18.021 Botschaft zur Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und Serbien sowie zwischen der Schweiz und Montenegro über soziale Sicherheit vom 14. Februar 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und der Republik Serbien sowie zwischen der Schweiz und Montenegro über soziale Sicherheit.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. Februar 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2011-0169

1153

Übersicht Mit den beiden Abkommen über soziale Sicherheit mit Serbien und Montenegro wird für zwei weitere Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens das mit der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien abgeschlossene Sozialversicherungsabkommen abgelöst. Letzteres wird nach Inkrafttreten der Abkommen mit Serbien und Montenegro nur noch auf Bosnien und Herzegowina anwendbar sein. Mit diesem Staat sind ebenfalls bereits Vertragsverhandlungen im Gange.

Ausgangslage Serbien und Montenegro sind Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und diesen beiden Staaten im Bereich der sozialen Sicherheit werden heute nach wie vor durch das Abkommen mit dem ehemaligen Jugoslawien aus dem Jahr 1962 geregelt.

Der Abschluss eines neuen Abkommens ist notwendig, da der Vertragspartner Jugoslawien nicht mehr existiert, der Abkommenstext veraltet und die Abkommensbestimmungen nicht auf die aktuelle Gesetzgebung der Vertragsparteien zugeschnitten sind.

Inhalt der Vorlage Die vorliegenden Abkommen entsprechen den in letzter Zeit von der Schweiz abgeschlossenen Vereinbarungen. Diese richten sich nach den in der zwischenstaatlichen sozialen Sicherheit allgemein gültigen Grundsätzen. Dazu gehören insbesondere Bestimmungen über die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, die Aufrechterhaltung und Gewährleistung ihrer Ansprüche sowie die Auszahlung der Renten ins Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten sowie die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Die Abkommen erfassen die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Unfallversicherung. Im Verhältnis zu Montenegro werden auch die Familienleistungen in der Landwirtschaft geregelt. Ausserdem enthalten beide Abkommen gewisse Regelungen über die Koordination der Krankenversicherung.

In einem ersten Teil befasst sich die Botschaft mit der Entstehung der Abkommen; sie beschreibt dann die Sozialversicherungssysteme von Serbien und Montenegro und enthält schliesslich einen Kommentar zu einzelnen Bestimmungen der Abkommen.

1154

BBl 2018

Botschaft 1

Grundzüge der Abkommen

1.1

Ausgangslage

Serbien und Montenegro sind Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien und wurden von der Schweiz anerkannt. Damit die Staatsangehörigen der Schweiz, Serbiens und Montenegros von den Bestimmungen des Abkommens über soziale Sicherheit mit Jugoslawien vom 8. Juni 19621 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit weiterhin profitieren können, haben die Regierungen der Schweiz und von Serbien und Montenegro beschlossen, dieses Abkommen weiter anzuwenden, solange keine neuen Abkommen zwischen diesen Staaten in Kraft treten.

Die Schweiz verfügt über neue Vertragswerke mit den Nachfolgestaaten Slowenien, Kroatien und Mazedonien, wobei auf Slowenien und Kroatien inzwischen das Freizügigkeitsabkommen2 zwischen der Schweiz und der EU beziehungsweise die EU-Verordnungen (EG) Nr. 883/20043 und Nr. 987/20094 für die Koordinierung der sozialen Sicherheit Anwendung finden.

Das Abkommen mit Jugoslawien entspricht nicht mehr den aktuellen Gesetzgebungen der Vertragsstaaten. In Bezug auf Serbien und Montenegro sind insbesondere die Verweise auf das Recht der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien bedeutungslos. Seitens der Schweiz ist unter anderem eine Anpassung an die Gesetzesänderungen in der Invalidenversicherung notwendig, da die Mindestbeitragszeit im Rahmen der 5. IV-Revision von einem auf drei Jahre angehoben wurde.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zur Motion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 24. September 2009 (09.3887) festgehalten, dass die Abkommen mit den Balkanstaaten nur erneuert oder neu abgeschlossen werden sollen, sofern ein funktionierendes Dispositiv zur Aufklärung von Betrugsfällen vorliegt.

Zu diesem Zweck wurden Bestimmungen in die Abkommenstexte aufgenommen, die Ermittlungen durch schweizerische Stellen oder von ihnen beauftragte Stellen vor Ort ermöglichen.

Ursprünglich war es geplant, dem Parlament in einer Sammelbotschaft auch ein neues Abkommen mit Bosnien und Herzegowina zur Genehmigung zu unterbreiten.

Das Abkommen mit dem ehemaligen Jugoslawien ist nämlich auch in den Bezie1 2

3

4

SR 0.831.109.818.1 Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681.

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, SR 0.831.109.268.1.

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, SR 0.831.109.268.11.

1155

BBl 2018

hungen zu diesem Nachfolgestaat immer noch anwendbar. Wegen erheblichen Schwierigkeiten bei der sprachlichen Bereinigung des Abkommensentwurfs konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt kein Abkommen unterzeichnet werden. Aus diesem Grund werden dem Parlament zunächst die Abkommen mit Serbien und Montenegro unterbreitet, damit diese in Kraft treten und die sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen zu diesen beiden Staaten aktualisiert werden können. Die parlamentarischen Genehmigungsverfahren in den beiden Staaten sind bereits abgeschlossen und dem Inkrafttreten der Abkommen nach Genehmigung durch die Bundesversammlung steht nichts mehr entgegen.

1.2

Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Im Juni 2008 fanden zwischen der Schweiz und Serbien erste Gespräche über den Abschluss eines neuen Sozialversicherungsabkommens statt. Anlässlich der Folgeverhandlungen von Mai 2009 und Januar 2010 wurde der entsprechende Vertragsentwurf beraten und finalisiert. Weitere geringfügige Ergänzungen wurden anschliessend auf schriftlichem Weg bereinigt. Das Abkommen und die Durchführungsvereinbarung wurden am 11. Oktober 2010 unterzeichnet.

Mit Montenegro hat die Schweiz im Jahr 2008 Verhandlungen aufgenommen. Die Abkommenstexte und die Durchführungsvereinbarungen konnten nach drei Verhandlungsrunden am 7. Oktober 2010 unterzeichnet werden.

1.3

Vernehmlassungsverfahren

Die Bestimmungen über die Vernehmlassung finden vorliegend keine Anwendung, weil die Abkommen nicht dem fakultativen Referendum unterliegen und nicht von grosser Tragweite sind.

1.4

Überblick über den Inhalt der Abkommen und Würdigung

Die Abkommen entsprechen den von der Schweiz unlängst abgeschlossenen Abkommen und den internationalen Standards der Koordinationsregeln für soziale Sicherheit. Sie beziehen sich auf die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, die Unfallversicherung sowie, in beschränktem Ausmass, auf die Krankenversicherung. In Bezug auf die Republik Montenegro erfasst der sachliche Geltungsbereich schweizerischerseits auch die Bundesgesetzgebung über Familienzulagen in der Landwirtschaft und die Familienzulagen nach der montenegrinischen Gesetzgebung. Die beiden Abkommen richten sich wie alle internationalen Sozialversicherungsabkommen nach folgenden Grundsätzen: möglichst umfassende Gleichbehandlung der Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten; Unterstellungsregeln für die Ermittlung des zuständigen Staates, wenn die Erwerbstätigkeit beide Vertragsstaaten betrifft; erleichterter Zugang zu den Leistungen der Vertragsstaaten, insbesondere 1156

BBl 2018

durch die Anrechnung der im anderen Staat zurückgelegten Versicherungszeiten; Auszahlung der Leistungen ins Ausland; Zusammenarbeit der Behörden der Vertragsstaaten.

2

Die soziale Sicherheit in Serbien und Montenegro

2.1

Alter

Die Anfänge der serbischen und montenegrinischen Rentensysteme liegen über 50 Jahre zurück. Vor der Trennung von der Bundesrepublik Jugoslawien unterstand die Gesetzgebung über die soziale Sicherheit der Föderation. Allerdings haben die Republiken bereits damals im Rahmen von untergeordneten Gesetzen die soziale Sicherheit geregelt. Nach dem Zusammenbruch der Föderation regelten die heutigen Republiken Serbien und Montenegro die soziale Sicherheit in neuen Gesetzen.

Das aktuelle serbische Gesetz über die Renten- und Invalidenversicherungen wurde 2003 verabschiedet. Es wurde 2014 das letzte Mal revidiert. Es wird durch Arbeitnehmer und Arbeitgeberbeiträge finanziert. Für ein allfälliges Defizit besteht eine Staatsgarantie. Es handelt sich um ein umlagefinanziertes System, bei dem die beitragszahlenden Erwerbstätigen die laufenden Rentenleistungen finanzieren.

Versichert sind alle Erwerbstätigen (Unselbstständige und Selbstständige) und Personen, die eine Erwerbsersatzleistung beziehen (z. B. Arbeitslosenleistung).

Der Beitragssatz beträgt 22 Prozent des Einkommens. Die Beiträge werden hälftig vom Arbeitnehmer und Arbeitgeber entrichtet.

Das Rentenalter für Erwerbstätige beträgt für Männer 65 und für Frauen 61, bei einer Mindestversicherungsdauer von 15 Jahren. Das gesetzliche Rentenalter für Frauen wird bis ins Jahr 2032 sukzessive auf 65 Jahre angehoben. Eine ungekürzte Rente kann ebenfalls nach 45 Versicherungsjahren bei einem Mindestalter von 55 Jahren bezogen werden. Das Mindestalter für die Frührente wird bis ins Jahr 2023 nach und nach auf 60 Jahre angehoben.

Sonderregelungen betreffend Rentenalter bestehen für Frührenten und spezielle Berufskategorien.

Die Rentenleistung wird aufgrund des Einkommens während der Erwerbstätigkeit, der Versicherungsdauer, des Geschlechts und der Berufsgruppe (Risikofaktor) berechnet.

Die Mindestrente für Arbeitnehmer entspricht 33 Prozent des jährlichen Durchschnittseinkommens, für Bauern 26 Prozent des Durchschnittseinkommens. Die Maximalrente für Arbeitnehmer beträgt 123 917 serbische Dinar (1173 Franken).

Das montenegrinische Gesetz über die Renten- und Invalidenversicherungen wurde ebenfalls 2003 verabschiedet. Es wurde 2013 das letzte Mal revidiert. Es wird durch Arbeitnehmer und Arbeitgeberbeiträge sowie durch Zuschüsse aus einem staatlichen Fonds
finanziert. Versichert sind alle Erwerbstätigen (Unselbstständige und Selbstständige). Der Beitragssatz beträgt 15 Prozent des Einkommens zulasten des Arbeitnehmers und 5,5 Prozent des Einkommens zulasten des Arbeitgebers.

1157

BBl 2018

Das Rentenalter für Erwerbstätige beträgt für Männer 67 und für Frauen 61, bei einer Mindestversicherungsdauer von 15 Jahren. Ein Anspruch auf eine Vollrente entsteht ebenfalls nach 40 Versicherungsjahren für Männer und nach 35 Versicherungsjahren für Frauen.

Sonderregelungen betreffend Rentenalter bestehen für Frührenten und spezielle Berufskategorien.

Die Rentenleistung wird aufgrund des Einkommens während der Erwerbstätigkeit, der Versicherungsdauer, des Geschlechts und der Berufsgruppe (Risikofaktor) berechnet. Die Mindestrente beträgt 102 Euro pro Monat (116 CHF).

2.2

Tod

Anspruch auf Todesfallleistungen haben in Serbien Witwen (auch geschiedene, unterhaltsberechtigte Witwen, die vom Verstorbenen unterstützt wurden), Waisen (nebst den leiblichen Kindern auch Pflege- und Stiefkinder und Adoptivkinder) sowie Geschwister, Eltern und Stiefeltern (sofern diese vom Verstorbenen finanziell unterstützt wurden).

Voraussetzung für den Anspruch auf solche Leistungen ist eine Versicherungszeit von mindestens fünf Jahren oder ein bestehender Anspruch auf Alters- oder Invalidenrente. Die Hinterlassenenrente beträgt 70 Prozent der Mindestrente für Alter und Invalidität.

In Montenegro haben Anspruch auf Todesfallleistungen Witwen (auch geschiedene unterhaltsberechtigte Witwen), leibliche Waisen sowie Adoptivkinder und Stiefkinder, sofern diese vom Verstorbenen finanziell unterstützt wurden.

Die anspruchsberechtigte Person muss fünf Versicherungsjahre nachweisen oder Anspruch auf eine Alters- oder Invalidenrente gehabt haben. Die Hinterlassenenrente entspricht grundsätzliche der minimalen Altersrente, kann aber aufgrund der vom Verstorbenen zurückgelegten Versicherungsjahre höher ausfallen.

2.3

Invalidität

In Serbien besteht bei berufsbedingter vollständiger Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Invalidenrente unabhängig von der Versicherungsdauer. In allen anderen Fällen wird eine bestimmte Versicherungsdauer vorausgesetzt. Die Höhe der Rente wird nach den gleichen Kriterien wie die Altersrente berechnet.

In Montenegro besteht bei berufsbedingter Invalidität ein Anspruch unabhängig von der Versicherungsdauer. In allen anderen Fällen wird eine bestimmte Versicherungsdauer vorausgesetzt. Die Höhe der Rente wird nach den gleichen Kriterien wie die Altersrente berechnet. Ein Anspruch auf Invalidenrente besteht erst ab einer Teilinvalidität von 75 Prozent.

1158

BBl 2018

2.4

Unfall

In der gesetzlichen Unfallversicherung Serbiens sind alle Erwerbstätigen versichert.

Die Unfallversicherung deckt die Risiken Berufsunfall und Berufskrankheiten.

Nebst einer allfälligen Invalidenrente besteht Anspruch auf eine Entschädigung für körperliche Beeinträchtigung, ab einer Beeinträchtigung von 30 Prozent der Erwerbsfähigkeit.

In der gesetzlichen Unfallversicherung Montenegros sind ebenfalls nur die Erwerbstätigen versichert. Versichert sind die Risiken Berufsunfall und Berufskrankheiten.

Der Anspruch auf eine Invalidenrente aufgrund eines Berufsunfalls oder einer Berufskrankheit setzt eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 75 Prozent voraus. Eine Entschädigung für eine körperliche Beeinträchtigung setzt eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent voraus. Die UV-Rente wird auf den gleichen Grundlagen wie die Invaliditätsrente berechnet. Die Leistung bei einer körperlichen Beeinträchtigung richtet sich nach dem Invaliditätsgrad.

2.5

Krankentaggeld und Mutterschaft

In Serbien besteht im Fall von Krankheit Anspruch auf ein Taggeld ab dem ersten Tag der Erwerbsunfähigkeit bis zur Genesung oder bis zum Bezug einer IV-Rente.

Der Versicherte erhält 65 Prozent des Durchschnittslohns der letzten 3 Monate. Im Falle eines Berufsunfalls, einer Berufskrankheit oder bei einer Gewebe- oder Organspende werden 100 Prozent des Durchschnittslohns der letzten 3 Monate ausgerichtet. Während der ersten dreissig Tage richtet der Arbeitgeber das Taggeld aus, danach ein entsprechender Fonds. Im Fall von Mutterschaft richtet sich die Höhe der Leistung nach der Vorversicherungszeit. Bei einer Vorversicherungsdauer von 6 Monaten wird die volle Leistung ausbezahlt. Grundlage für die Festsetzung der Leistung ist das Einkommen der der Mutterschaft vorangehenden 12 Monate.

In Montenegro besteht im Fall von Krankheit oder Mutterschaft Anspruch auf ein Taggeld, das ab dem ersten Tag und für die gesamte Dauer der Abwesenheit vom Arbeitsplatz gemäss den arbeitsrechtlichen Bestimmungen ausgerichtet wird. Bei Mutterschaft ist eine vorgängige Versicherungszeit von sechs Monaten erforderlich.

Das Taggeld beläuft sich in der Regel auf 70 Prozent des versicherten Lohns, erreicht jedoch in besonderen Fällen wie Mutterschaft und Organspende 100 Prozent. Für die ersten 60 Tage kommt der Arbeitgeber auf, anschliessend der Fonds.

Bei Mutterschaft ist der Fonds ab dem ersten Tag leistungspflichtig.

1159

BBl 2018

3

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der Abkommen

Allgemeine Bestimmungen (Titel I) Art. 2

Sachlicher Geltungsbereich

Die Abkommen beziehen sich auf die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, die Unfallversicherung sowie auf die Krankenversicherung (beschränkt auf die Regelung des Übertritts von der Krankenversicherung des einen Staats in diejenige des anderen Vertragsstaats). In Bezug auf die Republik Montenegro erfasst der sachliche Geltungsbereich schweizerischerseits auch die Bundesgesetzgebung über Familienzulagen in der Landwirtschaft und die Familienzulagen nach der montenegrinischen Gesetzgebung. Im ursprünglichen Entwurf des Abkommens mit Serbien hatte die Schweiz im sachlichen Geltungsbereich, analog zum Abkommen mit Montenegro, das Bundesgesetz über Familienzulagen in der Landwirtschaft aufgeführt. Auf Wunsch der serbischen Seite wurden die Familienleistungen aus dem sachlichen Geltungsbereich gestrichen. Die Kinderzulagen sind in der serbischen Gesetzgebung im Rahmen der Sozialhilfe geregelt und können somit nicht mit den schweizerischen Familienleistungen koordiniert werden. Diese Lösung entspricht auch der grundsätzlich zurückhaltenden Politik der Schweiz im Bereich des Exports von Familienzulagen.

Art. 3

Persönlicher Geltungsbereich

Die Abkommen sind anwendbar auf die Angehörigen der Vertragsstaaten und auf deren Familienangehörige und Hinterlassene, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, sowie auf Flüchtlinge und Staatenlose, die im Gebiet eines der Vertragsstaaten wohnen. Die Bestimmungen zu den anwendbaren Rechtsvorschriften gelten teilweise auch für Angehörige von Drittstaaten.

Art. 4

Gleichbehandlung

Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist zentral und in allen Sozialversicherungsabkommen enthalten. Die Schweiz bringt stets die gleichen Vorbehalte an. Diese betreffen die freiwillige AHV/IV, die AHV/IV von schweizerischen Staatsangehörigen, die im Ausland im Dienst der Eidgenossenschaft oder bestimmter Organisationen tätig sind, und den freiwilligen Beitritt zur AHV/IV von internationalen Beamtinnen und Beamten schweizerischer Nationalität.

Art. 5

Auszahlung der Leistungen im Ausland

Die Gewährleistung der Leistungszahlung an die Staatsangehörigen, die im Gebiet des anderen Vertragsstaats wohnen, ist ein wesentlicher Aspekt der internationalen Koordination der sozialen Sicherheit (Abs. 1).

Die Rentenzahlung in Drittstaaten wird nach dem Gleichbehandlungsgebot geregelt: Sieht ein Vertragsstaat die Leistungszahlung an seine eigenen Staatsangehörigen in einen Drittstaat vor, so gilt für die Angehörigen des anderen Vertragsstaats dasselbe 1160

BBl 2018

(Serbien: Abs. 3, Montenegro: Abs. 4). Ausgenommen vom Export werden die als Bedarfsleistung ausgestaltete serbische und montenegrinische Mindestrente.

Schweizerischerseits werden wie in anderen Abkommen die IV-Viertelrenten, die ausserordentlichen Renten, die Hilflosenentschädigung der AHV/IV und im Verhältnis zu Montenegro die Haushaltungszulagen nach den schweizerischen Rechtsvorschriften über die Familienzulagen in der Landwirtschaft vom Export ausgenommen.

Bestimmungen über die anwendbaren Rechtsvorschriften (Titel II) Art. 6

Allgemeiner Grundsatz

Ein wesentlicher Aspekt der Abkommen betrifft die Regelung der anwendbaren Rechtsvorschriften für Personen, die im Gebiet des anderen Vertragsstaats eine Erwerbstätigkeit ausüben. Mit diesen Bestimmungen sollen Doppelunterstellungen und Versicherungslücken vermieden werden. In den vorliegenden Abkommen gilt, wie in allen anderen vergleichbaren Verträgen, der Grundsatz der Unterstellung am Ort der Erwerbstätigkeit. Dies bedeutet, dass Personen, die in beiden Staaten erwerbstätig sind, in jedem Staat nur für die dort ausgeübte Tätigkeit versichert werden.

Die folgenden Artikel enthalten für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besondere Regelungen, die vom Grundsatz der Unterstellung am Ort der Erwerbstätigkeit abweichen.

Art. 7

Sonderregelungen

Entsendung (Abs. 1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt werden, unterstehen während längstens 24 Monaten den Rechtsvorschriften des entsendenden Vertragsstaats. Damit werden die Doppelunterstellung oder ein Unterbruch der Versicherungskarriere vermieden und der administrative Aufwand des Arbeitgebers verringert. Eine Verlängerung der Entsendung ist im gegenseitigen Einvernehmen der zuständigen Behörden möglich.

Personal von Strassen-, Bahn- oder Lufttransportunternehmen (Abs. 2) Dieser Artikel unterstellt die Angestellten von Strassen-, Bahn- oder Lufttransportunternehmen dem Gesetz des Staates, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat oder sich die ihn beschäftigende Zweigniederlassung befindet. Er entspricht den von der Schweiz jüngst abgeschlossenen Abkommen und widerspiegelt die internationale Praxis.

Personen im öffentlichen Dienst (Abs. 3) Personen, die im öffentlichen Dienst des einen Staates angestellt sind und in den anderen Staat entsandt werden, bleiben der Versicherung im Herkunftsland unterstellt.

1161

BBl 2018

Angestellte von Seefahrtsunternehmen (Abs. 4) Personen, die an Bord eines Schiffes beschäftigt sind, sind im Flaggenstaat versichert. Für Hafenarbeiter, die nur vorübergehend an Bord gehen, gelten diese Bestimmungen nicht.

Art. 8

Angestellte von diplomatischen oder konsularischen Vertretungen

In Übereinstimmung mit dem Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 5 über diplomatische Beziehungen und dem Wiener Übereinkommen vom 24. April 19636 über konsularische Beziehungen sieht Absatz 1 vor, dass Staatsangehörige eines Vertragsstaats, die als Mitglieder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung dieses Staates in das Gebiet des anderen Vertragsstaats entsandt werden, den Rechtsvorschriften des ersten Vertragsstaats unterstehen. Unter dem Begriff der diplomatischen Vertretung werden sowohl die Botschaft wie auch die ständige Vertretung bei einer internationalen Organisation verstanden.

Personen, die vom Vertragsstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, im Gebiet des anderen Staates zur Dienstleistung bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung des ersten Vertragsstaates eingestellt werden, sind dem Sozialversicherungssystem des zweiten Staates unterstellt. Sie können jedoch das Sozialversicherungssystem des ersten Staates wählen (Abs. 2).

Absatz 3 verpflichtet die diplomatische oder konsularische Vertretung zur Einhaltung der Arbeitgeberpflichten des Vertragsstaats für Angestellte, die nach dessen Rechtsvorschriften versichert sind.

Die Vertragsstaaten wollten auch die rechtliche Stellung von Angehörigen der Vertragsstaaten regeln, die im Hoheitsgebiet des einen Staates im Dienst von diplomatischen und konsularischen Vertretungen von Drittstaaten tätig sind (Abkommen mit Serbien Abs. 5, Abkommen mit Montenegro Abs. 6), um Versicherungslücken zu vermeiden. Wenn weder ihr Herkunftsland noch der Entsendestaat ihnen die Möglichkeit bietet, sich zu versichern, werden sie im Staat versichert, in dem sie erwerbstätig sind.

Art. 9

Ausnahmen

Die Bestimmungen über die anwendbare Gesetzgebung werden durch eine sogenannte Ausweichklausel ergänzt, die es den zuständigen Behörden der Vertragsparteien erlaubt, in besonderen Fällen abweichende Regelungen zu vereinbaren.

Art. 10

Familienangehörige

Bei Artikel 10 handelt es sich um eine Standardbestimmung über die Versicherungsunterstellung von Familienangehörigen, welche die entsandte Arbeitnehmerin oder den entsandten Arbeitnehmer begleiten. Sie ermöglicht es der nicht erwerbstätigen Ehegattin oder dem nicht erwerbstätigen Ehegatten sowie den Kindern, zusammen mit der erwerbstätigen Person im Herkunftsstaat versichert zu bleiben.

5 6

SR 0.191.01 SR 0.191.02

1162

BBl 2018

Besondere Bestimmungen zu den Leistungen (Titel III) Krankheit und Mutterschaft Art. 11 und 12

Anrechnung von Versicherungszeiten

Diese Bestimmungen erleichtern den Zugang zur freiwilligen Taggeldversicherung bei Krankheit und Mutterschaft. Versicherungszeiten in der serbischen oder montenegrinischen Versicherung für Taggeld werden von schweizerischen Versicherern auf einen allfälligen Vorbehalt angerechnet. Umgekehrt erleichtern die Bestimmungen auch den Übertritt in die serbische oder montenegrinische Krankenversicherung.

Invaliden-, Alters- und Hinterlassenenversicherung Art. 13

Eingliederungsmassnahmen

Die Bestimmung orientiert sich an den neusten von der Schweiz im Bereich der sozialen Sicherheit abgeschlossenen Abkommen. Der Zugang zu den Eingliederungsmassnahmen der schweizerischen IV wird für serbische und montenegrinische Staatsangehörige erleichtert, wobei allerdings gewisse Ausnahmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung gemacht werden.

Serbische und montenegrinische Staatsangehörige, die der AHV/IV-Beitragspflicht unterstehen (Personen, die in der Schweiz arbeiten oder wohnen), haben unter den gleichen Voraussetzungen wie Schweizer Versicherte Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen der IV, solange sie sich in der Schweiz aufhalten. Serbische und montenegrinische Staatsangehörige, die bei der AHV/IV versichert, aber nicht beitragspflichtig sind (nichterwerbstätige Personen zwischen 18 und 20 Jahren sowie minderjährige Kinder), haben nach einer einjährigen Wohndauer in der Schweiz, oder wenn sie in der Schweiz invalid geboren sind, Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen.

Art. 14 und 17

Anrechnung von Versicherungszeiten

Da in Serbien und Montenegro erst ab 15 Versicherungsjahren ein Rentenanspruch besteht, ist die in den Artikeln 17 festgehaltene Berücksichtigung der im Ausland zurückgelegten Versicherungszeiten von grosser Bedeutung für die Erfüllung der Mindestversicherungsdauer. In Bezug auf die Schweiz ist die Anrechnung von ausländischen Versicherungszeiten gemäss Artikel 14 von geringerer Bedeutung. Sie erfolgt nur für die Erfüllung der Mindestbeitragsdauer von 3 Jahren für die Begründung eines Anspruchs auf Invalidenrente, wenn in der Schweiz mehr als ein, aber weniger als drei Versicherungsjahre vorliegen. Es werden nicht nur die Versicherungszeiten des anderen Vertragsstaats angerechnet, sondern es werden auch Versicherungszeiten berücksichtigt, die in einem Drittstaat zurückgelegt wurden, mit dem die Vertragsstaaten ein zweiseitiges Abkommen abgeschlossen haben.

1163

BBl 2018

Art. 15

Einmalige Abfindung

Diese Bestimmung bezweckt die Vereinfachung der administrativen Abläufe. Die Verwaltungskosten und die Kosten für die monatlichen Überweisungen ins Ausland sind bei Renten von geringer Höhe proportional gesehen zu hoch. Deshalb wird die Auszahlung einer ordentlichen Altersrente an serbische und montenegrinische Staatsangehörige im Ausland, die höchstens 10 Prozent der Vollrente ausmacht, durch eine einmalige Abfindung abgegolten; diese entspricht dem Barwert der geschuldeten Rente. Beträgt der Anspruch auf die schweizerische Rente mehr als 10 Prozent, aber höchstens 20 Prozent der ordentlichen Vollrente, so kann die versicherte Person zwischen der Rente und der einmaligen Abfindung wählen. Unter gewissen Voraussetzungen ist die Auszahlung einer einmaligen Abfindung auch bei Renten der Invalidenversicherung möglich.

Art. 16

Ausserordentliche Renten

Diese Bestimmung erleichtert den Zugang zu den ausserordentlichen Renten für Staatsangehörige des anderen Vertragsstaats und ist standardmässig in den von der Schweiz abgeschlossenen Abkommen enthalten. In Abweichung vom Gleichbehandlungsgebot ist für den Anspruch auf ausserordentliche Renten eine Mindestwohndauer von fünf Jahren in der Schweiz erforderlich. Ausserdem erleichtert der mögliche Anspruch auf eine ausserordentliche Rente aufgrund eines Abkommens über soziale Sicherheit den Bezug von Ergänzungsleistungen zur AHV/IV (vgl.

Art. 5 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 20067 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung).

Berufsunfall und Berufskrankheiten (Art. 20­24) Durch die gegenseitige Leistungsaushilfe hat eine in einem Vertragsstaat versicherte Person, die im anderen Vertragsstaat einen Unfall erleidet, dort Anspruch auf die notwendige Heilbehandlung, ohne dass sie selbst für die Kosten aufkommen muss.

Die Leistungen und Tarife richten sich nach der Gesetzgebung dieses Staates; die Versicherung, der die betreffende Person angehört, muss der «aushelfenden» Versicherung die Kosten vergüten (Art. 20). Der Grad der Erwerbsunfähigkeit als Folge von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen, die nacheinander in beiden Staaten eingetreten sind, ist aufgrund beider Ereignisse zu beurteilen (Art. 21). Ausserdem wird die Zuständigkeit für Leistungen bei Berufskrankheiten geregelt, die durch eine Tätigkeit in beiden Vertragsstaaten verursacht oder verschlimmert wurden (Art. 23 und 24).

Kinderzulagen (Art. 25 des Abkommens mit Montenegro) Die Staatsangehörigen der Schweiz und von Montenegro haben unabhängig von Wohnsitz der Kinder Anspruch auf Kinderzulagen im Rahmen der im sachlichen Geltungsbereich (Art. 2 des Abkommens mit Montenegro) aufgeführten Rechtsvorschriften. Schweizerischerseits betrifft diese Regelung nur die Familienzulagen gemäss Bundesgesetz über die Familienzulagen in der Landwirtschaft.

7

SR 831.30

1164

BBl 2018

Durchführungsbestimmungen (Titel IV) Art. 25­36 (Abkommen mit Serbien), Art. 26­37 (Abkommen mit Montenegro) Wie alle anderen bilateralen Sozialversicherungsabkommen der Schweiz mit anderen Staaten enthalten auch die vorliegenden Abkommen einen Abschnitt über Durchführungsbestimmungen mit ähnlichen Vorschriften, wie sie in allen anderen Abkommen zu finden sind. Sie sehen unter anderem den Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung zur Erleichterung der Durchführung der Abkommen vor. Sie bestimmen ferner, dass die Behörden der Vertragsstaaten Dokumente in den Amtssprachen der beiden Staaten gegenseitig anerkennen und einander bei der Durchführung des Abkommens Amtshilfe leisten und wie zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückgefordert werden können. Zudem wird die Überweisung von Geldbeträgen im Zusammenhang mit der Durchführung der Abkommen auch im Falle von Einschränkungen des Devisenverkehrs seitens eines der Vertragsstaaten gewährleistet.

Auch der Datenschutz bei der Übermittlung von Personendaten ist detailliert geregelt. Insbesondere dürfen übermittelte Daten nur für die Zwecke des Abkommens verwendet werden und müssen insbesondere gegen unberechtigten Zugang und Verwendung geschützt werden. Auf die übermittelten Daten finden die Datenschutzbestimmungen des Empfängerstaates Anwendung. Die Regelung von Streitigkeiten hat durch die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten zu erfolgen.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zur Motion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 24. September 2009 (09.3887) erklärt, dass u. a. neue Abkommen mit Montenegro und Serbien nur abgeschlossen werden, sofern die Aufklärung von Betrugsfällen im anderen Staat möglich ist. Beide Abkommen enthalten eine Bestimmung zur Vermeidung von unrechtmässigem Leistungsbezug (Art. 27 im Abkommen mit Serbien und Art. 28 im Abkommen mit Montenegro). Diese bietet bei begründetem Verdacht der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung, der Invalidenversicherung sowie der Unfallversicherung die Möglichkeit, zusätzliche Kontrollen im anderen Staat vornehmen zu lassen. So kann z. B. die schweizerische Invalidenversicherung eine anerkannte Stelle (z. B. Schadenregulierungsfirma, Überwachungsorganisation) im anderen Staat damit beauftragen, zusätzliche Kontrollen (z. B. Kontrollen, Ermittlungen oder Observationen)
durchzuführen.

Die Bestimmung zur Vermeidung von unrechtmässigem Leistungsbezug im Abkommen mit Montenegro ist einseitig und erlaubt es nur den schweizerischen Sozialversicherungen, zusätzliche Kontrollen in Montenegro vorzunehmen oder zu veranlassen. Im Abkommen mit Serbien ist die Bestimmung zweiseitig ausgestaltet.

Untersuchungen zur Vermeidung von Betrug und Missbrauch bei Bezügern von serbischen Renten in der Schweiz werden im Rahmen des bestehenden schweizerischen Betrugsbekämpfungsdispositivs durchgeführt, das heisst gemäss den schweizerischen Rechtsvorschriften.

1165

BBl 2018

Übergangs- und Schlussbestimmungen (Titel V) (Art. 37­40 im Abkommen mit Serbien und Art. 38­41 im Abkommen mit Montenegro) Die Abkommen sind von ihrem Inkrafttreten an anwendbar. Sie gelten auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten eingetreten sind; die entsprechenden Leistungen werden jedoch erst ab dem Inkrafttreten ausgerichtet.

Der Austausch der Ratifikationsurkunden kann erst nach Abschluss des innerstaatlichen Genehmigungsverfahrens in den jeweiligen Vertragsstaaten erfolgen. Die Abkommen treten am ersten Tag des zweiten auf den Austausch der Ratifikationsurkunden folgenden Monats in Kraft.

Die Verträge sind auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, können aber von jedem Vertragsstaat unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahres auf diplomatischem Weg gekündigt werden. Die bereits erworbenen Ansprüche, die Personen in Anwendung dieser Abkommen erworben haben, werden durch die Beendigung nicht tangiert.

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Rund 67 000 Serbinnen und Serben leben in der Schweiz. Die Schweizerkolonie in Serbien umfasst 2200 Schweizerinnen und Schweizer. Rund 2500 Montenegrinerinnen und Montenegriner leben in der Schweiz, während die Schweizer Kolonie in Montenegro 102 Personen umfasst. 185 950 serbische und 6450 montenegrinische Staatsangehörige sind im Schweizer Versichertenregister eingetragen. Für den Bund und die Versicherungen entstehen kaum Mehrkosten, da die vorliegenden Abkommen weitgehend das zurzeit angewendete Abkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien ersetzen und grundsätzlich keine neuen Verpflichtungen für die Schweiz begründen. Einzig die Bestimmung zur gegenseitigen Totalisierung, die neu auch die Anrechnung von serbischen und montenegrinischen Beitragszeiten an die dreijährige Mindestbeitragsdauer für die Begründung eines Anspruchs auf eine schweizerische Invalidenrente vorsieht, kann zu Mehrkosten führen. Diese werden auf weniger als 100 000 Franken pro Jahr veranschlagt.

Für den Bund und für die Schweizerische Ausgleichskasse, die für die Rentenzahlungen ins Ausland zuständig ist, entsteht durch den Abschluss der Abkommen kein zusätzlicher Personalbedarf.

1166

BBl 2018

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für die beiden Sozialversicherungsabkommen ist Artikel 54 der Bundesverfassung8 (BV), der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist und ihn zum Abschluss von Staatsverträgen mit dem Ausland ermächtigt. Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist die Bundesversammlung für die Genehmigung der Abkommen zuständig.

5.2

Form des Erlasses

Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstehen jene Staatsverträge dem fakultativen Referendum, die «wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert». Gemäss Praxis des Parlaments werden aber Sozialversicherungsabkommen (ebenso wie Doppelbesteuerungsabkommen, Freihandelsabkommen, Abkommen zur gegenseitigen Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen), die keine weitergehenden Verpflichtungen schaffen als zahlreiche ähnliche Verträge, die die Schweiz bereits abgeschlossen hat, als sogenannte «Standardabkommen» behandelt und nicht dem Referendum unterstellt. Die von der Schweiz abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen beruhen alle auf derselben Vorlage, die auf internationaler Ebene einheitlich zur Anwendung kommt und vom Parlament mehrfach genehmigt wurde (vgl. z. B. Botschaft vom 4. März 20119 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Japan über soziale Sicherheit, Botschaft vom 12. Februar 201410 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Uruguay über soziale Sicherheit und Botschaft vom 5. November 201411 zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Brasilien über soziale Sicherheit). Sozialversicherungsabkommen enthalten Koordinationsgrundsätze, mit denen vermieden werden soll, dass Angehörige des einen Vertragsstaates benachteiligt werden, wenn sie in den anderen Staat umziehen.

Deren Bestimmungen können nicht als grundlegend eingestuft werden, auch wenn sie rechtsetzende Bestimmungen enthalten. Diese Abkommen richten sich nach der gängigen Verwaltungspraxis der Schweiz und treffen keine Grundsatzentscheide für die innerstaatliche Gesetzgebung.

Die Verpflichtungen der vorliegenden Abkommen bewegen sich im Rahmen von anderen, bereits früher von der Schweiz abgeschlossenen internationalen Abkommen über soziale Sicherheit. Die in jüngster Zeit abgeschlossenen Abkommen sind vergleichbar ausgestaltet und von ähnlicher rechtlicher, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung.

8 9 10 11

SR 101 BBl 2011 2575 BBl 2014 1733 BBl 2014 8833

1167

BBl 2018

Im Auftrag des Bundesrates hat das Bundesamt für Justiz einen Bericht zu dieser Praxis erstellt. Der Bundesrat entschied am 22. Juni 2016 aufgrund dieses Berichts, dass die Tatsache, dass ein internationales Abkommen keine umfangreicheren Verpflichtungen schaffe als bereits von der Schweiz ratifizierte Abkommen ähnlichen Inhalts, bei der Beurteilung, ob ein Abkommen dem fakultativen Referendum zu unterstellen sei, nicht mehr ausschlaggebend ist. Deshalb hat er die Departemente damit beauftragt, bis spätestens Ende 2018 sektorielle Delegationsnormen zu erarbeiten, im Hinblick darauf, internationale Abkommen, die dies erfordern, im eigenen Zuständigkeitsbereich mit einfachem Bundesbeschluss genehmigen zu können.

Im Rahmen der laufenden Revision des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 200012 ist vorgesehen, in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen eine neue Bestimmung einzuführen, wonach die Bundesversammlung über die Kompetenz verfügt, Sozialversicherungsabkommen mit einfachem Bundesbeschluss zu genehmigen. Diese Kompetenzdelegation an die Bundesversammlung würde die Praxis für «Standardabkommen» gewissermassen kodifizieren und die dazu notwendige juristische Grundlage schaffen.

Der Bundesrat beantragt deshalb, den Bundesbeschluss über die Genehmigung der Abkommen zwischen der Schweiz und Serbien sowie zwischen der Schweiz und Montenegro über soziale Sicherheit gemäss der bisherigen Praxis für Standardabkommen nicht dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

12

BBl 2017 1573

1168