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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Heranziehung des Grenus-Invalidenfonds zur theilweisen Bestreitung der Militärpensionsbeträge.

(Vom 26. Oktober 1883.)

Tit.

Unterm 29. Juni 1880 erließ die Bundesversammlung ein Postulat (Nr. 208) folgenden Inhaltes : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, über die Ausführung von Art. 14, Alinea 3 des Bundesgesetzes betreffend den Militärpflichtersatz, vom 28. Juni 1878, lautend: ,,,,Die Bundesversammlung wird bestimmen, welche Quote des der Bundeskasse zufließenden Bruttoertrages jeweilen zur Aeufnung des Militärpensionsfondes zu verwenden ist -- Bericht und Antrag zu hinterbringen, sowie auch zu prüfen, in welcher Weise der Grenus-Invalidenfonds für die Pensionsbedürfnisse Verwendung finden könnte."

Der erstere Theil des Postulates findet seinen Vollzug dadurch, daß seit dem Jahre 1881 alljährlich Fr. 100,000 in's Budget gestellt und dem Invalidenfonds zugewendet werden.

Zum zweiten Theile des Postulates -- der Frage, ob eine Inanspruchnahme des Grenus-Invalidenfonds zu Pensionszwecken zurzeit zuläßig sei -- haben wir zunächst den Willen des Testa-

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tors zu konsultiren. Die bezügliche Stelle des in Rede stehenden Testamentes lautet: ,,Je veux et entends que tous les capitaux que la dite Confédération retirera de mon hoirie forment sous la dénomination de Caisse Grenus des Invalides un fonds entièrement distinct des autres Caisses fédérales et duquel les intérêts s'accumuleront afin que le revenu du tout soit plus tard employé, cas avenant, comme supplément de secours pour les militaires nécessiteux blessés au service de la Confédération suisse et pour les veuves, les enfants et les pères et mères des tués ; je dis supplément parce que les secours de la dite Caisse Grenus ne devront jamais être accordés avant que la dite Confédération ait déjà fait pour cet objet, aux dépens des cantons ou états qui la composent, des sacrifices pécuniaires conformes à l'échelle par elle adoptée à ce sujet après la guerre du Sonderbund. a Bisher war die Ansicht vorherrschend, es seien die gegenwärtigen Verhältnisse nicht zutreffend, um an der Hand des Testamentes eine Verwendung von Zinsen des Grenus-Fonds zu Gunsten der Militärpensionsgenössigen eintreten zu lassen; sobald aber dem Bundesrathe der Auftrag ertheilt worden war, die Frage eingehend zu prüfen, schien es angezeigt, ein Rechtsgutachten darüber einzuholen, welches nunmehr vorliegt und auf folgende Fragestellung basirt ist: 1) Gestattet das fragliehe Testament eine Heranziehung des Grenus-Fonds zur theilweisen Bestreitung der laufenden Militärpensionsbeträge, insoweit dieselben gesetzlich nun höher normirt sind als durch die nach dem Sonderbundsfeldzug aufgestellte Geldskala festgesetzt worden ?

2) Wenn ja, unter welchen Bedingungen und Modalitäten?

3) Welche Rechtsfolgen würde eine bestimmungswidrige Verwendung des Grenus-Fonds nach sich ziehen?

Der Verfasser des Gutachtens, Herr Nationalrath Niggeler, gelangt in seinen Ausführungen zu dem Schlüsse, rlaß sowohl nach dem gemeinen Rechte als nach den neuen Gesetzgebungen, insbesondere aber nach dem französischen Code civil, mit einer Erbeseinsetzung ein Modus verbunden werden könne, und es habe die Nichterfüllung desselben zur Folge, daß diejenigen Personen, welche den Erblasser ohne. Vorhandensein eines Testamentes beerbt hätten, ej nach Umständen auf Erfüllung des Modus oder auf Herausgabe der Erbschaft klagen können. Die Verjährung der Klage werde nicht vom Todestag de? Testators oder vom Antritt der Erbschaft Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. IV.

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hinweg, sondern erst in dem Zeitpunkte zu laufen anfangen, iß welchem der eingesetzte Erbe der Auflage zuwider handle.

Sowohl nach römischem, als speziell nach französischem Rechte müßte aber der Testamentserbe in Verzug gesetzt, d. h. zur Erfüllung des Modus aufgefordert werden, bevor er auf Herausgabe der Erbschaft belangt werden dürfte, oder könnte er mindestens,, falls eine solche Aufforderung nicht vorausgegangen, jene Klage dadurch abweisen, daß er vor der Urtheilsfällung der Vorschrift des Testators nachkommen würde.

Bei dieser Schlußfolgerung geht der Verfasser des »Gutachtens von der Voraussetzung aus, daß die Erfüllung des Modus physisch oder moralisch möglich sei. Wäre dieß nicht der Fall, so würde der im Testament Eingesetzte trotz der Nichterfüllung der Auflage die Erbschaft behalten.

Der Modus sei eben keine Bedingung; der Erbe erwerbe die mit einem solchen belastete Erbschaft sofort und übernehme bloß die Verpflichtung, denselben zu erfüllen, eine Verpflichtung, welche dahin fallen müsse, wenn ohne jegliches Verschulden seitens des Erben die Erfüllung überhaupt nicht stattfinden könne. Indessen solle der Wille des Testators, wenn er auch nicht genau befolgt werden könne, doch soweit als m ö g l i c h beachtet werden.

Da dieser Punkt für die Beantwortung der zwei ersten Fragen von Wichtigkeit ist, so belegt der Verfasser seine Ansicht durch eine Menge weiterer Citate aus auswärtigen Gesetzgebungen und Autoren.

Nach den Grundsätzen des internationalen Rechts werden die aufgeworfenen Fragen nach dem Genfer-Gesetze zu beurtheilen sein, weil der Testator in Genf seinen Wohnsitz hatte und weil auch dort sein Vermögen lag, beziehungsweise die Erbschaft eröffnet und angetreten wurde.

Nun bestehe aber im Kanton Genf in der vorliegenden Materie noch das f r a n z ö s i s c h e Recht in Kraft, so daß die oben entwickelten Grundsätze des letzteren Rechtes in Anwendung zu bringen seien. Es sei dieß insofern von Bedeutung, als n a c h d e r Ansicht der f r a n z ö s i s c h e n A u t o r e n der Honorirte nur d a n n , wenn er z u v o r b e z ü g l i c h der Erfüllung d e s i h m a u f e r l e g t e n M o d u s in V e r z u g g e s e t z t w o r d e n , a u f H e r a u s g a b e d e r E r b s c h a f t b e l a n g t werden oder doch diese Klage mindestens dadurch abwenden könne, daß er die Auflage noch vor dem Urtheilsspruche erfüllt.

179 Aus den vorstehenden Ausführungen ergebe sich, was die Eidgenossenschaft zu gewärtigen hätte, wenn sie den ihr vom Testator auferlegten Modus, trotzdem dessen Erfüllung möglich und vernunftgemäß wäre, nicht mehr vollziehen wollte.

Es bleibe deßhalb nur zu untersuchen übrig, ob die in Frage I bezeichnete Verwendung des Grenus-Fonds wirklich dem Willen des Erblassers widerspreche, und bejahenden Falles, ob die genaue Befolgung desselben unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen noch einen Sinn habe.

In ersterer Hinsicht will es dem Verfasser scheinen, daß der Testator von Grenus die Erträgnisse des von ihm gestifteten Fonds nicht für die gewöhnlichen Auslagen, welche das Militärwesen in Friedenszeiten verursacht, sondern für den außerordentlichen Fall verwendet wissen wollte, wo infolge kriegerischer Ereignisse auf einmal eine beträchtliche Zahl von Pensionen ausgerichtet werden müßte.

Zur Zeit der Abfassung des Testamentes, im Jahre 1850, lag der Militärunterricht zum größten Theile noch den K a n t o n e n ob (Artikel 20 der alten Bundesverfassung). Daß Herr v. Grenus nicht ein Vorrecht zu Gunsten derjenigen Truppen schaffen wollte, deren Ausbildung der B u n d übernommen hatte, dürfe als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Wenn er also den erwähnten Fonds für die ,,im Dienste der schweizerischen Eidgenossenschaft"1 Verwundeten und Gretödteten stiftete, so können hierunter nicht wohl die im bloßen I n s t r u k t i o n s d i e n s t e , sondern nur die im eidgenössischen F e l d dienste Verunglückten verstanden sein.

Zu dem nämlichen Schlüsse drängen auch die Worte : ,,plus tard" und ,,cas avenant"1. Es könne Herrn v. Grenus kaum entgangen sein, daß auch während des kantonalen oder eidgenössischen Instruktionsdienstes hier und dort Verwundungen und Tödtungen vorkommen. Wenn er daher verfügte, daß man die Zinse zum Kapital schlagen und sich aufhäufen lassen solle, damit die Erträgnisse d e s Ganzen ,, s p ä t e r , w e n n d e r F a l l e i n t r e t e n s o l l t e " , zur Aufbesserung der Pensionen der im Dienste der schweizerischen Eidgenossenschaft Verwundeten und der Wittwen und Kinder, sowie der Väter und Mütter der Getödteten verwendet werden, so habe er dabei schwerlich jene alljährlich möglichen Unfälle, sondern einen außergewöhnlichen, durch kriegerische Verhältnisse herbeigeführten Nothstand im Auge gehabt.

Hierauf weise auch der Schluß der betreffenden Klausel hin, welcher besagt, daß der Grenus-Fond nicht in Anspruch genommen

180 werden dürfe, bevor die Eidgenossenschaft ihrerseits gemäß der nach dem Sonderbunds k r i e g e aufgestellten Skala pekuniäre Opfer gebracht habe.

Wenn somit angenommen werde, daß der Grenusfond nach der Absicht des Testators für einen Kriegsfall aufbewahrt werden solle, so könne man sich im Weitern fragen, ob nach der jetzigen Zeitlage ein vernünftiger Grund für die Beibehaltung jener Zweckbestimmung vorhanden sei. Auch dies lasse sich, wie das Gutachten annimmt, nicht bestreiten. Man werde nicht in Abrede stellen wollen, daß die Eidgenossenschaft, wenn sie auch nie direkt angegriffen werden sollte, mindestens bei der Vertheidigung ihrer Neutralität in einen zwischen Nachbarstaaten ausbrechenden Krieg hineingezogen werden könnte. Demgemäß liege auch die Möglichkeit vor, daß plötzlich einmal eine große Zahl von Pensionen müßte bewilligt werden ; für einen solchen außerordentlichen Fall aber sei eben der Grenus-Fond geschaffen, während die Vergütungen für die gewöhnlichen, im Instruktionsdieuste eintretenden Unfälle leicht unter die Kosten der laufenden Verwaltung untergebracht werden können.

Die soeben ausgesprochene Ansicht (heile wohl auch Herr Bundesrichter Dr. J. Morel, wenn er in seinem Handbuche des schweizerischen Bundesstaatsrechtes (Band II, Seite 324 u. ff.) sagt : ,,Damit das Pensionsgesetz für den Fall der Noth, da die S c h w e i z i n e i n e n K r i e g v e r w i c k e l t w ü r d e , wirklich seine wohlthätigen Wirkungen äußern könnte, dürfte daran gedacht werden, zur rechten Zeit einen gehörigen Pensionsfond anzusammeln. Es bestehen zwar d i e s fa I l s schon eidgenössische Spezialfonds, der sogenannte Grenus-Invalidenfond, betragend bis Ende 1878 Fr. 3,170,800, und ein zweiter Invalidenfond, sich belaufend auf Fr. 490,749. Die Zinse dieser beiden Fonds würden jedoch in einem Ernstfalle unmöglich für den vorgesetzten Zweck ausreichen. Damit die durch die Bundesverfassung den verunglückten Wehrmännern ertheilte Zusicherung eine Wahrheit werde, wäre es daher angezeigt, dem Reservefond, bis dieser eine gewisse Höhe erreicht hat, jährliche Zuschüsse zu leisten, wozu füglich ein Theil der bezogenen Militärpflichtersatzbeträge verwendet werden dürfte, wie solches übrigens auch im Militärpflichtersatzgesetz des Bundes vorgesehen ist. Im Kanton St. Gallen besteht zu diesem Zwecke
( f ü r den K r i e g s f a l l ) noch eine besondere Winkelriedstiftung, deren Fond durch freiwillige Beiträge des Kantons, sowie von Privaten und Militärs von 1867 bis 1879 eine Höhe von Fr. 80,000 erreicht hat.tt

181 Der Schluß des von Hrn. Niggeler verfaßten Gutachtens geht dahin : d e r G r e n u s - I n v a l i d e n f o n d s o l l e n a c h d e m Willen des Testators zur Zeit nicht zur Mitbes t r e i t u n g der la u f e n d e n M i l i t ä r p e n s i o n e n herangezogen werden.

Der Bundesrath pflichtet im Allgemeinen der Interpretation des testatorischen Willens, wie solche im vorstehenden Rechtsgutachten ausgeführt wird, bei und glaubt, daß in Betreff der Rechtsstellung des Bundes zum Grenus-Invalidenfonds folgende Punkte festzuhalten seien : 1) Eine buchstäblich strikte Ausführung der testamentarischen Verfügung ist auf der Grundlage unserer jetzigen gesetzlichen Verhältnisse nicht oder nicht mehr möglich ; es wird daher seiner Zeit für den vom Testator vorgesehenen Verwendungsfall eine den dannzumaligen Pensionsverhältnissen anzupassende Verwendungsweise zu bestimmen sein.

2) Die vom Testator angeordnete Aeuffnung des Fonds durch Kapitalisirung der Zinserträgnisse kann vernünftigerweise nicht bis in's Unendliche fortgesetzt werden wollen, wenn ein die Verwendung beanspruchender Kriegsfall inzwischen nicht eintreten sollte. Die Kapitalisirung der Zinse dürfte von dem Zeitpunkte an ganz oder theilweise sistirt werden, wo das angesammelte Kapital einen für den voraussichtlichen Bedarf zureichenden Bestand erreicht haben wird.

33 Ueber die Verwendung des zur Aeuffnung des Kapitalbestandes nicht mehr nothweadigen, somit für die Erreichung der testamentarischen Zweckbestimmung überflüssigen Zinserträgnisse würden seiner Zeit solche Bestimmungen zu treffen sein, welche dem ursprünglichen Willen des Testators möglichst nahe kommen, und dannzumal würde die Frage zu erörtern sein, ob eine Zuwendung von überschüssigen Zinserträgnissen als Beitrag an laufende Pensionsbedürfnisse zuläßig sei.

4) Die Bestimmung des Zeitpunktes, wann eine solche subsidiäre Verwendung von Erträgnissen des Grenus-Fonds statthaft sein werde, wird von dem Wachsthum des Fonds und von Verhältnissen abhängig sein, deren Beurtheilung der Zukunft vorbehalten bleiben muß. Der gegenwärtige Bestand des Fonds erlaubt noch nicht, dem Willen des Testators eine ausgiebige Ausführung zu sichern, und es müssen dermalen und für eine geraume Zukunft noch die Zinserträge als zur Aeuffnung des Kapitalbestandes im Sinne des Testators erforderlich betrachtet und ausschließlich dieserZweckbestimmung zugewendet werden.

182 Wir schließen hiemit unsern Bericht an die Bundesversammlung mit dem Beifügen, daß unseres Erachtens eine Beschlußfassung über die Verwendung des Grenus-Invalidenfonds oder seiner Erträgnisse zurzeit nicht angezeigt erscheint.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 26. Oktober

1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Heranziehung des Grenus-Invalidenfonds zur theilweisen Bestreitung der Militärpensionsbeträge. (Vom 26.

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