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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. III.

Nr. 37.

21. Juli 1883.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

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Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Bericht der

ständeräthlichen Kommissionsmehrheit betreffend den Gesetzentwurf über die Beaufsichtigung des Rechnungswesens der Eisenbahngesellschaften.

(Vom 26. Juni 1883.)

Tit.

Den Bedürfnissen und der Bereicherung des modernen Lebens und der modernen Industrie entspricht die Bereicherung des Handelsund Obligationenrechtes durch das Aktieninstitut. Das Aktieninstitut hat gegenüber allen Ausbildungen des römischen Rechtes die prinzipale Eigentümlichkeit, daß der Aktionär weder mit Ehre noch Vermögen über den gezeichneten Aktienbetrag hinaus den Gesellschaftsgläubigern verpflichtet wird. Die Summe der Aktienbeträge ist einzige Garantie der Kreditoren. Das Aktienkapital wird aber auch selbstverständlich nicht mitverwaltet durch die Obligationäre und die übrigen Kreditoren der Gesellschaft, sondern es geschieht dies ausschließlich durch Organe, welche die Aktionäre wählen, und in oberster Instanz durch die Generalversammlung dieser Aktionäre. Der Aktionär kann auch von heut auf morgen mittels Verkaufs oder sonstiger Cession der Aktien seines Rechtsverhältnisses zum Gesellschaftsvermögen sich entschlagen. Er hat mit andern Worten an der Blüthe und Zukunft der Gesellschaft ein sehr ephemeres Interesse. Der Rechnungsmodus an sich ist ein komplikatorischer; die Versammlung der Aktionäre kann durch künstliche Bilanzen und durch unsolide Dividendendekrete den Kurs der Aktien in die Höhe treiben; der Aktionär bezieht heute schmunzelnd diese sündhaft hohe Dividende, er wirft morgen seine Papiere auf den Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. III.

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318 Markt, und bereichert sich durch diesen augenblicklichen, schwindelhaften Mehrwerth der verkauften Aktien. Die Reaktion folgt dem Frevel auf dem Fuße ; der Kredit der Gesellschaft wird erschüttert, das Gesellscbaftsvermögen ist substantiell gemindert, der Geldmarkt für die Aktienvaloren überhaupt wird mehr und mehr zur unproduktiven abenteuerlichen Spielerei; es entsteht, wie bei jeder Spielwuth und- bei jeder Versuchung zu müheloser Erwerbsweise, eine Leidenschaft, die verführerisch auf weite und weitere Kreise wirkt, und nur der mitternächtig dunkle Kulminationspunkt, nicht einmal aber die soziale Hauptkalamität sind jene Differenzialgeschäfte, welche unser Obligationenrecht in viel zu verklausulirter Weise mit dem rein civilrechtlichen Interdikte der Rechtslosigkeit belegt und welche leider in zunehmendem Maße der direkteste Schritt zum grauenhaften ökonomischen und moralischen Ruin so manch' bisher untadelhaften Verwaltungs- und Vertrauensmannes wurden.

Alle übertriebenen Kursschwankungen im Aktien- und Börsenwesen paralysiren den nothwendigen und energischen Unternehmungsgeist und tragen ungemein zur Verminderung jener Mittel vermögen bei, auf welchen zunächst die Wohlfahrt, die Freiheit, das geistige und physische Gleichgewicht und die wirthschaftliche Ehre einer Nation beruhen, und sie sind mittels der Centralisation der Geldmacht ein heilloses Vehikel für jenen verpönten Kapitalismus, der wegen seiner herzlosen und arbeitsscheuen Ausbeute von tausend und aber tausend fremden Arbeitskräften Entschuldigungsgrund und Vorbote der sozialistischen und kommunistischen Katheder- und Kneipenweisheit und der rothen Fahne ist.

Das sind die Schattenseiten des Aktieninstitutes. An sich hat dasselbe seine vollste Berechtigung. Die enormen Fortsehritte des wirthschaftlichen Lebens der Gegenwart und damit die Verschönerung und die geistige, ökonomische und hygienische Bereicherung des individuellen und G-esellsehaftslebens unserer Tage wäre gar nicht möglich gewesen ohne diese Organisation und Potenzirung der Geldund Arbeitskräfte mittels ebenso genial als praktisch ausgedachter Associationen. Wenn unser Jahrhundert in wenig Dezennien für die soziale und kulturelle Entwickelung der Geschichte mehr geleistet hat als früher eine lange Kette von Generationen, so ist es neben den brillanten Resultaten
der naturwissenschaftlichen und mathematischen Forschung jenem kühnen Associationsgeiste zu verdanken, der gegenüber der stets bescheidenen Arbeitskraft des individuellen Menschen auf wirtschaftlichem Gebiete die unermeßliche, wahrhaft ideale Macht der vereint arbeitenden Menschheit personifizirt. Aber mehr noch, -- wäre der Associationsgeist nicht als Großmacht und als erste Arbeitskraft vermittelnd in die Schranke getreten, wir würden unter der Autokratie des omnipotenten Staates schmachten.

319 Der Polizeistaat ist gleichbedeutend mit dem Idol des Absolutismus, der Rechtsstaat hingegen fördert und reift die freiheitliche Entwickelung der Individuen und der korporativen Organisationen. Der Polizeistaat verdrängte und bewältigte die reichen und freiheitlichen Gliederungen des spätem Mittelalters deßhalb, weil im Laufe der Tage die freien und starken, schwung- und lebensvollen Korporationen und Ständevertretungen in schroffem, unbeugsamem Egoismus sich verknöchert hatten und dem unaufhaltsamen Bedürfniß des Menschengeistes nach fortschrittlicher Entwickelung durchaus nicht mehr Genüge thaten. Die alte Ständegliederung ist nun zum tiefen Bedauern jedes historisch angelegten Geistes auf Nimmerwiederkehren in das Grab gestiegen, dem modernen Staate aber darf nun nicht allein das atomisirte Individuum entgegentreten, sonst wird er ein all verschlingender Staatsgott, ein Lassalle'scher oder Bismarck'scher Sozialstaat. Das eminent gesteigerte und erweiterte Arbeitsgebiet der Gegenwart kann ganz unmöglich durch die persönliche Arbeitskraft, sondern muß überhin und vor Allem auch durch die korporative Arbeitskraft erschöpft und befruchtet werden, sonst tritt an Stelle der freien Arbeitsorganisation der Hierarchismus der staatlichen Arbeitsdiktatur. Diese uns beseelende sozialpolitische Grundidee ist gleichbedeutend mit dem germanischen Gedanken des Seifgouvernement, wie er sich nicht nur in der politischen und Rechtsgeschichte, sondern zumal in der nicht minder großartigen Kultur- und Arbeitsgeschichte Großbritanniens und Nordamerikas verkörpert.

Und das ist eben der rechtshistorisch und praktisch ungemein prinzipale und tief gehende Grundgedanke der freien, Vermögensrechtlichen Arbeits- und Brwerbsassociationen überhaupt und speziell auch der Aktiengesellschaft. Der Kapitalfond der Selbsterhaltung und das ethisch-juridische Fundament der Aktiengesellschaft beruht in ihrer ,,Zwecksatzung", d. h. in der Summe der Selbstbeschränkungen, welchen sich der Einzelaktionär in Betreff des Gesellschaftsvermögens und der Verwaltung der Gesellschaftsangelegenheiten freiwillig unterwirft, um nicht nur die solide Hcrauswirthschaftung einer Dividende, sondern gleichzeitig auch die dem Unternehmen zu Grunde liegenden nützlichen und gemeinnützigen Zwecke zu erzielen.

Die Aktiengesellschaft ist vermöge ihrer
juridischen Anlage und ihrer vermögensrechtlichen Unterlage zunächst allerdings persona juris civilis, aber wegen der in That und Wahrheit privilegirenden, eminent beschränkten Haftbarkeit der Partizipanten, wegen des schöpferischen Verhältnisses, in welchem der Staat zu jeder juristischen Person steht und wegen der Ungeheuern Beeinflussung des öffent-

320 lieben Kredites m u ß der Staat vermöge seines fundamentalen juridischen und sittlichen Berufes diese Aktiengesellschaft wesentlich mehr noch, als dies beispielsweise auf mehr oder weniger analogem Gebiet durch die Hypothekargesetzgebung geschieht, unter seine energische hoheitliche Direktion und Obhut nehmen. Die Aktiengesellschaft ist eben keineswegs nur persona juris civilis, sie ist vermöge ihrer objektiven Zwecksatzüug und ihrer magischdunkeln, übermächtigen Attraktions- und Expansivkraft auch naturnothwendig persona juris publici, d. h. der Staat muß ihr gegenüber die öffentlichen Interessen mit seinen legislatorischen, objektiven und vollgerechten Machtgeboten wahren.

Und diese Pflicht tritt da in eminentem Maße ein, wo der Staat die Besorgung ö f f e n t l i c h e r Interessen mittels Konzessionen und Patenten der Privatspekulation anheimstellt, wo, mit andern Worten, der korporative Erwerbs- und Schafienstrieb zum Repräsentanten der Staatszwecke erhoben wird. Das manifestili sich auf keinem Gebiete mit so mathematisch einleuchtender Prägnanz wie auf dem Gebiete der Eisenbahnen. Hier werden die Eisenbahngesellschaften zu staatlich sanktionirten Beherrscherinnen der modernen Heerstraßen, und hier muß der Staat, wenn er nicht seiner Würde und seinen ursprünglichsten Pflichten untreu werden will, energisch dafür Sorge tragen, daß die Eisenbahngesellschaften zu ausgiebiger Bedienung des Publikums und zu intelligenter Bereicherung des Verkehrs nicht nur vertraglich sich verpflichten, sondern daß zumal auch -- ohne welches ja diese Verpflichtung nur bodenlose Theorie wäre -- diese Gesellschaften nicht durch egoistische und liederliche Ausbeute sich selber außer Stande setzen, ihrem Berufe als vollkräftige und lebenswarme Pulsadern des modernen Verkehrs voll und energisch Genüge zu verschärfen. Wir, die wir Gegner des staatlichen Eisenbahnbetriebes, weil Gegner der Staatsomnipotenz in all1 ihren verhängnißvollen und eisernen Konsequenzen sind, wir müssen auf der andern Seite jenes Manchesterthum mit aller Energie bekämpfen, welches mit gekreuzten Armen zusieht, wie privilegirte Organisationen infolge schwindelhafter Ausbeute nicht nur selbst dem Ruin entgegensteuern, sondern tausend und aber tausend bürgerliche Vermögen dezimiren und in den Strudel mit hinunter ziehen, und wie dadurch die
sonst so energisch gepflegte Verbindung der verschiedenen Gaue des Vaterlandes unter sich und mit den geistig und ökonomisch befruchtenden Centren der Nachbarstaaten unterbunden und paralysirt wird. Nur eine frische, kühne, muth- und arbeitsvolle Rivalität mit den großen Nachbarstaaten auf allen Gebieten der Volksarbeit kann für einen kleinen Staat die Arena wahrer Selbstständigkeit und wahrer Ehre sein, die wahre Muskelkraft hiefür aber findet sich in der ökonomisch tüchtigen Alimen-

321 tation jener Körperschaften, die gleichsam als Pferde und Läufer auf dem überaus ernsten Schachbrett zu betrachten sind, auf welchem sich unser internationale Kulturkampf um's Dasein abzuspielen hat.

Wir wollen die finanzielle Eisenbahnmisere des Schweizerlandes mit keinem Worte schildern, es hieße dies gegenüber der bundesräthlichen Botschaft vom 6. März 1883 und Angesichts der äußerst tragischen Mission eines parlamentarischen Triumvirates in der Ostschweiz Eulen nach Athen getragen. Wir konstatiren nur, daß über die ziffernmäßigen Aussetzungen ab Seiten des Bundesrathes gegenüber den Bahnbilanzen trotz deren frappanten und flagranten Charakters das sonst scharf gehaltene Gegenmemorial der fünf größern Eisenbahngesellschaften in würdevolles Schweigen sich gehüllt, während es in That und Wahrheit mit Hinsicht auf die Bedürfnißfrage zu einem diesbezüglichen Gesetzerlasse auf Eines herauskäme, ob auf so und so viel -- immerhin verhältnißmäßig nicht sehr viel -- schweizerische. Bahnkilometer fünfzig oder fünfuridachtzig Millionen Franken ohne alle innere Berechtigung auf den Baukonto getragen worden sind. Die heillose Kalamität besteht überhaupt darin, daß solche Vorkommnisse gerade wegen ihres Charakters der Alltäglichkeit nur mehr sehr abgeschwächte moralische Affekte vor dem allerdings sehr dehnbaren Forum der öffentlichen Meinung äußern, und das staatlich und politisch Sund- und Fehlerhafte besteht darin, daß trotz Art. 18 des in Kraft bestehenden Eisenbahngesetzes solche Dinge .so ganz und gar und ungeseheut im Land der biedern Eidgenossen in den Bereich der Möglichkeit gehören. Es ist für alle Dinge gut, wenn man sie auf möglichst einfache Eletnentargrundsätze zurückzuführen sucht, und so wenig wir jemals dem Axiom des florentinischen Hof politikers applaudiren werden, daß die öffentliche und private Moral nicht die gleichen Grundsätze zu beachten hat, so dringend und zwingend führte und führt die volkswirtschaftliche und juridische Notwendigkeit dazu, daß man die Rechnungs- und Rapportweise großer Handelsund Verkehrsgesellschaften einer künstlichen Terminologie entkleidet, um die unrevidirbaren Grundgesetze einer hausbackenen Moral und einer hausväterlich soliden Geschäftsführung mit praktischem Verständniß auf sie anzuwenden.

Fragen wir nach der p o s i t i v e n staatlichen Kompetenz,
so liegt dieselbe in Art. 26 der Bundesverfassung über die Massen klar verurkundet. In höchster Allgemeinheit verleiht hier die Bundesakte derEidnossenschaft die Gesetzgebungshoheit über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen. Zum Betrieb eines Geschäftes gehört aber vor Allem und Jedem, so lange wir auf diesem materiellen Erdplaneten und nicht in einem Elysium oder Eldorado uns befinden, der nervus rerum,

322 Geld und wieder Geld. Die Eisenbahnen sind ihrer ganzen Natur nach ein öffentliches Institut, die Kompagnien sind mit den weitestgehenden öffentlichen Rechten, mit der Polizeihoheit und dem Expropriationsrecht ausgestattet. Alle konzessionsgemäßen Rechtsarnen haben ihre Quelle in der Staatshoheit, im Gegensatz zu den reinen Privatrechten, welch' letztere älter und ursprünglicher als der konstituirte Staat sind. Die konzessionsgemäßen staatlichen Zugeständnisse müssen allerdings wie jedes vertraglich gegebene Wort heilig gehalten werden, aber diese konzessionsgemäßen Rechte sind kein donum gratuitum, sie haben einen synallagmatischen Charakter, sie wurden gegeben, auf daß ungemein intensive und wichtige Pflichten gegenüber Staat und Volk erfüllt werden, und darum muß der Staat in allererster Linie dafür Sorge tragen, daß nicht der Egoismus die materielle Unterlage zu einer energischen und treuen Erfüllung dieser Pflichten erschüttere und paralysire. Eigenthümlieh muthet uns an, daß eine scharf juridische Feder im Namen der Eisenbahnen sagen mag, das Obligationenrecht verlange oder gestatte eine direkte, spontane Intervention der staatlichen Behörden in die Geschäftsführung der Handelsgesellschaften nicht, also sei dieselbe überhaupt nicht zulässig. Ist denn das Obligationenrecht die abschließend erschöpfende Emanation der gesetzgeberischen Souverainetät des Staates? Darf das Obligationenreeht, weil höchst dogmatischen Charakters, keine ergänzende Novelle und nicht die mindeste Revision erhalten ? Liegt nicht noch etwas hinter und über dem Obligationenrechte -- das Grundgesetz gemeiner Eidgenossenschaft, und überhaupt die forterzeugend schöpferische Gesetzgebungsautorität des Staates?

Uebrigens respektiren wir das Obligationenreeht, wir wollen ihm nur seriösen und nothwendigen Vollzug gewähren, wir wandeln durch und durch auf den durch das Obligationenrecht gebahnten Wegen, und wo im materiellen Theile des Gesetzesentwurfes von den Postulaten des Obligationenrechtes ausnahmsweise abgewichen wird, da haben sich die Bahnverwaltungen und die Aktionäre am allermindesten zu klagen, da geschieht es zu allermeist nach i h r e r Tendenz und in i h r e m Interesse.

Ja wohl, als Grundprinzip und Seele unseres Gesetzentwurfes rufen wir in Art. l dem Vollzuge des Obligationenreehtes. Und was ist das leitende
Prinzip des Obligationenrechtes und des gemeinen Rechtes überhaupt gegenüber den Aktiengesellschaften?

Die Jurisprudenz und das deutsche Handelsrecht verurkunden dieses noch viel energischer und konsequenter als unser schweizerisches Recht. Dieses Prinzip krystallisirt sich .in der kurzen Vorschrift von Art. 656, Ziff. 6, des Obligationenrechtes, daß nämlich der

323 Betrag des Grundkapitals unter die Passiven aufzunehmen ist. Mit andern Worten, das Grundkapital darf überhaupt nicht, und zumal nicht durch Dividendenbezug geschmälert werden. Das Grundkapital muß als sehr beschränktes Surrogat der persönlichen Haftbarkeit und der hypothekarischen Versicherung für zwei elementare Dinge garantiren, für Erfüllung der privatrechtlichen und der öffentlich rechtlichen Verpflichtungen, d. h. für Zahlung der Gesellschaftsschulden und für die Leistungsfähigkeit der Bahn nach Maßgabe der gesetzlichen und konzessionsgemäßen Postulate. Auf Rückbezug des Grundkapitals hat der Aktionär absolut kein Recht, bis nach allen Richtungen zeitlich und vollinhaltlich der Pflichtenkreis der Gesellschaft definitiv erschöpft ist. Der einzelne Aktionär kann gegenüber der Gesellschaft sein Rechtsverhältnis- dadurch lösen und dadurch liquidiren, daß seine Theilquote am Gesellschaftsvermögen übertragbar ist und daß er die Aktie auf den Geldmarkt werfen kann. Gegenüber der Gesellschaft hat er ein Auszahlungs- und Forderungsrecht auf den R e i n g e w i n n und n u r auf den Reingewinn. Das Grundkapital ist vermögensrechtlich identisch mit der juristischen Person der Bahn, es ist ein separirtes, verhaftetes und verpflichtetes Zweckvermögen nach Maßgabe der feierlichen, konzessionsgemäßen und statutarischen Verurkundung. Nun muß eine Kompensation zwischen Vermögen und Grundkapital vorhanden sein. Beide Dinge verhalten sich zu einander wie Soll und Haben. Das Vermögen drückt das ,,Habentt und das Grundkapital das ,,Soll" aus. Eine immer reell sein sollende, aber gerade wegen der Dunkelheiten der Rechnungsstellung nicht immer reelle Waage für dieses gegenseitige Gewichtsverhältniß ist der Kurs der Aktien -- pari, unter oder über pari. Und wenn bei normalen Kursverhältnissen der Aktionär auf dem Geldmarkt weniger erhält als den einbezahlteu nominellen Betrag der Aktien, so muß er eben damit sich genügen, daß er auf seinen Verlustkonto pro rata lediglicher Dinge das zu schreiben hat, was schon ehedem im Großen und Ganzen auf den Verlustkonto des Gesellschaftsvermögens gesehrieben werden mußte. Zu Erzielung richtiger Kurse und zu Behinderung der Gesellschaftsexploitation ist nun hochnothwendig, daß die Bilanz eine möglichst klare, wahre, logische und korrekte Photographie des Gesellschaftsvermögens
präsentire. Und wie dieses zu geschehen habe, besagt Art. 656 des Obligationenrechtes. Wir wollen Sie mit Aufzählung dieser naturgemäßen, technischen Detailbestimmungen nicht ermüden; wir müssen nur betonen, daß das Obligationenrecht in Folge seiner parlamentarischen Ausgestaltung in all' ' seinen sieben Kautelen keineswegs die logisch und juridisch unbestreitbare und gesunde These des deutschen Handelsgesetzbuches ganz konsequent verfolgt, welch' letzteres in Art. 216 also lautet:

324 ,,Der Aktionär kann den eingezahlten Betrag nicht zurückfordern, und hat, ,so lange die Gesellschaft besteht, nur einen Anspruch an den reinen Gewinn, soweit dieser nach dem Gesellschaftsvertrage zur Vertheilung unter die Aktionäre bestimmt ist." Allerdings besagt Art. 630 unseres Obligationenrechtes nicht minder kategorisch: ,,Dividenden und Tantiemen dürfen nur aus dem reinen Gewinn, welcher sich aus der Jahresbilanz ergibt, bezahlt werden." Aber wir werden .bald sehen, wie Art. 656 dieses Grunddogma nicht mit unbeugsamer Konsequenz zu realisiren sich bestrebt.

In Art. 2, Absatz l und 3, unseres Gesetzentwurfes sagen wir nur deutlicher, aber im Grunde nichts mehr und nichts weniger als Art. 656, Ziff. 2, des Obligationenrechtes, wo eben gesagt wird : ,,Grundstücke, Gebäude, Maschinen sind höchstens nach den Anschaffungskosten mit Abzug der erforderlichen und den Umständen angemessenen Abschreibungen anzusetzen."· Es soll hiermit sachenrechtlich bezüglich des Bahnkörpers der richtige, wahre Werth ermittelt werden. Es soll nicht mehr und nicht weniger auf den Baukonto getragen werden, als was nach dem arbitrium boni viri in That und Wahrheit zu Frucht und Nutzen der Bahn verbaut worden, mit andern Worten, was nicht verschwindelt und nicht vernachlässigt, sondern was reell verauslagt und veranlagt worden ist. Was als Geldpreis zu Erzielung seriöser, technischer Werthe ausgegeben worden, Das, nur Das, aber all' Das soll und darf als Valor angerechnet werden. Der Baukonto, d. h. der Bahnkörper, ist der bei Weitem kapitalste Bestandteil des Vermögens, die Bahn besitzt keine Bankdepositen und keine Hypotheken, um so eminent wichtiger ist es, daß auf dem Baukonto nur reelle Werthe flguriren. Aus dem Bahnkörper müssen alle Einnahmen herausgeschlagen werden. Wenn dieser verlottert ist, dann ist die Sicherheit des Betriebs gefährdet, und schon aus bahnpolizeilichen Beweggründen muß der Bund sein scharfes Auge darauf richten, daß die Jahresbilanzen dießbezüglich keine Schein- und Schwindelbeträge präsentiren.

Wenn wir sodann sagen: ,,Die Unterhaltung und der Ersatz der bestehenden Anlagen und Einrichtungen sind aus den jährlichen Einnahmen zu bestreuen", so liegt in dieser Redaktionsweise eine äujßerst bedeutsame, allerdings materiell gerechtfertigte Konzession an die Bahngesellschaften gegenüber dem
bundesräthlichen Entwurfe, welcher in seiner negativen Fassung Kosten für Neuanlagen und Materialbeschaffung nur in dem Maße dem Baukonto zuschreiben lassen wpllte, als hiedurch der Werth u n d die Ertragsfähigkeit des Unternehmens erhöht wurden. Die Zusammenkoppelung dieser zwei Requisite : Werth u n d Ertragsfähigkeit, welche eben

325 naturnothwendig keineswegs immer mitsammen in Erfüllung gehen, hätte dann allerdings zu chikanosen Interpretationen Anlaß bieten können. Sehr reelle und dem Publikum nützliche Vorkehren können oftmal die Ertragsfähigkeit der Bahn keineswegs vermehren, und da wäre es eine Ungerechtigkeit, wenn die Deckung all' dieser Auslagen dem Dividendenbezug voranzugehen hätte. Hiedurch würde der gute Wille und der noble Pflichteifer für Verschönerung und innere Vervollkommnung des Bahnkörpers eigentlich paralysirt. Deßwegen folgen wir inhaltlich voll und ganz der Definition der Bahnen, welche auf Seite 7 ihres Memorials besagen: ,,Auf Betriebsrechnung gehört Alles, was für die Unterhaltung und den Ersatz der Anlagen und Einrichtungen verauslagt wurde." Es entspricht die Regelung dieser Verhältnisse auch ganz einem Rechtsgutachten der schweizerischen Centralbahn, welches eine Belastung des Baukonto für den Fall in Aussicht nimmt, wenn die betreffende Ausgabe eine r e e l l e W e r t h V e r m e h r u n g der Bahn zur Folge hat. Die Regierung von Bern geht in ihrer Eingabe dieß bezüglich auch ganz mit unserm Kommissionalantrage einig, indem sie auf Baukonto schreiben lassen will, was nicht für die Unterhaltung und den Ersatz der bestehenden Anlagen und Einrichtungen, sondern für Ergänzungs- und Neuanlagen, die eine Vermehrung oder wesentliche Verbesserung der bestehenden Anlagen bilden, verausgabt worden sind.

Dagegen kann ganz unmöglich auf das anderweitige Postulat der Regierung von Bern eingegangen werden, daß die Baurechnung der im Betrieb befindlichen Linien zu schließen sei. Es wäre dieß ein exorbitantes Privileg zu Gunsten der erbauten Linien, und wenn man die detaillirten, in keiner Weise widerlegten Aussetzungen in der bundesräthliehen Botschaft liest, denen zufolge von den fünf größern schweizerischen Bahnen über 15 Millionen Franken ohne innere Berechtigung auf den Baukonto hingeschrieben wurden, so kann man ohne schwere Schädigung berechtigter Staatsinteressen ganz unmöglich Generalamnestie gewähren. Uebrigens, was will das sagen: ,,Schließung des Baukonto? a Der Baukonto ist nach Maßgabe der stets sich erneuernden Bauinteressen eine fluktuirende, perennirende, nie endschaftlich abgeschlossene Position.

Eine tiefgehende, innerlich begründete Konzession gegenüber den Bahnen liegt hinwieder darin,
daß die Organisations- und Verwaltungskosten, welche während des Baues einer Bahn im Interesse der Erstellung und der Einrichtung derselben erlaufen sind, den Baukosten gleich gehalten werden, d. h. nicht zur Amortisation gelangen müssen. Man kann allerdings nicht sagen, diese Organisations- und Verwultungskosten verkörpern sieh direkte in bleiben-

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den, realen Wertheu, dagegen repräsentiren sie immerhin eine auf den Bau verwendete und für denselben unerläßliche geistige und administrative Arbeit. Sie bilden eine rechtliche und thatsächliche Parallele zu den Salarien für die technische und zu den Tagelöhnen für die physische Bahncrstellung. Sie repräsentiren den in verauslagten Geldbeträgen fixirten Preis für die Oberleitung und die administrative Ermöglichung des Bahnbaues. Hiermit geht die Kommission zu Gunsten der Aktionäre von den stringentern Bestimmungen des Obligationenrechtes ab, indem dasselbe alle Organisations- und Verwaltungskosten ohne irgendwelche Ausnahme in Ausgabe zu bringen und die Verwaltungskosten ohne Weiteres, die Organisationskosten in längstens fünf Jahren zu amortisiren vorschreibt. Wir unterscheiden hier ganz so, wie das Memorial der Eisenbahngesellschaften, indem dasselbe auch nur ,,denjenigen Theil solcher Kosten, welcher mit der Anlage und Einrichtung der Bahn zusammen gehta, zu den Anlagekosten gerechnet wissen will. Es muß eben dießbezüglich unbestreitbar eine thatsächliche und rechtliche Besonderheit zwischen der Eisenbahngesellschaft und den übrigen Aktiengesellschaften in billige Würdigung gezogen werden.

Die Handelsgesellschaften haben keine spezifische Bauperiode durchzumachen, sondern ihr Aktienkapital fruktifizirt sich bei normalen Verhältnissen gleich von Anbeginn, darum sollen und dürfen nach Obligationenrecht die Organisations- und Verwaltungskosten das Grundkapital überhaupt nicht attaquiren, indem sie eben von Anfang an reine Betriebsauslagen und um deßwillen durch den Betrieb zu decken sind. Bei den Eisenbahngesellschaften kann aber während der Bauperiode von einem Betrieb noch überall nicht die Rede sein, und deßwegen dürfen die für den B a u verwendeten Verwaltungskosten den B a u konto belasten.

Anders verhält es sich mit den G r ü n d u n g s kosten. Dieselben verkörpern sich in keinerlei realen Vermögenswerthen. Die Gründungskosten erlaufen sammt und sonders vor der endgültig statutarischen Selbstkonstituirung und Einregistrirung, also vor dem schöpferischen Werdensakte der Aktiengesellschaft. Gründung und Erstellung der Bahn muß man logisch und vermögensrechtlich haarscharf aus einander halten, und wenn die Gründung auch von einem Konsortium ausgeht, so ist dieses Konsortium eine societas
rei unius, eine Vereinigung zu e i n z e l n e n Geschäften für gemeinschaftliche Rechnung, keine juristische Person mit bleibendem Charakter, keine Handelsgesellschaft im Sinne des Handels- und Obligationenrechtes. Die Aktiengesellschaft entsteht für sich, sie ist nicht Rechtsnachfolgerin der Gründer, und Endemann's ausgezeichnetes Handbuch des deutschen Handelsrechtes verurkundet

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feierlich, daß die Gründungskosten das Grundkapital der Gesellschaft niemals schmälern, mit andern Worten, daß dieselben nicht in Reduktion der einbezahlten und unter den Passiven figurirenden Aktiensumme auf die Aktiven-Positionen der Bilanz geschrieben werden dürfen. Dürften die Gründer das Aktienkapital zum vornherein attaquiren, beziehungsweise zu demselben in das Verhältniß der Kreditorschaft treten, dann würden unproduktive, halt- und gehaltlose Gründungsprojekte wie Pilze aus dem Boden steigen, das wucherliche oder abenteuernd-waghalsige Drohnen- und Blutsaugerthum würde sich vom Marke der Landeswohlfahrt und der Landesehre nähren, und wir hätten die gleichen korrumpirenden Verhältnisse wie bei absoluter Wucherfreiheit, daß nämlich der Richter intensiv unmoralische, aber mit gesetzlichen Formen umkleidete Erpressungen und Erschleichungen zu vollendeter Diskreditirung des ehrlichen Schweizernamens mit seinem autoritativen Arm zu schirmen hätte.

Daß die auf dem Obligationenkapital haftenden Kursverluste zu amortisiren sind, das sollte sich so lange ohne Weiteres von selbst verstehen, als Schulden und Vermögenseinbussen nicht bleibend unter die Aktiven eingeschrieben werden dürfen. Es ist dies keineswegs eine Erfindung des vorwürfigen Gesetzentwurfes, sondern die Verurkundung eines äußerst elementaren mathematischen Gesetzes ab Seiten des Obligationenrechtes. Diese Kursverluste sind nun einmal nichts Anderes als unter die Aktiven des Gesellschaftsvermögens aufgetragene Nonvaloren, während sie gerade die Summe repräsentiren, welche die Gesellschaft in That und Wahrheit weniger erhalten hat, als die unter die Passiven eingetragene Obligationensumme. Weil -- l in -j~ l verwandelt eine Differenz von 2 gibt, so sind sie in verdoppeltem Bezug fiktive Werthe. Mit dem Zinsfuß von Anleihen, welche mit einem Kursverluste abgeschlossen werden, verhält es sich in That und Wahrheit so, daß der effektive Zinsfuß höher und nicht niedriger ist als der normale. Der Bundesrath replizirt mathematisch ganz und gar lucid : ein Anleihen von 100 zu 90 ausgegeben und zu 4 1k verzinslich bezahlt in Wirklichkeit nicht 4 Va, sondern 5 °/o. Ein e f f e k t i v niedrigerer Zinsfuß, als der der Pariemission gemäße, kommt in der überlangen Keihe der eingebuchten Kursverluste noch unvergleichlich seltener vor als eine Oase
in der Wüstenei Sahara, d. h., man weiß hiefür k e i n e i n z i g Beispiel anzuführen. Nur bei den fünf größern schweizerischen Bahnen figuriren unter den Aktiven Kursverluste im Betrage von Fr. 39,218,000. Unser Obliga.tionenrecht führt, wie schon erwähnt, im Gegensatze zum deutschen Handelsrechte sein gleichfalls an die Spitze gestelltes Axiom, daß die

328 Aktionäre bis nach Wiederergänzung des durch Verluste geminderten Gesammtbetrages der Einlagen Dividenden nicht beziehen dürfen, nicht klar und logisch durch, indem es die e i n s tw e i l i g e Aufnahme der Kursverluste , welche doch nichts weniger als Realitäten sind, in den Baukonto gestattet. Aber immerhin postulirt es deren allmälige Amortisation. Und diese Amortisation ist hierlands ein um so urgenteres Bedürfhiß, weil das Aktienkapital, beziehungsweise das Stammvermögen unserer Bahnen mehrentheils bis zur Diagnose hochgradig hektischer Verhältnisse reduzirt ist, und weil die Nonvaloren ungefähr einen Viertheil ,,der Gesammtaktiven tt der schweizerischen Bahnen bilden.

Ein anderes Bewenden als mit den Kursverlusten auf dem Obligationenkapital hat es allerdings mit den Emissionsverlusten bezüglich des Aktienkapitals. Die Obligationen sind Schulden der Gesellschaft, welche zu verzinsen und heimzubezahlen sind. Die Aktien sind dagegen Theilhaberpapiere -- Partialen -- am Stammgut, am Vermögen der Aktiengesellschaft. Von der Rückzahlung der Aktie kann auch naturgemäß und juridisch bis zu allseitiger Liquidation und bis nach Befriedigung aller Forderungsrechte nicht die Rede sein. Die Aktie repräsentirt auch nach bisherigem Aktienrechte, weil sie eben nicht zum vollen Nominalbetrag einzubezahlen war, und vermöge ihres Quotenverhältnisses zum Gesellschaftsvermögen, viel weniger einen ihrem N o m i u a l w e r t h entsprechenden obligationenrechtlicheu Forderungstitel gegenüber der Gesellschaft als eine pimentale Antheilhaberschaft am Stammvermögen.

Deßwegen kann man ohne materielle Gefährde von Drittmannsrechten und in billiger Würdigung der gegebenen Verhältnisse die Eisenbahngeseilschaften ohne jede Inkonsequenz von der Amortisation der Emissionsverluste auf Aktien befreien, während man sie zur Amortisation der Kursverluste bezüglich der Obligationen zwingt.

Zur Sanirung unserer Bahnfinanzen muß unter allen Umständen leitender Grundsatz sein, daß die auf Baurechnung befindlichen Nonvaloren aus den jährlichen Einnahmeüberschüssen zu amortisiren sind. Und als Doppelkriterium fili- Ermittelung des jährlichen Amortisationsbetrages kann vernünftigermaßen absolut kein anderes herausgefunden werden, als das Total der zu amortisirenden Ziffern auf der Einen und das Jahreserträgniß des Betriebes
auf der andern Seite, d. h. die Summe der Verpflichtung und die verständig gezogene Möglichkeitsgrenze zur Erfüllung.

Bezüglich der Amortisation der Gründungskosten, sowie der Organisations- und Verwaltungskosten, soweit letztere überhaupt zu amortisiren sind, d. h. soweit sie nicht in die eigentliche Bau-

329 période fallen, bringt unser Entwurf den Eisenbahnaktionären gegenüber dem Obligationenrechte, d. h. gegenüber allen andern Aktionären, die allerdings nothwendige, aber auch ganz eminente Modifikation, daß diese gegenstandslosen Positionen nicht sofort, beziehungsweise nicht in einem Zeitraum von höchstens fünf Jahren, sondern nach Maßgabe des soeben präzisirten Doppelkriteriüms zu: amortisiren sind. Erlassen wir kein Spezialgesetz, so verbleibt es diesbezüglich bei den für die Bahnen zu Liquidation ihrer finanziellen Vergangenheit allzu drakonischen und darum vielfach unausführbaren Postulaten des Obligationenrechtes, und wir können schon um deßwillen eine interessive' Opposition gegenüber einem Gesetzentwurfe nicht begreifen, welcher in seinen materiellen Partien gegenüber dem sonst maßgebenden gemeinen Rechte- für die Opponenten nur Milderungen bringt.

Wenn unser Entwurf materiell noch sagt, daß die Erneuerungsund Reservefonds aus den Einnahmeüberschüssen zu bestreiten sind, so ist das insoweit nur eine redaktionelle Version für eine gleichwerthige Bestimmung in Art. 656, Ziffer 6, des Obligationenrechtes.

Das Obligationenrecht wird durch uns dadurch nur ergänzt, daß diese Fonds ,,nach dem Bedürfniß zu bemessen sinda. Der Reservefond im engem Sinne (Reservekapital, Schadensreserve) ist grundbegrifflich der zu Deckung außerordentlicher, nicht im Voraus veranschlagbarer Ausgaben und Verluste aus jährlichen Rücklagen des Reingewinns gebildete Fond, der zwar einen integrirenden Theil des Gesellschaftsvermögens bildet, aber getrennt von demselben zu verwalten ist. Der Erneuerungsfond verhält sich zu den ordentlichen Reparaturen und Umbauten wie der Reservefond zu den unvorgesehenen Verlusten. Die rechtliche und thatsächliche Lostrennung dieser Fonds von der übrigen Vermögensverwaltung würde ihnen erst vitale Bedeutung und innere Virtualität verleihen, und es wäre dies um so wünschenswerther, weil für eine andere Kategorie hochwichtiger Verpflichtungen, für die Entschädigung bei Unglücksfällen, unsere Bahngesellschaften absolut keine sattsame materielle Garantie gewähren. Im tragischen Ernstfalle würde die großentheils selbstverschuldete finanzielle Déroute der schweizerischen Bahnen diesbezüglich eine hoch-energische Illustration erhalten, und die von allzu gerechtem Mitleid gegen die Verwundeten,
die Getödteten und deren Hinterlassene gesteigerte Entrüstung der öffentlichen Meinung dürfte dann auch gegen jenen Staat sich wenden, der gefühllos und pflichtwidrig von zusammengewürfelten und zusammengetrommelten Aktionärsmajoritäten die Gesellschaftskassen exploitiren ließ, bevor für technisch vollbegriindete Verkehrssicherheit sowie für Lösung des verpfändeten Wortes gegenüber den Opfern eines fahrläßigen Betriebes irgendwie materielle Gewähr geboten war.

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Aber was wollen wir um's Himmelswillen von Unfallversicherungskassen sprechen, so lange der ursprüngliche Vermögensbestand der meisten Gesellschaften in tiefbetrübender Dekadenz begriffen ist?

Die substanzielle Sonderung der mit besondern rechtlichen Zweckbestimmungen ausgestatteten Fonds kann und soll dann auf dem Wege der hoheitlich administrativ-richterlichen Praxis, beziehungsweise einer Gesetzesnovelle, sich von selbst ergeben, und hinwieder muß erst in Anlehnung und ' in Alimentation aus den in unserm Gesetze erwähnten Fonds und überhaupt aus der Eekonstruktion der gesatnmten Verwaltungsmaximen die Möglichkeit eines Unfallversicherungsfond sich herausgestalten. Jetzt thut vor Allem noth, solide, auf dem gemeinen Recht beruhende, haushälterische Rechnungsgrundsätze für die Bahnen klar und energisch gesetzgeberisch vorzuzeichnen, und vor Allem und Jedem Organe zu bestimmen, welche diesen Grundsätzen mit Pflichtbewußtsein und Machtfülle autoritative Verwirklichung gewähren.

Und mit dieser Betrachtungsweise gelangen wir nun zum exekutorischen Hauptthema des Gesetzentwurfes. Die kapitale Neuerung und Ergänzung des Obligationenrechtes durch unser Gesetz besteht darin, daß jene Vorschriften über das Rechnungswesen, auf deren Erfüllung bei den übrigen Aktiengesellschaften der Aktionär vor dem civilrechtlichen Forum Klage führen kann, bei den Eisenbahnen mittels ständiger, exakter Kontrole, ohne Gewärtigung der individuellen Klage eines privaten Interessenten, von Staatswegen gefordert, beziehungsweise direkte und spontan vollzogen werden sollen.

Das römische Recht kannte bei in das Civil- und Polizeirecht zugleich hinüberspielenden Rechts- und Interessenfragen die sogenannten ,,Popularklagen", wo nicht nur der ad rem oder quoad personam Berechtigte, sondern ein Jeder klagen konnte. H i e r aber liegen neben den privatrechtlichen Interessen nicht etwa subalterne Polizeifragen, sondern staatliche und allgemeine Interessen im eminentesten Sinne des Wortes auf dem Spiele. Wir wollen nicht mehr daran erinnern, daß die Bahngesellschaften öffentliche Funktionen, gestützt auf einen öffentlichen Rechtsakt, mit thatsächlichem Monopol ausüben ; für uns ist der Rückkauf zwar allerdings nichts weniger als eine Frage der Sympathie, aber immerhin eine Frage klar liegenden, unveräußerlichen Rechtes, wo die
jeweiligen Mandatare des Staates das Recht des Staates auf den Rückkauf durch jeweilige Präzisirung der Rückkaufssumme zu wahren pflichtig sind. Das elementarste Moment liegt jedoch für uns darin, daß alle Gesetze und alle staatlichen Kontroiorgane für Wahrung, eines sichern, zeitgemäßen und fortschrittlichen Bahnbetriebes rein gegenstandlos und fruchtlos sind, wenn sich die Bahn im Zustande thatsächlicher Insolvenz befindet. In gesetzgeberischer Ausführung des.

331 Art. 26 der Verfassung wird dafür gesorgt, daß der Bau einer Bahn nicht begonnen wird, bis der FinanEausweis erstellt ist; warum sollte nicht für die mindestens ebenso wichtige Betriebssicherheit durch ein staatliches Mit- und Einspracherecht gesorgt werden?

Es wird hiedurch, wie gesagt, das materielle Recht der Aktionäre nicht um eines Zolles Breite eine Schmälerung erleiden, i h r Recht konzentrirt und reduzirt sich auf den Reingewinn, d e r allein ist ihre Sache, und bezüglich dieses Reingewinns erhält der Bundesrath keinerlei Retentionsrecht. Das Z w e c k v e r m ö g e n dagegen ist ein juridisch gesichertes, gefestetes, geheiligtes Vermögen, und diese Unterscheidung ist keine autokratische Willkür, sie ist sanktionirt durch das Obligationenrecht, sie ist die juridische Seele, der logische Grundkern des Instituts der Aktiengesellschaft. Es hätte nun in That und Wahrheit Vieles für sich, wenn gegenüber a l l e n Aktiengesellschaften für E r h a l t u n g des G r u n d k a p i t a l s der Staat ein verständig definitirtes Mitspracherecht besitzen würde, diese Institute würden hiedurch nur vom odiosen, kompromittirenden Privilegium des systematisirten Schwindels und einer wenig etn-enhaften, wenig loyalen Künstelei befreit, ihr Kredit würde hiedurch nur höchst nothvvendige Stärkung und Konsolidation erhalten und ein hochbedeutsames Stück sozialer Frage harrt und ruft diesbezüglich einer spätem konsequenten Lösung. Zumal aber bei den Eisenbahngesellschaften kann man ganz unmöglich sich auf den guten Willen des ephemeren Einzelaktionärs verlassen, für sein unbewaffnetes Laienauge ist die Situation zu astronomischer und meteorologischer Orientirung eine viel zu komplikatorische. Und daß eine an sich klare Situation unter den ziäerkundigen Händen der Herren Redaktoren der Bilanzen und Rapporte mit der Weihe eines orakelhaften, magischen Halbdunkels umkleidet werde, dafür muß man -- rein objektiv gesprochen -- um die psychologischen Gründe leider nicht verlegen sein; wir weisen darauf hin, daß jeder negotiorum gestor und jeder Mandatar von Herzen gern einer klugen und erfolgreichen Wirtschaftsführung sich berühmt (wir gedenken nur der amtlichen Geschäftsberichte), wir verweisen darauf hin, daß in der Regel die Herren Kechnungssteller ein Tantiemenrecht am Dividenden- oder Superdividendenbetrag
besitzen, und wir konstatiren ferner, daß man den Kredit der Gesellschaft sowie den Kurswerth der Aktien und der Obligationen mit Palliativmitteln dergestalt auf Unkosten gutgläubiger Drittpersonen zu erhalten sucht.

Und der Aktionär w i 11 n i c h t klagen, weil sein Privatinteresse mit der bleibenden Prosperität der Bahngesellschaft viel zu wenig konservativ verwoben und verwachsen ist. Der einzelne Aktionär ist übrigens ein Atom im gesetzlichen Organismus der Gesellschaft, laut Obligationenrecht ist ihm die Einsicht in das geheime Räder-

332 werk der Gesellschaft ungemein erschwert, mit irgend welch1 rechtlicher und gesetzlicher Autorität ausgestattet ist nicht die Minderheit, sondern die -- zumal, wenn es um's Nehmen geht -- fast immer approbirende und applaudirende, in den Majoritätsbeschlüssen personifizirte Generalversammlung.

Die Unterbreitung der Bilanz unter die bundesräthliche Kontrole ist übrigens kein absolutes gesetzgeberisches Novum. Laut Art. 18 des Eisenbahngesetzes ist nicht nur der ursprüngliche Baukonto, sondern jedwede Vermehrung des Betriebsmaterials dem Bundesrathe zu verzeigen, und derselbe hätte die Form festsetzen sollen, in welcher diese Rechnungen aufzustellen sind. Der Baukonto repräsentirt nun, wenn auch nicht immerdar das volle Hahen, so doch immerhin den eminenten Hauptbestandtheil des Habens einer Bahngesellschaft, und es ist nur eine konsequente Weiterführung dieser leider viel zu gegenstandslos gebliebenen Gesetzesvorschrift, wenn nun Jahr um Jahr die ganze Bilanz in Haben und Sollen zu materieller Verifikation dem Bundesrathe unterbreitet werden soll.

Unser Gesetzentwurf zeichnet sich aber gegenüber Art. 18 des Eisenbahngesetzes dadurch aus, daß er eminent weniger als letzterer das spezifische Interesse des Rückkaufs in das Auge faßt, sondern daß er weiter und weitherziger sein Augenmerk darauf richtet, damit das Grundkapital der Gesellschaft seinen öffentlichen Pflichten und zugleich auch den Gesellschaftsgläubigern nicht entfremdet werde. Und bezüglich der kurrenten Gesellschaftsgläubiger bemerken wir, daß ihnen obligationenrechtlich die Einsicht in das Verwaltungsdetail und die wirksame Einsprache gegen ruinöse Ausbeutelung ab Seite der Aktionäre ungemein erschwert ist. Und hier liegt auch ein großes Stück guten, ehrlichen Schweizernamens mit seinen höchst materiellen, .bis zu einem hohen Grade kommensurabeln Konsequenzen auf dem Spiele.

Daß zu materiell richtiger Prüfung und Werthung der Bilanz der Bundesrath Einsicht in die gesammte Geschäftsführung der Gesellschaft haben muß, ist so einleuchtend, als daß ein richterliches Urtheil nicht auf die Behauptungen, sondern auf die Beweise der Parteien zu fundiren ist. Dafür aber bürgt das Pflichtbewußtsein und die Staats Weisheit unserer Exekutivbehörde', daß sie keine Geschäftsgeheimnisse der Redaktion des sonst zu voluminösen, übrigens nur von
auserkorenen Geistern gelesenen eidgenössischen Handelsamtsblattes anvertrauen wird. Und warum sollte denn eine solide und währschafte Geschäftsführung vor dem milden und wohlwollenden landesväterlichen Auge sich verbergen wollen? Erhält sie doch erst da recht Lohn und Anerkennung ihres reinen Thuns und Lassens.

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Und daß in Helvetien's Landen unter bundesräthlichen Auspizien, beziehungsweisedurchexekutorische Herrschgelüstekein babylonischer Thurmbau in den Himmel wachse, dafür trägt Ihr Kommissionalentwurf unter Hochhaltung der Devise des Rechtsstaates eine geradezu minutiös scrupulose Sorge. Der Bundesrath darf an der Bilanz nichts ändern, ohne die betreffende Verwaltung anzuhören.

Hiermit ist ziemlich deutlich verurkundet, daß die Rechtsvermuthung für die Richtigkeit der Bilanzen spricht, und über jede bundesräthlich angezweifelte Position können sonach die Verwaltungen sich thunlichst ausgiebig, thunlichst beweiskräftig und kategorisch äußern. Ueberhin hat jeder Aenderung ein Verständigungsversuch voranzugehen. Man will hiermit für Form und Wesen alles Diktatorische vermeiden. Anhörung und Verständigungsversuch sind mit Naturnothwendigkeit Wegleiter und Meilensteine zu einem zwanglosen Contradiktorium, wo mit aller Gemüthsruhe, mit aller Gründlichkeit und mit zielbewußter Abstreifung alles steifen, autoritären Wesens das Richtige und Reelle zu gegenseitiger Evidenz und Eintracht unschwer ermittelt werden sollte.

Dann aber gibt es für alle Fälle, auch für die minimsten, einen Richter in Berlin. Ueber Kabinetsjustiz soll und wird sich wegen dieses Gesetzes im Lande der freien Eidgenossen Niemand klagen dürfen. Darin liegt zweifellos die kapitalste Modifikation unseres Entwurfes gegenüber der Vorlage des Bundesrathes, daß letzterer einen Rekurs nur gegen bundesräthliche G e s e t z es überschreituDgen zuließ, während wir das Rekursrecht m a t e r i e l l für jeden Einzelfall, gegen jede Herabsetzung des Reingewinns, gestatten wollen. Nach dem bundesräthlichen Entwurfe wäre das Bundesgericht nur Kassationsinstanz, während wir es zum eigentlichen Appellhof machen wollen. Staatsrechtlich und doktrinär läßt sich allerdings mit allem Fug behaupten, es liege eine ganz ausnahmsweise Singularität darin, daß ein materielles Rekursrecht von der Exekutive an das Gericht eröffnet werde. Aber die Natur der hier abzuwandelnden Verhältnisse ist auch eine entschieden singuläre; es liegt in diesen Traktanden ein ausgeprägt dualistisches Moment.

Auf der Einen Seite und vorab haben wir es mit Verw a l t u n g s rechnungen zu thun, und es sind sachbezüglich unter dem Gesichtswinkel hoheitlicher Verwaltungskontrole
Verwaltungsmaximen anzuwenden. Wenn dann aber die Anschauungsweise der eidgenössischen Verwaltung von der Generalversammlung der Aktionäre nicht in Minne hingenommen wird, so liegt die Diskordanz eben darin, weil der Bundesrath zu den Aktionären sagt: So und so viel, gute, liebe Leute ! gehört euch nicht, weil so und so viel eben mehr zum Stammvermögen und weniger zum Reingewinn gehört.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. III.

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Und das ist dann eine Frage über Mein und Dein, das ist dann eine Rechtsfrage zwischen der juristischen Person der Bahn einerseits und den Privatinteressen der Aktionäre auf der andern Seite, wo dann die staatliche Exekutivbehörde als natürlicher Kurator dieser juristischen Person und als erstberufener Wortführer der gemeinen Interessen dem Kläger vor dem Richter Rede stehen mulä.

Endgültige bundesräthliche Entscheide könnten zwar auch dea Konzessionsbestimmungen bezüglich des Rückkaufs nie präjudiziren, und Grundkapital und Rückkaufssumme sind durchaus nicht äquivalente, identische Begriffe, aber gleichwohl erheischt es wegen des staatlichen Rückkaufsrechtes die Delikatesse und die höchste. Billigkeit, daß der Bundesrath jetzt schon immer nur als arbiter, beziehungsweise nur erstinstanzlich und nie letztinstanzlich und auch nur dem Scheine nach arbiträr entscheide.

Eine eingehende Kontroverse veranlaßte im Scbooße der Kommission der formale modus procedendi, d. h. die Frage, ob der Bundesrath vor oder nach der Generalversammlung der Aktionäre die Bilanz zu prüfen und zu verifiziren habe. Die überwiegende Mehrheit der Kommission sprach sich für vorgängige Prüfung ab Seite des Bundesrathes aus. Es wird hiermit recht eigentlich im Dienste und wohlverstandenen Interesse der Aktiengesellschaft gearbeitet, dem Bundesrathe stehen zu gründlicher, sachlicher Prüfung eminent mehr Willenskräfte und technisch administrative Mittel zu Gebote ahi den Aktionären, die Verständigungsversuche und überhaupt alle Präliminarien erfüllen sich dergestalt unvoreingenommener, gediegener und leichter, als wenn die Aktionäre schon durch einen solennen Beschluß Position genommen haben, es wird hiermit ganz entschieden Zeit gewonnen, die Aktionäre müssen auf diese Weise einmal, sonst zweimal sich besammeln, sie haben dann eine abgeklärte, abgerundete, von kompetenter Seite durchstudirte Aktenlage, und sie können sich dann ohne Weiteres erklären, ob und warum sie den Weg vom Konsulate zur Prätur, von Bern nach Lausanne beschreiten wollen oder nicht.

Das Bundesgericht entscheidet nach den für die staatsrechtliche Procedur vorgesehenen Formalitäten. Also die feierliche Langsamkeit und Kostspieligkeit des Civilprozesses ist hier für alle Fälle ausgeschlossen, und das Bundesgericht kann und soll auch über die Richtigkeit des
Thatbestandes ex officio, spontan sich vergewissern. Wir haben hier einen bescheidenen Anlauf zu jenem staatsrechtlichen Gedanken Nordamerika's, wo der Richter in Erweiterung der ihm zunächst autonomen Sphäre Hort der res publica und der indiviuellen Rechteist, und die unantastbaren Postulate des Rechtsstaates kann man mit ausgiebiger Wahrung der sozialen

335 Interessen nicht besser in Vermählung bringen, als wenn man beide unter das Palladium eines energischen, mit nicht zu viel geistlosen Formen ummauerten Richterspruches stellt.

Alle konzessionsgemäßen Rechte der Bahnen gegenüber dem Bunde -- für den Rückkauf zuallernächst und ausdrücklich, aber auch im Allgemeinen -- werden durch den Kommissionalentwurf noch feierlicher und energischer gewahrt als durch die Vorlage des Bundesrathes. Die Konzessionen haben nach entschiedener Ansicht des Referenten in all' ihren privatrechtlichen Bestimmungen und definitiven Zusicherungen zu Gunsten der Bahnen, und sonach ganz vorwiegend auch in ihren Rückkaufsbestimmungen, einen bindend bilateralen, vertragsrechtlichen Charakter, und so gewiß alle elementaren, naturrechtlichen Grundsätze des Privatrechtes dem positiven Staatsrechte vorgehen, und so gewiß der eidgenössische Staat ein Rechtsstaat sein will und kein Usurpator, so gewiß darf er -- ohne vollste Entschädigung und auch dann nur bei zwingend öffentlichen Bedürfnissen -- durch seine gesetzgeberische Dekretalgewalt die kouzessionsgemäßen Rechtsamen der Bahnen in keiner Weise alteriren. Nach unserer feststehenden Rechtsüberzeugung geschieht dies aber auch in That und Wahrheit durch vorliegenden Entwurf in keiner Weise. Wo das Obligationenrecht eine Ab- ' änderung erleidet, da geschieht dies im Sinne der Modifikation.

Was den Aktionären anheim gehört, das soll voll und ganz den Aktionären werden. Ihr Verwaltungsrecht wird nicht geschmälert. Der Bund intervenirt durchaus nicht in die Bahnadministration hinein.

Diesbezüglich enthält das Eisenbahngesetz vom Jahre 1872 unvergleichlich einschneidendere Vorschriften. Der Bund hat nach unserm Gesetzentwurfe mehr nur als Urkundsperson zu handeln, er hat eine rechnerische Aufgabe, er verurkundet, was da ist und was in Folge der arithmetischen Geselze zur Vertheilung kommen kann. Und die gefürchtete Exekutivbehörde steht bei all' diesen formalen Funktionen noch jeden Augenblick unter dem Damoklesschwert des Richters. Wir, entschiedene Gegner des autoritären Staates, befürworten all' diese Kautelen gegen administrative Willkür, aber thatsächlich und materiell besorgen wir zufolge aller empirischer Belehrung viel eher das Gegentheil als ein überstrenge» Regiment gegenüber den urplötzlich so zaghaften und in ihrer
Interessengemeinschaft doch fürwahr nicht so wehr- und waffenlosen schweizerischen Bahnen. Nein, o nein, trote allen bundesräthlichen Macht- und Pflichtbewußtseins wird unser Gesetzentwurf in der Hand unserer Landesväter doch schwerlich als die Schleuder Davids sich bewähren, um auf Nimmer-Erwachen den überkQhnen BörsenGoliath in's kühle Gras zu betten.

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Gemäß Art. 898 des Obligationenrechtes sind die Statuten der bereits bestehenden Aktiengesellschaften bis Ende Dezember 1887 dem Obligationenrechte anzupassen. Hinwieder treten auf dieses Datum die Bestimmungen über Verantwortlichkeit in Kraft, wie solche in Art. 671--675 des Obhgationenrechtes einläßlich präzisirt sind. Soll unser Gesetz nicht auf ein Lustrum hinaus ohne alle Wirkung bleiben, so muß gegenüber den Bahngesellschaften der Termin betreffend die Statuten-Akkommodation und die Verantwortlichkeit verkürzt werden. Wir haben es hier eben nicht nur mit Privatrecht, sondern, eben so sehr mit öffentlichen Interessen und öffentlichem Recht zu thun, und gegenüber den Statuten der Eisenbahngesellschaften besitzt ja schon der Bund vermöge des bestehenden Eisenbahngesetzes ein wesentlich erhöhtes Interventionsrecht. Wenn wir als sachbezüglichen Termin den 1. Januar 1885 in Vorschlag bringen, so vergönnen wir hiermit den Bahnen noch eine anständige Zeitfrist für die notwendigen Präliminarien, während für die Herrschaft einer obligationenrechtlichen, wahrhaft gesetzlichen und gefriedeten Ordnung der Dinge drei Jahre Zeit erobert werden.

Die Uebergangsbestimmungen müssen die unerläßliche, thatsächliche und rechnerische Unterlage für den Gesetzesvollzug bieten.

In erster Linie muß eben ausgemittelt werden, was bis zu dieser Stunde für Erstellung der Bahnen und für Beschaffung der Betriebsmittel wahrheitsgemäß verausgabt worden und was deßnahen den Aktiven der dermaligen Bilanzen mit Fug und Recht einzureihen ist. Dann erst hat die Verifikation der zukünftigen Jahresbilanzen irgend welch' materiellen Halt und praktische Bedeutung, dann erst sind Bundesrath und Bundesgericht jeweilen befähigt, zu verurkunden, ob und in wie weit die wahren Aktiven eine Deckung des Grundkapitals gewähren, und den Dividendenbezug rechtfertigen, oder ob nicht vielmehr ein diesjähriger Betriebsvorschlag zur Amortisation und zum Ausgleich früherer Minderungen der Vermögenssubstanz mit haushälterischer Naturnotwendigkeit zurückzulegen ist. Auch für Ausmittelung des wahren und eigentlichen Baukonto wird der Bundesrath in erster Linie auf den Weg gütlicher Verständigung gewiesen und in zweiter Linie wird der Richter sprechen.

Also auch hier ist alle schroffe Einseitigkeit und alle administrative Willkür mit gewissenhafter
Sorgfalt ausgeschlossen. Von einem unzulässigen Rückwirkungseffekte unseres Gesetzes kann hiebei durchaus nicht die Rede sein. Handelt es sich ja um nichts mehr und nichts weniger als um eine parteilose Dokumentirung thatsächlicher Verhältnisse, um eine Richtigstellung der Kompta'bilität mittels einer auf Thatsachen sich beziehenden Enquête und mittels einer rein mathematischen Operation. Daß plus nicht minus und

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minus nicht plus ist, das ist nicht eine Emanation der eidgenössischen Gesetzgebung, das ist ein uraltes, ewiges Grundgesetz, welches unrevidirbar fortbestehen wird, so lange die logische Gedankenarbeit mit Vernunft begabter Wesen dauert. Ohne diese Uebergangsbestimmungen und ohne diese ordnende, sühnende, korrigirende Liquidation einer mit vielen und schweren eidgenössischen Unterlassungssünden durchwirkten Vergangenheit wäre das ganze Gesetz, wahrhaftig nicht zur Ehre parlamentarischer Genialität und praktischen Schweizersinnes, rein in die Luft gestellt. Und das Obligationenrecht beruht ja bezüglich der Aktiengesellschaften ganz absolut auf dem gleichen Grundgedanken, daß nicht etwa der heutige, sondern der mit dem wahren und eigentlichen Grundkapital korrespondirende, im Gleichgewicht befindliche Vermögensbestand das selbstverständliche Kriterium für die Amortisationsbedingungen, für die Dividendenberechtigung und überhaupt für das materielle Facit der Bilanzen ist.

Der Bundesrath soll -- gemäß Majoritätsantrag innerhalb der Kommissionsmajorität -- sein Augenmerk auch dahin richten, daß gleichzeitig eine Vereinbarung über die für den eventuellen Rückkauf der Bahn maßgebenden Anlagekosten getroffen werden kann.

Mögen Anlage- und Baukosten im Großen und Ganzen vielfach ziemlich korrelate Begriffe sein, so hängt es denn doch bei genauerm Zusehen von der logischen, nominellen Umschreibung -- der Definition -- und von der praktischen, mehr kasuistisch individuellen Anwendung dieser zwei Begriffe ab, ob und in wie weit sie sich in concreto vollständig decken oder nicht. Der Baukonto erstreckt sich seinem engern Begriff und stringentern Wortlaut nach mehr nur auf den ausgeführten und vorhandenen Bahnkörper, er ist mehr streng technisch sachlicher und sachenrechtlicher Natur, während die Anlagekosten das mit umfassen, was ohne diese unmittelbar und spezifisch physische Verkörperung, jedoch auch in nothwendiger, wahrhaft ökonomisirender und rationeller Weise, mit Aufwendung geistigen Kapitals und geistiger Schaffenskraft auf die ursprüngliche Anlage und die nützliche Erweiterung der Bahn verwerthet worden.

Ohne daß wir irgendwie die Rechte des Staates kürzen und diesbezüglich einem Mißverständniß rufen wollen, dürfen wir gegenüber dem Memorial der Bahnen nieht bestreiten, daß Bau- und Anlagekapital
nicht unter allen Umständen sich absolut gleich summirende Valoren sind. Dieser Unterschied ist beispielsweise auch da zu treffen, wo mehrere Bahngesellschaften betreffend die Erstellungöder Miethe dringlicher Utilitäten oder in Folge von Fusionen sich in ein komplikatorisches Komptabilitätsverhältniß setzten. Und wir müssen es anderseitig heute, schon in vollbegründetem Interesse des

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Fiskus nachdrucksam betonen, daß die wahren und eigentlichen, bei Ermittelung der Rückkaufssumme relevanten Anlagekosten für Spezialfälle sich entschieden kleiner stellen können als die Baukosten, indem beispielsweise nach dem sehr menschlichen Gang der Dinge rein unproduktive, gegenstandslose und verschwenderische ,,Baukosten", ohne Erzielung irgend welch realen Nutzeffektes, ausgeworfen wurden. Wir wollen mit diesen Bemerkungen selbstverständlich nach keiner Richtung dem Richter in die Arme greifen, und der Sprechende, ein sehr entschiedener Gegner des Rückkaufes, würde materiell in der bezüglichen Redaktion eine um so geringere Gefahr erblicken, weil der Entwurf nicht nur feierlichst die konzessionsgemäßen Rechte der Bahnen wahrt, sondern weil er auch bezüglich Ermittelung der Rückkaufssumme lediglich einem geschäftlich naheliegenden Verständigungsversuehe ruft, während er nicht nur die schiedsgerichtliche Feststellung der Anlagekosten im Falle des Rückkaufes ausdrücklich vorbehält, sondern weil eben hiermit implicite in deutlicher Weise gesagt ist, es solle dermalen bei einem Verständigungsversuche sein Bewenden haben, und falls derselbe scheitere, solle der vertragsgemäße Richter nicht jetzt, sondern erst nach der Rückkaufserklärung sein Verdikt abgeben.

Die Ausmittelung der Rückkaufssummen dürfte übrigens besonnene Leute, also die Totalität der eidgenössischen Parlamentarier, auch kaum zum Rückkauf hoch begeistern, zumal der Ertrag des Bahnbetriebes im Großen und Ganzen dieser Rückkaufssumme durchaus nicht äquivalent erscheinen wird, während es sich vom Standpunkte der Staatswürde und des primärsten Billigkeitsgefühles, füglich nicht um einen eklektischen Rückkauf, d. h. um eine autokratisch erdrückende Staatskonkurrenz gegenüber den finanziell schlimmer situirten Bahnen handeln kann.

Aus Gründen grundsätzlicher Konsequenz aber, und damit es unter keinen Umständen einmal heißen kann, es habe, wenn auch auf künstlichem und indirektem Wege, das Präjudiz zum Rückkauf aus einer Gesetzesbestimmung sich ergeben, zu welcher der Unterfertigte seine Stimme gab, sowie zu voller Beruhigung der föderalistischen Elemente in Volk und Kammern stellt der Sprechende nichts desto weniger den individuellen Antrag auf Bliminirung desjenigen Passus, der den Versuch zu gütlicher Ausmittelung der Rückkaufssumme
antönt. Einer der Hauptbeweggründe, warum, der Sprechende mit vollster Ueberzeugung für den Gesetzesentwurf einsteht, liegt eben darin, die Bahnen wieder auf eigene Füsse zu stellen, sie vor selbstmörderischem Lebensüberdruß zu retten, sie vor der Invasion des fremden Börsenjobber- und Isralitenthums zu schirmen und dadurch der mächtigsten Förderung der Rückkaufsidee die Wurzeln und die Wege abzuschneiden.

339 Ein überaus wichtiges, thatsächlich urgentes Moment ist in unserm Gesetzentwürfe nicht ausdrücklich und speziell normirt.

Wir meinen die Frage des Dividendenbezuges bei Moratorien vor Erstellung weiterer Linien, zu welcher eine vertragsrechtliche Verpflichtung der Bahngesellschaft obliegt. Der Sprechende hat durchaus nichts dagegen zu erinnern, wenn dießbezüglich im Interesse der Moral und der öffentlichen Treue ein kategorischer Imperativ in den Gesetzesentwurf eingetragen wird. Immerhin scheint ihm, daß durch das Obligationenrecht und durch vorwürfige Novelle die Situation eine juridisch abgeklärte wird. Solchartige Verpflichtungen dürfen doch ganz unmöglich auf einer materiellen Vermögensbilanz mit grabesdüsterm Schweigen übergangen werden, sie sind eigentliche Schulden, sie sind Passiv-Obligationen der Gesellschaft, welche ihren Vermögensbestand heruntermindern, und so lange trotz dieser uneingelösten Schuldverpflichtung das Gesammtvermögen der Bahn mit ihrem Gesammt-Sollen nicht im Gleichgewichte steht, so lange darf und soll gemäß Art. 630 des OR. und gemäß der ganzen Anlage unseres Gesetzes von einem den Aktionären zugehörenden Reingewinn noch nicht die Rede sein. Wenn ich mich zu Erfüllung einer Obligation verpflichte, ohne daß Tag und Slunde der Erfüllung genauer präzisirt wird, so muß ich eben erfüllen, so bald dieß in meinem physischen und ökonomischen Vermögen liegt. Wenn nun aber Bundesrath und Bundesgericht ein autoritatives Mit- und Einspracherecht bezüglich des Dividendenbezugs besitzen, so werden sie nach den Grundgesetzen des gesunden Menschenverstandes und der elementaren Mathematik das nicht als ein dem Zweckvermögen zu entfremdendes plus betrachten, was, vermöge der Heiligkeit des verpfändeten Wortes, zu Lösung dieses verpfändeten Worles die unerläßliche materielle Unterlage bildet. D i e Einrede aber, solche Zusicherungen begründen kein Privatrecht, dürfte denn doch Angesichts der feierlichen Verurkundungen vor den Behörden eines R e c h t s Staates, denen noch viel wichtiger als die subtile Ausmittelung der Halbscheid zwischen Privat- und öffentlichem Rechte die Aufrechthaltung von Treu' und Glauben ist, -- auf den eigenen Schützen zurückprallen gleich den Kugeln aus der Wolfsschlucht.

Mit der Besprechung des Gesetzinhaltes abschließend, nehmen wir keinen Anstand,
zu Beruhigung der Regierung des h. Standes Bern die Erklärung zu Protokoll zu geben, daß das vorwürfige Gesetz sein Herrschaftsgebiet auf Staatsbahnen im engern und eigentlichen Sinne nicht ausdehnt. Soweit der Staat nur Aktionär, wenn auch Hauptaktionär ist, soweit also das Bahninstitut rechtlieh handelsgesellschaftlichen, korporativen Charakter hat, da kann es allerdings keinem Zweifel unterliegen, daß das Grundgesetz der

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Gleichberechtigung die Anwendung dieses Gesetzes fordert. Ein gegentheiliges Bewenden hat es aber da, wo die Bahn ganz und ausschließlich Eigenthum und integrirender Bestandtheil des kantonalen Fiskus ist. Zweck dieses Gesetzes ist eine dem Obligatiooenrecht analoge Regelung halb öffentlichen, halb privaten Gesellschaftsrechtes. Die raison d'être hiefür hört aber thatsächlich und juridisch da auf, wo der Fiskus und die Steuerkraft eines kantonalen Gemeinwesens ausschließlich und direkte für alle Schulden einsteht und wo die Obligationen einer frühern Bahngesellschaft infolge Universalsuccession absolute Forderungsrechte gegenüber dieser Staatsgemeinschaft wurden. Eidgenössische Bahnerstellungs- und Bahnpolizeigesetze beziehen sich naturgemäß auf alle Bahnen, für Rechnungskontrolgesetze aber mehr handels- und obligationenrechtlichen Charakters hört ihre Wirksamkeit da auf, wo die Handelsgesellschaft definitiv aufhört und das a u s s c h l i e ß l i c h staatliche Eigenthum seinen Anfang nimmt.

Tit. ! Wenn Ihr Berichterstatter in Besprechung der Einzelbestimmungen des Gesetzentwurfes vielleicht zu einläßlich geworden ist, so wird er Ihre Geduld dann bei der artikelweisen Berathung um so weniger in Anspruch nehmen. Infolge der ständeräthlichen Prioritätsstellung und infolge ausdrücklichen Kommissionalbeschlusses mußte er hier zusammenhängend, obgleich ungenügend, das Thema einigermaßen zu erschöpfen suchen, und bei einem solch ebenso konkreten als komplikatorischen Behandlungsgegenstande könnte man sich bei allgemeinen Bemerkungen viel zu leicht in's neptuuische und äolische Gebiet der Phraseologie verirren. Der Sprechende, Föderalist nicht zum Exceß und nicht im Kleinen, aber Föderalist aus Grundsatz und Charakter, legt mit ruhigem Gewissen gerade von diesem seinem politischen Gesichtspunkte für1 s vorwürfige Gesetz seine Lanze ein. Der gesunde, tiefergehende, föderalistische Gedanke ist ihm, bei ausgeprägtester urschweizerischer Freiheitsliebe, weniger ein lediglich an äußern Formen hängender Kantonalismus, als gleichbedeutend mit jenem kraft- und seelenvollen, gleichzeitig acht konservativen und durch und durch freisinnigen Gedanken des Selfgovernment, welches von der herrlichen germanischen, republikanischen, mannhaften Grundidee ausgeht, daß der Staat mit ängstlich weisem Rückhalt nur jener
Thätigkeilsgebiete sich bemeistern soll, welche der individuelle, kommunale und korporative Ordnungs- und Sehaffenstrieb nicht zu bewältigen vermag. Nach aller sozialen Geschichte und nach aller Rechtsgeschichte der politischen Selbstständigkeit ist vorwiegend ein gesundes und starkes korporatives Leben der Schutzwall und das Correlai einer gesunden individuellen Entwicklung und einer stolzen, selbstbewußten in-

341 dividuellen Freiheit. Klingt es nun aber nicht wie eine Paradoxie, wenn von diesem Gesichtspunkte ein so weit und tief gehendes Interventionsrecht des centralen Staates gegenüber den sozial vielleicht bedeutsamsten Korporationen in's Feld gerufen wird? Das logische Bindeglied für die richtige Gedankenfolge findet sich eben darin, daß nur innerlich gesunde Organismen für so eminent wichtige Arbeitsgebiete die nothwendige Lebens- und Schaffenskraft besitzen.

Wer einen allmächtigen Staat an Stelle der individuellen und korporativen, politischen und sozialen Freiheit setzen will, der braucht nur dem Manchesterthum zu fröhnen, wo die ,,obern Zehntausend" T im gleichberechtigten Kampf um's Dasein" vampyrartig am Herzblut von Millionen saugen, der muß nur die Mehrzahl der Individualitäten verlottern und in übel verstandenem Egoismus sich atomisiren, sowie die korporativen Verbände zum krebsartigen Sehaden der Gesammtheit durch liederliche Ausbeute eines innert verständigen Schranken ungemein begründeten Selbstverwaltungsrechtes der Dekadenz verhallen lassen. Wie der alte monarchische, so wird und würde auch der drohende sozialistische Absolutismus auf den moralischen und ökonomischen Trümmern eines selbstständigen, naturgemäßen Gesellschaftslebens seine freiheitsmörderischen, Geist, Sitte und Recht ertödtenden Triumphe feiern. Der Fluch der Extreme ist, daß sie sich berühren, und der civilisirte Rechtsstaat ist ebensowenig da, Alles gehen zu lassen, als Alles zu beherrschen.

Der weise und wohlwollende Staat hält sich fern von allen despotisch autoritären Anwandlungen, aber gerade um deßwillen ist er aufrechthaltender, väterlich verständiger Korrektor und Regulator all' jener sozialen und rechtlichen Institutionen und Verhältnisse, welche mit der Entwickelung, der Wohlfahrt und Ehre der Nation in tiefinnigem Zusammenhange stehen. Der Verstand jedes Verständigen lernt und lehrt das, nicht erst die Wissenschaft der Heilkunde, daß, wenn man kranke Existenzen nicht zu Grunde gehen lassen, sondern erhalten will, der scharf beachtenden, pathologischen Diagnose eine systematische und energische therapeutische Behandlung folgen muß.

Nur ein gewissenlos habsüchtiger Erbe und Universalsuccessor dürfte zu einem gegenteiligen modus procedendi rathen. Wenn man auch entschieden nicht mit allen diesbezüglichen
Anregungen einverstanden ist, und wenn man auch im Interesse der Freiheit wesentlich mehr einer organisirten Spontaneität der Innungen und Kommunen als dem Allmachtsdiktat des monarchischen Staates anheimbelassen möchte, so ist denn doch dem greisen Herrscher auf dem deutschen Throne der bessere Genius der Blenschheit zu Dank verpflichtet, daß er in treuem Mitgefühl für die Noihstände und die Zerklüftungen des gesellschaftlichen Lebens den zerstörenden Sozialismus durch einen aufbauenden und erhaltenden Sozialismus überwinden will.

342 Vor Allem und Jedem hat der Staat seinen ethischen Beruf, und da soll und muß er, soweit immer möglich, künstlichen Machinationen entgegen treten, mittels welchen, gleichsam unter seinen Auspizien, auf dem Geldmarkt Tausende schlichter, ehrlicher Bürger irre geleitet und geschädigt werden. Das staatliche Geld und der wahre, immanente, gegenseitige Verkehrs- und Gebrauchswert!! der Dinge soll den Durchschnittspreis bestimmen, die Produkte geistiger und physischer Arbeit sollen den Markt füllen und beherrschen und nicht kurshabende ,,Valoren", die in Folge unklarer Bilanzirung, sowie manchmal durch Coulissenkünste verborgener Taktiker mit einer geheimen Federkräften entsprechenden Elastizität aus der Tiefe in die Höhe und aus der Höhe in die Tiefe springen. Je mehr in den umgesetzten sogenannten Geld Surrogaten der Schein an die Stelle des Seins tritt, um so mehr wird im engern und im weitern Sinne das Geschäft der Börse zum Börsenspiel, und um so mehr wird aus diesem Fokus in alle Peripherie hinaus das industrielle Leben und der Handel eines Volkes von arbeitsscheuer Erwerbssucht und von abenteuernd unmoralischen Velleitäten affizirt. Die Sprache können wir nicht begreifen und d i e Redeweise kann uns nicht rühren, wenn man sagt, das Gesetz untergrabe den Kredit der Bahnen. Beruht denn ihr Kredit auf Fiktionen ? Oder wo ist denn überhaupt dieser zu untergrabende Kredit? Der verdiente, eigentliche und r e e l l e Kredit kann nur auf einer r e e l l e n Unterlage ruhen. Und d i e s e Kreditunterlage wird den Bahnen das Gesetz und ein gediegen energischer Gesetzesvollzug verschaffen.

Dann und erst dann weiß der verständige und solide Privatmann, w e l c h e finanzielle Persönlichkeit in der Bahn ihm gegenübersteht, und er weiß zumal auch, daß gegen Ausbeute und AusbeuteJung dieser finanziellen Persönlichkeit nunmehr vollwerthige staatliche Gewähr geboten ist, und d a s ist dann für die Bahnen die höchst reelle und höchst nothwendige Basis des Kredites.

Vom ethisch-sozialen Standpunkte müssen wir Eines noch betonen. Eine Buchführung und eine Kursbeeinflussung, die der skrupulöse Geschäftsmann in seinem Privatinteresse sich nicht erlauben würde, ist im Leben der Aktiengesellschaften und zumal der Bahnen ohne Beängstigung sonst gewissenhafter, ehrenwerther fcremiither vielfach usuell geworden. Unsitte
und Unrecht maßen sich diesbezüglich den heiligen Titel des Gewohnheitsrechtes an, die Gewohnheit ist eben die Amme des öffentlichen Reehtsbewußtseins. Was aber ist der edelste Beruf des Staates ? Soll er nicht energischer Interpret und autoritativer Hort der unverfälschten, ewig unrevidirbaren, materiellen Rechtsgedanken sein? Das ist auch die beste Lösung für die soziale Frage. Bei einem starken

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Rechtsbewußtsein kann sich die sozialistische Destruktionswuth nie und nimmermehr entwickeln -- die Geldmacht centralisât sich nie ins Uebermaß hinein, wenn die ehrliche Arbeit die einzige Hebelkraft für den sozialen Umsatz der Privatvermögen bildet.

Die mehr denn goldwerthen Fundamentalsäulen unseres republikanisch-vaterländischen Volksstaates sind Arbeit und Treue. Jene erwirbt, diese erhält und umfriedet dem freien Schweizer zu Thal und Berg seinen Herd und seine Hofstatt. Gute Gesetze sind jene und einzig jene, welche, im ethisch-volkswirthschaftlichen Sinne, E i n Einmaleins, E i n Maß und E i n e Elle, E i n Recht in unsern demokratisch-eidgenössischen Landen für Reich wie Arm, für Hoch wie Niedrig energisch durchzuführen streben. Gute Gesetze sind einzig jene, welche als Ausfluß des braven und schlichten Volksgewissens in Bannung zwar nicht betrügerischer, doch aber trügerischer List und Schlauheit einen verständigmannhaften Schutzwall bauen -- der Arbeit zur Wehr1, der Treu' zur Ehre. Während das Schweizervolk draußen an der Limmat Strand in guten eidgenössischen Treuen der ehrlichen nationalen Arbeit einen Tempel bestverdienter Ehre baute, wollen und sollen die eidgenössischen Gesetzgeber dafür Sorge tragen, daß jene vaterländischen Eisenstraßen, die jenes hehre Fest der Arbeit in Zürich erst ermöglichten, und denen die geistige und nationale Entwickelung unaeres Landes unendlich viel verdankt, freie Bahnen werden von jener Schuld und jenen Schulden, die ihr dräuendes Schicksal um so mehr als tief beklagenswert!! erscheinen lassen, weil diese Bahnen ebenso nothwendige als großartige Monumente nationalen Geistes und nationaler Tnatkraft sind.

Mit vollkommener Hochachtung !

B e r n , am 26. Juni 1883.

Der Berichterstatter der Kommissionsmehrheit: Theodor Wirz.

B e m e r k u n g . Zum Kommissionalentwurf stimmten die Herren Vigier, Hauser, Sahli, Zschokke und der Berichterstatter.

Für Ablehnung stimmte Herr Estoppey. Der Stimmgabe enthielt sich Herr Schaller.

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Bundesbeschluß betreffend

die Petition für Errichtung eines schweizerischen Zellengefängnisses.

(Vom 7. Juli 1883.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrathes vom 5. Juni 1883, in Erwägung: 1) daß die Petition des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängnißwesen, betreffend die Errichtung eines schweizerischen Zellengefängnisses für lebenslängliche und gefährliche Sträflinge, ihre innere Berechtigung hat; 2) daß jedoch die Strafrechtspflege und der Strafvollzug Sache der Kantone ist und somit auch die Kantone für das Gefängnißwesen zu sorgen haben, und 3) daß von keinem Kantone an den Bund ein daheriges Gesuch gestellt worden ist, beschließt: Auf die Petition betreffend das Gefängnißwesen wird nicht eingetreten.

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Bericht der ständeräthlichen Kommissionsmehrheit betreffend den Gesetzentwurf über die Beaufsichtigung des Rechnungswesens der Eisenbahngesellschaften. (Vom 26. Juni 1883.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1883

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

37

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.07.1883

Date Data Seite

317-344

Page Pagina Ref. No

10 011 981

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