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Schweizerisches Bundesblatt.

35. Jahrgang. IV.

Nr. 54.

7. November 1883.

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Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Entwurf .zu einem Bundesgesetze betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen.

(Vom 30. Oktober 1883.)

Tit. !

Wir beehren uns, Ihnen hiernach den Entwurf zu einem Bundesgesetze betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen vorzulegen. Die Wichtigkeit des Gegenstandes legt uns die Pflicht auf, den Standpunkt, auf welchen wir uns gestellt, und die Motive, durch die wir uns haben leiten lassen, genau zu bezeichnen und vor Ihnen auseinanderzusetzen. Unsere Ausführungen theilen sich in drei Abschnitte, entsprechend der Begründung des Entwurfes 1) rücksichtlich seiner parlamentarischen Vorgeschichte, 2) nach seiner grundsätzlichen Anlage und 3) in seinen einzelnen Bestimmungen.

I.

Das Bundesgesetz betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 (A. S. X, 915) hat wie kaum ein anderer Erlaß des schweizerischen Gesetzgebers, man kann sagen von dem Momente seiner Entstehung an, den Gegenstand der öffentlichen Kritik und der Diskussion in den Räthen der Eidgenossenschaft gebildet.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. IV.

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194 Dasselbe war noch nicht ein volles Jahr in Wirksamkeit gestanden, als der Bundesrath sieh veranlaßt sah, die Ergänzung einer Bestimmung, des Artikels 19, zu beantragen, um festzustellen, daß Stimmzettel, welche weniger Namen tragen, als Stellen zu besetzen sind, nicht gleich leeren Zetteln bei Ausmittelung der absoluten Mehrheit gar nicht oder nur theilweise -- im Verhältniß der ausgefüllten Stellen zu den offenen -- in Berücksichtigung fallen, sondern gleich anderen beschriebenen Stimmzetteln behandelt werden sollen. Die gesetzgebenden Räthe ertheilten dem Antrage des Bundesrathes ihre Zustimmung und es kam das Bundesgesetz vom 31. Juli 1873 (Amtl. Samml. XI, 275) betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 zu Stande.

Ungefähr gleichzeitig, am 5.Juni 1873, war vom Staatsrath des Kantons Tessin die Anregung gemacht worden, es möge in Abänderung von Art. 8 des Gesetzes den Kantonen wieder anheimgestellt werden, die Stimmgebung geheim oder offen vor sich gehen zu lassen. Auf den übereinstimmenden Antrag des Bundesrathes und der Kommissionen beider Kammern wurde jedoch von der Bundesversammlung am 23./24. Juli 1873 über diese Anregung zur Tagesordnung gesehritten.

Schon vorher, bei Anlaß der Kassation der Tossiner Nationalrathswahlen vom Herbste 1872, hatte Hr. Nationalrath Dr. Alfred Escher aus den Abstimmungsverhältnissen dieses Kantons Veranlassung genommen, die Aufnahme von Vorschriften in das Wahlund Abstimmungsgesetz vorzuschlagen, welche den Wählern die Möglichkeit der Stimmabgabe in thunlichster Nähe ihres Wohnsitzes sichern sollten. Der Bundesrath wollte diesem Verlangen dadurch gerecht werden, daß er am 23. Juli 1873 der Bundesversammlung eine Zusatzbestimmung zu dem nämlichen Art. 8 des Gesetzes beantragte, des Inhalts, daß den Stimmberechtigten ermöglicht werden solle, ihre Stimme in der politischen Gemeinde, zu der sie gehören, abzugeben. Die Richtigkeit des Gedankens, welcher der Motion Escher zu Grunde lag, wurde allseitig zugestanden. Allein die gesetzgebenden Räthe traten auf eine definitive Schlußnahme in dieser Angelegenheit nieht ein, beauftragten dagegen den Bundesrath durch Bundesbeschluß vom 31. Juli 1873, die Regierungen der bei dieser Frage speziell betheiligten Kantone, wie Bern, Schwyz, Genf, vorerst darüber
anzuhören, und inzwischen dahin zu wirken, daß im Kanton Tessin den Stimmberechtigten die Ausübung des Stimulrechts in möglichster Nähe ihres Wohnortes gestattet werde.

195 Anläßlich der Brwahrung des Resultates der Volksabstimmung vom 23. Mai 1875 über das Bundesgesetz betreffend Civilstand und Ehe wurde sodann im Schöße der Bundesversammlung folgendes Postulat gestellt und durch Bundesbeschluß vom 1. Juli 1875 angenommen : ,,Der Bundesrath wird eingeladen, zu untersuchen, ob nicht zur Sicherung der Stimmabgabe und zur Erzielung einer wirksamem Abstimmungskontrole die Bundesgesetze betreffend die eidg. Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juli 1872 und die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juni 1874 ergänzt werden sollen, in dem Sinne, daß in allen Kantonen ein gleichmäßiges Verfahren eingeführt würde, und nöthigenfalls einen Gesetzentwurf vorzulegen." (Postulate-Samml., Neue Folge, Nr. 31.) Im Weitern beschloß der Nationalrath am 8. Dezember 1875 auf den Antrag des Hrn. Joly bei Gelegenheit der Prüfung der im Kanton Neuenburg getroffenen Nationalrathswahlen vom Oktober jenes Jahres, die zur Untersuchung der Frage der gemeindeweisen Abstimmung (Art. 3, bezw. Art. 8 des Gesetzes mit Zusatzbestimmung nach Antrag des Bundesrathes vom 23. Juli 1873) niedergesetzte Kommission habe gleichzeitig auch den Art. 8 nach der Richtung in Erwägung zu ziehen, ob gedruckte Stimmzettel, an der Stelle von beschriebenen, zuläßig seien (Postulate-Samml., n. F., No. 59).

Nachdem das Justiz- und Polizeidepartement im Jahr 1875 über die einschlägigen Fragen ein Gutachten des Hrn. Bundesgerichtspräsidenten Jules Roguin eingeholt hatte, das auch heute noch bei der legislativen Behandlung dieser Materie als ein schätzbares Aktenstück gelten kann, erstattete der Bundesrath darüber mittelst Botschaft vom 27. November 1877 der Bundesversammlung einen umfassenden Bericht (Bundesbl. 1877, IV, 413).

In diesem Berichte wies der Bundesrath vorerst auf die große Menge der Verschiedenheiten im Wahl- und Abstimmungsverfahren der Kantone hin; er anerkannte die hohe Wünsch barkeit der Aufstellung einheitlicher Vorschriften, um aus der kantonalen Vielgestaltigkeit herauszukommen; dennoch glaubte er, im damaligen Zeitpunkte, von einer Revision der Bundesgesetze von 1872 und 1874 abrathen zu sollen. Dabei war für den Bundesrath vornehmlieh der Gedanke entscheidend, daß die prinzipielle Grundlage, auf welcher das Wahl- und A.bstimmungsverfahren aufgebaut werden solle, in der
politischen Stimmberechtigung der Schweizerbürger zu suchen, diese aber noch immer nicht von Bundeswegen einheitlich geordnet sei. Im Uebrigen fand der Bundesrath, daß eine besondere Dringlichkeit zur Verwirklichung des Einheitsgedankens in Bezug auf das Wahl- und Abstimmuiigsverfahren nicht vorliege.

Sodann erwähnt die Botschaft vom 27. November 1877 kurz

196 einer Petition der Herren Nationalrath Studer (Zürich) und Ständerath Dr. Stehlin (Basel) betreffend Einführung des Proportionalsystems bei den eidgenössischen Wahlen, deren einläßliche Erörterung auf einen Zeitpunkt zu verschieben sei, wo eine Aenderung des bisherigen Wahlsystems ernstlich an die Hand genommen werden könne, und konstatirt hierauf bei Besprechung der Frage der gemeindeweisen Abstimmung, daß in allen Kantonen, seit 1873 auch in Tessin, mit alleiniger Ausnahme von Genf, die Wahlen und Abstimmungen in den Wohnsitzgemeinden stattfinden, allerdings im Kanton Bern mit der Modifikation, daß die Kirchgemeinden an die Stelle der politischen Gemeinden treten, sofern nicht bei allzugroßer Bevölkerungszahl die Kirchgemeinde in mehrere politische Versammlungen eingetheilt wird. Der Bundesrath kam demgemäß zum Schlüsse, es sei den Postulaten Nr. 31 und 59 betreffend das eidg. Wahlund Abstimmungsverfahren, und ebenso der Petition Studer-Stehlin betreffend Einführung des Proportionalverfahrens keine weitere Folge zu geben, dagegen solle die vollziehende Bundesbehörde beauftragt werden, Fürsorge zu tragen, daß inskünftig die Vorschrift des Artikel 3 des eidg. Wahl- und Abstimmungsgesetzes, wonach jeder Bürger an seinem Wohnorte seine Stimme abzugeben hat, auch im Kanton Genf zur Ausführung gelange.

Der Standpunkt des Bundesrathes fand nicht die Zustimmung der Mehrheit in den gesetzgebenden Käthen. Es verlangte namentlich die Mehrheit der nationalräthlichen Kommission, bestehend aus den Herren Saxer, Kaiser, Migy und Philippin, deren Ansichten Philippin in einem sehr einläßlichen und bemerkenswerthen Rapporte vom Dezember 1877 vertrat, mit Entschiedenheit eine Revision des Gesetzes.

Bei diesem Anlasse solle die Bildung der kantonalen Wahl- und Abstimmungsbezirke nicht bloß mit Bezugnahme auf die Genfer Verhältnisse, sondern auch mit Rücksicht auf eine Petition aus dem Kanton Freiburg, welche eine möglichst gleichförmige Bildung der Bezirke mit Vermeidung der im Kanton Freiburg durchschnittlich vorkommenden kleinen Gemeindekreise von höchstens 80--100 Wählern anstrebte, in's Auge gefaßt, und auch die Petition der Herren Studer und Stehlin in eingehende Berücksichtigung gezogen werden. Dem gegenwärtigen Gesetze wurde vorgeworfen, daß es weder klar, be stimmt und einfach, noch vollständig und
das gesammte eidgenössische Wahl- und Abstimmungswesen umfassend sei, und die Ansicht energisch bekämpft, wonach neuerdings (zum dritten Male) der Vorlage eines Stimmrechtsgesetzes die Priorität vor der Revision des eidg. Wahl- und AbstimmungsVerfahrens eingeräumt werden sollte. In Betreif der Umschreibung der Wahl- und Abstimmungsbezirke fand der Berichterstatter der nationalräthlichen Kommis-

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sionsmehrheit die richtigste und praktischeste Lösung in einem System, welches den Kantonen dießfalls eine gewisse Freiheit gewährt, hinsichtlich der Anordnungen der Kantone jedoch die Genehmigung des Bundesrathes vorbehält. Einen ähnlichen Standpunkt nahm auch die Mehrheit der ständeräthlichen Kommission (siehe deren Bericht im Bundesblatt 1878, III, 255) ein. Auch sie postulirte die vollständige Revision des Gesetzes. Es sei ein berechtigtes Verlangen, daß der Wähler in den Stand gesetzt werde, seine Stimme in der Nähe seines Wohnortes abzugeben; aber damit werde keineswegs in absoluter Weise der Abstimmung in Gemeindekreisen gerufen. Vielmehr seien auch in diesem Punkte die abweichenden topographischen und geographischen Verhältnisse unseres Landes zu berücksichtigen. Allerdings erscheine es wegen des Mangels an Kontrole nicht zweckmäßig, allzu kleine Wählergruppen zu bilden; allein es könne sieh auch wiederum empfehlen, eine einzelne größere Gemeinde in mehrere Wahl- und Abstimmungssektionen zu theilen.

Als das Resultat der sehr einläßlichen Erörterungen im Schöße der Räthe ist der auf dem Standpunkte der Kommissionsmehrheiten fußende Bundesbeschluß vom 19. Februar/2l. August 1878 zu verzeichnen (Postulat Nr. 161). Der Bundesrath ist durch denselben eingeladen worden, gesetzliche Bestimmungen vorzuschlagen, welche den Stimmberechtigten die Möglichkeit der Stimmabgabe in thunlichster Nähe ihres Wohnsitzes sichern. Auf die Petitionen aber, die speziell gegen das, für eidgenössische Angelegenheiten sieben Abstimm ungs- und Wahlkreise aufstellende Genfer Gesetz vom 2. Februar 1878 gerichtet waren, sind die Räthe nicht eingetreten.

In der Nationalrathssession vom Dezember 1878 wurde auf die mehrfache Inkongruenz des französischen und des deutschen Gesetzestextes aufmerksam gemacht und -- anläßlich der Genehmigung der Walliser Nationalrathswahlen -- neuerdings die Frage der Zulässigkeit gedruckter Stimmzettel aufgeworfen. Der Bundesrath erhielt durch Beschluß des Nationalrathes vom 20. Dezember 1878 den Auftrag, über endgültige Festsetzung des Textes des eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsgesetzes und namentlich über die Frage der Zulassung gedruckter Stimmzettel auf die folgende Junisession Bericht zu erstatten.

Mittelst Botschaft vom 6. Juni 1879 (Bundesbl. 1879, II, 927) kam unsere Behörde
diesem Auftrage nach. Nachdem inzwischen der Kanton Genf sein Gesetz vom 2. Februar 1878 durch ein neueres vom 26. April 1879 ersetzt hatte, durch welches an deiStelle von 7 eidgenössischen Wahl- und Abstimmungskreisen deren 24 eingeführt wurden, erklärte der Bundesrath das Postulat be-

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treffend die Ermöglichimg der Stimmabgabe in der Nähe des Wohnsitzes der Stimmberechtigten als überall in einer dem Bundesgesetze entsprechenden Weise praktisch geregelt und rieth davon ab, dem betreffenden Artikel 3 des Gesetzes eine andere Fassung zu geben, die möglicherweise zu neuen Kontroversen fuhren könnte. In Betreff der gedruckten Stimmzettel bejahte die bundesräthliche Bothschaft neuerdings (wie schon diejenige vom 27. November 1877 es gethan) die Zulässigkeit derselben. Allerdings -- fügte der Bundesrath bei -- müssen daneben ausreichende Garantien bestehen zur Wahrung des Geheimnisses, der Freiheit und Unabhängigkeit der Abstimmung. Allein um diese zu erstellen, bedürfe es keiner besondern bundesgesetzlichen Bestimmungen.

Es ist für den heutigen Gesetzgeber lehrreich, den Gang der Debatte zu verfolgen, welche sich in der Junisession 1879 im schweizerischen Parlamente über diese Angelegenheit entsponnen hat. Entgegen dem Antrage der nationalräthlichen Kommission, alle die anhängigen Fragen durch die bundesräthliche Botschaft vom 6. Juni 1879 als erledigt zu erklären, fielen im Nationalrathe eine Reihe von Anträgen mit mehr oder weniger bestimmter Direktion auf Revision, beziehungsweise Ergänzung der Artikel 3 und 8 des Gesetzes (Abstimmungsort und gedruckte Stimmzettel betreffend) , auf Annahme von Bestimmungen über Stellvertretung, Fristsetzung zur Ausübung des Stimmrechts am Wahl- und Abstimmungstage, Obligatorium der Theilnahme au eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, und endlich auch der Antrag auf ganz allgemeine Rüekweisung des Gegenstandes an den Bundesrath, ohne jegliche Direktion über die Grundlage und den Umfang der in Aussicht genommenen Gesetaesrevision. Dieser letztere beliebte. Und als der Vertreter der Bundesrathes den Ständerath zur Annahme der Rückweisung ,,in dem Sinne, daß ein mögliehst einheitliches Verfahren für die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen aufgestellt werde,"1 bewogen hatte, stieß dieser Beschluß im Nationalrath auf den entschiedensten Widerstand. ,,Uniformität sei weniger wünschenswert!!, als Uebereinstimmung in gewissen materiellen Punkten, eine formelle Einheit kaum herstellbar.tt (Escher).

Mit 59 gegen 23 Stimmen strich der Nationalrath den Nachsatz im Rückweisungsbeschluß des Ständerathes, und mit 49 gegen 30 Stimmen beschloß er am 19. Juni
1879 die direktionslose Riiekweisung der Frage der Abstimmungsgesetzgebung an den Bundesrath behufs Berichterstattung und Antragstellung über Revision der Bundesgesetze vom 19. Juli 1872 und 17. Juni 1874 , welchem Beschlüsse der Ständerath seinerseits am Tage darauf beitrat. Das ist die Genesis des Bundesbeschlussses vom 20. Juni 1879 betref-

199 fend die Revision der Wahl- und Abstimmungsgesetzgebung. (Postulatesammlung Nr. 187.)

Das Jahr 1880 war dev Diskussion der Frage über die bundesrechtliche Zulässigkeit eines Begehrens um Partialrevision der Bundesverfassung und über den Modus der Fragestellung an das Volk betreffend eine Abänderung der Bundesverfassung gewidmet. Durch Bundesbeschluß vom 17. September 1880 ist anerkannt worden, daß nach Vorschrift des Artikels 120 der Bundesverfassung die an das Volk zu erlassende Anfrage allgemein dahin gestellt werden muß, ob eine Revision stattfinden solle oder nicht.

Im Jahre 1881 kam, angeregt durch eine Petition des ,,Eidgenössischen Vereins" vorn 1. November 1880 und eine solche des Schweizerischen Vereins für proportionale Vertretung vom 6. Februar 1881, und veranlaßt durch ein von den Herren Nationalräthen Sprecher (Graubünden), Thoma (St. Gallen) und Sonderegger (Appenzell I.-Rh.) am 25. April 1881 beantragtes Postulat, die Bildung kleinerer eidgenössischer Wahlkreise und der Grundsatz der Minoritätenvertretung zur Sprache. Der ,,Schweizerische Wahlreformverein " befürwortete in seiner Eingabe die Einführung des Systems der beschränkten Stimmgebung. Der ,,Eidgenössische Verein" schlug die Aufnahme grundsätzlicher Bestimmungen betreffend die Eintheilung der Nalionalrathswahlkreise in das einen stabilem Charakter tragende Wahl- und Abstimmungsgesetz vor und sprach den Wunsch aus, daß eine Maximalgröße der Kreise.festgesetzt und noch anderweitige sichernde Bestimmungen im Sinne der Minderheitsvertretung getroffen werden möchten. Die drei Postulanten des Nationalrathes bezweckten eine ,,allgemeine und grundsätzliche Revision der die Wahlen zum Nationalrath regelnden Bundesgesetzgebung auf das Jahr 1884 im Sinne einer möglichst weitgehenden und gleichmäßigen Berücksichtigung der Minderheiten.11 Die vom Bundesrath in seiner Botschaft vom 25. Februar 1881 (Bundesblatt 1881, I, 430) dießfalls gemachten Eröffnungen lauteten dahin: eine Abänderung des Wahlverfahrens sei dann zur Erörterung zu bringen, wann das Wahl- und Abstimmungsgesetz, dessen Revision in Aussicht genommen worden, zur Berathung vorliegen werde; eine Neubestimmung der Nationalrathswahlkreise aber könne erst bei einer spätem, zeitlich nicht mit der Verifikation einer Volkszählung zusammenfallenden Revision des im Nationalrath
geltenden Repräsentationsverhältnisses mit Muße geprüft und dann auch die Wünschbarkeit einer prinzipiellen Abänderung der Répartition im Sinne des eidgenössischen Vereins, d. h. im Sinne der Verkleinerung der Wahlkreise, sowie mit Bezug auf noch anderweitige Begehren, reiflich und ruhig erwogen werden. Das Ergebniß

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der Diskussion war der Nationalrathsbeschluß vom 28. April 1881 (Postulat Nr. 232), der die einfache Einladung an den Bundesrath richtet, über eine allgemeine und grundsätzliche Revision der die Wahlen zum Nationalrath regelnden Bundesgesetzgebung so rechtzeitig Bericht und Antrag einzubringen , daß die allfällig zu beschließenden Abänderungen jedenfalls für die Nationalrathswahlen von 1884 zur Anwendung kommen können. Das Postulat SprecherThoma-Sonderegger ist so vom Nationalrathe durch gegensätzliche Abstimmung in bewußter Weise seiner die Vertretung der Minderheiten bezweckenden Tendenz entkleidet worden.

Auf den Antrag des Hrn. Dr. S. Kaiser hat der Nationalrath durch Beschluß vom 8. Dezember 1881 (Postulat Nr. 252) den Bundesrath eingeladen, über die in Frage stehende Gesetzesrevision b e f ö r d e r l i c h Bericht und Anträge vorzulegen. Das die Mahnung beantragende Mitglied erklärte im Schöße der Behörde, daß es die Schwierigkeiten dieser gesetzgeberischen Aufgabe nicht verkenne.

Es sei aber nicht eine Totalrevision mit vollständigem Neubau des Gesetzes vonuöthen ; vielmehr dürfe und solle sich die Revision auf einzelne wesentliche Punkte beschränken, deren Regelung im Sinne der praktischen Erfahrung dringlich erscheine, wie beispielsweise die genauere Feststellung des Ortes der Stimmgebung im Anschluß ait den Begriff des Wohnsitzes, die Erweiterung der Zeit für die Stimmabgabe durch Einführung des Urnensystems oder eine ähnliche Beihülfe, die Revision von Artikel 14 und 15 des Gesetzes betreffend die Unvereinbarkeit gewisser Bundesstellen mit dem Mandate eines Nationalisa thés.

Ein weiteres, anläßlieh der Genehmigung einer im sechsunddreißigsten Wahlkreis getroffeneu Nationalruthswahl vom Nationalrath am 12. Dezember 1881 angenommenes Postulat (Sammlung Nr. 253), welches die gehörige Versiegelung der Stimmzettel und deren Verwahrung in den Händen der Kantonsregierung bis nach der endgültigen Genehmigung der Wahl Verhandlung zum Gegenstande hat.

ist durch ein Kreisschreiben des Bundesrathes an die Kantonsbehörden vom 16. Dezember 1881 erledigt worden.

Durch Nationalrathsbeschluß vom 26. Juni 1882, der sich an den Beschluß dieses Rathes über die Wahlen des vierzigsten eidgenössischen Wahlkreises vom Jahre 1881 anlehnt, wurde sodann der Bundesrath eingeladen, die nöthigen Maßnahmen zu
ergreifen, damit bei künftigen eidgenössischen Wahlen in den Kantonen, in welchen dieß bisher nicht der Fall gewesen sein sollte : a. ausschließlich offizielle, für einen ganzen Wahlkreis identische und gegen Fälschung thunlichst Garantie bietende Stimmzettel-Formulare verwendet werden ;

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b. jeder Wähler nur dann in seiner Heimatgemeinde in das Stimmregister eingeschrieben und zur Wahl zugelassen werde, wenn in derselben sich zugleich sein wirklicher Wohnsitz befindet.

Es bleibt noch zu erwähnen, daß im Dezember 1882 bei Brwahrung des Ergebnisses der Volksabstimmung vom 26. November über den Bundesbeschluß vom 14. Juni 1882, betreffend die Ausführung des Artikel 27 der Bundesverfassung, ein Antrag, der ausdrücklich festsetzen wollte, daß in Zukunft die Referendumsunterschriften lediglich im Kreise der kompetenten Behörden der Prüfung und Kontrole unterliegen sollen, nicht aber dem Publikum vorgelegt werden dürfen, von den Käthen nicht angenommen worden ist, und schließlich mag bemerkt werden, daß eine Motion des Hrn. Ritschard vom 7. Dezember 1882, welche eine Ergänzung des Referendumsgesetzes in dem Sinne beabsichtigte, daß die referendumsfähigen Erlasse der Bundesbehörden, von motivirenden und erläuternden Botschaften begleitet, jeweilen jedem Schweizerbürger in besonderm Exemplar zuzustellen seien und das Referendum nicht früher als vier Wochen nach dieser Zustellung in gültiger Weise anbegehrt werden könne, am 23. April 1883 wegen Austritt des Motionsstellers aus dem Nationalrathe und Nichtaufnahme der Motion von anderer Seite als dahingefallen erklärt und von der Traktandenliste der Bundesversammlung gestrichen wurde.

II.

Wir haben es für zweckmäßig erachtet, Ihnen, Tit., diese geschichtlichen Daten vor Augen zu führen, weil sie die von den gesetzgebenden Käthen geschaffene Grundlage bilden, auf welcher der Bundesrath den Entwurf einer revidirten Wahl- und Abstimmungsgesetzgebung zu erstellen hat, wenn er mit den Absichten und Anschauungen der Bundesversammlung im Einklänge bleiben will.

So sehr es nun der Exekutive erwünscht gewesen wäre, in grundsätzlicher Beziehung genauer und vollständiger, als es geschehen ist, durch die h. gesetzgebenden Räthe über die einzelnen Punkte, den Umfang und das Ziel der Revision unserer eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsgesetzgebung orientirt zu werden, so ragen doch aus den wiederholten Debatten über die einschlägigen Fragen gewisse Hauptgedanken als Pfeiler hervor, an die sich die vollziehende Behörde mit Sicherheit anlehnen kann und welche ihr gleichzeitig die einzuschlagende Richtung andeuten. Fassen wir dieselben etwas näher ins Auge !

202 Vor Allem ist hierorts zu konstatiren, daß in den beiden Käthen die entschiedene Ueberzeugung -- entgegen der in zwei bundesräthlichen Botschaften (1877 und 1879) ausgesprochenen Ansicht -- sich Bahn gebrochen hat, es sei die eidgenössische Wahlund Abstimmungsgesetzgebung einer eingehenden Revision bedürftig und es bestehe hiefür in dem Sinne Dringlichkeit, daß darauf Bedacht genommen werden solle, die revidirte Gesetzgebung bei den Integralerneuerungswahlen des Natioualrathes vom Jahre 1884 zur Anwendung bringen zu können. Immerhin -- auch das heben wir hier hervor -- hat sich der Revisionswille der Räthe niemals derart geäußert, daß auf eine vorwaltende Tendenz für totale Revision der fraglichen Gesetze in formeller und materieller Richtung geschlossen werden dürfte. Man wollte und will nicht ein das Wahl- und Abstimmungsverfahren in allen Einzelheiten einheitlich für die ganze Schweiz ordnendes Gesetz schaffen, sondern es soll das System der bisherigen Gesetzgebung beibehalten werden, wonach der formale Ausbau, das Verfahren im Einzelnen, auf dei1 prinzipiellen Grundlage des eidgenössischen Rechts den Kantonen überlassen bleibt.

Allein wenn auch ein Einbruch in den bisherigen Entwickelungsgang der Gesetzgebung vermieden werden will, so darf und soll doch andererseits unbedenklich überall da, wo die Form einen Inhalt von wesentlicher, grundsätzlicher Bedeutung birgt, die Aufstellung einer Norm dem eidgenössischen Rechte vorbehalten sein.

Es ist dies ein Gedanke, den wir in allen die Revision befürwortenden Voten im Schöße der Räthe hervortreten sehen und der auch dem Bundesrathe bei seinen hiernach entwickelten Revisionsvorschlägen als leitendes Motiv gedient hat. Daß wir damit den streng konstitutionellen Boden nicht verlassen, bedarf wohl kaum eines weitem Nachweises. Die Bundesverfassung von 1^74 hat im Gegensatz zu derjenigen von 1848 die politische Stimmberechtigung als das erste vom Bunde zu schützende Grundrecht der Schweizerbürger ausdrücklich anerkannt und zu diesem Zwecke positive Bestimmungen der Bundesgesetzgebung vorgesehen (Art. 47, 66, 74). Es würde nun dem Willen der Verfassung geradezu widerstreiten, wenn es den Kantonen gestattet werden wollte, für die Ausübung des Stimmrechts nach ihrer Willkür Formen vorzuschreiben und Schranken aufzurichten, welche vielleicht dus
verfassungsmäßige Grundrecht als solches zu verkümmern geeignet wären. In der Form liegt hier die Sache selbst. Die Stimmberechtigung als solche bliebe ein todter Buchstabe ohne die Beigabe von Bestimmungen, welche deren Ausübung ermöglichen, sichern und ordnen. In sehr bezeichnender Weise geben der französische und der italienische Text des Artikel 74, Absatz 2, der Bundesverfassung diesem Gedanken Ausdruck, indem sie besagen, daß der

203 Bundesgesetzgebung das Recht vorbehalten bleibe, über ,, d i e A u s ü b u n g " des Stimmrechts einheitliche Vorschriften aufzustellen (,,toutefois la législation fédérale pourra régler d'une manière uniforme l'exercice de ce droit" ; --· ,,resta nondimeno riservato alla legislazione federale lo stabilire norme uniformi per l'esercizio di questo diritto"), während der deutsche Text sich darauf beschränkt, von der S t i m m b e r e c h t i g u n g , dem Rechte als solchem, zu sprechen. Von einer Verschiedenheit des Sinnes der drei gleichwerthigen Texte unseres Grundgesetzes kann aber, wie wir schon ausgeführt haben, nicht die Rede sein.

Auf diesem Boden der Uebereinstimmung zwischen dem Inhalte des politischen Stimmrechtes und den Bedingungen und Formen seiner Aeußerung suchen wir durch unsern Gesetzentwurf die Einheit im eidgenössischen Wahl- und Abstimmungswesen herzustellen. Weit entfernt, in nebensächlichen Formalien den Kantonen etwas vorschreiben zu wollen, bezwecken wir dadurch nur, in einheitlicher und sicherer Weise die Faktoren herzustellen, ohne welche ein Wahl- und Abstimmungsakt nicht auf Wahrheit Anspruch machen kann. Diese Faktoren sind die S t i m m b e r e c h t i g u n g als solche und die zu deren Anerkennung nothwendigen Erfordernisse; die Voraussetzungen zur A u s ü b u n g des Stirn m r e c h t s im einzelnen Falle in persönlich ei1, örtlicher und zeitlicher Beziehung, d. i. die Ordnungsmäßigkeit der Verhandlung und die den Stimmberechtigten in einer mit der Ordnung verträglichen Weise gewährte Möglichkeit der Theilnahme an derselben ; die Garantien für die F r e i h e i t u n d U n a b h ä n g i g k e i t d e r S t i m m e n d e n , gleichbedeutend mit Sebutzbestimmungen zur Wahrung des G e h e i m n i s s e s d e r S t i m m g e b u n g , endlich d i e P e s t s t e l l u n g und Er W ä h r u n g des R e s u l t a t e s eines Wahl- und Abstimmungsaktes und die E r l e d i g u n g von E i n s p r a c h e n und Beschwerden.

In Bezug auf die äußere Anordnung unseres Entwurfs bemerken wir, daß drei resp. vier Bundesgesetze zu einem einzigen Wahl- und Abstimmungsgesetze vereinigt worden sind, nämlich das Bundesgesetz vom 19. Juli 1872, betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, das Ergänzungsgesetz zu diesem vom 31. Juli 1873, das Bundesgesetz betreffend
Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse (Referendumsgesetz) vom 17. Juni 1874 und das Bundesgesetz vom 5. Dezember 1867, betreffend die Begehren für Revision der Bundesverfassung. Wenn auch der uns ertheilte Auftrag sich nur auf die Gesetze vom 19. Juli 1872 und 17. Juni 1874 bezieht, so glaubten wir doch auch das oben erwähnte Gesetz vom 5. Dezember 1867 mit in

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Revision ziehen und unserm Entwürfe einverleiben zu sollen, weif es einen hochwichtigen Theil eidgenössischer Abstimmungen zum Gegenstande hat, und in den Jahren 1879 und 1880 erhebliche Meinungsdifferenzen in Betreff des Vorgehens bei einem Volksbegehren für Revision der Bundesverfassung zu Tage getreten sind, welche nicht von vorn eherein durch einen genauen, alle Zweifel beseitigenden Gesetzestext unmöglich gemacht waren.

Wir haben ferner die formelle Bemerkung vorauszuschicken,, daß durch die Aufnahme von Bestimmungen über die Stimmberechtigung und den Ausschluß vom Stimmrecht in eidgenössischen Angelegenheiten (Artikel 2 und 3) ein Theil des im Gesetzentwurfe vom 2. Juni 1882 über die politischen Rechte der Schweizerbürger behandelten Stoffes in das vorliegende Gesetz betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen verlegt wird. Es sprechen hiefür, wie schon im Allgemeinen dargethan worden ist, nicht bloß sehr gute innere, sondern auch äußere praktische Gründe) und wir glauben uns hierin in Uebereinstimmung zu befinden mit der Ansicht der großen Mehrheit der Mitglieder beider Räthe, was von uns bereits im Geschäftsberichte für das Jahr 1882 bei Besprechung der gesetzgeberischen Arbeiten des Justiz- und Polizeidepartementes angedeutet wurde (Bundesblatt 1883, II, 831 ff.).

Dagegen ist davon abgesehen worden, die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 3. Mai 1881, betreffend die Wahlen in den Nationalrath, des sog. Wahlkreisgesetzes, bezüglich dessen wir dermalen keine Abänderungsvorschläge machen, mit dem neuen Gesetze zu vereinigen. Bis zum 19. Juli 1872 war das Bundesgesetz vom 21. Dezember 1850, betreffend die Wahl der Mitglieder des Nationalrtithes (Amtl. Samml. u, 210), das alleinige eidgenössische Wahlgesetz. Im Jahre 1872 wurde absichtlich der erste Artikel jenes Gesetzes, der die Wahlkreiseintheilung enthielt, zum Gegenstand eines eigenen Gesetzes gemacht und von den übrigen, mit dem Wahl- und Abstimmungsgesetze verschmolzenen Bestimmungen getrennt, weil -- wie sieh die bundesräthliche Botschaft vorn 24. Juni 1872 (Bundesblatt 1872, II, 768 a. E.) ausdrückt -- das Gesetz über die Wahlkreiseintheilung Tjeweilen nur von einer Volkszählung zur andern in Kraft bleibe und auch sachlich zu den folgenden Artikeln (betreffend das Wahl-und Abstimmungs verfahren) nicht passe." Wir halten diese Bemerkung auch heute für zutreffend und sehen uns deßhalb nicht veranlaßt, die Rückkehr zu dem Zustande vor 1872 zu beantragen.

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III.

Nach diesen allgemeinen Erörterungen gehen wir zur Betrachtung einiger durch ihre Bedeutung hervorragenden Bestimmungen des Entwurfes über, Unwesentliches gar nicht berührend und das weniger Bedeutende der mündlichen Berichterstattung im .Schöße Ihrer Kommissionen und der h. Käthe selbst vorbehaltend.

A. Allgemeine Bestimmungen.

a. Grundbestimmung (Art. 1).

Auf der durch das eidgenössische Gesetz ihnen angewiesenen Grundlage haben die Kantone das Wahl- und Abstimmungsverfahren zu ordnen, und es ist für ihre diesfälligen Vorschriften die Genehmigung des Bundesrathes einzuholen. Letztere Bestimmung ist neu, bedarf jedoch keiner weitern Begründung.

b. Stimmberechtigung (Art. 2--4).

Der Ausschluß vom Aktivbürgevrecht soll nicht mehr durch die Gesetzgebung des Wolinsitzkantons bestimmt, sondern, gestützt auf Art. 74, Absatz 2, der Bundesverfassung, einheitlich im eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsgesetze geregelt werden. Neben dem Ausschluß der durch strafgerichtliches Urtheil ihrer bürgerlichen Ehrenrechte verlustig Erklärten und der wegen Verschwendung, Geisteskrankheit oder Blödsinn Bevormundeten ist auch der Ausschluß wegen Konkurs bis auf fünf Jahre in den Fällen vorgesehen , wo es sich weder um ein kriminelles noch korrekfrionelles auf den Konkurs bezügliches Urtheil handelt, sondern lediglich die Frage der Selbstverschulduna; des Konkurses gerichtlich bejaht wird.

Den Kantonen kommt es zu, die zur Ausführung dieser Norm erforderlichen organisatorischen Bestimmungen zu treffen.

Wir haben damit allerdings den von uns in der Botschaft vom 2. Juni 1882 zum Gesetzentwurf betreffend die politischen Rechte der Schweizerb Urger eingenommenen rein prinzipiellen Standpunkt verlassen. Wir thun es, um nicht einem an sich gewiß richtigen und schönen, aber, wie man uns von den verschiedensten Seiten versichert, in der öffentlichen Meinung der Mehrheit der Kantone noch nicht zur Anerkennung gelangten Prinzip zu lieb das Zustandekommen des Gesetzes zu gefährden. Hinwieder scheint mehr und mehr auch in der deutschen Schweiz der in die Gesetzgebung der romanischen Kantone aufgenommene Gedanke durchzudringen, daß nur der gemäß gerichtlicher Erkenntniß selbstverschuldete Konkurs den Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte zur Folge haben solle.

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Dieser Gedanke bezeichnet die äußerste Grenze, bis zu der wir bei dieser Ausschließung gehen können.

In der Thatsache, daß Jemand öffentliche Armenunterstützung genießt, erblicken wir keinen Grund, um ihm das politische Forum in den allgemeinen eidgenössischen Angelegenheiten zu verschließen.

Ist liederlicher Lebenswandel die Ursache der Verarmung, so kann durch korrektionelles Strafurtheil oder durch Bevormundung eine Schmälerung der bürgerlichen Ehre des Betreffenden eintreten. Dio Dürftigkeit an und für sich rechtfertigt diese Folge nicht. Wir verweisen auf die Ausführungen über diesen Punkt in unserer schon erwähnten Botschaft vom 2. Juni 1882 zum Stimmrechtsgesetzentwurf auf Seite 16, 17 und 18 (Bundesbl. 1882, III, l ff.).

Laut statistischen Erhebungen waren in der Schweiz im Jahre 1881 von 732,800 volljährigen männlichen Schweizerbürgern 94,211 (über 12 %) nicht auf den Stimmregistern eingetragen. Auf 100 Einwohner zählte die Schweiz bei den Nationalrathswahlen von 1881 22 Stimmberechtigte (Frankreich im gleichen Jahre 27 , Deutschland 20, Italien 1880 bloß 2, Belgien 1872 ebenfalls 2 %).

Wenn irgendwo, so gilt es in unserm republikanischen Lande durch Anerkennung des allgemeinen Stimmrechts auf dem Gebiete der gemeinschweizerischen, alle Bürger ohne Unterschied gleich nahe berührenden Interessen weitherzige, liberale Gesinnungen zu bethätigen.

In Artikel 4 des Entwurfes finden Sie den Grundsatz neuerdings anerkannt, der schon durch Artikel 5 des gegenwärtigen Wahl- und Abstimmungsgesetzes sanktionirt ist und in alle Stiminrechtsgesetzentwürfe seit 1874, auch in den neuesten vom 2. Juni 1882 (Art. 11) aufgenommen wurde, den Grundsatz, daß dem Bürger bezüglich seiner Stimmberechtigung kein negativer Beweis über das Nichtvorhandensein von Ausschlußgründen aufgebürdet werden dürfe, sondern daß mit dem Nachweis der die Stirn mberechtigung begründenden Elemente -- Schweizerbürgerrecht und verfassungsmäßiges Alter -- diesfalls von Seite des Bürgers genug gethan sei. Wir halten diesen Satz für einen geradezu unanfechtbaren und berufen uns statt aller weitern Motivirung auf die zutreffenden Auseinandersetzungen in den bundesräthlichen Botschaften vom 24. Juni 1872, betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen , und vom 2. Juni 1882, betreffend die politischen Rechte der Schweizerburger (Bundesbl. 1872, II, 765 ff.; 1882, III, 12 ff.).

207 c. Ort der Stimmgabe; Eidgenössisches Stimmregister (Art. 5--10).

Wir haben uns bemüht, auf diesem Gebiete eine thunlichst gleichmäßige Ordnung zu sichern, ohne berechtigte kantonale Eigenthümlichkeiten zu verletzen. Es war dasselbe seit 1872, Dank der zu wenig genauen Redaktion von Artikel 3 des bisherigen Gesetzes, ein eigentlicher Tummelplatz gewesen zur Uebung in der freien Kunst der Gesetzesinterpretation, die bekanntlich nach ihren verschiedenen Elementen zu verschiedenen Ergebnissen führen kann.

Der Schweizerbürger soll sein Stimmrecht auch in eidgenössischen Dingen in demjenigen politischen Kreise ausüben, dem er unmittelbar und zunächst angehört, in welchem er seinen bleibenden Aufenthalt genommen, den er zum Mittelpunkt seiner Rechtsverhältnisse gewählt hat, d. h. in der politischen Gemeinde seines Wohnortes. Diesem Grundsatz thut es keinen Abbruch, wenn zur Erleichterung der Stimmabgabe eine größere Gemeinde in mehrere Abstimmungskreise getheilt wird, oder wenn, ohne Erschwerung der Stimmabgabe, mehrere Gemeinden zu einem Abstimmungskreise vereinigt werden. Es können beide Einrichtungen für die Stimmberechtigten vortheilhaft sein , und es hat uns nur die Scheu, in die vielgestaltigen kantonalen Verhältnisse ohne zwingenden Grund einzugreifen, davon abgehalten, in dieser Beziehung positive Vorschriften aufzustellen. Denn es ist nicht zu leugnen, daß allzu kleine Gemeindekreise keineswegs eine Garantie für die Freiheit und Unabhängigkeit der Bürger in ihrer Stimmgebung bieten.

Die eidgenössische Stimmberechtigung ruft der Anlegung von eidgenössischen Stimmregistern. In diesem Punkte vor Allem bedarf es der Genauigkeit und Ordnung. Darum bestimmt der Entwurf, daß die Vorstände der politischen Gemeinden von Amtswegen ein Verzeichniß aller Stimmberechtigten, die im Gemeindebezirke ihren ordentlichen Wohnsitz, sei es als Aufenthalter , sei es als Niedergelassene, sei es als Ortsbürger, haben, anzufertigen und beständig nachzuführen haben. Der aus thatsächlichen Elementen abgeleitete Begriff des Wohnsitzes kann nicht in schablonenmäßiger Weise für alle Fälle zurechtgeschnitten werden. Der Entscheid, ob Jemand in einer Gemeinde seinen ordentlichen Wohnsitz aufgeschlagen habe, wird deßhalb im Zweifelsfalle durch logische Schlußfolgerung aus vorhandenen thatsächlichen Umständen zu finden sein.
Eine einzige Vorschrift formeller Art erlaubt sich der Entwurf. Er erklärt, daß aus einem Aufenthalte, der noch nicht vierzehn Tage gedauert hat, ein sicherer Schluß auf feste Wohnsitznah ine nicht zu ziehen sei, und verweist deßhalb solche Stimmberechtigte, die innerhalb der vierzehn Tage unmittelbar vor einer Wahl oder Ab-

208 Stimmung in eine Gemeinde einziehen, zur Ausübung des Stimmrechts in ihre bisherige Wohngemeinde -- im Interesse der Ordnung und zur Verhütung von unwürdigen Versuchen betrüglicher Erlangung des Stimmrechts in einer andern als der eigentlichen Wohnsitzgemeinde. Es sind dadurch Wahlbetrügereien nicht unmöglich gemacht, das ist wahr, aber sie werden doch erheblich erschwert und können an der Hand des maßgebenden Kriteriums, welches io der festen, dauernden Wohnsitznahme liegt, in Verbindung mit den vorgeschlagenen strengern Vorschriften in Betreff der Führung der Stimmregister, mit Hülfe endlich der reichlich zugemessenen, aber auch eine ordnungsmäßige Prüfung und Erledigung gestattenden Fristbestimmung für Einsprachen gegen das Stimmregister leichter und sicherer als bisher zu Schanden gemacht werden. Nach all' den gegebenen Kautelen darf ohne Bedenken der Satz aufgestellt werden, daß nur die im Stimmregister Eingetragenen zur Theilnahme an einer eidgenössischen Wahl oder Abstimmung befugt seien.

d. Wahl- und Abstimmungsblireaux ; Ausweiskarten ; Urnensystem ; Stimmzettel und Stimmcouverts (Art. 12--20").

Es ist nicht nur eine Forderung der Systematik , sondern es liegt auch im offenbaren Interesse der praktischen Ausführung des Gesetzes, daß die Handhabung des Verfahrens besonderen, auf eine eidgenössische Amtsperiode zu bestellenden Wahl- und Abstimmungsbüreaux anvertraut wird, die im Uebrigen ihre Organisation durch die Kantone erhalten.

Ueber das im äußern Mechanismus der Stimmgebung zu befolgende System konnte ein Zweifel nicht wohl bestehen. Wir halten fest an der geheimen und schriftlichen Stimmgebung, mit Ausnahme der Geschwornenwahlen, bei welchen die offene Abstimmung auch ferner zulässig sein soll. Wir schlagen die Anwendung des Urnensystems vor, das den Zweck der Geheimhaltung des Votums erreicht und gleichzeitig dem Stimmberechtigten in zeitlicher Beziehung allen möglichen Vortheil gewährt.

Die Stimmgebung soll, wie bisher, einen rein persönlichen Charakter tragen ; die Stellvertretung widerspricht diesem Gedanken und wird deßhalb vom Entwurfe nicht zugelassen.

Die Vorschriften der Kantone, betreffend das Obligatorium der Stimmgebung, bleiben unberührt ; unsererseits nahmen wir davon Umgang, die Erfüllung einer persönlichen, bürgerlichen Ehrenpflicht durch Strafandrohungen erzwingen zu wollen.

209 Der Schwerpunkt des Wahl- und Abstimmungsverfahrens liegt unzweifelhaft in der Stimmabgabe selbst. Das bezügliche Verfahren soll einfach und leicht verständlich sein, es soll vom Bürger bequem und mühelos angewendet werden können, das ist die eine Seite; nicht minder wichtig, ja noch schwerer in's Gewicht fallend aber ist die andere Seite: das System der Stimmabgabe soll so eingerichtet sein, daß es eine Bürgschaft bildet für die Freiheit und Unabhängigkeit des Stimmenden und für die Wahrheit des Abstimmungsaktes, daß es einen Wall aufrichtet gegen jede rechtswidrige Einwirkung, gegen alle Unredlichkeit und Betrügerei. Es ist bekanntlich nicht die Eigenschaft der menschlichen Einrichtungen, vollkommen zu sein, und den Mißbrauch eines Institutes in aller und jeder Form zu verhindern, dafür gibt es kein Mittel. Aber es ist möglich, dem Zwecke relativ nahe zu kommen. Wir haben uns für ein System der Stimmabgabe entschieden, das nach unserm Dafürhalten die Vorzüge der verschiedenartigen kantonalen Einrichtungen vereinigt und deren Nachtheile nach Möglichkeit vermeidet. Jeder Stimmberechtigte, d. h. jeder stimmfähige Bürger, welcher spätestens am fünfzehnten Tage vor einer Wahl oder Abstimmung in einer Gemeinde seinen ordentlichen Wohnsitz aufgeschlagen hat und demgemäß in das Stimmregister der Gemeinde aufgenommen worden ist, erhält zur Konstatirung seiner Identität und um ihm die Möglichkeit zu gewähren, seine Stimmgebung vorzubereiten, sowohl eine persönliche Ausweiskarte, als auch einen Stimmzettel von Amteswegen so frühzeitig in seiner Wohnung zugestellt, daß ihm volle Gelegenheit geboten ist, im Unterlassungsfalle dieserhalb Reklamation zu erheben. Der amtlich zugestellte Stimmzettel ist handschriftlieh auszufüllen. Es steht jedoch dem Stimmberechtigten frei, sich eines andern, gedruckten oder geschriebenen, Stimmzettels zu bedienen.

Nur ist im letztern Falle wohl darauf zu achten, daß, wenn es sieh um eine Abstimmungsfrage handelt, dieselbe genau mit der offiziellen Fassung übereinstimme. Worauf es ankommt bei der Stimmgebung des Bürgers, ist nicht, daß er seine Stimme eigenhändig schreibe, sondern daß er unbelästigt von fremdem Einflüsse diejenige Stimme abgebe, die seinem persönlichen Willen am besten entspricht. Offenbar kann die Nöthigung, mit eigener Hand die Stimmgebung zu schreiben
und sich überdieß hiefür noch eines bestimmten Zettels zu bedienen, für Manchen zu einem Hinderniß der freien Willenskundgebung werden. Wir erklären uns deßhalb, wie schon in den Botschaften von 1877 und 1879, neuerdings für die Zulassung von gedruckten Stimmzetteln.

Der Stimmberechtigte bringt am betreffenden Tage seine Ausweiskarte und wenn er will den amtlich zugestellten Stimmzettel Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. IV.

14

210 oder einen andern, ausgefüllt oder noch unbeschrieben, in das Wahl- oder Abstimmungslokal und erhält dort gegen Vorzeigung der Ausweiskarte ein amtlich gestempeltes Stimmcouvert.

Der Gebrauch von Stimmcouverts, Papierumschlägen zur Einschließung der Stimmkarten, ist bisher erst in drei Kantonen eingeführt, nämlich in Neuenburg, Waadt und Zug. Die Regierungen dieser Stando berichten jedoch, daß sich diese Einrichtung vorzüglich bewährt habe, und es sind in der That ihre Vorzüge so einleuchtend, daß es zu deren Darlegung nicht vieler Worte bedarf. Der Bürger legt seinen Stimmzettel in die Enveloppe und entzieht dadurch seine Stimmgebung jedem fremden Auge und jeder fremden Einwirkung. Wir haben bezüglich der Beschaffenheit der Stimmcouverts, abweichend von Neuenburg und Waadt, aber übereinstimmend mit Zug, vorgesehen, daß dieselben ausschließlich zur Umhüllung der Stimmzettel und in keiner Weise zur Aufschreibung der Stimme dienen sollen. Nur so erfüllen sie ihren Zweck vollständig. Den Bürgern soll im Abstimmungslokal ein besonderer Raum zur Verfügung stehen, in welchem sie ihre schon ausgefüllt mitgebrachten oder erst dort auszufüllenden Stimmkarten frei und unkontrolirt in die Couverts legen können, worauf diese zugeklebt und unter Abgabe der Ausweiskarte in.

Gegenwart der Mitglieder des Bureau in die Urne gelegt werden.

Es springt in die Augen, daß dieses Verfahren dem Wähler viel größere Vortheile bietet, als das in den Kantonen übliche, wonach Stimmkarten entweder gar nicht oder erst im Lokale ausgefolgt werden oder gar die Stimmberechtigung selbst erst im Lokale vom Abstimmuugsbüreau, sei es durch Namensaufruf oder anderweitige Kontrole, erwahrt wird. Aber auch die Freiheit und Unabhängigkeit des Wählers und das Geheimniß der Stimmgebung werden durch unsern Vorschlag in vollstem Maße in allen Stadien des Wahl- und Abstimmungsaktes gesichert.

e. Ermittelung des Wahl- und Abstimmungsresultates (Feststellung: und Behandlung der ungültigen Stimmen) ; Verhandlungsprotokoll ; Aufbewahrung der Stimmzettel (Art. 22--28).

Das Bureau entscheidet in seiner Gesammtheit in erster Instanz^ d. h. vorbehaltlich allfälliger weiterer Prüfung und Beschlußfassung der Bundesbehörden, über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Stimmgebung.

Wir haben im historischen Abschnitte dieser Botschaft bereit» erwähnt, daß die Frage der Behandlung derjenigen Stimmzettel,, ·welche weniger Namen tragen, als Stellen zu besetzen sind, die

211 Veranlassung zum Erlaß des Ergänzungsgesetzes vom 31. Juli 1873 geboten hat. Im bisherigen Gesetze (_Art. 19) werden einzig die gänzlich unausgefüllten (leeren) Stimmzettel als solche bezeichnet, die bei Ausmittelung des absoluten Mehrs nicht zu berücksichtigen seien. Nach dem Ergänzungsgesetz durften die Kantone theilweise ausgefüllte Stimmzettel nicht mehr als ungültige betrachten, sondern mußten sie gleich andern beschriebenen Stimmzetteln behandeln. Im Uebrigen blieb es bisanhin der kantonalen Gesetzgebung anheimgestellt, die Fälle der Ungültigkeit einer Stimmgebung zu normiren. Infolge dessen herrscht in diesem sehr wesentlichen Punkte keineswegs Uebereinstimmung. Ja, es scheint sich trotz der klaren Vorschrift des Ergänzungsgesetzes selbst darin bis heute keine übereinstimmende Praxis gebildet zu haben, daß bei eidgenössischen Wahlen einzig die gänzlich leeren Stimmzettel für die Berechnung der absoluten Mehrheit außer Betracht fallen. So enthält die ,,Zeitschrift für Schweiz. Statistik11 in ihrem 18. Jahrgang, 1. und 2. Quartalheft, pro 1882, in einem ,,Die Wahlen in den schweizerischen Nationalrath bei dessen Integralerneuerung vom Jahre ISSI" überschriebenen höchst bemerkenswerthen Aufsatze die Angabe, daß in einigen Kantonen, wie Zürich, Glarus, Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Graubünden, entgegen der Gesetzesvorschrift die Zahl der eingegangenen Stimmen, d. h. der auf den Stimmzetteln ausgefüllten Stellen (dividirt durch die Zahl der zu besetzenden Amtsstellen) als Basis angenommen werde. Mit Recht bemerkt die ,,Zeitschrift"1, daß infolge dieses unrichtigen Verfahrens möglicherweise auch ein unrichtiges, dem Bundesgesetze widersprechendes Wahlresultat festgestellt werde, ohne daß es möglich wäre, dasselbe an Hand der Wahlprotokolle zu rektifiziren. Dieser Möglichkeit muß durch klare und erschöpfende bundesgesetzliche Bestimmungen ein Ende gemacht werden. Wir glauben, durch die Art. 23, 24 und 25 des Entwurfes diesen Zweck zu erreichen. Nur der als solcher ganz und gar ungültig erklärte Stimmzettel hat keinen Einfluß auf das Wahl- und Abstimmungsresultat und die Fälle der Ungültigkeit eines Stimmzettels sind ohne Ausnahme einzeln angeführt.

O

Damit steht die genaue protokollarische Aufzeichnung aller wesentlichen Punkte der Wahl- oder Abstimmungsverhandlung, insbesondere auch der Motive, aus denen eine beanstandete Stimmgebung gültig oder ungültig erklärt worden, in engem Zusammenhange. Die Stimmzettel, bezüglich deren es einer Beschlußfassung des Bureau bedarf, werden numerirt, von den unbeanstandeten genau ausgeschieden, in Papier eingeschlagen und versiegelt, und bis nach definitiver Genehmigung der Wahl- und Abstimmungsverliandlung durch die Bundesbehörde von der Kantonsregierung aufbewahrt.

212

B. Nationalrathswahlen.

a. Eidgenössische Wahlkreiseintheilung; Unvereinbarkeit der Stelle eines Nationalrathes mit derjenigen eines Ständerathes und gewissen Bundesbeamtungen (Art. 30--32).

Die Grundbestimmungen für die Wahlen in den Nationalrath sind in den Art. 72 -- 77 der Bundesverfassung enthalten. Sie betreffen die Repräsentationsbasis, den Grundsatz der direkten Wahl in eidgenössischen Wahlkreisen, die nicht aus Theilen verschiedener Kantone gebildet werden dürfen, die Stimmberechtigung die Wahlfähigkeit, die Amtsdauer der Behörde und die Unvereinbarkeit der Nationalrathsstelle mit gewissen Bundesbeamtungen, Der bundesgesetzlichen Ausgestaltung bedürfen nur Art. 73 betreffend die eidgenössischen Wahlkreise, Art. 74 betreffend einheitliche Vorschriften über die Stimmberechtigung in eidgenössischen Dingen und Art. 77 betreffend die Unvereinbarkeit gewisser Stellen mit der Eigenschaft eines Nationalrathsmitgliedes.

Wir haben schon unter Ziff. II- bemerkt, daß und warum wir es nicht für zweckmäßig halten, aus dem Wahlkreisgesetz einen Bestandteil des Wahl- und Abstimmungsgesetzes zu machen, wie das vor 1872 der Fall war. Es bleibt uns noch zu sagen übrig, warum wir, entgegen einer in unserer Mitte gemachten Anregung, auch mit dem vom ,,Eidgenössischen Verein" mittelst Eingabe vom 1. November 1880 befürworteten Verfahren, wonach dem vorliegenden Gesetze gewisse allgemeine Grundsätze -- "die richtigen", sagt der petitionirende Verein -- über die Bildung der eidgenössischen Wahlkreise einverleibt würden, uns nicht einverstanden erklären konnten. Es ist nämlich, wenn man sich nicht auf die Aussprache rein akademischer Sätze ohne praktische Folgen beschränken will, nach unserm Dafürhalten schlechterdings nicht möglich, die beiden Gesetze, das grundlegende und das ausführende, von einander zu trennen. Nur die Ausführung lehrt den eigentlichen Werth und die praktische Tragweite eines Grundsatzes. Das gegenwärtige Bundesgesetz vom 3. Mai 1881, betreffend die Wahlen in den Nationalrath (die Wahlkreiseintheilung), ist ganz gewiß der Verbesserung fähig. Aber gerade über die Hauptfrage, welches die richtigen Grundsätze bei der Bildung eidgenössischer Wahlkreise seien, z. B. ob kleinere Kreise oder größere dea Vorzug verdienen, gehen die Ansichten bekanntlich sehr weit aus einander. Der Bundesrath hält
nicht dafür, daß die etwa vorhandenen Uebelstände eine, nach seiner Ansicht zu vermeidende, gleichzeitige Revision des Wahl- und Abstimmungsgesetzes und des Wahlkreisgesetzes zur dringenden Notwendigkeit machen.

213 Die Frage der Stimmberechtigung bei den Nationalrathswahlen ist durch den Entwurf in allgemein gültiger Weise erledigt und von uns oben bereits besprochen worden. Wir treten"^ deshalb sofort auf die Frage der sogen. Inkompatibilitäten ein.

Es genügt ein flüchtiger Blick auf die Art. 14 und 15 des gegenwärtigen Gesetzes, die übrigens die wörtliche Wiederholung der Art. 7 und 8 des ersten eidgenössischen Wahlgesetzes vom 21. Dezember 1850 (A. S. II, 210) sind, um sich zu überzeugen, daß diese Inkompatibilitätenfrage bisher eine sehr wenig glückliche Lösung gefunden hatte. Von redaktionellen Mängeln nicht zu sprechen, behandeln die allegirten Artikel den Gegenstand weder in erschöpfender, noch in zweckmäßiger Weise. Es ist z. B. kein Grund vorhanden, den Kauzler der Eidgenossenschaft, welcher der Protokollführer des Nationalrathes ist, andern Bestimmungen zu unterwerfen, als die Mitglieder der, der Bundeskanzlei übergeordneten Aufsichtsbehörde, des Bundesrathes; vielmehr nöthigt der Art. 105 der Bundesverfassung geradezu zur Gleichstellung.

Eine vor 1874 nicht bestehende Unverträglichkeit ist durch die Neugestaltung des schweizerischen Buudesgcrichtes eingeführt worden. Art. 108 der Bundesverfassung läßt keinen Zweifel darüber, daß die Bundesrichter der Bundesversammlung nicht angehören dürfen. Dasselbe muß offenbar auch für die vom Bundesgeiichte ernannten Beamten (die Bundesgerichtssohreiber, Sekretäre, Kanzlisten etc.) gelten. Es besteht hiefür die zwingende Analogie mit Art. 77 der Bundesverfassung. Sonst würde sich die Unzukömmlichkeit herausstellen, daß die Mitglieder des Gerichtshofes vom Nationalrathe ausgeschlossen wären, dagegen die von ihnen Gewählten, die bundesgerichtlichen Kansdeibeamten, statt in Lausanne ihren Amtsgeschäften obzuliegen, Wochen und Monate lang in Bern an den Verhandlungen jenes Käthes theilnehmen könnten.

Ganz unzutreffende Bestimmungen enthält der Art. 15 des bisherigen Gesetzes. Infolge einer Gesammterneuerung des Nationalrathes findet verfassungsgemäß (Art. 96) auch eine Erneuerung des Bundesrathes und im Weitern aller Beamten der Bundesadministration statt. Die Bundesrathe werden jeweilen in der ersten Hälfte des Monats Dezember gewählt und verlieren sodann, obschon die neue Amtsperiode erst mit dem darauffolgenden 1. Januar beginnt, sofort die allfällige
Mitgliedschaft im Nationalrathe. Die vom Bundesrathe gewählten und beaufsichtigten Unterbeamten der Bundesverwaltung aber könnten nach dem Wortlaute des bestehenden Gesetzes im Nationalrathe verbleiben · bis zu den ihre Stellen botreffenden Erneuerungswahlen, also nach der Praxis während der ganzen Dezembersession und noch ungefähr 3 Monate im folgenden Jahre.

214 Es genügt, die Konsequenzen solcher Bestimmungen einen Augenblick näher in's Auge zu fassen, um deren absolute Unhaltbarkeit einzusehen. Einen ganz unzulänglichen Ausdruck hat im bisherigen Art. 15 auch die Bestimmung des Austrittes der Buudesbeamten aus dem Nationalrathe in der Hinsicht gefunden, daß man ihn mit den ,,ihre Beamtungen betreffenden Erneuerungswahlen" zusammenfallen ließ, während doch vernünftigerweise nur der Fall ihrer W i e d e r w a h l , bezw. der Moment der Annahme ihrer Wiederernennung, den Austritt bedingen und bestimmen kann.

Wir haben aus diesen Gründen die Fälle, der Unverträglichkeit strenger und klarer normirt. Wahlfähig als Mitglied des Nationalrathes ist nach Art. 75 der Bundesverfassung jeder stimmberechtigte Schweizerbürger weltlichen Standes. Diejenigen aber, welche Beamtungen bekleiden, die mit der Natioualrathsstelle unvereinbar sind, haben sich sofort für das Eine oder das Andere zu entscheiden ; die Theilnahme an den Sitzungen des National* rathes ist ihnen nur gestattet, wenn sie zuvor auf die damit unverträgliche Bundesstelle verzichten. Eine alleinige Ausnahme hievon O O haben wir für die Bundesrathe und den Kanzler der Eidgenossenschaft angenommen. Es fällt in Betracht, daß sie nur vorübergehend für wenige Tage in einer ueugewählteu Behörde erscheinen, deren Amtsdauer eben erst beginnt, während sie ihr noch nicht O i abgelaufenes Mandat von einer abgetretenen Behörde empfangen haben, und daß sie die Mitgliedschaft im Nationalrathe verlieren, sobald sie für die neue Amtsperiode in ihren Stellen bestätigt worden sind und die Wiederernennung angenommen haben ; sodann, daß keine ihnen übergeordneten Administrativbeamten gleichzeitig mit ihnen im Nationalrathe sitzen; endlich und dieß wohl am meisten, daß gewichtige politische Erwägungen es als geboten erseheinen lassen, einerseits dem Volke hinsichtlich ihrer Wahl in den Nationalrath, andererseits ihnen selbst in Betreif der Entschließung über eventuelle Wiederannahme ihrer Beamtung oder Beibehaltung des Nationalrathsmandates vollkommen freie Hand zu lassen. Immerhin sollen sie sich der Theilnahme an den ihre Beamtungen betreffenden Erneuerungswahlen enthalten.

Solchermaßen dürfte diese vielbesprochene Inkompatibilitätenfrago in einer konstitutionell zulässigen und praktisch angemessenen Weise geregelt sein.
b. Prinzip der absoluten, beziehungsweise relativen Mehrheit oder proportionales Wahlsystem und Minoritätenvertretung?

(Art. 34 und 35.)

Nicht sowohl durch Postulate der Bundesversammlung, welche im Gegentheile wiederholt -- man erinnere sich namentlich der

215 Diskussion und Beschlußfassung des Nationalrathes vom 28. April 1881, betreffend das Postulat Sprecher-Thorna-Sonderegger (Seite 7 und 8 gegenwärtiger Botschaft) -- in dieser Richtung sich ablehnend verhielt, als vielmehr durch die schon oben erwähnte Petition des ,,Eidgenössischen Vereins"1 vom 1. November 1880 und eine Petition des ,,Schweizerischen Wahlreformvereins"1 vom 6. Februar 1881, erneuert durch Eingabe vom 14. März 1882, und unterstützt durch gleichzeitige Petitionen der Zürcher-, Waadtländer-, Genfer- und Basler-Sektion des Schweiz. Wahlreformvereins, sieht sich der Bundesrath veranlaßt, der Frage der Minoritätenvertretung und des sogen, proportionalen Wahlsystems in dieser Botschaft seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es kommt ferner hinzu ein an unser Departement des Innern gerichteter Vorsehlag des Hrn. AltNationalrath Studer in Zürich, der ein besonderes Proportionalverfahren empfiehlt und dasselbe in einem vollständigen Gesetzentwurfe ausführt. Wir heben jedoch sofort hervor, daß das Petitum des ,,Eidgenössischen Vereins" nicht direkt und nicht entschieden auf Einführung des Proportionalverfahrens geht, sondern die Annahme des Prinzips der kleinen, und soweit es die Verfassung zuläßt, möglichst gleichmäßigen eidgenössischen Wahlkreise mit einem Spielraum von einem bis höchstens drei Vertretern, resp. 11,700 bis 60,000 Seelen, befürwortet, wobei ,,alle Freiheit gelassen wäre, in den größern Kreisen ein einfaches System eigentlicher Minderheitsvertretung einzuführen, wann sieh die Ueberzeugung von der Wünsch barkeit eines solchen weiter Bahn gebrochen hat."1 Um Wiederholungen zu vermeiden, verweisen wir deßhalb mit Bezug auf dieses Begehren «infach auf das oben, S. 7, von uns Angebrachte. Was dagegen das Gesuch des Wahlreformvereins anbelangt, so ist über dasselbe allerdings gegenwärtig ein Entscheid zu treffen.

Es wird für die Diskussion der vorwürfigen Frage nützlich sein, wenn die Behörden sich nicht in allgemeinen Erörterungen verlieren, sondern ihr Augenmerk vornehmlich auf dasjenige richten, dessen praktische Einführung vorgeschlagen wird. Nicht, als ob die Frage in ihrer Allgemeinheit nicht von hohem Interesse wäre. Sich über dieselbe nach allen Richtungen hin zu Orientiren, ist eine Pflicht der Vertreter des Volkes, zumal in einem Staate mit repräsentativ-demokratischer
Verfassung wie der unserige. Es hat deßhalb unser Departement des Innern zwei Gutachten eingeholt, welche in umfassender Weise die Frage besprechen und die Anwendbarkeit des Grundsatzes der Mincmtätenvertretung auf die schweizerischen Nationalrathswahlen beleuchten. Das eine dieser Gutachten (eingegangen im Februar 1882) rührt von dem Präsidenten des ,,Schweizerischen Wahlreformvereins,"· Hrn. Dr. F. A. Wille in Meilen, Kanton Zürich, her, das andere, vom März 1882, hat Hrn.

216 Professor Dr. Hilty in Bern zum Verfasser. Beide Gutachten sind im Laufe dieses Jahres den verehrlichen Mitgliedern der hohen gesetzgebenden Käthe zugestellt und überdies einem weitern Publikum durch die Presse bekannt geworden. Wir setzen voraus, daß Sie sich mit dem Inhalte derselben vertraut gemacht haben und ein näheres Eintreten auf dio allgemeinen Gesichtspunkte der Frage und eine weitere Kritik der verschiedenartigen einzelnen Systeme des Proportionalverfahrens, beziehungsweise der Minoritätenvertretung, von uus nicht verlangt werde. Darum glauben wir uns innerhalb des Rahmens dieser Botschaft auf wenige Bemerkungen allgemeiner Natur beschränken zu sollen. Es wird die Aufgabe der mündlichen Berichterstattung sein, Ihnen vorzutragen, warum wir uns im Besondern mit dem Vorschlage des Wahlreformvereins, d. h. mit dem System der sogen, ,,beschränkten Stimmgebung", nicht befreunden konnten. Weil wir bei den gegenwärtigen konstitutionellen Verhältnissen die Einführung des Proportionalsystems in der Schweiz für absolut unthunlich erachten, versagen wir es uns auch, auf den sonst sehr beachtenswerten und viele Fehler anderer Systeme vermeidenden Vorschlag des Hrn. alt-N.-R. Studer näher einzugehen.

Es sei vorab daran erinnert, daß die Frage der Einführung des proportionalen Wahlverfahrens schon einmal vom Nationalrathe, anläßlich der Berathung über die Revision der Bundesverfassung, in negativem Sinne entschieden worden ist. In der Sitzung dieses Rathes vom 18. Januar 1872 stellte Hr. Adam Herzog-Weber aus dem Kanton Luzern, gegenwärtig Mitglied des Ständerathes den Antrag, zu bestimmen, daß in denjenigen Wahlkreisen, welche zwei oder mehrere Mitglieder in den Nationalrath zu wählen haben , der erste Wahlgang nach dem proportionalen Wahlverfahren vorgenommen werde und die Wählerquote an die Stelle des absoluten Mehrs trete. Der Antrag wurde in der Diskussion von keinem zweiten Mitgliede unterstützt, dagegen von andern Mitgliedern energisch bekämpft und in der Abstimmung mit großer Mehrheit (63 von 87 Anwesenden) beseitigt. (Revisionsprotokoll des Nationalrathes 1871/72.

S. 390 ff.)

Auch in den Kantonen hat das Proportionalsystem bis jetzt nicht durchzudringen vermocht, obschon es ihm da und dort nicht au eifrigen Anhängern fehlt. In Neuenburg, Genf, Luzern, Baselstadt und Zürich wurden
bezügliche Antrage meist mit ganz überwiegenden Mehrheiten von den gesetzgebenden Käthen abgelehnt.

Es ist bezeichnend für die Stimmung, mit welcher diese Anregung jeweilen aufgenommen wird, daß kein kantonaler Rath die Probe an sich selbst vornehmen lassen, sondern ein jeder einem Andern, heiße

217 dieser nun Bund oder Gemeinde oder Verein, hiefür den Vortritt einräumen will. So sagt z. B. der Bericht des Regierungsrathes des Kantons Luzern an den dortigen Großen Rath vom 21. Januar 1882: ,,Es ist über diese Frage in neuerer Zeit unendlich viel geschrieben, gesprochen und projektirt worden, und wenn dadurch eine genaue Darstellung des Volkswillens in den Behörden erzielt werden könnte, so wäre es allerdings der Mühe werth , sich eingehend mit der Sache zu beschäftigen. Allein noch nirgends, wenigstens in unserrn Vaterlande, ist das Problem wirklich gelöst worden, und es scheint uns dabei nicht sowohl auf Richtigkeit des Gedankens an sich, als auf die Technik der Ausführung anzukommen. Wenn nun aber, sei es geflissentlich, sei es zufällig oder durch mangelndes Geschick, die praktische Durchführung des Gedankens mißlingt, so wird der Zweck der ganzen Neuerung dadurch vereitelt, und statt der Minoritätenvertretung könnte sich leicht eine Minoritätsregierung aus diesem System erheben."

,,Wir könnten nicht dazu rathen, unsern Kanton als Versuchsfeld einer im Prinzip gewiß richtigen und anerkennenswerthen Idee herzugeben, sondern möchten vielmehr unsererseits die Priorität diesfalls andern Kantonen oder Staaten überlassen und uns vorerst aus der Anschauung überzeugen, ob dieses System geeignet ist, die Uebelstände zu heben , welche sich beim gegenwärtigen Wahlverfahren da und dort ergeben."

Bekanntlich herrscht aber nicht bloß über die technische Ausführbarkeit der Idee der Minoritätenvertretung, sondern auch darüber Streit, ob dieselbe an sich auf einem richtigen Prinzip beruhe oder ob nicht vielmehr durch deren systematische Geltendmachung und Ausführung die Einheit und Entschlußfähigkeit des Staatswillens verloren gehe und eine Zerreißung des Ganzen in die Theile stattfinde.

Im Hinblick auf unsere hundesstaatsrechtlichen Einrichtungen, die durchweg auf der Herrschaft der Majorität basiren, haben wir mit Einmuth beschlossen, das Prinzip der absoluten Mehrheit als das für die Nationalrathswahlen entscheidende beizubehalten. Die fortschreitend demokratische Gestaltung unseres Verfassungsrechtes wird stets eine mächtige Schutzwehr gegen jede einseitige Richtung der Abgeordneten, der verständige und gerechte Sinn unseres Volkes aber auch fernerhin das beste Korrektiv gegen etwaige zügellose Parteibestrebungen bilden.

c. Einberufung der Gewählten (Art. 39).

Wir haben die für Einzolwahlen bisher (Artikel 28 des Gesetzes von 1872) bestehende Bestimmung verallgemeinert und auch

218 bei den Gesammterneuerungswahlen den Bundesrath als einberufende Behörde bezeichnet, um keinen Zweifel darüber zuzulassen, daß die Gewählten nicht durch ein Mandat der Kantonsregierungen zur Theilnahme an der konstituirend Versammlung des Nationalrathes berechtiget werden, und in entsprechendem Sinne auch das Einspruchsverfahren, wovon weiter unten, geordnet.

C. Wahl der eidgenössischen Geschwornen (Art. 45).

In Betracht, daß nunmehr die Art. 39 bis 44 des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874, über den Bestand und die Bildung der Bundesassisen und die Wahl der eidgenössischen Geschwornen statuirei] und dem Bundesgerichte die Führung und Kontrolirun der Geschwornenliste zukommt, haben wir die Art. 36 bis 43 des bisherigen Gesetzes gestrichen und in einem einzigen Artikel das Nothwendige betreffend die Wahl der Geschwornen, beziehungsweise die Ergänzung der Bezirkslisten, aufgenommen.

D. Eidgenössische Volksabstimmungen a. Ueber Bundesgesetze und Bundesbeschl'üsse (Referendum).

(Art. 46 bis 58).

Das sogenannte Referendumsgesetz vom 17. Juni 1874 hat in -der Anwendung nicht zu vielen Ausstellungen Veranlassung gegeben.

Es war deßhalb auch kein Grund vorhanden, dasselbe inhaltlich umzugestalten. Wir haben im ersten Abschnitte erwähnt, daß darauf abzielende Anträge von den Räthen abgelehnt worden oder unbeachtet geblieben sind. Mit einer einzigen Ausnahme beschränken sich daher die von uns angebrachten Abänderungen auf untergeordnete Punkte. Immerhin betreffen dieselben sachliche Ergänzungen und redaktionelle Modifikationen, die wir als Verbesserungen glauben bezeichnen zu dürfen, so z. B. in Ansehung der Art. 52, 53, 56, 57 (bisherige Artikel 6, 7, 14, 15). Neu ist die Bestimmung des Art. 51, wodurch die anläßlich des Referendumsbegehrens betreffend den Bundesbeschluß über die Ausführung des Art. 27 der Bundesverfassung aufgetauchte Streitfrage entschieden wird, ob die bezüglichen Eingaben zu allgemeiner Einsichtnahme aufgelegt werden dürfen oder nicht. Wir haben diese Frage mit gewissen beschränkenden Vorbehalten bejaht.

219

b. Ueber Revision der Bundesverfassung (Art. 59 bis 65).

Die Debatten in den Rathssälen, in der Presse und den politischen Versammlungen während des Jahres 1880 haben die Mangelhaftigkeit des Gesetzes vom 5. Dezember 1867, betreffend die Begehren für Revision der Bundesverfassung, in zwei Beziehungen fühlbar gemacht.

Einmal erwies sich der Art. 3 des Gesetzes, welcher die Revisionsbegehren für die Dauer eines Jahres in Gültigkeit verbleiben läßt, darin als ungenügend, daß er diesen Zeitraum vom Momente der A b g a b e der Stimmen an rückwärts rechnend bestimmt, während offenbar die Absicht des Gesetzgebers war, den Moment, in welchem das Revisionsbegehren vom Bürger durch seine Unterschrift gestellt wird, als den Anfangspunkt der zwölf Monate, für welche es Gültigkeit haben soll, zu erklären. Man wollte bei der Veränderlichkeit der staatlichen Zustände und der menschlichen Anschauungen nicht den Revisionswillen des Bürgers auf eine allzu lange Zeit, nämlich über Jahresfrist hinaus, als fortdauernd annehmen. Da es nun aber für die Verfassungsrevisionsbegehren nicht wie für Referendumsbegehren einen gesetzlichen terminus a quo, einen festbestimmten zeitlichen Anfangspunkt gibt, so ist nothwendig, daß die daherigen Eingaben die Daten der Unterschriften tragen. Andernfalls und insbesondere, wenn vom Tage der Abgabe der Unterschriften an die Bundesbehörde an gerechnet würde, wäre es nicht verwehrt, Unterschriften, die mehrere Jahre alt sind, zur Stellung eines Revisionsbegehrens zu verwenden, was nun durch die Art. 60, Absatz 2 und 3, und Art. 61 des Entwurfes verunmöglicht werden soll.

Der zweite Punkt betrifft die Fragestellung an das Volk über Revision der Bundesverfassung. Der Bundesrath hält an der von ihm 1880 vertretenen und von der Bundesversammlung gebilligten Anschauungsweise fest, wonach in allen Fällen, nach dem dermal bestehenden Bundesrechte, die Fragestellung eine allgemeine, auf Revision der Bundesverfassung im Allgemeinen lautende sein muß, und er spricht dies zur Beseitigung aller Zweifel in den Art. 63 und 64 des Entwurfes unzweideutig aus.

E. TJefoergangs- und Scnlußbestimmungen (Art. 66 bis 69).

Eine kurze Betrachtung verdient hier vorerst die in jArt. 66 des Entwurfes enthaltene Bestimmung.

Das Wahl- und Abstimmungsgesetz vom 19. Juli 1872 schreibt in Art. 44 vor, daß Uebertretungen desselben nach dem Bundes-

220 gesetze vom 4. Februar 1853 über das Bundesstrafrecht (Amtl.

Samml. III, 404) bestraft werden sollen. Nun ist aber das letztgenannte Gesetz gemäß seinem Artikel 11 in der Regel und so auch hier nur auf solche Uebertretungen oder Unterlassungen anwendbar, die mit rechtswidrigem Vorsätze, also böswillig, nicht fahrläßig, verübt worden sind. Aus diesem Grunde hat der Bundesrath wiederholt Bedenken getragen, ihm zur Anzeige gebrachte Unregelmäßigkeiten, Widerhandlungen und Unterlassungen zur Beurtheilung nach Artikel 49 des Bundesstrafgesetzes, betreffend vorsätzliche, rechtswidrige Einwirkung auf das Ergebniß einer eidgenössischen Wahl oder Abstimmung, dem Strafrichter zu überweisen. Hatten in solchen Fällen die Kantone keine bezüglichen Pönalbestimmungen in ihre Wahl- und Abstimmungsverordnungen aufgenommen, so blieben solche Verstöße gegen die gesetzlichen Vorschriften, sehr zum Schaden der Autorität des Gesetzes, gänzlich straffrei. Es ist dies kein guter Zustand.

Darum hält Art. 66 des Entwurfes die Kantone an, ergänzend in die vom Bundesstrafrecht gelassene Lücke einzutreten und insbesondere dafür zu" sorgen, daß Amtspflichtverletzungen der Mitglieder von Wahl- und Abstimmungsbehörden (Gemeindevorstände oder Bureaux) der Strafe verfallen.

Sodann erfordert der in Art. 3, litt c, des Entwurfes statuirte Ausschluß der Faulten vom Stimmrecht eine Normirun des Verhältnisses der vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in Konkurs Gefallenen. Das System des Entwurfes, wonach jeweilen eine gerichtliche Untersuchung über Verschuldung oder Nichtverschuldung des Konkurses eintreten und darnach die Ausschließung des Falliten vom Stimmrecht auf bestimmte Zeit erfolgen oder nicht erkannt werden soll, kann auf bereits durchgeführte Konkurse in praktisch richtiger und allseitig gerechter Weise nicht mehr Anwendung finden. Bs bedarf zu dieser Urtheilsfällung des summarischen Verfahrens einer Konkursgerichtsbehörde, deren Mitglieder mit allen einschlagenden Verhältnissen persönlich vertraut sind. Deßhalb beantragen wir, Übergangs weise einfach zu bestimmen, daß die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes infolge Konkurses des Stimmrechts verlustig gewordenen Schweizerbürger ihre Stimm berech tigung wieder erlangen, sobald seit der Durchführung des Konkurses fünf Jahre verflossen sind.

Am Schlüsse mögen noch zur Veranschaulichung einige Bemerkungen betreffend das Einspruchs- und Beschwerderecht im Zu-

221 sammenhange angebracht werden. Dieses Recht kann nach dem Entwürfe in folgender Weise ausgeübt werden : a. Yor einer Wahl oder Abstimmung.

1) G e g e n das S t i m m r e g i s t e r während acht Tagen nach der öffentlichen Auflegung, d. h. bis zum sechsten Tage (exklusive) vor einer Wahl oder Abstimmung, bei der zuständigen Gemeindebehörde (Art. 9).

2) Gegen die V e r f ü g u n g e n und Entscheidung e n d e r G e m e i n d e b e h ö r d e n über Stimmberechtigung, Ort der Stimmabgabe, beziehungsweise Aufnahme in's Stimmregister und Erledigung von Einsprachen, bei der Kantonsregierung und daraufhin beim Bundesrathe (Art. 11).

b. Nach einer Wahl oder Abstimmung.

1) Im Allgemeinen gegen die G ü l t i g k e i t e i n e r W a h l o d e r A b s t i m m u n g s v e r h a n d l u n g , einschließlich d e r Vorentscheide der Kantonalbehörden und des Bundesrathes, durch Vermittelung der Kantonsregierung beim Bundesrathe, beziehungsweise der Bundesversammlung, innerhalb sechs Tagen nach Bekanntmachung des Wahl- oder Abstimmungsresultates (Art. 27).

2) Speziell gegen N a t i o n a l r a t h s w a h l e n bei der Kantonsregierung zuhanden des Bundesrathes, innerhalb drei Tagen vom Wahltage hinweg ; im Falle der noch unvollendeten Wahl, resp. vor dem zweiten Wahlgange, entscheidet, vorbehaltlich späterer Beschwerdeführung beim Nationalrath, der Bundesrath (nicht mehr wie bisher -- Art. 25 des gegenwärtigen Gesetzes -- die Kantonsregierung) ; nach abgeschlossener Wahl erledigt die Beschwerde der Nationalrath (Art. 37).

Wir schließen diesen Bericht, indem wir Sie, Tit., neuerdings unserer ausgezeichneten Hochachtung und Ergebenheit versichern.

B e r n , den 30. Oktober 1883.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: L. Euchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

222 (Entwurf)

Bundesgesetz betreffend

Eidgenössische Wahlen und Abstimmungen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Maßgabe und in Ausführung der Art. 72 -- 77, 89 und 90,105,108,112,120 und 121 der Bundesverfassung, nach Einsicht [einer Botschaft des Bundesrathes vom 30. Oktober 1883, b e s c h l i e ßtt : A. Allgemeine Bestimmungen.

Art. 1. In Ansehung der eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen kommen die nachfolgenden Bestimmungen zur Anwendung.

Innerhalb dieser Sehranken haben die Kantone das Verfahren zu ordnen.

Die diesfälligen Vorschriften der Kantone unterliegen der Genehmigung des Bundesrathes.

Art. 2. S t i m m b e r e c h t i g t ist jeder Schweizerbürger, der das zwanzigste Altersjahr zurückgelegt hat und nicht nach Artikel 3 dieses Gesetzes vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen ist.

225 Art. 3. Ein A u s s c h l u ß vom S t i m m r e c h t in eidgenössischen Angelegenheiten findet gegenüber denjenigen Schweizerbürgern statt, welche a) durch gerichtliches (kriminelles oder korrektionelles) Urtheil ihrer bürgerlichen Ehrenrechte verlustig geworden oder b) wegen Verschwendung, Geisteskrankheit oder Blödsinn bevormundet oder c) gemäß gerichtlichem Urtheile aus eigenem Verschulden, in Konkurs gefallen sind.

Aus dem letztgenannten Grunde kann der Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von höchstens fünf Jahren gerichtlich ausgesprochen werden.

Art. 4. Der Nachweis der Stimmberechtigung wird durch eine den Besitz des Schweizerbürgerrechts und das Vorhandensein des gesetzlichen Alters beurkundende amtliche Bescheinigung geleistet.

Wer behauptet, daß ein Bürger aus einem der in Art. 3 genannten Gründe des Stimmrechts verlustig geworden sei, hat hiefur den Beweis zu erbringen.

Art. 5. Der Schweizerbürger übt sein Stimmrecht in derjenigen politischen Gemeinde aus, in welcher er seinen ordentlichen Wohnsitz hat.

Größere Gemeinden können behufs Erleichterung der Stimmabgabe in zwei oder mehrere Abstimmungskreise getheilt werden.

Hinwieder können auch zwei oder mehrere politische Gemeinden zu einem Abstimmungskreise vereinigt werden, sofern infolge dessen keine wesentliche Erschwerung der Stimmabgabe eintritt.

Jeder darf nur an e i n e m Orte stimmen.

In Bezug auf die Mitglieder des Bundesrathes und den Kanzler der Eidgenossenschaft, sowie auf die Mitglieder des Bundesgerichtes und die Bundesgerichtsschreiber bleiben die

224 Bestimmungen von Artikel 2 des Bundesbeschlusses vom 21. August 1878 über Organisation und Geschäftsgang des Bundesrathes (A. S. n. F. III. 480), bezw. von Artikel 12 des Oi'ganisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 (A. S. n. F. L 136) vorbehalten.

Art. 6. Stimmberechtigten, welche sich bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen im Militärdienst befinden, sowie den Zoll-, Post-, Telegraphen-, Eisenbahn- und Dampfschiff-Angestellten, soll, soweit möglich, Gelegenheit gegeben werden, sich an diesen Wahlen und Abstimmungen zu betheilisen.

"o*Art. 7. In jeder politischen Gemeinde ist von Amtes wegen durch den Gemeindevorstand ein Verzeichniß der Stimmberechtigten -- das e i d g e n ö s s i s c h e Stirn mr e g i s t e r -- anzulegen und in der Weise beständig nachzuführen, daß jederzeit die Zahl der Stimmberechtigten daraus ersehen werden kann.

In das Stimmregister werden alle diejenigen Stimmberechtigten nach Vor- und Familiennamen, Heimat, Geburtsjahr und Beruf oder Gewerbe eingetragen, welche in der betreffenden Gemeinde ihren ordentlichen Wohnsitz haben.

Jedoch sind Stimmberechtigte, welche erst im Laufe der einer Wahl oder Abstimmung unmittelbar vorausgehenden vierzehn Tage in eine Gemeinde einziehen, während der genannten Zeit nicht in das Stimmregister dieser Gemeinde aufzunehmen, sondern noch auf dem Stimmregister ihrer bisherigen Wohnsitzgemeinde zu belassen und haben das Recht, dort ihre Stimme abzugeben.

Art. 8. Das Stimmregister ist außerdem vor jeder Wahl oder Abstimmung einer vollständigen Bereinigung zu unterwerfen, welche vierzehn Tage vor dem Wahl- oder Abstimmungstage beendigt sein soll.

Hierauf wird dasselbe während einer Frist von sieben Tagen zu Jedermanns Einsicht öffentlich aufgelegt.

225 Die Auflegung ist rechtzeitig unter Einweisung auf den Endtermin für allfällige Einsprachen (Art. 9) öffentlich bekannt zu machen.

Art. 9. Einsprachen irgend welcher Art gegen das Stimmregister müssen spätestens am Tage nach Ablauf der zur Einsichtnahme (Artikel 8, Absatz 2) anberaumten Frist bei der zuständigen Gemeindebehörde angebracht werden und sind von dieser sofort unter schriftlicher Mittheilung des Entscheides an den Einsprecher zu erledigen.

Art. 10. Nur Diejenigen haben das Recht, an einer eidgenössischen Wahl oder Abstimmung theilzunehmen, welche in das Stimmregister aufgenommen sind.

Art 11. Gegen die Verfügungen und Entscheidungen der Gemeindebehörden in Ansehung der Artikel 4 bis 10 kann Beschwerde bei der Kantonsregierung und weiterhin beim Bundesrathe geführt werden.

Art. 12. In den Gemeinden, beziehungsweise Abstimmungskreisen, werden auf die Amtsdauer des Nationalrathes eidgenössische Wahl- und A b s t i m m u n g s b ü r e a u x bestellt, deren Organisation im Uebrigen den Kantonen überlassen bleibt.

Art. 13. Die Wahlen und Abstimmungen gehen ohne vorgängige Berathung der Stimmberechtigten durch geheime, schriftliche Stimmgebung mittelst Anwendung von Urnen vor sich.

Die Wahl der eidgenössischen Geschwornen dagegen kann in geschlossenen Versammlungen durch offene Abstimmung vorgenommen werden.

Das Stimmrecht wird in Person ausgeübt.

Art. 14. Zur Vornahme einer Wahl oder Abstimmung sind in jeder Gemeinde, beziehungsweise in jedem Abstimmungskreise, in öffentlichen Gebäuden verschlossene Urnen in zweckentsprechender Zahl aufzustellen.

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. IV.

15

226

Art. 15. Jedem Stimmberechtigten soll durch Vermittelung der Gemeindebehörde rechtzeitig, d. h. spätestens zehn Tage vor einer Wahl oder Abstimmung, eine p e r s ö n l i c h e A u s w e i s k a r t e nebst einem S t i m m z e t t e l in seiner Wohnung zugestellt werden.

Der Stimmzettel trägt auf der einen Fläche entweder so viele numerirte Linien, als Wahlen zu treffen sind, oder enthält gedruckt die zur Abstimmung vorgelegten Fragen mit dem erforderlichen Raum zu deren Beantwortung. Auf der Rückfläche sollen die Bestimmungen der Art. 16--18 wiedergegeben werden.

Art. 16. Es steht dem Stimmberechtigten frei, entweder seine Stimme auf den ihm amtlich zugestellten Stimmzettel zu schreiben oder zur Stimmgebung einen andern, geschriebenen oder gedruckten, Stimmzettel zu verwenden.

Wenn es sich um die Beantwortung einer Abstimmungsfrage handelt, ist die letztere auf dem Stimmzettel genau nach der amtlichen Fassung zu formuliren.

Im Wahl- und Abstimmungslokale selbst dürfen keine Stimmzettel aufliegen oder ausgetheilt werden.

Art. 17. Gegen Vorzeigung der Ausweiskarte erhält der Stimmberechtigte im Abstimmungslokale von einem Mitgliede des Bureau ein mit amtlichem Stempel versehenes S t i m m c o u v e r t , in welches er seinen Stimmzettel legt.

Es ist dafür zu sorgen, daß die Stimmenden die Ausfüllung der Stimmcouverts im Abstimmungslokal bequem und unkontrolirt vornehmen können.

Art. 18. Das mit dem Stimmzettel ausgefüllte Stimmcouvert ist verschlossen, vom Stimmenden persönlich, in Gegenwart der Mitglieder des Bureau und unter Abgabe der Ausweiskarte in die Urne zu legen.

Das Bureau hat insbesondere darauf zu achten, daß Niemand mehr als ein Couvert einlege, ist jedoch nicht

227 berechtigt, nach dem Inhalte eines Couvert zu forschen oder ein solches für einen Stimmenden auszufüllen.

Art. 19. Die Zeit, innerhalb welcher das Stimmrecht ausgeübt werden kann, soll rechtzeitig allgemein bekannt gemacht und so reichlich bemessen werden, dass Jedermann ohne Schwierigkeit zur Stimmabgabe gelangen kann.

Art. 20. Stimmberechtigte, welche im Stimmregister eingetragen sind, denen aber keine Ausweiskarte zugekommen sein , sollte, können solche bis zum Beginn der Wahl Verhandlung bei ihrer zuständigen Gemeindebehörde reklamiren.

Ist eine Ausweiskarte abhanden gekommen, so soll dem Betreffenden, unter Vormerkung am Stimmregister, eine als Doppel zu bezeichnende zweite Karte ausgefolgt werden.

Art. 21. Die Oeffnung der Urnen erfolgt unmittelbar nach Ablauf der für die Stimmgebung anberaumten Zeit in öffentlichem Lokale durch den Präsidenten in Gegenwart aller Mitglieder des Bureau.

Hierauf zählen und erschließen die Mitglieder des Bureau die eingelegten Stimmcouverts behufs Ermittelung des Wahlund Abstimmungsresultates.

Die Stimmberechtigten haben zu dem betreffenden Lokale freien Zutritt; jedoch bleibt es dem Bureau vorbehalten, zur Sicherung des ungestörten Fortganges der Verhandlungen besondere Maßnahmen zu treffen.

Art. 22. Ueber die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Stimmgebung hat, unter Vorbehalt der Prüfung der zuständigen Bundesbehörde, das Bureau in seiner Gesammtheit durch einfache Stimmenmehrheit zu entscheiden.

Die Stimmcouverts, welche Stimmzettel enthalten, über deren Gültigkeit es einer Beschlußfassung des Bureau bedarf, werden mit fortlaufenden Nummern versehen. Im Protokoll (Art. 26) ist jeweilen bei der entsprechenden Nummer der Grund anzugeben, aus welchem die Ungültigkeitserklärung erfolgt oder nicht erfolgt ist.

228

Alle Stimmcouverts nebst deren Einschlüssen werden sodann, mit genauer Absonderung der unbeanstandet gebliebenen von den übrigen, in Papier eingeschlagen und versiegelt.

Art. 23. Eine Stimmgebung ist u n g ü l t i g und kommt bei Feststellung des Wahl- oder Abstimmungsresultates nicht in Anrechnung, wenn dem betreffenden Stimmzettel als solchem nach Maßgabe des Art. 24 keine Gültigkeit zuerkannt werden kann.

Art. 24. U n g ü l t i g sind : 1) Stimmzettel, die sich nicht in einem verschlossenen amtlichen Couvert befinden.

2) Stimmzettel, die ganz oder theilweise ausgefüllt in der Zahl von zwei oder mehreren, gleichviel ob gleichlautend oder nicht, in einem Stimmcouvert enthalten sind.

3) Stimmzettel, auf welchen die Stimmgebung entweder gänzlich fehlt oder unlesbar ist.

4) Stimmzettel, bei welchen die Person des, beziehungsweise (bei einer mehrfachen Wahl) die Personen sämmtlicher mit der Stimme Bedachten entweder nicht wählbar oder nicht unzweifelhaft zu erkennen sind.

5) Stimmzettel, welche eine mit der offiziellen Fassung nicht vollständig übereinstimmende Abstimmungsfrage enthalten.

6) Stimmzettel, welche eine gleichzeitige Bejahung und Verneinung oder irgend eine die Bedeutung der Stimme zweifelhaft machende Erklärung enthalten.

Art. 25. Stimmzettel, welche mehr Namen enthalten, als Personen zu wählen sind, kommen für die ersten Namen, von oben herab, bis zur Vollzahl der zu Wählenden in Rechnung.

Stimmzettel, welche weniger Namen tragen, als Stellen zu besetzen sind, fallen zu Gunsten der Betreffenden in Betracht.

229

Desgleichen machen Stimmzettel, welche bei einer mehrfachen Wahl nur zum Theil auf wählbare oder bestimmt erkennbare Personen lauten {^Art. 24, Ziffer 4), zu Gunsten dieser letzteren volle Stimmen aus.

Ein auf demselben Stimmzettel mehrfach vorkommender Name wird nur einmal gezählt.

Art. 26. Ueber die ganze Abstimmungs-, beziehungsweise Wahl Verhandlung ist vom Aktuar des Bureau ein P r o t o k o l l aufzunehmen.

Dieses Protokoll soll insbesondere enthalten: a. Die Namen und Vornamen der Mitglieder des Bureau, eventuell nach Sektionen geordnet.

b. Die Zahl der Stimmberechtigten und der Stimmenden, beziehungsweise der ausgetheilten und der eingegangenen Ausweiskarten.

c. Die Zahl der in den Urnen vorgefundenen Stimmcouverts.

d. Die Zahl der gültig befundenen und der ungültig erklärten Stimmzettel, nebst der jeweiligen Begründung (Artikel 22).

e. Die Zahl der nicht ausgefüllten Stellen auf gültigen Stimmzetteln (Artikel 25, Absatz 2).

f. Die Zahl der auf eine Person gefallenen, beziehungsweise der eine Abstimmungsfrage bejahenden und verneinenden Stimmen.

g. Allfällige Erklärungen oder Verwahrungen, deren Aufnahme ins Protokoll verlangt worden, und anderweitige Zwischenfälle, die im Laufe der Verhandlung sich zugetragen haben.

Die Richtigkeit des Protokolls ist vom gesammten Bureau unterschriftlich zu bezeugen.

230 Das Protokoll wird unverzüglich, unter Anlegung allfälliger Sektionsprotokolle und mit Anschluß der versiegelten Stimmzettel, der Kantonsregierung übermittelt, welche die Ergebnisse der verschiedenen Versammlungen des Kantons zusammenstellt und mit Angabe der darnach berechneten absoluten, bezw. der relativen Mehrheit sofort in angemessener Weise öffentlich bekannt macht.

Art. 27. Binnen einer Frist von sechs Tagen, die mit dem Tage zu laufen beginnt, an welchem die im vorigen Artikel genannte Bekanntmachung erlassen worden ist, können Einsprachen gegen die Gültigkeit einer zu Ende geführten eidgenössischen Wahl oder Abstimmung erhoben werden. Dieses hat vermittelst schriftlicher Eingabe bei der Kantonsregierung zuhanden der Bundesbehörden zu geschehen. Nach Ablauf obiger Frist erfolgende Eingaben werden nicht berücksichtigt.

Zum Gegenstande solcher Einsprachen kann alles, was während des ganzen Verlaufes der betreffenden Wahl- oder Abstimmungsverhandlung vorgefallen ist, sachbezügliche Beschlüsse der Kantonalbehörden und des Bundesrathes (Art. 11) nicht ausgeschlossen, gemacht werden.

Art. 28. Nach Ablauf der im vorigen Artikel genannten Frist haben die Kantonsregierungen die sämmtlichen auf die Wahlen oder Abstimmungen bezüglichen Akten, sammt 'den allfälligen Beschwerden und ihrem Gutachten über die letztern, dem Bundesrathe zu übermitteln.

Einzig die Stimmzettel bleiben unter Verwahrung der Kantonsregierungen und sind von diesen nur auf Verlangen einzusenden, nach Genehmigung der Wahl- oder Abstimmungsverhandlung aber zu vernichten.

Art. 29. Der Bundesrath wird den Kantonsregierungen Formularien als Muster für die eidgenössischen Stimmregister, die Stimmcouverts und Stimmzettel und die Wahl- und Abstimmungsprotokolle einhändigen.

231

B. Nationalrathswahlen.

Art. 30. Für die Wahlen in den schweizerischen Nationalrath sind im Allgemeinen die Artikel 72--77 der Bundesverfassung maßgebend.

Die Wahlkreise werden auf der Grundlage der eidgenössischen Volkszählungen bundesgesetzlich festgestellt.

Art. 31. Die Mitglieder des Ständerathes, des Bundesrathes und die von letzterm gewählten Beamten, der Kanzler der Eidgenossenschaft, sowie die Mitglieder des Bundesgerichtes und die vom Bundesgerichte ernannten Beamten können nicht zugleich Mitglieder des Nationalrathes sein.

(Artikel 77, 105 und 108 der Bundesverfassung).

Dieselben sind zwar in den Nationalrath wählbar ; nach erfolgter Wahl haben sie sich aber für eine der beiden mit einander unvereinbaren Stellen zu entscheiden.

Art. 32. Wenn bei einer Gesammterneuerung des Nationalrathes Mitglieder des Bundesrathes oder der Kanzler der Eidgenossenschaft in den Nationalrath gewählt worden sind, so können dieselben an den Verhandlungen dieses Käthes, mit Ausnahme der ihre Beamtungen betreffenden Erneuerungswahlen, Theil nehmen.

Werden sie jedoch durch Wiederwahl in ihren Stellen bestätigt, so verlieren sie ihr Mandat als Mitglieder des Nationalrathes in dem Zeitpunkte, in welchem von ihnen die Annahme ihrer Wiederernennung erklärt wird.

Art. 33. Die Gesammterneuerungswahlen des Nationalrathes finden jeweilen am letzten Sonntage im Oktober statt.

Wenn eine Nationalrathsstelle im Laufe einer Amtsperiode erledigt wird, so hat die betreffende Kantonsregierung den Zeitpunkt der Ersatzwahl zu bestimmen, und zwar wo möglich in der Weise, daß die Wahl vor einem demnächst folgenden Zusammentritt des Nationalrathes voll-

232 zogen sein kann. Der Bundesrath wird nöthigenfalls den Regierungen die zur Befolgung dieser Vorschrift erforderlichen Weisungen ertheilen.

Art. 34. Als gewählt sind Diejenigen zu betrachten, aufweiche sieh die a b s o l u t e M e h r h e i t der gültig stimmenden Wähler vereinigt.

"Wenn die absolute Mehrheit von Niemand, beziehungsweise nicht von so vielen Personen erreicht wird, als Wahlen zu treffen sind, so findet vierzehn Tage später ein zweiter, ebenfalls gänzlich freier Wahlgang statt. Im zweiten Wahlgange entscheidet die r e l a t i v e M e h r h e i t .

Art. 35. Haben mehr Personen das absolute Mehr erreicht, als zu wählen sind, so gelten diejenigen als gewählt, welche die meisten Stimmen erhalten haben.

Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet das Loos, welches durch den Präsidenten der betreffenden Kantonsregierung unter der Kontrole der letztern zu ziehen ist.

Art. 36. Je am Schlüsse der Wahlverhandlungen eines Wahlkreises hat die betreffende Kantonsregierung sofort: a. den Gewählten von der auf sie gefallenen Wahl vermittelst Zuschrift Mittheilung zu machen ; b. dem Bundesrathe die Namen der Gewählten, noch ohne Einsendung der Wahlakten, zur Kenntniß zu bringen.

Art. 37. Beschwerden gegen eine Wahlverhandlung können schon vor der öffentlichen Bekanntmachung des Ergebnisses binnen drei Tagen vom Wahltage hinweg bei der betreffenden Kantonsregierung zu Händen des Bundesrathes schriftlich angebracht werden.

Falls die Wahlverhandlung noch nicht zu einem abschließlichen Resultat geführt hat, bezw. vor dem zweiten Wahlgange, entscheidet über die Einsprache, unter Vorbehalt des Rechts späterer Beschwerdeführung beim Nationalrathe, der Bundesrath, andernfalls der Nationalrath.

233 Art. 38. Ist die Wahl in mehreren Wahlkreisen auf dieselbe Person gefallen, so hat der Bundesräth den mehrfach Gewählten ungesäumt zu einer beförderlichen Erklärung,, in welchem Wahlkreise er die Wahl annehme, zu veranlassen.

Nach Eingang dieser Erklärung wird der Bundesräth sofort da, wo die Wahl nicht angenommen worden ist, durch die Kantonsregierung die Vornahme einer neuen Wahl anordnen lassen.

Art. 39. Die Gewählten werden nach einer Gesammterneuerung des Nationalrathes zur konstituirenden Sitzung auf den ersten Montag im Christmonat, nach einer Einzeln wähl zu der dem Ablauf der Einsprachefrist nächstfolgenden Sitzung der Behörde durch den Buudesrath einberufen.

Art. 40. In der nach der Gesammterneuerung des Nationalrathes stattfindenden konstituirenden Sitzung (Art. 39) ist jeweilen vorerst über die Anerkennung der in dea Nationalrath getroffenen Wahlen einzutreten.

Bei diesen Verhandlungen haben alle Einberufene^ gleichviel ob ihre Wahl beanstandet ist oder nicht, Sitz, und Stimme.

Während der Behandlung von Wahleinsprachen, bei denen sie selbst betheiligt sind, haben sie sich indessen in Ausstand zu begeben, und ist ihre Wahl für ungültig erklärt worden, so haben sie sich jeder -weitem Theilnahme an den Verhandlungen zu enthalten.

Art. 41. Nach erfolgter Konstituirung des Nationalrathes ist ein neugewähltes Mitglied erst, nachdem seine Wahl als gültig anerkannt worden, an den Verhandlungen Theil zu nehmen berechtigt.

Art. 42. Die Amtsdauer des Nationalrathes läuft in dem Jahre, in welchem derselbe in Gesammterneuerung fällt, jedesmal am Sonntage vor dem ersten Montag des Christmonats ab.

234

Art. 43. Wünscht ein Mitglied aus dem Nationalrathe auszutreten, so hat es seine Erklärung dem Nationalrathe, wenn dieser eben versammelt ist, sonst aber dem Bundesrathe einzureichen.

Der Bundesrath macht hievon der betreffenden Kantonsregierung Mittheiluug und veranlaßt dieselbe zur Anordnung einer Neuwahl.

Art. 44. Ein Mitglied des Nationalrathes, welches den Austritt aus der Behörde erklärt hat, ist verpflichtet, deu Sitzungen derselben beizuwohnen, bis sein Nachfolger gewählt ist.

C. Wahl der eidgenössischen Geschwornen.

Art. 45. Die eidgenössischen Geschwornen worden innerhalb der Schranken des gegenwärtigen Gesetzes nach Maßgabe des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 (Art. 39--44) je von sechs zu sechs Jahren durch direkte Volkswahl in den Kantonen ernannt.

Im Laufe einer Amtsperiode finden Ergänzungswahlen statt, wenn infolge entstandener Lücken eine Bezirksliste unter zweihundert Namen herabsinken würde.

Tritt ein solcher Fall ein, so hat das Bundesgericht dem Bundesrathe ungesäumt davon Anzeige zu machen.

Der Bundesrath ordnet sodann die Ergänzung an.

O

O

D. Eidgenössische Volksabstimmungen.

a. Ueber Bundesgesetze und Bundesbeschlllsse (Referendum).

Art. 46. Bundesgesetze, sowie allgemein verbindliche Bundesbeschlüsse, die nicht dringlicher Natur sind, sollen dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt werden, wenn dreißigtausend stimmberechtigte Schweizerbürger oder acht Kantone dies verlangen (Bundesverfassung Art. 89).

235 Art. 47. Der Entscheid, daß ein Bundesbeschluß entweder als nicht allgemein verbindlich oder als dringlich zu behandeln sei, steht der Bundesversammlung zu, und es ist derselbe dem Beschlüsse selbst jeweilen ausdrücklich beizufügen. In diesem Falle ordnet der Bundesrath, unter Aufnahme des Beschlusses in die amtliche Gesetzsammlung, dessen Vollziehung an.

Art. 48. Alle Bundesgesetze, sowie solche Bundesbeschlüsse, welche nicht unter eine der beiden im Art. 47 vorgesehenen Ausnahmen fallen, sind unmittelbar nach ihrer Annahme durch die Bundesversammlung zu veröffentlichen und den Kantonsregierungen in einer angemessenen Anzahl von Exemplaren zuzustellen.

Art. 49. Das Verlangen der Volksabstimmung, sei es, daß es von Bürgern oder von Kantonen ausgeht, muß innerhalb neunzig Tagen, vom Tage der Veröffentlichung des fraglichen Gesetzes oder Bundesbeschlusses im Bundesblatte an gerechnet, gestellt werden.

Art. 50. Das Begehren wird, auf dem Wege der schriftlichen Eingabe, an den Bundesrath gerichtet.

Der Bürger, welcher das Verlangen stellen oder unterstützen will, hat dasselbe eigenhändig zu unterzeichnen. Wer unter eine solche Eingabe eine andere Unterschrift als die seinige setzt, unterliegt den hierauf anwendbaren Bestimmungen der Strafgesetze.

Die Stimmberechtigung der Unterzeichner ist vom Vorstand der Gemeinde, wo dieselben ihre politischen Rechte ausüben, zu bezeugen.

Für diese Amtsverrichtung dürfen keinerlei Taxen bezogen werden.

Art. 51. Die Eingaben, welche das Begehren einer Volksabstimmung enthalten, sind vom Bundesrathe unter amtlicher Aufsicht während angemessener Zeit zu Jedermanns Einsicht aufzulegen.

Es ist jedoch untersagt, Abschriften davon zu nehmen.

236 Art. 52. Wenn Kantone das Verlangen einer Volksabstimmung stellen wollen, so hat dasselbe je nach der darauf bezüglichen Bestimmung der betreffenden kantonalen Verfassung entweder vom Volke direkt oder vom Großen Rathe (Kantonsrath, Landrath) auszugehen. Vorbehalten bleibt auch das nach der kantonalen Verfassung dem Volke allfällig zustehende Recht zur Abänderung diesfälliger Schlußnahmen der Behörden.

Art. 53. Wenn innerhalb neunzig Tagen nach Veröffentlichung eines Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses im Bundesblatt ein Begehren um Volksabstimmung nicht gestellt ist, oder wenn solche Begehren innerhalb genannter Frist zwar eingelangt sind, es sich aber infolge amtlicher Zusammenstellung und Prüfung erweist, daß dieselben weder von dreißigtausend stimmberechtigten Schweizerbürgern, noch von acht Kantonen unterstützt sind, so stellt der Bundesrath nach Maßgabe der hierauf bezüglichen Bestimmungen des betreffenden Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses den Beginn der Rechtskraft desselben fest und ordnet dessen Vollziehung und Aufnahme in die amtliche Gesetzessammlung an.

Die Zahl der für Volksabstimmung eingelangten Unterschriften wird nach Kantonen und Gemeinden im Bundesblatt veröffentlicht, ebenso die von Kantonen nach Art. 52 gestellten Begehren. Ueberdies wird der Bundesrath der Bundesversammlung in ihrer nächstfolgenden Sitzung unter Vorlegung der Akten Bericht erstatten.

Art. 54. Ergibt sich hingegen aus der Zusammenstellung und aus der Prüfung der Eingaben, daß das Begehren um Volksabstimmung von der erforderlichen Anzahl stimmberechtigter Schweizerbürger oder Kantone unterstützt ist, so ordnet der Bundesrath die Vornahme der allgemeinen Volksabstimmung an, setzt die Kantonsregierungen davon in Kenntniß und sorgt für beförderliehe und geeignete allgemeine Bekanntmachung des der Abstimmung zu unterstellenden Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses.

237

Art. 55. Die Stimmgebung des schweizerischen Volkes erfolgt auf dem ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft an einem und demselben Tag. Dieser Tag wird durch den Bundesrath festgesetzt.

Es darf jedoch die Abstimmung nicht früher als vier Wochen nach ausreichender Bekanntmachung des fraglichen Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses stattfinden. · Art. 56. Das Bundesgesetz oder der Bundesbeschluß ist als angenommen zu betrachten, wenn die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger sich dafür ausgesprochen hat.

In diesem Falle verfährt der Bundesrath nach Anleitung des Art. 53, Absatz i.

Art. 57. Erzeigt sich dagegen, daß eine Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger die Vorlage verworfen hat, so erklärt der Bundesrath dieselbe als dahin gefallen und es unterbleibt deren Vollziehung.

Art. 58. In beiden Fällen veröffentlicht der Bundesrath die Resultate der Abstimmung und erstattet der Bundesversammlung in ihrer nächsten Sitzung darüber Bericht.

b. Ueber Revision der Bundesverfassung.

Art. 59. Fünfzigtausend stimmberechtigte Schweizerbürger können zu jeder Zeit verlangen, daß die Frage, ob eine Revision der Bundesverfassung stattfinden solle, dem schweizerischen Volke zur Abstimmung vorgelegt werde.

Art. 60. Das Verlangen wird auf dem Wege der schriftlichen Eingabe an den Bundesrath gestellt.

Die Bürger, welche das Revisionsbegehren stellen, haben dasselbe eigenhändig zu unterzeichnen , wobei das Datum der Unterzeichnung hinzugefügt werden soll. Fehlt bei einer Unterschrift das Datum, so gilt für dieselbe das letzte Datum der vorhergehenden Unterschriften desselben Blattes oder Bogens.

238

Wer unter eine solche Eingabe eine andere Unterschrift als die seinige setzt oder diese mit einem unrichtigen Datum versieht, wird strafrechtlich verfolgt.

Die Stimmberechtigung der Unterzeichner ist vom Vorstand der Gemeinde, wo dieselben ihre politischen Rechte ausüben, zu bezeugen.

Für diese Amtsverrichtung darf keine Gebühr bezogen werden.

Art. 61. Ein nach Art. 60 gestelltes Revisionsbegehren verbleibt während der Dauer eines Jahres in Gültigkeit.

Demgemäß kommen bei Ermittelung der nach Art. 59 erforderlichen Anzahl Stimmen nur diejenigen Unterschriften einer Eingabe in Berechnung, welche im Zeiträume der der Abgabe unmittelbar vorausgegangenen zwölf Monate beigesetzt worden sind.

Art. 62. Der Bundesrath hat die eingelangten Revisionsbegehren, mit einer nach den Kantonen geordneten Uebersiehtstabelle versehen, der Bundesversammlung innerhalb zweier Monate vorzulegen, sobald die Anzahl derselben von solcher Erheblichkeit ist, daß die Anwendung des Artikels 120 der Bundesverfassung in Frage kommen kann.

Art. 63. Ueber das Vorhandensein der nach den Artikeln 59--61 erforderlichen Bedingungen entscheidet die Bundesversammlung nach Mitgabe von Artikel 89 der Bundesverfassung.

Im Falle der Bejahung hat die Bundesversammlung ohne Verzug die allgemeine Frage dem Schweizervolke zum Entscheide vorzulegen, ob die bestehende Bundesverfassung revidirt werden solle oder nicht.

Art. 64. Die nämliche allgemeine Fragestellung erfolgt auch dann, wenn das Revisionsbegehren sich bloß auf einzelne Artikel der Bundesverfassung beziehen sollte, oder \venn eine Abtheilung der Bundesversammlung eine Revision der Bundesverfassung beschließt und die andere Abtheilung nicht zustimmt.

23» Art. 65. Der Bundesrath wird auf Grundlage der Abstimmungsprotokolle das Resultat der Abstimmung vorläufig erwahren und hierauf dasselbe der Bundesversammlung, welche zu diesem Behufe innerhalb zweier Monate einberufen werden soll, zur endgültigen Feststellung vorlegen.

Der bezügliche Bundesbeschluss ist durch das Bundesblatt sofort bekannt zu machen.

Je nach dem Ergebnisse der Abstimmung trifft der Bundesrath nach Maßgabe von Art. 120, Absatz 2 , der Bundesverfassung die weitern Anordnungen.

E. Uebergangs- und Schlussbestimmungen Art. 66. Die Kantone sind angewiesen Straf bestimmungen aufzustellen, gemäß welchen die nicht dem Bundesstrafrecht unterliegenden Uebertretungen dieses Gesetzes zu verfolgen sind und kraft deren insbesondere gegen die Mitglieder von Gemeindebehörden oder von Wahl- und Abstimmungsbüreaux, die ihre Amtspflichten verletzen, eingeschritten werden kann, Art. 67. Bis zum 31. Juli 1884 haben die Kantone ihre in Ausführung der Bestimmungen des vorliegenden Bundesgesetzes erlassenen Vorschriften betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen dem Bundesrathe zur Genehmigung zu unterbreiten.

Art. 68. Alle mit diesem Gesetze im Widerspruch stehenden Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung sind aufgehoben ; insbesondere treten außer Kraft: a. das Bundesgesetz betreffend die Begehren für Revision der Bundesverfassung, vom 5. Dezember 1867 (Amtl. Samml. IX. 205); b. das Bundesgesetz betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, vom 19. Juli 1872 (Amtl. Samml. X. 915);

240

c. das Bundesgesetz betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, vom 31. Juli 1873 (Amtl. Samml. XI.

S. 275);
Diejenigen Schweizerbürger, welche vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes infolge Konkurses ihre Stimmberechtigung verloren haben, treten in dieselbe wieder ein, sobald seit der Durchführung des Konkurses fünf Jahre verflossen sind.

Art. 69. Der Bundesrath wird auf der Grundlage des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874, betrefiend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesetzes veranstalten. Dasselbe tritt, unter Vorbehalt der Volksabstimmung, auf den 1. Juli 1884 in Kraft,

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# S T #

Bericht der

für Untersuchung der Finanzlage der Garantiestädte für das Nationalbahn-Anleihen von 9 Millionen ernannten Experten-Kommission an den hohen Bundesrath.

(Vom 15. Oktober 1883.)

Herr Bundespräsident, Herren Bundesrathe!

Mit Schreiben vom 1.. März 1883 haben Sie den U n t e r s u c h u n g d e r F i n a n z l a g e d e r vierGarantiestädtedte des N a t i o n a l b a h n a n l e i h e n s (W i n t e r t h u r, B a d e n , L e n z b u r g und Z o f i n g e n ) ernannt haben.

Nachdem die Unterzeichneten die Annahme der ihnen übertragenen Mission erklärt hatten, unter dem Vorbehalt, daß ihnen der Gegenstand und der Umfang derselben möglichst genau präzisirt werde, haben Sie unterm 23. März 1883, nach einer inzwischen stattgefundenen Besprechung, eine Instruktion erlassen folgenden wörtlichen Inhalts: Die Aufgabe der Experten hat die Untersuchung folgender Punkte zum Gegenstand :

Bundesblatt. 35. Jahrg. Bd. IV.

16

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung über den Entwurf zu einem Bundesgesetze betreffend eidgenössische Wahlen und Abstimmungen. (Vom 30. Oktober 1883.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1883

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

54

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.11.1883

Date Data Seite

193-241

Page Pagina Ref. No

10 012 069

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