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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. II.

Nr. 28.

26. Mai 1883.

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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Rekurs des Philipp Andermatt in Baar, Kts. Zug, betreffend das Verbot landwirtschaftlicher und gewerblicher Arbeiten an den Sonntagen und den kantonalen und kommunalen Festtagen.

(Vom 15. Mai 1883.)

Tit.

Wir haben am 12. September 1882 über einen Rekurs des Philipp Andermatt, Landwirth in Baar, betreffend die Verordnung des Kantons Zug vom 18. Weinmonat 1876 über Sonntagspolizei und das in derselben enthaltene Verbot der Arbeit an Sonntagen und gebotenen Festtagen, Beschluß gefaßt, indem wir den Rekurrenten mit seinem Begehren abwiesen. Derselbe hat hierauf, durch Memorial vom 14. März 1885, gegen unsern Entscheid den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen.

Obgleich es uns nicht entgangen war, daß der Rekurrent in seinem Memoriale an die eidgenössischen Kammern in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung neue, uns nicht zur Beurtheilun unterstellt gewesene Gesichtspunkte aufstellt, so glaubten wir doch durchaus korrekt zu verfahren, wenn wir, unter einfacher Bezug nahm auf die Begründung unseres Entscheides vom 12. September 1882, die Rekursschrift Andermatt" s der obern Instanz zur Prüfung und gutscheinenden Beschlußfassung übermittelten. Es hat nun der schweizerische Ständerath, dem die Erstbehandlung des Gegenstandes zufiel, am 21. April d. J. beschlossen, mit Rücksicht auf Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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1014 die im Memorial an die Bundesversammlung enthaltenen Neuerungen t tatsächlicher und rechtlicher Natur, den Rekurs an den Bundesrath zur vorgängigen Beschlußfassung zurückzuweisen.

Wir sind in Folge dieses Auftrages in die Lage versetzt, uns über den Rekurs des Philipp Audermatt neuerdings auszusprechen und wir thun das durch gegenwärtigen Bericht an die hohe Bundesversammlung, welchen wir mit einem Beschlußantrage abschließen.

Damit glauben wir dem uns gewordenen Auftrage vollständig und in der richtigen Form nachzukommen.

Es könnte von uns zwar mit Fug und Recht der formelle Einwand erhoben werden, daß der Rekurrent, wenn er einen seiner faktischen und rechtlichen Grundlage nach n e u e n Rekurs an die Bundesbehörde richten will, zu diesem Zwecke den ihm konstitutionell vorgezeichneten Weg einzuschlagen habe, auf welchem er vorerst an den Bundesrath, in einer an d i e s e n gerichteten Beschwerde, und erst n a c h dem bundesräthlichen Entscheide an die Bundesversammlung als zweite und letzte Instanz gelangen würde. Von diesem formellen Standpunkte aus wäre es für die obere Rekursinstanz vielleicht angezeigt gewesen, über die Beschwerde des Philipp Andermatt, soweit deren vom Bundesrathe beurtheilte Grundlage in Frage kam, materiell zu entscheiden, soweit es sich dagegen um ein wirkliches Novum handelt, die Sache an d e n R e k u r r e n t e n zu r i c h t i g e r E i n l e i t u n g d e s R e k u r s e s z u r ü c k z u w e i s e n . Allein wir geben zu, daß die Einhaltung dieses wohl formell richtigeren Verfahrens der Sache selbst keinen Nutzen gebracht und die endgültige materielle Erledigung der Frage ohne innern Grund verzögert haben würde, und wir nehmen deshalb keinen Anstand, sofort auf die meritorische Behandlung des Gegenstandes einzutreten.

Das Begehren des Rekurrenten, wie dasselbe in dessen Rekursmemorial an die Bundesversammlung,,vorn 14. März 1883 formulirt ist, lautet : Es sei in Aufhebung der angefochtenen Verordnung des Regierungsrathes von Zug über die Sountagspolizei, vom 18. Oktober 1876, der Rekurs deßwegen als begründet zu erklären, weil genannte Verordnung einen rein religiös-konfessionellen Charakter an sich trage und deßhalb gegen Artikel 49 der Bundesverfassung verstoße, und es sei daher auch den Landwirthen und Professionisten, w e l c h e n i c h t u n t e r
d e m F a b r i k g e s e t z e stehen, z u g e s t a t t e n , a n j e n e n k i r c h l i c h e n F e i e r t a g e n i h r e gew ö h n l i c h en B e r u f s a r b e i t e n zu v e r r i c h t e n , anwelchen d e r F a b r i k b e v ö l k e r u n g d i e A r b e i t zu v e r r i c h t e n g e s e t z l i c h b e w i l l i g t ist.

1015 Zur Begründung dieses Petitums beruft sich Philipp Andevmatt theils auf die schon früher, in seiner Rekurseingabe vom 8. Juni 1882 an den Bundesrath, vorgebrachten Momente, theils auf die Bestimmungen des Artikels 49 der Bundesverfassung.

· Der Bundesrath sieht sich nicht veranlaßt, den formell rechtlichen Ausführungen des Rekurrenten, die nur Wiederholungen des von ihm in seiner ersten Rekursschrift Angebrachten sind, nochmals zu folgen. Was also vom Rekurrenten in Betreff des verfassungsmäßigen Zustandekommens und der formellen Rechtsgültigkeit der angestrittenen Verordnung des zugerischen Regierungsrathes gesagt wird, was derselbe vom Standpunkte des Artikels 4 der Bundesverfassung und des § 5 der Kantonsverfassung (Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze) aus, mit ausdrücklicher und spezieller Bezugnahme auf das Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken vom 23. März 1877 (Artikel 14), gegen dieselbe vorbringt, lassen wir hierorts irnerörtert. Wir verweisen diesf'alls einfach auf die Darstellung der faktischen und rechtlichen Verhältnisse in unserem Beschlüsse vom 12. September 1882 (Bundesblatt 1883, l, 416). Dagegen haben wir uns nunmehr mit den aus Artikel 49 der Bundesverfassung hergeholten Gründen, womit der Rekurrent die Verfassungswidrigkeit der Zuger Verordnung darthun will, etwas näher zu beschäftigen.

In dieser Richtung beschwert sieh Andermatt speziell darüber, daß er vom römisch-katholischen Gremeinderath von Baar gezwungen werden wolle, · das kirchliche Patronatsfest dieser Gemeinde, den Tag des heiligen Martinus (11. November), mitzufeiern und an diesem Tage seine landwirthschaftlichen Berufsarbeiten zu unterlassen, trotzdem er nicht dem vom Staate Zug besonders gewährleisteten römisch-katholischen Glaubensbekenntnisse, sondern der vom Bunde anerkannten christkatholischen Kirche der Schweiz angehöre und dieses der Regierung von Zug durch schriftliche Erklärung vom 20. Januar 1883 notiflzirt habe. Weder die christkatholische, noch die protestantische Kirche feiere den Martinstag, so wenig als den 8. Dezember, das Fest der unbefleckten Empfängniß Maria. Trotzdem sei er, Rekurrent, am 30. Dezember 1882 vom Einwohnerrathe Baar als polizeilich fehlbar nach §§ 3 und 7 der allegirten Regierungsverordnung in eine Buße von Fr. 15 und zur Bezahlung der Untersuchungskosten von Fr. 2
verfällt worden, weil er am letzten Martinstage (11. November 1882), nach dem Beispiele der Fabriken in Baar, gearbeitet habe. Er habe diese Verurtheilu'ng von Anfang an als rechtsungültig bestritten und dagegen beim Regierungsrathe am 20. Januar 1883 Rekurs eingelegt; allein umsonst, der Regierungsrath sei ,,über seinen

1016 ganzen Rekurs großartig zur Tagesordnung geschritten.a Und doch dürfe nach der Bundesverfassung die Ausübung bürgerlicher und politischer Rechte durch keinerlei Vorschriften oder Bedingungen kirchlicher oder religiöser Natur beschränkt werden. Auch die Arbeit sei ein bürgerliches Recht. Kein Burger dürfe deßhalb verhindert werden, an solchen Festtagen, die sein Kultus nicht feiert, zu arbeiten ; beziehungsweise es können solche Feiertage durch die kantonale Gesetzgebung nur für die betreffenden Konfessionsgenossen als verbindlieh erklärt werden. Er verlange übrigens nur ein gleiches Recht mit der Fabrikbevölkerung, welcher dermalen, nach Maßgabe des Artikels 14 des Fabrikgesetees und der zugerischen Verordnung über Sonntagspolizei, ein eigentliches Standesvorrecht zukomme.

Der Regierungsrath des Kantons Zug bestreitet nicht, daß der Rekurrent am 20. Januar 1883 ihm die Erklärung eingereicht habe, er gehöre der christkatholischen Glaubensgenossenschaft an ; allein die Behörde produzirt gleichzeitig ein Zeugniß der (römisch-katholischen) Kirchenrathskanzlei Baar, d. d. 28, März 1883, aus welchem hervorgeht, daß Philipp Andermatt noch immer als römisch-katholischer Kirchgenosse im dortigen Stimmregister für Gemeindeversammlungen in kirchlichen Angelegenheiten eingeschrieben ist und daß derselbe bis dahin gegen diese Eintragung nicht reklamirt hat. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen des öffentlichen Rechts sei daher Andermatt als Angehöriger der katholischen Kirchgemeinde Baar zu betrachten und zur Beobachtung der für dieselbe gebotenen Festtage verpflichtet. Speziell mit Bezug auf Andermatt's Widerhandlung vom 11. November 1882 könne seine nachträgliche Erklärung vom 20. Januar 1883, die er zwar ad hoc beim Regierungsrathe abgegeben, aber der zuständigen Kirchgemeindebehörde gegenüber seither nicht einmal geltend gemacht habe, von gar keinem rechtlichen Belange sein.

Der Einwohnerrath von Baar habe darum den Rekurrenten in richtiger Anwendung der §§ 3 und 7 der einschlägigen Verordnung mit vollem Rechte bestraft. (Laut dem bei den Akten liegenden Auszug aus dem Protokoll des Einwohnerrathes Baar -- Sitzung vom 30. Dezember 1882 -- wurde Andermatt gebüßt, weil er eingestandenermaßen am St. Martinsfeste (11. November 1882) mit Vieh und Wagen Jauche in seine Hausmatte ausgeführt hatte, wobei
er von vielen Leuten gesehen worden sei, ,,eine Arbeit", sagt das Protokoll, ,,welche, an Sonn- oder gebotenen Festtagen vorgenommen, ihrer Natur nach geeignet ist, öffentliches Aergerniß zu erregen.a 0 Der Regierungsrath beruft sich zur Bekräftigung seiner Rechtsanschauung auf die bisherige staatsrechtliche Praxis der Bundes-

1017 behörden (vergleiche Ullmer II, Nr. 832--835), hinsichtlich der Frage der Zugehörigkeit einer Person zu einer Kirchgemeinde oder kirchlichen Genossenschaft ganz besonders auf den bundesgerichtlichen Entscheid vom 28. Dezember 1878 in Sachen Treyer & Comp.

von Wohlhausen (Samml. der bundesgerichtlicheu Entscheide IV, 542), und schließt mit dem Rechtsgesuche : Die Bundesbehörden mögen d e n vorliegenden Rekurs d e f i n i t i v , a u c h a u s d e m G e s i c h t s p u n k t e des A r t i k e l s 49 der B u n d e s v e r f a s s u n g abweisen.

Der Bundesrath zieht zur Beurtheilung dieses Rekurses in Erwägung, was folgt : 1. Wenn auch ^der Rekurrent sein Begehren mit Art. 49 der Bundesverfassung, dem Rechte auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, motiviren will, so läuft» doch der Wortlaut desselben, sowie die ganze Argumentation des Beschwerdeführers im Grunde darauf hinaus, daß es Angesichts des Artikels 14 des Bundesgesetzes über die Arbeit in den Fabriken unzuläßig sei, den Bürgern das Arbeiten an solchen Festtagen zu verbieten, an welchen auf Grund des allegirten eidgenössischen Gesetzes die Fabrikarbeit von den Kantonen gestattet werden müsse.

Dieser Gedankengang des Rekurrenten ist nun aber durchaus irrig und verwerflich, und es wäre auf denselben, mit Rücksicht auf das in der ersten Erwägung zum Bundesrathsbeschlusse vom 12. September 1882 bereits Gesagte, hierorts überhaupt nicht mehr einzutreten, wenn nicht gerade in der vom Rekurrenten wiederholt angerufenen Gesetzesstelle (Artikel 14 des Fabrikgesetzes) der deutliche Hinweis darauf läge, daß die Kantone in den Augen des Bundes grundsätzlich berechtigt sind, abgesehen von don Sonntagen, gewissen Festtagen, die einen unzweifelhaft religiösen, kirchlichen Ursprung haben, einen bürgerlichen Charakter zu verleihen und die Arbeit an denselben rechtsverbindlich zu untersagen. Aus den betreffenden bundesgesetzlichen Bestimmungen ergibt sich in Hinsicht auf die uns beschäftigende Frage, daß es keineswegs genügt, eine Anlehnung der staatlichen Gesetzgebung an religiös-kirchliche Vorstellungen und Gebräuche nachzuweisen, um deren bundesverfassungsmäßige Unzuläßigkeit und Rechtswidrigkeit darzuthun.

Es ist in dieser Beziehung an den in den eidgenössischen Räthen zu einem gewissen Ansehen gelangten Rekurs M o r i s o d zu erinnern (siehe
Bundesblatt 1881, I, 194). Die mit dem Abweisungsbeschlusse des Bundesrathes und des Ständerathes nicht einverstandene Mehrheit des Nationalrathes wollte gemäß dem Antrage der Mehrheit der betreffenden Kommission (Berichterstatter Philippin) den Rekurs d e ß w e g e n für begründet erklären, weil nicht nachgewiesen worden

1018 sei, d a ß M o r i s o d ( w e g e n S o n n t a g s a r b e i t ) a u f G r a n d eines b e s t e h e n d e n Gesetzes oder einer Polizei V e r o r d n u n g g e b ü ß t w u r d e , vielmehr nach der ganzen Aktenlage die Buße l e d i g l i c h deßhalh ausgesprochen worden, weil der Rekurrent eine Re l i g i o n s V o r s c h r i f t außer Acht gelassen, und demnach ihm gegenüber die Vorschriften der Bundesverfassung (Artikel 49) verletzt seien (Bundesblatt 1881, III, Beilage zu Nr. 31).

2. Zu beachten bleibt allerdings, daß speziell die vom Rekurrenten für seine Theorie in Anspruch genommene Rechtsquelle, das eidgenössische Fabrikgesetz, im Artikel 14 der Kantonalgeset/.gebung die Schranke zieht, daß solche Feiertage (der Fabrikarbeiter) nui- für die betreffenden Konfessionsgenossen als verbindlieh erklärt werden können, und daß diejenigen, die an weitern kirchlichen Feiertagen nicht arbeiten wollen, wegen "Verweigerung der Arbeit nicht sollen gebüßt werden dürfen.

Damit ist zweierlei ausgesprochen: Einmal, daß die kantonale Gesetzgebung bundesrechtlich verhindert ist, die Arbeit in den Fabriken an Sonn- und Festtagen andern Arbeitern als den betreffenden Konfessionsgenossen zu v e r b i e t e n , und sodann zweitens, daß sie nicht befugt ist, die Fabrikarbeit an kirchlichen Feiertagen mit Bußandrohung Jemandem zu g e b i e t e n. Diese gesetzgeberischen Erlasse sind der natürliche Ausfluß des im Artikel 49 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsatzes der Glaubens- und Gewissensfreiheit in seiner Anwendung auf ein durch besondere Verfassungsbestimmung (Art. 34) der Gesetzgebung des Bundes unterstelltes volkswirtschaftliches Gebiet, d i e A r b e i t i n d e n F a b r i k e n .

3. Wenn wir uns von diesem bundesgesetzlich geregelten und speziellen Rechtsgebiete auf den Boden des allgemeinen Bundesrechtes begeben, so finden wir an der Hand der Praxis der Behörden, daß dasselbe in Ansehung der kantonalen Bestimmungen über Sonntagspolizei und die Arbeit an Sonn und Feiertagen in den verschiedenen Phasen seiner Entwicklung folgende Grundsätze aufgestellt hat: ,,Es ist der öffentlichen Ordnung und dem Frieden unter den Konfessionen angemessen, daß an den Feiertagen der einen Konfession die Bekenner der andern sich jeder den kirchlichen Kultus störenden Beschäftigung enthalten; eine weiter
gehende Beschränkung der bürgerlichen Gewerbsthätigkeit jedoch, welche sich lediglich aus den besondern Vorschriften einer Konfession ergibt, darf den Angehörigen einer andern Konfession nicht auferlegt werden."

(Bundesbeschluß vom 25./31. Januar 1862, A. S. VII, 124; Ullmer, staatsrechtliche Praxis, I, 161.)

1019 ,,Der Bund hat keinerlei Grund, sich in die Handhabung der Polizei au den gewöhnlichen, beiden (christlichen) Konfessionen gemeinsamen Sonn- und Feiertagen einzumischen. a (Bundesblatt 1863, II. 47.)

,,Eine kantonalpolizeiliche Bestimmung, wonach alle Arbeiten in Werkstätten und auf dem Lande an Sonn- und hohen Festtagen ohne vorhandene Dringlichkeit verboten sind, hat bloß die Sicherung der äußern Sonntagsruhe zum Zwecke. Eine derartige Maßregel verletzt die individuelle Glaubensfreiheit des Einzelnen nicht; ihr liegt eben so gut eine soziale Bedeutung zu Grunde."1 (ßundesblatt 1878, II. 495.)

,,Es ist den Kantonen überlassen, dir die Beobachtung der Sonntagsruhe die nöthigen Anordnungen zu treffen und zu diesem ßehufe polizeiliche Strafen aufzustellen, und es kann hierin weder eine Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit (Artikel 31 der Bundesverfassung), noch eine Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Artikel 49 der Bundesverfassung) erblickt werden. tt (Bundesblatt 1879, II. 604).

4. Wenn die Bestimmungen der Verordnung des Kantons Zug vom 18. Weinmonat 1876 über Sonntagspolizei nach den unter Ziffer 3 angeführten Grundsätzen auf ihre bundesrechtliche Zuläßigkeit geprüft werden, so ergibt sich im Allgemeinen deren Ueberein&timmung mit dem aus der Praxis hervorgegangenen Bundesrechte.

Die Verordnung beruht auf dem Gedanken, daß die staatlichen, beziehungsweise bürgerlichen Behörden verfassungsgemäß berechtigt und verpflichtet seien, behufs einer würdigen Feier der Sonn- und Festtage für die Beobachtung von Ruhe, Ordnung und Anstand an diesen Tagen zu sorgen und den Kultus, die Lehren, Einrichtungen u n d Gebräuche d e r i m S t a a t e b e s t e h e n d e n R e l i g i o n s g e n o s s e n s c h a f t e n gegen Störung, Beschimpfung, Verunehrung zu schützen. Der im vorwürfigen Falle besonders in Betracht kommende § 3 der Verordnung lautet wörtlich wie folgt: ,,An Sonn- und gebotenen Pesttagen sind (zudem) untersagt: Alle öffentlich vorgenommenen oder öffentliches Aergerniß erregenden Arbeiten oder geräuschvollen Hantierungen des landwirtschaftlichen, gewerblichen, Handels- und Fabrikbetriebes.

Hiebei sind jedoch der Post- und Eisenbahnverkehr, innerhalb gesetzlicher Schranken, allfällige Notharbeiten und solche Geschäfte, welche durch das tägliche Bedürfniß des Publikums
erfordert werden, sofern die gottesdienstlichen Handlungen nicht ohne besondere Noth gestört und dafür die Bewilligung der Ortspolizei eingeholt wird, ausgenommen."

1020 In Ansehung dieser Vorschriften kann nach der Auffassung des Bundesrathes und mit Rücksicht auf frühere Entscheide bloß die Frage aufgeworfen werden, ob das Verbot der ,,öffentlich vorgenommenen Arbeiten11 in dieser Allgemeinheit zuläßig sei. Der Bundesrath hält dafür, daß dieses Arbeitsverbot bundesrechtlich, und zwar aus dem diesfalls entscheidenden sozialpolitischen Gesichtspunkte, unbeschränkte Anwendung auf alle Bürger finden dürfe mit Bezug auf die S o n n t a g e , .dagegen hinsichtlich der F e i e r t a g e , wobei für den Bund ausschließlich die Bestimmungen der Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung maßgebend sein können, uneingeschränkt bloß auf die betreffenden Konf'essionsgenossen anO ö wendbar sei, in der Anwendung auf Nichtkonfessionsgenossen aber in der Bestimmung sich erschöpfe, daß die Arbeiten nicht vermöge ihrer Natur, oder nach Zeit, Ort oder Art und Weise ihrer Vornahme den religiösen Kultus einer andern Konfession stören oder beeinträchtigen oder öffentliches Aergerniß erregen dürfen. (Bundesblatt 1863, II, 46 und 47.)

5. Die vorhergehenden Ausführungen erstellen die Grundlage zur bundesrechtlichen Beurtheilung der Beschwerde des Philipp Andermatt. Dieselbe ist nach zwei Richtungen aus einander zu halten.

O a) Soweit die Rekursbesehwerde die Basis und den Inhalt der zugerischen Verordnung über Sonntagspolizei im Allgemeinen vom Standpunkte des Artikels 49 der Bundesverfassung aus angreift, hat sie ihre Beantwortung vorstehend bereits gefunden. · Es dürfte nur noch die Bemerkung Platz finden, daß allerdings, wie es der Rekurrent sagt, auch die Arbeit ein bürgerliches Recht ist, das nicht durch Vorschriften kirchlicher oder religiöser Natur verkümmert oder aufgehoben werden darf, daß aber daneben auch das Recht der Bürger auf den staatlichen Schutz ihrer Glaubensund Gewissensfreiheit und auf freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen, sowie dem entsprechend das Recht und die Pflicht des Staates zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des öffentlichen Friedens unter den Angehörigen der verschiedenen Religionsgenossenschaften bestehen.

Wie jedes andere bürgerliche, öffentliche und private Recht kann und muß auch das Recht KU arbeiten in einem wohlgeordneten Staate im allgemeinen Interesse an gewisse Vorbehalte geknüpft, mit gewissen Schranken umgeben werden. Dasselbe wird
dadurch grundsätzlich nicht geleugnet und nicht beeinträchtiget.

b) Wenn sodann der Rekurrent Aufhebung der gegen ihn vom Einwohnerrath Baar am 30. Dezember 1882 ausgesprochenen Polizeistrafe verlangt, weil er als Angehöriger der christkatholischen

1021 Kirche nicht genöthigt werden dürfe, den Patronatsfesttag der römisch-katholischen Kirchgemeinde Baar (Martinstag, 11. November) mitzufeiern, so ist vorerst zu bemerken, daß Andermatt, der übrigens zu keiner kirchlichen oder religiösen Handlung gezwungen werden wollte, nach den Akten zum ersten Male am 20. Januar 1883, in seiner Rekurseingabe an den Zuger Regierungsrath, sich darauf berufen hat, er gehöre nicht derjenigen katholischen Konfession an, die in Baar den Martinstag als Fest des Kirchenpatrons feiert, ohne daß jedoch seither von ihm Schritte gethan worden wären, utn seinen Namen im Verzeichnis der römisch-katholischen Kirchgenossen von Baar streichen zu lassen und damit seine Angehörigheit zur Kirchgemeinde Baar in Rechten und Pflichten aufzugeben. (Vergleiche hierüber: Bundesgerichtliche Entscheide, 1878, IV. Bd., Seite 546.)

Allein auch abgesehen von diesem Umstände und ohne Rücksicht auf die Konfessionsangehörigkeit des Rekurrenten erscheint die Anwendung des § 3 der zugerischen Polizeiverordnung auf ihn als zuläßig und gerechtfertigt; denn ei- hat, ohne vorhandene Dringlichkeit, unter den Augen vieler Leute am Tage des Patronatsfestes in Baar (11. November 1882), mit Vieh und Wagen Jauche auf seine Hausmatte führend, eine landwirtschaftliche Arbeit vorgenommen, die unter diesen Umständen in der beinahe ausschließlich von Bekennern der römisch-katholischen Konfession bewohnten Gemeinde öffentliches Aergerniß erregen mußte.

Gestützt auf die im Vorhergehenden entwickelten thatsächlichen Verhältnisse und rechtlichen Erwägungen hat der Bundesrath die Ansicht gewonnen, es sei der Rekurs des Philipp Andermatt gegen die Verordnung des Kantons Zug im Allgemeinen sowohl als in der speziellen Richtung gegen die Strafverfügung des Einwohnerrathes von Baar, d. d. 30. Dezember 1882, als unbegründet abzuweisen, was wir hiermit Ihnen zu beantragen uns beehren.

Wir sehließen diesen Bericht mit der erneuerten Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 15. Mai 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Rekurs des Philipp Andermatt in Baar, Kts. Zug, betreffend das Verbot landwirtschaftlicher und gewerblicher Arbeiten an den Sonntagen und den kantonalen und kommunalen Festtagen. (Vom 15.

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26.05.1883

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