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Botschaft

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Garantie von zwei Verfassungsgesetzen des Kantons Appenzell I. Rh. vom 20. März/29. April 1883.

(Vom 29. Mai 1883.)

Tit.

Der am 29. April 1883 versammelten Landsgemeinde des Kautons Appenzell I. Rh. lagen zwei vom Großen Rathe am 20. März d. J. beschlossene Gesetzesentwürfe zur Annahme oder Verwerfung vor, welche eine Abänderung einzelner Artikel der Kantonsverfassung vom 24. November 1872 involviren. Der eine Entwurf, der zuerst zur Behandlung kam, hat die Einführung von Vermittlerämtern im Kanton zum Gegenstande, der andere bezweckt die Revision einzelner Artikel der Verfassung.

Beide Vorlagen sind gemäß einem von der Landeskanzlei verfertigten Auszug aus dem Protokoll der Landsgemeinde vom Volke angenommen worden, die erste mit circa 2/3 der Stimmenden, die zweite mit großer Mehrheit.

1. Durch die Annahme des Vorschlages betreffend die V e r m i t t l e r ä m t e r hat Art. 32 der Verfassung eine Abänderung erfahren. Nach diesem Artikel wurde bis anhin in Appenzell I.-Rh.

das Recht zu Rechtsvorschlägen (zur Prozeßeinleitung) für den innern Landestheil vom regierenden Landammann und für den Bezirk Oberegg vom dortigen regierenden Hauptmann ertheilt. Es werden nun zwei Vermittlerämter eingeführt, eines für den innern Landestheil und eines für den Bezirk Oberegg, welche die durch Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. III.

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den Rechtsvorschlag einer Partei bei ihrem Amte eingeleiteten Forderungsstreitigkeiten und Injurienfälle zur Vermittlung an die Hand zu nehmen und dieselben bei fruchtlosem Vermittlungsversuche durch Ausstellung eines Leitscheines für die klagende Partei an das zuständige Bezirksgericht zu überweisen haben. Demnach fällt die im Art. 32 der Verfassung enthaltene Kompetenzbesthnmung betreffend die Ertheilung der Rechts vorschlage durch den regierenden Landammann, beziehungsweise Hauptmaun, weg.

2. Die Revision einzelner Artikel der Verfassung wird durch die in der Beilage zu dieser Botschaft enthaltene Gegenüberstellung derselben vergegenwärtigt.

Landammann und Standeskommission des eidgenössischen Standes Appenzell I. Rh. bemerken zur Erläuterung der Revisionspunkte in ihrem Berichte an den Bundesrath zu Händen der schweizerischen Bundesversammlung, vom 11. Mai 1883, was folgt: ,,Artikel 30 erhält eine Einschaltung, wonach die Standeskommission die Kassationsbehörde bildet für letztinstanzliche Civil- und Strafurtheile in Fällen von vorgekommenen Formfehlern. Bei der bisherigen Fassung des Artikels waltete stets ein Widerstreit darüber, ob und in welchen Fällen die Standeskommission überhaupt Kassationsbefugniß habe, und soll durch die neu aufgenommene Bestimmung diesfalls Klarheit geschaffen werden.

Art. 33 erfährt nur in der Weise eine Abänderung, daß für die Berechtigung zur Wahl eines Mitgliedes in das Bezirksgericht im innern Landestheil eine erhöhte Anzahl Seelen der Wohnbevölkerung erforderlich ist. Der Zweck dieser Bestimmung besteht in einer Reduktion der Mitgliederzahl des Bezirksgerichtes im innern Landestheil.

Art. 38 erhält zweimal die Einschaltung des Wortes ,,über", um zu verhindern, daß die Strafkompetenzen zwischen dem Bezirksgerichte und dem Kantonsgerichte kollidiren.

Bei Art. 41 ist ein zweites Alinea aufgenommen, welches die zur gültigen Beschlußfassung nöthige Anzahl der Mitglieder bei den Bezirksgerichten bestimmt.

Nach Art. 44 (alt) waren für dingliche Streitsachen drei Gerichtsinstanzen vorgesehen; nach dem neuen Artikel fällt nun die zweite Gerichtsinstanz aus; dagegen wird die Anzahl der Mitglieder erster Instanz von fünf auf sieben erhöht."

Die Regierung des Kantons Appenzell I. Rh. schließt ihren Bericht mit den Worten: ,,Da wir finden, daß sämmtliche ange-

19 führte .Revisionspunkte nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, ferner vom Volke angenommen worden sind und auch im Uebrigen den Bestimmungen des Art. 6 der Bundesverfassung entsprechen, hegen wir die Hoffnung, daß der Bund ohne Weiteres die Gewährleistung derselben übernehme.a Der Bundesrath stimmt mit dieser Ansicht der Kantonsbehörde vollkommen überein und beantragt deßhalb der Bundesversammlung, den beiden in Frage kommenden Verfassungsgesetzen des Kantons Appenzell I. Rh. die Bundesgarantie in Gemäßheit von Art. 6 der Bundesverfassung nach unten folgendem Beschlußentwurfe zu ertheilen. Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung und Ergebenheit.

B e r n , den 29. Mai 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: L. Rnchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Riiigier.

20 (Entwurf)

Bnndesbeschluß betreffend

Gewährleistung der Verfassungsgesetze des Kantons Appenzell I. Rh. vom 20. März, beziehungsweise vom 29. April 1883.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft und des Antrages des Bundesrathes vom 29. Mai Ì 883 über zwei Verfassungsgesetze des Kantons Appenzell I. Rh. vom 20. März 1883, von der Landsgemeinde dieses Kantons angenommen am 29. April desselben Jahres, betreffend Abänderung der Kantonsverfassung vom 24. Wintermonat 1872, in Betracht, daß die fraglichen zwei Gesetze nichts enthalten, was mit den Bestimmungen der Bundesverfassung im Widerspruch wäre, und daß sie vom Volke des Kantons Appenzell I. Rh.

an der Landsgemeinde vom 29. April 1883 angenommen worden sind, beschließt: 1. Den oben erwähnten Verfassungsgesetzen des Kantons Appenzell I.-Rh. wird hietnit die Garantie des Bundes ertheilt.

2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

*A/\AA/V\AA/VW"*-^--

£1 (Beilage.)

I.

Gesetzesentwurf über

Einführung von Vermittlerämtern im Kanton Appenzell Jnnerrhoden.

Vorlage an die ordentliche Landsgemeinde 1883 zur Annahme oder Verwerfung.

Artikel 1.

Es werden zwei Vermittlerämter eingeführt, eines für den innern Landestheil und eines für den Bezirk Oberegg.

Die Bezirke des innern Landestheiles mögen indessen an der Bezirksgemeinde am ersten Maisonntag laufenden Jahres darüber entscheiden: ob sie für ihren Bezirk ein eigenes Vermittleramt aufstellen wollen.

Die Wahl der Vermittler und deren Stellvertreter im innern Landestheile geschieht aus der betreffenden Bezirksbevölkerung vom Großen Rathe.

Sobald jedoch sämmtliche Bezirke eigene Vermittlerämter beschlossen haben und das gemischte Verhältniß aufhört, übergeht das Wahlrecht vom Großen Rathe an die Bezirke.

In Oberegg werden Vermittler und Stellvertreter schon von Anfang an von der Bezirksversammlung gewählt.

Die Amtsdauer von Vermittlern und Stellvertretern ist zwei Jahre; nicht wählbar sind die Mitglieder der Standeskommission, der Bezirksgerichte und des Kantonsgerichtes, sowie berufsmäßige Anwälte.

22 o

Artikel 2.

Die Vermittler nehmen die durch den Rechtsvovschlag einer Partei bei ihrem Amte eingeleiteten Forderungsstreitigkeiten und Injurienfälle zur Vermittlung an die Hand und überweisen dieselben bei fruchtlosem Vermittlungsversuche durch Ausstellung eines Leitscheines für die klagende Partei an das zuständige Bezirksgericht.

Artikel 3.

Die Parteien werden von den Vermittlern selbst vorgeladen.

Als Zeit der Verhandlungen vor den Vermittlern sind ausgeschlossen die Sonn- und Feiertage, sowie die Zeit der sogenannten geschlossenen Gerichte.

Artikel 4.

Die Vermittlungsgebühren, welche vom Großen Rathe durch den Sporteintarif festgestellt werden, sind von den Parteien zu tragen.

Artikel 5.

Ueber jeden Vermittlungsversuch ist und beim Gelingen der Vermittlung den gratis ein Protokollauszug zu verabfolgen.

Beim Nichtgelingen der Vermittlung die klagende Partei einen Leitsehein an A p p e n a e l i , den 20. März 1883.

ein Protokoll zu führen Parteien auf Verlangen stellt der Vermittler an das Bezirksgericht aus.

Im Namen Landammann und Großen Rath, Der regierende L a n d a m m a n n :

C. Sonderegger.

Der Aktuar:

Ebneter.

23 (Beilage.)

IL

Gesetzesentwurf betreffend

Revision einzelner Artikel der Verfassung 'des Kantons Appenzell Innerrhoden vom 24. Wintermonat 1872.

Vorlage an die ordentliche Landsgemeinde 1883 oder Verwerfung.

Alter Artikel 30.

Die Standeskommission besteht aus den im Artikel 20, Ziffer l bezeichneten, durch die Landsgemeinde gewählten Landesbeamten.

Sie vertheilt die Regierungsgeschäfte unter ihre Mitglieder.

Sie vollzieht die Gesetze und Beschlüsse der Landsgemeinde, ebenso die Verordnungen und Beschlüsse des Großen Käthes und die richterlichen Urtheile.

Sie besorgt den diplomatischen Verkehr.

Sie erledigt alle Geschäfte, die einer Regierung als solcher zufallen und nicht ausdrücklicli einer andern verfassungsmäßigen Behörde zugewiesen sind.

zur Annahme

Neuer Artikel 30.

Bleibt wie bisher.

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Sie erläßt die nöthigen Bestimmungen über das Niederlassungs- und Aufenthaltswesen.

Sie besorgt unter Herbeiziehung eines Mitgliedes aus Hauptleuten und Käthen eines jeden der innern Bezirke das Vormundschaftswesen im innern Landestheile, während dasselbe in Oberegg unter Hauptleuten und Käthen steht.

Sie überwacht insbesondere das Kirchen- und Armenwesen, sowie die Verwaltung der genossenschaftlichen Nutzungsgüter.

Sie sorgt für die beförderliche Erledigung der an sie gerichteten Beschwerden bezüglich die Rechtspflege und die Thätigkeit der Ortsbehörden.

Bleibt wie isher.

Sie bildet behörde für Civil- und Fällen von Formfehlern.

Die Mitglieder der Standeskommission dürfen weder im Gerichte erster Instanz, noch im Kantonsgerichte Sitz und Stimme haben.

In derselben, sowie auch in den Bezirksgerichten und im Kantonsgerichte, können nicht zugleich Vater und Sohn, Brüder, Schwiegervater und Tochtermann sitzen (die Trennung der Ehe durch den Tod hebt den Ausschließungsgrund des letztgenannten Verwandtschaftsverhältnisses nicht auf).

die Kassationsletztinstanzliche Strafurtheile in vorgekommenen

Bleibt wie bisher.

25 IQ wichtigeren Fällen können die regierenden oder sämmtliche Hauptleute der Bezirke beigezogen werden.

Bleibt wie bisher.

Alter Artikel 33.

DieBezirksversammlungbesteht aus allen im Bezirke wohnhaften, nach Artikel 16 stimmberechtigten Kantonsund Schweizerbürgern.

Sie wählt alljährlich am ersten Sonntage im Mai die ihr nach Verhältniß der Bevölkerung zustehende Zahl der Mitglieder in den Großen Rath, sowie auf 600 (in Oberegg auf 300) Seelen Bevölkerung ein Mitglied in das Bezirksgericht ; eine Bruchzahl von mehr als 300 (beziehungsweise 150) Seelen berechtigt ebenfalls zu einer Wahl.

Neuer Artikel 33.

DieBezirksversammlung besteht aus allen im Bezirke wohnhaften, nach Artikel 16 stimmberechtigten Kantonsund Schweizerbürgern.

Sie wählt, alljährlich am ersten Sonntage im Mai die ihr»nach Verhältniß der Wohnbevölkerung zustehende Zahl der Mitglieder in den Großen Rath, sowie auf 800 (in Oberegg auf 300) Seelen Wohnbevölkerung ein Mitglied in das Bezirksgericht; eine Bruchzäh l von mehr als 400 (beziehungsweise 150) Seelen berechtigt ebenfalls zu einer Wahl.

Alter Artikel 38.

Das Kantonsgericht entscheidet 1) über alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auf die nach Vorschrift ergriffene Appellation hin; 2) es erläßt erst- und letztinstanzlich alle Urtheile in Polizei- und Straffällen, die eine Geldstrafe von fünzig Franken, eine Freiheitsstrafe von einem halben Jahre oder das Leben betreffen.

Neuer Artikel 38.

Das Kantonsgericht entscheidet 1) über alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten auf die nach Vorschrift ergriffene Appellation hin ; 2) es erläßt erst- und letzinstanzlich alle Urtheile in Polizei- und Straffällen, die eine Geldstrafe von über fünfzig Franken, eine Freiheitsstrafe von über einem halben Jahre oder das Leben betreffen.

Alter Artikel 41.

Das Bezirksgericht erledigt erstinstanzlich alle büraer-

Neuer Artikel 41.

Das Bezirksgericht erledigt, erstinstanzlich alle bürger-

26 lichen Rechtsstreitigkeiten ; fern e r entscheidet es erstzei- und Straffälle nach Maßgabe des Artikel 38, Ziffer 2, ebenso in allen Injurienklagen.

Alter Artikel 44.

Bei dinglichen Streitsachen, sofern diese Flur und Weide, Bach und Holz, St.eg und Weg betreffen, treten drei Gerichtsinstanzen als sogenanntes Spangericht auf.

Sie haben als solches an Ort und Stelle des Streitgegenstandes den Augenschein aufzunehmen und den Spruch zu fällen.

Die erste Instanz besteht aus fünf Mitgliedern des Bezirksgerichts, soweit möglich aus demjenigen Wahlbezirke, in welchem der Streitgegenstand liegt.

Die z weite Instanz besteht-- mit Ausschluß der Mitglieder der ersten Instanz --' aus eilf Mitgliedern, die nach der Reihenfolge der Wahlbezirke aus dem übrigen Personalbestande desselben Bezirksgerichtes, nöthigen Falles aus demjenigen des andern Landestheiles berufen werden.

Als dritte Instanz tritt dus Kantonsgericht auf.

liehen Rech tsstreitigkeiten; ferner entscheidet es erst- und letztinstanzlich u über n d l ealle t z Politinstanzlic zei- und Straffalle nach Maßgabe des Artikel 38, Ziffer 2, ebenso in allen Injurienklagen.

Zur gültigen Beschlußfassung ist im innern Landestheil die Anwesenheit von 9, in Oberegg von wenigstens 5 Mitgliedern erforderlich.

Neuer Artikel 44.

Bei dinglichen Streitsachen, sofern diese Flur und Weide, Bach und Holz, Steg und Weg betreffen, treten zwei Gerichtsinstanzen als sogenanntes Spangericht auf.

Sie haben als solches an Ort und Stelle des Streitgegenstandes den Augenschein aufzunehmen und den Spruch zu fällen.

0 Die erste Instanz besteht aus 7 Mitgliedern des Bezirksgerichtes, welche soweit möglich aus demjenigen Wahlbezirke, in welchem der Streitgegenstand liegt, und sodann nach der Reihenfolge der Wahlbezirke aus dem übrigen Personalbestande d e s s e l b e n Bezirksgerichtes, nöthigen Falles aus demjenigen des andern Landestheiles berufen werden.

Als zweite Instanz tritt das Kantonsgericht auf.

Dem erstinstanzlichen Spruchgerichte geht eine Vermittlung

27 Dem erstinstanzlichen Spruchgerichte geht eine Vermittlung oder Beaugenscheinigung voraus durch die ersten zwei im Bezirke des Streitgegenstandes bestellten Mitglieder derselben Behörde, die bei der ersten Instanzverhandlung Stimme und Leitung inné haben.

oder Beaugenscheinigung voraus durch die ersten zwei im Bezirke des Streitgegenstandes bestellten Mitglieder derselben Behörde, die bei der ersten Instanzverhandlung Stimme und Leitung inné haben.

Im Falle der Annahme des Gresetzesentwurfes über Einführung von Vermittleräintern fällt die in Art. 32 der Verfassung enthaltene Vorschrift, betreffend Ertheilung der Rechtsvorschläge durch den Landammann, beziehungsweise Hauptmann in Oberegg, hinweg.

A p p e n z e 11, den 20. März 1883.

Im Namen Landammann und Großen Rath, Der regierende Landammann:

C. Sonderegger.

Der Aktuar :

Ebneter.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Garantie von zwei Verfassungsgesetzen des Kantons Appenzell I. Rh. vom 20. März/29.

April 1883. (Vom 29. Mai 1883.)

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Jahr

1883

Année Anno Band

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Volume Volume Heft

31

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.06.1883

Date Data Seite

17-27

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