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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. IV.

Nr. 62.

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8. Dezember 1883.

Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betretend dem zwischen der Schweiz und Spanien unterm 31. August 1883 abgeschlossenen Auslieferungsvertrag,, (Vom 30. November 1883.)

Tit.

Letztes Jahr sind wir im Falle gewesen, bei Spanien die Auslieferung von zwei Bürgern des [Cantons Zürich nachzusuchen, welche des Betruges und der Fälschung angeklagt waren und durch Spanien nach Südamerika zu entkommen hofften. Da wir mit diesem Staa :e keinen Auslieferungsvertrag haben, so mußten wir den internationalem Gebräuchen gemäß die Beobachtung des Gegunrechtes anbieten.

Dieses Anerbieten wurde angenommen und die Auslieferung jener beiden Angeklagten bewilligt.

Die Regierung von Spanien machte aber gleich zeitig darauf aufmerksam, daß ein förmlicher Vertrag über die geganseitige Auslieferung der Verbrecher für beide Theile vortheilhaft wäre, indem er die Rechtspflege erleichtern und eine prompte und wirksame Strafjustiz ermöglichen würde. Sie stellte daher da-; (Besuch an uns, wir möchten die Frage einer nähern Prüfung uni erstellen, ob nicht der Abschluß einen Vertrages, ähnlich demjenigen zwischen der Schweiz und Frankreich, am Platze wäre.

Wir konnten nicht anstehen, diesen Antrag am 10. November 1882 in gleich freundlicher Weise zu beantworten., indem wir uns gerne bereit erklärten, auf bezügliche Unterhandlungen durch bei 1-seitige Bevollmächtigte einzutreten.

Bundesblatt. 35. Jahrg.

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Im Januar 1883 vereinigten sich die beiden Regierungen, daß diese Unterhandlungen in Bern stattfinden sollen und ernannten die im Vertrage näher bezeichneten Bevollmächtigten.

Anfänglich schien es, daß der Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich ohne irgend welche Abänderung auf Spanien ausgedehnt werden konnte. Der spanische Repräsentant erklärte, daß er nur einen einzigen Zusatz zu Artikel 2 und eine Modifikation in Art. 4 vorzuschlagen »ov im Falle sei.

Diese Modifikation in Art. 4 bezieht sich auf eine Verlängerung der Frist, während welcher die provisorische Verhaftung beibehalten werden muß. Im Vertrage mit Frankreich ist nämlich vorgeschrieben, daß die Papiere zur Begründung des Auslieferuogsbegehrens binnen v i e r z e h n Tagen in gehöriger Form und auf diplomatischem Wege der Regierung des angesprochenen Staates präsentirt werden müssen, widrigenfalls die provisorische Verhaftung aufhören soll.

Der spanische Delegirte war nun im Falle, mit Rücksicht auf die größere Entfernung zwischen der Schweiz und Spanien und auf die Schwierigkeit, die nöthigen Akten im Laufe so kurzer Zeit an ihre Bestimmung gelangen zu lassen, den Antrag zu stellen, daß jene Frist auf d r e i ß i g Tage verringert werden möchte, -- ein Vorschlag, dem ohne weiteres beigepflichtet worden konnte, zumal die gleichen Gründe auch der Schweiz eine Verlängerung dieser Frist wünschbar machen.

Anders verhielt es sich dagegen mit dem Zusätze zu Art. 2.

Dieser Zusatz sollte nach dem Antrage des spanischen Delegirten lauten wie folgt: ,,Ber Angriff gegen den Souverän, gegen das Staatsoberhaupt, oder gegen die Mitglieder ihrer Familien, soll weder als politisches Verbrechen, noch als connex mit einem solchen, betrachtet werden, wenn derselbe sich als Mord, Raubmord oder Vergiftung qualiflzirt.a Zur Rechtfertigung dieses Antrages verwies der spanische Delegirte auf die Thatsache, daß diese Bestimmung nicht bloß in den Verträgen enthalten sei, welche Spanien mit Deutschland, Portugal und andern Staaten abgeschlossen habe, sondern auch mit den gleichen Ausdrücken, in den Verträgen, welche die spanische Regierung jüngsthin mit der Republik Mexiko und mit dem argentinischen Bunde unterzeichnet habe.

Wir konnten jedoch von den Grundsätzen nicht abweichen, welche die Schweiz bei den Unterhandlungen mit fremden
Staaten betreffend den Abschluß von Auslieferungsverträgen hinsichtlich der politischen Verbrechen seit 1830 immer festgehalten hat, und mußten unter Hinweis auf den vom Bundesrath bei Abschluß des Auslie-

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ferungsvertrages mit Frankreich eingenommenen Standpunkt (zu vergi. Botschaft betreffend den Auslieferungsvertrag mit Frankreich, Bundesblatt 1869, III, 467 -- 473) diesen Vorschlag der spanischen Regierung ablehnen.

Unterm 19. Juni 1883 war sodann der spanische Delegirte im Falle, die Mittheilung zu machen, daß die Gründe, welche uns zu dieser Ablehnung genöthigt haben, von seiner Regierung reiflich geprüft worden seien und daß diese, ohne die hierseitigen Argumente diskutiren zu wollen und um der Schweiz einen neuen Beweis ihrer freundschaftliehen Gesinnungen zu geben, sich entschlossen habe, auf ihrem Vorschlage nicht weiter zu beharren.

Dagegen war nun der schweizerische Bevollmächtigte im Falle, einige Desiderien anzubringen.

Zunächst konnte die Ziffer 22 von Art. l des Vertrages mit Frankreich nicht in ihrer jetzigen Zweitheilung beibehalten werden.

Im Vertrage mit Frankreich lautet diese Ziffer wie folgt: es soll die Auslieferung stattfinden : 22. wegen . . . . ,,Münzfälschung, betrügerisches Einführen und Ausgeben von falschem Gelde oder von Papiergeld mit gesetzlichem Kurse, Fälschung von Banknoten und öffentlichen Wertpapieren."

,,Nachahmung der Staatssiegel und aller durch die betreffenden Regierungen mit öffentlicher Glaubwürdigkeit versehenen und für irgend welchen öffentlichen Dienst bestimmten Stempel, u n d z w a r s e l b s t d a n n , w e n n d i e A n fertigung oder Nachahmung außerhalb des S t a a t e s , d er d i e A u s l i e f e r u n g v e r l a n g t , s t a t t g e f u n d e n hat."

Der Schlußsatz ,, u n d z w a r s e l b s t d a n n " e t c seheint grammatikalisch nur auf die in Alinea 2 aufgezählten Verbrechen anwendbar zu sein. Dieses wäre aber offenbar eine Anomalie; denn die Möglichkeit, die Auslieferung eines Fälschers, welcher die Fälschung auf dem Gebiete eines dritten Staates verübt hat, verlangen zu können, ist in gleichem Maße nothwendig, wenn es sich um falsche Münzen, oder falsche Banknoten, oder um falsches Papiergeld handelt, als in dem Falle, wenn eine Fälschung von Staatssiegeln vorliegt. Es ist auch durch die bezüglichen Akten außer Zweifel gestellt, daß bei den Unterhandlungen über den schweizerisch-französischen Vertrag die Meinung waltete, daß der zweite Theil der Ziffer 22 a u f a l l e in d i e s e r Zi f f e r v o r g e s e h e n e n F ä l l e anwendbar sein soll, und daß die Theilung

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derselben in zwei Sätze lediglich einem Irrthum des Kopisten zuzuschreiben ist.

Sodann ist iu Art. 9 des Vertrages mit Frankreich vorgeschrieben: ,,Die Auslieferung k a n n verweigert werden, wenn Verjährung eingetreten ist." Es schien jedoch zweckmäßiger, zu sagen: ,,Die Auslieferung w i r d v e r w e i g e r t etc." -- w i e es übrigens immer praktizirt wird.

Ferner enthalten die Auslieferungsverträge fast immer die Vorschrift, daß keiner der kontrahirenden Theile verpflichtet sei, seine eigenen Angehörigen auszuliefern. Einige andere Verträge fügen diesem sehr natürlichen Vorbehalte ein Aushülfsmittel bei, dahin lautend: daß jeder Staat sich verpflichte, auf die Anzeige des andern Staates diejenigen seiner Angehörigen gerichtlich zu verfolgen, welehe nach Verübung eines Verbrechens oder Vergehens auf dem Gebiete des andern Staates in ihre Heimat sich haben flüchten können.

Man findet diese Bestimmung ausdrücklich aufgenommen in den Auslieferungsverträgen, welche die Schweiz mit England und Kußland abgeschlossen hat. Sie ist ein Korrektiv gegenüber dem absoluten Grundsätze der Nichtauslieferung seiner eigenen Augehörigen und diktirt durch die Achtung, welche die Staaten gegenseitig sich schulden , und überdies in Harmonie mit den gemeinsamen Interessen al1er Staaten.

Um diesen Gedanken vollkommen zu siehern , ist schweizerischerseits ein neuer Artikel in Vorschlag gebracht worden, dahin lautend : ,,Art. . . . Die beiden vertragschließenden Staaten verpflichten ,,sieh, die Verbrechen und Vergehen , welehe durch ihre Bürger ,,oder Unterthanen liegen die Gesetze des andern Staates begangen ,,worden sind, nach Maßgabe ihrer Gesetzgebung zu verfolgen, ,,wenn der letztere Staat ein bezügliches Begehren stellt und jene ,,Verbrechen oder Vergehen in Artikel l des gegenwärtigen Ver,,trages vorgesehen sind.

,,Seinerseits verpflichtet sich der Staat, auf dessen Begehren ,,ein Bürger oder Unterthan des andern Staates verfolgt und be,,urtheilt wurde, das nämliche Individuum wegen der gleichen Hand,,lung nicht ein zweites Mal zu verfolgen, insofern dieses Indi,,viduum die Strafe, zu der es in seiner Heimat verurtheilt worden, ,,vorbüßt hat."

Alle diese Anträge haben die Zustimmung des spanischen Delegirten erhalten. Der übrige Inhalt des Auslieferungsvertrages zwischen der Schweiz und Frankreich wurde unverändert auch für den Vertrag mit Spanien acceptirt, mit der einzigen Abweichung, daß verschiedene Artikel eine andere Ziffer erhalten haben durch

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eine neue Reihenfolge, die der Entwicklung des Auslieferungsverfahrens besser zu entsprechen scheint.

Wir bemerken noch, daß die Schweiz in dem neuen Art. 9 das erste Mal die Anerkennung des Grundsatzes ,,non bis in idem" in einem internationalen Vertrage hat erlangen können. Hiernach darf ein Schweizer, der in Spanion einer der im Vertrage vorgesehenen strafbaren Handlungen sich schuldig machte, in die Heimat sieh flüchten konnte und auf Gesuch von Spanien hier beurthcilt wurde, im Falle seiner Rückkehr nacSpanienen für die gleiche Handlung am Orte der That nicht mehverfolgtcl werden, insofern er die im .schweizerischen Urtheile ihauferlegteUi Strafe erstanden hat. Das Gleiche i s t natürlich auch unter Schweiz ein solches Verbrechen verübte und u a oh Spanien flüchten konnte. Es wird also vorausgesetzt, daß der Angeklagte an seinem Heimatsorte in gesetzlichem kontradiktorischen Verfahren beurtheilt wurde und d'iß er die Strafe erstanden hat. EibloßesoKontumaz-zurtheil würde ihn vor der neuen Verfolgung nicht schützen.

In Folge dieses Artikels werden wenigstens zwischen der Schweiz und Spanien jene peinlichen Erscheinungen vermieden werden, wie sie in neuerer Zeit im Verhältnisse an Deutschland und Frankreich dadurch entstanden .sind; daß Schweizer n ach ihrer Rückkehr in jene Staaten ein zweites Mal beurtheilt wurden obschon die Beurtheilung in der Heimat auf ausdrückliches Gesuch der Regierung am Orte der That erfolgt ist. Man solite meinen, daß in diesem Gesuche ein Verzieht auf die Strafgerichtsbarkeit am Orte der Tbat und deren Delegation au den Heimatstaat eingeschlossen läge. Aber es wird die Theorie geltend gemacht, daß die Strafgerichtsbarkeit ein Element der Souveränetät bilde, das durch den Wortlaut der Auslieferungsverträge nicht, suspendirt sei.

Wir schließen mit dem Antrage, es möchte dem erwähnten Auslieferungsvertrage durch Annahme des beiliegenden Beschlußentwurfes die vorbehaltene Ratifikation der gesetzgebenden Käthe ertheilt werden, und fügen noch bei, daß nach einer Mittheilung der spanischen Gesandtschaft ihre Regierung den Vertrag auch ihrerseits bereits ratifizirt hat.

Genehmigen Sie, Tit.. die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 30. November 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bunde.spräsident: L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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(Entwurf)

Bundesbeschlnß betreffend

die Ratifikation des am 31. August 1883 mit Spanien abgeschlossenen Auslieferungsvertrages.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1) des am 31. August 1883 zwischen der Schweiz und Spanien abgeschlossenen Auslieferungsvertrages ; 2) einer Botschaft des Bundesrathes vom 30. November 1883, beschließt: Art. 1. Der am 31. August 1883 zwischen der Schweiz und Spanien abgeschlossene Auslieferungs ver trag wird nach Form und-Inhalt genehmigt.

Art. 2. Der Bundesrath, wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend dem zwischen der Schweiz und Spanien unterm 31. August 1883 abgeschlossenen Auslieferungsvertrag. (Vom 30. November 1883.)

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08.12.1883

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