerpunkt ihrer Prüftätigkeit auf die Kriterien der Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit.

Der Untersuchungsauftrag der GPK-S umfasst die folgenden drei Hauptthemen: 1.

Führung durch den Bundesrat und Informationsfluss innerhalb des Kollegiums im Zusammenhang mit der Reise des damaligen Bundespräsidenten vom 20. August 2009 nach Libyen und der Unterzeichnung des Abkommens am gleichen Tag;

2.

Führung durch den Bundesrat und Informationsfluss innerhalb des Kollegiums im Zusammenhang mit der Planung von Exfiltrationsoperationen;

3.

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf.

Der Untersuchungsauftrag umfasst zudem die Überprüfung gewisser Aspekte im Zusammenhang mit der Organisation des Krisenmanagements und der Führung durch das EDA, wobei diese Überprüfung weniger umfassend ist.

1

2 3

Ursprünglich war vorgesehen, dass sich die GPK-S auf das Krisenmanagement des EDA konzentriert, während sich die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK-N) im Rahmen ihrer damals laufenden Untersuchung zur Führungsinformation des Bundesrats mit der Rolle des Bundespräsidenten 2009 und des Bundesrates im Zusammenhang mit dem Abschluss des Abkommens vom 20.9.2009 befasst. Am 22.1.2010 beschlossen die beiden GPK, die gesamte Untersuchung zur Handhabung der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen durch die Bundesbehörden der GPK-S zu übertragen.

Bundesverfassung (SR 101).

Bundesgesetz vom 13.12.2002 über die Bundesversammlung (SR 171.10).

4233

Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 12. Juli 2008 ­ dem Tag, als zwei Angestellte eines Sohnes des libyschen Revolutionsführers und seiner Frau in Genf Anzeige gegen ihre Arbeitgeber eingereicht haben ­ bis zum 13. Juni 2010, als der zweite der in Libyen festgehaltenen Schweizer Bürger wieder in die Schweiz zurückkehren konnte.4

1.3

Grenzen der Untersuchung

Diese Untersuchung konzentriert sich auf gewisse Schlüsselfragen bezüglich der Funktionsweise der Bundesbehörden und namentlich des Bundesrats unter dem Gesichtspunkt der parlamentarischen Oberaufsicht.

Die Untersuchung bezweckt weder eine globale Beurteilung der Handhabung dieser Krise noch der Verhandlungsstrategie der Schweizer Diplomatie.

Im Untersuchungsauftrag, wie er durch die GPK-S definiert wurde, sind insbesondere folgende Aspekte ausgeklammert: ­

Ausarbeitung, Verabschiedung, Aufhebung und Konsequenzen der Verordnung des Bundesrats vom 18. November 20095 über ein Ein- und Durchreiseverbot für bestimmte Kategorien von libyschen Staatsangehörigen;

­

die Vermittlungsdienste von Deutschland und Spanien (Spanien hatte von Januar bis Juni 2010 den Vorsitz im Rat der Europäischen Union inne);

­

die zahlreichen Hilfs- oder Vermittlungsangebote verschiedenster Akteure, die entweder nicht weiterverfolgt wurden oder nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben;

­

die Kommunikation der Bundesbehörden über dieses Dossier nach aussen;

­

die Koordination der Aktivitäten der Bundesbehörden mit den Familien und Arbeitgebern der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger;

­

eine detaillierte Analyse der zahlreichen Verhandlungen und Abkommensentwürfe zwischen der Schweiz und Libyen;

­

die Vorwürfe Libyens gegenüber den beiden Schweizer Bürgern und die gegen sie geführten Verfahren.

Im Übrigen ist festzuhalten, dass der vorliegende Bericht keineswegs eine erschöpfende Darstellung aller Fakten anstrebt. Die relevanten Sachverhalte werden in zusammengefasster Form dargelegt, wenn dies notwendig ist, um die Beurteilung der im Untersuchungsauftrag definierten Fragestellungen durch die GPK-S nachvollziehen zu können.

Ferner gilt es hervorzuheben, dass sich die Untersuchung der GPK-S ausschliesslich mit der Handhabung der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen durch die Bundesbehörden befasst und nicht mit den Vorkehrungen, die in diesem Zusammenhang von den Behörden des Kantons Genf getroffen wurden.

4 5

Der erste Schweizer konnte Libyen am 23.2.2010 verlassen.

SR 142.298; diese Verordnung wurde am 25.3.2010 aufgehoben (SR 170.512).

4234

Gegenstand der Untersuchung der GPK-S sind hingegen die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden sowie das diesbezügliche Verbesserungspotenzial.

Ausserdem sind gemäss dem gesetzlichen Auftrag der GPK weder das Verhalten der libyschen Behörden noch jenes der privaten Akteure Thema der vorliegenden Untersuchung.

Schliesslich wurden vorliegend auch die finanziellen Aspekte im Zusammenhang mit der Handhabung der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen durch die Bundesbehörden nicht geprüft, da diese in den Zuständigkeitsbereich der Finanzdelegation (FinDel) fallen.

1.4

Vorgehen

Die GPK-S beauftragte ihre Subkommission EDA/VBS mit den erforderlichen Arbeiten. Die Subkommission setzte sich dabei wie folgt zusammen: Peter Briner (Präsident), Claude Hêche, René Imoberdorf, Maximilian Reimann und Anne Seydoux.

Ständerat Robert Cramer, der ebenfalls der Subkommission EDA/VBS angehört, beschloss in Absprache mit der Subkommission, für die gesamten Arbeiten im Zusammenhang mit dieser Untersuchung in den Ausstand zu treten. Da er bis Ende November 2009 Mitglied der Genfer Regierung war, wollte er von vornherein jeden potenziellen Interessenkonflikt zwischen seinem Mandat in der GPK-S und seinem vorherigen Mandat in der Exekutive des Kantons Genf vermeiden.

Was die Planung von Exfiltrationsoperationen anbelangt, beschäftigte sich nicht nur die für die Untersuchung zuständige Subkommission, sondern vorab die Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen (GPDel) mit diesem Dossier.

Die GPDel übt kraft ihres gesetzlichen Auftrags die parlamentarische Oberaufsicht über den Bereich des Staatsschutzes und der zivilen und militärischen Nachrichtendienste aus. Dabei ist die Delegation bestrebt, die geheimen Tätigkeiten des Bundes laufend zu untersuchen, um frühzeitig Probleme erkennen zu können, die eine politische Intervention erfordern.

Im Laufe des Jahres 2009 hat die GPDel ihre eigenen Abklärungen zum Vorgehen der Bundesbehörden bei der Bewältigung der Krise zwischen der Schweiz und Libyen durchgeführt6. Mit diesen Abklärungen hatte sie begonnen, nachdem sie im Frühjahr 2009 durch die zuständigen Bundesstellen über mögliche Unterstützungsmassnahmen des VBS zugunsten des EDA informiert worden war. Als wichtiger Untersuchungsgegenstand erwies sich dabei die Zusammenarbeit zwischen dem EDA und dem VBS im Hinblick auf eine Exfiltration der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger und die Führungsrolle des Bundesrats in diesem Zusammenhang. Angesichts der Sensitivität des Geschäfts beschloss die GPDel, diesen Teil ihrer Oberaufsichtstätigkeit geheim zu halten.

Am 8. Juni 2010 informierte der Präsident der GPDel die Subkommission EDA/VBS in geeigneter Form über die für die Untersuchung der GPK-S relevanten Elemente.

6

Der Stv. Sekretär GPDel war während der Abklärungen der GPDel im Ausstand.

4235

Im Anschluss an diese Information einigten sich die GPDel und die Subkommission EDA/VBS auf die folgende Arbeitsteilung: Die GPDel blieb alleine zuständig für die detaillierte inhaltliche Untersuchung der Exfiltrationsplanungen ­ ein Bereich, welcher zur Staatssicherheit im engeren Sinn gehört ­, während es Aufgabe der Subkommission war, die noch nicht umfassend geklärten Informationsflüsse innerhalb des Bundesrats zu diesem Thema zu eruieren.

Kapitel V des vorliegenden Berichts wurde von der GPDel im Auftrag der GPK-S redigiert. Die GPDel hat sich dabei sowohl auf ihre eigene Abklärungen als auch auf Informationen der Subkommission EDA/VBS gestützt. Die GPDel hat auch bestimmt, welche Teile des Kapitels für eine Publikation geeignet sind.

In methodischer Hinsicht stützte sich die GPK-S beim vorliegenden Bericht auf Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen ab. An ihren 21 Sitzungen, die dieser Untersuchung gewidmet waren, hörte die zuständige Subkommission eine grosse Anzahl von Personen an7, einige davon mehrere Male.

Die GPK-S unterhielt sich dabei nicht nur mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesbehörden, sondern auch mit zwei Vertretern der Genfer Regierung.

Zudem stützt sich die GPK-S auf eine Vielzahl von Dokumenten und Berichten, welche ihr von den betroffenen Behörden8 übergeben oder zu diesem Zweck verfasst wurden. Die GPK-S konsultierte ausserdem die Protokolle der Aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte (APK). Die Genfer Behörden und die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) erklärten sich ebenfalls bereit, der GPK-S Dokumente zu übergeben. Die GPK-S dankt an dieser Stelle all diesen Organen für ihre Unterstützung.

Aufgrund ihrer uneingeschränkten Informationsrechte wurde die GPDel von der GPK-S mit der Einholung und Überprüfung derjenigen Unterlagen beauftragt, die der unmittelbaren Entscheidfindung des Bundesrates gedient haben. Die entsprechenden Feststellungen der GPDel sind ebenfalls in den vorliegenden Bericht eingeflossen.

Dieser Bericht stützt sich auf die Ergebnisse der Arbeiten der zuständigen Subkommission und ­ was Kapitel 5 anbelangt ­ jener der GPDel. Die GPK-S verabschiedete den Bericht am 3. Dezember 2010 einstimmig.

Die von der Subkommission und der GPDel angehörten Personen werden im Bericht nicht namentlich genannt, sondern mittels ihrer Funktionen im massgeblichen Zeitraum bezeichnet.

7 8

Die Liste der von der GPK-S und der GPDel angehörten Personen befindet sich im Anhang 1.

Es handelt sich hierbei um die Sitzungsprotokolle der verschiedenen Arbeitsgruppen, die mit der Bewältigung der Krise beauftragt waren sowie um Abkommensentwürfe, E-Mails, Informationsnotizen usw. Ein Grossteil dieser Dokumente ist vertraulich und aus diesem Grund nicht veröffentlicht.

4236

1.5

Struktur des Berichts

Nach dieser kurzen Einleitung (Kap. 1) folgt die Struktur des Berichts den wichtigsten Zeitabschnitten: Kapitel 2 befasst sich mit dem Zeitraum von Mitte Juli 2008 bis Juni 2009, Kapitel 3 mit den Ereignissen von Juni 2009 bis Ende August 2009 und Kapitel 4 mit der Periode von Ende August 2009 bis zum 13. Juni 2010.

Entsprechend der Definition des Untersuchungsauftrags und seiner Grenzen (siehe Kap. 1.2 und 1.3) konzentriert sich Kapitel 4 auf die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden, auf den Informationsfluss und die Führung durch den Bundesrat sowie auf die Organisation des Krisenmanagements des EDA. Die GPK-S verzichtete darauf, für diese Zeitspanne eine Zusammenfassung des Sachverhaltes zu machen.

Die Planung von Exfiltrationsoperationen wird in einem separaten Kapitel (Kap. 5) behandelt. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass das Ziel des vorliegenden Berichts nicht darin liegt, den Inhalt dieser Planungen bekannt zu geben ­ diese Informationen unterliegen dem Staatsschutz ­, sondern vielmehr darin, die beiden folgenden Fragen zu beantworten: Zu welchem Zeitpunkt wurden der Gesamtbundesrat bzw. die Mitglieder des Kollegiums über diese Planungen informiert? War das gewählte Vorgehen rechtmässig?

Die Schlussfolgerungen der GPK-S werden in Kapitel 6 dargelegt.

1.6

Ziel des Berichtes

Die Ausübung der parlamentarischen Oberaufsicht durch die GPK-S verfolgt in erster Linie das Ziel, Lehren für die Zukunft zu ziehen, welche es den betroffenen Behörden ermöglichen sollen, ihr Krisenmanagement zu verbessern.

Aus diesem Grund konzentriert sich die vorliegende Untersuchung im Wesentlichen darauf, die wichtigsten systemischen Lücken und Mängel im Zusammenhang mit der Führung durch den Bundesrat und den Informationsflüssen innerhalb des Kollegiums sowie bezüglich der Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den eidgenössischen und kantonalen Behörden zu identifizieren und zu analysieren.

2

Phase I: Mitte Juli 2008 bis Juni 2009

2.1

Zusammenfassung des Sachverhalts

Am 12. Juli 2008 reichen zwei Angestellte eines Sohnes des libyschen Revolutionsführers (hiernach: Revolutionsführer) und seiner Ehefrau (hiernach: H.G. und A.G.

oder Ehepaar G.) in Genf Anzeige wegen einfacher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Entführung sowie Drohung und Nötigung gegen ihre Arbeitgeber ein.9 Auf Anfrage der Genfer Polizei übermittelt der Generalsekretär des Justiz- und Polizeidepartments des Kantons Genf (Département des institutions, DI) am 14. Juli 2008 im Namen des für dieses Departement zuständigen Staatrats einen Fax an den 9

Quelle: Gemeinsames Gutachten der Direktion für Völkerrecht und des Bundesamts für Justiz zur Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen, 20.8.2009, S. 2 (siehe Anhang 8).

4237

Chef der Sitzstaatabteilung der Ständigen Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in Genf (hiernach: Schweizer Mission). Darin führt er aus, die Polizei ziehe eine Intervention in Bezug auf die beiden im beiliegenden Dokument genannten Personen in Betracht.

Deshalb bitte er darum, sein Departement vorgängig bzw. sobald wie möglich («à votre plus proche convenance») über den Status dieser Personen zu informieren.

Seine Dienststellen würden den Staatsanwalt über den Sachverhalt informieren, nachdem der Status des Ehepaares G. bekannt sei.10 Diesem Fax war die Kopie eines am gleichen Tag von der Genfer Polizei erstellten Berichts angehängt.

Der Chef der Sitzstaatabteilung der Schweizer Mission nimmt telefonisch Kontakt mit der Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der Direktion für Völkerrecht (DV) des EDA auf, um die Frage des Status des Ehepaars G. zu klären. Die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der DV prüft die Anfrage und kommt zum Schluss, dass das Ehepaar G. keine diplomatische Immunität geniesst, da es in der Schweiz weder akkreditiert noch in besonderer Mission hier ist. Sie konsultiert den Vizedirektor der DV in seiner Funktion als Direktionsmitglied; dieser gelangt zum gleichen Schluss.11 Beide sind sich der möglichen politischen Auswirkungen bewusst, die eine Intervention der Genfer Polizei auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen haben könnte. Deshalb beschliessen sie, keine Standardantwort zu geben, sondern ihrer Antwort an die Genfer Behörden eine Anmerkung beizufügen, um sie auf die möglichen Auswirkungen einer Intervention aufmerksam zu machen, und sie zu ersuchen, mit der grösstmöglichen Sorgfalt vorzugehen. Zudem bittet der Vizedirektor der DV die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht, die Spitze der politischen Direktion unverzüglich zu informieren, wie dies im EDA bei Stellungnahmen der DV zu Immunitätsfragen, die als heikel eingestuft werden, ständige Praxis ist.12 Am gleichen Tag telefoniert die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht mit dem stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit)13, um ihn über die Anfrage der Schweizer Mission und die Antwort, welche sie darauf zu geben gedenkt, zu
informieren.14 Laut dem stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) habe er dargelegt, dass er die juristische Beurteilung der Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht teile; sie seien sich zudem beide einig gewesen, dass dieser Fall aus politischer Sicht heikel sei und dass dies in der Antwort an die Genfer Behörden erwähnt werden müsse.

10 11

12 13

14

Fax vom 14.7.2008 des Generalsekretärs des Justiz- und Polizeidepartements des Kantons Genf an die Schweizer Mission.

Protokoll der Anhörung des Vizedirektors der DV vom 10.3.2010, S. 19 und schriftliche Antwort des Direktors der DV vom 22.10.2010. (Anm. der GPK-S: Es handelt sich hier um die gleiche Person; sie hat im Laufe der Berichtsperiode eine andere Funktion übernommen.)

Schriftliche Antwort des Direktors der DV vom 22.10.2010.

Der Staatssekretär und Politische Direktor des EDA hat zwei Stellvertreter, den stellvertretenden Staatssekretär für die thematische Zuständigkeit sowie den stellvertretenden Staatssekretär für die regionale Zuständigkeit.

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (thematische Zuständigkeit), 13.9.2010, S. 2.

4238

Der stellvertretende Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) informiert weder den Staatssekretär noch die Vorsteherin des EDA über die Anfrage.15 Auch der Vizedirektor der DV informiert die Vorsteherin des EDA nicht.16 Am gleichen Abend nimmt die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der DV telefonisch Kontakt mit dem Chef der Sitzstaatabteilung der Schweizer Mission auf und diktiert ihm die Antwort an die Genfer Behörden.

Der Chef der Sitzstaatabteilung der Schweizer Mission notiert den genauen Wortlaut dieser Antwort und übermittelt darauf die folgende E-Mail an den Generalsekretär des Justiz- und Polizeidepartements (DI) des Kantons Genf, mit Kopie u.a. an den stellvertretenden Staatsanwalt des Kantons Genf, an mehrere Mitglieder des EDA und namentlich auch an den stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit): Betreff: Herr [H. G.] und Frau [A. G], libysche Staatsangehörige, momentaner Aufenthaltsort Genf Sehr geehrter Herr Generalsekretär Bezugnehmend auf Ihren Fax vom 14. Juli 2008 betreffend den Status der beiden im Betreff genannten Personen in der Schweiz, kann ich Ihnen in Absprache mit der Direktion für Völkerrecht, dem Protokoll und der Politischen Direktion des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten Folgendes mitteilen: Diese beiden Personen haben in der Schweiz keinen diplomatischen Status und unterstehen dem allgemein geltenden Recht.

Angesichts der politischen Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen der beiden Länder, welche eine polizeiliche Intervention zweifellos haben wird, bitte ich Sie, die Polizeibeamten so zu instruieren, dass sie bei der Intervention alle üblichen Vorsichtsmassnahmen treffen. Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben, und grüsse Sie mit vorzüglicher Hochachtung.

Botschafter Chef der Sitzstaatabteilung Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA Ständige Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen in Genf17 Am Morgen des 15. Juli 2008 beschliessen der diensthabende Polizeikommissar und die Genfer Staatsanwaltschaft18 gemeinsam, gemäss Artikel 32 der Strafprozessord-

15 16 17 18

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (thematische Zuständigkeit), 29.9.2010, S. 2.

Schriftliche Antwort des Direktors der DV vom 22.10.2010.

E-Mail vom 15.7.2008 der Schweizer Mission an das Justiz- und Polizeidepartment des Kantons Genf.

«Accord Suisse-Libye, note de synthèse», 8.10.2009, Dokument, das der zum massgeblichen Zeitpunkt für das Justiz- und Polizeidepartment des Kantons Genf zuständige Staatsrat im Hinblick auf seine Anhörung durch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats am 12.10.2009 unterbreitet hat, S. 2.

4239

nung des Kantons Genf19, zwei Vorführungsbefehle (mandat d'amener) gegen das Ehepaar G. auszustellen. In diesen Befehlen sind die folgenden Straftatbestände erwähnt: einfache Körperverletzung (Art. 123 des Schweizerischen Strafgesetzbuches [StGB]20), Drohung (Art. 180 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Freiheitsberaubung und Entführung (Art. 183 StGB).21 Am 15. Juli 2008 (Ende des Vormittags) führt die Genfer Polizei die Vorführungsbefehle aus und schreitet zur Festnahme des Ehepaars G. in den Räumlichkeiten des Hotels, welches sie bezogen hatten.

Die Art und Weise wie diese Festnahme des Ehepaares G. abgelaufen ist, ist bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen. Es gibt verschiedene Versionen und Beurteilungen dieses Sachverhalts, dies namentlich in Bezug auf die Frage, ob die vorgenommenen Handlungen den massgeblichen rechtlichen Bestimmungen entsprochen haben.

Allerdings ist weder der Sachverhalt im Zusammenhang mit der Verhaftung des Ehepaars G. noch seine Beurteilung Gegenstand des vorliegenden Berichts. Es obliegt nämlich laut dem am 13. Juni 2010 unterzeichneten «Statement»22 gegebenenfalls einem Schiedsgericht mit Sitz in Berlin, dieses «Vorkommnis» und seine Umstände zu untersuchen («look into the incident and its circumstances»).23 Am 15. Juli 2008 um 13 Uhr übermittelt der Geschäftsträger der libyschen Botschaft in Bern dem Protokollchef des EDA eine Protestnote zur Festnahme des Ehepaars G.

Der Protokollchef informiert sofort den stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit).

Um 15 Uhr 30 informiert der stellvertretende Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) telefonisch den Staatssekretär des EDA. Dieser leitet die Information an die Vorsteherin des EDA weiter. Die Vorsteherin des EDA ordnet unverzüglich die Einsetzung eines Krisenstabs an.24 Dieser Krisenstab ist während der ganzen

19

20 21 22

23 24

Art. 32 der Strafprozessordnung des Kantons Genf (E 420) [deutsche Übersetzung]: Vorführungsbefehl. 1. Durch den Vorführungsbefehl ordnet eine zuständige Amtsperson oder ein zuständiger Beamter an, die eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigte Person festzunehmen und im Hinblick auf eine Einvernahme in vorläufige Haft zu setzen.

Jede Person, die aufgrund eines Vorführungsbefehls angehalten worden ist, muss so rasch als möglich durch die Behörde einvernommen werden, die den Befehl erlassen hat. Spätestens 24 Stunden nach der Ausführung des Vorführungsbefehls muss die Person, wenn sie nicht schon freigelassen worden ist, an den Untersuchungsrichter überwiesen werden.

Der Untersuchungsrichter verfügt über höchstens 24 Stunden, um die Person einzuvernehmen und sie entweder freizulassen oder gegen sie einen Haftbefehl zu erlassen.

SR 311.0 «Swiss Position on the Incident of Mr. and Mrs G. in Geneva on 15 July 2008», S. 1, in «Report of the Independent Joint ad hoc Committee Libya/Switzerland», Februar 2009.

«Statement» vom 13.6.2010, unterzeichnet von der Aussenministerin der Schweiz, den Aussenministern von Libyen, Spanien (im Namen der EU-Präsidentschaft) und Deutschland, vgl. Anhang 6. Dieses «Statement» bestätigt den «Plan of Action», der am 14.5.2010 von den Staatssekretären der gleichen Länder unterzeichnet wurde und der in seinem Artikel 1 Folgendes vorsieht: «Both Parties agree that the arbitration tribunal shall be constituted in Berlin/Germany and function in accordance with the relevant provisions contained in the 20 August 2009 agreement», vgl. Anhang 5.

Abkommen vom 20.8.2009 zwischen der Schweiz und Libyen, Artikel 2, vgl. Anhang 4.

«Chronologie der ersten Tage der Libyen-Krise Zeitraum vom 15. bis 23. Juli 2008», EDA, 9.6.2010, S. 1.

4240

Berichtsperiode tätig, wobei sich sein Name und seine Zusammensetzung im Laufe der Zeit ändern.25 Der Vorsteher des Eidgenössischen Departementes des Innern (EDI) und damalige Bundespräsident (hiernach: Bundespräsident 2008) wird noch am gleichen Tag von seinem diplomatischen Berater über die Situation informiert.26 Laut Aussagen des für das DI zuständigen Staatsrats (damals auch Präsident des Staatsrats des Kantons Genf), der Vorsteherin des EDA und des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) finden zudem kurz nach der Festnahme des Ehepaares G. informelle Kontakte zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf statt (exakte Daten nicht bekannt).27 Die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf werden in Kapitel 2.2.1 untersucht.

Am folgenden Tag, dem 16. Juli 2008, wird der libysche Geschäftsträger vom Protokollchef und einem Vertreter der Politischen Abteilung II, Afrika, Mittlerer Osten des EDA28 (hiernach: PA II) empfangen. Dieser erklärt, dass in Tripolis grosser Unmut herrsche.29 Am 16. Juli 2008 eröffnet der Genfer Untersuchungsrichter ein Strafverfahren gegen das Ehepaar G. wegen einfacher Körperverletzung, Drohung und Nötigung.30 Am 17. Juli 2008 ordnet der Genfer Untersuchungsrichter die vorläufige Freilassung des Ehepaars G. gegen Kaution an. Das Ehepaar G. verlässt die Schweiz noch am gleichen Tag.31 Am Abend des 17. Juli 2008 erhält die Botschaft der Schweiz in Libyen (hiernach: Schweizer Botschaft) eine «Verbalnote» mit den Protesten des libyschen Aussenministeriums zuhanden der Schweizer Behörden infolge der Verhaftung des Ehepaars G.

Am 18. Juli 2008 werden die formellen Antworten der Politischen Direktion, welche in Absprache mit der DV verfasst wurden, über die Schweizer Botschaft an die libyschen Behörden weitergeleitet.32

25 26 27

28

29 30

31 32

Siehe Anhang 9 «Organisation des Krisenmanagements: Kurze Beschreibung der verschiedenen interdepartementalen Organe».

«Chronologie der ersten Tage der Libyen-Krise Zeitraum vom 15. bis 23. Juli 2008», EDA, 9.6.2010, S. 1.

Protokoll der Anhörung des für das Genfer Justiz- und Polizeidepartement zuständigen Staatsrats, 15.9.2010, S. 18; Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), 15.9.2010, S. 42; Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA, 12.4.2010, S. 24.

Die Politische Abteilung II, Afrika, Mittlerer Osten ist zuständig für die bilateralen Beziehungen der Schweiz mit den 66 Staaten, welche zu diesen beiden geografischen Gebieten gehören. Ihre Hauptaufgabe ist die Wahrung der Schweizerischen Landesinteressen in diesem Raum. Dazu koordiniert sie die aussenpolitischen Aktivitäten der verschiedenen Bundesstellen.

«Chronologie der ersten Tage der Libyen-Krise Zeitraum vom 15. bis 23. Juli 2008», EDA, 9.6.2010, S. 1.

«Accord Suisse-Libye, note de synthèse», 8.10.2009, Schriftstück, welches der zum massgeblichen Zeitpunkt für das Justiz- und Polizeidepartment des Kantons Genf zuständige Staatsrat im Hinblick auf seine Anhörung durch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats am 12.10.2009 verfasst hat, S. 4.

Ibid.

Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), 31.3.2010, S. 2.

4241

Am Abend des 19. Juli 2008 werden ein Schweizer Staatsangehöriger und ein tunesisch-schweizerischer Doppelbürger, welche sich aus geschäftlichen Gründen in Libyen aufhalten, von den libyschen Polizeikräften festgenommen. Etwa um Mitternacht vermutet der Schweizer Botschafter aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Informationen, dass die beiden Schweizer Staatsangehörigen in Gewahrsam genommen wurden.33 Er informiert sofort die PA II des EDA. Ausserdem bietet die Botschaft ab dem folgenden Tag allen Schweizer Staatsangehörigen, welche sich in Libyen aufhalten, konsularischen Schutz an.34 Am Morgen des 20. Juli 2008 erfährt der Staatssekretär des EDA von der Festnahme der beiden Schweizer durch die libyschen Behörden. Er informiert umgehend die Vorsteherin des EDA. Sie fordert ihre Dienststellen auf, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit rasch ein Gespräch mit dem libyschen Aussenministerium stattfinden kann. Um 18 Uhr bestellt das EDA den Geschäftsträger der libyschen Botschaft ins Bundeshaus, um bei ihm scharf gegen die Festnahme der beiden Schweizer Bürger zu protestieren.35 Der Krisenstab, welcher zuerst die Bezeichnung «Kerngruppe Libyen» trägt, steht vom 15. Juli 2008 bis zum 21. Juli 2008 unter der operativen Führung des stellvertretenden Staatssekretärs (thematische Zuständigkeit) und ab dem 21. Juli 2008 bis zum 21. August 2009 unter jener des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit).36 Diese Arbeitsgruppe, welche auf informelle Weise vom EDA37 geschaffen wurde, besteht aus Vertretern der verschiedenen betroffenen Abteilungen innerhalb des EDA.38 Sie wird der direkten Leitung der Vorsteherin des EDA unterstellt, welche die strategische und politische Führung gewährleistet und im ständigen Kontakt mit dem operativen Leiter dieses Krisenstabs steht.39 Neben den Vertreterinnen und Vertretern des EDA nimmt von Anfang an auch eine Vertreterin des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) an den Sitzungen der «Kerngruppe Libyen» teil. Ab den ersten Tagen nach der Verhaftung des Ehepaars G. wurden verschiedene wirtschaftliche Sanktionen gegen die Schweiz in Libyen angekündigt und/oder ergriffen.

Im ersten Monat der Krise trifft sich die «Kerngruppe Libyen» beinahe täglich.

Zwischen dem 15. Juli 2008 und dem 17. Juni 2009 finden insgesamt 34 Treffen der «Kerngruppe
Libyen» statt.40 Gemäss dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) hat die «Kerngruppe Libyen» den Auftrag, die Strategie vorzubereiten und diese der Vor-

33 34 35 36 37 38 39 40

«Chronologie der ersten Tage der Libyen-Krise Zeitraum vom 15. bis 23. Juli 2008», EDA, 9.6.2010, S. 2.

Protokoll der Anhörung des Botschafters der Schweiz in Libyen, 12.4.2010, S. 13.

Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrates vom 23.7.2008.

«Chronologie der ersten Tage der Libyen-Krise Zeitraum vom 15. bis 23. Juli 2008», EDA, 9.6.2010, S. 1.

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), EDA, 31.3.2010, S. 2.

In der «Kerngruppe Libyen» vertretene Direktionen und Abteilungen: Politische Direktion, Politisches Sekretariat, DV, Politische Abteilung VI, Politische Abteilung II.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA, 12.4.2010, S. 23, und schriftliches Dokument, welches am 26.10.2010 von der Vorsteherin des EDA abgegeben wurde.

Quelle: Ordner «Enquête sur la crise diplomatique entre la Suisse et la Libye», Vorsteherin des EDA, 10.8.2010.

4242

steherin des EDA zur Genehmigung zu unterbreiten.41 Die «Kerngruppe Libyen» erhält von der Vorsteherin des EDA kein schriftliches Mandat. Die Vorsteherin des EDA erteilt jedoch klare Anweisungen: Einerseits soll alles unternommen werden, um die beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer zu schützen und in die Schweiz zurückzuholen, andererseits sollen die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen so rasch wie möglich wiederhergestellt werden.42 Am 22. Juli 2008 führt die Vorsteherin des EDA ein Telefongespräch mit ihrem libyschen Amtskollegen, in dessen Verlauf sie ihren Aussagen zufolge ihren Protest und ihre Besorgnis über die Entwicklung der Angelegenheit zum Ausdruck brachte.

Dabei habe sie den Willen der Schweizer Behörden unterstrichen, eine Eskalation der Angelegenheit möglichst zu verhindern und auch inskünftig gute bilaterale Beziehungen zu Libyen zu pflegen.43 Sie habe auch ihr Bedauern darüber ausgedrückt, dass die Festnahme des Ehepaars G. zu Spannungen zwischen den beiden Ländern geführt habe.44 Anlässlich dieses Telefongesprächs einigten sich die Vorsteherin des EDA und der Aussenminister von Libyen dahin gehend, dass eine diplomatische Delegation der Schweiz so schnell wie möglich nach Tripolis reisen soll.

Am 23. und 24. Juli 2008 reist eine Schweizer Delegation nach Tripolis. Sie besteht aus dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) und der Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der DV.45 Gemäss dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) hat die diplomatische Delegation der Schweiz den Auftrag, den libyschen Behörden die Ereignisse des Vorfalls zu erläutern, die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu unterstreichen und die libyschen Beschwerden entgegenzunehmen.46 Am 23. Juli 2008 setzt das EDA informell eine «departementsübergreifende Arbeitsgruppe» ein.47 Sie umfasst Vertreterinnen und Vertreter des EDA, des VBS, des EDI (bis Ende Oktober 2008), des EJPD und des EVD sowie des Stabs des Sicherheitsausschusses des Bundesrats.48 Gemäss dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) tritt diese departementsübergreifende Arbeitsgruppe etwa alle zwei Wochen zusammen und dient als Plattform für den Austausch und die Koordination von Informationen zwischen den betroffenen Departementen.49 Auch sie erhält kein schriftliches Mandat von der Vorsteherin des EDA. Die departementsübergreifende Arbeitsgruppe

41 42 43 44 45 46 47 48 49

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), 25.2.2010, S. 59­60.

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), 11.10.2010.

«Chronologie der ersten Tage der Libyen-Krise Zeitraum vom 15. bis 23. Juli 2008», EDA, 9.6.2010, S. 3.

Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrats vom 23.7.2008.

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), 11.10.2010.

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) des EDA, 25.2.2010, S. 56.

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), EDA, 31.3.2010, S. 2.

Protokoll der Sitzung 01 der Task Force Libyen vom 23.7.2008.

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) des EDA, 25.2.2010, S. 60.

4243

existiert in dieser Form vom 23. Juli 2008 bis zum 26. März 2009 und tritt in diesem Zeitraum zu 17 Sitzungen zusammen.50 Am 23. Juli 2008 übermittelt die Vorsteherin des EDA dem Bundesrat eine Informationsnotiz mit dem Titel « Interpellation de M. H.G. et contre-mesures libyennes ».

Dabei handelt es sich um die erste Information der Vorsteherin des EDA an den Bundesrat.

Am 25. Juli 2008 übermittelt das DI des Kantons Genf die im Zusammenhang mit der Festnahme des Ehepaars G. erstellten Polizeiberichte an die Ombudsstelle der Genfer Polizei (Commissariat à la déontologie de la police et du personnel pénitentiaire), damit diese die Polizeiaktion und insbesondere die Anwendung von polizeilichem Zwang, zu welchem sich die Polizei genötigt sah, näher beurteilt.51 Am 25. Juli 2008 wird der Bundesrat in einer von der Vorsteherin des EDA einberufenen Telefonkonferenz über die neusten Entwicklungen in der Angelegenheit informiert. Anhand einer Informationsnotiz des gleichen Tages wird der Bundesrat zudem über die Einsetzung einer «Task-Force» unter der Verantwortung der Vorsteherin des EDA mit Beteiligung aller zuständigen Dienste der Bundesverwaltung orientiert.52 (Weitere Details zum Thema Informationsfluss und Führung des Bundesrats in dieser Phase siehe Kap. 2.2.3 des vorliegenden Berichts.)

Am 28., 29. und 30. Juli 2008 reist die bereits vorgängig erwähnte Schweizer Delegation im Auftrag der Vorsteherin des EDA ein zweites Mal nach Tripolis. Die schweizerische und die libysche Delegation diskutieren einen Abkommensentwurf, welcher namentlich einen möglichen Rückzug der Anzeige beinhaltet, welche die beiden Angestellten am 12. Juli 2008 gegen das Ehepaar G. einreichten, sowie einen Briefentwurf, in welchem die Schweiz ihr Bedauern über die Umstände der Verhaftung des Ehepaares G. zum Ausdruck bringt.53 Am 29. Juli 2008 werden die beiden Schweizer Staatsangehörigen, welche bis anhin inhaftiert waren, gegen Kaution freigelassen.54 Es ist ihnen jedoch verwehrt, Libyen zu verlassen, da sie weder über ihren Pass noch über eine Ausreisebewilligung verfügen.

Am 4. August 2008 übermittelt die Ombudsstelle des Kantons Genf dem für das Genfer Justiz- und Polizeidepartement zuständigen Staatsrat ihren Bericht über die polizeilichen Aktionen bei der Verhaftung des Ehepaars G. In diesem Bericht kommt die Ombudsstelle zum Schluss, dass im Zusammenhang mit dieser polizeili-

50 51

52 53 54

Quelle: Ordner «Enquête sur la crise diplomatique entre la Suisse et la Libye», Vorsteherin des EDA, 10.8.2010.

«Accord Suisse-Libye, note de synthèse», 8.10.2009, Schriftstück, welches der zum massgeblichen Zeitpunkt für das Justiz- und Polizeidepartment des Kantons Genf zuständige Staatsrat im Hinblick auf seine Anhörung durch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats am 12.10.2009 verfasst hat, S. 4.

Antwort der Bundeskanzlei vom 7.6.2010, S. 2.

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) des EDA, S. 56­57.

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) des EDA, 25.2.2010, S. 55.

4244

chen Intervention keine Beanstandungen anzubringen seien.55 Der Bericht der Ombudsstelle wird unverzüglich an das EDA weitergeleitet.56 Vom 12.­16. August 2008 führen die schweizerische und die libysche Delegation ihre Verhandlungen in Genf und Bern weiter.

Am 15. August 2008 unterzeichnen die Delegationsleiter57 in Bern eine Roadmap («Minutes of Meeting»), welche nach einer Einstellung des Strafverfahrens gegen das Ehepaar G. durch Genf Massnahmen vorsieht, die von beiden Seiten zu ergreifen sind: Freier Verkehr für Diplomaten und Bürger, Einsetzung eines unabhängigen Ad-hoc-Komitees, welches die Fakten rund um die Verhaftung des Ehepaares G.

klären soll, Wiedereröffnung der Schweizer Unternehmen, Rückkehr zum Status quo ante, Wiederaufnahme sämtlicher Flüge der Swiss Airlines sowie ein Bedauern (Bemerkung der Kommission: In der Informationsnotiz des EDA an den Bundesrat vom 14. Oktober 2008 ist die Rede von einem Bedauern, wogegen der Wortlaut der «Minutes of Meeting» von einer Entschuldigung spricht [«formal and public apology concerning the actions committed by certain Swiss authorities»]).58 Am gleichen Tag unterzeichnen die Delegationschefs der Schweiz und Libyens ebenfalls in Bern ein «Memorandum of Understanding» (hiernach: MoU), welches die Einsetzung eines unabhängigen Ad-hoc-Komitees vorsieht, das die Vorwürfe Libyens untersuchen soll («MoU To Establish an Independent Joint Ad-Hoc Committee to Investigate the Complaints of Libyan Site»).

Das Mandat dieses unabhängigen Ad-hoc-Komitees ist im MoU wie folgt definiert: «Mandate: To investigate the complaints against the relevant Swiss Authorities; namely the department of External Affairs and the Geneva Police force included in the note verbal no. 1/18/937 on 20/07/2008 and other related notes submitted by the Libyan side, also the protest of the Libyan diplomats who were present during the incident.»59 Das Komitee setzt sich zusammen aus einem libyschen Richter (Richter des Obersten Gerichtshofs von Libyen) und einem Schweizer Richter (Mitglied der Kommission für internationales Recht der Vereinten Nationen). Diese beiden Personen teilen sich das Ko-Präsidium des unabhängigen Ad-hoc-Komitees; es ist keine dritte Person im Vorsitz vorgesehen.

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59

Bericht der Ombudsstelle der Polizei (Commissariat à la déontologie de la police et du personnel pénitentiaire), Kanton Genf, 4.8.2008, S. 3.

Protokoll der Anhörung des für das Genfer Justiz- und Polizeidepartement zuständigen Staatsrats, 15.9.2010, S. 19­20.

Der stellvertretende Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) auf Schweizer Seite, der «Under Secretary of the General Peoples Committee for Liaison and International Cooperation» auf der libyschen Seite. Vgl. Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit), 31.3.2010, S. 3.

Informationsnotiz des EDA an den Bundesrat vom 14.10.2008; Minutes of Meeting Between The Great Socialist Libyan Arab Jamahiriya And The Swiss Confederation, 15.8.2008 (siehe Anhang 2).

MoU To Establish an Independent Joint Ad-Hoc Committee to Investigate the Complaints of Libyan Side, 15.8.2008. Deutsche Übersetzung: «Mandat: Untersuchung der Vorwürfe gegen die zuständigen Schweizer Behörden, namentlich gegen das Departement für auswärtige Angelegenheiten und gegen die Genfer Polizei, welche in der Verbalnote Nr. 1/18/937 vom 20.07.2008 und in anderen von Libyen überreichten Noten erhoben werden, sowie des Protests der während des Vorfalls anwesenden libyschen Diplomaten».

4245

Das MoU sieht die Möglichkeit vor, sich entweder auf eine gemeinsame Schlussfolgerung der beiden Ko-Präsidenten zu einigen oder zu getrennten Schlussfolgerungen zu gelangen.60 Am 2. September 2008 ziehen die Angestellten des Ehepaars G. ihre Anzeige zurück; am 3. September 2008 stellt der Staatsanwalt des Kantons Genf das Strafverfahren gegen das Ehepaar G. ein.

Während dieser Zeit wird das unabhängige Ad-hoc-Komitee eingesetzt.61 Es tritt zwischen Anfang September 2008 und Mitte November 2008 achtmal zusammen62 und hört mehrere Vertreterinnen und Vertreter der Schweizer, Genfer und libyschen Behörden an, welche in die Verhaftung des Ehepaares G. involviert waren.63 Neben den beiden Richtern, die das Ko-Präsidium des Komitees innehaben, nehmen auch eine Schweizer Delegation und eine libysche Delegation an den Anhörungen und Diskussionen teil; diese beiden Delegationen unterbreiten in der Folge den beiden Ko-Präsidenten je eine Stellungnahme.

Während des letzten Quartals 2008 findet ein zweites Telefongespräch zwischen der Vorsteherin des EDA und ihrem libyschen Amtskollegen statt.64 In der gleichen Zeit ist auch ein Besuch der Vorsteherin des EDA in Libyen geplant; nachdem die libyschen Behörden die erforderlichen Visa nicht ausstellen, findet dieser Besuch jedoch nicht statt.65 In ihrer Informationsnotiz an den Bundesrat vom 4. Dezember 2008 zieht die Vorsteherin des EDA über die Lage Bilanz. Sie erklärt, dass das EDA in Bezug auf Libyen den bilateralen Weg eingeschlagen habe, ohne dabei jedoch auf Kontakte mit hohen Persönlichkeiten anderer Staaten bezüglich der Frage des weiteren Vorgehens zu verzichten. Was die «Minutes of Meeting» vom 15. August 2008 betrifft, erwähnt sie, dass der ursprünglich vorgesehene Brief des Bedauerns nicht übermittelt worden sei.66 Die Schweiz habe zwar seit dem 15. August 2008 zu den Arbeiten des unabhängigen Ad-hoc-Komitees beigetragen; dieses werde jedoch seine Tätigkeit einstellen, da es zu keinen gemeinsamen Schlussfolgerungen gelangen könne.

In einem Brief vom 8. Dezember 2008 drückt der Bundespräsident 2008 dem Revolutionsführer in seinem und im Namen des Bundesrats seine vorzügliche Hochachtung zum Aïd el Kebir67 aus. Zudem überbringt er seine besten Wünsche für das Wohlergehen des Revolutionsführers, seiner Familie und des libyschen Volks. In einer persönlicheren Note fügt er hinzu, er sei überzeugt, dass es ihnen beiden gelin60 61 62 63 64

65

66

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MoU To Establish an Independent Joint Ad-Hoc Committee to Investigate the Complaints of Libyan Side, 15.8.2008.

Bericht des Bundesrats zuhanden der APK, «Libye: Chronologie des efforts du Conseil fédéral depuis l'arrestation de H.K. le 15 juillet 2008», 14.10.2009, S. 2.

Report of the Independent Joint ad hoc Committee Libya/Switzerland, 2.2009.

Report of the Independent Joint ad hoc Committee Libya/Switzerland, 2.2009, S. 8.

Kurzprotokoll der Sitzung 12 der Task Force Libyen vom 10.10.2008; Bericht des Bundesrats zuhanden der APK, «Libye: Chronologie des efforts du Conseil fédéral depuis l'arrestation de H.K. le 15 juillet 2008», 14.10.2009, S. 3.

Bericht des Bundesrats zuhanden der APK, «Libye: Chronologie des efforts du Conseil fédéral depuis l'arrestation de H.K. le 15 juillet 2008», 14.10.2009, S. 3, und Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA, 12.4.2010, S. 33.

Gemäss den Erklärungen des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) war vorgesehen, sich erst nach der Umsetzung aller andern in den «Minutes of Meeting» vorgesehenen Massnahmen zu entschuldigen (Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs, 25.2.2010, S. 64).

Anmerkung der GPK-S: es handelt sich um ein wichtiges muslimisches Fest.

4246

gen werde, das Vertrauen und die Freundschaft, welche traditionell zwischen den beiden Ländern bestehe, im gegenseitigen Interesse und im Hinblick auf neue und viel versprechende Horizonte wiederherzustellen.68 Der Brief des Bundespräsidenten 2008 vom 8. Dezember 2008 wird nicht beantwortet.69 Da sich die beiden Ko-Präsidenten des Ad-hoc-Komitees nicht auf eine gemeinsame Schlussfolgerung einigen können, geben der Schweizer Richter am 14. Dezember 2008 und der libysche Richter am 24. Dezember 2008 je ihre eigenen Schlussfolgerungen bekannt.

Der Schweizer Richter kommt zum folgenden Schluss: «Conclusion of the Swiss Member of the Committe: My overall conclusion is that the arrest and detention of Mr. and Mrs. [G.] has not been in violation of international and Swiss law except regarding the alleged theft.70 The whole event is, none the less, most regrettable, especially in view of the fact that the Geneva Police authorities had been advised by the Swiss Foreign Ministry that, as bearers of diplomatic passports and high dignitaries of the Libyan State, Mr. and Mrs [G.] should be treated with special care and courtesy. Unfortunately, that advice was not followed, with the result that, in some respects, the two persons in question were not treated with the necessary courtesy and even in an unnecessarily humiliating fashion.»71 Die Schlussfolgerung des libyschen Richters seinerseits lautet wie folgt: «Conclusion: The outcome of my conclusion is that the illegal and disproportionate actions, in addition to the humiliating and degrading treatment of the Libyan diplomat and his spouse, and the violation of their child's rights, committed by the members of Geneva police force, who were involved in the incident must qualify for criminal offences under the applicable criminal law. Moreover, such actions would certainly deserve strong disciplinary measures to be taken against them immediately by the

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Brief des Bundespräsidenten 2008 an den libyschen Revolutionsführer, 8.12.2008.

Protokoll der Anhörung des ehemaligen Vorstehers des EDI, 9.9.2010, S. 14.

Der schweizerische Richter bezieht sich darauf, dass am 13. Juli 2008 drei Angestellte des Ehepaars G. gegenüber den Polizeibehörden des Kantons Genf den Diebstahl einer Uhr sowie eines Barbetrags von 2000 Euro zum Nachteil des Ehepaars G. geltend gemacht hätten. Gemäss den Ausführungen des schweizerischen Richters «regarding the alleged theft of 2000 and of a watch from the safe deposit box in Mrs G.'s room, the Geneva police neglected to pursue the matter with the necessary vigour, in accordance with the law» (Quelle: Report of the Independent Joint ad hoc Committee Libya/Switzerland, 2.2009).

«Observations of the Swiss Member of the Committee», S. 3, in «Report of the Independent Joint ad hoc Committee Libya/Switzerland», 2.2009. Deutsche Übersetzung: «Bei der Festnahme und Inhaftierung von Herrn und Frau G. sei weder internationales noch schweizerisches Recht verletzt worden, ausser in Bezug auf den angeblichen Diebstahl.

Der ganze Vorfall sei nichtsdestotrotz höchst bedauerlich, insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass den Genfer Polizeibehörden vom Schweizer Aussenministerium empfohlen worden sei, Herrn und Frau G. als Inhaber diplomatischer Pässe und hohe Würdenträger des libyschen Staates mit besonderer Vorsicht und Höflichkeit zu behandeln.

Leider sei dieser Rat nicht befolgt worden, was dazu geführt habe, dass die beiden betroffenen Personen in mancher Hinsicht nicht mit der notwendigen Höflichkeit und sogar auf unnötig demütigende Weise behandelt worden seien.»

4247

relevant Swiss authorities, and to inform the Libyan party of the result of the measures taken.»72 Am 29. und 30. Januar 2009 trifft sich die Vorsteherin des EDA am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos zweimal mit einem anderen Sohn des Revolutionsführers.73 Dabei wird ein Abkommensentwurf diskutiert.

Dieser Entwurf umfasste die folgenden Elemente:74 Die Schweiz drückt ihr Bedauern darüber aus, dass die Umstände der Verhaftung des Ehepaares G. als Beleidigung gegenüber dem Revolutionsführer, seiner Familie und dem libyschen Volk aufgefasst worden seien und anerkennt, dass diese Umstände die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern beeinträchtigt hätten. Im Text wird zudem erwähnt, dass die Art und Weise der polizeilichen Intervention vom 15. Juli 2008 von den betroffenen Personen in der Tat als unnötig und unangemessen hätte empfunden werden können. Die Schweiz würde zudem anerkennen, dass es an der angebrachten diplomatischen Courtoisie gemangelt habe und dass ihrerseits keine formelle Benachrichtigung der libyschen Botschaft weder zur Verhaftung noch zum konsularischen Besuchsrecht erfolgt sei. Als Folge der unangemessenen und unnötigen Aktionen vom 15. Juli 2008 würde die Genfer Polizei von den involvierten Beamten den Besuch von obligatorischen Kursen zum diplomatischen Protokoll verlangen, um sicherzustellen, dass sich solche Vorkommnisse in Zukunft nicht mehr wiederholen würden. Libyen seinerseits würde sich verpflichten, alle Restriktionen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit von Diplomaten und Bürgern, einschliesslich der zwei in Libyen festgehaltenen Schweizer Staatsangehörigen, sowie alle Beschränkungen von kommerziellen und wirtschaftlichen Aktivitäten aufzuheben. Darüber hinaus würden sich die beiden Staaten gegenseitig verpflichten, die konsularischen Aktivitäten zu normalisieren, einschliesslich der Ausstellung von Visa und der gegenseitigen Anerkennung von Ursprungszeugnissen.

Die Verhandlungen waren jedoch nicht erfolgreich, weshalb der erwähnte Entwurf nicht unterzeichnet wurde.75 In einer Informationsnotiz vom 11. März 2009 an den Bundesrat stellt die Vorsteherin des EDA fest, dass Libyen auch nach dem Rückzug der gegen das Ehepaar G.

eingereichten Anzeige und nach dem Abschluss der Arbeiten des unabhängigen Ad-hoc-Komitees seinen Verpflichtungen, welche es mit
dem «Minutes of Meeting» von 15. August 2008 eingegangen war, nicht nachgekommen sei. Die beiden Schweizer Bürger seien immer noch nicht befugt, das Land zu verlassen, wobei sie sich innerhalb des libyschen Staatsgebiets frei bewegen könnten. Im Übrigen infor72

73 74 75

«The concluding remarks of the Libyan Co-Chairman of the Committee», S. 6, in «Report of the Independent Joint ad hoc Committee Libya/Switzerland», 2.2009. Deutsche Übersetzung: «Das unrechtmässige und unverhältnismässige Vorgehen, die demütigende und erniedrigende Behandlung des libyschen Diplomaten und seiner Ehefrau sowie die Verletzung der Rechte ihres Kindes durch die in den Vorfall involvierten Mitglieder der Genfer Polizei seien nach dem geltenden Strafrecht als strafbare Handlungen zu qualifizieren.

Darüber hinaus verdienten es solche Handlungen, dass sie im Mindesten mit harten disziplinarischen Strafen geanhndet würden; was von den zuständigen Schweizer Behörden unverzüglich in die Wege geleitet werden müsste, wobei die libysche Seite über das Ergebnis der getroffenen Massnahmen zu informieren wäre.» Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA, 12.4.2010, S. 31.

Entwurf MoU between The Great Socialist Libyan Arab Jamahiriya and Switzerland, 30.1.2009.

Bericht des Bundesrats zuhanden der APK, «Libye: Chronologie des efforts du Conseil fédéral depuis l'arrestation de H.K. le 15 juillet 2008», 14.10.2009, S. 3­4.

4248

miert die Vorsteherin des EDA den Bundesrat über ihr kürzliches Treffen mit einem der Söhne des Revolutionsführers am Rande des WEF sowie über den Entwurf eines MoU, welches bei dieser Gelegenheit ausgearbeitet worden sei. Gemäss der Vorsteherin des EDA habe der Revolutionsführer diesem Entwurf nicht zugestimmt.

Am 30. März 2009 schickt das EDA dem Aussenministerium von Libyen eine diplomatische Note und fordert Libyen erneut dazu auf, die beiden in Libyen festgehaltenen und gesundheitlich angeschlagenen Schweizer aus humanitären Gründen in die Schweiz zurückreisen zu lassen.76 Am 8. April 2009 reicht Libyen zusammen mit H.G., A.G. und ihrem minderjährigen Kind beim zuständigen Gericht des Kantons Genf ein Feststellungsbegehren und eine Schadenersatzforderung ein.77 Am 1. Mai 2009 verlässt der Schweizer Botschafter in Libyen seinen Posten und tritt in den vorzeitigen Ruhestand.78 Dieser Weggang vor dem Hintergrund einer diplomatischen Krise löste Fragen zu den genauen Umständen aus; diese Fragen werden in Kapitel 2.2.4 des vorliegenden Berichts näher behandelt.

Der Nachfolger des abtretenden Botschafters, welcher den Titel des Geschäftsträgers a.i. innehat, tritt sein Amt in Tripolis aufgrund von Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ausstellung des Einreisevisums erst am 17. Juli 2009 an. Gemäss den Angaben des späteren Geschäftsträgers a.i. war während der Zeit vom 11. Juni 2009 bis 17. Juli 2009 wegen der Verweigerung der nötigen Visa durch die libyschen Behörden, keine dauernde Schweizer Präsenz auf der Schweizer Botschaft in Tripolis gewährleistet.79 Der damalige Verteidigungsattaché in Kairo übte im erwähnten Zeitraum eine gewisse Überbrückungsfunktion aus.

Anfang Mai 2009 führt die Vorsteherin des EDA mehrere Telefongespräche mit dem libyschen Premierminister, welcher sie nach Libyen einlädt.80 Anlässlich einer Reise des Vorstehers des EFD, welcher im Jahr 2009 gleichzeitig das Amt des Bundespräsidenten innehatte (hiernach: Bundespräsident 2009), in die Vereinigten Arabischen Emirate (hiernach: VAE) bietet der Präsident der VAE ­ nach einem Telefongespräch, welches er mit dem Revolutionsführer gehabt hätte ­ dem Bundespräsidenten 2009 am 26. Mai 2009 seine Hilfe als Vermittler zwischen der Schweiz und Libyen an.

Nach Rücksprache mit dem EDA antwortet der Bundespräsident 2009, dass die Schweiz dieses Vermittlungsangebot annehme.81

76 77

78 79 80 81

Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrats vom 18.5.2009.

«Accord Suisse-Libye, note de synthèse», 8.10.2009; Schriftstück, welches der zum massgeblichen Zeitpunkt für das Justiz- und Polizeidepartment des Kantons Genf zuständige Staatsrat im Hinblick auf seine Anhörung durch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats am 12.10.2009 verfasst hat, S. 5. Darin wurde u.a. vermerkt, dass die libysche Seite aufgrund der Unterzeichnung des Abkommens vom 20.8.2009 die Einstellung des Strafverfahrens beantragt habe. Diesem Antrag wurde stattgegeben und das Verfahren vom zuständigen Gericht mit Beschluss vom 17.9.2009 eingestellt.

Protokoll der Anhörung des Schweizer Botschafters in Libyen, 12.4.2010, S. 4.

Protokoll der Anhörung des Schweizer Geschäftsträgers a.i. in Libyen, 27.8.2010, S. 5.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA, 12.4.2010, S. 31; Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrats vom 18.5.2009.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009, 24.6.2010, S. 6.

4249

Vom 27.­29. Mai 2009 begibt sich die Vorsteherin des EDA in Begleitung des Chefs der PA II, des Informationschefs des EDA,82 der Ehefrauen der beiden Schweizer Bürger sowie eines Arztes nach Libyen. Die Vorsteherin des EDA trifft sich zweimal mit dem Premierminister, dem Aussenminister sowie weiteren hohen Vertretern der libyschen Behörden. Es wird ein Abkommensentwurf ausgearbeitet.

Darin83 war namentlich vorgesehen, dass die Schweiz ihr Bedauern über den Verlauf der Ereignisse in Genf ausdrücken würde. Ebenfalls vorgesehen war, dass das EDA disziplinarische Sanktionen gegen Mitarbeiter des EDA ergreifen, eine Rüge gegen den für das DI zuständigen Staatsrat sowie den stellvertretenden Staatsanwalt des Kantons Genf aussprechen und neue Richtlinien zur Behandlung von Diplomaten erlassen würde. Im Übrigen sah der Entwurf auch vor, dass gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Abkommens die bilateralen Beziehungen wieder aufgenommen würden und die beiden Schweizer in die Schweiz zurückkehren könnten.

Allerdings wird dieser Entwurf während der Reise der Vorsteherin des EDA nicht fertiggestellt. Gemäss den Worten der Vorsteherin des EDA herrschte insbesondere Uneinigkeit über die Simultaneität (Gleichzeitigkeit) der Massnahmen,84 die von der Schweiz verlangt und von Libyen letztlich abgelehnt wurde.85 Gemäss der Informationsnotiz des EDA vom 4. Juni 2009 zuhanden des Bundesrats habe der libysche Premierminister bei einem Telefongespräch vom 3. Juni 2009 gegenüber der Vorsteherin des EDA versichert, dass eine politische Lösung auf dem Tisch liegen würde. Er habe mündlich akzeptiert, dass die Krise nur beigelegt werden könne, wenn zeitgleich mit der Wiederherstellung des Status quo ante der bilateralen Beziehungen die beiden Schweizer Libyen verlassen dürften. Eine schriftliche Bestätigung sei für die folgenden Tage in Aussicht gestellt worden.86

2.2

Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S

2.2.1

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf

Wie aus dem Sachverhalt (siehe Kap. 2.1) hervorgeht, nahm das Justiz- und Polizeidepartement (DI) des Kantons Genf am 14. Juli 2008 schriftlich Kontakt mit der Schweizer Mission in Genf auf, um sich nach dem Status des Ehepaars G. zu erkundigen. Diese Kontaktaufnahme erfolgte somit vor der Ausstellung eines Vorführungsbefehls gegen das Ehepaar G. und somit auch vor seiner Festnahme durch die Genfer Polizeibehörden.

82 83 84

85

86

Protokoll der Anhörung des Chefs Information des EDA, 10.3.2010, S. 43.

Nichtdatierter Draft, übermittelt von der Vorsteherin des EDA an den Bundespräsidenten 2009 im Anhang zu ihrem Brief vom 9.6.2009.

Diese Simultaneität bedeutet, dass die Ausreise der zwei Schweizer Staatsangehörigen aus Libyen zur gleichen Zeit erfolgen muss wie die Unterzeichnung des Abkommens und die Normalisierung der Beziehungen.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA, 12.4.2010, S. 31 und Bericht des Bundesrates zuhanden der APK, «Libye: Chronologie des efforts du Conseil fédéral depuis l'arrestation de H.K. le 15 juillet 2008», 14.10.2009, S. 4­5.

Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrats vom 4.6.2009.

4250

Hervorzuheben ist, dass die vom DI an die Schweizer Mission übermittelten Dokumente (Fax vom 14. Juli 2008 und Beilagen) nur die Begriffe «Intervention» (intervention) und «Interpellation» (interpellation) enthielten. Es handelt sich dabei um allgemeine Begriffe, die für sich allein genommen noch keinen Aufschluss über die Art der polizeilichen Aktion gibt, welche zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen wird, respektive über die Art des späteren Befehls (Vorführungsbefehl versus Festnahmebefehl).

Gemäss den Erkenntnissen der GPK-S waren sich sowohl die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht als auch der Vize-Direktor der DV bewusst, dass eine Festnahme des Ehepaares G. erhebliche politische Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen haben könnte.

Deshalb telefonierte die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der DV am selben Tag mit dem stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit).

Der stellvertretende Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) nahm Kenntnis vom Sachverhalt. Er teilte sowohl die rechtliche Beurteilung der Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der DV als auch ihre Einschätzung bezüglich der politischen Auswirkungen, erachtete es an diesem 14. Juli 2008 jedoch nicht als notwendig, die Vorsteherin des EDA zu informieren.

Gemäss den Erklärungen des stellvertretenden Staatssekretärs (thematische Zuständigkeit) gegenüber der GPK-S lag es in seiner Kompetenz, darüber zu entscheiden, ob die Vorsteherin des EDA zu informieren sei oder nicht. Da zu diesem Zeitpunkt, aus seiner Warte, gar kein Entscheid seitens des EDA anstand, habe er beschlossen, die Vorsteherin des EDA nicht sofort über die Anfrage der Genfer Behörden zum diplomatischen Status des Ehepaars G. und über die geplante polizeiliche Intervention zu informieren.

Wie die GPK-S in Erfahrung bringen konnte, scheint es innerhalb des EDA keine Richtlinien darüber zu geben, wann und zu welchem Inhalt die Vorsteherin des EDA zwingend informiert und/oder konsultiert werden muss. Gemäss der geltenden Praxis konsultiert die DV stets die Politische Direktion, wenn sie von Kantonsbehörden um eine Stellungnahme zu heiklen Fragen der diplomatischen Immunität gebeten wird.

Festzuhalten ist, dass die Vorsteherin des EDA die Einschätzung
des stellvertretenden Staatssekretärs (thematische Zuständigkeit) teilt; ihrer Ansicht nach gab es keine Veranlassung, sie bereits am 14. Juli 2008 zu informieren, zumal die Rechtslage in Bezug auf die diplomatische Immunität durchaus klar war. Im Übrigen stellt die GPK-S fest, dass die Chefin der Sektion diplomatisches und konsularisches Recht der DV nach ihrem Telefongespräch mit dem stellvertretenden Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) noch am Abend des 14. Juli 2008 der Schweizer Mission eine Antwort gab. Die Schweizer Mission leitete die Antwort unverzüglich an das DI weiter.

Aus der Anfrage des DI vom 14. Juli 2008 an die Schweizer Mission geht hervor, dass keine Notwendigkeit oder Dringlichkeit für eine sofortige Antwort bestand. (In der Anfrage per Fax wurde die Schweizer Mission lediglich gebeten, sobald als

4251

möglich [«à votre plus proche convenance»] über den Status der besagten Personen Auskunft zu geben.87) Einer Beilage zur Anfrage des DI des Kantons Genf vom 14. Juli 2008 an die Schweizer Mission ist zwar zu entnehmen, dass eine Interpellation («interpellation») von H.G. für den 15. Juli 2008 vorgesehen war.

In der erwähnten Anfrage steht aber auch klar, das DI werde den Genfer Staatsanwalt erst über den Sachverhalt informieren, nachdem es vom EDA eine Antwort zum Status des Ehepaares G. erhalten habe.

Aufgrund der erhaltenen Auskünfte ist die GPK-S ihrerseits der Meinung, dass der stellvertretende Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) die Vorsteherin des EDA zwingend hätte informieren und konsultieren müssen, bevor seitens des EDA eine Antwort an die Genfer Behörden erging.

Die GPK-S stellt fest, dass die Vorsteherin des EDA vorliegend gar nicht den nötigen Spielraum erhielt, um im Vorfeld der Festnahme des Ehepaars G. politische Überlegungen zu den möglichen oder den zu erwartenden Auswirkungen einer solchen Festnahme auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen anstellen zu können. Insbesondere konnte sie gar nicht erst abwägen, ob es im konkreten Einzelfall nicht erforderlich wäre, mit den zuständigen politischen Behörden des Kantons Genf das Gespräch zu suchen, um sie auf die für die Eidgenossenschaft und den Kanton Genf im Bereich der Aussenpolitik möglichen Folgen einer Festnahme des Ehepaars G. aufmerksam zu machen.

Die GPK-S zweifelt vorliegend nicht an der Richtigkeit der juristischen Antwort auf die Frage des Bestehens oder Nicht-Bestehens einer diplomatischen Immunität im Falle des Ehepaars G. Sie ist sich auch bewusst, dass im Verhältnis zu den Kantonen dem Handeln des Bundes verfassungsmässige Schranken gesetzt sind, zumal Judikative und Polizei unter die kantonale Hoheit fallen, und die Judikative innerkantonal selbstverständlich unabhängig von der Regierung bleiben muss.

Allerdings schliesst die Respektierung der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen einerseits und der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative auf kantonaler Ebene andererseits einen Informations- und Meinungsaustausch zwischen den involvierten Instanzen nicht a priori aus. Ein solcher Austausch soll sicherstellen, dass die zuständige Instanz, die in einem konkreten Fall
letztlich einen Entscheid treffen und verantworten muss, dies in voller Kenntnis sowohl der Sachlage wie auch der möglichen Auswirkungen auf andere Behörden tun kann. Der letztendliche Entscheid in Bezug auf die Art der Intervention in dieser Angelegenheit stand zweifellos den Genfer Justiz- und Polizeibehörden zu. Es hätte aber nichts dagegen gesprochen, die Genfer Justiz- und Polizeibehörden über die Genfer Regierung vorgängig auf ihren Handlungsspielraum in Bezug auf die Art der Intervention (polizeiliche Vorladung versus Vorführungs- oder Festnahmebefehl) aufmerksam zu machen.

Demzufolge gelangt die GPK-S zum Schluss, dass die Antwort des EDA an das DI via Schweizer Mission in der vorliegenden Form nicht adäquat war, obwohl sie aus einer rein formaljuristischen Betrachtung bezüglich der Frage der diplomatischen 87

Schreiben des Polizei- und Justizdepartementes des Kantons Genf an die Schweizer Mission vom 14.7.2008: «[...] je me permets de vous solliciter afin que des informations sur le statut des intéressés soient préalablement transmises à mon département [...] à votre plus proche convenance.»

4252

Immunität durchaus richtig war. Tatsächlich hätte die Problematik sowohl seitens des Bundes wie auch seitens des Kantons Genf auch auf die politische Ebene gehoben werden müssen. Inskünftig ist innerhalb des EDA zu gewährleisten, dass in derartigen oder ähnlichen Konstellationen die Departementsvorsteherin oder der Departementsvorsteher als politisch Verantwortliche(r) rechtzeitig informiert wird.

Es obliegt in erster Linie der Departementsvorsteherin oder dem Departementsvorsteher des EDA, die nötigen politischen Überlegungen anzustellen und gegebenenfalls eine politische Diskussion mit den politischen Behörden des betroffenen Kantons zu führen. Diese Aufgabe kann aufgrund ihrer politischen Natur weder an die Dienststellen der DV, welche mit der Beantwortung juristischer Fragen betraut sind, noch an die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Politischen Direktion abschliessend delegiert werden.

Empfehlung 1: Information der Vorsteherin des EDA Die GPK-S fordert das EDA auf, bei schwierigen Konstellationen im Zusammenhang mit Fragen der diplomatischen Immunität Richtlinien zu erlassen, welche festlegen in welcher Situation die Vorsteherin oder der Vorsteher des EDA zu welchem Zeitpunkt und durch wen zwingend informiert und/oder konsultiert werden muss, damit sie/er ihre/seine politische Verantwortung wahrnehmen kann.

Was die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden nach der Verhaftung des Ehepaars G. anbelangt, sagten die angehörten Personen übereinstimmend aus, es hätten zahlreiche Kontakte stattgefunden, wobei diese aber informell gewesen seien.

So fanden beispielsweise vor der Unterzeichnung des «Memorandum of Understanding» vom 15. August 2008 und vor dem Treffen mit einem Sohn des Revolutionsführers in Davos im Januar 2009 sowie vor der Reise der Vorsteherin des EDA nach Libyen im Mai 2009 Gespräche zwischen dem EDA und den Genfer Behörden statt.

Die Kontakte fanden in der Regel zwischen der Vorsteherin des EDA und dem für das DI zuständigen Staatsrat, welcher bis Dezember 2008 zugleich Präsident des Genfer Staatsrats war, oder zwischen dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit), welcher die «Kerngruppe Libyen» leitete, und dem Generalsekretär des DI des Kantons Genf statt. Der Staatssekretär des EDA nahm ebenfalls an mindestens
einem dieser Treffen teil. Die Vorsteherin des EDA präzisierte gegenüber der GPK-S, sie habe zwar informelle Kontakte mit dem für das DI zuständigen Staatsrat gehabt, sie habe aber nicht direkt mit den Genfer Behörden verhandelt. Sie habe entweder den stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) oder den Staatssekretär des EDA beauftragt, die jeweiligen Verhandlungen mit den Genfer Behörden zu führen.88 Die Bundesbehörden und die Behörden des Kantons Genf haben in dieser Phase nie eine schriftliche Vereinbarung abgeschlossen, welche die genauen Modalitäten der Kommunikation festgelegt hätte. Ebenfalls nicht geregelt wurden zu Beginn der Krise die Konsultation und der Einbezug des Kantons Genf beispielsweise bei der Ausarbeitung von Abkommensentwürfen zwischen der Schweiz und Libyen oder im

88

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2010, S. 63.

4253

Hinblick auf anderweitige, vom EDA angestrengte Vorkehrungen. Von den zahlreichen informellen Kontakten existieren offenbar keine schriftlichen Spuren.

Im Übrigen stellt die GPK-S fest, dass die Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden in der ersten Zeit offenbar gut funktioniert hat.

Diese gute Zusammenarbeit scheint jedoch weitgehend auf den guten persönlichen Kontakten zu beruhen, die zwischen der Vorsteherin des EDA und dem für das DI zuständigen Genfer Staatsrat seit ihrem gemeinsamen Einsitz im Staatsrat des Kantons Genf bestanden.

Angesichts der Schwierigkeiten, die sich in den späteren Phasen manifestierten (vgl.

Kap. 3.2.3 und 4.1.1), wäre es nach Ansicht der GPK-S für die Bundesbehörden und die Behörden des Kantons Genf allerdings von Vorteil gewesen, die Modalitäten der Zusammenarbeit von Anbeginn an klar festzulegen. Paradoxerweise scheinen die guten Kontakte zwischen der Vorsteherin des EDA und dem für das DI zuständigen Staatsrat die betroffenen Akteure allzu lange über das Fehlen vordefinierter offizieller Kommunikationskanäle und -verfahren hinweggetäuscht zu haben.

2.2.2

Information und Führung durch den Bundesrat

In der Zeit von Mitte Juli 2008 bis Juni 2009 wurde der Bundesrat hauptsächlich mittels Informationsnotizen und mündlicher Informationen seitens der Vorsteherin des EDA über die Entwicklungen in dieser Angelegenheit orientiert.

Die GPK-S hält fest, dass die Vorsteherin des EDA das Kollegium regelmässig informiert hat. Hinsichtlich des Inhalts dieser Informationen weist sie allerdings darauf hin, dass der Fax- und E-Mailwechsel vom 14. Juli 2008 zwischen dem EDA und den Genfer Behörden weder in den Informationsnotizen des EDA noch in den Protokollen des Bundesrates erwähnt ist. Dieser Fax- und E-Mailwechsel war jedoch ein wichtiges Element, um die weiteren Entwicklungen im Dossier Libyen nachvollziehen zu können. (Anmerkung der GPK-S: Die Information des Bundesrats zur Planung von Exfiltrationsoperationen ist Gegenstand eines separaten Kapitels, vgl.

Kap. 5.3.1.)

Aus den Unterlagen des Bundesrats geht hervor, dass dieser vor dem 17. Juni 2009 keine vertiefte Diskussion über das Dossier Libyen geführt hat und dass das Kollegium während dieser ersten Zeitspanne auch keinen formellen Beschluss fällte.

Zudem befassten sich weder der Bundesratsausschuss für auswärtige Angelegenheiten noch der Sicherheitsausschuss des Bundesrats je mit diesem Geschäft. Zu präzisieren ist, dass der Bundesratsausschuss für auswärtige Angelegenheiten während dieser Periode auch zu anderen Geschäften kein einziges Mal tagte.

Wie erwähnt, wurde der Bundesrat durch die Vorsteherin des EDA zwar mehr oder weniger regelmässig über den Verlauf der Verhandlungen zwischen der Schweiz und Libyen informiert, als Kollegium interessierte er sich jedoch nicht näher für das Geschäft. Weder das Kollegium noch seine Mitglieder bestanden im massgeblichen Zeitraum je auf Aussprachen oder auf den Einbezug des Kollegiums bei der Festlegung der weiteren Schritte.

Auch die Vorsteherin des EDA unterbreitete dem Bundesrat von sich aus keine Anträge mit dem Ziel, das Kollegium aktiv in die Führung des Geschäfts einzubeziehen. Dabei wäre es von Anbeginn der Krise an Sache des Bundesrats gewesen, 4254

die Strategie mit ihren Zielen, den dazu notwendigen Mitteln und dem Zeitplan festzulegen.

Daraus ergibt sich, dass während der ersten Phase die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen ausschliesslich auf der Ebene des EDA und nicht des Bundesrats gehandhabt wurde. Angesichts der Bedeutung und des Ausmasses dieser bilateralen Krise hätte die Führung dieses Geschäfts und insbesondere die Festlegung der umzusetzenden Strategie nach Ansicht der GPK-S jedoch durch den Gesamtbundesrat als Kollegium erfolgen müssen.

Empfehlung 2: Festlegung der Strategie durch den Bundesrat bei grösseren aussenpolitischen Krisen Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, inskünftig bei grösseren aussenpolitischen Krisen als Kollegium die Strategie (Ziele, Mittel und wenn möglich Zeitplan) festzulegen.

2.2.3

Führung und Organisation des Krisenmanagements durch das EDA

Die GPK-S beurteilt die rasche Einsetzung zweier Arbeitsgruppen durch das EDA als positiv: Dabei handelte es sich zum einen um die «Kerngruppe Libyen», in der die verschiedenen involvierten Abteilungen des EDA sowie eine Mitarbeiterin des SECO vertreten waren und die im Wesentlichen für die operativen Aspekte zuständig war, und zum andern um die «departementsübergreifende Arbeitsgruppe»: ein typisches bereichsübergreifendes Organ, welches aus Vertreterinnen und Vertretern des EDA, des VBS, des EDI (bis Ende Oktober 2008), des EVD, des EJPD und des Stabs Sicherheitsausschuss des Bundesrats bestand und zur Hauptsache als Plattform für den Austausch und die Koordination von Informationen zwischen den betroffenen Departementen diente.

Die genaue Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppen änderte sich im Zeitablauf ­ dies auch in Abhängigkeit des jeweiligen Behandlungsgegenstands. Die operative Führung wurde jedoch ab dem 21. Juli 2008 konstant durch den stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) wahrgenommen. Dieser informierte die Vorsteherin des EDA, welche ihrerseits die politische und strategische Führung des Krisenmanagements innehatte, regelmässig oder sogar täglich.89 Im Gegensatz zu den Feststellungen der GPK bei ihrer Untersuchung zum Thema «Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBSKundendaten an die USA»90, wurden die Beratungen der beiden Arbeitsgruppen unter der operativen Führung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) in Sitzungsprotokollen dokumentiert. Die GPK-S begrüsst dieses Vorgehen, dank welchem die auf dieser Ebene geführten Diskussionen und Entscheide auch im Nachhinein verstanden und nachvollzogen werden können.

89 90

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) vom 11.10.2010, S. 2.

Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBSKundendaten an die USA, Bericht der GPK vom 30.5.2010, S. 35.

4255

Die GPK-S hält demgegenüber aber auch fest, dass weder die «Kerngruppe Libyen» noch die «departementsübergreifende Arbeitsgruppe» von der Vorsteherin des EDA einen schriftlichen Auftrag erhielt.

Gemäss dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit)91 wäre ein solcher schriftlicher Auftrag in einer Krisensituation, welche sich stündlich veränderte, nicht zweckmässig gewesen. Zudem habe die Vorsteherin des EDA klare Anweisungen gegeben: Einerseits sollte alles unternommen werden, um die beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer zu schützen und in die Schweiz zurückzuholen, und andererseits sollten die traditionell guten bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen so rasch wie möglich wiederhergestellt werden.

Für die GPK-S lautet die zentrale Frage nicht, ob ein Auftrag unbedingt in schriftlicher Form erteilt werden muss. Entscheidend ist vielmehr, dass er ausreichend genau und klar definiert ist und dass er insbesondere nicht nur alle Zielsetzungen, sondern auch die einzusetzenden Mittel sowie die Fristen umfasst. Zudem ist die Kommission im vorliegenden Fall der Ansicht, dass dieser Auftrag durch den Gesamtbundesrat hätte definiert werden müssen.

2.2.4

Umstände der frühzeitigen Pensionierung des Botschafters der Schweiz in Libyen

Am 16. Dezember 2008 erteilt die für Versetzungen von Missionschefs zuständige Einsatzkommission des EDA der Direktorin der Direktion für Ressourcen des EDA (DR) den Auftrag, den schweizerischen Botschafter in Libyen auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Pensionierung unter Wahrung des vollen Rentenanspruchs anzusprechen.92 Am 22. Dezember 2008 nimmt die Direktorin der DR telefonisch Kontakt mit dem Schweizer Botschafter in Libyen auf und fragt ihn, ob er sich eine vorzeitige Pensionierung auf den 1. August 2009 vorstellen könnte. Nach Überlegung akzeptiert der Schweizer Botschafter dieses Angebot.

Der Bundesrat genehmigt mit Beschluss vom 6. März 2009 den Antrag des EDA in Bezug auf die vorzeitige Pensionierung des schweizerischen Botschafters in Libyen.93 Dabei genehmigt er auch den Vorschlag, dass der Nachfolger des Botschafters die Schweiz in Libyen als Geschäftsträger a.i. vertreten sollte. Eine Aufwertung der Schweizer Vertretung sollte erst wieder mit der Normalisierung der bilateralen Beziehungen erfolgen.

Am 1. Mai 2009 verlässt der Botschafter der Schweiz in Libyen seinen Posten und tritt in den vorzeitigen Ruhestand.

Die GPK-S hat sich mit den verschiedenen involvierten Akteuren unterhalten, um nachvollziehen zu können, wie der Entscheid des EDA, dem Schweizerischen Botschafter zu diesem Zeitpunkt eine vorzeitige Pensionierung anzubieten, zustande 91 92 93

Schriftliche Antwort des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) vom 11.10.2010, S. 1.

Schriftliche Antwort der Direktorin der Direktion für Ressourcen des EDA vom 8.6.2010, S. 1.

Schriftliche Antwort der Direktorin der Direktion für Ressourcen des EDA vom 8.6.2010, S. 1­2.

4256

gekommen war. Aufgrund der erhaltenen Informationen gelangt die GPK-S zum Schluss, dass dieser Entscheid nicht leichtfertig getroffen wurde.

Aus den Erklärungen verschiedener Vertreter des EDA ­ darunter der stellvertretende Staatssekretär (regionale Zuständigkeit)94 und die Vorsteherin des EDA95 ­ sowie den Sitzungsprotokollen der Arbeitsgruppen geht hervor, dass es im Verlaufe der fortdauernden Krise Probleme gegeben habe, weil sich der Schweizer Botschafter in Libyen nicht an die Richtlinien des EDA gehalten hätte, dies insbesondere was die gesicherte Informationsübertragung betraf. Zudem hätten sich die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Schweizer Botschafter in Libyen und der Zentrale in Bern über die zu verfolgende Strategie gehäuft.

Da die GPK-S keine Anhaltspunkte dafür gefunden hat, dass diese vorzeitige Pensionierung negative Auswirkungen auf die Beilegung der diplomatischen Krise gehabt hat, verzichtet sie aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes auf eine Veröffentlichung der Einzelheiten.

3

Phase II: von Juni 2009 bis Ende August 2009

3.1

Zusammenfassung des Sachverhalts

Am 9. Juni 2009 schickt die Vorsteherin des EDA einen Brief96 an den Bundespräsidenten 2009, in dem sie ihn über den Stand der Verhandlungen zwischen ihr und dem Premierminister von Libyen informiert und ihm einen Textentwurf gemäss dem damaligen Stand der Diskussionen übermittelt.

Im erwähnten Schreiben teilt sie dem Bundespräsidenten mit, dass die Diskussionen mit Libyen im Hinblick auf eine politische Lösung der Spannungen am 6. Mai 2009 begonnen hätten. Seither sei ihr Gesprächspartner der libysche Premierminister gewesen. Nachdem einige Fortschritte erzielt worden seien, habe der libysche Premierminister sie eingeladen, mit einer Delegation nach Libyen zu reisen, um die Gespräche in Tripolis weiterzuführen. Darüber habe sie den Bundespräsidenten am 20. Mai 2009 am Rande einer Sitzung eines der Bundesratsausschüsse informiert.

Weiter führt die Vorsteherin des EDA aus, der Inhalt der Diskussionen zu einer politischen Lösung beziehe sich in einem ersten Teil auf Massnahmen, die in der Kompetenz des EDA liegen würden (administrative Massnahmen gegen Mitarbeiter des EDA). Ein zweiter Teil beschäftige sich mit den Modalitäten zur Normalisierung der bilateralen Beziehungen und der Ausreiseerlaubnis für die zwei in Libyen festgehaltenen Schweizer Bürger. Im letzten Teil seien Massnahmen zur zukünftigen Intensivierung der bilateralen Beziehungen vorgesehen.

Im Vorfeld zum Arbeitsbesuch des Bundespräsidenten 2009 in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) habe sie dem Bundespräsidenten 2009 vorgeschlagen, seine Kontakte zum Präsidenten der VAE zu nutzen, um den Revolutionsführer über die bedeutenden Fortschritte in den Verhandlungen mit dem libyschen Premierminister zu informieren und den Willen der Schweiz zu einer schnellen Beilegung der 94 95 96

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Staatssekretärs (regionale Zuständigkeit) vom 15.9.2010, S. 32­40.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 29.10.2010, S. 3­8.

Schreiben der Vorsteherin des EDA zuhanden des Bundespräsidenten 2009 vom 9.6.2009.

4257

Spannungen zu signalisieren. Die Vorsteherin des EDA hält ausdrücklich fest, sie würde es begrüssen, wenn die Diskussionen anschliessend auch auf Stufe Präsidenten geführt werden könnten. Schliesslich unterstreicht sie, dass es wichtig sei, dass sie und der Bundespräsident 2009 sich weiterhin gegenseitig über die neusten Entwicklungen in dieser Angelegenheit informieren würden, und dankt dem Bundespräsidenten 2009 für seine Unterstützung.

Am 17. Juni 2009 führt der Bundesrat auf der Grundlage eines Aussprachepapiers des EDA vom 15. Juni 2009 eine Diskussion zum Stand der Verhandlungen. Aus diesem Aussprachepapier geht hervor, dass damals eine politische Lösung in Reichweite schien. Weiter wurde ausgeführt, dass sich nach monatelangen Verhandlungen, zahlreichen Angeboten schweizerischerseits und ebenso vielen Positionswechseln der libyschen Seite bei einem Verhandlungsstillstand die Notwendigkeit ergeben könnte, Libyen klar zu signalisieren, dass die Schweiz bereit sei, ihre Verhandlungsposition gezielt und stufenweise durch Gegenmassnahmen zu unterstützen. Im Aussprachepapier wurde sodann eine Reihe von möglichen Gegenmassnahmen dargelegt.

In der Bundesratssitzung gelangt das Kollegium zum Schluss, dass das Dossier, welches in der Federführung des EDA lag, wegen der Frage der Simultaneität der Ausreise der beiden Schweizer Geiseln mit der Unterzeichnung eines Abkommens festgefahren sei.97 Aus den Protokollen des Bundesrats geht hervor, dass es sich hierbei um die erste vertiefte Diskussion des Bundesrats in dieser Angelegenheit handelte.

Anlässlich dieser Sitzung weist der Bundespräsident 2009 auf das Vermittlungsangebot des Präsidenten der VAE hin. Darauf entscheidet der Bundesrat, dem Vermittlungsangebot eines arabischen Landes mit hoher Reputation in der islamischen Welt eine Chance zu geben und das Dossier auf präsidiale Ebene zu heben.98 Gemäss der Formulierung des Bundesrats in seiner schriftlichen Antwort an die GPK-S99 erteilte der Bundesrat dem Bundespräsidenten 2009 am 17. Juni 2009 einen formlosen Auftrag.

Ebenfalls gemäss dieser Antwort war das Mandat des Bundesrates im Konflikt zwischen der Schweiz und Libyen von Anfang an unverändert geblieben: Die Normalisierung der bilateralen Beziehungen und die Rückkehr der beiden zurückgehaltenen Schweizer Staatsangehörigen in die Schweiz. Ein
solch weit gefasstes Verhandlungsmandat sei im Bereich der internationalen Beziehungen nicht unüblich und dem EDA auch schon früher erteilt worden.

Laut dem Bundespräsidenten 2009100 war das Mandat des Bundesrats nicht befristet; der Bundespräsident 2009 sollte sich einfach dieses Dossiers annehmen. Ob er den Auftrag hatte, mit dem Revolutionsführer direkt zu verhandeln, konnte der Bundespräsident 2009 der GPK-S nicht sagen. Er meinte dazu, das sei wahrscheinlich die Erwartung gewesen. Es sei aber nicht klar gewesen, «wer letztlich das Sagen und die Kompetenzen hatte».

97 98 99 100

Schriftliche Antwort des Bundesrats zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 2.

Ibid.

Ibid.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 7.

4258

Laut Aussagen des Bundespräsidenten 2009101 habe er diese zusätzliche Aufgabe nicht gesucht, da er während seines Präsidialjahres bereits stark beschäftigt gewesen sei (Bankgeheimnis, UBS usw.). Er sei jedoch der Ansicht gewesen, dass die Situation blockiert war und die Verhandlungen auf eine höhere, das heisst präsidiale Ebene gehoben werden müssten.

Im Übrigen erklärte er der GPK-S, er sei der Meinung gewesen, ein Mandat erhalten zu haben, und zwar nicht nur aufgrund des Schreibens der Vorsteherin des EDA vom 9. Juni 2009, sondern auch aufgrund der Diskussion innerhalb des Bundesrats vom 17. Juni 2009.102 Aus dem entsprechenden Sitzungsprotokoll des Bundesrats geht hervor, dass die Frage einer Anhebung des Dossiers auf die präsidiale Ebene tatsächlich diskutiert wurde. Diese Option wurde von den Mitgliedern des Kollegiums wohlwollend aufgenommen, insbesondere nachdem der Bundespräsident 2009 seine Kontakte zum Präsidenten der VAE erwähnte, welcher sich um eine Vermittlung in dieser Sache bemühen wolle. Der Bundespräsident 2009 führte vor dem Kollegium aus, er werde in den nächsten Tagen noch einmal Kontakt mit der saudi-arabischen Regierung [recte: Präsident der VAE] haben. Danach werde klar sein, ob er auf präsidialer Ebene mit Libyen in Verhandlungen treten könne. Nach Abschluss der Diskussionen entschied der Bundesrat, das Ergebnis der Gespräche zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem Präsidenten der VAE abzuwarten.

Hingegen hat der Bundesrat weder einen formellen Entscheid zur Erteilung eines Mandats an den Bundespräsidenten 2009 getroffen noch den Inhalt und Umfang eines solchen Mandats definiert. Aus dem Entscheid des Bundesrats vom 17. Juni 2009103 geht einzig hervor, dass der Bundesrat vom Aussprachepapier des EDA vom 15. Juni 2009 Kenntnis genommen hat.

Ab dem 17. Juni 2009 stoppt das EDA sämtliche von ihm geführten Verhandlungen.104 Ein vorgesehenes Treffen zwischen dem Staatssekretär des EDA und seinem libyschen Amtskollegen zur Weiterführung der Ende Mai 2009 in Libyen aufgenommenen Verhandlungen findet deshalb nicht statt.

Mitte Juli 2009 nimmt ein ausländischer Geschäftsmann mit Wohnsitz in der Schweiz telefonischen Kontakt mit dem Bundespräsidenten 2009 auf. Er soll ihm gesagt haben, er habe direkten Zugang zu den libyschen Behörden sowie zum Revolutionsführer; Letzterer
habe seinen Willen bekundet, eine Lösung für diese Krise zu finden, und habe seinem Premierminister ein entsprechendes Mandat erteilt.105 In der Folge nimmt der Bundespräsident 2009 am 18. Juli 2009 telefonischen Kontakt mit dem libyschen Premierminister auf.106 Bei diesem Gespräch macht der Bundespräsident 2009 den libyschen Premierminister auf den Kontakt aufmerksam, den er mit dem Präsidenten der VAE gehabt hat, worauf ihm der libysche Premierminister gesagt hätte, er wisse bereits davon. Beide kommen nunmehr überein,

101 102 103 104 105

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 5, 7 und 22.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 8.

Entscheid des Bundesrates vom 17.6.2009.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 14.4.2010, S. 29.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 7­8, und Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9. 2010, S. 12.

106 Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 8, und Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 23.

4259

diesen Kanal nicht mehr zu nutzen, da ja inzwischen eine direkte Verbindung hergestellt worden sei.107 Im gleichen Gespräch diskutieren der Bundespräsident 2009 und der libysche Premierminister einen Abkommensentwurf, welcher die folgenden fünf Punkte umfasst: 1.

«In Bezug auf den Vorfall vom 15. Juli 2008 in Genf einigen sich Libyen und die Schweiz auf ein rasches Schiedsverfahren durch Rechtsexperten.

2.

Beide Länder ernennen bis am 31. Juli 2008 eine unabhängige Persönlichkeit aus einem Drittstaat. Die beiden Schiedsrichter organisieren sich selbst.

Beide Länder unterbreiten dem Schiedsgericht alle verfügbaren und erforderlichen Unterlagen.

3.

Ziel des Schiedsverfahrens ist es, zu beurteilen, ob die schweizerischen Justiz- und Polizeiorgane beim oben erwähnten Vorfall gemäss dem geltenden Recht gehandelt haben. Die Schiedsvereinbarung enthält Schlussempfehlungen.

4.

Die Unterzeichnung dieses Memorandums erfolgt in Libyen durch ermächtigte Organe der beiden Staaten. Im Falle der Schweiz: durch den Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft; im Falle der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija durch [Text fehlt].

5.

Gleichzeitig mit der Unterzeichnung dieses Entwurfs für eine Schiedsvereinbarung werden die bilateralen Beziehungen wiederhergestellt (siehe Entwurf)».108 [Übersetzung]

Am 31. Juli 2009 stellt der Bundespräsident 2009 dem libyschen Premierminister einen Abkommensentwurf109 zu, worin beide Staaten die Einsetzung eines Schiedsgerichts mit drei Schiedsrichtern vorsehen. Gemäss diesem Entwurf soll das Schiedsgericht feststellen, ob die in den Vorfall vom 15. Juli 2008 involvierten Kantons- und Bundesbehörden völkerrechtskonform gehandelt haben. Ebenfalls vorgesehen war, dass gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Entwurfs für ein Schiedsverfahren die bilateralen Beziehungen wiederhergestellt würden. Dies umfasste auch die Wiederaufnahme sämtlicher konsularischer Tätigkeiten für alle Staatsangehörige beider Länder, namentlich die Ausstellung von Ausreise- und Einreisevisa für Staatsangehörige und offizielle Gesandte, inklusive der beiden sich in Libyen aufhaltenden Schweizer Bürger. Die Wiederaufnahme der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie des Flugverkehrs zwischen beiden Staaten waren ebenfalls erwähnt. In einem Begleitschreiben des gleichen Tages bittet der Bundespräsident 2009 den Premierminister von Libyen um seine Anmerkungen zum Entwurf. Im Übrigen zeigt sich der Bundespräsident 2009 über einen baldigen Besuch in Tripolis erfreut, dies um diese Angelegenheit persönlich mit dem Revolutionsführer zu besprechen. Ein solcher Besuch wäre eine günstige Gelegenheit, um das Abkommen zu unterzeichnen.110 107

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 21 und vom 29.9.2010, S. 23.

108 Mündlich diskutierter Entwurf zwischen dem Bundespräsidenten Schweizerischen Eidgenossenschaft 2009 und dem Premierminister von Libyen vom 18.7.2009. («Draft as orally discussed between the President of the Swiss Confederation and the Prime Minister of Libya from 18.7.2009»).

109 Abkommensentwurf vom 31.7.2009.

110 Schreiben des Bundespräsidenten 2009 an den Premierminister von Libyen vom 31.7.2009.

4260

Am 5. August 2009111 beschliesst der Bundespräsident 2009, eine Reise nach Tripolis zu unternehmen. Dabei werden drei Daten ins Auge gefasst: Der 13. August 2009, der 18. August 2009 und der 20. August 2009.

Ein von der libyschen Seite am 13. August 2009 gemachter Vorschlag für ein Abkommen wird von der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 der DV zur Konsultation vorgelegt.112 Am 14. August 2009 übermittelt der Direktor der DV seine Schlussfolgerungen an die Vorsteherin des EDA.113 Er weist darauf hin, dass er nach einer eingehenden Prüfung zum Schluss gekommen sei, dass der Text in dieser Form nicht akzeptabel sei und legt einen Gegenvorschlag vor. Er führt aus: «Unser Gegenvorschlag beruht auf dem libyschen Text. Die Passagen, welche entfernt werden sollten, sind durchgestrichen. Unsere Gegenvorschläge sind fett markiert. In eckigen Klammern und kursiv sind diejenigen Abschnitte gehalten, wo Konzessionsmöglichkeiten bestehen.

Wir schlagen allerdings vor, diese Konzessionen von Gegenleistungen der libyschen Seite abhängig zu machen und daher erst stückweise im Verlauf der Verhandlungen einzubringen.» Die wichtigsten Kritikpunkte des Direktors der DV sind die Folgenden: In Bezug auf den Vorschlag, dass die Schweiz eine förmliche und öffentliche Entschuldigung für begangenes Unrecht an einem libyschen Diplomaten ausspricht, hält die DV fest, dass eine solche Entschuldigung nicht in Frage komme. Die Schweiz habe kein Unrecht begangen, wofür sie sich zu entschuldigen brauche. H.G. habe keinen diplomatischen Status im massgeblichen Zeitraum gehabt. Würde sich die Schweiz entschuldigen und ein begangenes Unrecht anerkennen, bräuchte es kein Schiedsverfahren mehr. Dagegen erachtet es der Direktor der DV als annehmbar, dass die Schweiz ihr Bedauern, allenfalls als letzte Konzession eine Entschuldigung für die durch die Verhaftung entstandenen Unannehmlichkeiten für H.G. und seine Familie ausspreche.

Bezüglich des einseitigen Charakters des vorgeschlagenen Schiedsverfahrens hebt die DV hervor, dass in einem solchen Fall nur das schweizerische Verhalten beleuchtet würde. Die von Libyen begangenen Rechtsverletzungen als Reaktion auf die Verhaftung des Ehepaars G. würden ausgeklammert. Solange im Gegenzug für die Unterzeichnung des Abkommens die beiden Schweizer freikämen, könnte dies
allenfalls akzeptiert werden. Da dies im Entwurf jedoch nicht vorgesehen sei, solle daran festgehalten werden, dass auch das libysche Verhalten Gegenstand des Schiedsverfahrens sei.

Bezüglich der Entscheidgrundlagen für das Schiedsverfahren beziehe sich der Entwurf auf «ethische Prinzipien» («ethical principles») und auf «internationale Gepflogenheiten» («rules of international courtesy»). Es handle sich dabei um vage und nirgends definierte Begriffe; aus diesem Grund schlägt die DV vor, sich auf die Bestimmungen des Statuts des Internationalen Gerichtshofs zu beziehen.

Darüber hinaus bemängelt die DV die Klausel der ausschliesslichen Übernahme der Kosten des Schiedsverfahrens durch die Schweiz sowie jene der Suspendierung der «Verantwortlichen» bis zum Ende des Schiedsverfahrens. Bezüglich des Vorschlags der Durchführung eines Strafverfahrens gegen Verantwortliche hielt die DV fest, 111 112 113

Schriftliche Antwort des Bundesrats zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 4.

Protokoll der Anhörung des stellvertretenden Direktors der DV vom 10.3.2010, S. 25.

Notiz des Direktors der DV zuhanden der Vorsteherin des EDA vom 14.8.2009.

4261

dass sich der Bundesrat wegen des Gewaltenteilungsprinzips nicht dazu verpflichten könne, ein Strafverfahren durchzuführen.

Abschliessend bemängelt die DV die im Entwurf vorgesehene Zahlung einer Wiedergutmachung von 20 Millionen Euro durch die Schweiz und die ebenfalls vorgesehene Regelung aller offenen bilateralen Fragen erst nach Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Schiedsverfahren. Die DV erachtet diese letzte Forderung als völlig unannehmbar, da damit die Freilassung der beiden Schweizer und die Aufhebung der übrigen Restriktionen ins Ermessen der libyschen Seite gelegt würden.

Abschliessend schlägt der Direktor der DV zwei Optionen vor. Was die erste Option anbelangt, führt er aus: «Da die Verhandlungskanäle des EDA seit geraumer Zeit nicht mehr genutzt wurden und damit sind, müsste eine Verhandlung wohl direkt durch [den Bundespräsidenten 2009] erfolgen. Es müsste versucht werden, die Divergenzen im direkten Gespräch mit der libyschen Seite, beziehungsweise dem libyschen [Revolutionsführer], auszuräumen». Die zweite Option bestehe darin, dass der Bundespräsident 2009 eine Lösung auf einer anderen Grundlage als dem bestehenden Abkommensentwurf suche. Eine solche Grundlage könnte der Vorschlag sein, ein Schiedsgericht vorzusehen und als Gegengeschäft mit den beiden Schweizern zurückzukehren.

Am 14. August 2009 übermittelt die Vorsteherin des EDA die Notiz des Direktors der DV als eine erste Einschätzung mit einem kurzen Begleitschreiben an den Bundespräsidenten 2009. Sie legt darin klar dar, dass der Entwurf in seiner aktuellen Form für die Schweiz nicht akzeptabel sei. Zudem schlägt sie dem Bundespräsidenten 2009 die beiden oben erwähnten Optionen vor und weist darauf hin, dass es sich hier um einen politischen Entscheid handle, der entweder beim Bundespräsidenten 2009 oder beim Bundesrat liege, je nachdem was der Bundespräsident 2009 für richtig halte.

Am 15. August 2009 übermittelt der Bundespräsident 2009 dem Premierminister von Libyen einen neuen Abkommensentwurf, welcher sich zum Teil auf die von der DV kritisierten Punkte stützt. Dieser Entwurf sieht unter anderem vor, dass die Schweizer Regierung ihr tiefstes Bedauern über den Vorfall vom 15. Juli 2008 ausdrückt und eine offizielle und öffentliche Entschuldigung abgibt für die Probleme und Unannehmlichkeiten,
welche durch die Verhaftung durch die Genfer Polizei entstanden sind. Im gleichen Schreiben schlägt der Bundespräsident 2009 ein Telefongespräch für den folgenden Sonntag vor und schliesst mit den Worten, dass er erfreut wäre, den Revolutionsführer am folgenden Donnerstag, 20. August 2009, zu treffen.114 Am gleichen Tag antwortet der libysche Premierminister115 dem Bundespräsidenten 2009 und erklärt, dass wichtige Punkte aus dem libyschen Entwurf entfernt und andere hinzugefügt worden seien. Es sei kein Kompromiss möglich bezüglich der Forderung nach einer Entschuldigung. Libyen sei nicht damit einverstanden, dass das Schiedsgericht seine Beurteilung auch zu den Handlungen der libyschen Seite abgebe und dass die Entschädigungsklausel zugunsten einer Bestimmung aufgehoben werden soll, wonach das Schiedsgericht eine angemessene finanzielle Entschä-

114 115

Brief des Bundespräsidenten 2009 an den Premierminister von Libyen vom 15.8.2009.

Brief des Premierministers von Libyen an den Bundespräsidenten 2009 vom 15.8.2009.

4262

digung festlegen könne. Folglich könne der Vorschlag laut dem libyschen Premierminister nicht akzeptiert werden.

Am 16. August 2009 führt der Bundespräsident 2009 ein Telefongespräch mit dem libyschen Premierminister. Dabei gibt der Bundespräsident 2009 seinem Wunsch Ausdruck, noch am gleichen Tag eine Lösung zu finden. Andernfalls wäre die Angelegenheit nicht weit genug fortgeschritten, um einen offiziellen Besuch des Bundespräsidenten 2009 in Tripolis ins Auge zu fassen und müsste zur Behandlung wieder ans EDA zurückgehen. Die beiden Gesprächspartner einigen sich darauf, noch am gleichen Tag Vorschläge auszutauschen.

Am selben Tag übermittelt der Premierminister von Libyen dem Bundespräsidenten 2009 einen Überblick über die wichtigsten Punkte, auf die sie sich geeinigt hätten («Outline of the basic agreed points»).116 Aus den neun Punkten dieses Dokuments geht unter anderem hervor, dass Libyen von der Schweizer Regierung eine offizielle und öffentliche Entschuldigung für das unrechtmässige und ungerechtfertigte Vorgehen der Genfer Polizei verlangt (englischer Text: «wrongful and unjustified actions committed by the Geneva Police»). Die bilateralen Beziehungen würden wieder aufgenommen werden, sobald das Schiedsgericht definitiv entschieden hätte und die Schweiz sämtlichen Verpflichtungen aus dem Abkommen nachgekommen wäre.

Immer noch am gleichen Tag antwortet der Bundespräsident dem libyschen Premierminister117, dass gewisse Punkte für die Schweiz unannehmbar seien. Die Angelegenheit scheine somit noch nicht so weit zu sein, um zwischen dem Revolutionsführer und dem Präsidenten der Schweizerischen Eidgenossenschaft endgültig geregelt zu werden. Er schlägt deshalb vor, den Dialog auf Ministerebene fortzuführen.

In seinem Antwortschreiben vom 17. August 2009118 schlägt der libysche Premierminister vor, dass der Bundespräsident 2009 präzisiert, welche Punkte für die Schweiz unannehmbar seien, so dass beide Seiten die noch bestehenden Hindernisse klar definieren könnten.

Am 18. August 2009 antwortet119 der Bundespräsident 2009, die drei wichtigsten Punkte für die Schweiz seien die Folgenden:

116 117 118 119

1.

«Im Sinne eines Kompromisses ist die Schweiz bereit, ein Schiedsverfahren einzuleiten, das einzig dazu dienen soll, die rechtlichen Konsequenzen der Handlungen der Schweizer Behörden im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 15. Juli 2008 abzuklären. Die Schweiz wird den Schlussentscheid akzeptieren.

2.

Aus diesem Grund könne die Schweiz keinen vorgegebenen Ausgang des Schiedsverfahrens akzeptieren. Die Schweiz entschuldige sich aufrichtig für die Unannehmlichkeiten, welche durch die Ereignisse vom 15. Juli 2008 verursacht wurden. Allerdings sei es Sache des Schiedsgerichts darüber zu befinden, ob diese Vorfälle gegen internationales Recht verstossen hätten.

Der Auftrag an das Schiedsgericht müsse daher neutral formuliert sein und die Folgerungen sich auf den Entscheid des Schiedsgerichts abstützen.

«Outline of the basic agreed points» vom 16.8.2009.

Brief des Bundespräsidenten 2009 an den Premierminister von Libyen vom 16.8.2009.

Brief des Premierministers von Libyen an den Bundespräsidenten 2009 vom 17.8.2009.

Brief des Bundespräsidenten 2009 an den Premierminister von Libyen vom 18.8.2009.

4263

Selbstverständlich werde die Schweiz auch die Zahlung einer Entschädigung akzeptieren, sollte das Gericht zu einem solchen Ergebnis gelangen.

3.

Zwei Schweizer Staatsangehörige würden an der Ausreise aus Libyen gehindert. Es handle sich dabei um Geschäftsleute, die für den Fortschritt und die Entwicklung in Libyen arbeiten und somit der Regierung und dem Volk von Libyen dienen würden. Der Bundespräsident erwarte, dass sie die nötigen Ausreisedokumente erhielten, sodass sie zusammen mit ihm ausreisen könnten, wenn er von seinem Besuch aus Libyen zurückkehre. Zudem sollten auch alle anderen von den libyschen Behörden nach dem Vorfall vom 15. Juli 2008 getroffenen Massnahmen aufgehoben werden, um die bilateralen Beziehungen vollumfänglich zu normalisieren.» [Übersetzung]

Der Bundespräsident schliesst mit der Bemerkung, dass er es begrüssen würde, diese Punkte mit dem Revolutionsführer persönlich diskutieren zu können.

Vor dem Versand dieser Antwort konsultiert die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009120 telefonisch den Direktor der DV.121 Der Direktor der DV wurde demnach im Sommer 2009 zweimal konsultiert. Danach gibt es keine Kontakte mehr zwischen der DV und dem Bundespräsidenten 2009 bis zu dessen Rückkehr von seiner Reise nach Libyen.122 Der Bundesrat tritt am 19. August 2009 zu einer Sitzung zusammen. Gemäss den Aussagen des Bundesrats123 umreisst der Bundespräsident 2009 anlässlich dieser Sitzung mündlich die letzten Entwicklungen in dieser Angelegenheit. Vor dem Hintergrund der neusten Vorschläge für ein Abkommen, welche am 18. und 19. August 2009 zwischen den beiden Ländern ausgetauscht wurden, gelangt er zur Auffassung, dass die Angelegenheit nicht bereinigt sei. Der Bundespräsident 2009 teilt deshalb dem Kollegium mit, dass er vorläufig nicht gedenke, nach Libyen zu reisen.

Der Bundespräsident 2009 hat nach eigenen Aussagen124 die Grundlagen des Abkommens anlässlich der Sitzung des Bundesrates vom 19. August 2009 geschildert und erwähnt, dass noch einige Differenzen zwischen den Parteien bestünden, dies insbesondere was die Bedenken der DV betreffe. Er habe dem Bundesrat gesagt, dass er nicht nach Libyen reise, solange Libyen nicht zu Verhandlungen über diese Punkte bereit sei.

Aus der persönlichen Notiz des Bundespräsidenten 2009 zum Ablauf des 19. August 2009 geht hervor, dass er den Bundesrat darüber orientiert hat, dass sich eine Lösung mit Libyen abzeichnen würde und dass die Reise am 20. August 2009 zwar geplant, aber noch unsicher sei.

120

121 122 123 124

Seit einigen Jahren ist es üblich, dass das EDA dem Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin eine Diplomatin oder einen Diplomaten zur Verfügung stellt. Auftrag des diplomatischen Beraters ist es, die Kontakte des Bundespräsidenten mit dem Ausland vorzubereiten und die Kontakte mit dem EDA zu gewährleisten (Protokoll der Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009, S. 1­2).

Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 52.

Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 55.

Schriftliche Antwort des Bundesrats zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 4.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 21.

4264

Es existiert kein formelles Protokoll des Bundesrats zu jenem Teil der Sitzung.

Hingegen geht aus den persönlichen Notizen des Vize-Bundeskanzlers hervor, dass der Bundespräsident 2009 den Bundesrat darüber informierte, dass er keine schriftliche Bestätigung erhalten habe, die beiden Schweizer Bürger mitnehmen zu können, und dass er folglich am nächsten Tag nicht nach Tripolis reise.

Im Laufe dieser Sitzung ersucht der Bundespräsident 2009 den Bundesrat nicht um eine Ermächtigung für die Unterzeichnung eines Abkommens mit Libyen.

Am 19. August 2009 schreibt125 der libysche Premierminister dem Bundespräsidenten 2009, er würde dessen Reise nach Libyen am 20. August 2009 begrüssen.

Zugleich wolle er ebenfalls im Sinne eines Kompromisses bestätigen, dass Libyen einverstanden sei mit den Punkten bezüglich des Schiedsverfahrens, der Entschädigung und der Entschuldigung durch die Schweizer Regierung, wie sie von Libyen früher vorgeschlagen und durch den Brief des Bundespräsidenten 2009 bestätigt worden seien. Die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern sei jedoch Gegenstand der Verhandlungen, die während seines Libyen-Besuchs stattfinden würden; darüber werde entsprechend ihrem Ausgang zu entscheiden sein.

Der Premierminister wiederholte nochmals, dass er den Besuch des Bundespräsidenten 2009 begrüsse und hoffe, er werde zu einer fairen und gerechten Bereinigung der Differenzen beitragen.

Am 19. August 2009 etwa um 19 Uhr erhält der Bundespräsident 2009 einen Telefonanruf des libyschen Premierministers.126 Dieser bittet ihn darum, auf jeden Fall am 20. August 2009 nach Tripolis zu reisen, da es gelte, das vorhandene Zeitfenster zu nutzen («window of opportunity»). Er habe zudem erwähnt, dass der Ramadan kurz bevorstehe; später sei die Ausgangslage nicht günstiger. Zudem habe er angemerkt, dass gewisse Bedingungen des Abkommensentwurfs (Entschuldigungen und Schiedsgericht) «hard-points» seien.

Im Laufe des Abends des 19. August 2009127 beschliesst der Bundespräsident 2009, am folgenden Tag, dem 20. August 2009, nach Tripolis zu reisen. Er informiert weder den Bundesrat als Kollegium noch die Vorsteherin des EDA über seinen Entscheid.

Nach Aussage des Bundespräsidenten 2009128 war der Bundesrat darüber orientiert worden, dass er grundsätzlich vorhatte, nach Libyen zu reisen,
hingegen nicht über den Zeitpunkt dieser Reise.

Den Aussagen des Bundesrats zufolge war das EDA über die Reise des Bundespräsidenten 2009 nach Tripolis informiert.129 Gemäss der Vorsteherin des EDA wurde sie tatsächlich am Abend des 19. August 2009 von einem ihrer Mitarbeiter über diese Reise informiert, aber das geschah, wie sie sagt, «eher zufällig».130 (Sie meint, sich daran erinnern zu können, dass es der Informationschef des EDA war.)

Am Abend des 19. August 2009 etwa um 20 Uhr informiert der Bundespräsident 2009 die Generalsekretärin des EFD darüber, dass er sich nach dem Telefongespräch 125 126 127 128 129 130

Brief des Premierministers von Libyen an den Bundespräsidenten 2009 vom 19.8.2009.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 14 und S. 21, und Notiz des Bundespräsidenten 2009 zum Tagesablauf des 19.8.2009.

Notiz des Bundespräsidenten 2009 zum Tagesablauf des 19.8.2009.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 22.

Antwort des Bundesrates zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 5.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 14.4.2010, S. 36.

4265

mit dem libyschen Premierminister nun doch entschieden habe, am kommenden Tag nach Tripolis zu reisen. Gemäss den Aussagen der Generalsekretärin des EFD habe der Bundespräsident 2009 sie gebeten, diese Information nicht weiterzugeben.131 Die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009132, die ebenfalls Kenntnis vom Entscheid des Bundespräsidenten 2009 hat, übermittelt diese Information nur an den Chef der PA II des EDA. Ihn hatte die Vorsteherin des EDA, als der Bundespräsident 2009 einige Zeit zuvor seine Reiseabsicht bekannt gegeben hatte, nämlich dazu bestimmt, den Bundespräsidenten 2009 bei einer allfälligen Reise nach Libyen zu begleiten. Die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 geht davon aus, dass der Chef der PA II des EDA seine Linie informieren wird.

Im Übrigen habe sie die Reise des Bundespräsidenten 2009 mehrmals mit dem stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) besprochen, jedoch ohne konkrete Daten zu erwähnen, da sie vom Bundespräsidenten die klare Anweisung erhalten habe, alles müsse unter grösstmöglicher Diskretion vonstatten gehen.133 Der Chef der PA II des EDA informiert die Vorsteherin des EDA nicht über die Reise vom 20. August 2009, da er seinerseits davon ausging, dass die beiden Bundesratsmitglieder im direkten Kontakt stehen.134 Die Delegation, mit welcher der Bundespräsident 2009 am 20. August 2009 nach Libyen reist, besteht aus dem Chef der PA II des EDA, der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009, der Leiterin der Kommunikation EFD sowie dem oben erwähnten Geschäftsmann. Vor Ort wird die Delegation durch den Geschäftsträger a.i. der Schweizer Botschaft in Tripolis und dessen Stellvertreter verstärkt.

Gemäss den Aussagen des Bundespräsidenten 2009 und seiner diplomatischen Beraterin135 hätte sich der Bundespräsident 2009 eine Begleitung durch den stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) gewünscht. Dieser hatte nämlich bis dahin einen Grossteil der Verhandlungen geführt und war ein Völkerrechtsexperte. Der Bundespräsident 2009 hatte deshalb ein entsprechendes Ersuchen an die Vorsteherin des EDA gerichtet. Die Vorsteherin des EDA habe dies jedoch abgelehnt und entschieden, ihm den Chef der PA II zur Verfügung zu stellen.

Die Vorsteherin des EDA bestätigte gegenüber der GPK-S, der Bundespräsident habe
darum ersucht, sich vom stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) begleiten zu lassen. Sie habe aber beschlossen, ihm den Chef der PA II zur Verfügung zu stellen, weil dieser sie bereits Ende Mai 2009 auf ihrer Reise nach Libyen begleitet hatte. Zudem habe sie gewünscht, dass der stellvertretende Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) in Bern bleiben würde, um sich um das «Back Office» zu kümmern.136

131 132 133 134 135

136

Protokoll der Anhörung der Generalsekretärin des EFD vom 27.8.2010, S. 26.

Protokoll der Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 53.

Protokoll der Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 53­54.

Schriftliche Antwort des Chefs der PA II zuhanden der Subkommission vom 13.9.2010, S. 1.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 8­9, und Protokoll der Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 53.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2010, S. 46.

4266

Die GPK-S konnte die genaue Rolle des privaten Geschäftsmannes, welcher den Bundespräsidenten 2009 nach Libyen begleitet hat, nicht klären. Gemäss den Erklärungen des Bundespräsidenten 2009137 nahm der Geschäftsmann nicht an den Verhandlungen der Delegationen teil. Laut Aussagen des Geschäftsträgers a.i. der Schweizer Botschaft in Tripolis138 war der Geschäftsmann jedoch am Mittagessen anwesend, an welchem der Bundespräsident 2009, der erwähnte Geschäftsträger sowie der Premierminister und der Aussenminister von Libyen teilgenommen haben.

In Bezug auf den Ablauf der Verhandlungen vor Ort konnte die GPK-S nicht definitiv klären, wie diese Verhandlungen abgeschlossen wurden. Die verschiedenen betroffenen Personen sagten indessen übereinstimmend aus, dass sich die Anwesenden nach einer vorgängigen Diskussion in zwei Gruppen aufgeteilt hätten: Die erste bestand aus dem Bundespräsidenten 2009, dem Geschäftsträger a.i. der Schweizer Botschaft, der Leiterin der Kommunikation EFD, dem Premierminister und dem Aussenminister von Libyen; die zweite umfasste den Chef der PA II, die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009, den stellvertretenden Geschäftsträger der Schweizer Botschaft sowie drei Vertreter Libyens.139 Laut Bundesrat140 haben die Vertreter der beiden Delegationen die letzten Details des Abkommens vor Ort bereinigt, nachdem sich der Bundespräsident 2009 und der libysche Premierminister im Grundsatz einig geworden waren.

Nach Aussagen des Bundespräsidenten 2009141 war es der Chef der PA II, der den Text des Abkommens zusammen mit der libyschen Seite endgültig bereinigt hat.

Aus diesem Grund war der Bundespräsident 2009 der Ansicht, dass sich der Text nicht nur auf die durch das EDA geführten Vorverhandlungen stützte, sondern in seiner definitiven Version auch unter Mitwirkung des EDA verfasst worden war.

In einer Informationsnotiz142, welche der Chef der PA II am 24. August 2009 zuhanden der Vorsteherin des EDA über seine Teilnahme an der vom Bundespräsidenten 2009 angeführten Delegation verfasst hat, erklärte er, dass die Delegationen der Schweiz und Libyens noch am Verhandeln gewesen seien, als ihnen mitgeteilt wurde, der Bundespräsident 2009 und der libysche Premierminister hätten eine Lösung bezüglich der beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer gefunden und die Verhandlungen
müssten im jetzigen Stand abgeschlossen werden. Diese Anweisung hätte die beiden Delegationen überrascht.

Laut der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009143 ging die Schweizer Delegation ursprünglich davon aus, dass der mit dem libyschen Premierminister ausgehandelte Text vom 19. August 2009 definitiv war. In Tripolis angekommen, habe die Schweizer Delegation jedoch festgestellt, dass die libysche Delegation noch 137 138 139

140 141 142

143

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 16.

Protokoll der Anhörung des Geschäftsträgers a.i. der Schweizer Botschaft in Tripolis vom 27.8.2010, S. 7.

Informationsnotiz des Chefs der PA II vom 24.8.2009 zuhanden der Vorsteherin des EDA über seine Teilnahme an der Delegation, die vom Vorsteher des EFD angeführt wurde, S. 2.

Antwort des Bundesrates zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 5.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 15­16.

Informationsnotiz des Chefs der PA II vom 24.8.2009 zuhanden der Vorsteherin des EDA über seine Teilnahme an der Delegation, welche vom Vorsteher des EFD angeführt wurde, S. 2.

Protokoll der Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 55­56.

4267

über mehrere Punkte verhandeln wollte. Nachdem die beiden Delegationen zu einem Abschluss gelangt seien, hätten sie die Weiterführung des Verfahrens an ihre jeweiligen Vorgesetzten delegiert, damit diese die Entscheidung treffen.

Gemäss der oben erwähnten Informationsnotiz des Chefs der PA II144 «kam [der Bundespräsident 2009] um ca. 15 Uhr in die Runde und teilte mit, dass der Premierminister Libyens ihm versprochen habe, die zwei Schweizer in den nächsten Tagen, ca. vor dem 1. September, in die Schweiz zu entlassen. Dies sei für ihn der entscheidende Punkt gewesen, an dem er [Bundespräsident 2009] politisch entschieden habe».

Der Bundespräsident 2009145 seinerseits erklärte auch gegenüber der GPK-S, dass der libysche Premierminister ihm versprochen habe, die beiden Schweizer könnten in wenigen Tagen in die Schweiz zurückkehren.

Gemäss den Aussagen der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009146 habe der Premierminister Libyens dem Bundespräsidenten 2009 bereits anlässlich des Telefongesprächs vom 19. August 2009 zugesichert, dass die beiden Schweizer Libyen nach seinem Besuch würden verlassen können. Die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 sei jedoch während dieses Telefongesprächs nicht anwesend gewesen. Am 20. August 2009 habe der Bundespräsident 2009 nach seinem Mittagessen mit dem libyschen Premierminister diese Information in Gegenwart des Premierministers wiederholt. Er habe jedoch präzisiert, dass es nicht möglich sei, die beiden Schweizer sofort mitzunehmen, aber sie könnten vor Ende des Monats abreisen. Diese Vorgänge hätten sich somit vor der Unterzeichnung der Vereinbarung abgespielt.

Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen stellt die GPK-S fest, dass es während der Verhandlungen keine Kontakte zwischen der in Libyen weilenden Schweizer Delegation und dem EDA gab. Weder die Vorsteherin des EDA147 noch die DV wurden vor der Unterzeichnung des Abkommens zu seinem definitiven Wortlaut konsultiert.

Gemäss dem Bundespräsidenten 2009148 war es nicht seine Sache, sich um die Kontakte zwischen dem in Libyen weilenden Chef der PA II und dem EDA zu kümmern.

Laut dem Chef der PA II149 hatte er während der Verhandlungen keine Möglichkeit, das EDA zu kontaktieren, und er sei erst nach der Unterzeichnung des Abkommens dazu in der Lage gewesen.

Auf die schriftliche Frage der Subkommission150, in welcher der Chef der PA II aufgefordert wurde, diesen Punkt zu erläutern, wiederholte dieser, er habe keine 144

145 146 147 148 149

150

Informationsnotiz des Chefs der PA II vom 24.8.2009 zuhanden der Vorsteherin des EDA über seine Teilnahme an der Delegation, die vom Vorsteher des EFD angeführt wurde, S. 2.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 15.

Schriftliche Antwort der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 11.10.2010, S. 1.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 14.4.2010, S. 36.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 17.

Informationsnotiz des Chefs der PA II vom 24.8.09 zuhanden der Vorsteherin des EDA über seine Teilnahme an der Delegation, welche vom Vorsteher des EFD angeführt wurde, S. 2.

Brief des Präsidenten der Subkommission an den Chef der PA II vom 2.9.2010.

4268

Möglichkeit gehabt, Bern zu informieren, weil die Verhandlungen zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem libyschen Premierminister in einem separaten Raum stattgefunden hätten und der Bundespräsident 2009 die Delegationen zu einem bestimmten Zeitpunkt darüber informiert habe, dass die Angelegenheit geregelt sei und die Delegationen die Arbeit am Text abbrechen könnten.151 Im Übrigen geht der Chef der PA II davon aus, dass der Bundespräsident 2009 vom Bundesrat dazu ermächtigt worden war, den Text auszuhandeln und zu unterzeichnen.152 Die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 ihrerseits geht davon aus, dass der Chef der PA II für die Kontakte mit dem EDA zuständig ist. Sie erklärte allerdings gegenüber der GPK-S, dass sie nicht glaube, dass die Frage, wer das EDA wann informieren müsse, im Voraus formell geregelt worden sei.153 Vom 17. Juni 2009 bis zum 20. August 2009 gibt es keine Kontakte zwischen den Dienststellen des Bundespräsidenten 2009 bzw. dem Bundespräsidenten 2009 selbst und den Behörden des Kantons Genf.

Die Behörden des Kantons Genf wurden demnach nicht zum definitiven Text konsultiert, der am 20. August 2009 unterzeichnet wurde (die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf während dieser Phase werden im nachfolgenden Kap. 3.2.3 erörtert).

Weder die Aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte noch ihre Präsidenten (gemäss Art. 152 Abs. 4 ParlG154) wurden vor der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 konsultiert.155 Der Bundesrat wird vor der Unterzeichnung des Abkommens nicht zum Text konsultiert.

Im Übrigen wird der Bundesrat zwischen dem 17. Juni 2009 und dem 20. August 2009 nicht über die Absicht informiert, ein Abkommen zu unterzeichnen.156 (Der Informationsfluss innerhalb des Bundesrates wird in Kap. 3.2.1 des vorliegenden Berichts näher behandelt.)

Am 20. August 2009 unterzeichnen der Bundespräsident 2009 ­ im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft ­ und der Premierminister von Libyen in Tripolis ein Abkommen zwischen den beiden Ländern, das sieben Punkte umfasst.157

151 152

153 154

155 156 157

Schriftliche Antwort des Chefs der PA II zuhanden der Subkommission vom 13.9.2010.

Informationsnotiz des Chefs der PA II vom 24.8.2009 zuhanden der Vorsteherin des EDA über seine Teilnahme an der Delegation, welche vom Vorsteher des EFD angeführt wurde, S. 1, und schriftliche Antwort des Chefs der PA II zuhanden der Subkommission vom 13.9.2010.

Protokoll der Anhörung der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 15.9.2010, S. 55.

Art. 152 Abs. 4 ParlG lautet wie folgt: «Der Bundesrat konsultiert in dringlichen Fällen die Präsidentinnen oder die Präsidenten der für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen. Diese informieren umgehend ihre Kommissionen.» Antworten der Präsidentin der APK-N vom 8.7.2010 und des Präsidenten der APK-S vom 18.8.2010 zuhanden der Subkommission.

Schriftliche Antwort des Bundesrates zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 5.

Agreement between The Great Socialist People's Libyan Arab Jamahiriya And The Swiss Confederation, 20.8.2009, Anhang 4.

4269

Gemäss den Erklärungen des Bundespräsidenten 2009158 hatte er von Anfang an die Absicht, die Verhandlungen abzuschliessen und direkt vor Ort eine Vereinbarung mit Libyen zu unterzeichnen. Er sagte gegenüber der GPK-S aus, er habe von Libyen aus keine Telefonkonferenz mit dem Bundesrat einberufen, um das Kollegium vor der Unterzeichnung des Abkommens zu konsultieren, weil dies die Dinge nur noch komplizierter gemacht und den Abschluss des Abkommens gefährdet hätte.

Nachdem er die Situation analysiert habe, sei er zum Schluss gekommen, dass es keine andere Lösung gebe, als ein Risiko einzugehen und den «gordischen Knoten» zu lösen. Andernfalls hätte er alle betroffenen Personen einbeziehen müssen, das heisst den Bundesrat, aber auch die Behörden des Kantons Genf, die Aussenpolitischen Kommissionen und die Arbeitgeber der beiden Schweizer Staatsangehörigen.

Es habe jedoch schnell gehandelt werden müssen, sonst wäre man wieder in Vorschläge und Gegenvorschläge zurückgefallen und die Situation wäre nicht vorangekommen.

Laut den Aussagen der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009159 war das Ziel der Reise nicht zu verhandeln, sondern einen ausgehandelten Text zu verabschieden, mit dem Endziel, die beiden Schweizer nach Hause zu holen. Die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 ging davon aus, dass das EDA darüber informiert wurde, dass dies das Ziel der Reise war, an welcher ja auch der Chef der PA II teilnahm.

Am 20. August 2009 führt der Bundespräsident 2009 gemeinsam mit dem Premierminister von Libyen eine Medienkonferenz in Tripolis durch.

Zudem veröffentlicht das EFD am Abend des 20. August 2009 eine Medienmitteilung, in der die Unterzeichnung des Abkommens bekannt gegeben wird.160 Diese Medienmitteilung ­ wie auch die oben erwähnte Medienkonferenz ­ werden vor Ort in Libyen vorbereitet und weder dem Bundesrat noch dem EDA vorgängig zur Konsultation vorgelegt.161 Gemäss dem Bundesrat wird diese Medienmitteilung vom Informationsdienst des EFD an die Informationsdienste der anderen Departemente geschickt mit der Bitte, die jeweiligen Vorsteher und Vorsteherinnen der Departemente darüber zu informieren.162 Während seines Aufenthalts in Libyen trifft der Bundespräsident 2009 den Revolutionsführer nicht.163 Gemäss den Angaben des Bundespräsidenten 2009 hatte er vor seiner
Reise mit dem libyschen Premierminister vereinbart, dass ein solches Treffen organisiert werde; er habe erst in Libyen erfahren, dass der Revolutionsführer 700 Kilometer von Tripolis entfernt aufgehalten wurde, um ein dringendes Problem zu lösen. Er sei aber überzeugt gewesen, dass der libysche Premierminister vom Revolutionsführer grünes Licht erhalten hätte, um ein Abkommen abzuschliessen und zu unterzeichnen. Diese Einschätzung stützte der Bundespräsident 2009 zum einen auf die Informationen, die er vom Geschäftsmann erhalten hatte, und zum 158 159 160 161 162 163

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 17­18.

Schriftliche Antwort der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 11.10.2010, S. 1.

Medienmitteilung des EFD vom 20.8.2009, Bilaterale Beziehungen Schweiz-Libyen wiederhergestellt ­ Festgehaltene Schweizer demnächst frei.

Protokoll der Anhörung des Chefs Information des EDA vom 10.3.2010, S. 44.

Schriftliche Antwort des Bundesrates zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 5.

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 18­19 und S. 24, und Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 11­12.

4270

andern darauf, dass ein Abkommen ohne eine solche Zusage seiner Ansicht nach schlicht nicht hätte geschlossen werden können. Von daher war für ihn ein persönliches Treffen mit dem Revolutionsführer während seines Aufenthalts nicht so massgebend. Im Gegensatz zu dem, was später verschiedentlich berichtet wurde, stimme es aber nicht, dass er einen vom Revolutionsführer unterbreiteten Vorschlag für ein Treffen abgelehnt habe.

Am 21. August 2009 gibt der Bundespräsident 2009 in Bern eine Medienkonferenz.

Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen stellt die Kommission fest, dass weder der Bundesrat noch das EDA in die Vorbereitung dieser Medienkonferenz miteinbezogen wurden. In ihrem Verlauf sagt der Bundespräsident 2009: «Diese Vorbereitungen der Schiedsgerichtsklausel geschahen in Übereinstimmung mit dem EDA, man wusste das dort, ich habe mir auch die Formulierungen selbstverständlich präsentieren lassen. Das ist klar. Wir haben ja dort eine Direktion für Völkerrecht, die sich in solchen Fragen auskennt.»164 Nach Abschluss der Medienkonferenz berichten einige Medien, dass Journalisten während dieser Konferenz SMS vom EDA erhalten hätten. Darin sei präzisiert worden, dass die DV vor der Unterzeichnung des Abkommens nicht konsultiert worden sei.

Laut dem Informationschef des EDA165 erhielt sein Dienst nach der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 zahlreiche Medienanfragen, und dies bereits seit dem Abend des 20. August 2009. Die Abklärung des Sachverhalts habe eine gewisse Zeit gedauert, weil der Informationsdienst des EDA von den aktuellen Ereignissen in Libyen überrascht worden sei und keine nähere Kenntnis weder vom unterzeichneten Abkommen noch von den Verhandlungen gehabt hätte. Nach interner Klärung der Fakten wurde am Folgetag beschlossen, dass sich das EDA inhaltlich nicht zum Abkommen äussert und auf Anfrage der Medien lediglich festhält, dass die Direktion für Völkerrecht des EDA den endgültigen Abkommenstext vor der Unterzeichnung nicht mehr zu Gesicht bekommen habe.

Am 21. August 2009 antwortet der Informationsdienst des EDA dementsprechend auf die Fragen der Journalisten, welche ihm seit dem Vorabend gestellt wurden, und zwar sowohl mündlich als auch schriftlich (einschliesslich per SMS). Dabei erwähnt der Informationsdienst des EDA denn auch gegenüber einzelnen Medien,
dass die DV das Abkommen vom 20. August 2009 vor der Unterzeichnung nicht mehr gesehen bzw. den definitiven Abkommenstext nicht gutgeheissen habe.

Der Informationschef des EDA hat der GPK-S bestätigt166, dass er in diesem Sinn selber vier Medienschaffenden, welche ihn am 20. und 21. August 2009 teils mehrfach direkt angefragt hätten, via SMS eine entsprechende Stellungnahme übermittelt habe.

Gemäss dem Informationschef des EDA entsprach diese Stellungnahme den Fakten und stimmte mit der offiziellen Haltung des EDA überein. Es lag weder eine Indiskretion noch eine strafbare Handlung vor, weshalb auch keine interne Untersuchung eingeleitet worden sei.

164 165

Medienkonferenz des Bundespräsidenten 2009 vom 21.8.2009, www.tv.admin.ch.

Schriftliche Antwort des Chefs Information des EDA zuhanden der Subkommission vom 17.8.2010, S. 1­2.

166 Schriftliche Antwort des Chefs Information des EDA zuhanden der Subkommission vom 17.8.2010, S. 2.

4271

Die Vorsteherin des EDA bestätigte zudem gegenüber der GPK-S167, dass sie keinen Auftrag zum Versand dieser SMS gegeben habe und erst nach deren Übermittlung an die Journalisten davon erfahren habe. Sie habe sich beim Bundespräsidenten 2009 für diesen Vorfall entschuldigt.

Am 24. August 2009 ersucht das EFD den Bundesrat, das Abkommen vom 20. August 2009 an seiner Sitzung vom 26. August 2009 zu genehmigen.168 In diesem Antrag legt der Bundespräsident 2009 zuerst die Ausgangslage mit folgenden Worten dar: «Am 17. Juni 2009 übertrug der Bundesrat dem Bundespräsidenten das Mandat, mit Libyen Verhandlungen aufzunehmen, um eine Ausreise der in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger sowie eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen zu erreichen. Der Bundespräsident informierte den Bundesrat fortan über den Verlauf der Verhandlungen, letztmals an der Sitzung des Bundesrats vom 19. August 2009. Die Verhandlungen mit Libyen wurden auf der Grundlage eines von der Direktion für Völkerrecht bearbeiteten Vertragstextes geführt. Am 19. August 2009 konnte mit der libyschen Seite nach weiteren Verhandlungen Konsens zum Entwurf einer Vereinbarung erzielt werden.

Der Bundespräsident entschloss sich, im Interesse der beiden Schweizer Bürger sowie der schweizerischen Handelsbeziehungen sofort nach Libyen zu reisen.

Andernfalls hätten sich die Verhandlungen angesichts des beginnenden Ramadan (am 21. August 2009) und den bevorstehenden Revolutionsfeierlichkeiten voraussichtlich wieder massiv verzögert.» Weiter erwähnt der Bundespräsident 2009 in diesem Antrag, dass der Premierminister von Libyen vor den Medien in Tripolis bestätigt habe, dass die beiden Schweizer das Land noch vor dem 1. September 2009 verlassen könnten. Danach präsentierte er die drei Hauptpunkte des am 20. August 2009 unterzeichneten Abkommens (Entschuldigung, Schiedsgericht und Normalisierung der bilateralen Beziehungen innerhalb von 60 Tagen, einschliesslich der Wiederaufnahme aller konsularischen Tätigkeiten).

Im Antrag des EFD vom 24. August 2009 wird zudem das Abkommen folgendermassen gewürdigt: «Es ist gelungen, mit Libyen die Normalisierung unserer Beziehungen zu vereinbaren. [...] Der Preis dafür war die Entschuldigung, die der Bundespräsident im Namen der Schweizer Regierung vorzubringen hatte. Es
ist wichtig hervorzuheben, dass sich der Bundespräsident nicht für die Schweizer Rechtsordnung entschuldigt hat, sondern einzig für die Umstände der Verhaftung.» Zudem wird unterstrichen, der Bundespräsident 2009 habe erreichen können, dass das Abkommen eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zum Zeitpunkt der Einsetzung eines Schiedsgerichts (und nicht erst später) vorsehe und dass die libysche Seite darauf verzichte, die Forderung nach einer Suspendierung von drei Mitgliedern der Genfer Polizei in das Abkommen aufzunehmen.

Der Antrag des EFD schliesst mit folgender Präzisierung: «Beim vorliegenden Vertrag handelt es sich um ein Abkommen, das sich in erster Linie an die Behörden richtet. Die Zuständigkeit zur Genehmigung des Abkommens liegt daher nach Artikel 7a Absatz 2 Buchstabe d Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG) beim Bundesrat.»

167 168

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2010, S. 48.

Antrag des EFD vom 24.8.2009.

4272

Am gleichen Tag schreibt der Bundespräsident 2009 einen Brief an den Revolutionsführer.169 Nachdem er diesem zu seiner Wahl zum Präsidenten der Afrikanischen Union gratuliert und ihm die besten Wünsche zum Ramadan entrichtet hat, fährt er fort, er schreibe ihm auch, um ihn in einer Angelegenheit, die dem Schweizer Volk sehr am Herzen liege, um sein Wohlwollen zu bitten. Wie der Revolutionsführer wisse, habe er vor kurzem das Privileg gehabt, Tripolis zu besuchen, und er sei dabei in sehr angenehmer Weise von Vertretern der libyschen Regierung empfangen worden. Dabei habe man ein Abkommen abgeschlossen, das im Interesse beider Länder sei und eine langfristige positive Beziehung zwischen der Schweiz und Libyen sichern werde. Seiner Ansicht nach gebe es jetzt nur noch eine Angelegenheit, welche die Schweiz geregelt haben möchte, damit sich die beiden Staaten in ihrer gemeinsamen Zukunft vollkommen wohl fühlen könnten. Er sei sich natürlich bewusst, dass eine solche Vereinbarung ohne die Unterstützung des Revolutionsführers nicht möglich gewesen wäre, und er versichere ihn seiner ausgezeichneten Hochachtung. Im Hinblick auf dieses Abkommen und das Wohlwollen, das während des Ramadan so gross sei, bitte er den Revolutionsführer deshalb einzig darum, den beiden Schweizer Bürgern, die noch immer in Libyen festgehalten würden, zu erlauben, in ihr Land und zu ihrem Volk zurückzukehren. Eine Erlaubnis zur Rückkehr in die Schweiz würde nicht nur von der Schweizer Regierung, sondern auch vom Volk äusserst positiv aufgenommen werden.

Am 25. August 2009 reist die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009170 im Auftrag des Bundespräsidenten 2009 und in Begleitung des Geschäftsmannes, der bereits an der Reise vom 20. August 2009 teilgenommen hat, im Bundesratsflugzeug (Falcon 50) nach Tripolis. [Anmerkung der GPK-S: die Angaben zu dieser Reise sind im Wesentlichen einer Notiz der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 zu dieser Reise entnommen.] Ihr Auftrag lautet, die beiden Schweizer zurückzuholen. Diese Reise erfolgt nach mehreren Telefongesprächen zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem Premierminister von Libyen. Dabei habe der Premierminister von Libyen am 23. August 2009 gegenüber dem Bundespräsidenten 2009 versichert, dass die Verfahren gegen die beiden Schweizer am 24. August
2009 eingestellt würden, so dass eine Ausreise am 25. August 2009 möglich wäre. Parallel dazu habe auch der Geschäftsmann mehrere Telefongespräche mit der Entourage des Revolutionsführers geführt.

Vor Ort angekommen, trifft die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 den Generalsekretär des libyschen Aussenministeriums und legt ihm die Gründe für ihren Besuch dar. Sie erinnert an das Versprechen, das der libysche Premierminister dem Bundespräsidenten 2009 gegeben habe und gemäss dem die beiden Schweizer das Land noch vor Ende des Monats verlassen könnten, und erklärt, dass es angesichts des Mediendrucks, der seit der Reise des Bundespräsidenten 2009 ausgeübt werde, günstig wäre, wenn die beiden Schweizer noch vor der Bundesratssitzung vom 26. August 2009 zurückkehren könnten, um die Genehmigung des Abkommens zu erleichtern. Der Generalsekretär des libyschen Aussenministeriums sei über das Medienecho informiert gewesen, das die Reise des Bundespräsidenten 2009 in der Schweiz ausgelöst habe, und habe erklärt, dass sich die Schweizer Regierung offensichtlich nicht einig sei in dieser Frage. Dann habe er gesagt, dass er mit seinen Vorgesetzten sprechen müsse.

169 170

Brief des Bundespräsidenten 2009 an den Revolutionsführer vom 24.8.2009.

Notiz der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 31.8.2009 zu ihrer Reise nach Tripolis vom 25. bis 28.8.2009, S. 1­3.

4273

In den darauffolgenden Stunden habe der sie begleitende Geschäftsmann mit zahlreichen Personen telefoniert, unter anderem mit dem Revolutionsführer persönlich.

Um 4 Uhr morgens habe der Generalsekretär des Aussenministeriums angekündigt, dass die verschiedenen Verfahren unverzüglich eingeleitet worden seien, aber dass es nicht möglich sei, sie noch vor der Sitzung des Bundesrats am kommenden Morgen abzuschliessen. Der libysche Premierminister habe jedoch per Fax einen Brief an den Bundespräsidenten 2009 geschickt, in dem er unterstrichen habe, dass die eingeleiteten Verfahren gegen die beiden Schweizer Bürger beschleunigt behandelt würden und dass sie das Land noch vor Ende des Monats verlassen könnten.

In diesem Brief vom 26. August 2009 an den Bundespräsidenten 2009171 schreibt der libysche Premierminister, dass das Gerichtsverfahren in der Sache der beiden Schweizer im Gange sei und der Generalstaatsanwalt die Angelegenheit gemäss den geltenden libyschen Gesetzen und Bestimmungen und auf zügige Weise behandle.

Man gehe davon aus, dass das Verfahren in wenigen Tagen abgeschlossen sei.

Gestützt auf den normalen Lauf der Dinge in ähnlichen Fällen sei anzunehmen, dass sehr bald über ihren Fall entschieden werde und sie noch vor Ende des Monats aus Libyen ausreisen könnten.172 Anlässlich seiner Sitzung vom 26. August 2009 trifft der Bundesrat die drei folgenden Entscheide: 1.

«Die Orientierungen des Bundespräsidenten und der Departementsvorsteherin des EDA über den aktuellen Stand der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen werden zur Kenntnis genommen;

2.

Das EDA stellt fest, dass die vom EFD vorgelegte Vereinbarung die Schweiz auf internationaler Ebene verpflichtet;

3.

Gestützt auf diese Feststellung wird die Phase der Umsetzung der Vereinbarung an die Hand genommen.»173

Gemäss der schriftlichen Antwort des Bundesrats vom 31. März 2010174 nimmt der Bundesrat anlässlich seiner Sitzung vom 26. August 2009 Kenntnis vom Abkommen vom 20. August 2009 und stellt fest, dass die Schweiz dadurch auf internationaler Ebene verpflichtet ist. In Anbetracht der besonderen Umstände der Unterzeichnung dieses Abkommens entscheidet sich der Bundesrat absichtlich für diese Formulierung, gemäss der er das Abkommen zur Kenntnis nimmt, statt wie üblich von einer Genehmigung zu sprechen.175 Aus den Protokollen des Bundesrats geht hervor, dass die Mitglieder des Kollegiums nicht bereit waren, dieses Abkommen formell zu genehmigen, da sie nicht im Voraus zu seinem Inhalt konsultiert worden waren.

171 172

173 174 175

Brief des libyschen Premierministers an den Bundespräsidenten 2009 vom 26.8.2009, S. 2.

Originaltext englisch: «the legal process with regard to their case is under way and the General Prosecutor is dealing with the matter in accordance with the relevant Libyan laws and regulations and on an expeditiously manner. We anticipate that the procedures will be completed in a matter of days. Based on the normal course of things in similar situations we believe that their case will be determined very soon and they will be able to travel outside of Libya before the end of this month».

Entscheid des Bundesrats vom 26.8.2009.

Schriftliche Antwort des Bundesrats zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 6.

Schriftliche Antwort des Bundesrats zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 6.

4274

Im Übrigen geht aus den Unterlagen des Bundesrates auch hervor, dass sich die Generalsekretärin des EFD im Auftrag des Bundespräsidenten 2009 an die Bundeskanzlei gewendet hat, um den Entscheid des Bundesrats vom 26. August 2009 nachträglich zu ändern, was die Bundeskanzlei jedoch abgelehnt hätte.

Auf die diesbezügliche Frage der GPK-S antwortete der Bundespräsident 2009, er sei der Meinung gewesen, dass man den Text mit der Anerkennung auch gleichzeitig genehmigt. Der Bundesrat machte hier aber einen Unterschied. Er anerkannte, dass völkerrechtlich nichts Unrechtes geschah ­ was aber nicht heisse, dass er auch hinter dem Vertrag stehe. Diese Interpretation des Bundesrats habe er so stehen lassen müssen.176 Gemäss der schriftlichen Antwort des Bundesrats vom 31. März 2010 betraute dieser am 26. August 2009 das EDA mit der Umsetzung des Abkommens vom 20. August 2009.177 Das EDA bestimmte den Staatssekretär des EDA als Koordinator gemäss Punkt 7 des Abkommens178, der vorsah, dass beide Parteien eine Person des Aussenministeriums mit der Regelung aller Punkte beauftragt, welche die bilateralen Beziehungen tangieren.

Am gleichen Tag wird vom EDA ein departementsübergreifendes neues Organ unter dem Namen «Task Force LI-CH-T» (Libyen-Schweiz-Task Force) eingesetzt.

Die «Task Force LI-CH-T» besteht aus Vertretern von fünf Departementen: EDA, EFD (Generalssekretariat und danach Eidgenössische Finanzverwaltung), EVD (SECO), EJPD (Bundesamt für Migration und danach Generalsekretariat) sowie VBS (Strategischer Nachrichtendienst).

Gemäss dem Staatssekretär des EDA waren die Kompetenzen, die diesem Organ übertragen wurden, klar. In der Task Force ging es primär darum, eine laufende Analyse der Situation vorzunehmen. Alle politischen Entscheidungen mussten auf Bundesratsebene erfolgen.179 Die «Task Force LI-CH-T» tagte sehr häufig, in gewissen Monaten beinahe täglich. Ihre letzte Sitzung hat am 22. Juni 2010 stattgefunden.180 (Die Organisation des Krisenmanagements ab Ende August 2009 wird in Kap. 4.1.3 des vorliegenden Berichts näher behandelt.)

Immer noch am 26. August 2010 wird die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 in Begleitung des Geschäftsträgers a.i. der Schweizer Botschaft und des Geschäftsmannes vom libyschen Premierminister in Tripolis empfangen. Sie informiert diesen darüber, dass der Bundesrat das Abkommen genehmigt habe, worauf der Premierminister erwidert hätte, die libysche Regierung habe dies ebenfalls getan.

176 177 178

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 20.

Schriftliche Antwort des Bundesrats zuhanden der Subkommission vom 31.3.2010, S. 6.

«Seventhly: Both parties restore their normal relations. They will designate immediately a person from their respective ministries of Foreign Affairs to settle all issues presently affecting their bilateral relationship, amongst others all consular activities to all citizens of both countries, including issuing of exit-entry visa for Swiss and Libyan citizens and officials, trade and commercial relations between the two countries including resumption of air flight between the two countries. The designated persons complete their task within sixty days.» (Vollständiger Text in Anhang 4.)

179 Protokoll der Anhörung des Staatssekretärs des EDA vom 3.3.2010, S. 7.

180 Die «Kerngruppe Libyen» trat zwischen dem 17.6.2009 und dem 26.8.2009 vier Mal unter der Leitung des stellvertretenden politischen Direktors (regionale Zuständigkeit) zusammen. Auf Einladung der «Kerngruppe Libyen» nahm die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 ab dem 9.7.2009 Einsitz in der Arbeitsgruppe. Die «Kerngruppe Libyen» gibt es in dieser Form nicht mehr, seit die «Task Force LI-CH-T» geschaffen wurde.

4275

Hinsichtlich der Ausreise der beiden Schweizer aus Libyen habe der libysche Premierminister erklärt, dies dauere noch ein paar Stunden. Parallel dazu habe sich der Geschäftsmann mit mehreren einflussreichen Personen innerhalb des libyschen Regimes unterhalten und von allen Seiten positive Signale erhalten.

Am 27. August 2009 wird der Geschäftsträger a.i. der Schweizer Botschaft in Tripolis ins libysche Aussenministerium gerufen.181 Dort übermitteln ihm die libyschen Behörden zwei Botschaften: Zum einen seien die Dinge auf der politischen Ebene entschieden, das rechtliche Verfahren sei fast abgeschlossen und die beiden Schweizer könnten das Land bald verlassen; zum anderen sei die Bedingung jedoch, dass die beiden Männer für ihre Ausreise ein Linienflugzeug benützten. Die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 und das Bundesratsflugzeug müssten das Land vorher verlassen.

In der Nacht vom 28. August 2009 landet die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 ohne die beiden Schweizer, aber mit einem Teil ihres Gepäcks in der Schweiz. Der oben erwähnte Geschäftsmann bleibt währenddessen in Tripolis182.

3.2

Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S

Die nachfolgenden Beurteilungen konzentrieren sich auf die Schlüsselfragen der Untersuchung wie sie durch die Kommission definiert wurden (siehe Einleitung Kap. 1.2). Ziel der GPK-S ist weder eine Beurteilung des Abkommens vom 20. August 2009 an sich noch seiner positiven oder negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der diplomatischen Krise. Vielmehr soll überprüft werden, wie dieses Abkommen abgeschlossen wurde, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Information an den Bundesrat, der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem EDA sowie der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und den Behörden des Kantons Genf.

3.2.1

An den Bundesrat übermittelte Informationen und Führung des Bundesrats

An der Sitzung vom 17. Juni 2009 erteilte der Bundesrat dem Bundespräsidenten 2009 keinen formellen Auftrag. Zwar trifft es zu, dass sich mehrere Mitglieder des Kollegiums für eine Intervention auf präsidialer Ebene ausgesprochen haben. Es ist jedoch nochmals darauf hinzuweisen, dass im Beschluss des Bundesrats vom 17. Juni 2009 nichts über die Erteilung eines solchen Mandats durch den Bundesrat zu finden ist.

Für die GPK-S ist die Frage, ob der Bundesrat dem Bundespräsidenten 2009 einen Auftrag, keinen Auftrag oder, um es mit den Worten des Bundesrats auszudrücken183, bloss einen «formlosen Auftrag» erteilt hat, sekundär. Wichtig ist die Fest-

181

Notiz der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009 vom 31.8.2009 zu ihrer Reise nach Tripolis vom 25. bis 28.8.2009, S. 2­3.

182 Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 29.9.2010, S. 13.

183 Schriftliche Antwort des Bundesrats an die Subkommission vom 31.3.2010, S. 2.

4276

stellung, dass der Bundesrat den Inhalt und die Grenzen eines allfälligen Auftrags an den Bundespräsidenten 2009 nicht genau definiert hat.

So hätte sich der Bundesrat zumindest zum Umfang und zu den Grenzen der übertragenen Kompetenzen äussern müssen, ebenso wie zur Aufteilung der Kompetenzen und zu den Modalitäten der Zusammenarbeit mit dem bis dahin für das Dossier zuständigen Departement ­ in diesem Falle also das EDA ­ respektive zur Art der Unterstützung durch dieses Departement. Insbesondere hätte im Auftrag explizit erwähnt sein müssen, dass der Bundespräsident 2009 im Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Abkommen mit Libyen unterzeichnen kann, ohne den Gesamtbundesrat vorher zu konsultieren, falls dies dem Willen des Bundesrates entsprochen hätte.

Zudem hätte der Bundesrat präzisieren müssen, inwiefern eine Anhebung des Dossiers auf präsidialer Ebene mitbedingt hätte, dass eine ebensolche Anhebung auch auf der libyschen Seite erfolgt, d.h., dass sich der Bundespräsident 2009 hätte vergewissern müssen, dass er vor der Unterzeichnung eines Abkommens auch tatsächlich den Revolutionsführer persönlich treffen kann oder zumindest dass er alles unternimmt, um dieses Ziel zu erreichen.

Im Übrigen ist die GPK-S der Meinung, dass angesichts der Bedeutung eines solchen Mandats seine Erteilung ausdrücklich Eingang in den Beschluss des Bundesrats vom 17. Juni 2009 hätte finden müssen.

Für die GPK-S ist es inakzeptabel, dass der Bundespräsident 2009 den Bundesrat am Abend des 19. August 2009 nicht über seinen Entscheid informierte, am folgenden Tag dennoch nach Libyen zu reisen, obwohl er am gleichen Tag an der Sitzung des Bundesrates gesagt hatte, er werde nicht reisen. Auch wenn sich die GPK-S der sehr grossen Arbeitslast des Bundespräsidenten 2009 zu diesem Zeitpunkt bewusst ist (Aktienverkauf UBS), ist sie dennoch der Ansicht, dass er zumindest die Vorsteherin des EDA sowie die Vize-Bundespräsidentin der Eidgenossenschaft hätte mündlich informieren können und müssen.

Die Tatsache, dass die Vorsteherin des EDA durch ihre Dienste über die Reise informiert wurde, ersetzt nicht die direkte Information eines Mitglieds des Bundesrates durch ein anderes.

An der Sitzung vom 19. August 2009 hat der Bundespräsident 2009 den Bundesrat nicht über seine feste Absicht orientiert, ein Abkommen
mit Libyen abzuschliessen und zu unterzeichnen. Aus diesem Grund konnte sich der Bundesrat weder zum Inhalt des Abkommens gemäss Stand vom 19. August 2009 noch zur Frage äussern, ob es zweckmässig wäre, den Bundespräsidenten 2009 zu ermächtigen, gegebenenfalls ein solches Abkommen zu unterzeichnen.

Nach Ansicht der GPK-S hat der Bundespräsident 2009 durch die Unterzeichnung eines Abkommens ohne Ermächtigung des Gesamtbundesrates seine Kompetenzen klar überschritten.

Zudem hätte der Bundespräsident 2009 nach seiner Rückkehr in die Schweiz am Abend des 20. August 2009 die Mitglieder des Bundesrates zwingend sofort und persönlich über die Unterzeichnung und den Inhalt des Abkommens informieren müssen.

Angesichts der Bedeutung des am 20. August 2009 unterzeichneten Abkommens und seiner Auswirkungen auf die Schweiz hätte der Bundespräsident 2009 direkt nach seiner Rückkehr in die Schweiz und in jedem Fall bevor er die Medien orien4277

tierte eine ausserordentliche Sitzung des Bundesrats einberufen müssen. Stattdessen stellte er mit der Medienkonferenz vom 20. August 2009 in Tripolis und jener vom 21. August 2009 in Bern den Bundesrat vor vollendete Tatsachen.

Schliesslich ist die GPK-S der Ansicht, dass die Weigerung des Bundesrats, das Abkommen vom 20. August 2009 an seiner Sitzung vom 26. August 2009 formell zu genehmigen, aufzeigt, dass der Gesamtbundesrat nicht gewillt war, das Vorgehen des Bundespräsidenten 2009 nachträglich abzusegnen.

Im Übrigen hält die GPK-S fest, dass sowohl aus dem Antrag des EFD vom 24. August 2009, mit welchem dem Bundesrat die Genehmigung des Abkommens vom 20. August 2009 beantragt wurde, als auch aus der schriftlichen Antwort des Bundesrats an die GPK-S184 hervorgeht, dass sich der Bundespräsident 2009 nur für die Umstände der Verhaftung entschuldigt habe. Demgegenüber ist dem Originaltext der Vereinbarung, Artikel 1 zu entnehmen, dass «the Swiss Federal Governement shall express official and public apology for the unjustified and unnecessary arrest conducted by the Geneva Police [...]».

Überdies ist der Wortlaut der deutschen Version des Abkommens, welche der Bundespräsident 2009 dem Bundesrat an seiner Sitzung vom 26. August 2009 vorgelegt hat, nicht identisch mit demjenigen des englischen Originals. So ist in der deutschen Version die Rede von einer «ungebührlichen und unnötigen Verhaftung» und nicht von einer «unberechtigten und unnötigen Verhaftung».

Der Versuch, den Wortlaut des Beschlusses des Bundesrates vom 26. August 2009 so abändern zu lassen, dass daraus eine Genehmigung des Abkommens durch den Bundesrat hervorgeht, ist inakzeptabel.

Abschliessend hält die GPK-S fest, dass der Bundesrat im Sommer 2009 nicht in der Lage war, seine Funktion als oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes wahrzunehmen.

3.2.2

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten und dem EDA

Wie vorgängig erwähnt (Kap. 3.2.1), ist die GPK-S der Ansicht, dass der Bundesrat ab dem 17. Juni 2009 die Kompetenzverteilung sowie die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem EDA respektive die Modalitäten der Unterstützung des Bundespräsidenten durch das EDA hätte definieren müssen.

Zum Teil konnte sich der Bundespräsident 2009 zwar auf die vom EDA seit Mitte 2008 geleisteten Arbeiten stützen. Eine gewisse Zusammenarbeit fand etwa in der Zeit vor seiner Reise nach Tripolis statt, als z.B. eine Stellungnahme der DV zum Textentwurf vom 14. August 2009 angefordert wurde. Darüber hinaus wurde ab Juli 2009 die diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 an den Arbeiten der «Kerngruppe Libyen» beteiligt.

Es ist jedoch festzustellen, dass sich im Laufe des Sommers 2009 einige schwerwiegende Probleme in der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und dem EDA ­ und umgekehrt ­ ergeben haben.

184

Schriftliche Antwort des Bundesrats an die Subkommission vom 31.3.2010, S. 3.

4278

Die GPK-S ist erstens der Auffassung, dass der Bundespräsident 2009 unnötigerweise ein erhebliches politisches Risiko eingegangen ist, als er nach Tripolis reiste, ohne einen von der DV bzw. der Vorsteherin des EDA validierten Text im Gepäck zu haben. Die Präsenz von Vertretern des EDA vor Ort kann eine solche vorgängige Genehmigung in keinem Fall ersetzen.

Zweitens hat die Weigerung der Vorsteherin des EDA, dem Bundespräsidenten 2009 den stellvertretenden Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) als Begleitperson zuzuweisen, dem Aufbau einer von Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung geprägten Zusammenarbeit zwischen den beiden Bundesräten und ihren jeweiligen Departementen unnötig geschadet.

Drittens stellt die GPK-S fest, dass im Hinblick auf die Reise vom 20. August 2009 die Frage, wer die Vorsteherin des EDA zu welchem Zeitpunkt über welche Entwicklungen zu informieren hatte, vorgängig nicht geregelt wurde. Dies führte faktisch dazu, dass die Vorsteherin des EDA vor der Unterzeichnung des Abkommens von niemandem auf dem Laufenden gehalten wurde. Während der Bundespräsident 2009 und seine diplomatische Beraterin darlegten, sie seien davon ausgegangen, dass der Chef der PA II den Informationsaustausch mit dem EDA sicherstellen würde, sagte der Chef der PA II seinerseits gegenüber der GPK-S aus, er habe keine Möglichkeit gehabt, die Vorsteherin des EDA vor der Unterzeichnung des Abkommens zu informieren. Zudem sei er davon ausgegangen, dass der Bundespräsident vom Bundesrat die Kompetenz erhalten habe, ein Abkommen auszuhandeln und zu unterzeichnen.

Im Übrigen ergibt sich aus der Zusammenfassung des Sachverhalts, dass der Bundespräsident 2009 und der Chef der PA II der GPK-S verschiedene Versionen über den Abschluss der Verhandlungen dargelegt haben, insbesondere darüber, wer wann beschlossen haben soll, die Verhandlungen zu beenden. Die GPK-S kann an dieser Stelle nur bedauern, dass dieser Sachverhalt weiter im Dunkeln liegt.

Viertens kommt die GPK-S bezüglich der berüchtigten SMS zum Schluss, dass es entgegen dem, was der Bundespräsident 2009 an seiner Medienkonferenz vom 21. August 2009 mehr oder weniger explizit darlegte, zwar zutrifft, dass die DV nicht zum definitiven Abkommensentwurf konsultiert wurde. Dennoch hält sie es für inakzeptabel, dass solche SMS während der laufenden
Medienkonferenz an einige Journalisten verschickt wurden. Meinungsverschiedenheiten oder Frustrationen der einen oder anderen Seite sind nicht in der Öffentlichkeit auszutragen. Die GPK-S bedauert die fehlende Koordination zwischen den betroffenen Departementen vor der erwähnten Medienkonferenz und den daraus entstandenen Eindruck von Uneinigkeit, welcher sich in der Folge in den Medien und in der öffentlichen Meinung verbreitet hat.

Die GPK-S erwartet von allen Departementen, dass sie sich vor Medienkonferenzen untereinander über deren Inhalt absprechen, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu vermeiden.

Schliesslich ist die GPK-S der Ansicht, dass die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen zwar in mancher Hinsicht einen Sonderfall darstellt, die Grundsatzfrage der Rolle des Bundespräsidiums im Bereich der Aussenpolitik bzw.

der Zusammenarbeit zwischen dem Bundespräsidium und dem EDA bzw. einem anderen federführenden Departement in Zukunft jedoch immer mehr an Bedeutung gewinnen wird.

4279

Es gilt daher sicherzustellen, dass das Bundespräsidium eine angemessene und ausreichende Unterstützung seitens des EDA bzw. des federführenden Departements erhält. Nach Ansicht der GPK-S genügt es nicht, dem Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin nur einen diplomatischen Berater zur Verfügung zu stellen, zumal es sich dabei in der Regel um einen Generalisten oder eine Generalistin handelt.

Nach Ansicht der GPK-S wäre es in jedem Falle notwendig, dass das zuständige Departement dem Bundespräsidium die mit dem Dossier vertraute(n) Person(en) zur Verfügung stellt so lange dies erforderlich ist.

Die GPK-S hat davon Kenntnis genommen, dass der Bundesrat laut seiner «Zusatzbotschaft zur Regierungsreform»185 vom 13. Oktober 2010 keinen ständigen Stab für die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten einsetzen möchte.

Die GPK-S verlangt nicht, dass ein neues Organ geschaffen wird.

Allerdings empfiehlt sie dem Bundesrat, bei der Übertragung eines Mandates an die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten aus einem Bereich, der bis dahin in der Zuständigkeit eines anderen Departements lag, folgende Punkte zu definieren: 1.

die Aufteilung der Kompetenzen,

2.

die Modalitäten der Zusammenarbeit,

3.

die Verstärkung der Unterstützung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten durch die Bezeichnung der zugewiesenen Personen und die Festlegung des Inhalts und der Dauer ihres Mandats.

Empfehlung 3: Übertragung eines Mandates an die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, bei der Übertragung eines Mandates an die Bundespräsidentin oder den Bundespräsidenten aus einem Bereich, der bis dahin in der Zuständigkeit eines anderen Departements lag, folgende drei Punkte zu definieren: ­

die Aufteilung der Kompetenzen,

­

die Modalitäten der Zusammenarbeit und

­

die Verstärkung der Unterstützung der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten durch die Bezeichnung der zugewiesenen Personen und die Festlegung des Inhalts und der Dauer ihres Mandats.

185

Zusatzbotschaft zur Regierungsreform vom 13.10.2010 (BBl 2010 7811).

4280

3.2.3

Zusammenarbeit zwischen den Behörden des Bundes und des Kantons Genf

Ab der Übernahme des Dossiers durch den Bundespräsidenten 2009 finden keine Kontakte zwischen den Bundesbehörden und den Behörden des Kantons Genf mehr statt.

Gemäss den Erklärungen des Bundespräsidenten 2009186 fallen sowohl die Aussenpolitik ­ einschliesslich der Aussenwirtschaftspolitik ­ als auch die Rückführung von im Ausland festgehaltenen Schweizern in die Kompetenz des Bundes. Folglich habe keine Verpflichtung bestanden, die Genfer Behörden in ein völkerrechtliches Abkommen einzubeziehen, welches er als von geringer Tragweite erachtete und keinerlei Verpflichtungen für den Kanton Genf beinhaltete.

Ausserdem seien die Genfer Behörden im Rahmen der informellen Kontakte, die bereits zuvor mit dem EDA bestanden hätten, über die Vorbereitungen für eine Vereinbarung informiert worden. Die Vorsteherin des EDA habe ihm im Übrigen gesagt, dass sich das EDA weiterhin um die Kontakte mit den Genfer Behörden kümmern werde.

Dieser Punkt wird von der Vorsteherin des EDA187 bestritten. Gemäss ihren Aussagen habe sie dem Bundespräsidenten 2009 nicht gesagt, dass das EDA sich weiterhin um die Kontakte mit den Genfer Behörden kümmern werde. Dies wäre auch nicht sinnvoll gewesen, da das EDA nicht über Verhandlungen hätte informieren können, die nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich lagen.

Gemäss den Aussagen des damals für das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons Genf zuständigen Staatsrats informiert ihn die Vorsteherin des EDA Anfang Sommer 2009 telefonisch darüber, dass nunmehr der Bundespräsident 2009 für das Dossier verantwortlich sei. Er erklärte gegenüber der GPK-S, er habe nicht von sich aus Kontakt zu den Dienststellen des Bundespräsidenten 2009 aufgenommen, da es seiner Ansicht nach Sache des Bundespräsidenten 2009 gewesen sei, über die Handhabung dieses Dossiers zu entscheiden.188 Gemäss den Aussagen des Präsidenten des Staatsrats des Kantons Genf 2010 (hiernach: Staatsratspräsident 2010) erfährt der Staatsrat des Kantons Genf (hiernach: Staatsrat) aus den Medien von der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 und erlangt über Internet Kenntnis von seinem Inhalt.189 Am 21. August 2009 veröffentlicht der Staatsrat eine Medienmitteilung190, mit welcher er seiner Besorgnis darüber Ausdruck verleiht, dass es mit dem zwischen der Schweiz und Libyen abgeschlossenen Abkommen einem
ausländischen Schiedsgericht zukommen soll, die «Schuldigen» innerhalb der Genfer Behörden und der Genfer Polizei zu bezeichnen. Er werde sich gegen jede Massnahme zur Wehr setzen, welche die durch die Genfer Kantonsverfassung garantierten persönlichen Freiheiten nicht streng respektiere. Der Kanton Genf habe bei der Konferenz der

186 187 188

Protokoll der Anhörung des Bundespräsidenten 2009 vom 24.6.2010, S. 20­21.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2009, S. 42­46.

Protokoll der Anhörung des bis Ende November 2009 für das Genfer Justiz- und Polizeidepartementes zuständigen Staatsrats des Kantons Genf vom 15.9.2010, S. 24­25.

189 Protokoll der Anhörung des Präsidenten des Staatsrats des Kantons Genf 2010 vom 24.6.2010, S. 28.

190 Medienmitteilung des Staatsrats des Kantons Genf vom 21.8.2009.

4281

Kantonsregierungen191 um die Unterstützung der anderen Kantone in dieser Angelegenheit ersucht, in welcher der Bund den Kanton Genf, ohne ihn vorgängig informiert zu haben, gegenüber den künftigen Entscheiden eines ausländischen Schiedsgerichts allein stehen lässt.

Mit Schreiben vom 21. August 2009 übermittelt der für das Genfer DI zuständige Staatsrat dem Präsidenten der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) das unterzeichnete Abkommen vom 20. August 2009 zwischen der Schweiz und Libyen und gibt den Bedenken der Genfer Regierung darüber Ausdruck, dass durch diese Unterzeichnung mehrere wichtige Regeln der schweizerischen Rechtsordnung verletzt worden seien.

Mit Schreiben vom 28. August 2009 teilt die KdK dem Bundesrat mit, der Leitende Ausschuss der KdK habe sich mit der Vereinbarung mit Libyen vom 20. August 2009 befasst. Er habe dabei die Bemühungen des Bundesrats um die Freilassung der beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer gewürdigt, gleichzeitig aber auch die Auffassung vertreten, dass die am 20. August 2009 unterzeichnete Vereinbarung staatspolitisch eine Reihe von Grundsatzfragen aufwerfe. Fragen stellten sich insbesondere bezüglich des bundesstaatlichen Zusammenwirkens von Bund und Kantonen im Bereich der Aussenpolitik sowie der Respektierung der innerstaatlichen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung. Auch unter dem Aspekt der Gewaltentrennung werfe die Vereinbarung einige Fragen auf. Nicht geklärt seien aus Sicht des Leitenden Ausschusses die konkreten Auswirkungen der Vereinbarung auf die innerstaatliche Rechtsordnung und den Föderalismus generell. Je nach Beantwortung dieser Fragen stehe auch die Frage im Raum, welche innerstaatliche Instanz für die Genehmigung einer solchen Vereinbarung zuständig sei.

Der Leitende Ausschuss der KdK habe deshalb beschlossen, die Angelegenheit sowohl anlässlich der Plenarversammlung der KdK vom 25. September 2009 wie auch des gleichentags stattfindenden Föderalismusdialogs zur Sprache zu bringen.

Im Hinblick auf diese Diskussionen erscheine es dem Leitenden Ausschuss der KdK wesentlich, vorgängig die Haltung des Bundesrats in Erfahrung zu bringen.

Zu diesem Zweck unterbreitet der Leitende Ausschuss der KdK dem Bundesrat verschiedene Fragen; u.a. will er vom Bundesrat wissen, ob dieser der Auffassung sei, dass der Abschluss der Vereinbarung unter
Berücksichtigung der Bestimmungen von Artikel 54 Absatz 3 und Artikel 55 BV erfolgt sei. Weiter geht es auch um die Frage, inwiefern die Vereinbarung nach Auffassung des Bundesrats den verfassungsmässigen Prinzipien der «Bundestreue» entspreche.

Am gleichen Tag beauftragt der Leitende Ausschuss der KdK das Institut für Föderalismus der Universität Freiburg mit der Ausarbeitung einer ersten juristischen Beurteilung der Vereinbarung vom 20. August 2009 aus föderalistischer Sicht.

191

Die am 8.10.1993 geschaffene Konferenz der Kantonsregierungen fördert die Zusammenarbeit im kantonalen Zuständigkeitsbereich sowie in kantonsrelevanten Angelegenheiten des Bundes und stellt die erforderliche Koordination und die Information zuhanden der Kantone sicher. Sie bildet die Schnittstelle zwischen Bund und Kantonen in wichtigen staatspolitischen und in aussenpolitischen Dossiers. Im Vordergrund ihrer Tätigkeit stehen Fragen über die Erneuerung und Weiterentwicklung des Föderalismus, die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, die Willensbildung und Entscheidvorbereitung im Bund, den Vollzug von Bundesaufgaben durch die Kantone sowie die Aussen- und Integrationspolitik (Quelle: www.kdk.ch).

4282

Im September 2009 verfasst das Institut für Föderalismus der Universität Freiburg eine «Erste Würdigung der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20. August 2009 aus bundesstaatsrechtlicher und föderalistischer Sicht».192 Die Autoren kommen darin zu folgendem Schluss: «Im Weiteren scheinen die Mitwirkungsrechte des Kantons Genf (Art. 55 BV, Art. 1 ff. des Bundesgesetzes über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes [BGMK]193) verletzt worden zu sein: Es liegt auf der Hand, dass der Kanton Genf durch die vom Bund eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen in seinen wesentlichen Interessen berührt wird (Art. 1 BGKM) und die aussenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes durch die Einräumung der gemäss Artikel 3­5 BGMK bestehenden Mitwirkungsrechte nicht beeinträchtigt worden wäre, im Gegenteil: Es hätte gerade auch für den Bund ein Interesse bestanden, den Kanton Genf im Hinblick auf die Umsetzung der Vereinbarung substantiell in die Verhandlungen einzubinden.»194 Zudem erwähnen sie, dass der Bund mit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung «die sich aus der Bundesverfassung ergebenden inhaltlichen Schranken der Staatsvertragskompetenz überschritten [hat]»195. Der Bund ist nämlich auch vor dem Hintergrund seiner erweiterten Kompetenzen im Bereich der Aussenbeziehungen verpflichtet, sich an die Verfassung zu halten, und er muss insbesondere die Verfassungsbestimmungen zu den Grundlagen des Föderalismus respektieren (so etwa die Pflicht zur Rücksichtnahme und Wahrung der gemeinsamen Interessen sowie zum Schutz der verfassungsmässigen Ordnung der Kantone). Laut dieser Würdigung ist «ein Abweichen von dieser verfassungsmässigen Grundordnung [...] nur bei Vorliegen von überwiegenden aussenpolitischen Interessen zulässig. Darüber hinaus gibt es wohl Kernbereiche der verfassungsrechtlichen Grundordnung, die unter keinen Umständen in eine Abwägung mit entgegenstehenden aussenpolitischen Interessen einbezogen werden dürfen. Hierzu gehört u.E. neben der Bestandes- und Gebietsgarantie (Art. 53 BV) auch die Wahrung der Eigenständigkeit der Kantone (Art. 47 BV)».196 Gemäss diesem Rechtsgutachten hat der Bund «mit der vorliegenden Vereinbarung [...] nicht nur in einen kantonalen Zuständigkeitsbereich eingegriffen [...], sondern gleichzeitig die verfassungsmässige Ordnung für einen
einzelnen Rechtsstreit derogiert. [...] Überdies betrifft die durch die Schiedsvereinbarung bewirkte Abweichung von der verfassungsmässigen Ordnung sensible kantonale Bereiche, gehören doch die Justiz und die Polizei sowie die Regelung der Rechtsbeziehungen zu den Behördenmitgliedern und Beamten zu den zentralen Bereichen der kantonalen Selbstverwaltung. Vor diesem Hintergrund wiegen die mit dem Abschluss der Schiedsvereinbarung einhergehenden Eingriffe in die «Staatlichkeit» des Kantons Genf schwer. Ob damit der absolut geschützte Kerngehalt der verfassungsrechtlichen Grundordnung beeinträchtigt wurde, kann vorliegend offen bleiben, denn es liegen ohnehin keine überwiegenden aussenpolitischen Gründe vor, welche eine Abweichung von der verfassungsmässigen Ordnung rechtfertigen könnten. Der mit 192

193 194

195 196

Erste Würdigung der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20.8.2009 aus bundesstaatsrechtlicher und förderalistischer Sicht, unter der Leitung von Prof.

B. Waldmann, September 2009, Anhang 7.

Bundesgesetz vom 22.12.1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes, SR 138.1.

Erste Würdigung der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20.8.2009 aus bundesstaatsrechtlicher und förderalistischer Sicht, unter der Leitung von Prof.

B. Waldmann, September 2009, S. 23.

Ibid.

Ibid.

4283

dem Abschluss der Schiedsvereinbarung einhergehende Eingriff in die verfassungsmässige Ordnung erscheint angesichts der involvierten aussenpolitischen Interessen (soweit diese überhaupt in die Vereinbarung eingeflossen sind) als unverhältnismässig».197 Auf Antrag der APK erstellen die DV und das Bundesamt für Justiz (BJ) ein gemeinsames Gutachten mit Datum vom 16. Oktober 2009.198 Was die Konsultation der Kantone im Allgemeinen betrifft, gelangt dieses Rechtsgutachten zum Schluss, dass «der Bund [...] bei der Ausübung seiner allgemeinen Kompetenzen in Sachen Aussenpolitik und insbesondere seiner Zuständigkeit bezüglich Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen Rücksicht auf die Zuständigkeiten der Kantone nehmen und ihre Interessen wahren [muss]. [...] Artikel 55 BV gibt den Kantonen zudem die Möglichkeit, ihre Interessen selber zu vertreten, indem er ihnen das Recht auf Information, Stellungnahme und Mitwirkung an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide einräumt, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen. [...] Dieses Gesetz [das BGMK] regelt den Umfang der Verpflichtungen des Bundes in Sachen Information, Beratung und Mitwirkung bei der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide. [...] Die Mitwirkung der Kantone bei der Vorbereitung der aussenpolitischen Entscheide ist nicht unbeschränkt und darf insbesondere »199, wie dies in Artikel 1 Absatz 3 BGMK200 ausdrücklich festgelegt ist.

Im vorliegenden Fall stellt dieses Rechtsgutachten fest, dass zum einen die besonderen Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen die Vereinbarung vom 20. August 2009 geschlossen wurde: Der Bundespräsident 2009 habe aufgrund der Androhung, die zwei festgehaltenen Schweizer noch viel länger in Libyen zurückzuhalten, und aus humanitären Gründen beschlossen, dieses Abkommen abzuschliessen. Hinzu komme, dass dem Bundespräsidenten «dabei aus damaliger Sicht nur ein sehr begrenztes Zeitfenster zur Verfügung [stand], um vor Beginn des Ramadan und den für Anfang September vorgesehenen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der Revolution in Libyen zu einer Einigung zu gelangen».201 Zum andern wird betont, dass die Behörden des Kantons Genf seit Beginn der Verhandlungen mit Libyen am 15. August 2008 informell miteinbezogen
worden seien. Der informelle Kontakt sei auch anlässlich der Reise der Vorsteherin des EDA nach Tripolis Ende Mai 2009 aufrechterhalten worden. «Danach sind sie [die Behörden des Kantons Genf] nicht mehr einbezogen worden. Dies einerseits, weil während einiger Zeit keine neuen Entwicklungen stattfanden, und andererseits, weil es unter dem grossen zeitlichen Druck rund um die Verhandlungen, die unmittelbar

197 198

Idem, S. 23­24.

Gemeinsames Gutachten der Direktion für Völkerrecht und des Bundesamtes für Justiz zur Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20. August 2009, 16.10.2009, Anhang 8.

199 Gemeinsames Gutachten der Direktion für Völkerrecht und des Bundesamtes für Justiz zur Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20.8.2009, 16.10.2009, S. 10­11.

200 Art. 1 Abs. 3 BGMK: «Die Mitwirkung der Kantone darf die aussenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes nicht beeinträchtigen.» 201 Gemeinsames Gutachten der Direktion für Völkerrecht und des Bundesamtes für Justiz zur Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20.8.2009, 16.10.2009, S. 11.

4284

zur vorliegenden Vereinbarung vom 20. August 2009 geführt haben, nicht möglich war, den Kanton Genf ständig einzubeziehen [...].»202 Das gemeinsame Gutachten der DV und des BJ kommt daher zum Schluss, dass ein ständiger Einbezug des Kantons Genf nicht möglich war, «ohne dadurch die Handlungsfähigkeit des Bundes in dieser aussergewöhnlichen Situation zu gefährden.

Dieser kurze Unterbruch der informellen Kontakte mit dem Kanton Genf spielte sich daher, auch in Anbetracht der aussergewöhnlichen Umstände, im von Artikel 1 Absatz 3 BGMK gesteckten Rahmen ab».203 In seiner Antwort vom 21. Oktober 2009204 an die KdK nimmt der Bundesrat Stellung zu den Einzelfragen der KdK. Zur Frage der allgemeinen Kompetenz des Bundes in den auswärtigen Angelegenheiten bestätigt der Bundesrat eine solche und weist auf das Bundesgesetz vom 22. Dezember 1999 über die Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes (BGMK; SR 138.1) hin. Weiter führt der Bundesrat aus, im vorliegenden Fall seien einzig die Zuständigkeiten und Interessen des Kantons Genf von den Verhandlungen betroffen gewesen. Der Kanton Genf sei seit Beginn der Verhandlungen mit Libyen am 15. August 2008 miteinbezogen und regelmässig informell informiert und konsultiert worden. Einzig in der Endphase der Verhandlungen zum Abkommen vom 20. August 2009, als dem Bundespräsidenten aus damaliger Sicht nur ein sehr begrenztes Zeitfenster zur Verfügung gestanden habe, um zu einer Lösung für die beiden in Libyen festgehaltenen Schweizer Staatsbürger zu gelangen, sei es nicht möglich gewesen, den Kanton Genf beständig einzubeziehen, ohne dadurch die Handlungsfähigkeit des Bundes zu gefährden.

Zur Frage der «Bundestreue» legt der Bundesrat unter Verweis auf Artikel 54 Absatz 3 BV und Artikel 55 BV sowie das darauf beruhende BGMK dar, die Verhandlungen zum Abschluss der Vereinbarung mit Libyen seien unter möglichster Berücksichtigung dieser Richtlinien durchgeführt worden. Daraus folge, dass die verfassungs- und gesetzesrechtlich konkretisierten Prinzipien der Bundestreue mit dem Abschluss der Vereinbarung eingehalten worden seien.

Abschliessend gelangt der Bundesrat zum Schluss, dass die Vereinbarung mit Libyen einen Vertrag mit beschränkter Tragweite darstelle, weshalb er die Kompetenz gehabt habe, das Abkommen selbständig abzuschliessen. Der Bundesrat
sei als Gesamtbehörde für die Genehmigung des Abkommens zuständig gewesen und er habe am 26. August 2009 vom Abkommen Kenntnis genommen. Er habe festgestellt, dass es die Schweiz auf internationaler Ebene verpflichte, und beschlossen, die Phase der Umsetzung der Vereinbarung an die Hand zu nehmen. Mit der Kundgabe seines Willens, das Abkommen umzusetzen und damit die Beziehungen zu Libyen zu normalisieren, habe der Bundesrat dem Umstand Rechnung getragen, dass die vom Bundespräsidenten unterzeichnete Vereinbarung die Schweiz völkerrechtlich verpflichte. Damit habe die Vereinbarung innerstaatliche Gültigkeit erhalten.

Aus dem Schreiben des Bundesrats vom 21. Oktober 2009 ist nicht ersichtlich, ob der Bundesrat der KdK das gemeinsame Gutachten vom 16. Oktober 2009 der Direktion für Völkerrecht und des BJ zur Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20. August 2009 zugestellt hat.

202 203 204

Ibid., S. 12.

Ibid.

Antwort des Bundesrats zuhanden der KdK vom 21.10.2009.

4285

Am 17. November 2009 nimmt der Hauptverfasser der «Ersten Würdigung der Vereinbarung zwischen der Schweiz und Libyen vom 20. August 2009 aus bundesstaatsrechtlicher und föderalistischer Sicht», erstellt durch das Institut für Föderalismus der Universität Freiburg, auf Anfrage der KdK Stellung zur Antwort des Bundesrats vom 21. Oktober 2009.205 Er widerspricht dem Argument, die Nichtkonsultation der Genfer Behörden sei im vorliegenden Fall durch die Notwendigkeit gerechtfertigt gewesen, die Handlungsfähigkeit des Bundes nicht zu beeinträchtigen. So argumentiert er, «das Beeinträchtigungsverbot bezieht sich [...] primär auf die Modalitäten der Mitwirkung, nicht hingegen auf den Bestand der verfassungsmässig gewährleisteten und im BGMK konkretisierten Mitwirkungsrechte».206 Zudem müsse in jedem Fall eine Interessenabwägung vorgenommen werden, um festzustellen, welche Grenzen oder Einschränkungen der Mitwirkungsrechte zulässig seien oder nicht.

Gemäss dieser Analyse gibt es auf der einen Seite eine Vereinbarung, die «[...] tief in die Polizei- und Justizhoheit und damit in die verfassungsmässige Ordnung des Kantons Genf [eingreift], so dass Letzterem mit Bezug auf die erforderliche Mitwirkung eine qualifizierte Stellung zukommt (vgl. Art. 55 Abs. 3 Satz 2 BV, Art. 5 BGMK). Auf der anderen Seite sind keine überwiegenden Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen würden, den Kanton Genf über einen längeren Zeitraum und insbesondere während der Schlussphase der Verhandlungen vollumfänglich von der Mitwirkung auszuschliessen».207 Der Verfasser dieser Analyse vertritt zudem die Meinung, dass «[...] auch wenn das Zeitfenster für eine in Aussicht stehende Einigung (gemäss der damaligen Einschätzung des Bundespräsidenten) offenbar sehr eng war, der Kanton Genf u.E. zumindest informiert und zu einer umgehenden Stellungnahme [hätte] eingeladen werden müssen».208 Auf Wunsch der KdK findet am 14. Dezember 2009209 ein Treffen zwischen dem Bundespräsidenten 2009 und der Vorsteherin des EDA mit dem Präsidenten der KdK sowie einem anderen Mitglied der KDK zum Libyen-Dossier und namentlich zu dem zwischen Libyen und der Schweiz abgeschlossenen Vertrag vom 20. August 2009 statt. Gemäss der Informationsnotiz des EFD und des EDA an den Bundesrat vom 11. Januar 2010 soll das Gespräch in einer offenen und konstruktiven
Atmosphäre stattgefunden haben. Als Fazit hätten die Gesprächsteilnehmer den Schluss gezogen, dass der Vertrag zwischen Libyen und der Schweiz ein Ausnahmefall gewesen sei. Die KdK werde an ihrer Plenarversammlung im März 2010 die entsprechenden politischen Schlussfolgerungen ziehen. Für die Zukunft gelte es aber auch, die Frage des Zusammenwirkens zwischen Bund und Kantonen in der Aussenpolitik immer wieder zu diskutieren. Namentlich gelte es, den zunehmenden Einfluss des Völkerrechts auf die innerstaatliche Ordnung im Auge zu behalten.

Schliesslich hätten die Kantone der Delegation des Bundesrats zugesichert, dass sich die Kantone in der Aussenpolitik nicht gegen den Bundesrat stellen wollten. Sie 205 206 207 208 209

Schriftliche Antwort von Prof. B. Waldmann, Institut für Föderalismus, an die Konferenz der Kantonsregierungen vom 17.11.2009.

Schriftliche Antwort von Prof. B. Waldmann, Institut für Föderalismus, an die Konferenz der Kantonsregierungen vom 17.11.2009, S. 2.

Ibid.

Ibid.

Informationsnotiz des EFD und des EDA an den Bundesrat vom 11.1.2010 betreffend Aussprache zwischen dem leitenden Ausschuss der KdK und einer Delegation des Bundesrats zum Libyen-Dossier.

4286

beabsichtigen, sich so aufzustellen, dass gerade gegenüber schwierigen Verhandlungspartnern eine gemeinsame Position zwischen Bund und Kantonen begünstigt werde.

Nach Ansicht der GPK-S wäre es Sache der Bundesbehörden gewesen, Kontakt mit den Behörden des Kantons Genf aufzunehmen und aufrechtzuerhalten. Die Tatsache, dass der Bundespräsident 2009 die Federführung für dieses Dossier übernahm, ändert nichts an dieser grundsätzlichen Verpflichtung.

Zudem ist die GPK-S der Ansicht, dass der Bundesrat bei der informellen Übergabe des Dossiers an den Bundespräsidenten 2009 auch hätte klären müssen, wie die Kontakte mit den Genfer Behörden weitergeführt werden.

Es steht der GPK-S an dieser Stelle nicht zu, sich für die eine oder die andere der verschiedenen juristischen Interpretationen des Abkommens vom 20. August 2009 auszusprechen und insbesondere zu entscheiden, ob die Mitwirkungsrechte des Kantons Genf im Sinne von Artikel 55 BV verletzt worden sind.

Die GPK-S hat jedoch Kenntnis genommen von den unterschiedlichen Schlussfolgerungen und stellt fest, dass die Differenzen mit der Grundfrage der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Kantonen und der Eidgenossenschaft zusammenhängen.

Die diplomatische Krise zwischen der Schweiz und Libyen stellt zwar in vielerlei Hinsicht einen Einzelfall dar, der sowohl die Bundes- als auch die Kantonsbehörden in eine äusserst heikle Lage gebracht hat. Dennoch ist die GPK-S der Ansicht, dass den oben aufgeworfenen Fragen eine allgemeinere Problematik zugrunde liegt.

Angesichts der Tatsache, dass Entscheidungen, die auf internationaler Ebene getroffen werden, einen immer grösseren Einfluss auf die Innenpolitik der Schweiz haben, muss diese Thematik eingehender geprüft werden, um abzuklären, ob es notwendig ist, die Modalitäten der Zusammenarbeit und/oder die bestehenden gesetzlichen Grundlagen zu präzisieren.

Insbesondere die Frage, in welcher Situation es für den Bund möglich ist, vom allgemeinen Grundsatz der Konsultation der Kantone abzuweichen, um seine Handlungsfähigkeit zu wahren, sowie die materiellen Grenzen der Vertragskompetenz des Bundes im Bereich der Aussenpolitik bedürfen einer eingehenderen Prüfung.

Deshalb empfiehlt die GPK-S dem Bundesrat, die unterschiedlichen Standpunkte in den oben erwähnten Gutachten in enger Zusammenarbeit mit der Konferenz
der Kantonsregierungen zu prüfen und einen Bericht zuhanden der APK zu erarbeiten.

Dieser Bericht soll insbesondere abklären, ob die bestehenden gesetzlichen Grundlagen präzisiert werden müssen, und gegebenenfalls die notwendigen Änderungen vorschlagen.

4287

Empfehlung 4: Mitwirkung der Kantone an der Aussenpolitik des Bundes: Prüfung der Differenzen zwischen den Rechtsgutachten Die GPK-S empfiehlt dem Bundesrat, in enger Zusammenarbeit mit der Konferenz der Kantonsregierungen die Differenzen zwischen den vorliegenden Rechtsgutachten zu prüfen und einen Bericht zuhanden der APK auszuarbeiten.

Dieser Bericht soll insbesondere abklären, ob die bestehenden Gesetzesgrundlagen zu präzisieren sind, und gegebenenfalls die notwendigen Änderungen vorschlagen. Der Handlungsfähigkeit des Bundes in ausserordentlichen Situationen muss Rechnung getragen werden.

4

Phase III: Vom 26. August 2009 bis 13. Juni 2010

Wie in der Einleitung erwähnt (vgl. Kap. 1.5), konzentriert sich dieses Kapitel auf die Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S. Es sind dies namentlich die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden, die Information und die Führung durch den Bundesrat sowie die Organisation des Krisenmanagements des EDA. Entsprechend der Definition des Untersuchungsauftrags und seiner Grenzen (vgl. Kap. 1.2 und 1.3) verzichtete die GPK-S auf die Erarbeitung einer Zusammenfassung des Sachverhalts in diesem Zeitraum.

Sachverhalte, die notwendig sind, um die Beurteilung der GPK-S nachvollziehen zu können, werden in den entsprechenden nachfolgenden Unterkapiteln kurz dargelegt.

4.1

Beurteilung einzelner Aspekte durch die GPK-S

4.1.1

Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden

Am 4. November 2009 beschliesst der Bundesrat, das Abkommen vom 20. August 2009 zwischen der Schweiz und Libyen zu sistieren.

Zwischen Ende 2009 und Juni 2010 treffen sich die Delegationen der Schweiz und Libyens mehrere Male zu Verhandlungen, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Die Gespräche finden unter der Vermittlung von Deutschland und Spanien statt, das von Januar bis Juni 2010 turnusgemäss die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist ein «Plan of Action»210 (hiernach: Aktionsplan), der am 14. Mai 2010 von den Staatssekretären der Schweiz, Libyens, Spaniens und Deutschlands in Berlin unterzeichnet wird und insbesondere vier Punkte umfasst, auf die sich die schweizerische und die libysche Seite geeinigt haben: «Erstens: Beide Parteien kommen überein, dass das Schiedsgericht in Berlin (Deutschland) errichtet wird und gemäss den relevanten Bestimmungen des Abkommens vom 20. August 2009 funktionieren soll.

Zweitens: Die Schweiz entschuldigt sich für die unrechtmässige Veröffentlichung der Bilder von H.G. am 4. September 2009, was nach Schweizer Recht eine Amts210

«Plan of Action» vom 14.5.2010, Anhang 5.

4288

geheimnisverletzung darstellt. Die Regierung des Kantons Genf bedauert die Veröffentlichung dieser Bilder und anerkennt ihre Verantwortung. Es wird eine Strafuntersuchung über die Veröffentlichung dieser Bilder durchgeführt und die Schweizer Behörden verpflichten sich, den oder die Schuldigen gemäss geltendem Recht anzuklagen. Sollten die Schuldigen nicht identifiziert werden, wird die Schweizer Regierung eine Entschädigung an die betroffene Person ausrichten, wobei die Höhe dieser Entschädigung von beiden Parteien zu vereinbaren ist.

Drittens: Die zuständigen libyschen Behörden werden die Behandlung des Begnadigungsgesuchs des Schweizer Bürgers in Übereinstimmung mit den geltenden rechtlichen Verfahren beschleunigen.

Viertens: Die Garanten werden die Umsetzung dieses Aktionsplans gewährleisten und sicherstellen, dass er korrekt, zeitgerecht, vollständig und simultan ausgeführt wird. [...]» [Übersetzung] Am 13. Juni 2010 unterzeichnen die Aussenministerin der Schweiz sowie die Aussenminister von Libyen, Deutschland und Spanien ­ im Namen der rotierenden EU-Ratspräsidentschaft ­ eine Erklärung, mit der sie den von ihren Staatssekretären am 14. Mai 2010 unterschriebenen Aktionsplan gutheissen und bestätigen.

Was die Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden betrifft, finden zwischen Ende 2009 und dem 13. Juni 2010 erneut informelle Kontakte zwischen dem EDA und den Genfer Behörden statt.

Was die Häufigkeit und den genauen Inhalt dieser Kontakte anbelangt, gehen die Angaben des EDA und der Genfer Behörden allerdings weit auseinander.

Die Differenzen betreffen im Wesentlichen die Frage, ob die Genfer Behörden über den Inhalt der Verhandlungen und insbesondere über die beiden sie betreffenden Punkte des Aktionsplans vom 14. Mai 2010 informiert waren. Konkret geht es dabei zum einen um die Wiedereinsetzung des Abkommens vom 20. August 2009 und zum andern um die Entschuldigung für die Veröffentlichung der Bilder von H.G.

sowie um die Ausrichtung einer finanziellen Entschädigung für den Fall, dass es im Rahmen der Strafuntersuchung nicht gelingen sollte, die für die Verletzung des Amtsgeheimnisses verantwortliche Person zu eruieren.

Gemäss der Vorsteherin des EDA211 wurden die Genfer Behörden in der Phase vor dem Abschluss des Aktionsplans anlässlich der Treffen vom 6. März
2010, 22. März 2010, 26. März 2010 und 4. Mai 2010 über den Stand der Gespräche mit Libyen informiert. Dabei seien die beiden zentralen Fragen, welche im Aktionsplan geregelt werden, offen angesprochen worden. Insbesondere anlässlich des Treffens vom 26. März 2010 im Rahmen der Arbeitsgruppe Bund­Kanton Genf habe sich die EDA-Vorsteherin darum bemüht, gegenüber der für das Justiz-, Polizei- und Umweltdepartement («Département de la sécurité, de la police et de l'environnement» [DSPE]; hiess bis Ende 2009 «Département des institutions» [DI]) zuständigen Staatsrätin des Kantons Genf und zwei anderen Genfer Staatsräten zu erwähnen, dass das vom Bundespräsidenten 2009 am 20. August 2009 unterzeichnete Abkommen möglicherweise in die endgültige Vereinbarung miteinbezogen werde.

211

Brief der Vorsteherin des EDA an den Staatsratspräsidenten und die Staatskanzlerin des Kantons Genf vom 6.9.2010 und Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2010, S. 52­58.

4289

Bei diesen Treffen habe jeweils die Vorsteherin des EDA selbst, der Direktor der DV oder der Chef der PA VI des EDA entweder die für das DSPE zuständige Staatsrätin oder den Generalsekretär dieses Departementes informiert. (Anmerkung der GPK-S: Gemäss der erhaltenen Informationen übernahm der Generalsekretär des DSPE im Laufe des Jahres 2010 eine andere Funktion, war aber weiterhin der Ansprechpartner für das EDA in dieser Angelegenheit.)

Zudem erklärte der Direktor der DV gegenüber der GPK-S, er habe die für das DSPE zuständige Staatsrätin im Februar 2010 von Berlin aus telefonisch über den Stand der Gespräche informiert.

Laut Aussagen der Vorsteherin des EDA212 nahm sie zudem am 13. Juni 2010 von Tripolis aus telefonisch Kontakt mit der für das DSPE zuständigen Staatsrätin auf, um ihr den Aktionsplan und die nachträgliche Erklärung zu erläutern.

Demgegenüber beteuert der Staatsrat des Kantons Genf in einem Schreiben an den Bundesrat vom 23. Juni 2010213, er habe erst am 13. Juni 2010 und überdies aus den Medien erfahren, dass am 14. Mai 2010 ein Aktionsplan unterzeichnet worden sei.

In einem Brief vom 27. August 2010214 an die Vorsteherin des EDA wiederholt der Genfer Staatsrat, er sei vor der Veröffentlichung in den Medien nie über den genauen Inhalt der mit Libyen abgeschlossenen Abkommen informiert worden und insbesondere nicht über die Bestimmungen, die den Kanton Genf direkt beträfen. Im gleichen Brief bestreitet der Staatsrat zudem die Aussage, die Vorsteherin des EDA habe am 26. März 2010 die für das DSPE zuständige Staatsrätin und zwei weitere Staatsräte über diese grundlegenden Punkte informiert.

Nach Aussage des Staatsratspräsidenten215 hat der Staatsrat weder den Text des Aktionsplans vom 14. Mai 2010 noch jenen der Erklärung vom 13. Juni 2010 vor der Unterzeichnung gesehen. Zudem sei der Staatsrat nicht über den Inhalt des Aktionsplans informiert gewesen und insbesondere nicht über die Wiederaufnahme des Abkommens vom 20. August 2009.

Überdies sei die für das DSPE zuständige Staatsrätin ­ entgegen dem, was in der Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrats vom 12. Februar 2010 steht ­ am 11. Februar 2010 nicht informell über die die Genfer Behörden betreffenden Abschnitte eines Entwurfs für einen Aktionsplan konsultiert worden. Sie habe sich daher auch nicht mit einem
solchen Textentwurf einverstanden erklärt und ihn auch nicht dem Staatsrat vorgelegt.216 Hingegen trifft es gemäss den Erklärungen des Staatsratspräsidenten217 zu, dass die Vorsteherin des EDA am 13. Juni 2010 von Tripolis aus mit der für das DSPE zuständigen Staatsrätin telefonierte. Allerdings sei der Staatsrat erst am Morgen des 14. Juni 2010 offiziell über das Abkommen informiert worden. Der Staatsrat habe

212

213 214 215 216 217

Brief der Vorsteherin des EDA an den Staatsratspräsidenten und die Staatskanzlerin des Kantons Genf vom 6.9.2010 und Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2010, S. 53.

Brief des Staatsrats des Kantons Genf an den Bundesrat vom 23.6.2010.

Brief des Staatsrats des Kantons Genf an die Vorsteherin des EDA vom 27.8.2010.

Protokoll der Anhörung des Präsidenten des Staatsrats des Kantons Genf vom 11.10.2010, S. 19­20.

Protokoll der Anhörung des Präsidenten des Staatsrats des Kantons Genf vom 11.10.2010, S. 3.

Protokoll der Anhörung des Präsidenten des Staatsrats des Kantons Genf vom 11.10.2010, S. 8­9.

4290

sich deshalb die relevanten Dokumente am 13. Juni 2010 auf andere Weise beschaffen müssen.

Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass in diesem Zeitraum gewisse Ansprechpartner auf Seiten der Genfer Behörden wechselten. So beschloss der Staatsrat, dass ab Juni 2010 der Präsident des Staatsrats in dieser Angelegenheit der Ansprechpartner der Bundesbehörden sein sollte.218 Hinzu kam, dass der Generalsekretär des DSPE im Laufe des Jahres 2010 eine neue Funktion übernahm (genaues Datum nicht bekannt).

Im Rahmen dieser Untersuchung beschäftigte sich die GPK-S nicht eingehender mit den Einzelheiten der oben erwähnten personellen Wechsel oder eventuellen anderen Veränderungen hinsichtlich der Ansprechpartnerinnen und -partner des Bundes und des Kantons Genf. Ebensowenig klärte sie deren möglichen Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen den Bundesbehörden und den Genfer Behörden.

Jedenfalls hält die GPK-S fest, dass die gegenwärtige Situation, in der die Erklärungen der einen Seite denen der anderen Seite widersprechen, nicht zufriedenstellend ist. Dies zeigt klar auf, dass die Bundesbehörden und die Genfer Behörden, da sie keine klaren Kommunikationskanäle zu Beginn der Krise definiert hatten, demzufolge auch nicht über solche verfügten, als es jeweils nötig gewesen wäre.

Angesichts dieser Schwierigkeiten empfiehlt die GPK-S, dass der Bund und der Kanton Genf im Rahmen einer Vereinbarung die Modalitäten der Zusammenarbeit, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung sowie die zuständigen Ansprechpartner (Personen oder Organe) im Falle einer Krise definieren.

Zudem ist es nach Ansicht der GPK-S erforderlich, Informationen von dieser Wichtigkeit so zu übermitteln, dass sie rückverfolgt werden können. Nur auf diese Weise können Missverständnisse und Informationslücken verhindert und kann garantiert werden, dass beiden Seiten das Gleiche verstanden haben.

Die GPK-S ist der Ansicht, dass dieser Punkt ebenfalls Gegenstand der oben erwähnten Vereinbarung sein sollte.

Empfehlung 5: Vereinbarung zu den Modalitäten der Zusammenarbeit im Krisenfall Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, zusammen mit den Behörden des Kantons Genf zu prüfen, ob es zweckmässig sei, die Modalitäten der Zusammenarbeit, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung sowie die zuständigen Ansprechpartner (Personen oder Organe)
im Falle einer Krise in einer Vereinbarung zu definieren. Die Rückverfolgbarkeit der übermittelten Informationen sollte ebenfalls Gegenstand einer solchen Vereinbarung sein.

218

Protokoll der Anhörung des Präsidenten des Staatsrats des Kantons Genf vom 11.10.2010, S. 11­12 und Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA vom 26.10.2010, S. 55­57.

4291

4.1.2

Information und Führung durch den Bundesrat

Aus den Unterlagen des Bundesrats und den Erklärungen der verschiedenen angehörten Personen geht hervor, dass der Bundesrat nach der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 vermehrt in dieses Dossier involviert war.

Es sind aber auch erhebliche Probleme festzustellen, was den Umfang der Informationen betrifft, die dem Bundesrat als Kollegium übermittelt wurden. Aus den Protokollen des Bundesrats geht nämlich hervor, dass sich einige Mitglieder darüber beklagten, lückenhaft informiert worden zu sein. Zudem seien vom Bundesrat beschlossene Korrekturen von den betroffenen Departementen nicht umgesetzt worden, so beispielsweise bei den Chronologien zuhanden der parlamentarischen Kommissionen.

So wurde der Gesamtbundesrat erst am 24. September 2009 darüber informiert, dass die beiden Schweizer am 18. September 2009 von den libyschen Behörden an einen geheimen Ort gebracht worden waren. Ein Mitglied des Bundesrates, welches sich ebenfalls wie die Vorsteherin des EDA und der Bundespräsident 2009 im massgeblichen Zeitraum im Rahmen der UNO-Generalversammlung in New York befand, erfuhr am 22. September 2009 durch die Vorsteherin des EDA von dieser Entführung. Das betroffene Mitglied des Bundesrates empfand diese «späte Information» als Beleidigung, zumal es feststellen musste, dass die Vertreter der Schweizer Mission bei der UNO seit dem 18. September 2009 davon wussten. Auf Nachfrage hin soll dieses Mitglied des Bundesrats erfahren haben, dass ihm der zuständige Botschafter des EDA diese Information aufgrund einer entsprechenden Instruktion der Vorsteherin des EDA vorenthalten hätte.

Gemäss der Vorsteherin des EDA war es die Task Force LI-CH-T, die den Beschluss, die Öffentlichkeit vorerst nicht zu informieren, getroffen hatte. Es sei in der ersten Phase darum gegangen, ausfindig zu machen, ob die beiden Schweizer noch am Leben waren; es ging auch darum, eine Eskalation mit Libyen zu verhindern. Es sei jedoch stets unbestritten gewesen, dass die Mitglieder der Task Force LI-CH-T ihre hierarchischen Vorgesetzen informieren dürften. Rückblickend anerkennt die Vorsteherin des EDA, dass der Gesamtbundesrat rascher hätte informiert werden können (vgl. Unterlagen, die die Vorsteherin des EDA der Subkommission am 26.10.10 übergab).

Aus Sicht der GPK-S hätte der Gesamtbundesrat tatsächlich umgehend
über eine so wichtige Information ins Bild gesetzt werden müssen. Auch wenn die Mitglieder der Task Force LI-CH-T ihre Vorgesetzen informiert hätten ­ was offenbar nicht der Fall war (siehe Kap. 4.1.3 hierunten) ­ wäre das sowieso ungenügend gewesen, da nicht alle Departemente in diesem Gremium vertreten waren. Überdies versteht es sich von selbst, dass eine Information des Gesamtbundesrats bzw. eines Mitglieds des Bundesrats noch keine Information der Öffentlichkeit darstellt.

Am Rande der oben erwähnten UNO Generalversammlung traf der Bundespräsident 2009 den Revolutionsführer am 23. September 2009 in New York. Gemäss den Gesprächsnotizen der diplomatischen Beraterin des Bundespräsidenten 2009, soll der Revolutionsführer u.a. die Themen der Veröffentlichung der Fotos seines Sohnes am 4. September 2009 sowie die Tatsache, dass die Schweiz einem anderen seiner Söhne ein Visum verweigert hatte, angesprochen haben. Nachdem der Bundespräsident seine Besorgnis über die Situation der beiden Schweizer kundtat, hätte der Revolutionsführer erklärt, Libyen habe Informationen gehabt, wonach die Schweizer 4292

Armee beabsichtigt hätte, die beiden Schweizer gewaltsam zu befreien. Deshalb habe man beschlossen, sie an einen sicheren Ort zu bringen. Darauf hätte der Bundespräsident 2009 geantwortet, dies sei ein Missverständnis. Ein lokaler Politiker, welcher nicht ernst zu nehmen sei, habe dies zwar gefordert. Die Schweizer Regierung würde aber eine solche Massnahme niemals ins Auge fassen.

Die Kommission stellt fest, dass sich ab Ende August 2009 ein Klima des Misstrauens innerhalb des Gesamtbundesrates breitmachte, und dies sowohl im Zusammenhang mit der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 als auch mit den nachfolgenden Ereignissen. Die GPK-S bedauert diese Situation, die zumindest teilweise darauf zurückzuführen ist, dass die Übertragung des Dossiers an den Bundespräsidenten 2009 am 17. Juni 2009 vom Bundesrat nicht formgerecht vorgenommen wurde.

In diesem Kontext konnte die GPK-S die Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen EDA und EFD zwischen Ende August 2009 und Ende 2009 nicht eindeutig klären.

Während der Bundesrat in seinem Beschluss vom 2. September 2009 das an das EDA erteilte Mandat zur Umsetzung des Abkommens vom 20. August 2009 bestätigte, ist dem späteren Beschluss vom 16. Dezember 2009 zu entnehmen, dass der Bundesrat darauf verzichtete, das Mandat des Bundespräsidenten 2009 auf die Bundespräsidentin 2010 zu übertragen und das EDA mit den Arbeiten betraute.

Offensichtlich herrschte sogar innerhalb des Kollegiums eine gewisse Konfusion.

In Bezug auf das Klima des Misstrauens erinnert die GPK-S daran, dass die beiden GPK der eidgenössischen Räte in ihrem Bericht vom 30. Mai 2010 zum Thema «Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA»219 zu einer ähnlichen Feststellung gelangten.

Dies veranlasste die beiden GPK, am 30. Mai 2010 zwei gleichlautende Motionen einzureichen (Mo. 10.3394 der GPK-N und Mo. 10.3633 der GPK-S)220 und den Bundesrat zu beauftragen, «im Rahmen der laufenden Regierungsreform konkrete Massnahmen zu beschliessen bzw. vorzuschlagen, damit er bei wichtigen Geschäften eine effektive Führung wahrnehmen kann, die im Einklang mit seiner Gesamtverantwortung als Kollegial- und oberste Exekutivbehörde steht».

Trotz der festgestellten Mängel möchte die GPK-S betonen, dass es während dieser Periode auch
positive Aspekte in Bezug auf die Führung des Bundesrats zu erwähnen gibt. So hat der Bundesrat vertiefte Diskussionen geführt und Entscheide über die zu verfolgende Strategie getroffen. Die Umsetzung von restriktiven Massnahmen im Visa-Bereich hat eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Mitgliedern des Bundesrats vorausgesetzt; diese Zusammenarbeit scheint gut funktioniert zu haben.

Es ist selbstredend, dass gewisse Voraussetzungen unbedingt erfüllt sein müssen, damit der Bundesrat als Kollegialbehörde bei wichtigen Geschäften eine effektive Führung wahrnehmen kann. Dazu gehören eine korrekte und ausreichende Information des Kollegiums, ein formeller Beschluss des Kollegiums zu wichtigen Fragen 219

Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA, Bericht der GPK vom 30.5.2010.

220 Die Motion 10.3394 der GPK-N und die gleichlautende Motion 10.3633 der GPK-S wurden am 30.5.2010 eingereicht. Die Motion 10.3633 der GPK-S wurde am 14.9.2010 vom Ständerat (erstbehandelnder Rat) angenommen.

4293

wie etwa zur vollständigen oder teilweisen Übertragung eines Dossiers und ­ falls mehrere Departemente involviert sind ­ zur Kompetenzverteilung und zur gegenseitigen Zusammenarbeit.

Der Bundesrat muss sich die geeigneten Instrumente geben, um eine korrekte und ausreichende Information des Kollegiums zu gewährleisten. Die Erstellung von Chronologien durch das oder die betroffene(n) Departement(e) zu Führungszwecken durch den Bundesrat und nicht nur zur Information der parlamentarischen Kommissionen, können eine wertvolle Hilfe darstellen.

Empfehlung 6: Unabdingbare Voraussetzungen für eine effektive Führung durch den Bundesrat bei wichtigen Geschäften Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, dafür zu sorgen, dass in Zukunft die drei folgenden unabdingbaren Voraussetzungen erfüllt sind, damit er bei wichtigen Geschäften eine effektive Führung als Kollegium wahrnehmen kann: ­

korrekte und ausreichende Information durch das oder die betroffene(n) Departement(e);

­

formelle Beschlüsse zu Fragen wie etwa zur vollständigen oder teilweisen Übertragung eines Dossiers, zum Inhalt eines Mandats sowie dessen Dauer;

­

formelle Beschlüsse zur Kompetenzverteilung und zu den Modalitäten der Zusammenarbeit, wenn mehrere Departemente in die Handhabung eines Dossiers involviert sind.

Überdies hält die GPK-S fest, dass auch in dieser Phase weder der Ausschuss des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten noch der Sicherheitsausschuss des Bundesrats dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat (vgl. Kap. 2.2.1). Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten führte in dieser Phase zudem keine einzige Sitzung durch.

Die Kommission weist an dieser Stelle darauf hin, dass die GPK aufgrund ihres Berichts vom 30. Mai 2010 zum Thema «Die Behörden unter dem Druck der Finanzkrise und der Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA» am 30. Mai 2010 zwei weitere gleichlautende Motionen einreichten221 (Mo. 10.3393 der GPK-N und Mo. 10.3632 der GPK-S), in denen der Bundesrat beauftragt wird, «das Instrument des Dreier-Ausschusses im RVOG zu regeln, damit diese Ausschüsse bei wichtigen und übergreifenden Geschäften einen Ausgleich zwischen dem Departemental- und dem Kollegialprinzip schaffen und die Entscheidgrundlagen des Bundesrates verbessert werden».

Für die GPK-S muss der Ausschuss des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten, der bereits 1970 geschaffen wurde, weitergeführt und effektiv eingesetzt werden.

Deshalb ersucht sie den Bundesrat, anlässlich der für Anfang 2011 geplanten Überprüfung der bundesrätlichen Ausschüsse den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten beizubehalten und sein Mandat klar zu definieren.

221

Die Motion 10.3393 der GPK-N und die gleichlautende Motion Motion 10.3632 der GPK-S wurden am 30.5.2010 eingereicht. Die Motion 10.3632 der GPK-S wurde am 14.9.2010 vom Ständerat (erstbehandelnder Rat) angenommen.

4294

Empfehlung 7: Ausschuss des Bundesrates für auswärtige Angelegenheiten Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, anlässlich der für Anfang 2011 geplanten Überprüfung der bundesrätlichen Ausschüsse den Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten beizubehalten, seine Zusammensetzung und sein Mandat klar zu definieren.

4.1.3

Organisation des Krisenmanagements

Die departementsübergreifende «Taskforce LI-CH-T», die am 26. August 2009 eingesetzt und der Leitung des Staatssekretärs des EDA unterstellt wurde, umfasst Vertreterinnen und Vertreter von fünf Departementen (EDA, EFD, EVD, EJPD und VBS).

Gemäss dem Staatssekretär des EDA222 bestand der Vorteil dieses Organs darin, dass alle betroffenen Departemente darin vertreten waren und dass alle Papiere, die später dem Bundesrat vorgelegt wurden, von den Vertreterinnen und Vertretern dieser Departemente bereits vorgängig diskutiert worden waren.

Die Kommission teilt diese Einschätzung. Ebenfalls positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass die «Taskforce LI-CH-T» ebenso wie die bereits zuvor bestehenden Arbeitsgruppen (vgl. Kap. 2.2.3) ihre Arbeiten anhand von Protokollen ihrer zahlreichen Sitzungen dokumentierte.

Der Staatssekretär des EDA223 erklärte gegenüber der GPK-S, die Vorsteherin des EDA sei regelmässig über die Arbeiten informiert worden. Die Vorsteherin des EDA habe dann jeweils entschieden, was an den Bundesrat weiterzuleiten sei und was noch eingehender analysiert werden müsse. «Mutatis mutandis» hätten die anderen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher auch Fragen in die «Taskforce LI-CH-T» eingebracht. Es sei jedoch klar gewesen, dass alle politischen Entscheide auf der Ebene des Bundesrats getroffen werden müssen.

Die «Taskforce LI-CH-T» verfügte ebenfalls über keinen schriftlichen Auftrag, weder von der Vorsteherin des EDA noch vom Bundesrat (vgl. Kap. 2.2.3).

Gemäss dem Staatssekretär des EDA224, 225 gab sich die «Taskforce LI-CH-T» fortlaufend verschiedene Mandate und bereitete die entsprechenden Papiere für den Bundesrat vor. Diese Mandate beziehungsweise Arbeiten der Taskforce hätten sich je nach den Beschlüssen des Bundesrates weiterentwickelt.

Alles in allem ist die GPK-S der Ansicht, dass sich das Ende August 2009 eingesetzte departementsübergreifende Organ bewährt hat. Die klar departementsübergreifende Struktur dieses operativen Instruments des Krisenmanagements bildet zudem das Gegenstück zur stärkeren Führungsrolle des Gesamtbundesrats als Kollegium (vgl. Kap. 4.1.2).

222 223 224 225

Protokoll der Anhörung des Staatssekretärs des EDA vom 3.3.2010, S. 6­7.

Protokoll der Anhörung des Staatssekretärs des EDA vom 3.3.2010, S. 7.

Es handelt sich um den Staatssekretär des EDA, der seit dem 1.3.2010 im Amt ist.

Protokoll der Anhörung der Vorsteherin des EDA (in Begleitung des Staatssekretärs des EDA) vom 26.10.2010, S. 66.

4295

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass gewisse Fragen im Rahmen des vorliegenden Berichts nicht eingehender geklärt wurden, so insbesondere Fragen zu den Informationsflüssen zwischen den Mitgliedern der «Taskforce LI-CH-T» und den Vorsteherinnen und Vorstehern ihrer jeweiligen Departemente. Gemäss den der GPK-S zur Verfügung stehenden Informationen war den Mitgliedern der «Taskforce LI-CH-T» offensichtlich nicht immer klar, dass es ihnen oblag, ihre jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorsteher über die laufenden Arbeiten zu informieren und/oder ihnen wichtige Informationen weiterzuleiten, über die sie manchmal noch vor dem Bundesrat verfügten (z.B. was die Entführung der beiden Schweizer Mitte September 2009 anbelangt).

Nach Ansicht der GPK-S wäre es zweckmässig, inskünftig die Informationsflüsse zwischen den Mitgliedern eines departementsübergreifenden Krisenorgans und ihren jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern von Anfang an klar zu definieren.

Empfehlung 8: Informationsflüsse zwischen den Mitgliedern eines departementsübergreifenden Krisenorgans und ihren jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern Die GPK-S fordert den Bundesrat auf, die notwendigen Massnahmen zu treffen, damit in Zukunft bei allen departementsübergreifenden Krisenorganen die Informationsflüsse zwischen ihren Mitgliedern und deren jeweiligen Departementsvorsteherinnen und -vorstehern von Anfang an geregelt sind.

5

Planung der Exfiltration der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger

5.1

Oberaufsicht im Zuständigkeitsbereich der GPDel

Für ihre Sitzung vom 31. März 2009 hatte die GPDel die zuständigen Stellen im VBS und EDA gebeten, sie über die Unterstützung des VBS zugunsten des Krisenmanagements des EDA in der anhaltenden bilateralen Krise zwischen Libyen und der Schweiz zu orientieren. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die GPDel erstmals von Planungen und Vorbereitungen für eine Exfiltration der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger.

Im weiteren Verlauf des Jahres 2009 befasste sich die GPDel insgesamt fünfmal mit den Anstrengungen von EDA und VBS, die beiden Schweizer Bürger aus Libyen zu exfiltrieren. Die GPDel befragte dazu verschiedene Vertreter des EDA und des VBS.

Im Herbst 2009 hörte die GPDel auch die Vorsteherin des EDA und den Vorsteher des VBS in dieser Sache an.

Wegen der Sensitivität des Geschäfts und der damals nach wie vor ungelösten Krise zwischen der Schweiz und Libyen, beschloss die GPDel, ihre Abklärungen unter strengster Geheimhaltung vorzunehmen und sich vor allem auf die Führung durch den Bundesrat zu konzentrieren.

4296

Gemäss ihren Handlungsgrundsätzen misst die Delegation der Früherkennung von Problemen eine grosse Bedeutung zu, um frühzeitig Mängel, die ein politisches Einschreiten bedingen, zu erkennen (Ziff. 4.1).226 Die GPDel beschloss deshalb, die zuständigen Departementsvorsteher über ihre Beurteilung und Schlussfolgerungen bezüglich der Führung und Koordination auf Stufe der Departemente und des Gesamtbundesrats zu informieren. Die Aussprache erfolgte am 28. Januar 2010.

Zum Sachverhalt stellt die GPDel fest, dass die Vorsteherin des EDA zwar um die Bemühungen ihres Departements um eine Exfiltration wusste, es aber nicht für notwendig erachtete, sich mit den Einzelheiten zu befassen.

Als im Spätherbst 2008 die Schweizer Armee Angehörige des Armee-AufklärungsDetachements 10 (AAD-10) zur Unterstützung des EDA zur Verfügung stellte, erfolgte dies im Einvernehmen mit dem damaligen Vorsteher des VBS. Bei der Stabsübergabe Ende 2008 an den neuen Vorsteher des VBS wurde dieser von seinem Vorgänger jedoch nicht darüber informiert, dass die Armee dem EDA weiterhin zur Unterstützung einer Exfiltration zur Verfügung stand.

Der neue Vorsteher des VBS hatte seinerseits erst im Verlauf des Jahres 2009 von der Weiterführung der entsprechenden Aktivitäten in seinem Departement erfahren.

Auch der Chef der Armee (CdA) hatte ihn nicht über die Ende 2008 in die Wege geleiteten Bemühungen für eine Exfiltration informiert.

Weder die Vorsteherin des federführenden EDA noch die beiden Vorsteher des VBS erachteten es als notwendig, das Bundesratskollegium ­ und vorgängig den Sicherheitsausschuss des Bundesrates (SiA) ­ über die Aktivitäten ihrer Departemente im Hinblick auf eine Exfiltration der beiden Schweizer Bürger zu informieren. Der Bundesrat fällte somit nie einen Grundsatzentscheid für eine Planung oder sogar für eine allfällige Durchführung einer Exfiltration. Dies wurde von der Bundeskanzlerin auf Anfrage der GPDel bestätigt.

Während der Bundespräsident 2008 von einem Vertreter des EDA in sehr groben Zügen informiert wurde, dass eine Exfiltration geplant war, hatte die GPDel in der ersten Phase ihrer Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür, dass auch der neue Bundespräsident für das Jahr 2009, sei es von seinem Vorgänger, sei es seitens des EDA oder des VBS informiert worden wäre.

Bei dieser Sachlage vertrat die
GPDel sowohl gegenüber der Vorsteherin des EDA wie auch des Vorstehers des VBS klar die Ansicht, dass die Information des Bundesratskollegiums ­ angesichts der damals nach wie vor andauernden Krise mit Libyen ­ in geeigneter Form nachgeholt werden müsse. Insbesondere erachtete es die GPDel als vordringlich, dass die Bundespräsidentin 2010 so rasch wie möglich darüber ins Bild gesetzt würde, was das EDA zusammen mit Angehörigen des AAD-10 im Hinblick auf eine Exfiltration unternommen hatte.

Anlässlich der Aussprache vom 28. Januar 2010 wies die GPDel die beiden Departementsvorsteher darauf hin, dass sowohl das EDA als auch das VBS die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland (VSPA)227 nicht eingehalten hatten. Die GPDel 226

Handlungsgrundsätze der Geschäftsprüfungsdelegation vom 16.11.2005.

(http://www.parlament.ch/d/organe-mitglieder/delegationen/ geschaeftspruefungsdelegation/Documents/gpdel-handlungsgrundsaetze-d.pdf).

227 Verordnung vom 3.5.2006 über den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland (SR 513.76).

4297

vertrat weiter den Standpunkt, dass die Verordnung nicht so interpretiert werden könne, dass der Bundesrat als Kollegium erst unmittelbar vor der Auslösung einer Operation einzubeziehen sei. Vielmehr sei das Erfordernis eines Beschlusses durch den Bundesrat bereits auf bestimmte Aktivitäten im Vorfeld einer konkreten Operation anwendbar. So gilt beispielsweise die Beschaffung von Schlüsselinformationen, als eigenständige Operation nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c VSPA, für die ein Gesuch an den Bundesrat zu richten ist.

Die GPDel forderte die beiden Departementsvorsteher auf, in Zukunft die rechtlichen Vorgaben in einem derart sensitiven Bereich strikte einzuhalten. Um in einem künftigen, analogen Fall jede Unklarheit auszuschliessen, bat die GPDel die beiden Departementsvorsteher, die Frage zu prüfen, ob die Bestimmungen der Verordnung nicht präzisiert werden sollten.

Mit einem geheim klassifizierten Brief übermittelte die GPDel am 9. Februar 2010 ihre Schlussfolgerungen und Empfehlungen an die beiden Departementsvorsteher und forderte sie auf, nach erfolgter Information der Bundespräsidentin und des Bundesrats die Delegation darüber in Kenntnis zu setzen. Ihre Untersuchung betrachtete die GPDel damit als abgeschlossen.

5.2

Aufarbeitung der Empfehlungen der GPDel durch den Bundesrat

Am 4. März 2010 informierten die Vorsteherin des EDA und der Vorsteher des VBS in einem gemeinsamen Brief den Präsidenten der GPDel, dass die Bundespräsidentin detailliert und vollständig informiert worden sei.

Am 22. April 2010 kam es zu einem Treffen zwischen der Bundespräsidentin und dem Präsidenten sowie dem Vizepräsidenten der Delegation. Dabei teilte die Bundespräsidentin mit, dass der Vorsteher des VBS den Bundesrat am 3. Februar 2010 unter Varia über die geplanten, aber schlussendlich nicht durchgeführten Operationen zur Exfiltration der in Libyen zurückgehaltenen Schweizer Bürger informiert hatte. Die Bundespräsidentin führte ferner aus, sie habe im Nachgang an die mündliche Information durch den Vorsteher des VBS von den beiden Departementen EDA und VBS einen schriftlichen Bericht und vom Bundesamt für Justiz (BJ) ein Gutachten über die Rechtmässigkeit des Vorgehens verlangt. Am 24. März 2010 habe der Bundesrat den gemeinsamen Bericht des EDA und des VBS sowie die rechtliche Beurteilung des BJ zur Kenntnis genommen und klargestellt, dass in künftigen, ähnlich gelagerten Fällen, welche den Truppeneinsatz zum Schutz von Personen und Sachen im Ausland betreffen, der Bundesrat frühzeitig genug, d.h. vor der Erteilung eines Operationsbefehls, zu informieren und zu konsultieren sei.

Am 28. Mai 2010 nahmen der Präsident und der Vizepräsident der GPDel bei der Bundeskanzlei Einsicht in diese geheimen Akten des Bundesrats und baten um die Herausgabe einer Kopie. Diesem Begehren kam die Bundeskanzlerin am 31. Mai 2010 nach Rücksprache mit der Bundespräsidentin nach.

Die GPDel informierte ihrerseits die Bundespräsidentin wunschgemäss mit Schreiben vom 7. Juni 2010 über die Empfehlungen und Schlussfolgerungen der Delegation an die Vorsteherin des EDA und den Vorsteher des VBS ebenso wie über deren schriftliche Antwort vom 4. März 2010. In ihrem Brief wies die GPDel auch darauf hin, dass sie von der Bundeskanzlei die geheimen Akten des Bundesrats zur Sitzung 4298

vom 24. März 2010 erhalten habe. Die GPDel wies auch darauf hin, dass sie aufgrund ihrer eigenen Abklärungen ein präziseres Bild über das Exfiltrationsvorhaben von EDA und VBS habe als der Bundesrat.

Die GPDel stellte in ihrem Schreiben vom 7. Juni 2010 aber auch fest, dass ihre Beurteilung im Wesentlichen mit den Schlussfolgerungen des Bundesrats gemäss seinem Beschluss vom 24. März 2010 übereinstimmen würde. An diesem Tag hatte der Bundesrat, wie dies aus dem Wortlaut seines Beschlusses hervorgeht, von den «geplanten Befreiungsaktionen Kenntnis genommen» und festgestellt, dass die Verfahren der VSPA im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden waren. Die GPDel teilte der Bundespräsidentin ebenfalls mit, dass die Delegation für eine Aussprache zur Verfügung stehen würde.

Auf entsprechende Anfrage der Bundespräsidentin traf sich die GPDel am 21. Juni 2010 zu einem Informationsgespräch mit dem gesamten Kollegium. Dabei informierte die GPDel den Bundesrat ausführlich über ihre Abklärungen und die gewonnenen Erkenntnisse. Insbesondere verlangte sie vom Bundesrat nicht, dass dieser die Öffentlichkeit informiere.228 Vielmehr machte sie ihn ausdrücklich auf den geheimen Informationsgehalt ihrer Ausführungen aufmerksam und betonte die Notwendigkeit eines adäquaten Informationsschutzes.229

5.3

Abklärungen der GPDel im Auftrag der GPK-S

5.3.1

Kenntnisstand des Bundesrats und seiner Mitglieder

Um Doppelspurigkeiten zwischen den Arbeiten der Subkommission EDA/VBS und der GPDel zu vermeiden, informierte der Präsident der GPDel am 8. Juni 2010 die Mitglieder der Subkommission EDA/VBS in geeigneter Form und unter Vorkehrung der nötigen Geheimhaltungsmassnahmen über ihre Abklärungen im Zusammenhang mit dem Exfiltrationsvorhaben des EDA. An der gleichen Sitzung wurde im Hinblick auf die weiteren Arbeiten der Subkommission EDA/VBS auch eine Arbeitsteilung zwischen der Subkommission und der GPDel festgelegt.

Am 25. Juni 2010 beschloss die GPK-S, die GPDel um ihre Unterstützung bei der Abklärung der Informationsflüsse im Bundesrat zu bitten. Die GPK-S erteilte der Delegation den Auftrag, beim Bundesrat sämtliche Anträge, Aussprachepapiere, Informationsnotizen, Mitberichte und «grüne» Protokolle zu Libyen einzusehen.

Derartige besondere Aufträge können die GPK gemäss Artikel 53 Absatz 3 ParlG ihrer Delegation erteilen. In der Folge nahm die GPDel im Laufe des Monats September 2010 verschiedentlich Einsicht in die Protokolle des Bundesrats. Die Bundeskanzlei händigte der GPDel im Auftrag des Bundesrats die Entscheidfindungsgrundlagen zur Krise mit Libyen aus. Dort wo unter der Rubrik «Umfragen» keine Notizen im grünen Protokoll des Bundesrats auszumachen waren, übergab der anwesende Vize-Bundeskanzler der Delegation seine persönlichen Handnotizen (Sitzung vom 19. August 2009 [Information des Bundespräsidenten 2009 über das Datum seiner Reise nach Libyen] und vom 3. Februar 2010 [erstmalige Information 228

Vgl. Erklärung der Bundespräsidentin im Namen des Bundesrats vom 21.6.2010 «Jüngste Entwicklung in der Libyen-Affäre»; Medienmitteilung der GPDel vom 22.6.2010 «Information der GPDel zur Libyen-Affäre».

229 Vgl. geheimes Protokoll der GPDel vom 21.6.2010 betreffend Aussprache mit dem Bundesrat und der Bundeskanzlerin zum Fall Libyen.

4299

des Vorstehers des VBS betr. Exfiltrationsvorhaben]). Zur Vervollständigung ihrer Informationen erhielt die GPDel zudem Zugang zu den Protokollen der Anhörungen derjenigen Mitglieder des Bundesrates, welche die Subkommission EDA/VBS nach dem 21. Juni 2010 zu den Informationsflüssen im Bundesrat i.S. Exfiltrationsvorhaben anhörte.

Diese zusätzlichen Abklärungen brachten der Delegation jedoch keine wesentlich neuen Erkenntnisse bezüglich des eigentlichen Exfiltrationsvorhabens, aber einzelne Präzisierungen.

So erfuhr die GPDel, dass der vormalige Vorsteher des VBS Ende 2008 keine Notwendigkeit erkannte, seinen Nachfolger über die kurz zuvor erfolgte Unterstützung der Armee zugunsten des EDA zu informieren, da nach seinem Informationsstand die von ihm genehmigten Aktivitäten wieder eingestellt worden waren.

Der neue Vorsteher des VBS erfuhr seinerseits im Januar 2009 vom damaligen Generalsekretär des VBS, dass dieser vom vormaligen Departementsvorsteher von einer Operation erfahren hatte, welche aber abgebrochen worden war. Weitere Informationen im Zusammenhang mit den geplanten Exfiltrationsbemühungen erhielt der Vorsteher des VBS zudem vom Auslandnachrichtendienst. Als im weiteren Verlauf des Jahres 2009 die letzte Operation durch den CdA genehmigt wurde, besprach dieser vorgängig die Angelegenheit mit dem Vorsteher des VBS.

Als die GPDel Anfang 2010 ihre Beurteilung und ihre Empfehlungen den Vorstehern des EDA und des VBS zur Kenntnis brachte, war sie davon ausgegangen, dass der Bundespräsident 2009 nicht in die Bemühungen von EDA und VBS für eine Exfiltration eingeweiht worden war. Aufgrund ihrer eigenen Abklärungen weiss die GPDel nun aber, dass der Bundespräsident 2009 zumindest andeutungsweise vom Bundespräsidenten 2008 erfahren hatte, dass das EDA mit Unterstützung des VBS eine Exfiltration der beiden Schweizer Bürger vorbereiten würde. Die weiterführenden Anhörungen der GPK-S sowie die grünen Protokolle des Bundesrates haben dies denn auch bestätigt. Von einer Unterstützung des EDA durch die Armee hatte der zukünftige Bundespräsident 2009 hingegen nichts erfahren.

Für die GPDel steht weniger die Frage des genauen Informationsstandes des Bundespräsidenten 2009 im Vordergrund, als die Frage des Einbezugs des Bundesrates als Kollegium. Artikel 177 BV, welcher das Kollegial- und Departementalprinzip
regelt, sieht nämlich nicht vor, dass der Bundespräsident bloss mit einzelnen Mitgliedern des Bundesrats die Führung und die Verantwortung für ein bestimmtes Geschäft übernehmen kann, ohne dass ein entsprechender vorgängiger Beschluss des Bundesrats vorliegt. Was den Bundespräsidenten 2009 und die Bundespräsidentin 2010 anbelangt, liegt es auf der Hand, dass sie in einer derart heiklen Angelegenheit stets auf dem aktuellsten Informationsstand hätten sein müssen, um auf bilateraler und internationaler Ebene ihrer Rolle gerecht werden zu können.

5.3.2

Rechtliche Fragen

Aufgrund der zusätzlich erhaltenen Informationen ist die GPDel zuhanden der GPK-S der Frage nachgegangen, welche spezifischen Informations- und Entscheidungsmechanismen das geltende Recht für die von ihr untersuchten Operationsplanungen vorsieht.

4300

Laut Artikel 1 VSPA regelt die Verordnung den Assistenzdienst der Armee zum Schutz von Personen und besonders schutzwürdigen Sachen im Ausland.

Nach Artikel 3 VSPA muss das interessierte Departement ­ vorliegend das EDA ­ sein Gesuch für einen Assistenzdienst in Absprache mit dem VBS an den Bundesrat richten. Soweit die zeitliche Dringlichkeit es erlaubt, werden die Gesuche im SiA vorberaten.

Gemäss Artikel 4 VSPA entscheidet der Bundesrat über das Gesuch und erteilt den Auftrag für den Einsatz. Der Auftrag regelt die in Artikel 4 Absatz 2 VSPA erwähnten Parameter des Einsatzes. Darüber hinaus wird in Artikel 5 Absatz 1 VSPA verlangt, dass der Bundesrat das zuständige Departement bestimmt, welches den Operationsbefehl des CdA genehmigt und über die Auslösung und Beendigung des Einsatzes entscheidet.

Nach den Erläuterungen zur VSPA, wie sie aus dem Antrag des VBS an den Bundesrat vom 29. März 2006 hervorgehen, «[basiert] der Antrag an den Bundesrat auf der Grundlage der vom CdA ausgearbeiteten Handlungsoptionen über das räumlichzeitliche Einsatzkonzept, den Einsatzregeln sowie dem militärischen Kräfteansatz» (S. 6, existiert nur auf Deutsch).

Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Armee Planungsarbeiten im Sinne der Ausarbeitung von Handlungsoptionen vornehmen kann, bevor dem Bundesrat ein Antrag unterbreitet wird. In Bezug auf den vom CdA zu erteilenden Operationsbefehl geht die VSPA davon aus, dass der Auftrag des Bundesrats dafür die wesentlichen Parameter festlegt. Diese sind danach vom CdA im Operationsbefehl konkret umzusetzen. Hierin deckt sich die Beurteilung der GPDel mit der Argumentation des BJ in seiner rechtlichen Beurteilung vom 25. Februar 2010.

Das VBS hat der GPDel zu den verschiedenen Operationsplanungen entsprechende Operationskonzepte vorgelegt. Die GPDel hat sich eingehend mit diesen Operationskonzepten auseinandergesetzt. Aus Staatsschutzgründen gibt sie weder die Anzahl der Konzepte noch ihren Inhalt bekannt. Sie legt jedoch Wert darauf, festzustellen, dass es ­ entgegen dem Wortlaut der Erklärung der Bundespräsidentin vom 21. Juni 2010 ­ nie darum gegangen ist, eine «Befreiungsaktion» der beiden Schweizer in Libyen vorzunehmen, zumal eine solche die Anwendung von Gewalt impliziert hätte. Die vorgenommenen Aktivitäten gelangten überdies auch nie in ein Stadium, in
welchem eine aktive Mitwirkung der beiden Schweizer in Libyen an ihrer Exfiltration erforderlich gewesen wäre. Also wurde auch nie eine diesbezügliche Phase bzw. ein diesbezüglicher Einsatz durch das EDA ausgelöst.

Gemäss dem Reglement 51.070 über die Operative Führung der Armee dient das Operationskonzept als Ausgangspunkt für den Operationsplan. Vor Auslösung einer Operation wird der Operationsplan mittels Auslösebefehl zum Operationsbefehl.

Wie der Planungsprozess zur Operation ATALANTA, welcher in einem Bericht des Inspektorats VBS230 dargelegt wird, aufzeigt, ist davon auszugehen, dass dem Operationskonzept ein Entscheid des Bundesrats vorangeht. Der Entscheid des Bundesrats kann sich seinerseits vorgängig auf Machbarkeitsanalysen abstützen.

Ein Vergleich der Operationskonzepte, die der GPDel vorliegen, mit den effektiv durchgeführten Aktivitäten zeigt, dass eines der Konzepte über alle Operationspha230

Schlussbericht vom 11.1.2010 des Inspektorats VBS zur Revision Nr. 3 über das ArmeeAufklärungsdetachement 10, S. 30.

4301

sen zur Durchführung gelangte. Ein anderes Konzept erreichte in der Durchführung Phase 1, wobei mit Phase 0 die Einsatzvorbereitungen und -planungen im engeren Sinn abgeschlossen waren.

Obwohl der GPDel keine Operationsbefehle im technischen Sinne vorgelegt wurden, kann sie aufgrund ihrer Abklärungen bestätigen, dass zu den beiden erwähnten Operationen durch den CdA genehmigte Konzepte vorlagen. Die Delegation geht auch davon aus, dass das Vorgehen für die Operationen vom EDA ­ offenbar stillschweigend ­ gutgeheissen wurde. De facto hatten somit die militärische Führung und das EDA das Stadium der Konzeption überschritten und die eingesetzten Angehörigen der Armee ihren Operationsbefehl erhalten.

Nach Auffassung der GPDel hätten aber bereits die Operationskonzepte auf einem Auftrag des Bundesrats basieren müssen. Für die Auslösung des Einsatzes hätte hingegen nach dem Modell der Verordnung der Bundesrat gar nicht mehr informiert werden müssen, da das EDA nach Artikel 5 Absatz 2 VSPA befugt gewesen wäre, diesen in eigener Kompetenz auszulösen und zu beendigen.

Die GPDel ist der Ansicht, dass mindestens ein von ihr untersuchtes Operationskonzept unter den Katalog der Operationstypen von Artikel 2 Absatz 1 VSPA fällt. Die von der VSPA vorgegebenen Verfahren wurden jedoch nicht eingehalten. Zum gleichen Schluss gelangte das BJ in der bereits erwähnten Beurteilung.

Gegenüber der parlamentarischen Oberaufsicht ­ aber auch nachträglich im Bundesrat ­ machten das VBS und vor allem das EDA geltend, dass die Beteiligung von Angehörigen des AAD-10 an den vom EDA geleiteten Operationen nicht als Assistenzdienst qualifiziert werden könne. Die Angehörigen der Armee (AdA) seien als gewöhnliche Angestellte des VBS von diesem dem EDA zur Verfügung gestellt worden, um dort bestimmte Aufgaben zu erfüllen, für die sie ausgebildet gewesen seien. Die Tatsache, dass sie vorher und nachher im VBS als Angehörige der Berufsformation AAD-10 Dienst leisten würden, vermöge aus ihrer Tätigkeit zugunsten des EDA keinen Einsatz gemäss VSPA zu machen.

Für die GPDel ist die Interpretation, die eingesetzten Angehörigen des AAD-10 nicht mehr als AdA, sondern als Angestellte des zu unterstützenden Departements einzustufen, nicht nachvollziehbar. Eine analoge Argumentation bezogen auf den Botschaftsschutz durch die Militärische
Sicherheit (Mil Sich) würde es demnach beispielsweise erlauben, diese AdA an eine interessierte Kantonspolizei «auszuleihen» ohne die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung des Parlaments für ihren Einsatz einzuholen.

Die GPDel schliesst nicht aus, dass eine Umverteilung von Angestellten der Bundesverwaltung von einer Dienststelle zu einer anderen a priori möglich wäre. Sie geht jedoch davon aus, dass dafür zumindest die massgeblichen personalrechtlichen Vorgaben (z.B. Austritt, Kündigung, Wieder- bzw. Neuanstellung, usw.) auf jeden Fall einzuhalten wären. Die GPDel hat indessen keine Kenntnis davon, dass entsprechende Vorkehrungen getroffen worden wären. Da die Unterstützung des AAD-10 für die Exfiltrationsbemühungen klar als eine Leistung der Armee zugunsten des EDA verstanden und so konzipiert wurde, sind die diesbezüglichen Tätigkeiten aus ihrer Sicht als Assistenzdienst zu bewerten.

Wie die Unterlagen zeigen, ging das erste erarbeitete Operationskonzept explizit davon aus, dass die AdA einen Assistenzdienst im Ausland im Rahmen der VSPA leisten würden. Die rechtlichen Grundlagen wurden jedoch in den späteren Konzep4302

ten nicht mehr erwähnt; dies nachdem der CdA ein internes Rechtsgutachten erhalten hatte, wonach die geplante Unterstützung des EDA nicht unter die VSPA falle.

Begründet wurde diese Rechtsfolge damit, dass gar keine «militärische Aktion» vorliegen würde, weil die Angehörigen des AAD-10 weder uniformiert noch bewaffnet sein würden.

Diese Argumentation vermag die GPDel nicht zu überzeugen. Auf eine Anfrage der GPDel vom 5. April 2006 hin hatte das VBS am 13. April 2006 geantwortet, dass insbesondere bei Einsätzen nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstaben c VSPA (Beschaffung von Schlüsselinformationen) ein Einsatz in Uniform gar nicht vorgesehen sei.231 Gerade weil sich die GPDel bereits damals der Nähe solcher Operationen zur eigentlichen nachrichtendienstlichen Tätigkeit bewusst war, hatte sie entsprechende Auskünfte eingeholt. Deshalb gibt es für die GPDel heute keinen zwingenden Grund anzunehmen, dass die Beschaffung von Schlüsselinformationen durch Militärpersonal, welches nicht als solches erkennbar ist, von der VSPA ausgeschlossen sein sollte.

Im Hinblick auf künftige, unter den Anwendungsbereich der VSPA fallende Operationen stellt die GPDel fest, dass sich diese mit Aktivitäten zur nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung überschneiden können. Derartige Operationen unterliegen anderen rechtlichen Vorgaben und bedürfen auch keiner Genehmigung durch den Bundesrat.

Empfehlung 9: Abgrenzung zwischen Einsätzen nach der VSPA und den Zuständigkeiten des militärischen sowie des zivilen Nachrichtendienstes Die GPDel empfiehlt dem Bundesrat, aufgrund einer Auslegeordnung gegebenenfalls die Abgrenzung zwischen Einsätzen nach der VSPA und den Zuständigkeiten des militärischen sowie des zivilen Nachrichtendienstes vorzunehmen und im Bedarfsfall die Rechtsgrundlagen zu klären.

Empfehlung 10:

Überprüfung des Einbezugs und der Rolle des Bundesrats, so wie in der VSPA definiert

Ebenfalls prüfen sollte der Bundesrat, ob sein Einbezug und seine Rolle, wie sie heute in der VSPA definiert sind, auch tatsächlich zweckmässig geregelt sind.

Es stellt sich die Frage, ob es nicht auch Sache des Bundesrats wäre, über die Auslösung wie die Beendigung des Einsatzes zu befinden.

5.4

Beurteilung der GPDel

Im Rahmen ihrer Untersuchung hat die GPDel keinen Anlass gehabt, an der grundsätzlichen Rechtmässigkeit eines Einsatzes des AAD-10 für die Durchführung einer Exfiltration der in Libyen zurückgehaltenen Schweizer zu zweifeln. Die GPDel ist der Auffassung, dass sich ein moderner Rechtsstaat die notwendigen Mittel geben 231

Brief des Vorstehers des VBS vom 13.4.2006 auf die Fragen der GPDel vom 5.4.2006.

4303

muss, um derartige Optionen vorzubereiten und sie gegebenenfalls mit der Hilfe anderer Staaten durchführen zu können.

Die GPDel ist jedoch zum Schluss gelangt, dass das EDA und das VBS den Bundesrat nicht so in die Vorbereitung der Operationen einbezogen haben, wie es die VSPA vorschreibt. Ungeachtet dessen ist die GPDel jedoch davon überzeugt, dass es ­ angesichts der aussenpolitischen Risiken, welche mit derartigen Operationen verbunden sind ­ unabdingbar ist, dass der Bundesrat als oberste leitende und vollziehende Behörde des Bundes (Art. 174 BV) seine Führungsaufgabe rechtzeitig wahrnimmt.

Das Vorgehen der beiden Departemente EDA und VBS hat diesem Erfordernis nicht genügt. Es wäre in erster Linie Sache der Vorsteherin des EDA gewesen, ein entsprechendes Gesuch unter Einbezug des VBS an den Bundesrat zu richten. Die ohne Auftrag des Bundesrats durch das EDA, insbesondere durch den damaligen Chef des Politischen Sekretariats, in die Wege geleiteten Exfiltrationsoperationen überstiegen die Kompetenzen, welche die Verordnung dem federführenden Departement zugesteht. Unter diesen Prämissen gingen die ohne Auftrag des Bundesrats genehmigten und umgesetzten Operationskonzepte zumindest bei einem dieser Einsätze eindeutig über den von der Verordnung vorgeschriebenen Kompetenzrahmen hinaus.

Im Weiteren hätten das EDA und das VBS ­ vorgängig zu einer Befassung durch den Bundesrat ­ den SiA in ihre Arbeiten miteinbeziehen müssen. Aufgrund der zeitlichen Verhältnisse wäre dies ohne weiteres möglich gewesen. Beide Departementsvorsteher gehören dem SiA als ständige Mitglieder an. Der ständige Vorsitz des SiA liegt beim Vorsteher des VBS. Das ist erst seit 2005 der Fall ­ vorher wechselte der Vorsitz unter den drei SiA-Mitgliedern jährlich ab. Es wäre also auch Sache des früheren wie auch des jetzigen Vorstehers des VBS gewesen, das Geschäft im SiA zu traktandieren.

Der SiA ist der einzige ständige Ausschuss des Bundesrates, welcher über eine eigene gesetzliche Grundlage und über eine klar definierte Aufgabe verfügt. Es ist nicht das erste Mal, dass die GPDel feststellt, dass der SiA bei departementsübergreifenden und sicherheitspolitisch relevanten Geschäften aus den SiA-Departementen von diesen übergangen wird.232 Dieses Vorgehen wirft grundlegende Fragen über das Funktionieren, aber auch über Sinn und Zweck dieses Organs auf.

Empfehlung 11:

Überprüfung der Rolle, der Bedeutung und der Aufgabe des SiA

Die GPDel empfiehlt dem Bundesrat, die Rolle, die Bedeutung und die Aufgabe des SiA grundsätzlich zu überdenken und dieses Organ entweder entsprechend zu stärken oder aber, es einem neuen Zweck zuzuführen.

Die GPDel muss zudem feststellen, dass der Bundesrat nicht in der Lage war, die notwendige Geheimhaltung zu gewährleisten. So zeigte sich die GPDel am 21. Juni 2010 anlässlich ihrer Aussprache mit dem Bundesrat darüber erschüttert, dass am Freitag zuvor besonders heikle Informationen über die Exfiltrationsbemühungen an

232

Bericht der GPDel vom 19.1.2009 «Fall Tinner: Rechtmässigkeit der Beschlüsse des Bundesrats und Zweckmässigkeit seiner Führung» (BBl 2009 5055).

4304

die Öffentlichkeit gelangt waren. Diese Informationen dürften wegen ihrer Natur nur aus dem engeren involvierten Umfeld der betroffenen Departemente stammen.

Mit Betroffenheit stellt die GPDel fest, dass es ­ sobald der Bundesrat, wie von der parlamentarischen Oberaufsicht angestrebt, als Kollegium einbezogen wurde, ­ wiederholt zu schwerwiegenden Indiskretionen kam, welche bis zum heutigen Tag angedauert haben.

Im Einzelnen kann die GPDel nicht nachvollziehen, dass die weiteren Arbeiten zwischen EDA und VBS, welche als Grundlage für den lediglich noch als vertraulich klassifizierten Antrag des EDA vom 7. September 2010 dienten, nicht mehr geheim klassifiziert waren. Das Gesagte gilt sowohl für den erwähnten Antrag des EDA als auch für einen solchen des EFD vom 17. Juni 2010. Es obliegt jedem einzelnen Mitglied des Kollegiums, in seinem unmittelbaren Umfeld die Verantwortung für die korrekte Klassifizierungsstufe der für den Bundesrat bestimmten Unterlagen zu übernehmen.

Dieselbe Forderung hatte die GPDel bereits in ihrer dritten Empfehlung ihres Berichts zum Fall Tinner vom 19. Januar 2009 aufgestellt. In seiner Stellungnahme vom 17. Juni 2009 erklärte der Bundesrat, es bestehe kein Handlungsbedarf.233 Der Bundesrat könne sich bereits im sicherheits- und aussenpolitischen Bereich auf gut ausgebaute Strukturen stützen, um Geschäfte mit grossem Geheimhaltungsinteresse vorbereiten zu können. Diese Instrumente würden auch laufend überprüft und wenn nötig angepasst. Wie die Abklärungen der GPDel belegen, ist dem noch heute nicht so.

Auch innerhalb des EDA bestand im höheren und mittleren Kader kein hinreichendes Bewusstsein für die Sensitivität gewisser Informationen. Nur so lässt sich erklären, dass sich der Botschafter in Libyen in einer breit gestreuten und unverschlüsselten E-Mail zu den geplanten Exfiltrationsoperationen äusserte. Ungeschützte Telefonanrufe seitens Angehöriger der Botschaft in Tripolis oder eingeflogener EDA-Mitarbeiter mit der Zentrale erfolgten auch zu Beginn der Krise. Ein Handy ging auf einem ausländischen Flughafen verloren und musste in der Folge gesperrt werden. Ein Gepäckstück mit einem Notebook blieb zu Beginn der Krise für eine gewisse Zeit unauffindbar.234 Derartige Ereignisse belegen, dass i.S. Informationsschutz und Schutz von technischen Geräten in der Bundesverwaltung ein grosser Handlungsbedarf besteht, weshalb es zwingend ist, dass eine rasche Abhilfe erfolgt.

Empfehlung 12:

Massnahmen zur Gewährleistung der Geheimhaltung auf höchster Stufe innerhalb der Bundesverwaltung

Der Bundesrat wird aufgefordert, in seinem Kompetenzbereich die nötigen Massnahmen zu treffen, um inskünftig die Geheimhaltung auch auf höchster Stufe innerhalb der Bundesverwaltung gewährleisten zu können. Dabei ist auch den technischen Aspekten der den Mitarbeitenden abgegebenen Geräte eine gebührende Aufmerksamkeit zu schenken.

233

Stellungnahme des Bundesrats vom 17.6.2009 zum Bericht der GPDel vom 19.1.2009 zum Fall Tinner: Rechtmässigkeit der Beschlüsse des Bundesrats und Zweckmässigkeit seiner Führung (BBl 2009 5063).

234 E-Mail-Antwort des Generalsekretärs des EDA vom 22.10.2010.

4305

Abschliessend ist festzustellen, dass die GPDel im Rahmen ihrer eigenen Untersuchung über die geplanten Exfiltrationsoperationen und in der nachfolgenden Diskussion mit dem Bundesrat darauf verzichtete, die Zweckmässigkeit und die Erfolgschancen der geplanten Operationen zu überprüfen. Der Fokus ihrer Oberaufsichtstätigkeit war vielmehr darauf gerichtet, sicherzustellen, dass der Bundesrat rasch über die für seine Führung nötigen Informationen verfügt, damit er inskünftig in der Lage ist, auf seiner Stufe die Verantwortung für derartige Operationen zu übernehmen.

Auch mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand der GPK-S besteht für die GPDel keine Veranlassung, sich in der vorliegenden Berichterstattung weitergehend mit den Operationsplanungen auseinander zu setzen. Aus Sicht der GPDel würden dem auch gewichtige Landesinteressen entgegenstehen.

5.5

Weitere Abklärungen der GPDel für die GPK-S

5.5.1

Einsatz des Verteidigungsattachés Kairo während der Krise mit Libyen

Im Verlauf ihrer Arbeiten kam die Subkommission EDA/VBS der GPK-S zum Schluss, dass es zweckmässig wäre, auch die Rolle des zuständigen Verteidigungsattachés (VA) während der Krise mit Libyen zu untersuchen. Sie übertrug diese Abklärungen der GPDel, welche in der Folge den damaligen VA Kairo zu einer Anhörung einlud.

Der Bericht, den die GPK-N am 23. Mai 2006 zu den Verteidigungsattachés235 publiziert hatte, unterscheidet zwischen Verteidigungsattachés, deren Aufgabe im Wesentlichen im Nachrichtendienstbereich liegt und solchen, deren Funktion auf die bilaterale Zusammenarbeit zwischen der Schweizer Armee und den Streitkräften der Akkreditierungsländer ausgerichtet ist. Wie aus dem Bericht der GPK-N abzuleiten ist, ist der Posten des VA Kairo vor allem der ersten Kategorie zuzuordnen.

Das EDA nutzte im Sommer 2009 den VA mit seinem Diplomatenstatus dazu, in der Zeit ohne schweizerisches Botschaftspersonal in Tripolis eine Überbrückungsfunktion wahrzunehmen. Vom damaligen Staatssekretär des EDA hatte der VA Kairo Mitte Juni 2009 den Auftrag erhalten, für die Schweiz «Flagge zu zeigen». Der VA Kairo hielt sich in der Folge vom 22. Juni 2009 bis zum 4. Juli 2009 in der Schweizer Botschaft in Tripolis auf.

Bei seinen Kontakten mit dem libyschen Aussenministerium soll sich der VA Kairo bemüht haben, der libyschen Seite Vorschläge zu machen, um die Voraussetzungen für eine Konfliktlösung zu verbessern. So war es nach seinen eigenen Angaben seiner Initiative zu verdanken, dass die Vorsteherin des EDA Ende Mai 2009 die Ehefrauen der beiden im Land zurückgehaltenen Schweizer nach Tripolis mitnehmen konnte. Ebenso soll der neue Geschäftsträger der Schweiz in Tripolis sein Einreisevisum erst erhalten haben, nachdem der VA Kairo das libysche Aussenministerium von diesem Schritt überzeugen konnte. Direkte Hinweise für eine Bestätigung dieser Erläuterungen des VA konnten sich in den Angaben der anderen, während der Untersuchung angehörten Personen nicht finden.

235

Bericht der GPK-N vom 23.5.2006: Die Verteidigungsattachés (BBl 2006 8683).

4306

Der VA Kairo wurde, wie er darlegte, nicht in die Bemühungen des EDA und des VBS für eine mögliche Exfiltration der beiden Schweizer einbezogen. Weder das EDA noch die Armeeführung hatten es als zweckmässig erachtet, ihn in ihre Arbeiten zu involvieren. Der VA Kairo erfuhr aber seitens der beiden in Libyen zurückgehaltenen Schweizer im Frühjahr 2009 von der Existenz von Exfiltrationsplänen, worüber diese offenbar ansatzweise vom EDA informiert worden waren.

Anfangs Sommer 2009 diskutierte der VA Kairo nach eigenen Angaben mit den beiden Schweizern die Möglichkeit, mit ihnen zusammen eine Exfiltration zu organisieren.

Er riet zum Kauf eines «Jet-Ski», um damit die libyschen Territorialgewässer zu verlassen und die weitere Flucht mit einem privaten Boot zu versuchen. Die Vorbereitung dieses Plans scheiterte jedoch bereits daran, dass ein solches Gerät vor Ort nicht mehr erhältlich war. Damit wurde auch die Absicht fallen gelassen, ein Schiff und eine Mannschaft für die weitere Flucht zu organisieren.

Diese letztlich rein theoretische Planung einer Exfilration durch den VA Kairo erfolgte ohne Einbezug des EDA. Allerdings erinnerte sich der Vorsteher des VBS236 anlässlich seiner Anhörung vom 27. Oktober 2009 vor der GPDel, mit dem VA Kairo über das Vorhaben gesprochen zu haben, die beiden Schweizer auf eine private Yacht ausserhalb der libyschen Territorialgewässer zu bringen. Diese Pläne, welche dem Vorsteher VBS ­ wie er sagte ­ «etwas abenteuerlich vorkamen» seien aber seines Wissens nicht weiter verfolgt worden.

5.5.2

Beurteilung

Die GPDel anerkennt, dass das Kontaktnetz eines VA vor Ort im Fall einer Krise der Schweiz zusätzliche Handlungsoptionen eröffnen kann. So mag es im Rahmen einer Verhandlungsstrategie zweckmässig sein, über die nachrichtendienstlichen Kanäle einen Dialog zu führen, um die offiziellen Verhandlungen positiv zu beeinflussen.

Ein solches Vorgehen kann aber nur Erfolg haben, wenn es in die gesamte Verhandlungsstrategie eingebettet ist und ­ im vorliegenden Fall seitens des EDA oder zwischenzeitig des EFD ­ ein konkreter Auftrag dafür vorgelegen hätte. Diese Voraussetzungen waren jedoch nicht erfüllt.

Der Bericht der GPK-N hielt zur Führung der VA fest, dass das Führungssystem in der Realität jeglicher Struktur entbehre und dass die Befehlskette nicht sehr klar sei.

Die Verbesserungsmassnahmen, die der Bundesrat in seinem Bericht237 vom 21.7.2007 vorschlug, haben dieses Führungssystem nicht grundsätzlich geändert, sondern mit zusätzlichen Koordinationsmechanismen versehen. Im vorliegenden Krisenfall vermochten die vorgegebenen Führungsstrukturen einen zweckmässigen Einsatz des VA Kairo jedoch nicht zu gewährleisten.

Wegen des nachrichtendienstlichen Schwerpunkts der Tätigkeit des VA Kairo, büsste der Chef Internationale Beziehungen im Stab der Armee faktisch seinen Einfluss auf die Tätigkeit des VA vor Ort ein, dies obwohl er die Gesamtverantwortung für dessen Führung trug. Er war inhaltlich nicht im Bilde über die Aktivitäten 236 237

Protokoll der Anhörung des Vorstehers des VBS, vom 27.10.2009, S. 5 (geheim).

Die Verteidigungsattachés, Bericht des Bundesrates an die GPK-N vom 21.9.2007 (BBl 2007 6759).

4307

des VA im nachrichtendienstlichen Bereich. Im massgeblichen Zeitraum hat der VA Kairo auch von sich aus Kontakt mit dem CdA238 und dem Vorsteher des VBS239 aufgenommen, welche beide jedoch nicht für seine Führung zuständig waren; sie haben infolgedessen auch keine Führungsmassnahmen getroffen. Der Vorsteher des VBS hat zwar seinerseits noch versucht, in der Präsidialphase den VA Kairo dem Bundespräsidenten 2009 zu vermitteln. Dieses Unterfangen trug nicht die erhofften Früchte, dies vor allem wegen der fehlenden Begleitmassnahmen.

Die Beziehungspflege durch den VA im nachrichtendienstlichen Bereich war vom SND autorisiert worden. Über diesen Weg kam es zu Kontakten des VA Kairo mit Vertretern des libyschen Aussenministeriums, mit welchen das EDA jedoch bereits Verhandlungen führte. Für die Kontakte des VA Kairo auf diplomatischer Ebene gab es offensichtlich keine effektive Führung durch den Missionchef des EDA, welchem der VA vor Ort aber eigentlich unterstellt war. Jedenfalls war der SND, welchem der VA Kairo regelmässig rapportierte, nicht direkt für die diplomatischen Kontakte des VA Kairo mit dem libyschen Aussenministerium zuständig.

Wie auch schon bei den geplanten Exfiltrationsoperationen des EDA unter Mitwirkung des AAD-10 hat sich die GPDel nicht näher mit den realen Erfolgschancen oder der Opportunität der ähnlich gelagerten Bemühungen des VA Kairo befasst.

Fest steht jedoch, dass die Aktivitäten des VA Kairo nicht geringe Risiken für die ihm ansatzweise bekannten Operationen des EDA mit der Armee bargen.

Das eigenmächtige und ohne Auftrag der vorgesetzten Stellen geplante Exfiltrationsvorhaben des VA Kairo zeigt, wie wichtig es ist, dass die zuständigen Departementsvorsteher in die Planungen aller ihnen unterstellten Dienste oder Personen einbezogen sind. Für den Erfolg einer Operation ist es unabdingbar, dass die betroffenen Departementsvorsteher nicht nur in der Lage sind, den Informationsschutz sicherzustellen, sondern auch zu gewährleisten vermögen, dass nicht verschiedene Akteure innerhalb ihrer Departemente unkoordiniert auf eine Exfiltration hinarbeiten. Diese Problematik scheint dem Vorsteher des VBS, welcher als einziger sowohl die Pläne des EDA bzw. der Armee kannte als auch von den Bestrebungen des VA Kairo erfahren hatte, nicht bewusst gewesen zu sein.

Die aufgezeigte
Problematik unterstreicht die Notwendigkeit, dass der Bundesrat in jedem Fall Kenntnis von der Vorbereitung derartiger heikler Operationen im Ausland haben muss.

Empfehlung 13:

Richtlinien über den Einbezug und die Führung der VA im Falle von aussenpolitischen Krisen

Dem Bundesrat wird empfohlen, den Einbezug und die Führung der VA im Falle von aussenpolitischen Krisen klar zu regeln.

238 239

Protokoll der Anhörung des Chefs der Armee (CdA), vom 20.10.2010 (geheim).

Protokoll der Anhörung des Vorstehers des VBS, vom 27.10.2009, S. 5 (geheim).

4308

5.5.3

Beurteilung der Mediation durch einen tunesischen Geschäftsmann in der Präsidialphase

Die GPDel hat die Mediation durch einen tunesischen Geschäftsmann in der Präsidialphase ebenfalls untersucht. Sie hat dabei festgestellt, dass der Bundespräsident 2009 den Bundesrat im Vorfeld seiner Reise nach Libyen nicht über den Beizug eines tunesischen Geschäftsmanns als Mediator informiert hat. Zudem wurden weder die Eignung des Mediators vorgängig geprüft noch die Modalitäten des Einsatzes formell geregelt. Insbesondere wurden keine Bundesstellen einbezogen, welche in der Lage gewesen wären, über allfällige sicherheitsrelevante Aspekte eine Beurteilung abzugeben (NDB, EJPD, EDA). Weitere Einzelheiten werden aus Gründen der Sicherheit und übergeordneten Staatsinteressen nicht bekannt gegeben.

Die GPDel hat aber ihre vollständige Beurteilung dem Bundesrat unterbreitet und eine Empfehlung abgegeben. Diese Empfehlung ist eng an den Einzelfall angelegt.

Die untenstehende Empfehlung wurde verallgemeinert.

Empfehlung 14:

Regelung der Mediation durch Private

Der Bundesrat wird aufgefordert, den Beizug von privaten Mediatoren in aussenpolitischen Krisen klar zu regeln.

6

Schlussfolgerungen

Nach Ansicht der GPK-S waren die beiden grössten Schwachpunkte beim Umgang der Bundesbehörden mit dieser Krise die nicht funktionierenden Informationsflüsse innerhalb des Bundesrates sowie Kompetenzüberschreitungen in dem Sinne, dass Entscheide, die in die Kompetenz des Gesamtbundesrates gehören, nicht von diesem getroffen wurden.

Wie aus dem vorliegenden Bericht hervorgeht, zeigten sich diese Schwachpunkte sowohl in der präsidialen Phase mit der Unterzeichnung des Abkommens vom 20. August 2009 durch den Bundespräsidenten 2009, als auch bei der Planung von Exfiltrationsoperationen. In beiden Fällen verfügte der Bundesrat nicht über die notwendigen Informationen, um innert nützlicher Frist seine Führungsfunktion wahrnehmen zu können.

Da diese Angelegenheit für die Eidgenossenschaft nach wie vor eine grosse Herausforderung darstellt, riefen diese Missstände die parlamentarische Oberaufsicht auf den Plan.

Nach Ansicht der GPK-S verlangt das schweizerische System der Kollegialregierung von den einzelnen Mitgliedern des Bundesrats, dass sie sich nicht nur an das Recht halten, sondern auch dass sie den Geist der Kollegialität beachten. Der Geist der Kollegialität ist jedoch eine Geisteshaltung, die im Kollegium nur dann vorherrschen kann, wenn die Mitglieder des Kollegiums aktiv danach trachten.

Dies wiederum bedingt, dass sich die Mitglieder des Bundesrats gegenseitig und innert nützlicher Frist über wichtige Geschäfte informieren, sei dies im Hinblick auf einen formellen Beschluss des Kollegiums, auf eine vertiefte Diskussion zur Festlegung einer Strategie oder bei der Übergabe der Dossiers ­ sei es vom Bundespräsi4309

denten bzw. der Bundespräsidentin an seine(n) oder ihre(n) Nachfolger(in) oder von einem Mitglied des Bundesrates an seinen Nachfolger.

Zudem ist die GPK-S der Ansicht, das Dossier hätte die Hierarchiestufen rascher durchlaufen sollen. Zunächst hätte die Vorsteherin des EDA in ihrer Eigenschaft als politisch Verantwortliche vor der Verhaftung des Ehepaars G. über die Anfrage der Genfer Behörden informiert werden müssen. Danach hätte sich der Bundesrat als Kollegium früher einschalten und eine Strategie mit den Zielen, den Mitteln zur Erreichung dieser Ziele und einem Zeitplan definieren sollen.

Im Übrigen zeigt diese Untersuchung, dass in der Aussenpolitik eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen Bundes- und Kantonsbehörden notwendig ist. Da Entscheide auf internationaler Ebene einen immer grösseren Einfluss auf die Innenpolitik der Schweiz haben, sollte dieser Auseinandersetzung heute die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden, damit die Gefahr von unliebsamen Spannungen zwischen den verschiedenen Ebenen des schweizerischen Bundesstaats in Zukunft möglichst vermieden werden kann.

Schliesslich weist die GPK-S darauf hin, dass sich der vorliegende Bericht zwar auf die grössten Schwachpunkte des Systems in der Berichtsperiode konzentriert, die Kommission sich aber durchaus bewusst ist, wie überaus anspruchsvoll die Handhabung der diplomatischen Krise zwischen der Schweiz und Libyen für die Bundesbehörden war. Zusätzlich erschwert wurde diese Aufgabe durch die Instrumentalisierung der Krise zu innenpolitischen Zwecken und durch die wiederholte Veröffentlichung vertraulicher oder gar geheimer Informationen in den Medien. In diesem Kontext hat die aufgrund einer Indiskretion erfolgte Publikation (am 4. September 2009) der Fotos von H.G. anlässlich seiner Festnahme wahrscheinlich beträchlich dazu beigetragen, die Situation zu verschlechtern.

Trotz der in diesem Bericht geäusserten Kritikpunkte, aus denen in erster Linie Lehren für die Zukunft gezogen werden sollen, möchte die GPK-S auch unterstreichen, dass sowohl die Vorsteherin des EDA als auch der Bundespräsident 2009 sehr stark in diesem Dossier engagiert waren und viel Energie und Arbeit investiert haben, um den beiden Schweizern eine Ausreise aus Libyen zu ermöglichen.

Die GPK-S ist sich auch bewusst,
welch grossen Einsatz alle involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesverwaltung und insbesondere die Vertreterinnen und Vertreter des diplomatischen Korps in Bern und Tripolis unter diesen besonders schwierigen und belastenden Umständen geleistet haben. Die GPK-S möchte ihnen an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken.

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Weiteres Vorgehen

Die GPK-S unterbreitet dem Bundesrat diesen Bericht mit den 14 Empfehlungen und ersucht ihn, bis Ende April 2011 dazu Stellung zu nehmen. Sie lädt ihn ein, sie über die Massnahmen in Kenntnis zu setzen, die er auf dieser Grundlage zu treffen gedenkt und ihr anzugeben, bis wann er diese Massnahmen umsetzen will.

Falls sich die Genfer Regierung zum vorliegenden Bericht äussern will, wird sie eingeladen, dies ebenfalls innerhalb der gennannten Frist zu tun.

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Dieser Bericht wird zur Kenntnisnahme auch an die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte und an die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats weitergeleitet.

3. Dezember 2010

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats Der Präsident der GPK-S und der GPDel: Claude Janiak Der Präsident der Subkommission EDA/VBS: Peter Briner Die Sekretärin der GPK und der GPDel: Beatrice Meli Andres Die Sekretärin der Subkommission: Jacqueline Dedeystère

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Anhang 1

Liste der angehörten Personen (in alphabetischer Reihenfolge; nicht abschliessende Aufzählung) ­ Ambühl Michael

Staatssekretär und Direktor der Politischen Direktion des EDA (bis zum 28.2.2010)

­ Blattmann André

Chef der Armee, VBS

­ Börlin Markus

Chef der politischen Abteilung VI, EDA

­ Calmy-Rey Micheline

Vorsteherin des EDA

­ Couchepin Pascal

Bundespräsident im Jahre 2008, Vorsteher des EDI (bis zum 1.11.2009)

­ Helg Pierre

Stv. Staatssekretär (regionale Zuständigkeit) und stv. Politischer Direktor des EDA

­ Knuchel Lars

Informationschef, EDA

­ Lazzarotto Stefano

Geschäftsträger a.i., Schweizer Botschaft in Libyen (ab dem 1.5.2009)

­ Leuenberger Moritz

Vorsteher des UVEK (bis zum 31.10.2010)

­ Leuthard Doris

Bundespräsidentin im Jahre 2010, Vorsteherin des EVD (bis zum 31.10.2010)

­ Longchamp François

Präsident des Regierungsrats des Kantons Genf (2010) und Vorsteher des Departements für Solidarität und Arbeit

­ Maurer Peter Staatssekretär und Direktor der Politischen Direktion (hat die Vorsteherin des des EDA (ab dem 28.2.2010) EDA anlässlich ihrer Anhörung vom 26.10.2010 begleitet) ­ Maurer Ueli

Vorsteher des VBS (ab dem 1.1.2009)

­ Merz Hans-Rudolf

Bundespräsident im Jahre 2009, Vorsteher des EFD (bis zum 31.10.2010)

­ Meyerhans Elisabeth

Generalsekretärin des EFD

­ Moutinot Laurent

Regierungsrat des Kantons Genf und Vorsteher des Departements der Institutionen (bis Ende 2009)

­ Pitteloud Jacques

Chef des Politischen Sekretariates, EDA (bis Ende Juni 2010)

­ Rauber Saxer Andrea

Diplomatische Beraterin des Bundespräsidenten 2009 (bis Ende 2009)

­ Rohner Jack

Verteidigungsattaché, VBS (bis Ende Juni 2010)

­ Schmid Samuel

Vorsteher des VBS (bis zum 31.12.2008)

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­ Seger Paul (hat die Vorsteherin des EDA anlässlich ihrer Anhörung vom 12.4.2010 begleitet)

Direktor der Direktion für Völkerrecht, EDA (bis zum Frühling 2010)

­ Seiler Markus

Direktor des NDB

­ Stutz Marcel

Chef der politischen Abteilung II, EDA

­ Trier-Somazzi Rita

Ressortleiterin Mittlerer Osten und Afrika, SECO, EVD

­ Von Muralt Daniel

Schweizer Botschafter in Libyen (bis zum 1.5.2009)

­ Zellweger Valentin

Stv. Direktor der Direktion für Völkerrecht (bis zum Frühling 2010) und danach Direktor der Direktion für Völkerrecht, EDA

­ Zinniker Paul

Stv. Direktor des NDB

Zusätzlich zu den oben erwähnen Personen haben auch folgende Personen schriftlich Informationen gegeben (nicht abschliessende Aufzählung): ­ Budliger Artieda Helene

Direktorin der Direktion für Ressourcen, EDA

­ Burkhalter Didier

Vorsteher des EDI (ab dem 1.11.2009)

­ Casanova Corina

Bundeskanzlerin

­ David Eugen

Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats (ab 2010)

­ Markwalder Christa

Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (ab 2010)

­ Thalmann Anton

stv. Staatssekretär (thematische Zuständigkeit) und stv. Politischer Direktor des EDA

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Anhang 2

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Anhang 3

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Anhang 4

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Anhang 5

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Anhang 6

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Anhang 7

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Anhang 8

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Anhang 9

Organisation des Krisenmanagements: kurze Beschreibung der verschiedenen interdepartementalen Organe 1.

«Kerngruppe Libyen»: ­ besteht vom 15. Juli 2008 bis zum 26. August 2009; ­ unter der Leitung des stv. Staatssekretärs des EDA (regionale Zuständigkeit), ausser während den ersten Tagen (vom 15.7.2008 bis zum 21.7.2008; Leitung durch stv. Staatssekretär des EDA [thematische Zuständigkeit]); ­ Zusammensetzung: Vertreter des EDA (Politische Direktion, Politisches Sekretariat, Direktion für Völkerrecht, Politische Abteilung II und Politische Abteilung VI) sowie eine Vertreterin des EVD (SECO).

2.

«Interdepartementale Arbeitsgruppe»: ­ besteht vom 23. Juli 2008 bis zum 26. März 2009; ­ unter der Leitung des stv. Staatssekretärs des EDA (regionale Zuständigkeit); ­ Zusammensetzung: Vertreter des EDA, des VBS, des EDI (bis Ende Oktober 2008), des EJPD, des EVD und des Stabs des Sicherheitsausschusses des Bundesrats.

3.

«Task Force LI-CH-T»: ­ besteht vom 26. August 2009 bis zum 22. Juni 2010; ­ unter der Leitung des Staatssekretärs des EDA; ­ Zusammensetzung: Vertreter des EDA, des EFD, des EVD, des EJPD und des VBS.

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