zu 10.519 Parlamentarische Initiative Modifizierung von Artikel 53 StGB Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Mai 2018 Stellungnahme des Bundesrates vom 4. Juli 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 3. Mai 2018 1 betreffend die parlamentarische Initiative 10.519 «Modifizierung von Artikel 53 StGB» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

4. Juli 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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2018-1634

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

1.1

Entstehungsgeschichte

Die Wiedergutmachung nach Artikel 53 des Strafgesetzbuchs2 (StGB) bzw. Artikel 45 des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 19273 (MStG) ist eine Möglichkeit der Strafbefreiung. Demnach sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn der Täter den Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen, und wenn überdies die Voraussetzungen für die bedingte Strafe (Art. 42 bzw. 36) erfüllt sind (Bst. a) und das Interesse an der Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung gering sind (Bst. b).

Die parlamentarische Initiative 10.519 «Modifizierung von Artikel 53 StGB» wurde am 14. Dezember 2010 von Nationalrat Daniel Vischer eingereicht. Sie lautet wie folgt: «Artikel 53 des Strafgesetzbuches, Wiedergutmachung, sei dergestalt zu ändern und ergänzen: Art. 53 Bst. a: eine bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe von höchstens einem Jahr in Aussicht steht; Bst. c: der Täter die vorgeworfene Tat gestanden und sich für schuldig erklärt hat.» Wegen publik gewordener Fälle war verlangt worden, dass Artikel 53 StGB aufgehoben wird.4 Der Initiant hielt hingegen fest, dass dieser Artikel nicht aufgehoben, sondern dass der Anwendungsbereich eingeschränkt werden soll, indem die Obergrenze von zwei Jahren auf ein Jahr Freiheitsstrafe gesenkt wird und zudem verlangt wird, dass der Täter die Tat gestanden und sich für schuldig erklärt hat.

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) hat am 11. November 2011 der Initiative Folge gegeben; die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) hat diesem Beschluss am 19. Juni 2012 zugestimmt.

An ihrer Sitzung vom 18. August 2016 entschied die RK-N, einen zwei Varianten umfassenden Vorentwurf zur Änderung des StGB, des Jugendstrafgesetzes vom 20. Juni 20035 (JStG) und des MStG in die Vernehmlassung zu schicken. Den erläuternden Bericht genehmigte sie am 13. Oktober 2016. Die beiden Varianten unter-

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SR 311.0 SR 321.0 Pa. Iv. Joder vom 15. Dez. 2010 (10.522 «Abschaffung der Wiedergutmachung nach Artikel 53 StGB»); keine Folge gegeben am 7. März 2012.

SR 311.1

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scheiden sich hinsichtlich der Obergrenze, bis zu welcher eine Wiedergutmachung möglich sein soll: ­

Variante 1 (Mehrheit der RK-N): Eine Wiedergutmachung sollte nur noch möglich sein, wenn als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Betracht kommt.

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Variante 2 (Minderheit der RK-N): Die Obergrenze für eine Wiedergutmachung sollte noch stärker abgesenkt werden, und zwar auf eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse.

In beiden Varianten wurde vorgeschlagen, dass eine Wiedergutmachung auch für Bussen möglich ist und der Täter den Sachverhalt eingestehen muss. Letztere Voraussetzung soll auch im JStG gelten.

Die Vernehmlassung dauerte vom 20. Oktober 2016 bis zum 3. Februar 2017. Am 26. Januar 2018 nahm die RK-N Kenntnis von den Vernehmlassungsergebnissen6 und verabschiedete einen Erlassentwurf. Dieser entspricht der Variante 1. Den Bericht genehmigte die RK-N anlässlich ihrer Sitzung vom 3. Mai 2018.

Mit Schreiben vom 16. Mai 2018 lud die RK-N den Bundesrat ein, gestützt auf Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20027 (ParlG) bis zum 17. August 2018 zur Vorlage Stellung zu nehmen.

1.2

Vorschlag der Kommission

Die Kommissionsmehrheit will den Anwendungsbereich von Artikel 53 StGB aufgrund bekannt gewordener Fälle enger fassen (Variante 1). Sie schlägt vor, dass eine Wiedergutmachung nur noch möglich sein soll, wenn als Strafe eine bedingte Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse in Betracht kommt. Mit der Aufnahme der Busse in Artikel 53 StGB möchte die Kommissionsmehrheit präzisieren, dass eine Wiedergutmachung auch bei Übertretungen und Unternehmensbussen nach Artikel 102 StGB möglich sein soll. Weiter möchte sie die Anwendung von Artikel 53 StGB von einer neuen Voraussetzung abhängig machen, und zwar soll der Täter den Sachverhalt eingestehen.

Alle genannten Neuerungen sollen in gleicher Weise auch in das MStG aufgenommen werden. In das JStG soll hingegen nur die neue Voraussetzung, wonach der Täter den Sachverhalt eingestanden hat, Eingang finden.

Eine erste Kommissionsminderheit will den Anwendungsbereich noch weiter einschränken und die Obergrenze auf eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse herabsetzen (Variante 2). Damit soll dem Anschein des Freikaufs noch mehr entgegengewirkt werden. Mit den übrigen Vorschlägen der Kommissionsmehrheit (Bussen, Geständnis) ist diese Minderheit hingegen einverstanden.

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7

Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens, abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2016 > PK.

SR 171.10

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Eine zweite Kommissionsminderheit will auf die Vorlage nicht eintreten. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass gemäss den strafprozessualen Grundsätzen der Staat die Schuldhaftigkeit der beschuldigten Person beweisen muss. Eine Bestimmung, die gleichsam einen Rollenwechsel vorsieht und sich darauf abstützt, dass die beschuldigte Person ihre Schuld einzugestehen hat, sei systemwidrig und entsprechend nicht sinnvoll revidierbar.

2

Stellungnahme des Bundesrates

Tiefere Obergrenze Der Bundesrat begrüsst die vorgeschlagene Neuregelung. Die Reduktion der Obergrenze von zwei Jahren auf ein Jahr Freiheitsstrafe entspricht dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates: Bereits die Botschaft vom 21. September 1998 8 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs (Allgemeine Bestimmungen, Einführung und Anwendung des Gesetzes) und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht sah eine Obergrenze von einem Jahr Freiheitsstrafe vor.9 Das Parlament knüpfte aber die Wiedergutmachung an die Voraussetzungen der bedingten Strafausfällung nach Artikel 42 StGB. Danach beträgt die Obergrenze für den bedingten Vollzug zwei Jahre Freiheitsstrafe. Mit der Halbierung der Obergrenze soll die Wiedergutmachung nur noch im Bereich der leichteren Kriminalität möglich sein.

Die Reduktion der Obergrenze wird nur geringe praktische Bedeutung haben, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Anforderungen an die Wiedergutmachungsbemühungen des Täters mit der Höhe der zu erwartenden Strafe steigen. 10 Aus diesem Grund wird bei bedingten Freiheitsstrafen zwischen einem und zwei Jahren das Interesse der Öffentlichkeit an der Strafverfolgung in der Regel überwiegen und nur in Ausnahmefällen eine Wiedergutmachung möglich sein.

Eine Minderheit der RK-N will die Obergrenze auf eine bedingte Geldstrafe oder eine Busse beschränken. Das heisst, die Obergrenze würde um 75 Prozent gesenkt.

Es ist aber zu beachten, dass im Bereich der Bagatellfälle, bei denen Schuld und Tatfolgen geringfügig sind, bereits der Strafbefreiungsgrund von Artikel 52 StGB (fehlendes Strafbedürfnis) existiert. Bei diesem Minderheitsantrag nähern sich daher die Anwendungsbereiche der Artikel 52 und 53 StGB immer mehr an.

Wiedergutmachung für Übertretungen (Bussen) In der Vergangenheit ist es in der Praxis bereits zu Einstellungen wegen Wiedergutmachung für Übertretungen gekommen; dies auch, weil in der Literatur teilweise die Meinung vertreten wird, dass der Gesetzgeber die Übertretungsstraftäter nicht

8 9

10

BBl 1999 II 1979, hier 2065 ff.

Konkret stellte der Bundesrat auf die Voraussetzungen des Aussetzens der Strafe ab, was nebst einer günstigen Prognose eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder eine Geldstrafe erforderte.

BGE 135 IV 12 E. 3.4.3

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habe von der Wiedergutmachung ausschliessen wollen.11 Eine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt es noch nicht, und aufgrund der besonderen Umstände könnte es noch lange dauern, bis sich das Bundesgericht zu dieser Frage äussern kann. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist es daher zu begrüssen, wenn durch die explizite Erwähnung der Busse Klarheit geschaffen wird.

Die in der Vernehmlassung teilweise geäusserte Befürchtung, dass nun auch für Massendelikte, wie beispielsweise Strassenverkehrsdelikte, eine Wiedergutmachung möglich wird, ist unbegründet, denn eine Strafbefreiung kann auch aus generalpräventiven Gründen unerwünscht sein. So ist bei der Beurteilung der öffentlichen Strafverfolgungsinteressen unter anderem die Tätergleichbehandlung zu beachten und nach dem geschützten Rechtsgut zu unterscheiden. Daraus wird eine rechtsgutspezifische Wiedergutmachung abgeleitet. Bei Delikten gegen die Allgemeinheit ist daher nur bei besonderen Fallgruppen eine Wiedergutmachung denkbar. 12 Geständnis Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann aus der Sicht der positiven Generalprävention das Vertrauen der Allgemeinheit in das Recht gestärkt werden, wenn festgestellt wird, dass der Täter die Normverletzung anerkennt und sich bemüht, den Rechtsfrieden wiederherzustellen.13 In Abweichung davon verlangt der Entwurf, dass der Täter den Sachverhalt eingestehen muss. Diese Anforderung ist nach Auffassung des Bundesrates angezeigt, da zum einen ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich die Übernahme von Verantwortung erfordert und eine solche ohne Anerkennung des Sachverhaltes nicht denkbar ist. Zum andern darf nicht vergessen werden, dass als Rechtsfolge einer Wiedergutmachung auf eine an sich verwirkte Strafe verzichtet wird. Artikel 53 StGB ist nämlich Ausdruck des ausnahmsweise geltenden verfahrensrechtlichen Opportunitätsprinzips (Art. 8 der Strafprozessordnung, StPO14). Grundlage eines Verzichts auf die Anklageerhebung bzw. Überweisung an das Gericht ist aber nicht eine Schuldfeststellung, sondern ein hinreichend geklärter belastender Sachverhalt. Im Vorverfahren bedeutet dies, dass lediglich eine hypothetische Schuldbeurteilung zulässig ist, weil eine Weiterführung des Verfahrens unter Umständen nicht zu einer Verurteilung führen würde. Das Geständnis ist wesentlicher Bestandteil dieser hypothetischen
Schuldbeurteilung. Nicht mehr notwendig wird sein, dass der Täter eine Normverletzung anerkennen muss, wozu er als juristischer Laie oftmals kaum in der Lage ist.

11 12

13 14

Vgl. zum Ganzen Franz Riklin, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Auflage, Basel 2013, Art. 53 N 19 und 26 m. w. N.

Vgl. zum Ganzen Felix Bommer, Bemerkungen zur Wiedergutmachung, forumpoenale 2008, S. 174; Rainer Angst/Hans Maurer, «Das Interesse der Öffentlichkeit» gemäss Art. 53 Bst. b StGB ­ Versuch einer Konkretisierung, forumpoenale 2008, S. 374 f.; Franz Riklin, a.a.O., Art. 53 N 29; BGE 135 IV 12 E. 3.4.3.

BGE 135 IV 12 E. 3.5.3; 136 IV 41 E. 1.2.1; 137 I 16 E. 2.3 SR 312.0

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Abschliessende Einschätzung Zusammenfassend hält der Bundesrat fest, dass die Revisionsvorlage der Kommissionsmehrheit mehr Klarheit schafft und die Voraussetzungen einer Wiedergutmachung massvoll erhöht. Im Wesentlichen hat die RK-N dabei die geltende Praxis und Rechtsprechung berücksichtigt und diese explizit ins Gesetz aufgenommen.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Eintreten auf die Vorlage und Zustimmung zum Antrag der Kommissionsmehrheit.

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