zu 09.480 Parlamentarische Initiative Keine Ausweitung der obligatorischen Auskunftspflicht bei statistischen Erhebungen des Bundes Bericht vom 31. März 2011 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 4. Mai 2011

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 31. März 20111 betreffend die parlamentarische Initiative «Keine Ausweitung der obligatorischen Auskunftspflicht bei statistischen Erhebungen des Bundes» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Mai 2011

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Micheline Calmy-Rey Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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BBl 2011 3967

2011-0804

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Infolge der Änderung des Anhangs zur Verordnung vom 30. Juni 1993 über die Durchführung von statistischen Erhebungen des Bundes, die am 1. September 2009 in Kraft getreten ist und mit der die obligatorische Auskunftspflicht bei der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) eingeführt wurde, reichte die SVP-Fraktion am 21. September 2009 eine parlamentarische Initiative ein.

Diese Initiative verlangt, dass die Auskunftserteilung bei Erhebungen des Bundesamtes für Statistik (BFS) bei Privatpersonen wieder freiwillig und das Bundesstatistikgesetz vom 9. Oktober 1992 (BStatG) entsprechend geändert wird. Damit bliebe die Auskunftspflicht lediglich für bestimmte Erhebungen im Rahmen der Volkszählung bestehen.

Am 4. Februar 2010 beschloss die Staatspolitische Kommission des Nationalrates (SPK-N) mit 19 zu 2 Stimmen bei einer Enthaltung, dieser Initiative Folge zu geben.

Die Schwesterkommission des Ständerates (SPK-S) folgte diesem Beschluss am 22. März 2010 mit 8 zu 4 Stimmen. Darauf erteilte die SPK-N ihrem Sekretariat den Auftrag, gemeinsam mit der Bundesverwaltung einen Vorentwurf und einen erläuternden Bericht auszuarbeiten. Am 21. Oktober 2010 nahm die SPK-N den Bericht mit 15 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen vorläufig an und schickte die Vorlage in die Vernehmlassung.

Überblick über die Vernehmlassungsergebnisse Total

Kantone

Parteien

Dachverbände

Stellungnahmen

42

25

5

12

Keine Vorbehalte Gewisse Vorbehalte Erhebliche Vorbehalte Ablehnung des Entwurfs

17 2 1 22

7 0 0 18

3 1 0 1

7 1 1 3

Im Rahmen der Vernehmlassung gingen sehr unterschiedliche Stellungnahmen ein.

Eine grosse Mehrheit der Kantone lehnt den Entwurf der Kommission ab. Sie befürchten eine deutliche Qualitätseinbusse sowie einen Verlust der Glaubwürdigkeit der öffentlichen Statistik. Zudem äussern sie sich kritisch wegen der damit verbundenen Mehrkosten.

Demgegenüber wird der Entwurf von einer Mehrheit der Parteien begrüsst, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre. Sie zweifeln zudem daran, dass sich die statistische Qualität der Daten durch Erhebungen, die auf einer Antwortpflicht beruhen, tatsächlich verbessern lässt.

Bei den Dachverbänden schliesslich spricht sich die Mehrheit der Arbeitgeberverbände für den Entwurf aus. Widerstand kommt hingegen von Organisationen, die

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nicht zu den Arbeitgeberverbänden zählen, nämlich vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund, vom Konsumentenforum und vom Schweizerischen Städteverband.

Nach Auswertung des Vernehmlassungsverfahrens und Annahme des Antrags Fluri (gegenüber dem ursprünglichen Entwurf geänderte Formulierung des neuen Art. 6 Abs. 1bis BStatG) verabschiedete die SPK-N die Vorlage am 31. März 2011 mit 15 gegen 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Eine Minderheit der Kommission beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten.

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Stellungnahme des Bundesrates

Laut Artikel 6 BStatG kann der Bundesrat gegenwärtig bei der Anordnung einer Erhebung natürliche und juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts zur Auskunft verpflichten, wenn es die Vollständigkeit, Repräsentativität, Vergleichbarkeit oder Aktualität einer Statistik unbedingt erfordern.

Der Bundesrat hat gezeigt, dass er bei Direkterhebungen, die bei natürlichen Personen durchgeführt werden, äusserst zurückhaltend von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Ausser bei der eidgenössischen Volkszählung ­ bei der die Beteiligung schon vor Inkrafttreten des BStatG obligatorisch war ­ wurde einzig bei der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) eine Auskunftspflicht beschlossen.

Der Bundesrat teilt bezüglich der Notwendigkeit einer besseren Berücksichtigung der Privatsphäre die Meinung der Kommission. Folglich würde bei den Erhebungen bei natürlichen Personen nur die Teilnahme an der eidgenössischen Volkszählung obligatorisch bleiben.

Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass Massnahmen ergriffen werden müssen, um die Auswirkungen dieses Entscheids zu kompensieren. Die Gründe dafür sind: ­

Die SAKE spielt im statistischen System der Schweiz eine zentrale Rolle.

Sie liefert unverzichtbare Informationen zu Erwerbstätigkeit, Erwerbslosigkeit, Arbeitsbedingungen, Bildungsniveau, Integration der ausländischen Bevölkerung, Auswirkungen der Personenfreizügigkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter oder auch zur Frage der Working Poor. Seit 2003 umfasst die SAKE zusätzlich eine Ausländer-Stichprobe. Dadurch wurde nach Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit der Wegfall von Verwaltungsdaten zur beruflichen Tätigkeit von Ausländerinnen und Ausländern kompensiert.

­

Der Entscheid, die Teilnahme an der SAKE für obligatorisch zu erklären, fällt mit einer bedeutenden Revision dieser Erhebung zusammen. Die SAKE stellt seit 2010 vierteljährlich Indikatoren zum Arbeitsmarkt bereit, während diese Erhebung zuvor nur einmal pro Jahr jeweils im 2. Quartal durchgeführt wurde. Die vierteljährliche Erfassung des Arbeitsmarktes ist anspruchsvoller als eine jährliche Erhebung.

­

Aufgrund der 2008 durchgeführten Piloterhebung und der über einjährigen praktischen Erfahrungen muss mit einem Rückgang der Teilnahmequote von mehr als 10 Prozent gerechnet werden. Dieser Rückgang könnte bei gewissen Untergruppen der Bevölkerung, die einer Teilnahme an offiziellen Erhebungen zuweilen zurückhaltend gegenüberstehen, noch markanter ausfallen. Entsprechend ist es von grundlegender Wichtigkeit, eine hohe Betei-

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ligung aller ausgewählten Personen ­ unabhängig von Staatsangehörigkeit, sozialer Stellung oder Region ­ zu gewährleisten.

­

Aus statistischer Sicht ergeben sich aus den Antwortausfällen drei Probleme: ­ Antwortausfälle verfälschen die Resultate. Die Merkmale der NichtAntwortenden unterscheiden sich im Allgemeinen von denjenigen von Personen, die Auskunft geben; dies gilt umso mehr, wenn es um berufsbezogene Merkmale geht.

­ Je geringer und unausgeglichener die Teilnahme der verschiedenen Bevölkerungsgruppen ist, desto mehr erhöhen Methoden, welche dies auszugleichen versuchen, die statistische Ungenauigkeit. Um die gleiche statistische Genauigkeit zu erhalten, werden dann grössere Nettostichproben benötigt (Anzahl realisierte Interviews).

­ Je mehr Befragte die Teilnahme verweigern, desto grösser muss die Ausgangsstichprobe (Bruttostichprobe) sein, damit eine vorgegebene Nettostichprobe erreicht wird.

Bei Annahme der Vorlage der Kommission müssen die Auswirkung auf die Antwortquote begrenzt und die Nettostichprobe in der heutigen Grösse erhalten bleiben.

2.1

Steigende Kosten für Bund und Regionen

Die Annahme der Vorlage der SPK-N hat direkte finanzielle Auswirkungen für die SAKE.

Wie der Bericht der SPK-N festhält, hätte eine Rückkehr zur fakultativen Teilnahme mit der erneuten Einführung einer bescheidenen Entschädigung für die Teilnehmenden (fünf Franken in Briefmarken pro Interview) einen Kostenanstieg um 25 Prozent oder 1,2 Millionen Franken zur Folge. Diese Kostenzunahme wäre nicht nur auf die Entschädigung (0,7 Mio. Fr.) zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die Leistung sinken würde (weniger Interviews pro Stunde: + 0,4 Mio. Fr.) und eine grössere Ausgangsstichprobe bearbeitet werden müsste (zusätzlicher Personalbedarf von 0,5 Vollzeitstellen sowie Mehrkosten für Druck und Versand). Angesichts der Tatsache, dass die befragten Personen aufgefordert werden, innert 15 Monaten viermal an der SAKE teilzunehmen, hätte die Rückkehr zu einer fakultativen Teilnahme ohne Entschädigung zudem erhebliche Auswirkungen auf die Teilnahmequote. In diesem Zusammenhang hat ein Test die positiven Auswirkungen des Versands von fünf Franken in Briefmarken für die Teilnahme an der SAKE aufgezeigt: Anlässlich der auf das erste Interview folgenden Interviews hat das BFS einen Unterschied der kumulierten Teilnahme in der Grössenordnung von 6 Prozent festgestellt.

Von den steigenden Kosten wären im Übrigen auch die Regionen betroffen, die Aufstockungen der SAKE-Stichproben finanzieren. Gegenwärtig finanzieren die Kantone Luzern und Jura sowie die Stadt Zürich solche Aufstockungen.

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2.2

Rechtslage

Der Bundesrat macht darauf aufmerksam, dass der Änderungsentwurf von Artikel 6 BStatG, genauer gesagt der neue Absatz 1bis, in der jetzigen Formulierung nicht nur ein rechtssystematisches Problem, sondern auch ein Problem der Transparenz und der Rechtssicherheit darstellt.

Der Änderungsentwurf von Artikel 6 Absatz 1 BStatG bezieht sich nämlich ausschliesslich auf Direkterhebungen bei natürlichen Personen in Privathaushalten.

Folglich und unter Berücksichtigung der Systematik muss sich Absatz 1bis auf Indirekterhebungen beziehen, die bei natürlichen und juristischen Personen sowie bei Einrichtungen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben durchgeführt werden können.

Schliesslich muss sichergestellt werden, dass das BFS gemäss seinem Auftrag so weit wie möglich auf bereits vorhandene Daten (Indirekterhebungen) zurückgreifen kann, damit es seine Aufgaben erfüllen kann. Bei einer allzu allgemeinen Formulierung liesse sich nicht klar und präzise erkennen, um welche Art von Erhebung es sich hier handelt. Das Erhebungssystem basiert jedoch auf diesen beiden Erhebungsarten, und dies muss zwingend berücksichtigt werden. Ausserdem werden die beiden Erhebungsarten in Artikel 4 BStatG definiert, der die Grundsätze für die Datenbeschaffung regelt.

Zudem sieht der von der Kommission vorgeschlagene Artikel 6 Absatz 1bis vor, dass die befragten Personen dem BFS die verfügbaren Daten auf Anfrage zur Verfügung stellen müssen. Ein einfacher Brief des BFS ­ ausserhalb offizieller Befragungen ­ würde somit genügen, um die Daten anzufordern. Dies entspricht vermutlich nicht der Absicht der Kommission.

Der Bundesrat ist deshalb der Ansicht, dass Artikel 6 Absatz 1bis gegebenenfalls wie folgt formuliert werden müsste: «Indirekterhebungen sind für natürliche und juristische Personen sowie für Einrichtungen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben obligatorisch.»

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Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt dem Nationalrat auf die Vorlage einzutreten und ihr zuzustimmen. Er schlägt jedoch folgende Formulierung vor: Art. 6 Abs. 1bis BStatG Indirekterhebungen sind für natürliche und juristische Personen sowie für Einrichtungen mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben obligatorisch.

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