zu 17.497 Parlamentarische Initiative Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung.

Verlängerung des Impulsprogramms des Bundes Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 12. April 2018 Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Mai 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 12. April 2018 über die Verlängerung des Impulsprogramms für familienergänzende Kinderbetreuung nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

16. Mai 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-0962

3361

BBl 2018

Stellungnahme 1

Ausgangslage

Mit dem Bundesgesetz vom 4. Oktober 20021 über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (Impulsprogramm) wird die Schaffung von neuen Betreuungsplätzen für Kinder gefördert, damit die Eltern Familie und Arbeit oder Ausbildung besser vereinbaren können. Das Gesetz ist seit dem 1. Februar 2003 in Kraft.

Die ursprünglich auf acht Jahre befristete Geltungsdauer wurde 2010 und 2014 verlängert und endet am 31. Januar 2019.

Am 9. November 2017 beschloss die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) mit 12 gegen 10 Stimmen, eine parlamentarische Initiative (17.497 «Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung. Verlängerung des Impulsprogramms des Bundes») mit folgendem Wortlaut einzureichen: «Das Bundesgesetz über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung wird über den 31. Januar 2019 hinaus um vier zusätzliche Jahre verlängert. Ziel ist es, die Schaffung von Betreuungsplätzen für Kinder zu fördern und den Eltern so zu ermöglichen, Familie und Beruf oder Ausbildung besser miteinander zu vereinbaren.» Die Schwesterkommission des Ständerates (WBK-S) hat der Ausarbeitung der Initiative am 19. Januar 2018 mit 7 gegen 6 Stimmen zugestimmt.

Die WBK-N hat den Gesetzesentwurf in der Gesamtabstimmung mit 13 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung sowie den Entwurf des Bundesbeschlusses mit 13 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung, die beide Gegenstand des Kommissionsberichts sind, gutgeheissen. Eine Kommissionsminderheit (Pieren, Bigler, Dettling, Grin, Herzog, Keller Peter, Müri, Rösti, Tuena, Wasserfallen) beantragt, weder auf den Gesetzesentwurf noch auf den Entwurf des Bundesbeschlusses einzutreten. Die WBK-N hat den Bericht zur Initiative am 12. April 2018 verabschiedet.

Die WBK-N hat auf die Durchführung einer Vernehmlassung verzichtet. Sie verweist darauf, dass keine materiellen Änderungen erfolgen und dass bereits für die erste Verlängerung im Jahre 2009 eine Vernehmlassung durchgeführt worden sei.

2

Bilanz und Evaluation des Impulsprogramms

Die Bilanz des Impulsprogramms ist sehr positiv. In fünfzehn Jahren 2 wurde mit den Finanzhilfen des Bundes die Schaffung von 57 383 neuen Betreuungsplätzen unterstützt, davon 33 103 in Kindertagesstätten und 24 280 in Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung.

1 2

SR 861 Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung: Bilanz nach fünfzehn Jahren (Stand 1. Febr. 2018), verfügbar unter www.bsv.admin.ch > Finanzhilfen > Familienergänzende Kinderbetreuung.

3362

BBl 2018

Da sich die zur Verfügung stehenden Mittel als ungenügend erwiesen, um sämtliche Gesuche zu finanzieren, musste das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) zweimal eine Prioritätenordnung erlassen: ein erstes Mal im Rahmen der ersten Verlängerung der Geltungsdauer des Gesetzes vom 1. Februar 2011 bis zum 31. Januar 2015 und ein zweites Mal im Rahmen der aktuellen Verlängerung des Programms vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2019. Die Prioritätenordnung bezweckt eine möglichst ausgewogene regionale Verteilung der Finanzhilfen. Zur Finanzierung der Gesuche, die zwischen dem 1. Februar 2017 und dem 31. Januar 2019 eingereicht werden, d. h. bis zum Auslaufen der zweiten Verlängerung des Impulsprogramms, werden laut Schätzungen gegen 10 Millionen Franken fehlen.

Wie der Bericht der Kommission zeigt, handelt es sich beim Impulsprogramm des Bundes um eine wirksame und nachhaltige Massnahme. Die 2017 durchgeführte Evaluation des Programms bestätigt, dass sich die Finanzhilfen ausgesprochen nachhaltig auswirken. 96 Prozent der Kindertagesstätten und 94 Prozent der Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung sind auch nach dem Ende der finanziellen Unterstützung noch in Betrieb. Die grosse Mehrheit der Einrichtungen konnte den Umfang und die Qualität des Angebots konstant halten oder sogar noch erhöhen.3 Mit dem Ziel, eine nationale Statistik zum Angebot der familienergänzenden Kinderbetreuung aufzubauen, hat das Bundesamt für Statistik 2015/16 eine Piloterhebung4 in sechs Kantonen durchgeführt. Diese hat gezeigt, dass die derzeit verfügbaren Daten zu unterschiedlich und lückenhaft sind, um die Konsolidierung einer nationalen Statistik in Betracht zu ziehen. Um dennoch beurteilen zu können, ob inzwischen ein ausreichendes Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung in der Schweiz geschaffen werden konnte, hat das Bundesamt für Sozialversicherungen 2017 eine Evaluation in Auftrag gegeben. Deren Resultate zeigen, dass das bestehende Angebot die aktuelle Nachfrage nach wie vor nicht zu decken vermag. 5 Im Rahmen dieser Evaluationsstudie wurden Eltern aus 30 Gemeinden verteilt über die ganze Schweiz befragt. Die Resultate zeigen klar, dass immer noch eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage besteht: Rund 20 Prozent der Kinder im Vorschulalter und 18 Prozent der Kinder im Schulalter können
nicht im von den Eltern gewünschten Umfang betreut werden. Der ungedeckte Bedarf an Betreuungsplätzen ist in den grösseren Städten und Agglomerationen der Deutschschweiz besonders hoch.

Die Eltern nennen in der erwähnten Elternbefragung v. a. folgende Lücken oder Mängel im Angebot ihrer Wohngemeinde: fehlende oder ungenügende Auswahl an 3

4

5

Evaluation «Anstossfinanzierung». Nachhaltigkeit der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung. Ecoplan, in: Beiträge zur Sozialen Sicherheit, Forschungsbericht Nr. 13/17, Bern, verfügbar unter www.bsv.admin.ch > Finanzhilfen > Familienergänzende Kinderbetreuung > Publikationen > Evaluationen.

Bundesamt für Statistik BFS (2017), Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2017.

Neuenburg: Bundesamt für Statistik, S. 50, verfügbar unter www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Kataloge und Datenbanken > Publikationen.

Evaluation «Anstossfinanzierung». Entspricht das bestehende Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung der Nachfrage? Interface Politikstudien Forschung Beratung und Universität St. Gallen, Beiträge zur Sozialen Sicherheit Nr. 14/17, Bern, verfügbar unter www.bsv.admin.ch > Finanzhilfen > Familienergänzende Kinderbetreuung > Publikationen > Evaluationen.

3363

BBl 2018

Betreuungsangeboten, zu hohe Preise für die Betreuung, fehlende Betreuung während der Ferienzeit (Schulferien) und ungenügende Öffnungszeiten der Angebote.

3

Stellungnahme des Bundesrates

3.1

Politische Einordnung

In seinem Bericht vom 20. Mai 2015 in Erfüllung des Postulats 13.3135 «Familienpolitik»6 von Nationalrat Manuel Tornare hat der Bundesrat seine familienpolitische Strategie festgelegt. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit wird dort als zentrales Ziel der Familienpolitik auf Bundesebene definiert. Im Rahmen der Fachkräfteinitiative (FKI)7, in der der Bund mit den Kantonen und Sozialpartnern zusammenarbeitet, ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ebenfalls ein prioritäres Handlungsfeld. In seinem Familienbericht 20178 schliesslich hat der Bundesrat bekräftigt, dass er der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Priorität einräumt.

Die zunehmende Erwerbsquote von Eltern und namentlich von Müttern9 erfordert Rahmenbedingungen, die den Familien die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Familienergänzende Kinderbetreuung ist eine zentrale Massnahme im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie erlaubt es den Eltern, einer Erwerbsarbeit nachzugehen im Wissen, dass ihre Kinder in geeigneten Einrichtungen betreut werden. Sie trägt damit auch zur Gleichstellung von Frau und Mann bei.

Investitionen in die familienergänzende Kinderbetreuung lohnen sich. Sie wirken sich positiv auf die Erwerbsbeteiligung der Eltern aus, insbesondere der Mütter. Die betreffenden Eltern haben ein höheres Arbeitseinkommen, generieren gleichzeitig höhere Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge und beziehen weniger Sozialhilfe und andere einkommensabhängige Unterstützungsleistungen.

Die familienergänzende Kinderbetreuung hilft den Eltern, Familie und Erwerbstätigkeit langfristig während der Vorschul- und der Schulzeit der Kinder zu vereinbaren; dies im Unterschied zu anderen Massnahmen, deren Wirkung zeitlich stärker befristet ist, wie beispielsweise der Vaterschaftsurlaub. Aus diesem Grund äusserte sich der Bundesrat an seiner Sitzung vom 18. Oktober 2017 zur Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub ­ zum Nutzen der ganzen Familie» dahin gehend, dass in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Ausbau eines bedarfsgerechten familienergänzenden Kinderbetreuungsangebots Priorität hat.

6

7 8

9

Bericht des Bundesrates vom 20. Mai 2015, Familienpolitik. Auslegeordnung und Handlungsoptionen des Bundes. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Tornare (13.3135) «Familienpolitik» vom 20. März 2013, verfügbar unter www.parlament.ch > 13.3135 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

Siehe unter www.fachkraefte-schweiz.ch/de/initiative Familienbericht 2017, Bericht des Bundesrates in Erfüllung der Postulate 12.3144 MeierSchatz vom 14. März 2012 und 01.3733 Fehr vom 12. Dez. 2001, verfügbar unter www.parlament.ch > 12.3144 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses.

Bundesamt für Statistik BFS (2017), Familien in der Schweiz. Statistischer Bericht 2017.

Neuenburg: Bundesamt für Statistik, S. 33 ff., verfügbar unter www.bfs.admin.ch > Statistiken finden > Kataloge und Datenbanken > Publikationen.

3364

BBl 2018

Die von der Kommission vorgeschlagene Verlängerung des Impulsprogramms geht in diese Richtung.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass sich heutzutage ein zweites Einkommen für Familien mit Kindern nicht in jedem Fall finanziell lohnt. Kinderdrittbetreuungskosten in Kombination mit den Nachteilen der Steuerprogression für ein Doppelverdienerpaar können negative Erwerbsanreize schaffen: Zahlreiche Mütter verzichten auf eine Erwerbstätigkeit ausserhalb des Haushalts oder sind nur mit einem geringen Beschäftigungsgrad erwerbstätig. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat Massnahmen zur Senkung der Kinderdrittbetreuungskosten der Eltern und zur Anpassung des Betreuungsangebots an die Bedürfnisse der Eltern vorgeschlagen. Mit den Massnahmen soll dem Fachkräftemangel in der Schweiz begegnet und ein besseres Gleichgewicht zwischen Beruf und Familie hergestellt werden. Es handelt sich um folgende Massnahmen: ­

Einerseits verabschiedete das Parlament am 16. Juni 2017 neue Finanzhilfen für die familienergänzende Kinderbetreuung, die am 1. Juli 2018 in Kraft treten werden.10 Diese neuen Finanzhilfen sollen die Kantone und Gemeinden veranlassen, ihre Subventionen zu erhöhen, um damit die Drittbetreuungskosten der Eltern zu senken. Zudem sollen Projekte zur besseren Abstimmung des familienergänzenden Betreuungsangebots auf die Bedürfnisse der Eltern unterstützt werden.

­

Andererseits beantragt der Bundesrat dem Parlament Reformen in der Familienbesteuerung. Zum einen will er «die Heiratsstrafe» bei der direkten Bundessteuer eliminieren, wodurch insbesondere die Zweiteinkommen entlastet werden sollen. Zum anderen will er bei der direkten Bundessteuer die Abzugsmöglichkeit für Kinderdrittbetreuungskosten von heute 10 100 auf neu 25 000 Franken erhöhen, um die Steuerbelastung von Familien zu senken.

Die neuen Finanzhilfen für die familienergänzende Kinderbetreuung und die Steuervorlagen sollen das Impulsprogramm nicht ersetzen, sondern die finanzielle Belastung der Eltern durch Kinderdrittbetreuungskosten senken. Beide Massnahmen verfolgen unterschiedliche Ziele und richten sich an unterschiedliche Zielgruppen.

3.2

Würdigung des Entwurfs der Kommission

Für den Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung sind hauptsächlich die Kantone und die Gemeinden zuständig. Die Rolle des Bundes ist subsidiär und muss es bleiben. In Übereinstimmung mit Artikel 116 der Bundesverfassung11 möchte der Bundesrat jedoch, dass der Bund Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt. Vor diesem Hintergrund und im Rahmen seiner Kompetenzen hat der Bund 2003 das Impulsprogramm in Kraft gesetzt, mit dem die Schaffung neuer Betreuungsplätze für Kinder im Vorschul- und im Schulalter gefördert wird.

10 11

Siehe unter www.bsv.admin.ch > Finanzhilfen > Familienergänzende Kinderbetreuung SR 101

3365

BBl 2018

Nach Auffassung des Bundesrates zeigt die Bilanz des Impulsprogramms (vgl.

Ziff. 2) eindeutig, dass das Programm ein grosser Erfolg ist und unbestreitbar einem Bedürfnis entspricht. Es ermöglichte die Schaffung zahlreicher Betreuungsplätze, die auch nach dem Ende der Finanzhilfen Bestand haben.

2014, als die zweite Verlängerung des Impulsprogramms im Rahmen der pa. Iv.

Quadranti 13.451 «Weiterführung und Weiterentwicklung der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung» im Parlament beraten wurde, war der Bundesrat der Ansicht, dass eine Verlängerung um vier Jahre angebracht sei. 12 Er wies damals ausdrücklich darauf hin, dass eine erneute Evaluation des Impulsprogramms durchzuführen sei und dass diese Evaluation gezielt die Frage zu untersuchen habe, inwieweit mit den neu errichteten Betreuungsplätzen ein bedarfsgerechtes Angebot geschaffen werden konnte.

Diese Evaluation liegt mittlerweile vor, und ihre Ergebnisse zeigen, dass noch immer Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage von familienergänzenden Betreuungsplätzen bestehen. Grundsätzlich bleibt aber die Kompetenz bei den Kantonen und Gemeinden. Der Bundesrat hatte sich schon in seiner Stellungnahme von 2014 in diesem Sinn geäussert und die Kantone und Gemeinden aufgefordert, ihren Handlungsspielraum dahingehend auszuschöpfen, dass innerhalb der nächsten vier Jahre das Ziel des Programms, schweizweit ein bedarfsgerechtes Angebot aufzubauen, nun endlich erreicht wird. Das Anliegen der Kommission, das Impulsprogramm zu verlängern, zeigt leider, dass die Kantone und Gemeinden ihre Kompetenz immer noch nicht genügend ausgeschöpft haben. Deshalb fordert der Bundesrat diese auf, nun eigenständig für den Aufbau eines bedarfsgerechten Angebots und für einheitliche statistische Grundlagen zu sorgen.

Der Bundesrat lehnt daher den Antrag der Kommission ab, das Programm um weitere vier Jahre zu verlängern.

4

Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt, nicht auf die Vorlage einzutreten und den Gesetzesentwurf und den Entwurf des Bundesbeschlusses abzulehnen.

12

Stellungnahme des Bundesrates vom 3. Sept. 2014, BBl 2014 6643.

3366