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Schweizerisches Bundesblatt

35. Jahrgang, in.

Nr. 36.

14. Juli 1883.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Heinrich Ramseyer von Signau, gewesener Korporal im Füsilierbataillon Nr. 25.

(Vom 2. Juli 1883.)

Tit.

Durch Urtheil des Kriegsgerichts der III. Division vom 27. Juni d. J. wurde Heinrich Ramseyer, Heinrichs und der Maria geb.

Wyßbrod, von Signau, wohnhaft in Bözingen, geb. 1862, ledig, Bäcker und Zuckerbäcker, wegen ausgezeichneten Diebstahls verurtheilt: 1) zu 8 Monaten Gefängniß in einem Korrektionshaus, abzüglich die Untersuchungshaft; 2) zur Entsetzung; 3} zum Verlust des Aktivbürgerrechts für ein Jahr, nach Abbüßung der Strafe; 4) zur Bezahlung der Kosten im Sinne des Art. 395 des eidg.

Militärstrafgesetzes, bestehend in Fr. 55 Expertenkosten.

Heinrich Ramseyer war als Korporal in die Infanterie-Rekrutenschule II Bern am 7. Mai a. c. eingerückt. Schon während des Cadres-Vorkurses machte Ramseyer bei Kameraden und später auch bei Rekruten kleinere Anleihen, welche sich bis zum 1. Juni auf Fr. 29. 50 belaufen haben, trotzdem derselbe nach seiner eigenen Aussage Fr. 20 mit in den Dienst gebracht und eine tägliche Besoldung von Fr. 1. 70 nebst einer Mundportion in natura bezogen hat.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. III.

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286 Am 31. Mai, Nachmittags, begab sich Ramseyer angeblich wegen Kolik in's Krankenzimmer der Kaserne. Da er sich fortwährend in Geldnöthen befand und daher seine Schulden nicht bezahlen konnte, benutzte Ramseyer diesen Anlaß, um zu Geld zu gelangen. In der gleichen Nacht nach dem Lichterlöscheu entfernte er sich heimlich aus dem Krankenzimmer, schlich in einzelne Soldatenzimmer und entwendete dort aus den bei den Betten hängenden Hosen eines Korporals und von 6 Rekruten Gelder im Gesammtbetrage von Fr. 38. In der sofort angehobenen Untersuchung legte Ramseyer ein unumwundenes Geständniß ab.

Im Laufe der Verhandlungen wurde dann vom Vertheidiger des Delinquenten die Frage aufgeworfen, ob letzterer mit Rücksicht auf dessen geistigen Zustand überhaupt als zurechnungsfähig angesehen werden könne. Dieses gab Veranlaßung, eine Vervollständigung der Akten in dem Sinne anzuordnen, daß durch eine von Herrn Direktor Schärer in der Waldau vorzunehmende ärztliche Expertise der geistige Zustand des Ramseyer untersucht und festgestellt werden sollte.

Der fragliche Experte gelangt zu folgenden Schlüssen : Ì} Heinrich Ramseyer ist ein vom frühen Knabenalter an mit hereditärer Epilepsie belasteter Mensch.

2) Heinrich Kamseyer hat das eingeklagte Vergehen des Diebstahls nicht unter dem direkten Einfluß eines epileptischen Anfalles, sondern mit Bewußtsein und Absicht ausgeführt.

3) Dagegen leidet er in Folge seines schweren organischen und lange andauernden Gehirnleidens entschieden an einem psychischen Defekt und befindet sich im Zustand der epileptischen Degeneration, in welchem die freie, vernünftige Selbstbestimmung stets eine relative Einbuße erleidet.

43 Vom sanitarisehen Standpunkt aus ist noch anzuführen, daß der Grad und die Art des Strafmaßes nicht ohne'Folgen für die bestehende Fallsucht sein werden.

In einem vom 29. Juni datirten Gesuche bittet nun der Vertheidiger des Ramseyer, es sei die vom Kriegsgerichte der III.

Division über letztern verhängte Strafe angemessen herabzusetzen.

Wir finden keine zureichenden Gründe, um eine Begnadigung des Korporals Ramseyer zu befürworten. Die Art und Weise, wie derselbe zuerst Schulden gemacht und dann in einer Nacht in 3 verschiedenen Zimmern 7 Diebstähle ausgeführt hat, lassen nicht nur auf großen Leichtsinn, sondern auf nicht gewöhnliche Ver-

287 vvegenheit schließen. Daß er dabei mit vollem Bewußtsein gehandelt, unterliegt keinem Zweifel, wenn auch nach dem Befinden des Arztes zugegeben werden kann, daß Ramseyer infolge seines körperlichen Leidens ,,eine relative Einbuße in seiner freien vernünftigen Selbstbestimmung" erlitten haben mag.

Es ist möglich, daß die Strafhaft nachtheilig auf den Gesundheitszustand Ramseyers einwirkt, allein das ist eben auch in andern Fällen so, ohne daß aus diesem Grunde allein der Strafvollzug durch Begnadigung ausgeschlossen werden kann. Es wird Sache der Strafhausdirektion sein, den Gesundheitszustand Ramseyers thunlichst zu schonen.

Es wird deßhalb beantragt, es sei das Begnadigungsgesuch für den gewesenen Korporal Ramseyer abzuweisen.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommensten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 2. Juli 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Ruchounet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Heinrich Ramseyer von Signau, gewesener Korporal im Füsilierbataillon Nr. 25. (Vom 2. Juli 1883.)

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1883

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14.07.1883

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