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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. L

Nr. 3.

20. Januar 1883.

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Bericht der

Mehrheit der ständeräthlichen Kommission über den Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Ergänzung des Bundesstrasfrechtes vom 4. Februar 1853.

(Vom 18. Dezember 1882.)

I.

Tit.

Der Gedanke, das Strafrecht und die Strafrechtspflege in die Kompetenz des Bundes zu stellen, ist kein neuer.

Bereits unter der helvetischen Republik erließen am 28. April 1798 die Räthe ein Dekret, das den helvetischen Staat im Gebiete des neugegründeten Kantons Baden für so lange mit den Strafverfolgungen betraute, bis die Behörden jenes Kantons sich konstituirt hätten. Ein Dekret vom 12. Mai desselben Jahres erklärt die Folter auf dem ganzen helvetischen Gebiete für abgeschafft.

Am 19. Juni wurde dem Direktorium auf dessen Ansuchen ein Kredit bewilligt, der als geheimer Fonds zur Beaufsichtigung der damaligen sogenannten ,,Verdächtigen" (suspects) dienen sollte.

Tags darauf, am 20. Juni, wurde beschlossen, gegen die Zeitschrift ,,Helvetische Annalen" einen Preßprozeß anzustrengen. Ein Gesetz vom 31. August hob die Immunitäten des Klerus in Strafsachen auf. Am 5. September wurden Maßregeln beschlossen gegen die Kommissäre, Unruhestifter und Verbreiter von Brandschriften. Ein Gesetz vom 19. Februar 1799 erklärte die von den ehemaligen Kantonalregierungen um Glaubensansichten willen verhängten Strafen für null und nichtig. Alle diese Spezialmaßregeln erhielten Bundesblatt. 35. Jahrg.

Bd. I.

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endlich ihren Abschluß in Gestalt eines durchgreifenden Aktes : wir meinen die am 4. Mai 1799 durch Rezeption des Code pénal der französischen Republik vom 6. Oktober 1791 vollzogene Einführung einer einheitlichen Strafgesetzgebung.

II.

Die Mediationsakte gab mit Wiederherstellung der Kantonalautonomie den Kantonen auch insbesondere das Gesetzgebungsrecht in Strafsachen zurück, und da der Bundesvertrag vom 7. August 1815 an dieser Sachlage nichts änderte, blieben die Verhältnisse bis zum Jahre 1848 dieselben.

Die Bundesverfassung vom 12. September 1848 enthält folgende, in das Gebiet des Strafrechts oder des Strafverfahrens einschlägige Bestimmungen : Art. 53 verbietet die Einführung von Ausnahmegerichten.

Art. 54 erklärt, wegen politischer Vergehen dürfe kein Todesurtheil gefällt werden.

Art. 55 bestimmt, die Auslieferung könne für politische Vergehen und für Preßvergehen nicht verbindlich gemacht werden.

Art. 94 sieht ein Bundesgericht vor zur Ausübung der Rechtspflege , soweit dieselbe in den Bereich des Bundes fällt, sowie Bundesassisen zur Beurtheilung von Straffällen.

Art. 104 bestimmt die Arten von Straffällen (vier an der Zahl), welche den mit Zuziehung von Geschwornen urtheilenden Bundesassisen unterstellt sind.

Die Art. 103 und 107 gestatten den Erlaß von Bundesgesetzen über das Strafrecht und über das Strafverfahren des Bundes.

In diesen Verfassungsbestimmungen finden sich -- wie übrigens auch die bundesräthliehe Botschaft bemerkt -- nicht alle auf das Strafrecht bezüglichen Vorschläge wieder, welche in der Tagsatzung bei Anlaß der Berathung der neuen Verfassung laut ' geworden waren.

So hatte man z. B. beantragt, außer den im vorerwähnten Art. 104 aufgezählten Vergehen auch die Münzvergehen, Preß vergehen, den Schmuggel und die Vergehen gegen die Regalien unter die Kompetenz des Bundes zu stellen. Bin anderer Antrag wollte gegen alle kantonalen Gerichtserkenntnisse den Rekurs an das Bundesgericht gestatten und zwar in der ausgesprochenen Absicht, der Wiederholung gewisser Fälle von Rechtsverweigerung oder

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Rechtsverletzung vorzubeugen, wie deren der Parteigeist und die Parteileidenschaft in einigen Kantonen nur allzu häufig zu Tage fördere. Uri wollte sich damit begnügen, den Rekurs an das Bundesgericht nur gegen die auf politische Vergehen bezüglichen kantonalen Strafurtheile zuzulassen. Die Abgeordneten von Glarus und St. Gallen beantragten ein Verbot der allzuhohen, einer Konfiskation thatsächlich gleichkommenden Geldbußen. Ein anderer Vorschlag endlich ging dahin, alle politischen Vergehen irgendwelcher Art unter die Bundeskompetenz zu stellen.

Die Bundesverfassung von 1848 hatte, wie bereits erwähnt, den Erlaß eines Strafgesetzbuches und einer Strafprozeßordnung ·vorgesehen und vorgeschrieben ; dieser Verfassungsbestimmung ist dann auch durch den Erlaß des Bundesstrafrechts vom 4. Februar 1853 Genüge geleistet worden.

Die vier Arten von Straffällen', welche die Verfassung a u s d r ü c k l i c h der Bundeskompetenz unterstellte, sind folgende : 1) die Fälle, wo von einer Bundesbehörde die von ihr ernannten Beamten zur strafrechtlichen Beurtheilung überwiesen werden ; 2) die Fälle von Hochverrath gegen die Eidgenossenschaft, von Aufruhr und Grewaltthat gegen die Bundesbehörden; 3} die Verbrechen und Vergehen gegen das Völkerrecht; 4) die politischen Verbrechen und Vergehen, die Ursache oder Folge derjenigen Unruhen sind, durch welche eine bewaffnete eidgenössische 'Intervention veranlaßttworden.

Danach, so sollte man wenigstens meinen, wäre die Aufgabe des Gesetzgebers bei Abfassung eines Bundesstrafgesetzbuches lediglich die gewesen, eine Begriffsbestimmung der unter die eine oder andere der vorerwähnten Kategorien fallenden Handlungen zu geben und für jede derselben das betreffende Strafmaß festzusetzen.

Allein der Gesetzgeber des Jahres 1853 hielt hietnit seine Aufgabe nicht für erschöpft; nachdem vielmehr das Gesetz der Reihe nach die verschiedenen unter die drei erstgenannten Kategorien fallenden Verbrechen behandelt hat, als da sind : Verbrechen gegen die äußere Sicherheit und Ruhe der Eidgenossenschaft, Verbrechen gegen fremde Staaten, Verbrechen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die innere Sicherheit, Verbrechen, welche von den Bundesbeamten in ihrer amtlichen Eigenschaft verübt werden, Verbrechen gegen Bundesbeamte,

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geht es nicht dazu über, uns eine Begriffsbestimmung des politischen Verbrechens zu geben, sondern enthält statt dessen in einem besondern Titel VI unter der Ueberschrift ,,Vermischte Bestimmungen11 Strafvorschriften gegen folgende Vergehen: Verfälschung oder Zerstörung von Bundesakten, Falsches Zeugniß vor einer Bundesbehörde, Uebertretung der Landesverweisung, Anwerbung in fremden Militärdienst, Störung der Telegraphenanstalt, Gefährdung und Schädigung von Posten und Eisenbahnzügen.

Es sind dies lauter Handlungen, welche viel eher die Merkmale des gemeinen," als die des politischen Verbrechens an sich tragen. Doch, wollte man auch annehmen, es habe, unter ganz ausnahmsweisen Verhältnissen, derjenige, welcher eine Bundesakte zerstört, eine Telegraphenleitung unterbricht oder deren Gebrauch verhindert, Posten oder Eisenbahnzüge beschädigt, aus politischen Beweggründen gehandelt, so würde es immerhin schwer halten, in der Begehung derartiger Handlungen die Ursache von Unruhen zu erblicken, welche eine bewaffnete eidgenössische Intervention veranlassen könnten. Um derartige Handlungen, wie solche im Titel VI aufgeführt sind, mit in das Bundesgesetz hineinzuziehen, mußte man offenbar zu Art. 106 der Bundesverfassung von 1848 seine Zuflucht nehmen, kraft dessen die Bundesgesetzgebung ermächtigt ist, auch noch andere Fälle in die Kompetenz des Bundesgerichts zu legen.

Nicht minder gewiß ist aber, daß man diesen Artikel in höchst ausdehnender Weise hat auslegen müssen, wollte man aus demselben eine so weitgehende Schlußfolgerung ziehen; scheint doch die erwähnte'Bestimmung weit eher sich auf Kompetenzkonflikte, Gerichtsorganisation oder Gerichtsverfahren zu beziehen , als daß man aus ihr ein Recht des Bundes herleiten dürfte, irgendwelche Strafrechtsmaterien seiner Gesetzgebung zu unterstellen.

Man ist jedoch in dieser Hinsicht noch weiter gegangen.

Art. 74 des Bundesstrafrechts stellt es dem Bundesrathe anheim, alle in jenem Gesetze vorgesehenen Verbrechen (außer denjenigen, für welche nach dem Wortlaut der Verfassung die Bundesassisen ausschließlich zuständig sind) nach seiner Wahl entweder durch die Kantonalbehörden, oder durch die Bundesassisen beurtheilen zu lassen. Ferner wird für derartige Fälle das Begnadigungsrecht der Bundesversammlung auch denjenigen Strafurtheilen gegenüber vorbehalten, welche von den kantonalen Gerichtshöfen gefällt wurden.

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Art. 76 endlich, den Fall vorsehend, wo Jemand verschiedener konnexer Verbrechen angeklagt wird, von denen die einen in die Bundes-, die andern in die Kantonalkompetenz einschlagen, stellt es den Bundesassisen frei, die letztern ebenfalls zu beurtheilen oder dieselben dem betreffenden Kantonalgerichte zu überweisen.

Es sind dies -- oder ich müßte mich sehr irren -- lauter Eingriffe und zwar schwerwiegende Eingriffe in das Gebiet des kantonalen Strafrechts und der kantonalen Strafrechtspflege.

Seit den Zeiten der einen und untheilbaren helvetischen Republik waren meines "Wissens die Kantone niemals in dem Fall gewesen, ein anderes Strafgesetz, als das ihrige, anwenden zu müssen ; sind doch die in verschiedenen Bundesgesetzen betreffend die Bundesregalien (Zölle, Post, Pulver und Münze) enthaltenen Strafvorschriften nicht zum Strafrechte im eigentlichen Sinne des Wortes zu rechnen , da sie sich nicht auf Verbrechen oder Vergehen, sondern auf bloße Uebertretungen beziehen.

Und zu alledem wird noch das Begnadigungsrecht beeinträchtigt, das doch von jeher als ein Bestandtheil des Souveränetätsrechtes galt, und überdies wird , sofern es den Bundesassisen belieben sollte, selbst die Beurtheilung gemeiner Verbrechen ohne Weiteres dem Bunde anheimgestellt.

Es liegt mir durchaus ferne, mit obigen wenigen Bemerkungen das Werk des Gesetzgebers des Jahres 1853 beanstanden oder eine Sachlage bemängeln zu wollen, zu deren Gunsten ein beinahe dreißigjähriger Bestand spricht. Zweck meiner Ausführungen war vielmehr nur der, den Nachweis zu leisten , daß -- wie ich im Folgenden darzuthun hoffe -- die gegenwärtig Ihrer Berathung unterbreitete Gesetzesvorlage weit weniger von zentralistischer Gesinnung eingegeben ist, als eine Reihe von Bestimmungen desselben Gesetzes, in welches sie eingereiht werden soll.

III.

Es ist übrigens heute nicht das erste Mal, daß in den eidgenössischen Käthen Vorschläge über Abänderung des Bundesstrafrechts auftauchen.

Bereits am 21. Juli 1865 faßte der Ständerath in Folge einer von Herrn B. Häberlin, von Weinfelden, im Schöße jener Behörde gestellten Motion folgenden Beschluß: ,,Der Bundesrath ist eingeladen , zu prüfen, ob und, bejahenden Falls, in welcher Weise eine Revision der ein-

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schlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes über dasBundesstrafrecht der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 4. Februar 1853 C Art. 45--52 und 76) hinsichtlich der Beurtheilung jener Vergehen vorzunehmen sei, welche Ursache oder Folge von Unruhen sind, durch welche eine bewaffnete eidgenössische Intervention veranlaßt worden ist.a Der Urheber jener Motion scheint bei seinem Antrage hauptsächlich an die schwierige Lage gedacht zu haben, in welcher sich die eidgenössische Anklagekammer befand, als sie nach den blutigen 'Ereignissen, deren Schauplatz die Stadt Genf am.22. August 1864 gewesen war, die damals begangenen verbrecherischen Handlungen unter den einen oder andern der erwähnten Artikel unterbringen sollte; beziehen sich doch diese Artikel nicht sowohl auf Verbrechen gegen die innere Ordnung der Kantone, als vielmehr auf Fälle von Auflehnung gegen die verfassungsmäßige Ordnung in eidgenössischen Dingen und gegen die Bundesbehörden, sowie auf Unruhen bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen. Um für die Zukunft dem angeführten Uebelstande vorzubeugen, schlug der damalige Vertreter des Standes Thurgau folgende zwei Auswege vor : Entweder man ergänze das Bundesstrafrecht durch eine Reihe von Bestimmungen, um den Begriff derjenigen Handlungen festzustellen , welche als Verbrechen gegen die innere Sicherheit der Kantone zu gelten haben, oder man lasse in Fällen dieser Art die Bundesassisen nach Maßgabe der kantonalen Strafgesetzgebung Recht sprechen.

Der Bundesrath wählte den letztern Ausweg und brachte denselben im Jahre 1867 als Gesetzentwurf vor die Bundesversammlung; allein beide Räthe beschlossen, und zwar der Ständerath am 5. Juli, der Nationalrath am 20. Juli, auf die Vorlage nicht einzutreten.

Der Nationalrath knüpfte an seinen Beschluß eine Rückweisung an den Bundesrath, mit der Einladung zu nochmaliger Prüfung der Frage, ob nicht das Bundesstrafrecht mit Bezug auf die, sei es gegen den Bund, sei es gegen die Kantone, begangenen politischen Verbrechen einer Ergänzung bedürftig sei. Gegen das Eintreten auf die Vorlage ·wurde geltend gemacht, es sei nicht unmöglich, das Bundesstrafrecht trotz seiner etwas unklaren und allgemein gehaltenen Begriffsbestimmungen auch auf politische Verbrechen kantonaler Natur anzuwenden. Uebrigens ermangle auch der Wortlaut der kantonalen Strafgesetzgebungen hinsichtlich dieser Art von Vergehen der Klarheit und Deutlichkeit. Zudem würde die im Entwurf vorgesehene Lösung unter den den Bundesassisen

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unterstellten Bürgern eine verfassungswidrige Ungleichheit erzeugen, indem der Richter, je nach dem Kanton, in welchem das Vergehen begangen worden, ein verschiedenes Strafgesetz anzuwenden hätte; überdies gebe es Kantone, die gar kein Strafgesetzbuch besitzen, während hinwiederum die Strafgesetze anderer Kantone die politischen Vergehen mit so strengen Strafen belegen, daß deren Anwendung mit der öffentlichen Meinung und den Sitten unserer Zeit nicht vereinbar wäre.

Man wird mir vielleicht einwenden, zwischen dem ganzen hier erörterten Vorgange und dem durch den vorliegenden Gesetzentwurf zu erreichenden Zwecke bestehe bloß ein geringer Zusammenhang.

Ich gebe dies vollständig zu und wollte damit bloß an die Thatsache erinnert haben, daß im Jahre 1867 der Bundesrath auf seinen Antrag, sich lieber mit den kantonalen Strafgesetzen zu behelfen, als das Bundesstrafrecht zu ergänzen, von den Käthen den Bescheid erhielt, er solle im G-egentheil eine Ergänzung des Bundesstrafrechts vornehmen. Wenn es auch nicht angehen mag, von diesem Vorgange auf die gegenwärtig schwebende Frage einen Schluß zu ziehen, so deutet derselbe immerhin das Bestehen gewisser Bestrebungen an.

IV.

Während die Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 das Gesetzgebungsrecht des Bundes in eivilrechtlicher Hinsicht bedeutend erweitert hat, indem sie verschiedene Theile des Civilrechts in die Kompetenz des Bundes stellte, so hat sie in strafrechtlicher Beziehung dem bereits Bestehenden nur Weniges beigefügt, nämlich das Verbot an die Kantone, die Strafe der Verbannung auszusprechen, und das Recht des Bundes, die Schranken zu bestimmen, innerhalb weicher ein Schweizerbürger seiner politischen Rechte verlustig erklärt werden kann.

Grleich wie dies unter der Bundesverfassung von 1848 der Fall war, ist die Bundesstrafrechtspflege dem Bundesgerichte überbunden, welches unter Zuziehung von Greschwornen urtheilt ; ebenso findet sich als Art. 114 die im alten Artikel 106 enthaltene Bestimmung wieder, welche es gestattet, auch noch andere Straffälle in die Bundeskompetenz zu legen.

Von dieser letztern Bestimmung ist in der That seit 1874 ein höchst ausgiebiger Gebrauch gemacht worden. Zum Beweise dieser Behauptung genüge es, auf folgende Bundesgesetze zu verweisen :

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Gesetz vom 24. Dezember 1874 über den Civilstand, Forstpolizeigesetz vom 24. März 1876, Gesetz vom 23. März 1877 über die Arbeit in den Fabriken, Fischereigesetz vom 18. September 1875, Wasserbaupolizeigesetz vom 22. Juni 1877 und Banknotengesetz vom 8. März 1881.

V.

Es wurde indessen kein neuer Antrag auf Total- oder Partialrévision des Bundesstrafrechts mehr eingebracht bis zum 14. Juni 1880, an welchem Tage Herr Bundesrath Hammer im Bundesrathe den Antrag stellte, das Justiz- und Polizeidepartement sei einzuladen, die Frage zu prüfen, mittelst welcher Verfassungs- oder Gesetzesabänderungen der Wiederholung von Grerichtserkenntnissen vorgebeugt werden könnte, wie solche bei Anlaß der Vorgänge von Stabio gefällt worden waren.

Wenige Tage später, am 19. Juni, stellte Herr Landammann Brosi von Solothurn, von den nämlichen Gesichtspunkten geleitet, im Ständerathe folgende Motion : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, den eidgenössischen Käthen ,,Bericht und Antrag zu hinterbringen über Revision des Bund.es,,strafrechtes vom 4. Februar 1853, im Sinne der Erweiterung des ,,Begriffs der politischen Verbrechen und Vergehen, welche in die ,,Kompetenz der Bundesassisen fallen".

Der Ständerath erklärte am 28. Juni nach gepflogener Berathung die Motion für erheblich.

Dies der Ursprung des gegenwärtig zur Berathung liegenden Gesetzesentwurfs.

Tl.

Wie noch in Jedermanns Erinnerung sein wird, wurde am 22. Oktober 1876 von den liberalen Schützen des Bezirkes Mendrisio, Kantons Tessin, in Stabio eine Schießübung abgehalten, welche einen blutigen Ausgang nahm.

Die Ermordung eines gewissen Pedroni, deren Urheberschaft das Gerücht einem gewissen Catenazzi zuschrieb, veranlaßte eine Anzahl Schützen, das Haus Ginella, in welches Catenazzi eingetreten war, zu umzingeln. Beiderseits fielen Schüsse, nämlich aus dem Hause Ginella auf die Schützen und aus den Reihen der Letztern auf das Haus ; vier Bürger verloren hiebei das Leben, und ein fünfter wurde lebensgefährlich verwundet.

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Dieser Vorgang ereignete sich, wie man sich erinnern wird-, zu einer Zeit, wo der Kanton Tessin anläßlich eines Streites über den Wahlmodus für die Großrathswahlen sich in einem Zustande hochgehender politischer Wallung befand. Die Anklagekammer des Kantons Tessjn, welche über die von den Tessiner Behörden angehobene Untersuchung Beschluß zu fassen hatte, überwies eine Anzahl Betheiligter, worunter Anhänger beider politischer Parteien, an die kantonalen Assisen. Allein die zur liberalen Partei gehörigen Angeklagten rekurrirten, aus Furcht, es könnte die herrschende Aufregung eine unparteiische Rechtsprechung verhindern, gegen jenen Entscheid an das Bundesgericht, indem sie geltend machten, die ihnen zur Last gelegten Handlungen hätten einen politischen Charakter und seien demnach nicht von den kantonalen, sondern von den Bundesassisen zu beurtheilen, es liege somit in der Ueberweisung des Falles an die kantonalen Gerichte die Verletzung eines verfassungsmäßigen Rechtes.

Das Bundesgericht wies die Beschwerde ab, und zwar wesentlich deshalb, weil es annahm, daß im betreffenden Falle keine bewaffnete eidgenössische Intervention stattgefunden habe, und daß überdies die angefochtenen Vergehen nicht unter den in Art. 45--50 des Bundesstrafrechts festgestellten Begriff der Verbrechen und Vergehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und innere Sicherheit untergebracht werden könnten. So verblieb denn die Rechtsprechung über diesen Fall den tessinischen Gerichtsbehörden. Der Prozeß endete glücklicher Weise mit der Freisprechung sätnmtlicher Angeklagten; glücklicher Weise, sagen wir; denn nicht nur hatte sich selbst diesseits der Alpen die öffentliche Meinung lebhaft um den Ausgang des Prozesses bekümmert, sondern es waren sogar hie und da Interventionsgelüste aufgetaucht, welche für die öffentliche Ruhe und Ordnung nichts weniger als beruhigend waren.

Der Tessin -- mit seinem italienischen Klima, mit seiner Bevölkerung von italienischem Geblüte, voll lebhafter Einbildungskraft und feuriger Leidenschaft -- der Tessin, sagen wir, ist keineswegs die einzige Gegend, in welcher die politischen Streitigkeiten bisweilen in verbrecherische Handlungen ausarten. Hat doch Neuenburg im Jahre 1856 seine Royalistenverschwörung, Genf seine 1864er Unruhen, Zürich im Jahre 1871 seinen Tonhallekravall gehabt.

TU.

Nach dem Wortlaute des Entwurfes 4s.ann das Bundesgericht mit der Untersuchung und Aburtheilung eines Vergehens betraut

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werden, wenn auch dasselbe im Bundesstrafrechte nicht vorgesehen ist, sofern nur die politischen Verhältnisse der Art sind, daß man in die Unbefangenheit der kantonalen Gerichte Zweifel setzen muß.

Dem Bundesrath steht der Entscheid darüber zu, oh der betreffende Fall dem Bundesgerichte zu überweisen» sei oder nicht.

Wird das Bundesgericht mit der Erledigung des Falles betraut, so urtheilt dasselbe nach der Gesetzgebung des Kantons, in dessen Kompetenz das Vergehen sonst zu fallen hätte, jedoch unter dem doppelten Vorbehalt, daß a) die Todesstrafe unzuläßig ist, b) die Strafzumessung unter das im kantonalen Gesetze bestimmte geringste Strafmaß herabgehen kann.

Es ist nunmehr zu untersuchen, einerseits ob die vorgeschlagene Novelle nichts Verfassungswidriges enthalte, und anderseits, ob sie vom thatsächlichen Standpunkte gerechtfertigt erscheine.

VIII.

Was den verfassungsrechtlichen Standpunkt anbetrifft, so ist es der Art. 64 der Verfassung, der die Rechtsgebiete festsetzt, über welche dem Bunde die Gesetzgebung zusteht. Es sind dies folgende : Die persönliche Handlungsfähigkeit.

Das Obligationenrecht mit Inbegriff des Handels- und Wechselrechts.

Das Urheberrecht an Werken der Literatur und Eunst.

Das Betreibungsverfahren und das Konkursrecht.

Das Strafrecht ist in der obigen Aufzählung nicht enthalten, somit steht dem1 Bunde nach dem Grundsatze : ,,inclusio unius, exdusio alterius" die Gesetzgebung über dasselbe nicht zu, soweit es sich um gemeine und nicht um politische Vergehen handelt.

Es ist jedoch meines Brachtens zwischen Strafrecht und Strafrechtspflege zu unterscheiden.

Worum handelt es sich eigentlich heute? Einfach darum, in gewissen Fällen, die immerhin eine seltene Ausnahme bilden werden, im Interesse der öffentlichen Ordnung und einer unbefangenen Rechtsprechung die Beurtheilung von Vergehen dem eigentlich kompetenten Richter abzunehmen, um sie einem neutralen, den örtlichen Einflüssen und Bindrücken minder ausgesetzten Richter zu übertragen.

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Es handelt sich somit keineswegs um die Kodifizirung irgend eines Theiles des Strafrechts (im Gegentheil sollen ja die Bundesassisen nach dem kantonalen Strafrecht urtheilen), sondern um eine einfache Forums- oder Kompetenzfrage, um einen Satz gerichtsorganisatorischer oder strafprozessualischer Natur, durch welchen von der alten Regel : ,,ubi delictutn, ibi forum", welche in unserer heutigen, mit leichten und schnellen Kommunikationsmitteln ausgestatteten Zeit etwas veraltet erscheint, einigermaßen abgewichen wird.

Diese Abweichung ist nun aber in meinen Augen vollkommen verfassungsmäßig, indem ja, um es nochmals zu wiederholen, der Art. 114 die Möglichkeit gewährt, auch noch andere Straffälle, als politische Vergehen, Verbrechen gegen das Völkerrecht und solche von Beamten oder gegen Beamte, in die Kompetenz des Bundesgerichts zu legen.

IX.

Betrachten wir nunmehr in zweiter Linie die Frage, ob die vorgeschlagene Abänderung vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit gerechtfertigt erscheine. Ohne auf das Mittelalter, die Inquisition, die Vehmgerichte, die Lettres de cachet, das Revolutionsgericht in Frankreich unter der Schreckensherrschaft zurückgreifen zu wollen, brauchen wir nur daran zu erinnern, daß auch die Geschichte der Gegenwart manches Beispiel aufweist, wo in einem Strafprozesse die kantonale Rechtspflege durch den Druck und die Gewalttätigkeit der politischen Parteien beeinträchtigt wurde.

Außer dem Stabiohandel hatten wir in Luzern den Prozeß des Dr. Steiger und ebenfalls im Tessin den Prozeß Degiorgi.

In Zeiten politischer Aufregung müssen Vernunftgründe, Rechtssinn und Billigkeit vor dem Anstürmen der Parteileidenschaften und Parteirücksichten weichen. Wohl Keiner hat je die mit solchen Zuständen verbundenen Gefahren und die dabei zu Tage tretenden Schwächen der menschlichen Natur mit größerer Meisterschaft gezeichnet, als der große deutsche Dichter, wenn er in seinem unvergleichlichen Liede von der Glocke bei der Darstellung eines Volksauflaufs die Worte ausruft: ,,Gefährlich verderblich Jedoch der Das ist der

ist's, den Leu zu wecken, ist des Tigers Zahn, schrecklichste der Schrecken, Mensch in seinem Wahn."

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Ich möchte beinahe behaupten, in unsern schweizerischen Demokratien mit ihrem beschränkten Gebiete m ü s s e die Rechtspflege nothgedrungen den Rückschlag der politischen Ereignisse zu fühlen bekommen. Unsere Richter sind nicht unabsetzbar ; für eine ziemlich kurze Zeit entweder vom Volke selbst, oder doch von politischen Behörden gewählt, werden sie natürlich von denjenigen Geistesströmungen beeinflußt, denen sie ihre Wahl verdanken. In noch höherem Maße ist dies bei den Gesehwornen der JJall, und es trifft, ebenfalls bei der Staatsanwaltschaft zu. Wenn man nun beabsichtigt, in Zeiten politischer Aufregung die Beurtheilung selbst der gemeinen Verbrechen der örtlichen Rechtspflege zu entziehen, um eine Gerichtsbehörde damit zu betrauen, welche unmittelbaren direkten Einflüsterungen weniger ausgesetzt ist, so liegt hierin offenbar ein Mittel, um Rechtsverweigerungen zu verhindern und damit viele Mißstimmungen und Unruhen im Keime zu ersticken.

Das Bundesgericht ist nicht der Vertreter dieses oder jenes Theiles der Schweiz, sondern des ganzen Landes. Das Gesetz bestimmt, es sollen alle drei Landessprachen io der Kriminalkammer vertreten sein. Die Amtsdauer der Bundesriehter beträgt sechs Jahre, ist also länger als diejenige sämmtlicher oder doch der meisten unserer kantonalen Gerichtsbehörden. Desgleichen werden die eidgenössischen Gesehwornen auf eine Amtsdauer von sechs Jahren gewählt. Für die Bundesassisen bezeichnet der Bundesrath in jedem einzelnen Falle einen besondern Staatsanwalt, den er jeweilen in einem andern Assisenbezirke auszusuchen pflegt.

So amtete bei den Assisen in Genf als Staatsanwalt ein Berner, bei denen in Zürich ein Aargauer und bei Anlaß des Prozesses Brousse in Neuchâtel ein Waadtländer. Die eidgenössischen Assisenbezirke, fünf an der Zahl, umfassen sämmtlich mehrere Kantone oder Theile von solchen. Uebrigens ist die Anklagekammer keineswegs gehalten, einen Angeschuldigten an das Assisengericht desjenigen Bezirkes zu überweisen, in welchem das Verbrechen begangen wurde; vielmehr steht es ihr frei, Untersuchung und Erledigung des Straffalles einem andern Gerichte zu übertragen, sofern im Ueberweisungsbeschluß gesagt wird, diese Verfügung sei nach gepflogener Berathung getroffen worden (Gesetz über die Bundesstrafrechtspflege, vom 27. August 1851, Art. 32, litt. 1).

Ja,
die Kriminalkammer selbst kann von sich aus, im Interesse einer unbefangenen Rechtspflege oder der öffentlichen Sicherheit, für die Beurtheilung einen andern Assisenbezirk bezeichnen, als denjenigen, in welchem das Vergehen verübt wurde (Bundesgesetz über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 27. Juni 1874, Art. 51, Absatz 2).

45 Alles in Allem genommen, will es mir scheinen, die Kantone hätten sich nicht über eine Maßregel zu beklagen, welche sie im gegebenen Falle einer schwerwiegenden Verantwortung entlastet; und wenn ihnen auch hiebei möglicher Weise zugemuthet würde, ein Opfer zu bringen, so sollte dieses Opfer nicht schwer in die Waagschale fallen, wenn es gilt, dem gemeinsamen Vaterlande die Achtung des Auslandes und den Frieden im Innern zu sichern.

X.

Es erübrigt noch, mit einigen Worten der hauptsächlichsten Einwände zu gedenken, die von unsern verehrlichen Kollegen der Kommissionsminderheit vorgebracht wurden und höchst wahrscheinlich auch im Verlaufe der Berathung in Ihrem Rathe sollen geltend gemacht werden.

Der Gesetzesentwurf ist sowohl vom Gesichtspunkte der Verfassungsmäßigkeit, als von demjenigen der Zweckmäßigkeit, sowie hinsichtlich seiner einzelnen Bestimmungen und deren Tragweite angefochten worden.

XI.

Die verfassungsrechtlichen Einwendungen lassen sich wie folgt zusammenfassen : Der Gesetzesentwurf verletze den Art. 3 der Verfassung, indem er die in diesem Artikel gewährleistete Kantonalsouveränetät beeinträchtige ; er verletze auch den Art. 58, welcher bestimmt, daß Niemand seinem verfassungsmäßigen Richter entzogen werden darf; endlich könne man nicht zugeben, daß die Bundesrechtspflege sich mit Handlungen befasse, die in keinem Bundesgesetze vorgesehen oder mit Strafe bedroht seien.

Da ich bereits den Art. 114 der Bundesverfassung des langen und breiten erörtert habe, will ich nicht auf denselben zurückkommen, um nicht Ihre Zeit über Gebühr in Anspruch zu nehmen; es genüge mir, darauf hinzuweisen, daß die Souveränetät der Kantone, wie sie in Art. 3 sich ausgesprochen findet, keine absolute, unbedingte, unbegrenzte ist, sondern daß im Gegentheil deren Beschränkung durch anderweitige Verfassungsbestimmungen vorbehalten wird, wie sie denn auch gerade in dem uns hier berührenden Gebiete durch den in Art. 114 niedergelegten verfassungsmäßigea Grundsatz beschränkt worden ist. Man soll auch nicht außer Acht lassen, daß, noch bevor sie die Kantonalsouveränetät proklamirt, unsere Verfassung in ihrem Art. 2 als einen der Haupt-

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zwecke des Bundes anführt: die Handhabung von Ruhe und Ordnung im Innern, den Schutz der Freiheit und der Rechte der Eidgenossen.

Was den Art. 58 betrifft, so ist nicht recht abzusehen, wie man sich in der vorliegenden Frage auf ihn berufen kann, indem das Bundesgericht weder ein Ausnahmegericht, noch ein geistliches Gericht, sondern ein ordentlicher und weltlicher Gerichtshof ist.

Um endlich noch von dem dritten verfassungsrechtlichen Einwände zu sprechen, so können wir unsere Verwunderung darüber nicht unterdrücken, daß extreme Kantonalisten es für unpassend erachten, wenn gemeine Verbrechen selbst dann, wo ausnahmsweise deren Ahndung der Bundesbehörde zusteht, dennoch nach kantonalem Rechte beurtheilt werden.

XII.

Vom Gesichtspunkte der Opportunität aus ist geltend gemacht worden, der Entwurf sei ein Gelegenheitsgesetz,-entstanden unter dem Drucke der im Grunde keineswegs begründeten Forderungen der öffentlichen Meinung, und es könnte somit die Lösung der Frage füglich auf den Zeitpunkt verschoben werden, wo eine vollständige Revision des Bundesstrafrechts an Hand genommen würde ; letzteres trage ja ohnehin den Stempel eines provisorischen Werkes, das schon mit Hinsicht auf die Fortschritte der modernen Strafrechtswissenschaft der Umarbeitung bedürftig sei. Uebrigens würde auch mit Annahme des Entwurfes das Problem einer unbefangenen Rechtsprechung nicht gelöst, dieweil selbst das Bundesgericht möglicherweise dem Einflüsse politischer Ansichten und Parteien ausgesetzt sein könnte.

Nein, Herr Präsident, meine Herren, das vorgeschlagene Geseta ist kein Gelegenheitsgesetz und das schon aus dem einfachen Grunde nicht, weil wir uns gegenwärtig durchaus nicht in politischen Verhältnissen befinden, welche darnach angethan wären, die Unabhängigkeit oder Unbefangenheit kantonaler Gerichte zu gefährden.

Wenn bereits ein bestimmter Fall gegeben wäre, dann allerdings könnte man von einem Gelegenheitsgesetze sprechen; aber eiu solcher liegt nicht vor. Es handelt sich nicht mehr um die eine, als um die andere Partei. Das Gesetz trifft so gut die radikale Partei, als die konservative; es bildet eine Begünstigung oder Benachteiligung so wenig für die eine, als die andere Konfession.

Im gegebenen Falle werden die Katholiken eben so gut vor ein unparteiischeres Gericht kommen, als die Protestanten, die Freidenker und die Freimaurer.

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Anderseits kann -- immer vom Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit aus -- füglieh gefragt werden, ob denn wirklich dem Kantonalismus damit gedient sei, wenn man einer Totalrevision des Bundesstrafrechts das Wort redet. Wenn bereits im Jahre 1853, unter der Herrschaft der Verfassung von 1848, die eidgenössischen Räthe in centralistischer Richtung weiter gegangen sind, als es, in unsern Augen wenigstens, das Grundgesetz gestattete, um wie viel mehr würde dies heute der Fall sein, wo die Centralisationsbestrebungen der Jahre 1872 und 1874 auf die gesetzgeberische Thätigkeit des Bundes bestimmend einwirken. Ich für meinen Theil, der ich die Ehre habe, in dieser hohen Versammlung einen Kanton zu vertreten, der auf seine Souveränetät große Stücke hält und nur mit schwerem Herzen auf seine bisherigen, von ihm hochgeschätzten Vorrechte Verzicht geleistet hat, -- ich wenigstens halte dafür, man thue nicht klug daran, den Wunsch nach einer vollständigen Revision des Bundesstrafrechts rege werden zu lassen, zumal wenn man bedenkt, wie schwer es hält, den Begriff der politischen Vergehen zu bestimmen und gesetzgeberisch zu verwerthen.

Wir finden ferner nichts Auffälliges darin, daß es der Bundesrath sein soll, dem der Entscheid darüber zusteht, ob der oder jener Fall den Assisen zu überweisen sei oder nicht. Muß doch naturgemäß der politischen Exekutivbehörde des Bundes die Aufgabe vorbehalten bleiben, die politischen Verhältnisse zu beurtheilen, zumal ja, laut Art. 102, Ziffer 10 der Bundesverfassung, es an i h r ist, für die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft, für Handhabung von Ruhe und Ordnung, zu sorgen. Ueberdies können wir uns in dieser Hinsicht auf einen Vorgang berufen, indem bereits Art. 74 des Bundesstrafrechts vorschreibt, es habe der Bundesrath darüber zu entscheiden , ob die Verfolgung und Beurtheilung gewisser Verbrechen oder Vergehen den Kantonalbehörden oder den Bundesassisen zu überweisen sei. Seitdem übrigens die Schweiz einen Bundesrath an ihrer Spitze besitzt, hat diese hohe Behörde trotz ihres politischen Ursprunges, trotz der ihr anhaftenden Merkmale einer politischen Gewalt, zu viele Beweise ihrer Vorsicht und ihrer Mäßigung gegeben , als daß man nur einen Augenblick vermuthen dürfte, es könnte jemals anders werden.

xm.

Endlich werden dem vorliegenden Entwurfe als solchem folgende Unvollkommenheiten zur Last gelegt:

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Unvermeidliche Ungleichheit in der Strafzumessung für ein und dasselbe Vergehen in Folge der Verschiedenheit der kantonalen Strafgesetzgebungen ; Verschleppungen, welche die Ueberweisung an die Bundesassisen nothwendig zur Folge haben müsse; Schwierigkeiten, die entstehen müßten, wenn von mehreren gleichzeitig Beschuldigten die einen die Kantonalgerichtsbarkeit, die andern die Bundesgerichtsbarkeit anriefen; Ueberbürdung sowohl des Bundesrathes als des Bundesgerichtes mit neuen Geschäften; endlich die Aufhebung der Strafminima.

Was zunächst den Schluß betrifft, den man aus der angeblichen Ungleichheit in der Strafzumessung glaubt ziehen zu können, so kehrt sich meines Erachtens dieses Argument gerade gegen Diejenigen, welche dasselbe anrufen ; denn die Einmischung des Bundesgerichts wird ja eben die Wirkung haben, zu verhindern, daß dasselbe Vergehen, je nach dem Kanton, in welchem es begangen worden, verschiedentlich geahndet werden könne, indem ja dem Bundesgericht freigestellt wird, unter das von der kantonalen Gesetzgebung festgesetzte geringste Strafmaß herabzugehen.

Wenn man ferner behauptet, daß die Bestrafung der Vergehen Verzögerungen ausgesetzt sein werde, so können wir mit einem Hinweise auf die bisherige Praxis erwidern, daß erfahrungsgemäß die eidgenössische Strafrechtspflege keineswegs so langsam arbeitet, als man ihr nachsagen möchte. Erwähnen wir bloß -- zur Bestätigung unserer Behauptung -- den Prozeß Brousse und den Tonhalleprozeß, welche beide, wie Jedermann weiß, mit aller Beförderung erledigt worden sind.

Es läßt sich auch nicht recht absehen, warum das Vorhandensein mehrerer Angeschuldigter dem Bundesrath besondere Schwierigkeiten bereiten sollte. Sein Amt ist im betreffenden Falle einfach das einer Anklagekammer, und es gilt doch die Regel, daß es die Anklagekammer ist, welche das Gericht bezeichnet, an das die Angeschuldigten zu überweisen sind, und nicht letztere selbst es sind, welche die Gerichtsbarkeit auswählen, die ihnen am besten , zusagt. Uebrigens fällt dieser Einwand von selbst dahin, wenn dem Rathe die von uns beantragte Streichung der Worte ,,auf Verlangen eines Betheiligten"1 belieben sollte.

Kaum ist es der Mühe werth, sich bei dem Einwände aufzuhalten, der sich auf eine angebliche Ueberbürdung der Exekutivund Justizbehörden des Bundes stütat; können wir doch getrost

49 behaupten, daß die Fälle, um die es sich hier handelt, höchst selten vorkommen. Die eidgenössischen Assisen haben sieh seit ihrem Bestehen, d. h. seit 34 Jahren, nur drei Mal besammelt, "so daß also nicht einmal auf je 10 Jahre ein Fall kommt.

Gewichtiger ist der Einwurf betreffend die Aufhebung des Strafminimums, denn über diesen Punkt, ich gestehe es, sind die Strafrechtslehrer nicht ganz einig. Während die Einen am alten Systeme schwerer Strafen festhalten, wie solches in der Carolina und andern Strafgesetzgebungen, welche sich dieselbe zum Muster genommen, durchgeführt ist, vertreten Andere die Ansieht, daß die von der modernen Civilisation bewirkte Milderung1^ der Sitten auch eine Milderung der Strafen gestatte. Die Aufhebung der Strafminima ist die nothwendige Folge des letztern Systems, zu dem auch ich mich bekenne.

XIV.

Herr Präsident, meine Herren, noch ein Wort und ich bin zu Ende. Es liegt mir nämlich noch ob, Ihre Aufmerksamkeit auf die juristische Seite der Frage zu lenken und hiebei den Nachweis zu leisten, daß ein Wechsel des Gerichtsstandes, wie ein solcher im Entwürfe vorgesehen ist, mit den Lehren der Rechtswissenschaft durcha.us vereinbar ist, wie denn schon längst in der Gesetzgebung sowohl des Bundes, als anderer Länder ähnliche Bestimmungen Eingang gefunden haben.

Ich hatte bereits Anlaß, die Bestimmung des Art. 32 des Bundesstrafprozeßgesetzes vom 27. August 1851 zu erwähnen, wonach es gestattet ist, den Straffall einem andern Assisengerichte zu überweisen, als demjenigen, wo das Verbrechen verübt wurde.

Eine nochmalige Erörterung dieser Bestimmung ist somit überflüssig.

Dagegen lege ich Werth darauf, die französische Strafprozeßordnung vom 17. November 1808 hier anzuführen, welche in ihrem Art. 542 Folgendes vorsehreibt: ,,In kriminellen, korrektionellen und Polizeisachen kann der ,,Kassationshof, auf Antrag des ihm beigegebenen Staatsanwalts, mit ,,Rücksicht auf die öffentliche Sicherheit oder wegen berechtigten ,,Mißtrauens (pour cause de suspicion légitime) die Behandlung eines ,,Straffalles von einem Assisengerichte an ein anderes, von einem ,,korrektioneilen oder Polizeigericht an ein anderes Gericht gleicher ,,Ordnung, von einem Untersuchungsrichter an einen andern Unter,,suchungsrichter übertragen. -- Diese Uebertragung kann auch auf ,,Antrag der Betheiligten erfolgen, letzternfalls aber nur wegen ,,berechtigten Mißtrauens."

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. I.

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Es sei mir gestattet, auch den Art. 19 der Strafprozeßordnung des Kantons Waadt vom 1. Februar 1850 hier anzuführen; derselbe lautet: ,,Falls genügende Gründe zur Annahme vorliegen, daß die ,,Handhabung des Rechts im Gerichtssprengel, in welchem das ,,Verbrechen begangen worden, erschwert werden könnte, so ist ,,das Kautonsgericht befugt, auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder ,,des Angeklagten zu verfügen, daß die Sache einem andern Ge,,richte überwiesen werde.tt Man wende nicht ein, der eben erwähnte Art. 542 sei dem entscheidenden Einflüsse des mächtigen Kaisers zuzuschreiben, von dem das Gesetzbuch den Namen trägt, um etwa daraus zu folgern, daß Interessen der kaiserlichen Politik oder Dynastie die Fassung dieses Artikels bestimmt haben.

Nein, meine Herren, der Art. 542 ist eine Errungenschaft der großen französischen Revolution und der aus ihr hervorgegangenen republikanischen Staatsordnung. Schon Art. 9 eines Gesetzes der französischen Republik, vom 17. November 1790, und Art. 19, Kapitel 5 der französischen Verfassung von 1791 haben aus Gründen ^gerechtfertigten Mißtrauens11 die Uebertragung einer Strafsache von einem Gerichtshof an einen andern für zuläßig erklärt, und deßgleichen hat Art. 254 der Verfassung vom 5. Thermidor des Jahres DI eine derartige Uebertragung aus Rücksichten auf die öffentliche Sicherheit »*· gestattet.

Die Motive zur französischen Strafprozeßordnung drücken sich übrigens hinsichtlich des Art. 542 folgendermaßen aus: ,,Wie groß auch das Vertrauen sein mag, welches das Gesetz ,,zu den Gerichten hegt, so darf letzteres doch nicht verkennen, ,,daß die Richter auch Menschen und nicht frei von menschlichen ,,Leidenschaften sind, weßhalb unter Umständen das Vertrauen in ,,ihre Unbefangenheit erschüttert sein könnte. Sowohl die Regierung ,,kann in dieser Beziehung Zweifel hegen in Ansehung der öffent,,lichen Sicherheit, als auch der einzelne Privatmann, aus persön,,lichen Gründen berechtigten Mißtrauens. Das Gesetz gestattet also, ,,mit kluger Vorsicht, die Uebertragung eines Straffalles von einem ,,Gerichte an das andere, sei es der öffentlichen Sicherheit wegen, ,,sei es wegen gerechtfertigten Mißtrauens."1 Der französische Kassationshof seinerseits hat in Auslegung des Gesetzes die Verlegung des Prozesses ,,im Interesse der öffentlichen Sicherheit" unter Anderem in folgenden Fällen als angezeigt erachtet :

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wenn zu befürchten ist, es könnten die Verhandlungen eines Prozesses, der gegen einen politischen Verein geführt wird, sei es im Falle einer Verurtheilung, sei es im Falle einer Freisprechung, in der Stadt, wo der Verein seinen Sitz hat, Unruhen erzeugen, und es könnte das Feuer der Leidenschaften die Jury beeinflussen (Urtheil vom 14. Oktober 1851) ; wenn zu befürchten ist, daß die Verhandlungen in einem politischen Prozesse den Anlaß geben könnten zu Gewaltakten, die zum Zwecke hätten, sei es die Angeschuldigten zu befreien , sei es die Richter einzuschüchtern (Urtheil vom 4. Dezember 1851).

Ferner ,,aus Gründen berechtigten Mißtrauens"1 in folgenden Fällen : wenn in einem politischen Prozesse gewichtige Gründe an der Unparteilichkeit der Geschwornen eines Departements zweifeln lassen (Urtheil vom 13. April 1853); wenn die Seitens der Familie des Angeklagten bei den Geschwornen eines Departements unternommenen Schritte die Unabhängigkeit der Letztern zu gefährden scheinen (Urtheil vom 26.. Mai 1853); wenn die eines Komplots Angeklagten, 15 an der Zahl, einflußreichen Familien des Departements angehören und erwiesenermaßen versucht wird, bei den Geschwornen Stimmung zu machen (Urtheil vom 16. September 1853).

Ueberdies ist, wie Sie sich erinnern werden, erst kürzlich wieder, vor kaum sechs Wochen oder höchstens zwei Monaten, der fragliche Artikel in Frankreich zur Anwendung gebracht worden, indern der Prozeß, welcher in Macon vor dem Assisengerichte des Departements Saone-et-Loire gegen die Minenarbeiter von Montceaules-Mines eingeleitet worden war, stillgestellt und nach Riom an die Assisen des Departements Puy-de-Dôme überwiesen wurde.

Die Motive zur waadtländischen Strafprozeßordnung begründen ihrerseits den Art. 19 jenes Gesetzes in folgender Weise: ,,Es ist unbestreitbar, daß gewichtige und zwingende Beweggründe vorliegen können, um eine Strafsache ihrem natürlichen ,,Richter zu entziehen, und zwar im Interesse der Gerechtigkeit und ,,des Angeklagten selbst. Wenn es sich z. B. um ein politisches ,,Vergehen handelt, an welchem sämmtliche Ortseinwohner mehr ,,oder weniger theilgenommen haben, wie will man da die Rädelsführer in derselben Ortschaft und von Geschwornen beurtheilen ,,lassen, die gewissermaßen den Theilnehmern am Verbrechen ent,,nommen sind? Und falls im Gegentheil das Verbrechen in der

52 "betreffendes Ortschaft eine allgemeine Entrüstung hervorgerufen ,,hat, wird da der Angeklagte an jenem Orte auf ganz unbefangene ,,Geschworne rechnen können? Im einen wie im andern Falle ,,wird es-im Interesse des Angeklagten geboten sein , den Prozeß ,jin einen andern Kantonsthei zu verlegen, in welchem kein Grund ,,vorliegt, um Parteilichkeit zu befürchten."

XV.

Es erübrigt zum Schlüsse noch, die von der Kommissionsmehrheit beantragten Abänderungen in Kürze zu begründen.

Der erste Vorschlag geht dahin , den Ausdruck : ,,die Unabhängigkeit u. s. w. als gefährdet angesehen" abzuändern in : ,,das Vertrauen in die Unabhängigkeit u. s. w. als gefährdet angesehen".

Die Kommissionsmehrheit ließ sich bei dieser Abänderung durch das gewiß berechtigte Bestreben leiten, die Empfindlichkeit der Mitglieder der kantonalen Gerichte, deren Unabhängigkeit und Unbefangenheit angezweifelt wird, zu schonen ; zugleich trug sie damit dem nicht minder berechtigten Wunsche Rechnung, dem Bundesrathe in der Ausübung seiner neuen Befugnisse, die jedenfalls sehr delikater Natur sind, einen freiem Spielraum zu gewähren.

· Der zweite Abänderungsantrag geht dahin , die Worte : ,,auf Verlangen eines Betheiligten zu streichen.

Wir halten nämlich dafür, daß in derartigen Fällen eine Einmischung von Amtswegen dem Einschreiten auf Antrag des Betheiligten vorzuziehen sei. Es wird auf diese Weise unzeitgemäßen, unbegründeten Beschwerden der Riegel geschoben, welche sonst bei allen mögliehen Anlässen auftauchen würden. ohne daß zu einem so schwerwiegenden Beschlüsse die mindeste Veranlassung vorläge. Anderseits wird man durch die beantragte Streichung deiNotwendigkeit enthoben, eine Frist zu bestimmen, was man sonst nicht wohl hätte vermeiden können; denn es wäre schwerlich angegangen , die Beschwerden der Parteien in jedem Stadium des Prozesses zuzulassen, z. B. noch am Tage vor der Urtheilsfällun durch die kantonale Behörde. Von diesem doppelten Gesichtspunkte aus scheint uns die beantragte Streichung empfehlenswerth Der dritte und letzte Abänderungsantrag lautet auf Streichung des zweiten Absatzes von Art. 74 bis des Entwurfes.

In diesem zweiten Absätze wird die Beurtheilung gewisser Vergehen gegen die innere Sicherheit der Kantone in die Kompetenz des Bundesgerichts gestellt, wenn gleich eine bewaffnete eidgenössische Intervention nicht stattgefunden hat, immerhin unter

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der nämlichen Voraussetzung, daß es sich um einen jener Ausnahmefalle handle, wo die kantonale Gerichtsbarkeit nicht das genügende Maß von Unbefangenheit zu besitzen scheint.

Der in diesem zweiten Absätze vorgesehene Fall fallt eigentlich, ipso jure, unter die im Absatz l niedergelegte allgemeine Regel. Immerhin besteht zwischen beiden ein kleiner Unterschied.

Nach der Fassung des Entwurfes nämlich soll in Fällen von Vergehen gegen die innere Sicherheit 4er Kantone (welche keine bewaffnete eidgenössische Intervention zur Folge hatten) das Bundesgericht von Amtswegen einschreiten ohne daß ein Beschluß des Bundesrathes vorauszugehen hätte. Unser Abänderungsantrag bezweck nun., an 4er Nothwendigkeit liftes solchen vorgängigen Ueberweisungsbeschlusses festzuhalten,, und zwar in. Uebereintimmung mit den Artikeln 2 und 4 des Gesetzes über die Bundesstrafrechtspflege, welche im Wesentlichen vorschreiben, daß die Strafverfolgungen vor den Bundesassisen im Namen der Eidgenossenschaft stattfinden, welche mithin durch den Bundesrath vertreten sei.

Der Ständerath wird übrigens um so weniger Anstand nehmen, unserer Auffassung beizustimmen, als dieselbe sowohl von der Mehrheit als der Minderheit der Kommission getheilt wird.

XVI.

Gestützt auf obige Erörterungen schließe ich mit dem Antrage, der Ständerath möge 1) auf .den Gesetzesentwurf -eintreten; ..

.

2) denselben mit den von der Kommissionsmehrheit beantragten Abänderungen zum Beschluß erheben.

B e r n , den 18. Dezember 1882.

©er Berichterstatter der Mehrheit der ständeräthlichen Kommission :

Alph. Bory.

M i t g l i e d e r der Kommissionsmehrheit Salili.

Visier.

Scherb.

Bory.

Für getreue Uebersetzung : Dr. A. Brüstellin.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Mehrheit der ständeräthlichen Kommission über den Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Ergänzung des Bundesstrafrechtes vom 4. Februar 1853. (Vom 18. Dezember 1882.)

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20.01.1883

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