10.519 Parlamentarische Initiative Modifizierung von Artikel 53 StGB Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Mai 2018

Sehr geehrter Herr Präsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen einen Entwurf für eine Änderung des Strafgesetzbuches, des Jugendstrafgesetzes und des Militärstrafgesetzes. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

3. Mai 2018

Im Namen der Kommission Der Präsident: Pirmin Schwander

2018-1640

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Übersicht Aufgrund bekannt gewordener Fälle soll die Möglichkeit einer Wiedergutmachung eingeschränkt werden. Zum einen wird die geltende Obergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe gesenkt und zum anderen muss der Täter den Sachverhalt eingestehen.

Artikel 53 des Strafgesetzbuchs (StGB) ist im Jahr 2007 mit der Revision des Allgemeinen Teils eingeführt worden und sieht eine Strafbefreiung vor, wenn der Täter Wiedergutmachung leistet. Die geltende Fassung der Bestimmung gelangt unter anderem zur Anwendung, wenn die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe nach Artikel 42 StGB erfüllt sind. Danach kann eine bedingte Strafe maximal zwei Jahre Freiheitsstrafe betragen. Der Wortlaut von Artikel 53 StGB verlangt ferner nicht, dass der Täter in tatsächlicher Hinsicht geständig ist.

Es sind Fälle bekannt geworden, die den Eindruck aufkommen liessen, dass die Anwendung der fraglichen Bestimmung einem «Freikauf von Strafe» gleichkomme.

Dies führt zur Feststellung, dass Artikel 53 StGB in gewissen Fällen nicht im wohlverstandenen Sinn angewandt wird. Als Reaktion darauf gab es Bestrebungen, die fragliche Bestimmung ganz aus dem StGB zu streichen. Das Parlament hat aber einen entsprechenden Vorstoss im Jahr 2012 abgelehnt. Die Kommission schlägt daher einen engeren Anwendungsbereich der Bestimmung vor. So soll die geltende Obergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe gesenkt werden. Eine Wiedergutmachung soll nur noch möglich sein, wenn als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Frage kommt. Überdies muss der Täter den Sachverhalt eingestehen, um in den Genuss einer Strafbefreiung zu kommen.

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 14. Dezember 2010 reichte Nationalrat Daniel Vischer eine parlamentarische Initiative ein, mit der er eine Änderung und Ergänzung der Wiedergutmachung nach Artikel 53 des Strafgesetzbuchs1 (StGB) verlangt, und zwar dergestalt, dass einerseits eine bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr in Aussicht steht sowie andererseits, dass der Täter die vorgeworfene Tat gestanden und sich für schuldig erklärt hat.

Am 11. November 2011 prüfte die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates die Initiative vor und beschloss mit 18 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung, ihr nach Artikel 109 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20022 (ParlG) Folge zu geben. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates stimmte diesem Beschluss am 18. Juni 2012 mit 8 zu 4 Stimmen bei keiner Enthaltung zu (Art. 109 Abs. 3 ParlG).

1.2

Arbeiten der Kommission

Die Kommission befasste sich am 11. Oktober 2012 und 3. Oktober 2013 mit dem weiteren Vorgehen in Bezug auf die parlamentarische Initiative. Am 11. Oktober 2012 entschied sie, diese losgelöst von den Arbeiten zur Revision des Sanktionensystems zu behandeln und zunächst Anhörungen von Personen aus der Praxis durchzuführen. Infolgedessen wurden am 3. Oktober 2013 Repräsentanten der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren und der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden (neu: Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz) angehört. Im Nachgang dazu wurde die Verwaltung mit der Ausarbeitung eines Vorentwurfs beauftragt. Am 20. Februar 2014 beschloss die Kommission, diese Arbeiten bis zum Vorliegen der Revision des Sanktionenrechts auszusetzen. Am 12. November 2015 wurden die Arbeiten wieder aufgenommen und die Ausarbeitung einer Vorlage beschlossen. Mit 14 zu 1 Stimme bei 9 Enthaltungen hat die Kommission an ihrer Sitzung vom 18. August 2016 einen Vorentwurf angenommen, der zwei verschiedene Umsetzungsvarianten vorsah. Den entsprechenden Begleitbericht genehmigte die Kommission an ihrer Sitzung vom 13. Oktober 2016. Zu diesem Vorentwurf mit seinen beiden Varianten wurde gemäss dem Vernehmlassungsgesetz vom 18. März 20053 (VlG) eine Vernehmlassung durchgeführt. Die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens, das vom 20. Oktober 2016 bis zum 3. Februar 2017 dauerte, sind Gegenstand eines separaten Berichts.4 Am 26. Januar 2018 nahm die Kommission 1 2 3 4

SR 311.0 SR 171.10 SR 172.061 www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Sachbereichskommissionen > Kommissionen für Rechtsfragen > Berichte und Vernehmlassungen > Vernehmlassungen > 10.519

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Kenntnis vom Vernehmlassungsbericht und entschied sich für die endgültige Fassung des Entwurfs. Den vorliegenden Bericht genehmigte sie an ihrer Sitzung vom 3. Mai 2018. Die Kommission wurde bei ihrer Arbeit gemäss Artikel 112 Absatz 1 ParlG vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement unterstützt.

2

Grundzüge der Vorlage

2.1

Ausgangslage im geltenden Recht

Artikel 53 StGB trat am 1. Januar 2007 in Kraft. Eingereiht im Allgemeinen Teil des StGB, ist die Bestimmung auf sämtliche Delikte des StGB und des Nebenstrafrechts anwendbar. Artikel 53 StGB nennt die Wiedergutmachung als einen von drei möglichen Strafbefreiungsgründen neben dem fehlenden Strafbedürfnis in Artikel 52 StGB und der Betroffenheit des Täters durch seine Tat in Artikel 54 StGB.

Artikel 53 StGB sieht vor, dass von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung abzusehen ist, wenn der Täter den Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen, sofern die Voraussetzungen für die bedingte Strafe nach Artikel 42 StGB erfüllt sind und das Interesse der Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung gering sind.

Als erstes Element setzt die Anwendung von Artikel 53 StGB alternativ voraus, dass die beschuldigte Person den entstandenen Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen zur Ausgleichung des von ihr bewirkten Unrechts unternommen haben muss. Die Schadensdeckung kann in Form einer Schadenersatzzahlung erfolgen, sofern überhaupt ein Naturalersatz möglich ist oder ein bezifferbarer Schaden vorliegt. Sind Personen finanziell nicht in der Lage, den vollen Schadenersatz zu leisten, so sind sie nicht grundsätzlich von der Strafbefreiung ausgeschlossen: Ihnen steht der Nachweis offen, dass sie durch zumutbare Anstrengungen das bewirkte Unrecht auszugleichen versuchen. Es ist insbesondere auch an alternative Formen der Wiedergutmachung zu denken. In Betracht fallen beispielsweise die Publikation einer Berichtigung bei Ehrverletzungen, das Wiederherstellen eines rechtmässigen Zustands (z. B. durch die Reparatur oder die Reinigung einer beschädigten oder beschmutzten Sache) oder einfache Gesten wie Entschuldigungen, Versöhnungsgesten oder Geschenke. Auch die Erbringung einer Leistung, die dem Geschädigten zugutekommt, ist denkbar, wie etwa die Erbringung von Transporten eines Unfallopfers o. ä.5 Als zweite Voraussetzung nennt Artikel 53 StGB das Erfordernis, dass die fragliche Tat mit einer bedingten Strafe bestraft werden kann (vgl. Art. 42 StGB). Hier müssen sowohl die objektiven als auch die subjektiven Voraussetzungen erfüllt sein.

Wiedergutmachung ist somit bis zu einer
Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren möglich. Hingegen ist unklar, was für Übertretungen gilt. Nach dem Wortlaut der Bestimmung sind Übertretungen von einer Wiedergutmachung ausgeschlossen, denn diese können nach Artikel 105 Absatz 1 StGB nicht bedingt ausgesprochen werden.

5

Vgl. zum Ganzen Franz Riklin, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Auflage, Basel 2013, Art. 53 N 9 ff.

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Gleiches gilt für Unternehmensbussen nach Artikel 102 StGB. In der Literatur wird mehrheitlich die Meinung vertreten, dass auch in diesen beiden Konstellationen eine Wiedergutmachung möglich sein soll, sofern keine ungünstige Prognose nach Artikel 42 StGB vorliegt.6 Als dritte Voraussetzung verlangt Artikel 53 StGB sodann ein geringes Interesse der Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung.

Die Wiedergutmachung findet sich wörtlich ebenfalls im Militärstrafgesetz vom 13. Juni 19277 (MStG), dort als Artikel 45 MStG. Auch das Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 20038 (JStG) kennt eine Bestimmung zur Wiedergutmachung. Allerdings ist diese gegenüber dem Erwachsenenstrafrecht bereits heute deutlich enger gefasst, indem eine Strafbefreiung als Folge einer Wiedergutmachung nur dann möglich ist, wenn als Strafe lediglich ein Verweis nach Artikel 22 JStG in Betracht kommt.

Weiter hat der Jugendliche den Schaden so weit als möglich durch eigene Leistung wiedergutzumachen (vgl. Art. 21 Abs. 1 Bst. c JStG).

2.2

Die vorgeschlagene Neuregelung

Die Kommission ist der Meinung, dass der Anwendungsbereich von Artikel 53 StGB enger gefasst werden sollte.Sie schlägt vor, dass eine Wiedergutmachung nur noch möglich sein soll, wenn als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Betracht kommt. Mit der Aufnahme der Busse in Artikel 53 StGB möchte die Kommission präzisieren, dass eine Wiedergutmachung auch bei Übertretungen und Unternehmensbussen nach Artikel 102 StGB möglich sein soll.

Weiter möchte die Kommission die Anwendung von Artikel 53 StGB von einer neuen Voraussetzung abhängig machen. Anders als heute soll der Täter den Sachverhalt eingestehen.

Alle genannten Neuerungen sollen in gleicher Weise auch in das MStG aufgenommen werden. Hingegen soll nur die neue Voraussetzung, wonach der Täter den Sachverhalt eingestanden hat, ins JStG Eingang finden (vgl. Ziff. 4.2).

Die Kommission erhofft sich, mit den erwähnten Neuerungen dem Anschein entgegenzuwirken, dass sich solvente Personen von Strafverfolgung und Strafe freikaufen können.

2.3

Minderheitsanträge

Eine Minderheit der Kommission (Nidegger, Egloff, Geissbühler, Reimann Lukas, Walliser, Zanetti Claudio) erachtet die vorgeschlagene Neuerung als unnötig und beantragt Nichteintreten. Für sie stellt die Bestimmung von Artikel 53 StGB an sich 6 7 8

Vgl. zum Ganzen Franz Riklin, a.a.O., Art. 53 N 25 f. m. w. N.

SR 321.0 SR 311.1

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ein Fremdkörper im Strafsystem dar, weshalb sie eigentlich sogar eine ersatzlose Aufhebung des Artikels bevorzugen würde, was vom Nationalrat allerdings bereits einmal abgelehnt wurde.9 Die Minderheit weist darauf hin, dass gemäss den strafprozessualen Grundsätzen der Staat die Schuldhaftigkeit der beschuldigten Person beweisen muss. Eine Bestimmung, die gleichsam einen Rollenwechsel vorsieht und sich darauf abstützt, dass der Beschuldigte selbst seine Schuld einzugestehen hat, ist in ihren Augen systemwidrig und entsprechend auch nicht sinnvoll revidierbar.

Eine weitere Minderheit (Rickli Natalie, Egloff, Geissbühler, Guhl, Nidegger, Tuena, Walliser, Zanetti Claudio) teilt die grundsätzliche Skepsis gegenüber Artikel 53 StGB und möchte entsprechend den Anwendungsbereich dieser Bestimmung zukünftig noch weiter einschränken. Die Obergrenze des Strafmasses, welches in Betracht kommt, soll sich gemäss ihrem Vorschlag auf eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse beschränken, womit dem Anschein des Freikaufs entgegengewirkt werden soll. Die von der Minderheit vorgeschlagene tiefere Obergrenze entspricht der Strafbefehlskompetenz der Staatsanwaltschaft.

2.4

Regelungsverzicht

Die Kommission hat weiter die Eintragung von sanktionslosen Urteilen und Einstellungsverfügungen, denen eine Wiedergutmachung vorausgegangen sind, ins Strafregister geprüft. Unabhängig von diesem Geschäft hat der Bundesrat in der Botschaft zum Strafregistergesetz10 dem Parlament einen Vorschlag für die Eintragung von allen sanktionslosen Urteilen (Art. 19 Abs. 1 Bst. c Ziff. 1 E-StReg) und Einstellungsverfügungen nach den Artikeln 53, 54 oder 55a Absatz 3 StGB unterbreitet (Art. 23 Abs. 1 E-StReg). In den anschliessenden Debatten hat es aber das Parlament abgelehnt, Einstellungsverfügungen im Strafregister zu erfassen. Wesentlicher Grund dafür war, dass die Unschuldsvermutung höher gewichtet wurde als die Strafverfolgungsinteressen. Insbesondere könne sich ein allfälliger Beschuldigter nicht gegen eine Einstellungsverfügung zur Wehr setzen.11 Die Schlussabstimmung zum Strafregistergesetz fand am 17. Juni 2016 statt.12 Angesichts dieses erst vor Kurzem getroffenen Entscheids wird vorliegend darauf verzichtet, die Frage des Strafregistereintrags nochmals zu behandeln.

9 10 11 12

Pa. Iv. Joder vom 15. Dez. 2010 (10.522 «Abschaffung der Wiedergutmachung nach Artikel 53 StGB»); keine Folge gegeben am 7. März 2012.

BBl 2014 5713 AB 2016 N 394 ff.; AB 2016 S 302 ff.

BBl 2016 4871

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3

Vernehmlassung

Die Kommission hat einen Vorentwurf zur Vernehmlassung unterbreitet, der zwei verschiedene Varianten zur Umsetzung der palamentarischen Initiative enthalten hat: ­

Variante 1: Eine Wiedergutmachung sollte nur noch dann möglich sein, wenn als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Betracht kommt.

­

Variante 2: Die Obergrenze für die Wiedergutmachung sollte noch stärker abgesenkt werden und zwar auf eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse.

In beiden Varianten wurde vorgeschlagen, dass der Täter in Zukunft den Sachverhalt eingestehen muss. Die Variante 1 entsprach dem Vorschlag der Mehrheit, die Variante 2 dem Vorschlag der Minderheit der Kommission.

3.1

Ergebnisse13

In der Vernehmlassung zum Vorentwurf, welche vom 20. Oktober 2016 bis zum 3. Februar 2017 dauerte, gingen insgesamt 41 Stellungnahmen ein (26 Kantone, 5 politische Parteien, 10 Organisationen und weitere Teilnehmende). Drei Adressaten haben ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet.

Von den 41 Vernehmlassenden unterstützen 23 die Revisionsvorlage, während sie von 14 Teilnehmenden, darunter 8 Kantone, abgelehnt wird. Weitere vier Kantone zweifeln die Notwendigkeit einer Revision an. Die Befürworter der Vorlage unterstützen mit grosser Mehrheit die Variante 1. Auch wenn der Anwendungsbereich der Bestimmung von Artikel 53 StGB eingeschränkt werden soll, wäre nach überwiegender Meinung die in Variante 2 vorgesehene Reduktion der Obergrenze zu weitreichend. Eine Wiedergutmachung solle nicht den Bagatelldelikten vorbehalten sein, da Bagatelldelikte mit geringfügigen Tatfolgen und geringfügiger Schuld bereits vom Strafbefreiungsgrund des fehlenden Strafbedürfnisses nach Artikel 52 StGB erfasst würden. Nahezu alle Teilnehmer der Vernehmlassung begrüssen es, dass die Möglichkeit der Wiedergutmachung auch im Falle von Bussen ausdrücklich im Gesetz vorgesehen wird.

3.2

Beurteilung der Ergebnisse und Kommissionsentscheid

An ihrer Sitzung vom 26. Januar 2018 hat sich die Kommission mit den Ergebnissen der Vernehmlassung befasst. Sie hat davon Kenntnis genommen, dass die Notwendigkeit einer Revision nicht uneingeschränkt bejaht wird, aber dennoch mit 19 zu 5 Stimmen entschieden, dem Rat eine Vorlage zu unterbreiten und entsprechend auf 13

Ausführlich dazu den Bericht über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens, abrufbar unter: www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Sachbereichskommissionen > Kommissionen für Rechtsfragen > Berichte und Vernehmlassungen > Vernehmlassungen > 10.519.

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den Entwurf einzutreten. Vor dem Hintergrund, dass sich auch eine klare Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer für die Variante 1 ausgesprochen hat, hat die Kommission sodann mit 14 zu 11 Stimmen entschieden, ihrem Rat ebenfalls diese Variante zu beantragen. Die Mehrheit der Kommission möchte den Anwendungsbereich von Artikel 53 StGB nicht derart stark einengen, dass die praktische Bedeutung der Bestimmung fraglich würde. In der Gesamtabstimmung wurde der Entwurf mit 21 zu 3 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen.

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

4.1

Strafgesetzbuch14

Art. 53 Bst. a Tiefere Obergrenze Nach geltendem Recht ist eine Wiedergutmachung bis zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren möglich. Diese Obergrenze erachtet die Kommission als zu hoch, da selbst bei relativ schweren Straffällen eine Wiedergutmachung möglich ist.

Die parlamentarische Initiative forderte eine Reduktion der Obergrenze auf ein Jahr Freiheitsstrafe bedingt. Die Kommission schliesst sich der von der parlamentarischen Initiative geforderten Reduktion der Obergrenze an und schlägt vor, dass eine Wiedergutmachung nur noch möglich sein soll, wenn als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Betracht kommt.

Am 1. Januar 2018 ist das geänderte Sanktionenrecht in Kraft getreten, welches vom Parlament am 19. Juni 2015 beschlossen wurde.15 So beträgt die Geldstrafe neu höchstens 180 Tagessätze (Art. 34 Abs. 1 StGB) und sie kann weiterhin bedingt ausgesprochen werden (Art. 42 Abs. 1 StGB). Ebenfalls kann das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen (Art. 41 Abs. 1 StGB). Damit besteht der Vorrang der Geldstrafe gegenüber der Freiheitsstrafe weiter. Entsprechend ist es nicht erforderlich, auf die Möglichkeit der kurzen bedingten Freiheitsstrafe anstelle der bedingten Geldstrafe hinzuweisen, so wie auch bei den Strafdrohungen darauf verzichtet wurde. Das ändert aber nichts daran, dass eine Wiedergutmachung auch bei einem Wechsel von der bedingten Geldstrafe zur bedingten Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten im Sinne von Artikel 41 Absatz 1 StGB möglich sein soll. Wie bis anhin kommt es nicht auf die Art der Sanktion an, sondern massgebend ist der bedingte Vollzug der Strafe (Art. 42 Abs. 1 StGB).

Wiedergutmachung für Bussen Weiter besteht im geltenden Recht im Bereich der Anwendung von Artikel 53 StGB Unklarheit darüber, ob die Wiedergutmachung auch für Übertretungen und Unter14 15

SR 311.0 AS 2016 1249

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nehmensbussen nach Artikel 102 StGB möglich sein soll. Bei der Unternehmensbusse geht es letztlich um die Frage, welchem Deliktstyp Artikel 102 StGB zuzuordnen ist.16 Es ist durchaus einzuräumen, dass die Verantwortlichkeit des Unternehmens in verschiedener Hinsicht einen Spezialfall innerhalb des StGB darstellt.

Artikel 102 StGB bezeichnet die angedrohte Sanktion jedoch in allen drei offiziellen Sprachversionen ausdrücklich als Busse, und es gibt keine stichhaltigen Gründe, die Strafnorm als etwas anderes als eine Übertretung zu qualifizieren. Für Bussen ist eine Einstellung wegen Wiedergutmachung nicht möglich, weil diese immer unbedingt ausgesprochen werden und entsprechend die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe nach geltendem Recht nicht erfüllt sind.

Dessen ungeachtet kommt es in der Praxis zu Einstellungen wegen Wiedergutmachung für Übertretungen und Unternehmensbussen; dies auch weil in der Literatur teilweise die Meinung vertreten wird, dass der Gesetzgeber die Übertretungsstraftäter nicht habe von der Wiedergutmachung ausschliessen wollen. Es sei störend, dass für Verbrechen und Vergehen die Wiedergutmachung zulässig sei, nicht aber für Übertretungen und Unternehmensbussen. Das geltende Recht sei so zu verstehen, dass auch bei Übertretungen und Unternehmensbussen eine Wiedergutmachung in Frage komme, wenn trotz der (unbedingten) Busse eine günstige Prognose im Sinne von Artikel 42 StGB gestellt werden könne.17 Durch die explizite Erwähnung der Busse wird Klarheit geschaffen.

Art. 53 Bst. c Soweit die parlamentarische Initiative die Einstellung davon abhängig machen will, dass die beschuldigte Person sich selber für strafrechtlich schuldig erklärt, ist zu bedenken, dass nur ein Sachverhalt anerkannt werden kann. Die rechtliche Qualifikation des Verhaltens kann dagegen nicht Gegenstand eines Geständnisses sein; so ist z. B. die Zurechnungs- oder Schuldfähigkeit keinem Geständnis zugänglich.

Zudem können Unsicherheiten bezüglich der Subsumtion des Sachverhalts unter eine Strafbestimmung bestehen, weil im Untersuchungsverfahren der Sachverhalt nicht abschliessend geklärt ist. Aus den dargelegten Gründen ist die entsprechende Formulierung in der parlamentarischen Initiative problematisch.

Stattdessen wird die Formulierung der Artikel 352 Absatz 1 bzw. 358 Absatz 1 Strafprozessordnung18
(StPO) übernommen. Der Täter muss den Sachverhalt eingestehen. Das heisst, er muss den historischen Lebensvorgang ­ den massgeblichen Sachverhalt ­ anerkennen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Grundlage eines Verzichts auf die Anklageerhebung bzw. Überweisung ans Gericht ein hinreichend geklärter belastender Sach-

16

17 18

Vgl. zum Ganzen Marcel Alexander Niggli/Diego R. Gfeller in: M. A. Niggli/ H. Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Auflage, Basel 2013, Art. 102 N 40 ff. und N 348 f. m. w. N. Aus dem Umstand, dass als Anlasstaten ausschliesslich Verbrechen und Vergehen in Frage kommen, lässt sich nichts für die Typisierung von Art. 102 StGB ableiten, denn die Anlasstat ist objektive Strafbarkeitsbedingung; das Unternehmen setzt eigenes Unrecht durch mangelhafte Organisation.

Vgl. zum Ganzen Franz Riklin, a.a.O., Art. 53 N 19 und 26 m. w. N.

SR 312.0

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verhalt ist.19 Daraus folgt, dass nur bei ganz offensichtlichen Fällen eine Verfahrenseinstellung in der Untersuchung angezeigt ist.20 Kommt eine Strafbefreiung wegen Wiedergutmachung in Frage, so lädt die Staatsanwaltschaft die geschädigte Person und die beschuldigte Person zu einer Verhandlung ein mit dem Ziel, eine Wiedergutmachung zu erzielen (Art. 316 Abs. 2 StPO).

Bei Antragsdelikten wird gleich vorgegangen (Art. 316 Abs. 1 StPO). Wird eine Einigung erzielt, so ist diese im Protokoll festzuhalten und von den Beteiligten zu unterzeichnen. Die Staatsanwaltschaft stellt alsdann das Verfahren ein (Art. 316 Abs. 3 StPO). Kommt keine Einigung zustande, stellt sich allenfalls die Frage, wie mit einem im Rahmen der Vergleichsverhandlungen gemachten Geständnis später beweismässig umzugehen ist. Diesbezüglich wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass eine Verwertung gegen Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 Bst. a StPO) verstösst.21

4.2

Jugendstrafgesetz vom 20. Juni 200322

Art. 21 Abs. 1 Bst. c Die Wiedergutmachung im Jugendstrafrecht ist im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht enger gefasst: Erstens beschränkt sich die Strafbefreiung auf Fälle, in denen als Strafe nur ein Verweis nach Artikel 22 JStG in Betracht kommt, namentlich wenn ein Verweis im Einzelfall voraussichtlich genügt, um den Jugendlichen von weiteren Straftaten abzuhalten. Zweitens hat der Jugendliche den Schaden so weit als möglich durch eigene Leistung wiedergutzumachen. Diese Sonderregeln sollen unverändert belassen werden. Von den vorgeschlagenen Änderungen in Artikel 53 E-StGB wird daher nur das Geständnis im JStG übernommen (vgl. Art. 21 Abs. 1 Bst. c Ziff. 3 E-JStG).

4.3

Militärstrafgesetz vom 13. Juni 192723

Art. 45

Wiedergutmachung

Diese Bestimmung lautet im geltenden Recht gleich wie Artikel 53 StGB. Um die Übereinstimmung zu bewahren, gelten die in Artikel 53 E-StGB vorgeschlagenen Änderungen gleichermassen auch für diese Bestimmung.

19 20 21

22 23

BGE 137 I 16 E. 2.3 BGE 135 IV 27 E. 2.3 Vgl. Marc Thommen, Kurzer Prozess ­ fairer Prozess?, Bern 2013, S. 218 f.; Nathan Landshut/Thomas Bosshard, in: A. Donatsch/T. Hansjakob/V. Lieber (Hrsg.), Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Auflage, Zürich 2014, Art. 316 N 10 und 14; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, Art. 316 N 10; Michel Riedo, in: M. A. Niggli/M. Heer/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Auflage, Basel 2014, Art. 316 N 16.

SR 311.1 SR 321.0

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5

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die vorliegende Revision für den Bund oder die anderen Gemeinwesen nennenswerte finanzielle und personelle Auswirkungen hat.

6

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die vorgeschlagenen Änderungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

7

Rechtliche Grundlagen

7.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 123 Absatz 1 der Bundesverfassung24, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Straf- und Strafprozessrechts gibt.

7.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Der Entwurf enthält keine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen.

7.3

Erlassform

Beim vorgeschlagenen Entwurf handelt es sich um die Revision von Bundesgesetzen.

24

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