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Bericht der

ständeräthlichen Kommission .betreffend den Rückkauf der schweizerischen Eisenbahnen.

(Vom 3. April 1883.)

Tit.

Mittels Botschaft vom 6. März laufenden Jahres legte der Bundesrath dem Parlamente zwei Behandlungsgegenstände in Eisenbahnsaehen vor, welche an volkswirtschaftlicher und staatspolitischer Wichtigkeit seit dem Erlasse des Eisenbahngesetzes allediesbezüglichen Traktanden bei Weitem überragen.

Mit dem 1. Mai 1888 wird für eine Großzahl schweizerischer Bisenbahnen der Rückkauftermin fällig, und gemäß den Konzessionsvorschriften hat der Bund bis zum 1. Mai nächsthin sich schlüssig zu machen, ob er von der Kündigung Gebrauch machen wolle oder nicht.

Wir sagen es nicht als Rüge gegen den Bundesrath, welcher es wegen der damit verbundenen Gesetzvorlage und der Beschaffung und dem Studium des diesbezüglichen Aktenmaterials mit einer überaus seriösen und schwierigen Angelegenheit zu thun hatte, wohl aber sagen wir es vom allgemein konstitutionell-demokratischen Gesichtspunkte: es wäre wünschenswerth gewesen, wenn spätestens in der Dezembersession die Rückkaufsfrage hätte behandelt werden können, und zwar wegen der Referendumsklausel.

Das Referendum ist bekanntermaßen zulässig gegen Bundesbesehlüsse,, welche allgemein verbindlicher und nicht dringlicher Natur sind.

559 Nun hält der Sprechende die Rückkaufsfrage, zumal in ihrer erstmaligen und damit zugleich präjudiziellen Lösung mit Bezug auf große, weitverzweigte schweizerische Bahnlinien, für ein Thema von durchaus allgemeiner Tragweite, und es ist keinem Zweifel unterworfen, daß, wenn der Rückkauf erklärt würde, hiemit den Gläubigern der betreffenden Bahnen für Bezahlung der Rückkaufssummen die Finanzkraft des ganzen Landes obligationenrechtlich verbunden werden würde. Es wäre auch ohnedies wünsehenswerth gewesen, wenn der ablehnende Bundesbeschluß die stillschweigende, staatsrechtliche Besiegelung des Souveräns erhalten hätte. Nun befinden wir uns selbstverständlich in zwölfter Stunde im Stadium der Dringlichkeit, und diese Dringlichkeit muß, damit der Bundesbeschluß vor dem Fataltermin des 1. Mai .Rechtskraft erhalten kann, gerade wegen der allgemeinen und allgemein verpflichtenden Wesenheit der Frage, expressis verbis, als Begründung für den Ausschluß der Referendumsklausel in den Bundesbeschluß als Ziffer 2 mitaufgenommen werden. Die Dringlichkeit versteht sich, als absolutes Ausnahmeverhältniß, nie von selbst, und sie soll auch, weil es sich um Ausschluß des souveränen Mitspracherechts des Schweizervolkes handelt, nie ohne mathematisch klares Vorhandensein zwingender Verumständungen zur Anwendung gelangen. Wir erlauben uns nur noch, zu bemerken, daß, wenn in den Konzessionen für Effektuirung des Rückkaufes ein Beschluß der Bundesversammlung vorgesehen wurde, dieß die verfassungsmäßige Frage, wann ein Beschluß der Bundesversammlung der thatsächlichen oder stillschweigenden Grenehmhaltung der höchsten Instanz bedürfe, durchaus nicht berührt. Das Grundgesetz ist diesbezüglich die Norm des schweizerischen Staatsrechtes.

Nun zur Sache selbst. Die bundesräthliche Motivirung und die bundesräthlichen Dispositive bewegen sich in einem äußerst schulgerechten , aber auch äußerst praktischen Syllogismus. Es wird nämlich von der vertragsrechtlichen Punktation ausgegangen, daß die Berechnung des Anlagekapitals den Faktor für Ausmittelung der Rückkaufssumme bilde. Nun wird mit respcktabelm Bienenfleiß ermittelt und verurkundet, daß nicht nur der Betrag des w i r k l i c h e n Anlagekapitals an sich den Rückkauf aus fiskalischen Gesichtspunkten verunmögliche, sondern daß auch eine Masse Positionen auf Rechnung der
Anlagekapitalien geschrieben wurden, welche theils ganz offenkundig nicht darauf gehören und welche anderntheils höchst litigioser Natur seien. Ergo, wird dann nach genial-energischen Gängen durch dieses Rechnuugslabyrinth gefolgert, ergo können und spllen wir dermalen nicht an den Rückkauf denken, ergo sollen wir aber auch aus dem Grunde der vertraglich sank-

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tionirten Staatsinteressen, sowie aus den mindestens ebenso schwer wiegenden Gründen der öffentlichen Moral, des öffentlichen Rechtsbewußtseins und der Volkswohlfahrt in das verworrene und zerrüttete Rechnungswesen der Eisenbahnen durch ernstliche amtliche Kontrole Ordnung bringen. Mit dem Beschlußentwurfe für Ablehnung des Rückkaufs gelangt auf diesem Wege die einheitliche Motivirung und dei1 scharf logische Gedankengang des Bundesrathes zur Vorlage eines Gesetzentwurfes über die Beaufsichtigung des Rechnungswesens der Eisenbahngesellschaften.

Es wäre nun selbstverständlich für Ihre Kommission sehr angenehm gewesen, wenn sie beide in so trauter Wahlverwandtschaft befindliche Materien mitsammen hätte in Behandlung nehmen können. Bei ihrer Besa.mmlung fand sie aber auf dem grünen Tische ein Gesuch der Direktion der Nordostbahn Namens der fünf größern schweizerischen Bahnen vor, dahinzielend, es möchte die Berathung der Gesetzvorlage verschoben werden, bis eine Vernehmlassung dieser Bahnen gegenüber der bundesräthlichen Botschaft der Kommission unterbreitet werden könne. Gleichzeitig vernahmen die Kornmissionsmitgliederdurch das Organ eines verehrten Herrn Kollega, auch die Regierung des h. Standes Bern fühle sich zu einer diesbezüglichen Vernehmlassung veranlaßt. In Uebereinstitnmung mit dem Herrn Chef des Eisenbahndepartementes erachtete es die Kommission als eine Pflicht parlamentarisch-richterlicher Billigkeit, daß mit Rücksicht auf die zahlreichen, ebenso ruhig als detaillirt hingestellten, überaus gravirenden Behauptungen in der bundesräthlichen Botschaft der Grundsatz: audmtur et altera pars gegenüber den höchst interessirten Persönlichkeiten gewahrt bleibe. Die Kommission erging sich also in vertraulichen, allgemeinen, nicht präjudiziellen Besprechungen über die sachliche und konstitutionelle Berechtigung der bundesräthlichen Gesetzvorlage, und sie brachte in ihrer Mehrheit der letztern warme Sympathie entgegen; jede artikelweise Berathung aber wurde verschoben, nicht bloß bis die in Aussicht gestellten Eingaben eingelangt, sondern bis dieselben mit Rücksicht auf ihren ziffernmäßigen und finanziell technischen Charakter von den zuständigen Organen des Bundesrathes einer botschaftlich verarbeiteten Revision unterbreitet worden seien. Das Departement versprach nicht nur thunlichste Beschleunigung,
sondern auch den Gegenremoristranten wurde thunlichste Beschleunigung zur Pflicht gemacht, ansonst die Kommission bei ihrer Aufschubsverwilligung sich nicht weiter behaften lassen werde. Heute können wir also n u r die Ruckkaufsfrage behandeln und wir m ü s s e n sie j e t z t separat behandeln, weil diese Frage ganz unbedingt während der Aprilsession in beiden Kommissionen und

551 in beiden Räthen zur Erledigung gelangen muß. Wegen des prinzipalen Charakters der Riiekkaufsfrage aber und wegen der unauflöslichen Wahlverwandtschaft beider Fragen m u ß naturnothwendig dieser Bericht, ohne selbstverständlich erschöpfend zu sein, n a c h d e m a u s - d r ü c k l i c h e n W u n s c h d e r M a j o r i t ä t s m i t g l i e d e r die Rechnungsfrage in ihrer Allgemeinheit ebenfalls berühren. Die Präzisirung und genaue Beleuchtung der Motive und der materiellen, d. h. der obligationenrechtlichen, sowie der exekutorischen Partien des Gesetzentwurfes wird dann anläßlich des zweiten Traktandums der Sprechende einem kompetentem Berichterstatter überlassen. Ich habe nur noch voraussendeud zu betonen, daß es nicht im Verschulden des Berichterstatters, sondern in der Oekonomie der ständeräthlichen Geschäftsbescbleunigung gelegen ist, wenn er seinen Bericht fertig zu stellen hatte, bevor er von den erst spruchreif zu werdenden Akten genaue Kenntniß nehmen konnte, und daß die einzelnen Auseinandersetzungen des Berichtes, wie dies in der Kommission zum Vornherein gebilligt wurde, als Ausfluß seiner individuellen Anschauungsweise und ohne irgend welche solidare Mitverantwortlichkeit für die übrigen Kommissionsmitglieder anzusehen sind. Man wollte und mußte sich diesbezüglich gegenseitig Freiheit wahren.

Man kann sich zunächst fragen, wenn die Bahnen bisan sich einer anachronistischen Rechnungsstellung schuldig machten, warum intervenirle der Bund nicht, warum schlief die Konsulargewalt den Schlaf, wenn nicht der Gerechtigkeit,' so doch der vertrauensselig süßen Ruhe? Gemäß Art. 18 des Eisenbahngesetzes muß die Gesellschaft nach Vollendung der Bahn einen vollständigen Grenzund Katasterplan und ein Inventar des Betriebsmaterials anfertigen und dem Bundesrathe eine Kopie hievon eingeben. Hinwieder hat sie eine Rechnung über die Anlagekosten und die Einrichtungen zum Betriebe einzureichen. Wenn später weitere Bauarbeiten ausgeführt werden, welche nicht blos zur Unterhaltung der Bahn dienen, sowie wenn das Betriebsmaterial eigentlich vermehrt wird, so sind auch Rechnungen über die dadurch veranlaßien Kosten einzuliefern. Der Bundesrath setzt die Form fest, nach welcher diese Rechnungen aufgestellt werden sollen.

Der Bundesrath argumentirt zu seiner Rechtfertigung dahin, es seien ihm durch
obige Gesetzesvorschriften nur f o r m a l e Kompetenzen zugeschieden, er könne nicht sagen, welche Posten auf diese Rechnung gebracht und welche hievon ausgeschlossen werden sollen.

Uebrigens habe es bei der jeweiligen Passation dieser Rechnungen für das Staatsinteresse nur um die Rückkaufsfrage sich gehandelt.

Die Rückkaufsbedingungen seien in sehr unbestimmter und elastiBunedsblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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scher Redeweise in den Konzessionsurkunden redigirt. Streitige Fälle seien dem Entscheid eines Schiedsgerichtes übertragen worden.

Wir können nun allerdings nicht annehmen, daß Art. 18 des Eiseobahngesetzes diese rein formale Passation der Rechnungen als absolut korrekt erscheinen lasse. Zu was anders als zu materieller Prüfung unter dem Gesichtswinkel der Gesetzesvorschriften müssen die Rechnungen dem Bundesrathe unterbreitet werden, und liegt denn für den Nationalwohlstand gar kein anderes Interesse mit im Spiele, als die Ermittelung der Rtlckkaufssumme? Auch die Bundesversammlung theilte wenigstens bei einem einmaligen Aufflackern einer diesbezüglich energischem Willensrichtung diese Auffassungsweise übergroßer staatlicher Selbstbescheidung nicht, indem im Juni 1877 der Bundesrath eingeladen wurde, den Art. 18 des Eisenbahngesetzes betreffend die Feststellung der Anlagekosten der Bahn genauer zu vollziehen, als solches bis jetzt geschehen ist. Insbesondere wurden eigene Normalien als wünschenswerth bezeichnet, behufs Feststellung, welche Erweiterungs- und Neubauten auf die Bau- oder Betriebsrechnung zu schreiben sind.

Der Bundesrath negirte sodann in seinem Geschäftsberichte für das Jahr 1879 zwar nicht mehr seine Kompetenz, wohl aber seine gesetzliche Verpflichtung und das praktische Bedürfniß zu einer materiellen Prüfung. Er erklärte, auf die Vergangenheit könne er nicht mehr zurückkommen, ohne sieh in ein Chaos unliebsamer Weiterungen zu verlieren. Künftige Verwendungen wolle er darauf prüfen, ob der Vortrag auf Baurechnung berechtigt sei oder nicht.

In Folge dessen wurde in stoischer Gemüthsruhe das Postulat von der Pendenzenliste abgeschrieben.

Ueber die Frage des praktischen Bedürfnisses hat nun der Bundesrath bekanntermaßen seine Anschauungsweise zum Glück des Landes gründlich revidirt. Ob übrigens -- und das sagen wir zur Entschuldigung unserer Landesregierung -- ein energisches Vorgehen auf Grundlage der bisherigen Gesetzgebung in Duldung und pietätvoller Liebe hingenommen worden wäre, das verurkundet jene ^erzlichkeit und sympathie volle Aufnahme, welche in gewissen Kursoperationen zur Erhöhung des Nationalwohlstandes gegenüber der bundesräthlichen Gesetzvorlage zur Offenbarung kam.

Immerhin hat das Obligationenrecht die Machtsphäre der staatlichen Oberhoheit diesbezüglich nicht
erweitert, wenn es ihr auch die Wege hiezu logisch vorbereitet hat. Das Obligationenrecht regelt und wahrt in seiner Eigenschaft als Privatrecht lediglicher Dinge die Interessen der Obligationäre und Aktionäre gegenüber der Verwaltung. Die Aktionäre haben aber vielfach ein geradezu gegen-

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Erstere, welche oftmal in einem rein transitorischen Verhältniß zur juristischen Person der Bahn stehen, wollen unter Umständen mit Simulation fiktiver Werthe, mit Mehrung der Gesellschaftsschulden ihre Dividenden ziehen. Dem Staat muß an einer rechtlichen, reinlichen Buchführung von Seiten durch ihn geschaffener, durch ihn privilegirter und großen Theils monopolisrter Personen, die s e i n e Arbeit zu vollziehen haben, in That und Wahrheit viel gelegen sein, und zwar mit Rücksicht auf sein Rückkaufsrecht, auf die Leistungsfähigkeit der Bahnen, auf den Landeskredit und auf die mannichfaltigen Kreditoren der Gesellschaften.

Die Pulsadern des Verkehrs ermatten, der geistige und kommerzielle Reichthum des modernen Lebens muß hinsiechen und abserbeln, wenn das allei'gewichtigste Bindeglied zwischen Centrum und Peripherie, zwischen Gau und Gau, zwischen In- und Ausland in Folge auf die Zukunft sündigender, egoistisch interessirter Ausbeute als ein Koloß mit thönernen Füßen sieh herausstellt. Und es wird hiedurch in ethischem Bezüge ein ungemein schlimmer Einfluß ausgeübt auf das Gewissen des gemeinen Mannes, auf das die Republik einzig erhaltende öffentliche und private Rechtsgefühl.

Der eidgenössische Staat hat das Recht und die Pflicht zu untersuchen, ob eine Bahn zu ihrer ursprünglichen Konstituirung über die nothwendigen finanziellen Kräfte disponire;°und wie, das korrelate, nicht minder wichtige Recht zur Vorsorge, daß man diese finanziellen Kräfte nicht bis in's Mark hinein aufzehre, dieses Recht sollte er nicht besitzen? Ueberkühnen Machinationen sollte jener Staat waffenlos und wehrlos gegenüber stehen, welcher die ernste Pflicht hat, dafür zu sorgen, daß nicht nur den Verkehrsbedürfnissen, sondern zumal auch den Interessen der Landesverteidigung in allen Theilen seines Territoriums und zu jeder Stunde ein Genügen gethan werde.

Und wie kann eine ausgebeutete und ausgebeutelte Gesellschaft für einen sichern, das Menschenleben nicht gefährdenden Betrieb die nothwendige Bürgschaft bieten, wie kann sie im Falle einer Hugstetter Katastrophe für ihre heiligsten Verpflichtungen ihren Mann stellen, wie kann sie ihren im Dienste ergrauten Arbeitern ein menschenwürdiges Dasein und das gesetzlich verheißene Minirnalmaß der Sonntagsruhe
sichern, wie kann sie gegenüber hochinteressirten Landesgegenden ihr feierlich verpfändetes Wort einlösen? Nein, der Staat nimmt, wenn nicht ernstlich Remedur geschaffen wird, in einer hochwichtigen Macht- und Pflichtensphäre eine rein machtlose, würdelose und um deßwillen .auch rein unhaltbare Stellung ein.

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Und es handelt sich hier nichts weniger als um imaginäre Gefahren oder um eine feigherzige Gespensterseherei. Es handelt sich um Thatsachen, welche den Richterspruch der öffentlichen Meinung herausgefordert haben, es handelt sich um ein materiell hochbedeutsames Stück Landesrecht und Landesehre, es handelt sich um authentische Ziffern, welche die pflichtgetreue Exaktität unseres Eisenbahndepartementes zu tabellarischer Klarheit und mathematischer Zweifellosigkeit aus einer Unmasse verworrenen labyrinthischen Materials allerdings nicht als Goldkörner aus den Tiefen eines Schachtes herausgehoben hat.

Das Eisenbahndepartement konzentrirte sein Untersuchungsobjekt auf die fünf großen schweizerischen Hauptbahnen. Die erste der vier Fragen, welche es sich hiebei stellte, lautete : Wie weit sind Gründungs-, Organisations- und Verwaltungskosten dem Bau, konto w ä h r e n d des B e t r i e b e s aufgeladen worden? Art. 656 des Obligationenrechtes sieht nämlich vor, daß die Gründungs-, Organisations- und Verwaltungskosten in der Rechnung vollständig in Ausgabe zu bringen, seien und daß nur Organisationskosten ausnahmsweise in dem Sinne auf einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren vertheilt werden dürfen, daß in jedem Jahre mindestens der betreffende Bruchtheil als Ausgabe zu berechnen ist. Es ist diese Vorschrift lediglicher Dinge neues Recht als kodifizirtes Privatrecht der Eidgenossenschaft. Materiell aber ist sie Bestandtheil aller normalen Grundsätze über eine logische, klare und gesunde Komptabilität. Sie sollte sich bei richtiger Präzisirung des Begriffes der Gründungs- und Organisationskosten ebenso gut von selbst verstehen, als daß man eine Rechnung gehörig rubriziren und die verschiedenen Positionen nach ihrem innern Zusammenhange ordnen, harmonisch und organisch gliedern und zusammenreihen soll. Bei einigen unserer Bahnen sind aber dießbezüglich Dinge vorgekommen, welche der Genialität und Kühnheit der Herren Rechnungssteller alle Ehre machen. Alle Spezifikation und jeglicher Untersuch kontroverser Punkte liegt außer der Obliegenheit des heutigen Berichterstatters.

Wir wollen hier nur mit der bundesräthlichen Botschaft verurkunden, welche denn doch das Werk eines auf einer höhern Warte als auf der Zinne der Partei stehenden, ruhig überlegenden, staatsmännischen Richters ist, daß nicht weniger
als 11,330,254 Franken solcher Gründungs-, Organisations- und Verwaltungskosten auf den bezüglichen Baufonds vermöge deren nicht bleibend produktiver und kapitalistischer Zweckbestimmung als e n t s c h i e d e n l i t i g i o s e Positionen betrachtet werden müssen. Abgesehen aber auch von der materiell in unsern Augen krystallklaren, jedoch formell nicht vollends abgeschlossenen Aktenlage, enthalten wir uns jedweder

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Detaillirung mit Rücksicht auf einige sehr verehrte Herren Kollegen, denen bei vollständiger persönlicher Schuldlosigkeit an dieser wissenschaftlichen Bereicherung der mathematischen Gesetze die Erinnerung daran, mit Hinsicht auf einige ihrer Amtsvorgänger in der Bahnverwaltung, wie Banquo's Geist erscheinen müßte.

L>as Obligationenrecht besagt in Art. 656, Ziffer 7: ,,Von der Gesellschaft ausgegebene Obligationen sind zu dem vollen Betrage, zu welchem sie zurückbezahlt werden müssen, auszusetzen.

Dagegen kann die Differenz zwischen dem Emissionskurs und dem Rückzahlungsbetrag, w e l c h e d u r c h j ä h r l i c h e A b s c h r e i b u n g e n b i s z u m V e r f a l l t a g z u a m o r t i s i r e n ist, unter die Aktiven aufgenommen werden."· Bei den fünf großen schweizerischen Bahnen aber sind in schnurgeradem Gegensatze zu dieser so rationellen Vorschrift nicht weniger als 39,218,700 Franken Kursverluste, ohne irgendwelche Tilgung aus den Jahresergebnissen oder aus besondern Fonds, einfachhin auf den Baukonto, d. h. auf den permanenten, bei der Rückkaufsfrage in Betracht fallenden Vermögensetat hingeschrieben worden. Es ist dieß eine kolossale Fiktion von Vermögenswerthen ; -- was die Bahnen bei der Geldbeschaffung eingebüßt, wird unter ihr bleibendes Kapitalgut aufgetragen, das minus wird in seltsamer algebraischer Version geradezu in's plus verwandelt. Es ist dieß eine gefährliche Alteïirung und eine optische Blendung des Geldmarktes, und es führt dieß und Aehnliches im Obligationen- und Aktienhandel mittels des Börsenzeddels und auf der Börse zu einer gefährlichen Kreditausbeute. Es ist dieß aber auch eine heillose Erschwerung oder vielmehr eine eigentliche Verflüchtigung des staatlichen Anwartschaftsund Rückkaufsrechtes, indem der Staat Verluste für Guthaben zu bezahlen hätte. Die dießbeziiglich stoßendsten Ungeradheiten kamen aber da vor, wo man bei Fusionirung verschiedener Bahnlinien die Jahresbilanz einer übernommeneu Linie ohne äquivalente Herabminderung auf Seite der andern um ein paar Millionen künstlich hinaufschraubte, nur daß man den Aktionären der besser situirten Bahnen ohne Entgelt Aktien der fusionirten Gesellschaft übermitteln konnte. Wenn ich al pari Aktien oder Obligationen suche, so muß ich mehr Zins zahlen, als wenn ich sie unter pari suche. Es gleicht sich also der
Betrag bei einer gesunden Operation und bei einer richtigen Amortisation im Laufe der Jahre auf dem Zinsfuß aus; muß ich nun aber die Obligation einstweilen zürn vollen Betrage, zum Nennwerth und nicht bloß zum einbezahlten Werthe, zu 100 und nicht bloß zu 90 Franken unter die erhaltenen Summen buchen, so muß ich diese 10 Franken im Laufe der Zeit, d. h. v o r dem Rilc k z a h l u n g s ter min, aus der Zinsdifferenz a m o r t i -

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s i r e n , sonst bin ich kein solider Haushalter. Ich muß überhaupt, z w a r n u r v e r h ä l t n i ß m ä ß i g , a b e r i m m e r h i n v e rh ä l t n i ß m ä ß i g a m o r t i s i r e n , b e v o r i c h Dividenden ziehe und bezahle, sonst lebe ich leichtfüßig und luftig in den Tag hinein und bin ökonomisch in der Dekadenz begriffen.

Zum Dritten sind bei den fünf schweizerischen Hauptbahnen Verwendungen im Betrage .von mehrern Millionen zu beanstanden, welche für Umbauten und Aenderungen an den Bahnanlagen und den Betriebseinrichtungen dem Baukonto zugeschrieben wurden.

Eine derartige, für Ermittelung der Rückkaufssumme relevante Belastung des Baukonto ist nach der Natur der Sache und nach klarer Wegleitung von Art. 18 des Eisenbahngesetzes n u r d a n n zuläßig, wenn die betreffende Ausgabe eine reelle W e r t h v e r m e h r u n g der Bahn zur Folge hat. Das ist aber durchaus nicht der Fall, wenn diese Ausgaben nur zur Erhaltung oder zum Ersätze des Vorhandenen, zur Reparatur oder Renovation im engern und eigentlichen Sinne verwendet worden sind. Auch eine gewisse, den Fortsehritten der Technik entsprechende Verbesserung wird von einem soliden Rechnungsführer nicht auf den Baukonto, d. h. nicht dem Vermögen zugeschrieben, indem diese .Verbesserung eben nur die gleichen Betriebszwecke, wenn auch in besserer und leichterer Art, erlangen läßt. Beim gegentheiligen Rechnungsmodus äufnet sich auf dem Papier das dingliche Vermögensobjekt allmälig um das Doppelte und Dreifache seines wahres Werthes, indem eben alles Irdische, und nicht am Langsamsten das Produkt der modernen Architektonik, den Zoll des Irdischen bezahlend, zur Ruine wird. Der Ersatz ist eben nur Ersatz, er ist keine Mehrung des Vermögens, und wenn ich an Stelle Eines' Paktors einen gleichwertigen andern Faktor stelle, so ändert sich das Resultat der Gleichung nicht. Alles Andere ist Luftspiegelung, aber es ist hochgefährliche Luftspiegelung deßhalb, weil derlei Phantasmagorien bei Hunderten und Tausenden unerfahrener, leichtgläubiger Alltagsmenschen die innere, spekulative Temperatur zur Fieberhitze des Aktienschwindels alteriren. Derlei Rechnungsoperationen sollte der Rechtsstaat um so weniger gedulden, weil er sie für alle andern Aktiengesellschaften durch das Obligationenrecht verboten hat, weil sein eigenes Interesse, sein
Näherrecht, sein Zugrecht, zur Illusion verflüchtigt wird, und weil die Bahngesellse,haften überhaupt nicht bleibende Eigenthümer.der Bahn, sondern nur deren Zeitpächter auf 80 oder 99 Jahre sind.

Endlich kommen hinzu noch andere Verwendungen, welche ganz unberechtigt dem Baukonto der Gesellschaften zu gut gerechnet wurden. Der Singularität halber wollen wir hier nur eines Postens von Fr. 187,000 Erwähnung thun, welcher von einem Beamten in

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Paris veruntreut wurde und welchen nun die Eidgenossenschaft im Rückkaufsfall restituiren sollte. Ferner sind eine Unmasse Mobiliar und Inventarbeschaffungen fur Bureaux, Stationen, Werkstätten s e i t d e r B a u v o l l e n d u n g auf den Baukonto geschrieben worden.

Nach Maßgabe der bundesräthlichen Botschaft wäre nun das Vermögen der fünf Bahnen um 70 Blillionen Franken kleiner als ,es in den Bilanzen der Gesellschaften aufgetragen ist. Es hängt dies eben vielfach in herzinnigem Zusammenhange mit der berühmten und berüchtigten Steuerfreiheit dieser Bahnen; sie hätten sonst ein Interesse weniger, zu reich zu scheinen. Der irrthümlich aufgetragene Aktivsaldo ist ein ebenso großer Passivsaldo für diese Bahnen. Hätten die Bahnen keine andere Schulden als ihre Aktien, so würden eben nur die Eigenthümer der Bahnen, die Herren Aktionäre, um so viel ärmer sein, und dabei wäre allerdings die erkünstelte Fluktuation im Umlauf der Aktien für gutgläubige und harmlose, sonst nicht sehr bemittelte Käufer ein hinlänglich großes Mißgeschick. Aber diese Bahnen haben auf der Passivenliste neben den 284 Millionen Franken Aktien auch noch ihre eigentlichen Gläubiger, und zwar beträgt der Nominalwerth ihrer Obligationen 459 Millionen Franken. Diese Obligationen sollten nun im Interesse des Landeskredites in ihrem Kurse ebenso fest stehen wie bestsituirte Hypotheken. Das ist aber gerade wegen der Selbstdiskreditirung der Bahnen durch ihre Rechnungsweise nicht der Fall, und weil auf den Bahnbilanzen selbst trotz alledem nichts weniger als ein Aktivenüberschuß zu registriren ist, weil unter den Aktiven zu tilgende Kursverluste im Betrage von 57 Millionen Franken flguriren, und weil die eigentlichen Aktiven 50--70 Millionen Franken in That und Wahrheit weniger betragen, so ist bei der Jagd auf neue Anleihen, beziehungsweise bei der Fälligkeit der alten, jede Mutation der Obligationenkurse durch Steigerung des Zinsfußes und des Einzahlungskurses zu erkaufen.

Ueberhin fällt in Betracht, daß die Erneuerungs- und Reservefonds nicht für sich bestehende, ausgeschiedene Fonds, sondern in den unter dem Niveau der Passiven stehenden Aktiven inbegriffen sind. Es hat sonach der trostvoll-haushälterische Name ,,Reservefond"' viel weniger ein gediegen reelles, als ein phantasievoll tragisches Kolorit, der Optativ wird mit dem
Indikativ verwechselt, und es wird auch diesbezüglich dem Geldmarkt und der öffentlichen .Meinung ein allzu rosenrothes Bild entrollt. Gegenüber dem Aktienkapital, also dem einzigen und eigentlichen Fond der Bahnen, welcher jedoch auch weit unter dem Nominalwert!! steht, repräsentiren die fiktiven Werthe nicht weniger als den vierten Theil, und die Folge hievon ist gründliehe Erschütterung des öffentlichen Zutrauens, aber

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auch hochgradige Unfähigkeit, jene Fortschritte sich anzueignen, welche Wissenschaft und Erfahrung im Interesse der Menschheit und der Menschlichkeit den Bahnen zur gebieterischen Pflicht machen.

Wir heben hier u. A. hervor die urplötzliche, radikale Stellung der Züge bei drohenden Gefahren, die Errichtung centraler Weichenapparate u. s. w. u. s. w. Und kann und soll denn nicht der heillosen, das Land beschämenden Absurdität abgeholfen werden, daß freibeuterische, sechsprozentige Dividendenbezüge bei eigentlichen' Defiziten dekretirt werden, während Landesgegenden, die ihr gutes Geld für Erweiterung des Bahnnetzes einzahlten, mit Moratorien ad calendas grsecas mehr halb mitleidig halb schadenfroh belächelt als ernst und ehrenhaft vertröstet werden. Und was ist das für eine Wirthschafterei, wenn jahrelange künstliche Bilanzen und Dividend enbezüge Kampf- und Konkurrenzlinien hervorzaubern, welche die blühendsten Gemeinwesen in schuldenvolles Unglück bringen. Solchartige Experimente gestalten nicht nur die Aktien zu Spielkarten oder Lotterieloosen, und entarten ungemein das für die fortschrittliche Entwickelung der Industrie und des Verkehres unerläßliche moderne Rechtsinstitut der Aktiengesellschaft 5 sie schädigen den Staat auch dadurch, daß die sog. ,,Reinerträge" der Jahresbilanzen in nebulose Sphären hinaufgesteigert werden, während die Rückkaufssumme bekanntermaßen zum Einen ihrer zwei Kriterien die zehnjährige Durchschnittssumme des Reinertrages hat. Der Aktionär wird hier niemals Ordnung schaffen, weil dem einzelnen Aktionär die hiezu nothwendige Beholfenheit und Orientirung mangelt und weil der ephemere Aktionär an augenblicklicher Ausbeute des Gesellschaftsvermögens, am Hinaufschrauben des Kurswerthes ein wenig ethisches Interesse hat.

,,Nach uns die Sündfluth"1, dieser geschichtlich so bewahrheitete Spruch der alten Bourbonen symbolisirt die nationalökonomiscli so tief und tragisch in unsere zeitgenössischen Geschichtsblätter eingetragene Nachtseite des Aktieninstitutes.

Hier k a n n n u r der S t a a t helfen, und er muß auch helfen.

Er hat die Verantwortlichkeit zu helfen, weil er durch Ueberlassung des Eisenbahnbetriebes an die Privatspekulation indirekter, wenn auch moralisch i n s o w e i t schuldfreier Miturheber der gefahrvollen Situation ist. Und den Weg zur Hülfe weist das
Obligationenrecht.

Das Obligationenrecht ist aus allerneuester Zeit der Ausfluß des Rechtsbewußtseins des schweizerischen Parlamentes, und es würde vor dem Forum' des öffentlichen Rechtsgefühls wie vor dem Forum einer, gesunden Nationalökonomie keineswegs einen wohlthuenden Effekt äußern, wenn man die wichtigsten Aktiengesellschaften grundsätzlich auf einen andern Boden stellen wollte, als alle übrigen Aktiengesellschaften. Die Differenz aber besteht darin, daß, was bei den

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übrigen Aktiengesellschaften die Aktionäre von dem Richter fordern können, gegenüber den Eisenbahngesellschaften von Amteswegen im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt gefordert werden soll. Hier waltet nämlich ein permanenter, unausweichlicher Konflikt zwischen den Interessen der Aktionäre einerseits und dem Landeskredit und dem Hoheitsrecht des Staates andererseits. Durch die Bundesverfassung aber wird das Hoheitsrecht der Eidgenossenschaft in absoluter, allgemeiner, kategorischer Form gewahrt nicht nur gegenüber den Kantonen,.sondern zumal und zunächst gegen die Eisenbahnen. Wahr ist's, der Reingewinn gehört den Gesellschaftsgliedern, aber auch nur der Reingewinn. Das Stammvermögen, das Gesellschaftskapital ist mit öffentlicher Zweckbestimmung für sich eine juristische Person. Gegen die Ausbeute jeder juristischen Person hat der Staat eine Schutzwehr aufzustellen; doppelt und zehnfach ist er pflichtig, dies zu thun, wo diese juristische Person als berufsmäßig und vertraglich aufgestellter Förderer der öffentlichen Wohlfahrt mit einer Fülle öffentlicher Rechte und eigentlicher Benetizien ausgestattet ist. Aber die Konzessionen !? -- ja wohl, die Konzessionen sichern in richtiger Interpretation dieser interessanten Rechtsinstrumente den Aktionären als Resultat des Reingewinns eine korrekte Dividende; die.Konzessionen sind aber auch für die Bahnen als Korrelat ihrer Vorrechte ein hochwichtiges, irrevokables Pflichtenheft, und was fruchtet der Staatsbehörde gegenüber der renitenten Bahngesellschaft die Konzessionsakte in der Hand, wenn diese Bahngesellschaft sich bei selbstverschuldeter Ohnmacht des Staates insolvent macht. Wir sprechen lediglich von diesen speziellen, feierlich verbrieften Rechtstiteln für die Staatshoheit; wir wollen schweigen von jenem allgemeinen Rechte der staatlichen Obervormundschaft, welche zufolge einer parodoxen und interessirten Rechtsdoktrin im Gegensatze zu allen andern physischen und juristischen Personen lediglicher Dinge gegenüber den Bisenbahnen ausgeschlossen wäre.

Und hier soll der B u n d e s r a t h rechnungsprüfende Behörde werden, weil diese Rechnungskontrole viel mehr administrativer als richterlicher Natur ist, weil sie im öffentlichen und nicht im privaten Interesse zu geschehen hat, weil man das sonst überbeschäftigte Bundesgericht nicht zu einem permanenten
Rechnungshof gestalten kann, sowie auch, weil eine Rekursbehörde für die Aktionäre offen bleiben muß, und weil dann eben die richtige Rekursbehörde über i n s o w e i t litigiose R e c h t s fragen nicht das Parlament, sondern das richterliehe Tribunal ist. Man frage übrigens das Schweizervolk, ob hier Ordnung geschaÖ'en werden soll, und das Schweizervolk wird unter Hinweis auf die tausend und aber tausend Familien, welche mit Rücksicht auf das väterliche Wohlwollen der Eidgenossenschaft gegenüber diesen Bahnen ihren Spar- und Noth-

570 pfennig und das Erbe ihrer Väter dem perfiden Wellenspiel des Aktiensehwindels anvertrauten, dieses Schweizervolk wird in seinem gesunden und edein Rechtsbewußtsein dem Eisenbahndepartemente Dank wissen, daß es die spielenden Könige unserer Heerstraßen in maßvoller und muthiger Weise unter das Scepter des gemeinen Rechtes und des einfachen sittlichen Naturrechts stellen will.

Tit. Es war leider ein logisch und sachlich zwingendes Motiv, und es lag im ausgesprochenen Wunsche der meisten Kommissionsmitglieder , wenn der gegenwärtige Kommissionalbericht zu allernächst über die E'inanzgebahruug der Eisenbahnen, unter Andeutung der diesbezüglich von der Eidgenossenschaft aufzustellenden Kautelen, sich erging, und wenn er erst mehr abschließend im engern und engsten Sinne über die Rückkaufsfrage spricht. Durch Klarstellung der ersten Frage ist nämlich mit mathematischer und logischer Notwendigkeit die zweite Frage, diese geschäftlich zunächst urgente Frage, schon gelöst. Wir können uns nun in unsern Schlußfolgerungen über diese Kardinalfrage kürzer fassen.

Auf den 1. Mai 1888 könnte der Rückkauf stattfinden für ein Eisenbahnnetz von rund 1598 km., wovon diesen Monat für 1341 und im Verlaufe dieses Jahres für 257 km. die Kündigung erfolgen müßte. Wir wollen Sie nicht ermüden niit namentlicher Aufzählung al P dieser Linien; wir erlauben uns lediglich hervorzuheben, daß darunter das ganze Westbahnnetz (mit Ausnahme der Simplonlinie und der Broye longitudinale), die Centralbahn (mit Ausnahme der Gäubahn), das Stammnetz der Nordostbahn, ein sehr wesentlicher Theil der Vereinigten Schweizerbahnen, sowie von den Jurabahnen die Linien Biel-Convers, Sonceboz-Basel, Delsberg-Pruntrut inbegriffen sind. Wir wollen Sie auch mit der parlamentarischen und publizistischen Geschichte der Rückkaufsfrage nicht ermüden. Wir betonen diesfalls nur, daß im Jahre 1852 nach zwei klassischen Referaten und nach einer glänzenden parlamentarischen Redeschlacht im Nationalrathe mit 68 gegen 22 Stimmen das Minoritätsgutachten des Herrn Hungerbühler gegenüber dem Majoritätsgutachten des Herrn Peyer im Hof zu Gunsten des Privatbaus siegte, und daß der Ständerath ohne Abzählung des Gegenmehrs mit 33 Stimmen dem Nationalrathe beigepflichtet hat. Zu diesen eklatanten Majoritäten mochte allerdings der Umstand ein gut Theil beigetragen
haben, \freil durch den von vornherein bundesräthlich vorgelegten Projektenplan über die eidgenössischen Eisenbahnstränge große Landesgegenden sich in ihren Interessen gefährdet und hintangesetzt erachteten. Die Feststellung der Rückkaufsbestimmungen bildete dann jew eilen für die Kantone einen integrirenden Bestandtheil der Konzessionsurkunden, und für die Eidgenossenschaft erfolgte sie in

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den Ratifikationsformeln zu diesen Konzessionsurkunden. Das Eisenbahngesetz vom Jahre 1872 fand infolge dessen keine tabula rasa vor, und es konnte ebenso wenig tabula rasa schaffen, sondern es mußte die durch die kantonalen Konzessionen und durch die eidgenössischen Ratifikationsbeschlüsse geschaffenen, wohlerworbenen Rechte der Bahngesellschaften respektiren ; das neue, erweiterte Eisenbahnrecht mußte diesbezüglich konsequent, auf homogenem Boden weiter bauen, und dermaßen bildete sich in der Vorperiode und durch die sogenannte Normalkonzession eine einheitliche, stereotype Formel aus, welche nun positives, heilig zu haltendes Vertragsrecht zwischen dem eidgenössischen Staate und den schweizerischen Bisenbahnen bildet. Ich habe noch zu erwähnen, daß das Rückkaufsrecht des Bundes demjenigen der Kantone überall vorgeht, daß also letzteres ersterm gegenüber ein subsidiäres ist. Dieses Recht hat nun im Wesentlichen folgende Normalien : 1) Der Rückkauf kann erfolgen im 30., 45. und 60. Konzessionsjahre um den 25fachen Werth des durchschnittlichen Reinertrages derjenigen 10 Jahre, die dem Zeitpunkt, in welchem der Bund den Rückkauf erklärt, unmittelbar vorangehen. Im Falle des Rückkaufs im 75. Jahre erfolgt dieser Rückkauf um den 22Vsfachen, und im 90. Jahre um den 20fachen Werth dieses Reinertrages. In den Konzessionen einer kurzen Mittelperiode wurde filr das 60. Jahr der 22 Wache, für das 75. Jahr der 20fache, für das 90. Jahr der ISfache und für das 100. Jahr der IGfache Werth des Reinertrages als Rückkaufssumme statuirt. Die der Normalkonzession nachgebildeten Konzessionen enthalten eine regelmäßige Konzessionsdauer von 80 statt von 99 Jahren. Von dem Reinertrage sind die Summen, welche auf Abschreibungsrechnung getragen oder einem Reservefond einverleibt wurden, abzuziehen.

2) Würde, aber auch , und das ist die Hauptsache , die Ausrechnungssumme dieses Reinertrages kleiner sich gestalten, so darf gleichwohl die Entschädigungssumme in keinem Falle weniger als das ursprüngliche Anlagekapital betragen. In den neuern Konzessionen wurde die diesbezüglich bessere und genauere Ausdrucksweise gewählt : ,,als die n a c h g e w i e s e n e n e r s t m a l i g e n Anlagekosten der b e s t e h e n d e n Einrichtungen"1. Also müßten bei den neu erstellten Bahnen, welche übrigens noch nicht in concreto ,
sondern erst per consequentiam in Betrachtung fallen , die von der Staatsbehörde bestrittenen Anlagepositionen von den Bahnen nachgewiesen werden, die prozessuale Beweislast fiele hier den Bahnen zu, und diese Einrichtungen müßten noch nicht ins Antiquitätenkabinet gehören, sondern noch fortdauernd ihre praktischnützlichen Effekte äußern. .

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· 3) Die Bahn sammt Zubehörde ist in vollkommen befriedigendem Zustande dem Bunde abzutreten. Andernfalls muß die bisherige Eigenthümerin einen entsprechenden Abzug von der Rückkaufsumme sieh gefallen lassen.

4) Ueber Streitigkeiten entscheidet nach den altern Konzessionen ein Schiedsgericht, in welches jeder Theil zwei Mitglieder zu erwählen hat. Zur Wahl des Obmanns macht im Falle diesbezüglicher Discordant der Schiedsrichter das Bundesgericht einen Dreiervorsehlag mit gleichmäßigem Eliminirungsrecht von Seite der Parteien. An Stelle dieses Schiedsgerichts ist für die neuen Konzessionen durch Art. 39 des Eisenbahngesetzes das Bundesgericht getreten.

Fragen wir nun, wie nach den veröffentlichten Rechnungsbilanzen die Rückkaufssumme sich gestalten würde, so erhalten wir eine Totalziffer des 25jährigen Reinertrages von 492 und eine Gesammtsumme der Anlagekosten von 675 Millionen Franken. Einzig und allein bei der Centralbahn übersteigt der 25jährige Reinertrag die Anlagekosten um 14 Millionen Franken. Im Ganzen müßten wir also für diese Bahnen 183 Millionen Franken mehr bezahlen, als sie in 25 Jahren abgeworfen haben, während der 15-, höchstens 20jährige Reinertrag das Aequivalent der Ankauf'ssumme bilden sollte. Nun sind allerdings gemäß frühern Ausführungen von den Anrechnungen auf das hier in Betracht fallende Gesammtnetz 85 Millionen Franken vom Bundesrathe angestritten worden. Aber allerbesten Falles bliebe dann noch eine Kaufsumme von 580 bis 600 Millionen Franken zu bezahlen, und würde jetzt schon ein fond perdu von allermindestens 100 Millionen Franken auszurichten sein.

Hiebei fällt aber in Betracht, daß die Reinerträge infolge gesteigerter Konkurrenz etc. etc. zurückgegangen sind, und daß in keiner Weise Hoffnung vorhanden ist, die Renditenverhältnisse -v^erden für die Zukunft sich günstiger gestalten. Man kann mit aller Sicherheit annehmen, daß nur auf den heute in Frage liegenden Bahnen die Eidgenossenschaft ein Kapital von 150 bis 200 Millionen Franken zu verlieren hätte, während der Rückkauf dieser Bahnen der prinzipale und präjudizielle Schritt zum Ankauf aller schwei/.erischen Bahnen ist. Von einem eklektischen Ankauf einzelner Bahnen kann aber nach einmüthiger Anschauungsweise Ihrer Kommission nicht die Rede sein; es hätte dies beim Zwangsrecht des Staates einen zu merkantilen
und darum gehässigen Charakter, ohne übrigens merkantile Vortheile zu gewähren. Die Bahnen bilden, vermöge ihrer Berufsweise und ihrer Anschlußbedürfnisse einen einheitlichen und zwar nicht bloß nationalen, sondern mehr noch kosmopolischen Organismus, und es widerstreitet der Würde und Autorität der

573 Eidgenossenschaft, daß sie eine fiskalisch berechnende und zu guter Letzt mißrechnende Rivalin gegenüber den ihrer Hoheit unterstellten Privatassociationen werde. Bezüglich der litigiosen H5 Millionen Franken dürften sich aber, ich sage dies in camera charitatis, die prozessualen Chancen für unsere gute Eidgenossenschaft in hohem Grade, zweifelhaft gestalten. Die Bahnen hatten alljährlich dem Eisenbahndepartemente ihre Verwaltungsberichte und Jahresbilanzen einzusenden. Eisenbahndepartement und Bundesrath nahmen jeweilen Kognition hievon, ohne diese auf den Baukonto geschriebenen Positionen anzufechten. Es liegt allerdings keine Ratification ab Seite der eidgenössischen Verwaltung vor, es hat weder ein ausdrücklicher noch ein im engern und eigentlichen Sinne stillschweigender Accept dieser Rechnungsstellung stattgefunden, und gegen einen Versuch der Einsprache wurden die Bahnen wie gegen ein anmaßend abenteuerndes Wagniß remonstrirt haben. Aber jetzt würden gleichwohl die Advokaten der Eisenbahnen vor dem richterlichen b Forum hoch pathetisch geltend machen : wie, Ihr wollt nun unsere rechtschaffenen Forderungen wegmarkten, Ihr, die Ihr Euch bei jeweiliger Entgegennahme unserer Rechnungen in die würdevolle Toga philosophischer Schweigsamkeit gehüllt? Abgesehen von dieser unangenehmen Vorfrage müßte dann aber auch mit den Eisenbahnen, und zwar mit jeder einzelnen, über jede einzelne Position herumgestritten werden. Der eidgenössische Fiskal hätte gegen eine hochgradige, überaus energische Interessenassociation zu kämpfen, es würden sich Prozesse auf Prozesse, Kontroversen auf Kontroversen und schließlich parlamentarische und publizistische Interpellationen auf Interpellationen häufen und des unliebsamen, destruirenden Gezänkes möchte sich in löblicher Eidgenossenschaft erst dannzumal ein Ende O finden, wenn dem Frieden zulieb und in erzwungenem Kniefall vor den vereinten Interessen der Obligationäre und Aktionäre der dann so wie so überschuldete eidgenössische Fiskus sich zu einem weitern St.Niklausen-Geschenk an die Herren Aktionäre, d. h. zu einer die öffentliche Meinung beleidigenden Kapitulation verstehen würde. Uebrigens würde in That und Wahrheit nicht das Bundesgericht, sondern es würden nur einzelne Experten über die ganze fiskale Zukunft der Eidgenossenschaft das materiell autoritative
Forum bilden. Wo haben wir eine sattsame technische und juristische Begriffsbestimmung des Wortes Anlagekapital, welch eine Unmasse thatsächlich bestrittener Fragen, was verbaut und nicht vergraben worden, was dermalen noch in gutem Zustande sich befinde und was überhaupt zu zahlen sei, würden die Herren Rechtsanwälte schmunzeln, die Aktenfaszikel sehwellen machen und zu hunderterlei Weiterungen, intriganten Kreuz- und Quergängen und luxuriösen Augenscheinen führen. Die augenfälligste Absurdität besteht aber

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darin, daß die Eidgenossenschaft zum Voraus durch Kündigung der Konzessionen zur Effektuirung des Rückkaufes sich definitiv verpflichten müßte, b e v o r sie auch nur annähernd die, endschaftliche RückkauFssumme mit mathematischer Genauigkeit zu fixiren in der Lage sich befände. Die Väter des Vaterlandes müßten sich mit verbundenen Augen in den Abgrund stürzen. Ja wohl, man sieht es diesen Rückkaufsbedingungen von Stund' weit an, daß sie viel mehr im Interesse der Buhngesellschaften als des eidgenössischen Fiskus derart redigirt worden. Das Sezümesser fiskalisch spekulativer Berechnung muß diesen Rilckkaufsbedingungen fern bleiben, sonst verlieren sie den Nimbus skrupulöser Vorsorge für die Interessen der Staatswohlfahrt. Vager, unbestimmter, elastischer hätte man nicht leicht auf einem vielumstrittenen staatswirthsehaftlich -juridischen Gebiete die Lösung des gordischen Knotens den astrologisch nicht vorauskündbaren Konstellationen später künftiger Tage anvertrauen können.

Uebrigens geben die voluminösen Bände der Bundesblätter und die parlamentarischen Annalen Bescheid dafür, und es liegt bis zu einem sehr wesentlichen Grade ein Rechtfertigungsgrund darin, daß man bei der Ausgestaltung des Bundesrechtes bezüglich der Rückkaufsbedingungen das Kapital zu Erstellung von Eisenbahnen nicht abschrecken, sondern hiezu animiren wollte. Und wo hätte denn auch die Begeisterung hiefür sich gefunden, wenn man die Rückkaufsbedingungen derart stipulirt hätte, daß bei günstiger Rendite der eidgenössische Fiskus nach einem halben Mannesalter das gute Geschäft mit israelitischem Zartsinn zu väterlicher Hand gezogen hätte.

Die drei Viertheile des Nationalrathes, welche keinen Staatsbau wollten, wollten selbstverständlich keinen raschen Rückkauf.

Und wo stünden wir jetzt, wenn der Staatsbau beschlossen worden wäre, wo stünden wir nach kurzen Jahren im Falle des Rückkaufes oder auch nur des Staatsbetriebes? Zweifellos nicht mehr auf bundesstaatsrechtlich-föderativem Boden, sondern in excentrisch centripetaler Strömung nach dem Eldorado der nun vielfach idealisirten Helvetik. Der Staat baut und verwaltet immer theurer als die Privatperson, weil eben das staatliche Interesse und die staatliche Oekonomie weniger intensiv und weniger naheliegend sind, als die des Eigenthümers. Und luxuriöser und splendider,
verschwenderischer als die Gemeinde und die engere provinziale oder kantonale Verwaltung ist naturgemäß in seinen Voranschlägen und Bilanzen der centralisirte Staat. Nun ist es zu dieser Stunde eine müßige Frage, ob der Staat weniger Konkurrenzlinien gebaut hätte, er müßte jedenfalls auch die unrentabeln Linien übernehmen, und

575 mehr noch, er müßte ganz gewiß auf diesen unheilvollen Wegen weiter fahren. Was war und ist ein korrumpirendes, zersetzendes Element in den französischen Kammern unter Louis Philipp, Napoleon und der dritten Republik? Es ist im Dienste des eigenen Interesse die rücksichtslose Geltendmachung von Lokalinteressen, zumal auf dem Gebiete der Eisenbahnen und der Straßenbauten, von Seite der Deputirten, und es ist das Ausspielen dieser Lokalinteressen von Seite der ministeriellen Centralgewalt bei den Deputirtenwahlen.

Nun traut der Sprechende den verehrten Repräsentanten der schweizerischen Nation und der eidgenössischen Stände allerdings mehr allgemein vaterländischen Catonismus -zu, aber der Interessenkampf und die Interessenassociatiòn dürften gleichwohl auf dem Parquet der vaterländischen Politik und des eidgenössischen Parlamentes eine unheilvoll exorbitante Rolle spielen, und wer dießbezüglich neben psychologischen Anhaltspunkten auch historische verlangt, den erlaube ich mir an jene Kampfesjahre und jene parlamentarischen Schlachtentage zu erinnern, wo die Oronfrage und die Lukmanier-Gotthardfrage die Gemüther mehr als alle ideellen Fragen absorbirte. Wie jede Bergflliale ihre Postverbindung will, so würde jedes schweizerische Thal sein Schienennetz verlangen. Hiedurch würde einerseits die Eidgenossenschaft ohnmächtig werden zu Erfüllung der großen und ernsten nationalen Pflichten, zumal zu Lösung ihrer Fundamentalaufgabe, der Landeswehr. In dieser Staatsverschuldung läge aber auf der andern Seite ein gewaltig centralisirendes Moment. Man müßte neue großartige Hülfsquellen aufsuchen, um nur die Schulden zu verzinsen. Man würde zu einem eidgenössischen Steuersystem gelangen ; würde man aber die Mehreinnahmen in den Zollerhöhungen oder Steuern suchen, neben den hiedurch in keiner Weise geminderten kantonalen und kommunalen Steuern würde allmälig dieses System der Volksausbeute zu einem halben administrativen Kommunismus führen; der ärmere, sonst von der Noth der Zeit schwer heimgesuchte Mittelstand würde mehr und mehr auf die Stufe des Proletariats herabgedrückt, man würde den Auswanderungsagenturen und KonkursBeamten in die Hand arbeiten, und die Folge sozialen Mißbehagens ist für das politische Gebiet Stetsfort eine heillose Alternative, d. h. entweder Indifferentismus und Apathie oder
demagogischsozialistische Verhetzung. Mit Ausnahme Belgiens, wo die Geschichte der eisenbahnpolitischen Entwickelung mit der Geschichte der nationalen Selbstständigkeit zusammenfällt, finden Staatsbetrieb und Staatsbau sieh nicht in wahrhaft freien Ländern, sondern da, wo in dieser oder jener Form der absolutistische, militaristisch-monarchische Gedanke über den Gedanken freien Volkslebens und freier nationaler Arbeit vorwiegt. Und so intensiv wir das herzlose Man-

576 chesterthum verurtheilen, so perhorresciren wir nicht weniger zwei andere excentrische Strömungen, die unter sich Todfeind, doch in Ziel und Mitteln einig gehen, wir meinen den Staatsgedanken der Absolutisten und der Sozialisten; ihr Ziel ist der omnipotente Staatsgott, ihre Mittel sind das Monopol und die Allregiererei, das Facit ihrer Strebungen und Siege aber war und wäre der Untergang aller nationalökonomischen und nationalen Freiheit. Wir sind ein Feind der Bankokratie, und darum wollen wir die Rechnungsstellung der Bisenbahnen unter eine hoffentlich energische, autoritative Lupe bringen ; wir sind aber auch ein Feind der Büreaukratie, darum wollen wir nicht auf jenes Terrain uns verirren, auf welchem die preußische Reaktion in ihrer Blütheperiode sich so wohl fühlte, als sie ihren Landräthen schreiben konnte, jeder Eisenbahnangestellte, der demokratischer Sinnesweise verdächtig sei, solle sans façon entlassen werden. Wir wollen nicht das individuelle Selbstständigkeitsgefühl im Schweizervolke dadurch schwächen , daß eine halbe Armee verzweifelter Existenzen beim tausendarmigen Einheitsstaate um Brod und Stellen betteln kann. Und wenn wir auch nur einen einheitlichen Betrieb hätten, wie oft würden wir in unsern langen und immer längern Parlamenten zu Gunsten neuer unrentabler Züge und zu Gunsten von Besoldungserhöhungen gar sentimentale Reden hören müssen. Wir verkennen die eminenten technischen Vortheile eines einheitlichen Betriebs in keiner Weise, aber der Wunsch nach einem Staatsbetrieb ist hundertmal leichter in Motionen- und Postulatenform gebracht als administrativ und gesetzgeberisch bewerkstelligt. Jede Konzessionsurkunde hat ·denn doch neben ihren Partien öffentlich-rechtlichen Charakters in gar vielen Punkten ein unbezweifelbar privatrechtliches Gepräge.

Nicht nur die erlaubten, allerdings revidirbaren Tarifmaxima, sondern hinwieder die Zahl der obligatorischen Züge und so manch' übriger Prestationen sind in diesen Dokumenten gar verschiedenartig statuirt. Wo hätten wir nun hier einen einheitlichen Rechnungsmodus, wo hätten wir die zuverläßige Orientirungslinie und den Regulator für die periodischen Liquidationen und Abrechnungen zwischen Bund und Gesellschaften? Wollte der Bund ein Expropriationsrecht zur Effektuirung des einheitlichen Betriebs behaupten, so wäre das ein
staatlicher, das öffentliche Rechtsbewußt;sein ungemein erschütternder Wortbruch gegenüber den Konzessionsurkunden, in welchen dieser Staat den Konzessionären unter nicht einseitig zu ändernden Bedingungen den Betrieb für 80 öder 99 -Jahre zuerkannte. Wie schwierig und ungünstig aber müßte ohne Expropriationsrecht die durch das Parlament von vornherein dekretirte Unterhandlung mit den hiedurch zur Ueberforderung gereizten Bahnen, und zwar mit diesem Heer von Bahnen werden! Uebrigens

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ist uns all' das nicht die Hauptsache. Für den Sprechenden besteht der Hauptgedanke darin, daß es freiheitliches Prinzip ist, der individuellen und korporativen Entwickelung möglichst viel anheim zu geben. Allerdings muß der fortschrittliche Rechtsstaat energischer Hort gegen einseitige Ueberwucherung der Privatinteressen sein, und er muß überall da eingreifen, wo die individuelle und korporative Schaffenskraft den Bedürfnissen der Zeit und des Landes nicht genügt, er muß überall mit gewissenhafter Strenge sein ausgleichendes, schützendes und förderndes Hoheitsrecht zur Geltung bringen, aber er darf vor Allem und Jedem die Grundlage jedes anderweitigen, freien nationalen Aufschwungs, die Spontaneität der nationalen Arbeit und des befruchtenden, die Summe der Einzelkräfte potenzirenden Associationsgeistes nicht paralysiren und ertödten, er darf nicht aus einem weisen und wohlwollenden Förderer und väterlichen Freunde ein niederdonnernder Vogt und Landvogt werden. Das Selfgovernment auf sozialem Gebiete ist nach germanischem Naturrecht die ganz nothwendige Parallele oder vielmehr Inhalt und Seele der politischen Selbstständigkeit.

Hüten wir uns übrigens vor Extremen, und diesen glückseligen , goldenen Mittelweg der Alten -- das ist's ja, was der Bundesrath mit seinem Doppelantrag will. Er will nicht durch Rückkauf oder staatlichen Betrieb das unheilschwangere Pferd der Danaer in die Stadt Troja hineinziehen. Aber er will auf der andern Seite dem thatsächlichen Privileg ein Ende machen, welches die Eisenbahngesellschaften, diese prinzipalen Verkehrsadern der Gegenwart, durch eine oftmal nicht weniger als photographisch treue Schilderung ihres finanziellen Seins und Machtverhältnisses vor dem Forum eines unverfälschten Rechtsbewußtseins depopularisirte.

Der bundesräthliche Gesetzentwurf will einem Rufe gerecht werden, welcher vom ethischen Rechtsgefühl unseres Volkes ausgegangen ist, und dieser Gesetzentwurf repräsentirt eine respektable und wohlerwogene, immerhin in der Tragweite ihrer Detailbestimmungen noch wohl zu erwägende Initiative zu aufbauender sozialer Gesetzgebung gegen auf andern Gebieten des modernen Verkehrslebens mindestens ebenso stark grassirende Schlauheiten, für welche übrigens der Name ,,Schlauheit" ein wohlwollendes und mildes Kolorit besitzt. Indem wir also in thunlichster Bälde
das Eintreten in Berathung dieser Gesetzvorlage proponiren werden, beantragen wir Ihnen für heute mit Einmuth ablehnende Erledigung der liquiden Rückkaufsfrage.

Mit vollkommener Hochachtung.

B e r n , den 3. April 1883.

Der B e r i c h t e r s t a t t e r : Theodor Wirz.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. II.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission betreffend den Rückkauf der schweizerischen Eisenbahnen. (Vom 3. April 1883.)

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1883

Année Anno Band

2

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20

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25.04.1883

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558-577

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