18.071 Botschaft zur Genehmigung und zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität vom 14. September 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2015

M

14.4187

Umgehende Ratifizierung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus (N 20.3.15, Glanzmann-Hunkeler; S 24.9.15)

2015

M

15.3008

Artikel 260ter des Strafgesetzbuches. Änderung (S 10.9.15, Kommission für Rechtsfragen SR; N 10.12.15).

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

14. September 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2018-0978

6427

Übersicht Terrorismus stellt einen Angriff auf die pluralistische Gesellschaft dar und bedroht die Freiheit, die Sicherheit und die grundlegenden Rechte jeder einzelnen Person. Nationalistisch, religiös oder politisch motivierter Terrorismus hinterlässt jedes Jahr Tausende von getöteten, verletzten und traumatisierten Opfern rund um den Globus. Es liegt im Interesse jedes Staates, sein gesetzliches Instrumentarium gegen Terrorismus regelmässig zu überprüfen und auf eine veränderte Bedrohungslage entsprechend zu reagieren. Mit dieser Vorlage passt die Schweiz ihre Gesetzgebung im Bereich der strafrechtlichen Terrorismusbekämpfung den aktuellen Erfordernissen an und baut ihre Fähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit mit anderen Staaten weiter aus.

Ausgangslage Die Anschläge in den USA vom 11. September 2001 und die seither in zahlreichen Ländern verübten Terrorakte haben die Staatengemeinschaft in ihrer Überzeugung bestärkt, dass die erfolgreiche Prävention und Bekämpfung des Terrorismus nur mit Hilfe gemeinsamer Anstrengungen und wirkungsvoller zwischenstaatlicher Zusammenarbeit erfolgen kann.

Auch Europa blieb in den vergangenen Jahren von terroristischen Akten und ihren Folgen nicht verschont. Schwere Anschläge ereigneten sich insbesondere in Belgien, Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Norwegen, Russland, Spanien und der Türkei. Vor diesem Hintergrund erfolgte im Rahmen des Europarats die Ausarbeitung des Übereinkommens vom 16. Mai 2005 zur Verhütung des Terrorismus sowie des dazugehörigen Zusatzprotokolls vom 22. Oktober 2015. Kernpunkte des Übereinkommens bilden die Pflicht der Vertragsstaaten zur Kriminalisierung der öffentlichen Aufforderung zu Terrorismus sowie der Rekrutierung und Ausbildung von Terroristen. Das Zusatzprotokoll ergänzt einerseits den Inhalt des Übereinkommens und übernimmt andererseits die aus der Resolution 2178 vom 24. September 2014 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen herrührenden Verpflichtungen, indem das Reisen für terroristische Zwecke sowie entsprechende Finanzierungs- und Unterstützungshandlungen unter Strafe gestellt werden.

Die Schweiz hat das Übereinkommen am 11. September 2012 und das Zusatzprotokoll am 22. Oktober 2015 unterzeichnet. Das geltende schweizerische Recht vermag den durch die beiden Abkommen aufgestellten Verpflichtungen
bezüglich Strafbarkeit, Prävention und internationaler Kooperation bereits heute weitgehend zu genügen. Das geltende Strafrecht verfügt jedoch kaum über Tatbestände, die den Kernbereich der Abkommen explizit regeln. Es deckt deren Inhalt durch andere Strafbestimmungen (Delikte gegen Leib und Leben, Delikte gegen den öffentlichen Frieden, Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen) teilweise ab. Entsprechend sieht diese Vorlage die Einführung einer neuen Strafbestimmung vor, die das Vorfeld einer geplanten terroristischen Handlung zusätzlich abdeckt, indem sie die Anwer-

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bung und Ausbildung sowie das Reisen für terroristische Zwecke und entsprechende Finanzierungshandlungen unter Strafe stellt.

Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und gegen terroristische Organisationen stellt die zuständigen schweizerischen Behörden heute vor besondere Herausforderungen, die über die aus der Umsetzung des Übereinkommens mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll entstehenden Verpflichtungen hinausgehen. Komplexe Strukturen, kombiniert mit einer breiten Vernetzung und einer beachtlichen Durchsetzungsmacht der Organisation gegen innen und aussen, machen das ausserordentliche Gefährdungspotenzial von kriminellen und terroristischen Organisationen aus.

Inhalt der Vorlage In Umsetzung der Motion 15.3008 der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates schlägt der Bundesrat daher eine Revision der Strafnorm gegen kriminelle Organisationen vor. Er berücksichtigt dabei unter anderem die Kritik von Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Bundesanwaltschaft, an der geltenden Strafbestimmung. Neben der Anpassung einzelner gesetzlicher Kriterien für das Vorliegen einer kriminellen oder terroristischen Organisation, die eine massvolle Ausweitung der Strafbarkeit zu Folge hat, wird insbesondere auch eine Erhöhung der Strafandrohung vorgeschlagen. Dies gilt einerseits für Personen, die innerhalb einer kriminellen oder terroristischen Organisation einen bestimmenden Einfluss ausüben, sowie andererseits für alle Personen, die eine terroristische Organisation unterstützen oder sich an einer solchen beteiligen. Dem Prinzip der Verhältnismässigkeit und dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot werden dabei nach wie vor die gebotene Beachtung geschenkt.

Darüber hinaus werden Anpassungen des Organisationsverbots nach Artikel 74 des Nachrichtendienstgesetzes vorgeschlagen. Im Vordergrund stehen dabei die Einführung der Bundeszuständigkeit für die Strafverfolgung und die gerichtliche Beurteilung sowie die Anpassung der Strafandrohung, die mit dem geltenden Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen in Einklang gebracht werden, welches später durch diese Vorlage abgelöst werden soll.

Weiter ist im Rahmen der Vorlage vorgesehen, das Bundesgesetz über die Rechtshilfe in Strafsachen den neuen Herausforderungen an die internationale
Zusammenarbeit anzupassen und neue Bestimmungen ins Gesetz aufzunehmen: Zum einen soll die vorzeitige Übermittlung von Informationen und Beweismitteln gesetzlich verankert werden, wobei die notwendigen Grundvoraussetzungen gemäss Rechtshilfegesetz gewahrt werden. Zum anderen soll auch die Einsetzung von gemeinsamen Ermittlungsgruppen im Gesetz geregelt werden. In seiner jüngsten Rechtsprechung weist das Bundesgericht auf die Notwendigkeit der Schaffung einer Rechtsgrundlage hin, um solche zeitgemässen Rechtshilfemassnahmen zuzulassen.

Angesichts der internationalen Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes ist insbesondere im Kampf gegen die Terrorismusfinanzierung eine Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit zwischen den Meldestellen für Verdachtsmeldungen (Financial Intelligence Unit, FIU) erforderlich. In diesem Sinne sieht der vorliegende Gesetzesentwurf eine Erweiterung der Kompetenzen der Meldestelle für Geldwä-

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scherei vor. In Zukunft soll diese die Möglichkeit haben, sich nicht nur auf Basis einer Verdachtsmeldung an die Finanzintermediäre wenden zu können, sondern auch wenn Informationen ausländischer Partnerstellen vorliegen.

Die Neuerungen sind für die verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus von besonderer Bedeutung. Mit mehreren der vorgeschlagenen Massnahmen kann auch der Kritik begegnet werden, die von der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei (Groupe d'Action Financière, GAFI) im Rahmen ihrer 2016 durchgeführten Prüfung des Schweizer Systems zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung geäussert wurden.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht 1

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Grundzüge des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus und des dazugehörigen Zusatzprotokolls 1.1 Ausgangslage und Entstehung des Übereinkommens 1.2 Überblick über den Inhalt des Übereinkommens 1.3 Entstehung des Zusatzprotokolls 1.4 Überblick über den Inhalt des Zusatzprotokolls 1.5 Würdigung des Übereinkommens und des Zusatzprotokolls 1.6 Weitere internationale Standards

6434 6434 6434 6435 6436 6436 6437

Die Bestimmungen des Übereinkommens sowie des dazugehörigen Zusatzprotokolls und ihr Verhältnis zum schweizerischen Recht 2.1 Die Bestimmungen des Übereinkommens 2.2 Die Bestimmungen des Zusatzprotokolls

6438 6438 6461

3

Das Vernehmlassungsverfahren

6467

4

Die neuen Bestimmungen im schweizerischen Recht 4.1 Artikel 260ter E-Strafgesetzbuch: Kriminelle und terroristische Organisationen 4.1.1 Ausgangslage 4.1.2 Erläuterungen zur revidierten Strafbestimmung 4.1.2.1 Allgemeines 4.1.2.2 Kriterien der Geheimhaltung sowie der Unterstützung der verbrecherischen Tätigkeit 4.1.2.3 Strafandrohung der Regelung gegen kriminelle Organisationen 4.1.2.4 Strafbarkeit der blossen Zugehörigkeit?

4.1.2.5 Einführung zusätzlicher gesetzlicher Merkmale?

4.1.2.6 Ausdrückliche gesetzliche Regelung der terroristischen Organisation 4.1.2.7 Beibehaltung der Zuständigkeitsregeln 4.1.2.8 Gesetzlich statuierte Straflosigkeit der Tätigkeit von humanitären Organisationen?

4.1.2.9 Konkurrenz zwischen Art. 260ter E-StGB und den Grundtatbeständen 4.2 Artikel 260sexies E-Strafgesetzbuch: Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat 4.2.1 Ausgangslage 4.2.2 Erläuterungen zur neuen Strafbestimmung 4.3 Anpassung von Artikel 74 NDG: Organisationsverbot 4.3.1 Ausgangslage 4.3.2 Erläuterungen zum revidierten Organisationsverbot

6468

2

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4.4

4.5

4.6

Rechtshilfegesetz: Anpassungen im Bereich der dynamischen Strafrechtshilfe 4.4.1 Ziele der gesetzgeberischen Anpassungen 4.4.2 Artikel 80d bis E-IRSG: Vorzeitige Übermittlung von Informationen und Beweismitteln 4.4.2.1 Ausgangslage 4.4.2.2 Erläuterungen zur neuen Bestimmung 4.4.3 Artikel 80d ter­80d duodecies E-IRSG: Gemeinsame Ermittlungsgruppen 4.4.3.1 Ausgangslage 4.4.3.2 Erläuterungen zu den neuen Bestimmungen Geldwäschereigesetz: Geänderte Kompetenzen der Meldestelle für Geldwäscherei 4.5.1 Stärkere Kompetenzen der MROS 4.5.1.1 Bewertung der Kompetenzen der MROS durch die GAFI 4.5.1.2 Grundsätze der Egmont-Gruppe 4.5.1.3 Rechtsvergleich 4.5.1.4 Ergänzung von Artikel 11a GWG durch einen neuen Absatz 2bis 4.5.1.5 Erläuterungen zu Artikel 11a Absatz 2bis GWG 4.5.2 Meldepflicht der Händlerinnen und Händler bei Verdacht auf Terrorismusfinanzierung 4.5.2.1 Ergänzung zu den Änderungen des GwG betreffend die Händlerinnen und Händler 4.5.2.2 Erläuterung der neuen Bestimmungen Weitere geprüfte Fragen und gesetzliche Anpassungen 4.6.1 Strafrechtliche Konkurrenzen 4.6.2 Artikel 260quinquies StGB: Finanzierung des Terrorismus 4.6.3 Prüfung der Einführung einer spezifischen TerrorismusStrafnorm 4.6.4 Prüfung der Einführung einer Strafnorm gegen die Rechtfertigung oder Verherrlichung von Terrorismus 4.6.5 Weitere gesetzliche Anpassungen 4.6.6 Ablösung des befristeten Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen

6491 6491 6493 6493 6494 6497 6497 6498 6502 6502 6503 6504 6505 6507 6507 6510 6510 6510 6511 6511 6512 6513 6515 6517 6518

5

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

6519

6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund und die Kantone 6.2 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 6.3 Auswirkungen auf die Informatik

6519 6519 6522 6522

7

Verhältnis zur Legislaturplanung

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8

Rechtliche Aspekte 8.1 Verfassungsmässigkeit 8.2 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 8.3 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

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Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität (Entwurf)

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Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus

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Zusatzprotokoll zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus

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Botschaft 1

Grundzüge des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus und des dazugehörigen Zusatzprotokolls

1.1

Ausgangslage und Entstehung des Übereinkommens

Das Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 zur Verhütung des Terrorismus (Übereinkommen) hat zum Ziel, das bestehende Instrumentarium im internationalen Kampf gegen den Terrorismus zu ergänzen. Kernpunkte des Übereinkommens bilden die Pflicht der Vertragsstaaten zur Kriminalisierung der öffentlichen Aufforderung zu Terrorismus sowie der Rekrutierung und Ausbildung von Terroristen und Terroristinnen. Die Staaten wahren dabei, gemäss den Grundsätzen des Europarats, menschenrechtliche, demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien.

Im Jahre 2003 wurde, auf Beschluss des Ministerkomitees des Europarats, eine Expertengruppe zur Terrorismusbekämpfung1 eingerichtet, die im Februar 2005 den Entwurf für ein entsprechendes Übereinkommen vorlegte. Für die Arbeiten bedeutsam waren insbesondere die Empfehlung 1550 (2002)2 der parlamentarischen Versammlung des Europarats über die Bekämpfung des Terrorismus und die Achtung der Menschenrechte sowie die entsprechenden Leitlinien vom 11. Juli 2002 des Ministerkomitees. Das Übereinkommen wurde am 16. Mai 2005 zur Unterzeichnung aufgelegt und ist am 1. Juni 2007 in Kraft getreten.

Die Schweiz hat an der Ausarbeitung des Übereinkommens mitgewirkt und dieses am 11. September 2012 unterzeichnet. Es wurde bis Juni 2018 von 39 Ländern des Europarats ratifiziert.

1.2

Überblick über den Inhalt des Übereinkommens

Das Übereinkommen fügt sich ein in die Reihe internationaler Übereinkünfte, deren gemeinsames Ziel die Bekämpfung und Prävention von Terrorismus ist. Den völkerrechtlichen Rahmen bilden insbesondere die geltenden Antiterrorismus-Übereinkommen der Vereinten Nationen, ihrer angegliederten Organisationen sowie des Europarats, welche die Schweiz bereits umgesetzt und ratifiziert hat (sektorale Übereinkommen zum Beispiel in den Bereichen Seeschifffahrt, Zivilluftfahrt oder Nuklearterrorismus sowie Finanzierung des Terrorismus; vgl. dazu auch Ziffer 2 mit Verweisen). Im Vergleich zur Mehrzahl der bestehenden internationalen Verträge umschreibt das vorliegende Übereinkommen keine neuen terroristischen Haupttaten.

Es bestraft vielmehr Verhaltensweisen, die zwar keine Terrorakte darstellen, die

1 2

Comité d'experts sur le terrorisme (CODEXTER, heute Comité du Conseil de l'Europe de lutte contre le terrorisme, CDCT).

Der französische Text der Empfehlung ist im Internet abrufbar unter: http://assembly.coe.int > Documents > Recommandation > 1550 (2002).

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jedoch über das Potenzial verfügen, terroristische Haupttaten herbeizuführen oder zu erleichtern.

Das Übereinkommen will jedoch die zwingende Strafbarkeit hypothetischer Ketten von Ereignissen, die in einem bloss theoretischen Konnex zu Terrorakten stehen, vermeiden. Ein ausreichender Zusammenhang bleibt Voraussetzung, damit eine ­ gegenüber den erwähnten Terrorismusabkommen ­ weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit vorgenommen werden kann.

Der Begriff der terroristischen Straftat ist für die Anwendung des Übereinkommens von zentraler Bedeutung. Das internationale Strafrecht kennt allerdings nach wie vor keine allgemeine Definition des Terrorismus. Entsprechend umschreibt das Abkommen den Begriff nicht eigenständig, sondern verweist in Artikel 26 sowie in seinem Anhang auf die erwähnten bestehenden internationalen Übereinkommen gegen den Terror. Verschiedene Staaten haben, unabhängig von den zwingenden Erfordernissen des Abkommens, den Terrorismusbegriff in einer allgemeinen Strafnorm verankert. Die Aufnahme einer solchen Legaldefinition mit separater Strafbestimmung in das Schweizer Recht ist im Folgenden unabhängig von der Umsetzung des vorliegenden Übereinkommens zu prüfen (vgl. Ausführungen in Ziff. 4.6.3).

Konkret verpflichtet das Übereinkommen die Vertragsstaaten zur Kriminalisierung des öffentlichen Aufforderns zu terroristischen Straftaten, des Anwerbens sowie der Ausbildung für Terrorismus. Das Übereinkommen enthält zudem weitere innerstaatlich zu treffende Massnahmen gegen Terrorismus sowie Regelungen über die internationale Zusammenarbeit, darunter Rechtshilfe und Auslieferung.

1.3

Entstehung des Zusatzprotokolls

Am 24. September 20143 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 2178 über die Bedrohung der internationalen Sicherheit und des Friedens durch terroristische Handlungen (Resolution 2178 [2014]). In dieser Resolution fordert der Sicherheitsrat die Staaten unter anderem dazu auf, sicherzustellen, dass die Reisetätigkeit zwecks Begehung einer terroristischen Straftat oder zwecks verschiedener Vorbereitungshandlungen hierzu sowie die Finanzierung und Organisation solcher Reisen unter Strafe gestellt sind (Ziff. 6 der Resolution).

Der Europarat hat mit der Erarbeitung und Verabschiedung des Zusatzprotokolls vom 22. Oktober 2015 zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung von Terrorismus (Zusatzprotokoll) gleichzeitig auf die wachsende terroristische Bedrohung durch Personen reagiert, die eine zum Beispiel dschihadistisch motivierte Reise mit terroristischer Zielsetzung unternehmen oder von einer solchen Reise zurückkehren. Damit konnte der Europarat auch seine Handlungsfähigkeit als internationale Organisation im Bereich der strafrechtlichen Bekämpfung neuer Kriminalitätsformen unter Beweis stellen.

3

Der französische Text der Resolution ist im Internet abrufbar unter: www.un.org/fr/sc > Documents > Résolutions > S/RES/2178 (2014).

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Die Schweiz hat sich an der Ausarbeitung des Zusatzprotokolls, die unter grossem Zeitdruck erfolgte, intensiv beteiligt und gehört zu den 17 Erstunterzeichnerstaaten.

Das Zusatzprotokoll ist nach der sechsten Ratifikation am 1. Juli 2017 in Kraft getreten. Bis Juni 2018 wurde es von zwölf Staaten ratifiziert.

1.4

Überblick über den Inhalt des Zusatzprotokolls

Das Zusatzprotokoll setzt einerseits die aus Ziffer 6 der Resolution 2178 (2014) herrührenden Verpflichtungen um und ergänzt andererseits den Inhalt des zugrundeliegenden Übereinkommens.

Konkret verpflichtet das Zusatzprotokoll die Vertragsstaaten zur Kriminalisierung: ­

von Reisen für terroristische Zwecke;

­

der Finanzierung und Unterstützung von Reisen für terroristische Zwecke; sowie

­

des passiven Aspekts der Ausbildung («Ausgebildet-Werden») für Terrorismus.

1.5

Würdigung des Übereinkommens und des Zusatzprotokolls

Zahlreiche internationale Übereinkommen befassen sich mit der Verhütung und Bekämpfung von terroristischen Akten als solche, so etwa das Übereinkommen über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen mit Bezug auf die internationale Zivilluftfahrt, das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen, das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge oder das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen.4 Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren die entsprechenden Schritte zur Umsetzung und Ratifikation der entsprechenden Verträge unternommen. Sie leistet heute als Vertragsstaat ihren Beitrag im internationalen Kampf gegen den Terrorismus. In diesem Sinne ist das Ziel des Übereinkommens und des Zusatzprotokolls, die nationalen Gesetze im europäischen Raum und darüber hinaus zu harmonisieren, wo nötig weiter zu entwickeln und die internationale Zusammenarbeit zu verstärken, zu begrüssen.

Während die früheren internationalen Übereinkommen regelmässig den terroristischen Akt als solchen bekämpften, geht das Ziel der vorliegenden beiden Abkommen darüber hinaus. Ins Recht gefasst und bestraft werden sollen nicht terroristische Akte als solche, sondern Handlungen im Vorfeld, die im Hinblick auf die Begehung eines solchen Terroraktes ausgeführt werden und die geeignet sind, die unmittelbare oder mittelbare Gefahr eines terroristischen Anschlags zu begründen oder zu erhöhen.

4

Die Fundstellen sind unter den Ausführungen zu Art. 1 des Übereinkommens aufgeführt.

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Diese breit gefächerte Vorverlagerung von Strafbarkeiten stellt im Rahmen des internationalen Strafrechts eine Besonderheit dar und ist vergleichbar mit dem internationalen Übereinkommen vom 9. Dezember 1999 gegen die Terrorismusfinanzierung (vgl. Ziff. 2). Es soll in diesem Zusammenhang jedoch nicht von zwei umfassenden Präventions-Abkommen gesprochen werden.5 Es erfolgt vielmehr eine Beschränkung auf diejenigen konkreten Verhaltensweisen, für welche die internationale Staatengemeinschaft die Notwendigkeit einer verhältnismässigen Bestrafung festgestellt hat. Umso wichtiger ist es, bei der Umsetzung der Erfordernisse gemäss den Abkommen dem Prinzip der Verhältnismässigkeit und dem Bestimmtheitsgebot in der textlichen Ausgestaltung der Strafnormen die genügende Beachtung zu schenken. Konkret geht es darum, die entsprechenden Strafbarkeiten unter steter Beachtung der grundrechtlichen Verpflichtungen wie etwa der Meinungsäusserungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit, der Religionsfreiheit oder dem Recht auf Freizügigkeit zu begründen.

1.6

Weitere internationale Standards

Die Problematik der Reisen für terroristische Zwecke sowie der Finanzierung und Organisation solcher Reisen ist auch Gegenstand weiterer internationaler Instrumente. Zu erwähnen sind die Resolutionen 2178 (2014) und 2368 vom 20. Juli 2017 6 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sowie die Empfehlungen 7 der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei (Groupe d'Action Financière, GAFI), die als internationaler Standard bei der Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung gelten. Während in der Resolution 2368 das Sanktionsregime gegen die Organisationen Al-Qaïda und Islamischer Staat bekräftigt und erneuert wird, fordert die Resolution 2178 (2014) die Mitgliedstaaten dazu auf, Reisen zu terroristischen Zwecken sowie die Finanzierung und Organisation solcher Reisen unter Strafe zu stellen. Nach der Verabschiedung dieser Resolution hat die GAFI beschlossen, ihre Empfehlungen zu revidieren, um klarzustellen, dass die Terrorismusfinanzierung auch die Finanzierung der Reisen von Personen umfasst, die in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlungen zu begehen, zu planen, vorzubereiten oder sich daran zu beteiligen oder Terroristen auszubilden oder sich zu Terroristen ausbilden zu lassen (vgl. Ziff. 3 der Interpretativnote zur GAFI-Empfehlung 5). In diesem Zusammenhang wies die GAFI darauf hin, dass die Reisen als eine Hauptform der materiellen Unterstützung terroristischer Organisationen betrachtet werden können und dass der finanzielle Bedarf der betreffenden Personen ­ vor allem für den Transport, die Unterkunft, die

5

6 7

Vgl. Ziff. 25 des erläuternden Berichts des Europarats zum Übereinkommen, im Internet abrufbar unter www.coe.int/fr > Explorer > Bureau des Traités > Liste complète > STCE no 196, im Folgenden EB.

Der französische Text ist im Internet abrufbar unter: www.un.org/fr/sc > Documents > Résolutions > S/RES/2368 (2017).

Normes internationales sur la lutte contre le blanchiment de capitaux et le financement du terrorisme et de la prolifération, Les recommandations du GAFI, Februar 2012 (aktualisiert 2013 und 2016), im Internet abrufbar unter www.fatf-gafi.org/fr > Publications > Recommandations GAFI.

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Kommunikationsmittel und die Nahrung ­ relativ bescheiden ist.8 2016 besuchte die GAFI die Schweiz und überprüfte namentlich die Bestimmungen, die die Terrorismusfinanzierung sowie die Unterstützung einer terroristischen Organisation sanktionieren. Sie ist zum Schluss gekommen, dass die Schweiz die Empfehlung 5 (Straftat der Terrorismusfinanzierung) grösstenteils erfüllt. Sie hat jedoch auch auf eine Lücke bezüglich der Finanzierung von Reisen zu terroristischen Zwecken hingewiesen, die keinen Zusammenhang mit einer terroristischen Organisation oder einem Terrorakt aufweisen.

2

Die Bestimmungen des Übereinkommens sowie des dazugehörigen Zusatzprotokolls und ihr Verhältnis zum schweizerischen Recht

2.1

Die Bestimmungen des Übereinkommens

Art. 1

Begriffsbestimmung

Das Übereinkommen verzichtet im Rahmen von Artikel 1 darauf, den Begriff des Terrorismus eigenständig zu definieren. Stattdessen wird als terroristische Handlung jede strafbare Handlung im Sinne der im Anhang aufgeführten internationalen Übereinkommen bezeichnet.9 Es handelt sich hierbei um elf einschlägige Übereinkommen der Vereinten Nationen im Kampf gegen den Terrorismus. 10 Im Rahmen der Verhandlungen zum vorliegenden Übereinkommen wurde nach eingehender Diskussion davon abgesehen, nur eine Auswahl an Hauptstraftaten 11 gemäss den aufgeführten Konventionen der Vereinten Nationen als relevante Straftaten zu definieren. Vielmehr soll die Aufforderung, Rekrutierung und Ausbildung zu Terrorismus in einem umfassenden Sinn unter Strafe gestellt werden. Entspre8

9

10

11

FATF Guidance on Criminalising Terrorist Financing (Recommendation 5), Oktober 2016, § 41, im Internet abrufbar unter: www.fatf-gafi.org/en > Publications > FATF Recommendations.

Charakteristisch für Terrorhandlungen, so Ziff. 46 EB, ist der Zweck der Einschüchterung der Bevölkerung, der Nötigung einer Regierung oder Organisation oder der Destabilisierung der politischen oder verfassungsmässigen Ordnung.

Sämtliche aufgeführten Übereinkommen der Vereinten Nationen wurden durch die Schweiz umgesetzt und ratifiziert, zuletzt am 23. Oktober 2003 das Internationale Übereinkommen vom 9. Dezember 1999 gegen die Finanzierung des Terrorismus (SR 0.353.22) und das Internationale Übereinkommen vom 15. Dezember 1997 zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge (SR 0.353.21) sowie das Internationale Übereinkommen vom 13. April 2005 zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (SR 0.353.23, in Kraft getreten am 14. November 2008). Noch keine Aufnahme in den Anhang des Übereinkommens gefunden haben das durch die Schweiz bereits umgesetzte und ratifizierte, am 1. Juli 2018 in Kraft getretene Übereinkommen vom 10. September 2010 über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen mit Bezug auf die internationale Zivilluftfahrt (BBl 2013 8561) sowie das entsprechende Zusatzprotokoll vom 10. September 2010 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen (durch die Schweiz ebenfalls umgesetzt und ratifiziert, am 1. Januar 2018 in Kraft getreten; SR 0.748.710.21).

Damit hätte sich das vorliegende Übereinkommen ausschliesslich auf den jeweiligen Kernbereich der bestehenden Übereinkommen der Vereinten Nationen bezogen.

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chend gelten als terroristische Handlungen im Sinne der vorliegenden Konvention verschiedene Delikte gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen fremdes Eigentum, zum Beispiel im Zusammenhang mit Geiselnahmen, der Entführung von Flugzeugen, der Entwendung und des Einsatzes von Nuklearmaterial oder von Sprengstoffen. Ebenso als Terrorakte gelten, aufgrund des Übereinkommens gegen die Finanzierung des Terrorismus12, die Zurverfügungstellung und das Sammeln von Finanzmitteln im Hinblick auf die Begehung eines terroristischen Aktes.

Aus dieser Konstellation ergeben sich einige Besonderheiten bei der Umsetzung des vorliegenden Strafrechts-Übereinkommens: ­ Vorverlagerung und Ausweitung der Strafbarkeit: Durch den Verweis auf strafbare Handlungen gemäss anderen Übereinkommen, in welchen zum Teil wiederum auf andere Übereinkommen verwiesen wird, sowie angesichts des Charakters der Strafbestimmungen 13 des vorliegenden Übereinkommens ergeben sich Strafbarkeitsketten, die mit einer ausgeprägten Vorverlagerung und Ausweitung der Strafbarkeit einhergehen.14 Dieses Problem wurde während der Verhandlungen zum Übereinkommen erkannt und auch durch die Schweiz thematisiert. Im Text des Übereinkommens sowie des erläuternden Berichts des Europarats wird, den Bedenken und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung tragend, daher festgehalten, dass nur Verhaltensweisen zu bestrafen seien, die über das Potenzial verfügen, terroristische Handlungen herbeizuführen.15 Das Übereinkommen inkriminiert keine Verhaltensweisen, die aufgrund einer denkbaren Abfolge von Ereignissen einen bloss hypothetischen Bezug zu Terrorakten haben können, denen es aber am praktisch vorliegenden Konnex zu solchen Straftaten mangelt. In diesem Zusammenhang zu betonen ist auch die fundamentale Bedeutung der Unschuldsvermutung im Sinne von Artikel 32 Absatz 1 der Bundesverfassung16 (BV), die für jede Person bis zum Zeitpunkt ihrer rechtskräftigen Verurteilung gilt.

­ Bestimmtheit des Konventionstexts: Aufgrund der fehlenden allgemeingültigen Definition von Terrorismus 17 vermag der Text des Übereinkommens nicht in allen Punkten Klarheit darüber zu schaffen, wie weit die Strafbarkeit reichen soll. Die Staaten sollen daher im Rahmen der Umsetzung des Übereinkommens ins innerstaatliche Recht dem strafrechtlichen Legali12 13 14

15 16 17

Art. 2 Ziff. 1 des Finanzierungsübereinkommens, siehe oben.

Art. 5 ff.

So müsste zum Beispiel der Versuch der Anstiftung zur Rekrutierung einer Person zum Zweck der Gehilfenschaft zum Sammeln von Geld im Hinblick auf die Begehung einer terroristischen Handlung unter Strafe gestellt werden, was nicht zuletzt in rechtspolitischer sowie beweisrechtlicher Hinsicht zu grossen Problemen sowie zu unverhältnismässigen oder aussichtslosen Strafverfahren führen würde.

Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens und Ziff. 49 EB.

SR 101 Die Arbeiten an einem umfassenden Anti-Terrorismus-Übereinkommen der Vereinten Nationen sind derzeit blockiert. Hauptziel eines solchen Vertrags muss die Definition des Terrorismus unter Anwendung derselben Voraussetzungen für die Strafbarkeit aller Beteiligten bleiben (Freiheitskämpfer/innen, staatliche Verbände; vgl. die Ausführungen zur Frage der Einführung einer allgemeinen Terrorismus-Strafnorm ins schweizerische Recht, Ziff. 4.6.3).

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tätsprinzip18 Nachachtung verschaffen. Grundrechte wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäusserung und die Versammlungsfreiheit 19 sind zu wahren. Einschränkungen sind entsprechend sorgfältig zu prüfen auf ihre Verhältnismässigkeit sowie auf die Respektierung des Kerngehalts des jeweiligen Grundrechts20.

­ Vorbehalte und Erklärungen: Im Übereinkommen findet sich keine explizite Auflistung von Vorbehaltsmöglichkeiten oder von möglichen einschränkenden Erklärungen durch die Mitgliedstaaten, womit das Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 196921 über das Recht der Verträge anwendbar ist. Jedoch kamen die Staaten im Rahmen der Ausarbeitung überein, einzelne Bereiche des Übereinkommens ausdrücklich zu nennen, zu welchen Staaten Erklärungen oder Vorbehalte abgeben können22.

Art. 2

Zweck

Die Bestrebungen der Vertragsparteien zur Terrorismusprävention und zur Minderung der fatalen Folgen von Terrorismus sollen auf nationaler und internationaler Ebene verstärkt werden.

Art. 3

Innerstaatliche Massnahmen zur Verhütung des Terrorismus

Die zu ergreifenden Massnahmen sollen, unter Wahrung der Menschenrechte, terroristische Straftaten verhindern und deren Auswirkungen mindern. Informationsaustausch, Schutz- und Koordinationsmassnahmen sowie die Ausbildung von Fachkräften sollen verstärkt werden. Nach Artikel 3 Absatz 2 treffen die Vertragsparteien die erforderlichen Massnahmen, um die Zusammenarbeit zwischen den innerstaatlichen Behörden zu verbessern und weiterzuentwickeln, damit terroristische Straftaten und ihre nachteiligen Auswirkungen verhindert werden.

Diese Bestimmung ist in Verbindung mit Artikel 4 des Übereinkommens zu sehen und soll den Informationsaustausch zur Verhütung terroristischer Straftaten fördern.

Durch die international und national beschafften Informationen können terroristische Straftaten auf beiden Ebenen wirksamer bekämpft werden. Daneben soll der gesellschaftliche Dialog verstärkt geführt werden.23 Die Zivilgesellschaft kann in die Bestrebungen miteinbezogen werden.24 In der Schweiz arbeiten Bund und Kantone unter anderem über die Kantonspolizei zusammen, um die Informationen auszu18 19

20 21 22

23 24

Art. 1 StGB Art. 16 und 22 BV sowie Art. 10 und 11 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die genannten Grundrechte nicht uneingeschränkt gelten.

Vgl. Art. 36 BV.

SR 0.111, Art. 19 ff. Ein Vertragsstaat kann in diesem Fall einen Vorbehalt anbringen, soweit dieser mit dem Ziel und Zweck des Vertrags nicht unvereinbar ist.

Ziff. 28 EB. Dies ist der Fall bezüglich der Anwendung des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus sowie in Bezug auf die Art. 5, 9 sowie 14 Abs. 1 Bst. c des vorliegenden Übereinkommens.

Abs. 3 Abs. 4. Hier konnte im Rahmen der Verhandlungen dem Ansinnen einiger Staaten, wonach eine generelle Pflicht der Bürger und Bürgerinnen zur Mitwirkung im Kampf gegen den Terror bestehe, entgegengetreten werden.

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tauschen, die zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Terrorbedrohung nützlich sind. Die Kantone leiten die in nächster Nähe gewonnenen Informationen an den Bund weiter. Zu erwähnen ist in diesem Kontext insbesondere der Nationale Aktionsplan vom 4. Dezember 201725 zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus, der mittels verstärkter Koordination, Kooperation und effizienter Strukturen ein essenzielles Mittel bei der Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus darstellt. Im Umgang mit heiklen Situationen verfolgt jeder Kanton eine den lokalen Begebenheiten angepasste Strategie.

Art. 4

Internationale Zusammenarbeit bei der Verhütung des Terrorismus

Die Vertragsparteien gewähren einander, soweit erforderlich und angemessen, Unterstützung bei der Terrorismusprävention. Die internationale Zusammenarbeit bei der Verhütung des Terrorismus ist für eine möglichst effektive Terrorismusbekämpfung wesentlich. Die gegenseitige Unterstützung ist bereits Gegenstand verschiedener Übereinkünfte, namentlich des Europarats oder der Organisation der Vereinten Nationen. Die Schweiz hat beispielweise bereits eine Verbindungsstaatsanwältin zu Eurojust und Verbindungspersonen und Polizeiattachés ins Ausland entsandt, und der direkte Kontakt zwischen den Gerichtsbehörden, der mit den Instrumenten des Europarats eingeführt worden ist, fördert die Zusammenarbeit im Sinne dieser Bestimmung.

Im Kampf gegen den Terrorismus und gegen die zugrundeliegende (organisierte) Kriminalität müssen die zuständigen Behörden sehr schnell handeln. Durch das Gebot der raschen Erledigung nach Artikel 17a des Rechtshilfegesetzes vom 20. März 198126 (IRSG) und die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze wie das Günstigkeitsprinzip, wonach die für die Rechtshilfe günstigere Regelung Vorrang hat,27 wird die Zusammenarbeit verbessert.

Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, terroristische Aktivitäten zu verhindern. Damit Terroranschläge besser verhütet und namentlich in Europa rascher untersucht werden können, soll das Gesetz entsprechend durch neue Bestimmungen ergänzt werden. Die Einzelheiten der neuen Artikel 80d bis und 80d ter­80d duodecies E-IRSG werden in den Erläuterungen zu den vorgeschlagenen Bestimmungen ausgeführt. Es soll im Wesentlichen eine dynamische Rechtshilfe geschaffen werden, die ein rascheres Einschreiten erlaubt, damit insbesondere der Terrorismus und die damit verbundene Kriminalität besser verhütet und verfolgt werden können. Vorgeschlagen werden ein 25

26 27

Erarbeitet unter Leitung des Sicherheitsverbunds Schweiz, vgl. die entsprechende Medienmitteilung vom 4. Dezember 2017 unter www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > 4. Dezember 2017 > Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus; der Text des Aktionsplans vom 4. Dezember 2017 ist im Internet abrufbar unter www.svs.admin.ch > Dokumentation > Nationaler Aktionsplan zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus.

SR 351.1 Siehe namentlich die Rechtsprechung des Bundesgerichts, z. B. BGE 140 IV 123 E. 2 S. 126; 137 IV 33 E. 2.2.2 S. 41; 135 IV 212 E. 2.3 S. 215 oder 122 II 140 E. 2 S. 142, in dem das Günstigkeitsprinzip erläutert wird, nach welchem die Regelung anwendbar ist, die für die Rechtshilfe günstiger ist, unabhängig davon, ob es eine innerstaatliche oder eine internationale Regelung ist.

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neuer Artikel zur vorzeitigen Übermittlung von Informationen und Beweismitteln sowie neue Bestimmungen zu gemeinsamen Ermittlungsgruppen, mit denen die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den ausländischen Behörden effizienter und schneller gestaltet werden soll.

Art. 5

Öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat

Die erste Strafbestimmung gemäss Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, das öffentliche Verbreiten einer Botschaft mit dem Vorsatz der Anstiftung zu einem Terrorakt unter Strafe zu stellen. Durch die Tathandlung muss die Gefahr begründet werden, dass ein oder mehrere solcher Akte begangen werden. Die Aufforderung kann direkt oder indirekt erfolgen; die Gefährdung muss glaubhaft erscheinen und wesentlich sein.28 Die direkte öffentliche Aufforderung29 zur Begehung einer terroristischen Straftat wird durch den geltenden Artikel 259 des Strafgesetzbuchs30 (StGB) abgedeckt.

Gemäss dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer öffentlich zu einem Verbrechen oder gewalttätigen Vergehen auffordert. Der oder die Auffordernde muss die Beeinflussung wollen. Es kommt jedoch nicht darauf an, ob die Äusserungen richtig (oder überhaupt) wahrgenommen werden.31 Entsprechend ist es für die Strafbarkeit ohne Bedeutung, ob der eigentliche Terrorakt begangen oder die Begehung zumindest versucht wird.32 Die indirekte Aufforderung, mittels welcher eine ein Delikt darstellende Handlung beispielsweise als notwendig und gerechtfertigt33 dargestellt wird, wird ebenfalls durch Artikel 259 StGB abgedeckt. Der Aufforderungscharakter muss eindeutig sein, während das anvisierte Delikt jedoch nicht detailliert beschrieben sein muss. 34 Artikel 5 des Übereinkommens35 wird damit durch das geltende Schweizer Recht abgedeckt.

Art. 6

Anwerbung für terroristische Zwecke

Artikel 6 des Übereinkommens verpflichtet die Vertragsstaaten, das Bestimmen 36 einer Person zur Begehung einer terroristischen Straftat, zur Teilnahme an einer solchen oder zum Anschluss an eine Gruppierung zwecks Begehung einer terroristi28 29

30 31 32 33

34 35 36

Ziff. 100 EB Als direkt gilt eine Aufforderung, wenn die zugrundeliegende Botschaft den terroristischen Akt oder dessen Ziele explizit nennt oder diese aus dem Inhalt der Botschaft konkret ableitbar sind.

SR 311.0, Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit.

Vgl. G. Fiolka, in: Basler Kommentar (2013), N 10 zu Art. 259.

Vgl. Trechsel/Vest, in Trechsel/Pieth (Hrsg.), StGB PK, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, N 5 zu Art. 259.

Gemäss Erläuterndem Bericht des Europarats (EB, Ziff. 99 f.) müssen für die Strafbarkeit auch hier der Vorsatz des Auffordernden und die wesentliche Gefährdung gegeben sein und nachgewiesen werden.

G. Fiolka, Basler Kommentar (2013), N 12 zu Art. 259.

Zu welchem im Übrigen die Möglichkeit der Anbringung einer Erklärung oder eines Vorbehalts besteht.

In den offiziellen Sprachfassungen des Europarats «to solicit» (e) und «solliciter» (f).

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schen Tat unter Strafe zu stellen. Den Staaten steht es frei, den Ausdruck «Bestimmen» im Hinblick auf das nationale Recht selbst zu definieren. Das Delikt gilt als vollendet, sobald der Anwerber oder die Anwerberin das nach seiner oder ihrer Vorstellung Notwendige vorgekehrt hat, um die Rekrutierung abzuschliessen, und die angeworbene Person oder die bestimmbare Personengruppe das Vorgehen und Bestreben des Täters zumindest zur Kenntnis nimmt.37 Das Anwerben zum Anschluss an eine Gruppierung zwecks Begehung von Terrorakten wird teilweise durch Artikel 260ter StGB38 abgedeckt. Gemäss dieser Bestimmung wird, neben der Beteiligung, auch die Unterstützung einer kriminellen Organisation durch eine Person39 unter Strafe gestellt. Als kriminelle Organisation gilt regelmässig auch eine terroristische Organisation40, wobei die Tatbestandsmerkmale der Geheimhaltung und der genügenden Strukturierung gegeben sein müssen. Als Unterstützung gilt jeder wesentliche Beitrag zur Stärkung der Organisation, zum Beispiel in logistischer oder personeller Hinsicht.41 Wird die Anwerbung durch ein Mitglied der Organisation vorgenommen, dürfte die Strafbarkeit aufgrund der Mitgliedschaft vorgehen.42 Erfolgt die Anwerbung in der Schweiz, sind die schweizerischen Behörden für die Strafverfolgung zuständig, auch wenn die Organisation ihre Aktivitäten nur im Ausland entfaltet.43 Bezüglich der verbotenen Gruppierungen Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen findet die Strafbestimmung von Artikel 2 des entsprechenden Bundesgesetzes44 Anwendung. Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe wird dabei unter anderem bestraft, wer die Aktivitäten einer solchen Organisation in irgendeiner Weise fördert, worunter auch die Rekrutierung neuer Mitglieder fällt.

Durch das geltende Recht nicht lückenlos abgedeckt wird das Erfordernis des Übereinkommens,45 wonach auch der Versuch der Rekrutierung unter Strafe zu stellen ist. Gemäss herrschender Lehre und dem Willen des Gesetzgebers wird die Strafbarkeit von Versuch und Teilnahme bezüglich Artikel 260ter StGB und eine damit einhergehende Ausweitung der Strafbarkeit auf die versuchte Unterstützung einer kriminellen Organisation abgelehnt. Dieses Verhalten bleibt gemäss schweizeri37 38 39 40

41 42 43 44

45

Vgl. Ziff. 109 und 112 EB. Es ist nicht notwendig, dass der Angeworbene eine Tat begeht oder sich effektiv einer terroristischen Gruppierung anschliesst.

Kriminelle Organisation, insb. Ziff. 1 al. 1.

Hierbei kann es sich auch um eine der Organisation nicht zugehörige, aussenstehende Person handeln.

Unter den Begriff der kriminellen Organisation fallen gemäss Gerichtspraxis unter anderem auch islamistische Gruppierungen (Islamischer Staat, Märtyrer für Marokko, das Netzwerk Al-Qaïda), die kosovo-albanische Untergrundorganisation ANA, die türkische TKP/ML beziehungsweise TIKKO, die italienischen Brigate Rosse und die baskische ETA (BGE 132 IV 132 ff., Urteil des Bundesgerichts vom 23. Februar 2016 (1C_644/2015), Urteil des Bundesstrafgerichts vom 18. März 2016; SN.2016.5).

Vgl. H. Baumgartner, in: Basler Kommentar (2013), N 12 zu Art. 260ter.

Die Unterstützungshandlung wird somit durch die Mitgliedschaft umfasst.

Erfolgt die Unterstützung hingegen im Ausland, muss zumindest die Absicht der Organisation bestehen, auf Schweizer Territorium aktiv zu werden, Art. 260 ter Ziff. 3 StGB.

Bundesgesetz vom 12. Dezember 2014 über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen (Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen); SR 122.

Art. 9 Abs. 2 des Übereinkommens.

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schem Recht grundsätzlich straflos,46 ausser es handelt sich um eine versuchte Rekrutierung zugunsten einer verbotenen Organisation im Sinne der oben genannten Gesetzgebung gegen die verbotenen Gruppierungen Al-Qaïda, Islamischer Staat und verwandte Organisationen.

Ein einschränkender Vorbehalt durch die Schweiz bezüglich dieses Aspekts der Strafbarkeit könnte bei kritischer Betrachtung als mit dem Ziel und Zweck des Übereinkommens unvereinbar und damit als unzulässig eingestuft werden.47 Angesichts der festgestellten partiellen Straflosigkeit gewisser Handlungen im Vorfeld von terroristischen Aktivitäten und zugunsten einer spezifischen und klaren Gesetzgebung im Bereich der Anwerbung und Rekrutierung für terroristische Zwecke wird die Einführung einer neuen Strafbestimmung vorgeschlagen, durch die der Sachverhalt explizit abgedeckt wird (vgl. zur neuen Bestimmung im Einzelnen Ziff. 4.2). Mit der Schaffung einer separaten Strafbestimmung kann, neben der verbesserten Beachtung des Gebots der Bestimmtheit von strafrechtlichen Gesetzestexten, sichergestellt werden, dass auch Teilnahmehandlungen und die versuchte Tatbegehung gemäss den allgemein gültigen Regeln strafrechtlich erfasst werden können.

Aus dem Rechtsvergleich vom 22. Januar 201648 des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung in Lausanne über die Rekrutierung und Ausbildung von Terroristen ergibt sich, dass Dänemark, Deutschland und Italien das Rekrutieren für terroristische Taten explizit unter Strafe stellen. Alle drei Länder sehen als Strafe eine Freiheitsstrafe vor. Auch in Österreich ist es strafbar, zu terroristischen Zwecken zu rekrutieren, jedoch hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit nicht ausdrücklich geregelt. Schliesslich enthält auch das französische Recht einen Straftatbestand über das Rekrutieren zu terroristischen Zwecken. Dieser unterscheidet sich von den anderen Ländern dadurch, dass er nicht das reine Werben unter Strafe stellt, sondern dass der Täter oder die Täterin eine Person durch Versprechen einer Gegenleistung oder durch Drohung zur Teilnahme bringen muss. Zudem wurde 2017 ein neuer Straftatbestand eingeführt, der die Rekrutierung von Minderjährigen durch eine Autoritätsperson spezifisch bestraft.49 Zusätzlich zu den erwähnten Vorschriften können in diesen Ländern weitere Straftatbestände anwendbar sein,
die jedoch nicht spezifisch das Rekrutieren zu terroristischen Zwecken betreffen. Genannt werden kann beispielsweise der Tatbestand der Provokation und öffentlichen Verherrlichung terroristischer Taten in Frankreich sowie das Verbreiten von Propagandamaterial verfassungswidriger Vereinigungen in Deutschland.

46 47 48

49

BBl 1993 III 304; Baumgartner, a.a.O., N 12 zu Art. 260 ter; Trechsel/Vest, a.a.O., N 15 zu Art. 260ter.

Vgl. Ausführungen zu Art. 1 des Übereinkommens.

In die Betrachtungen einbezogen wurden Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich. Das Gutachten ist abrufbar auf der Website des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung unter www.isdc.ch > Publikationen > E-Avis > Strafbarkeit der Rekrutierung und Ausbildung von Terroristen. Eine Zusammenfassung ist erhältlich in Newsletter Nr. 42 des Instituts, abrufbar unter www.isdc.ch > Publikationen >

ISDC Letter > 2017 > ISDC'S LETTER No 42.

Art. 421-2-4-1 des französischen Strafgesetzbuchs.

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Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes weisen auf verschiedene Schwierigkeiten im Rahmen von Strafuntersuchungen hin, die wegen Handlungen im Vorfeld von terroristischen Aktivitäten ausgeführt werden. Die Anordnung von Überwachungsmassnahmen im Sinne des Strafprozessrechts kann insbesondere am fehlenden oder nicht nachweisbaren Bezug zu einer kriminellen Organisation scheitern. Die Einführung einer spezifischen Strafnorm ohne notwendigen Bezug zu einer terroristischen Organisation wird das Verfahren auf eine andere, besser geeignete gesetzliche Grundlage stellen.

Das Übereinkommen sieht von einer Kriminalisierung des (passiven) Anwerbenlassens zum Zwecke des Terrorismus ab. Den Staaten bleibt es jedoch unbenommen, unter Wahrung der Prinzipien der Verhältnismässigkeit und Rechtsstaatlichkeit eine solche Strafbarkeit einzuführen. Von dieser weitergehenden Möglichkeit haben verschiedene Staaten Gebrauch gemacht, während andere auf die Strafbarkeit der rekrutierten Person verzichtet haben.

Dänemark und Italien haben das (passive) Rekrutiertwerden ausdrücklich unter Strafe gestellt, und zwar in der gleichen Strafnorm wie die aktive Rekrutierung. Der Strafrahmen ist in beiden Fällen geringer als bei der aktiven Rekrutierung. Deutschland, Frankreich und Österreich verfügen demgegenüber über keine spezifische Regelung des Sich-anwerben-Lassens. Je nach Rechtsordnung und Einzelfall kann die Tat unter die strafbare Beteiligung an einer terroristischen Organisation fallen. In Österreich ist dies bereits bei einer Zusage zur Unterstützung der Fall.

Die Kriminalisierung des Sich-anwerben-Lassens geht mit einer ausgesprochen weitgehenden Vorverlagerung der Strafbarkeit einher, verbunden mit hohen Anforderungen an die Beweislage: Einerseits ist der innere Entschluss der rekrutierten Person, sich auf die betreffende Tätigkeit oder Zugehörigkeit einzulassen, kaum nachweisbar. Andererseits besteht eine erhebliche Unklarheit der rekrutierten Person auch bezüglich ihrer eigenen Vorstellungen, worauf sie sich durch ihr Akzept überhaupt einlässt. Neben diesen Gesichtspunkten stellt sich auch die Frage der Strafwürdigkeit: Birgt der blosse Entschluss, ohne konkrete, gegen aussen sichtbare Aktivität, sich im Hinblick auf eine unter Umständen unbestimmte Tätigkeit zur Verfügung zu stellen, bereits ein genügendes
Gefährdungspotenzial, um eine Strafverfolgung anzustreben?

Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass das strafrechtliche Instrumentarium im Falle des blossen Einverständnisses, sich rekrutieren zu lassen,50 noch nicht zur Anwendung gelangen soll.51 Das Gefährdungspotenzial für die öffentliche Sicherheit und die Bevölkerung ist zu diesem Zeitpunkt schwach. Andere gesetzliche Massnahmen und Möglichkeiten, nicht zuletzt basierend auf dem neuen Nachrichtendienstgesetz vom 25. September 201552 (NDG), stehen zur Verfügung, um zur 50

51

52

Wohlgemerkt nicht für eine konkrete oder geplante Straftat. In diesem Fall ist das Vorliegen einer strafbaren Vorbereitungshandlung oder Gehilfenschaft zu einer versuchten Haupttat zu prüfen.

Aspekt der ultima ratio. Umso wichtiger kann es hingegen sein, in dieser Phase in nachrichtendienstlicher Hinsicht tätig zu sein und möglichst breit Erkenntnisse über Abläufe, Strukturen und einzelne Personen zu sammeln sowie mit ausländischen Partnerdiensten auszutauschen.

SR 121

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Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit des Landes weitere Erkenntnisse über die gesamte Situation zu sammeln. Eine andere Einschätzung und eine bereits unter geltendem Recht bestehende Strafbarkeit ergibt sich, wenn die betreffende Person konkrete Anstalten trifft, eine Straftat zu organisieren oder sich an einer Organisation zwecks Begehung von Straftaten zu beteiligen. Manifestiert sich der Umstand der Rekrutierung in der Teilnahme der rekrutierten Person an terroristischen Ausbildungen oder im Antritt einer entsprechenden Reise, so kommt der neu vorgeschlagene Artikel 260sexies E-StGB zur Anwendung.53 Der Bundesrat schlägt daher vor, die Strafbarkeit des Anwerbens für Terrorismus in einer neuen Strafnorm explizit einzuführen, während auf die noch weiter ins Vorfeld hineinreichende Kriminalisierung der rekrutierten Person verzichtet wird.

Art. 7

Ausbildung für terroristische Zwecke

Artikel 7 verpflichtet die Vertragsstaaten zur Kriminalisierung der Unterweisung in der Herstellung oder im Gebrauch von Sprengstoffen, Waffen oder gefährlichen Stoffen und zur Strafbarerklärung der Unterweisung in anderen spezifischen Methoden oder Verfahren. Die Unterweisung erfolgt mit dem Ziel, eine terroristische Straftat zu begehen oder zu einer solchen beizutragen, jeweils in Kenntnis der Tatsache, dass die vermittelten Fähigkeiten für diesen Zweck eingesetzt werden sollen.

Als Waffen gemäss Übereinkommen sind Vorrichtungen zu verstehen, von denen toxische oder biologische Wirkstoffe, Strahlung oder Radioaktivität ausgehen und die eine Gefahr für Leib und Leben oder für das Eigentum darstellen. 54 Der Verweis auf die Strafbarkeit der Unterweisung «in anderen spezifischen Methoden oder Verfahren» erscheint mit Blick auf das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot als heikel, da kein tatbestandsmässiger Bezug zu einem konkreten Tatmittel oder zu einer konkreten Vorgehensweise geschaffen wird. Die Umsetzung des in seinen Auswirkungen weitreichenden Artikels 7 hat demnach unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes von Artikel 12 Absatz 2 des Übereinkommens sowie seines spezifischen Kerngehalts55 zu erfolgen.

Nicht als Ausbildung im Sinne von Artikel 7 gilt beispielsweise das unaufgeforderte Veröffentlichen von Bauplänen für Sprengsätze via Internet oder von Anleitungen für die Handhabung von Waffen, ohne dass der Urheber oder die Urheberin Kenntnis über Empfänger und Empfängerinnen und geplante deliktische Weiterverwendung der Information besitzt.56 Soweit der Bezug zu einer Gruppierung mit terroristischer Zielsetzung hergestellt wird, findet der Tatbestand der kriminellen Organisation beziehungsweise der Unterstützung derselben Anwendung. Geht es um die Ausbildung oder Instruktion für 53

54 55 56

Vgl. Ziff. 4.2 sowie die Ausführungen zum nachfolgenden Art. 7, wo im Bereich der Ausbildung für Terrorismus die Strafbarkeit des oder der Ausgebildeten (neben derjenigen des Ausbildners oder der Ausbildnerin) vorgeschlagen wird.

Ziff. 120 EB Die Unterweisung in unmittelbar gefährlichen Tätigkeiten oder mit gefährlichen Substanzen oder Mitteln.

Dies geht aus dem Wortlaut der Bestimmung («... in Kenntnis der Tatsache ...») und dem Grundsatz des Übereinkommens, wonach hypothetische Gefährdung keine Strafbarkeit begründen soll, hervor.

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ein genügend spezifizierbares Gewaltverbrechen gegen Personen oder Einrichtungen,57 ist das Vorliegen einer strafbaren Vorbereitungshandlung im Sinne von Artikel 260bis StGB zu prüfen. Voraussetzung ist, dass die Handlung systematisch und über einen gewissen Zeitraum stattgefunden hat und so weit fortgeschritten ist, dass die verbrecherische Absicht objektiv erkennbar ist und das Verhalten auf eine der in der betreffenden Strafbestimmung aufgelisteten Taten ausgerichtet ist. 58 Eine blosse Gedankenspielerei genügt nicht.59 Das Delikt muss aber nach Ort, Zeit und Art noch nicht näher spezifiziert sein.

Im Falle einer konkret geplanten Terrortat, zu der ausgebildet wird, ist auch die Frage der Anstiftung und Gehilfenschaft 60 zu prüfen. Gehilfenschaft als untergeordnete Förderung einer Haupttat verlangt keine strenge Kausalität im Sinne einer conditio sine qua non und setzt nicht voraus, dass die Haupttat vollendet wird.

Straflos bleibt hingegen die versuchte Gehilfenschaft. 61 Der Inhalt von Artikel 7 des Übereinkommens wird somit durch verschiedene Tatbestände des geltenden schweizerischen Strafrechts abgedeckt. Findet die Ausbildung für Terrorismus jedoch nicht im Rahmen oder zugunsten einer terroristischen Organisation statt und geschieht sie nicht im Hinblick auf eine konkret geplante oder in ihrem Ansatz erkennbare strafbare Handlung, sondern wird die Ausbildung sozusagen «auf Vorrat» betrieben, ohne Konnex zu einer näher spezifizierbaren Haupttat, liegt kein strafbares Verhalten vor. Auch die Bestimmungen der Artikel 224 und 226 Absatz 3 StGB beziehen sich lediglich auf einen Teilbereich der Strafbarkeit nach dem Übereinkommen.62 Angesichts dieser nicht vollständig gewährleisteten Strafbarkeit wird die Schaffung einer neuen Strafnorm vorgeschlagen, welche die Ausbildung für Terrorismus explizit unter Strafe stellt. Eine Einordnung unter die Delikte gegen den öffentlichen Frieden63 erscheint naheliegend. Angesichts der vergleichbaren inhaltlichen Ausgangslage spricht nichts gegen eine redaktionelle Vereinigung der beiden Tatbestände gegen das Anwerben und gegen die Ausbildung für Terrorismus. Im Rahmen der Umsetzung von Artikel 7 des Übereinkommens können die von den Strafverfolgungsbehörden des Bundes geäusserten Anliegen 64 aufgenommen werden.

Von besonderer Bedeutung wird auch hier sein, dass die Vorverlagerung der Strafbarkeit mit der gebotenen Bestimmtheit und mit gebührender Zurückhaltung vorgenommen wird.

57 58

59 60 61 62 63 64

Von solchen Delikten kann angesichts der in Frage stehenden terroristischen Handlungen ausgegangen werden.

Trechsel/Vest, 2013, N 5 zu Art. 260bis. Es handelt sich hierbei insbesondere um die Straftatbestände der vorsätzlichen Tötung, schweren Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Entführung, Geiselnahme, Brandstiftung sowie des Mordes und des Raubs.

Baumgartner, 2013, N 11 zu Art. 260bis.

Art. 24 und 25 StGB Vgl. Trechsel/Vest, 2013, N 8 zu Art. 25. Strafbar ist jedoch die versuchte Anstiftung.

Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht, Anleitung zum Gebrauch von Sprengstoffen und giftigen Gasen.

Art. 258 ff. StGB; als weniger angebracht erscheint eine Einordnung unter die gemeingefährlichen Delikte (Art. 221 ff. StGB).

Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens.

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Das Übereinkommen kriminalisiert, analog zur Rekrutierung, nicht das (passive) Empfangen einer Ausbildung für Terrorismus. Hingegen besteht eine entsprechende Kriminalisierungspflicht in Artikel 3 des Zusatzprotokolls.65 Verschiedene europäische Staaten haben von dieser weitergehenden Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht.

Dänemark, Italien und Österreich haben sowohl das aktive Ausbilden wie auch das passive Ausgebildetwerden explizit in ihre Strafgesetzgebung aufgenommen und unter Strafe gestellt. Österreich bestraft zusätzlich auch das Zurverfügungstellen von anleitenden Informationen sowie das Selbststudium, während sowohl das italienische wie auch das französische Recht die Eigenschulung zu terroristischem Zweck unter Strafe stellen. Die Ausbildung als solche ist in Frankreich hingegen nur strafbar, wenn die Informationen sich auf die Herstellung zerstörerischer Gerätschaften beziehen. In Deutschland schliesslich sind sowohl die aktive wie auch die passive Seite der Ausbildung nur teilweise durch das Strafgesetz geregelt. Es existiert kein einzelner, expliziter Tatbestand. Hingegen gibt es mehrere Straftatbestände, die jeweils Teilbereiche der Strafbarkeit abdecken.66 Die Einführung der Strafbarkeit der Terrorausbildung ist wiederum verbunden mit einer Vorverlagerung der Strafbarkeit. Die Tathandlung ist jedoch, im Gegensatz zur passiven Seite des Rekrutiertwerdens, nicht beschränkt auf einen täterseitigen inneren Entschluss, sondern besteht in einem von aussen erkennbaren Verhalten der Person, die eine terroristische Ausbildung durchläuft.67 Neben diesen objektiven Kriterien kann auch davon ausgegangen werden, dass die betreffende Person sukzessive Hinweise auf die Art und den Inhalt sowie die Ausrichtung und den Zweck der Ausbildung erhält und sich so ein Bild über die Folgen seines Handelns machen kann.68 Es ist davon auszugehen, dass die für Terrorismus ausgebildete Person über ein massgeblich erhöhtes Gefährdungspotenzial verfügt, das den Einsatz des Strafrechts rechtfertigt.

Entsprechend wird vorgeschlagen, zur Umsetzung von Artikel 3 des Zusatzprotokolls und Artikel 7 des Übereinkommens nicht nur das Vermitteln einer terroristischen Ausbildung, sondern auch das Empfangen einer solchen Ausbildung unter Strafe zu stellen.

Art. 8

Unerheblichkeit der tatsächlichen Begehung einer terroristischen Straftat

Es ist gemäss Artikel 8 des Übereinkommens für die Begründung der Strafbarkeit im Sinne der Artikel 5­7 nicht notwendig, dass eine terroristische Handlung tatsächlich begangen wird.

65 66 67 68

Vgl. hierzu Ziff. 2.2.

So z. B. die Agententätigkeit zu Sabotagezwecken oder die Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Im Gebrauch von gefährlichen Substanzen oder Waffen oder im Einsatz von anderen gefährlichen Techniken, vgl. Wortlaut von Art. 7 des Übereinkommens.

Dies im Gegensatz zur passiven Seite des Rekrutiertwerdens.

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Bezüglich der öffentlichen Aufforderung zur Begehung eines Terrorakts69 begründet die Bestimmung keine spezifischen Umsetzungsprobleme. Eine Abdeckung durch das schweizerische Strafrecht besteht unabhängig davon, ob die Haupttat tatsächlich begangen wird. Angesichts der vorgeschlagenen Ausweitung des Strafrechts und der Einführung einer spezifischen Strafbestimmung gegen die Anwerbung und Ausbildung für Terrorismus wird die Strafbarkeit auch hier unabhängig vom Umstand gewährleistet sein, ob ein terroristischer Akt tatsächlich begangen worden ist. Das geltende Recht, zusammen mit den vorgeschlagenen Änderungen, steht damit mit den Anforderungen von Artikel 8 des Übereinkommens im Einklang.

Art. 9

Ergänzende Straftatbestände

Die Vertragsstaaten werden dazu verpflichtet, die Beteiligung als Mittäter oder Mittäterin, Gehilfe oder Gehilfin oder Organisator oder Organisatorin an einer im Übereinkommen genannten Tat unter Strafe zu stellen.70 Ebenso muss, bezüglich der Artikel 6 und 7, die versuchte Tatbegehung strafbar sein.71 Schliesslich ist auch der Tatbeitrag zur Begehung einer strafbaren Handlung gemäss Übereinkommen durch eine Gruppe unter Strafe zu stellen.

Die Strafbarkeit des oder der Teilnehmenden führt bezüglich Artikel 5 des Übereinkommens, der bereits durch einen eigenständigen Tatbestand des schweizerischen Rechts abgedeckt wird,72 zu keinen Schwierigkeiten. Wird zur Umsetzung der Artikel 6 und 7 des Übereinkommens wie vorgeschlagen ein eigener Straftatbestand geschaffen, sind die allgemeinen Regeln des innerstaatlichen Rechts zu Versuch und Teilnahme auch auf diesen anwendbar. Die Anforderungen des Übereinkommens nach Artikel 9 sind somit erfüllt.73 Gemäss Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c muss der Tatbeitrag an die Begehung einer strafbaren Handlung im Sinne des Übereinkommens durch eine Gruppe unter Strafe gestellt werden. Der Beitrag zugunsten der Gruppe muss vorsätzlich erfolgen und entweder den kriminellen Zweck der Gruppe fördern (i) oder im Wissen um das konkrete kriminelle Vorhaben der Gruppe (ii) geleistet werden. 74 Diesem Erfordernis wird durch das geltende Recht und mit den in dieser Vorlage vorgeschlagenen Anpassungen Genüge getan. Schon die geltende Strafbestimmung gegen kriminelle Organisationen75 stellt nicht nur im Kampf gegen mafiöse Strukturen ein effizientes Mittel dar, sondern findet gemäss konstanter Rechtsprechung und Lehre auch auf terroristische Organisationen Anwendung.76 Neben der strafbaren Beteiligung an einer solchen Organisation bestraft das Gesetz auch deren Unterstützung. Als Unterstützung gilt jeder massgebliche Beitrag zur Stärkung der Organisation, jedoch muss 69 70 71 72 73 74

75 76

Art. 5 des Übereinkommens Art. 9 Ziff. 1 Bst. a und b Art. 9 Ziff. 2 Art. 259 StGB Das geltende Recht, ohne ergänzende spezifische Strafbestimmung, würde den Anforderungen von Art. 9 überwiegend, aber nicht lückenlos entsprechen.

Der Regelung liegen die beiden Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die Terrorismusfinanzierung sowie gegen terroristische Bombenanschläge zugrunde, SR 0.353.22 und SR 0.353.21.

Art. 260ter StGB Vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Ziff. 4.1.

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kein Tatbeitrag zu einem konkreten Delikt vorliegen. Die strafbare Unterstützung kann auch in einer an sich neutralen, legalen Tätigkeit bestehen.77 Diese bereits heute breit gefächerte Strafbarkeit der Beteiligung und Unterstützung soll nun ergänzt werden durch eine mit einer massvollen Erweiterung der Strafbarkeit einhergehenden Anpassung des Wortlauts der Strafbestimmung von Artikel 260ter StGB sowie durch die explizite Regelung der Strafbarkeit der Unterstützung und Beteiligung an einer terroristischen Organisation.78 Damit sind die Anforderungen gemäss Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe c des Übereinkommens erfüllt.

Art. 10

Verantwortlichkeit juristischer Personen

Die Vertragsparteien verpflichten sich dazu, die Verantwortlichkeit von juristischen Personen für die Beteiligung an den in der Konvention genannten Straftaten zu gewährleisten. Die Verantwortlichkeit kann strafrechtlicher, zivilrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Art sein und soll der Strafbarkeit einer natürlichen Person, welche die Straftat begangen hat, nicht entgegenstehen.

Zahlreiche internationale Strafrechtsübereinkommen kennen ähnliche, zum Teil identische Regelungen zur Verantwortlichkeit von Unternehmen. So sieht etwa das Strafrechtsübereinkommen [des Europarats] vom 27. Januar 199979 über die Korruption ebenfalls die Verantwortlichkeit für Unternehmen vor, ohne jedoch auf den zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlichen Aspekt einzugehen. Die Staaten müssen sicherstellen, dass auch juristische Personen angemessenen Sanktionen oder Massnahmen, darunter Geldsanktionen, unterliegen.80 Der trotz einer gegenläufigen internationalen Tendenz nach wie vor verbreitete Grundsatz, wonach sich Unternehmen nur beschränkt haftbar machen können, wird durch das Übereinkommen geschützt.

Die strafrechtliche Unternehmenshaftung wurde im Jahr 2003 in das Schweizer Recht eingeführt.81 Eine primäre oder konkurrierende Verantwortlichkeit besteht für gewisse Deliktskategorien, wenn dem Unternehmen vorzuwerfen ist, dass es nicht alles Zumutbare und Erforderliche vorgekehrt hat, um eine solche Straftat zu verhindern.

Die durch die Europaratskonvention umfassten Straftaten fallen teilweise unter die erwähnten Deliktskategorien. Eine primäre Haftbarkeit liegt vor in Fällen von organisierter Kriminalität sowie bei der Finanzierung des Terrorismus. 82 Gleichzeitig wurde eine allgemeine subsidiäre Verantwortlichkeit der juristischen Person für alle Verbrechen und Vergehen in das Schweizer Recht eingeführt. Diese regelt den Fall, dass die Tat im Rahmen des Unternehmenszwecks begangen wurde und wegen mangelhafter Organisation keiner bestimmten Person zugeordnet werden kann. Die Strafe ist Busse bis fünf Millionen Franken.

77 78 79 80 81 82

Z. B. das Erbringen einer IT-Dienstleistung für eine Gruppierung im Wissen um deren deliktische Ausrichtung.

Vgl. hierzu Ziff. 4.

SR 0.311.55, SEV 173, Art. 18 Vgl. Art. 11 des Übereinkommens.

Art. 102 StGB Art. 260ter und 260quinquies StGB

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Neben der strafrechtlichen Haftung stehen im schweizerischen Recht das Instrument der verwaltungsrechtlichen Haftung und die entsprechenden Sanktionen zur Verfügung, beispielsweise der Entzug einer Bewilligung oder die Verweigerung der Zulassung einer Unternehmung in einem Marktsegment oder Tätigkeitsbereich. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht kann beispielsweise einer Bank, welche die Voraussetzungen der Bewilligung nicht mehr erfüllt oder ihre gesetzlichen Pflichten grob verletzt, die Bewilligung zur Geschäftstätigkeit entziehen. 83 Daneben können Personenverbindungen und Anstalten mit widerrechtlichem Zweck das Recht der Persönlichkeit nicht erlangen. Entsprechend sind sie aufzuheben, und ihr Vermögen fällt dem Gemeinwesen zu.84 Bestehen Mängel in der Organisation einer Gesellschaft und werden diese innert Frist nicht behoben, so kann das Gericht die Gesellschaft auflösen.85 Schliesslich stehen zivilrechtliche Mittel zur Verfügung, damit Unternehmen, zu deren Gunsten ein leitender Angestellter oder eine leitende Angestellte Straftaten verübt oder seine oder ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt hat, für den eingetretenen Schaden haftbar gemacht werden können.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das schweizerische Recht den Anforderungen von Artikel 10 des Übereinkommens genügt. Neben der allgemein gültigen subsidiären Haftbarkeit ist die primäre Unternehmenshaftung anwendbar auf Delikte im Zusammenhang mit einer kriminellen Organisation sowie auf den Tatbestand der Terrorfinanzierung. Es besteht weder eine rechtliche noch eine praktische Notwendigkeit, diesen Katalog der die primäre Unternehmenshaftung auslösenden Tatbestände zu erweitern.86 Straftaten wie Rekrutierung oder Ausbildung zu Terrorismus sind denn auch kaum dazu geeignet, in herkömmlichen Unternehmen begangen zu werden, womit eine Aufnahme in den Gesetzeskatalog keine praktischen Folgen für die Rechtsanwendung hätte.

Daneben stehen im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung auch die im Übereinkommen vorgesehenen zivil- und verwaltungsrechtlichen Mittel zur Verfügung.

Art. 11

Sanktionen und Massnahmen

Die Vertragsstaaten werden dazu verpflichtet, Straftaten im Sinne des Übereinkommens mit angemessenen, wirksamen und abschreckenden Sanktionen zu ahnden.

Das geltende schweizerische Recht entspricht diesem Erfordernis, indem die einschlägigen Handlungen mit Freiheitsstrafe bedroht sind. Gemäss Artikel 11 Absatz 3 sollen auch juristische Personen angemessenen Sanktionen oder Massnahmen, die strafrechtlicher oder anderer Natur sein können und auch Geldstrafen umfassen, unterliegen. Das schweizerische Recht genügt diesen Anforderungen.

83 84 85 86

Art. 23quinquies des Bankengesetzes vom 8. November 1934, SR 952.0.

Art. 52 und 57 ZGB, SR 210 Art. 731b OR, SR 220 Eine solche Ergänzung wurde im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens nur vereinzelt angeregt.

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Art. 12

Bedingungen und Garantien

Die Bestimmung verpflichtet die Staaten zur Wahrung der Menschenrechte87 und statuiert die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit88 bei der Kriminalisierung und Prävention gemäss Übereinkommen. Dem Aspekt der Wahrung der Prinzipien der Notwendigkeit und der Verhältnismässigkeit wird insbesondere bei der Umsetzung der Bestimmungen nach den Artikeln 6 und 7 des Übereinkommens Nachachtung verschafft, indem die neu vorgeschlagenen Strafbestimmungen eine klar definierte und nicht unverhältnismässig ins Vorfeld eingreifende Strafbarkeit begründen.

Art. 13

Schutz, Entschädigung und Unterstützung für Opfer des Terrorismus

Die Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten zur Ergreifung von Massnahmen zum Schutz und zur Unterstützung der Opfer von Terrorismus. Zu den Massnahmen können finanzielle Unterstützung und die Leistung von Entschädigung gehören.

Wer durch eine in der Schweiz begangene Straftat in seiner körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist, hat nach dem Opferhilfegesetz vom 23. März 200789 (OHG) Anspruch auf Opferhilfe. Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob der Täter oder die Täterin ermittelt wurde.

Auch die Angehörigen haben Anspruch auf Opferhilfe. 90 Das Gesetz wird von den Kantonen vollzogen. Bei ausserordentlichen Ereignissen kann der Bund die Zusammenarbeit koordinieren und dem betroffenen Kanton Abgeltungen gewähren. 91 Die Hilfe umfasst Beratung, Soforthilfe und längerfristige Hilfe, Kostenbeiträge für längerfristige Hilfe Dritter sowie Entschädigung und Genugtuung.92 Die Vorgaben von Artikel 13 des Übereinkommens sind damit erfüllt.

Art. 14

Gerichtsbarkeit

Jeder Vertragsstaat wird verpflichtet, die Gerichtsbarkeit über die Straftaten gemäss Übereinkommen zu begründen, wenn die Tat in seinem Hoheitsgebiet oder an Bord eines unter seiner Flagge registrierten Luftfahrzeugs oder Schiffes begangen wird oder wenn die Straftat durch einen Staatsangehörigen oder eine Staatsangehörige begangen wird.

Diese Regelungen über die Gerichtsbarkeit entsprechen dem geltenden Schweizer Recht und werden durch das Territorialitätsprinzip, das Flaggenprinzip sowie das aktive Personalitätsprinzip wiedergegeben.93 Letzteres findet bei Auslandtaten An-

87 88 89 90 91 92 93

Abs. 1 Abs. 2, vgl. auch Ziff. 150 f. EB.

SR 312.5 Art. 1 OHG Art. 32 OHG Art. 2 OHG Art. 3 StGB (in Verbindung mit Art. 97 des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 1948 [SR 748.0] und Art. 4 des Seeschifffahrtsgesetzes vom 23. September 1953 [SR 747.30]).

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wendung unter der Voraussetzung, dass die Tat auch am Begehungsort strafbar ist. 94 Das Übereinkommen sieht eine solche Einschränkung auf am Tatort strafbare Verhaltensweisen aber nicht vor. Der Gesetzgeber hat jedoch bereits heute im Bereich der hier relevanten Delikte auf das Prinzip der doppelten Strafbarkeit verzichtet, 95 und es wird auch bezüglich der neuen Strafbestimmungen gegen die Rekrutierung, die Ausbildung und das Reisen für Terrorismus vorgeschlagen,96 auf das strikte Kriterium der Strafbarkeit am Begehungsort zu verzichten. Das Schweizer Gericht wird damit für im Ausland begangene Taten im Sinne des Übereinkommens zuständig sein, wenn der Täter oder die Täterin sich in der Schweiz befindet oder wenn das Gewaltverbrechen gegen unser Land begangen werden soll. Entsprechend kann die Schweiz darauf verzichten, an dieser Stelle einen Vorbehalt anzubringen.

Die Vertragsstaaten haben des Weiteren gemäss Übereinkommen 97 die Möglichkeit, ihre Gerichtsbarkeit auch in anderen Fällen zu begründen, etwa wenn die Straftat von einer staatenlosen Person begangen wird, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet hat. Das geltende Schweizer Recht kennt diese fakultativen Zuständigkeitsregelungen zumindest teilweise.98 Die Begründung der Gerichtsbarkeit über die im Übereinkommen genannten Straftaten für den Fall, dass sich die verdächtige Person auf Schweizer Hoheitsgebiet befindet und nicht ausgeliefert wird, ist kein Novum. Verschiedene Übereinkünfte, namentlich solche gegen den Terrorismus, umfassen bereits die Pflicht, in Anwendung des Grundsatzes «aut dedere aut iudicare» (entweder ausliefern oder verfolgen) entweder ein Auslieferungsverfahren einzuleiten oder die Strafverfolgung aufzunehmen. In diesem Sinne weist Artikel 14 Absatz 3 eine Verbindung zu Artikel 18 des Übereinkommens auf, in dem der Grundsatz «ausliefern oder verfolgen» verankert ist.99 Art. 15

Ermittlungspflicht

Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, im Fall der geltend gemachten Anwesenheit eines Straftäters oder einer Straftäterin auf ihrem Hoheitsgebiet den Sachverhalt zu untersuchen und gegebenenfalls die Anwesenheit der Person zum Zweck der Strafuntersuchung oder der Auslieferung sicherzustellen. Artikel 15 Absatz 1 sieht 94 95 96 97 98 99

Prinzip der doppelten Strafbarkeit, Art. 7 Abs. 1 Bst. a StGB. Der Strafbarkeit am Begehungsort gleichgestellt ist die Situation, wo dieser Ort keiner Strafgewalt unterliegt.

Vgl. bspw. Art. 5, 185 oder 264m StGB.

Vgl. Ziff. 4.2.

Jedoch keine vertragliche Verpflichtung, Art. 14 Abs. 2.

Art. 4, 6 und 7 StGB Der Verweis auf die Ausführungen zu Artikel 18 gilt insbesondere a) in Bezug auf den Bedarf der Schweiz an Informationen des ersuchenden Staates, wenn die Schweiz ein Auslieferungsverfahren einleitet sowie wenn sie die Strafverfolgung aufnimmt; b) wenn die auszuliefernde Person die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt und der Auslieferung nicht im Sinne von Artikel 7 IRSG zustimmt; c) wenn die Einhaltung der Mindeststandards gemäss der Europäischen Menschenrechtskonvention oder dem Internationalen Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (SR 0.103.2) nicht gewährleistet ist; d) in Bezug auf die Tatsache, dass die Schweiz auch ohne Übereinkommen auf Ersuchen des Tatortstaate an dessen Stelle die Strafgewalt ausüben kann, wenn die Auslieferung nicht zulässig ist (stellvertretende Strafverfolgung nach Art. 85 ff. IRSG).

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eine Untersuchungspflicht vor für den Fall, dass in einem Vertragsstaat Informationen ­ in der Regel via Interpol ­ über eine Person eintreffen, die sich an einer Straftat im Sinne des Übereinkommens beteiligt hat oder dieser verdächtigt wird.

Absatz 2 umschreibt Massnahmen, um die Anwesenheit des Täters oder der Täterin oder der einer Straftat im Sinne des Übereinkommens verdächtigen Person bis zur Verfolgung oder Auslieferung zu sichern. Verhängte staatliche Massnahmen dienen insbesondere dazu, die Flucht der betreffenden Person zu verhindern. Die Schweiz erfüllt diese Voraussetzungen. Im Auslieferungsverfahren gilt die innerstaatliche Regel, wonach die betreffende Person grundsätzlich in Haft zu halten ist.100 Art. 16

Nichtanwendbarkeit des Übereinkommens

Artikel 16 schränkt den sachlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens ein, sobald ein Bezug zum Ausland fehlt. Das Übereinkommen findet, insbesondere bezüglich Rechtshilfe und Auslieferung, 101 keine Anwendung, wenn die Straftat in einem einzigen Land begangen wird, die verdächtige Person Angehörige dieses Staates ist und sie sich im Hoheitsgebiet desselben Staates befindet und kein anderer Staat seine Zuständigkeit102 begründen kann.

Art. 17

Internationale Zusammenarbeit in Strafsachen

Dieser Artikel betrifft die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen103 bei Ermittlungen und Verfahren zu Straftaten, die vom Übereinkommen erfasst sind. Nach Artikel 17 Absatz 1 gewähren die Staaten einander bei strafrechtlichen Ermittlungen sowie Verfahren bezüglich der im Übereinkommen genannten Straftaten weitestgehend Hilfe. Diese Pflicht ist in praktisch sämtlichen multilateralen und bilateralen völkerrechtlichen Instrumenten zur Rechtshilfe in Strafsachen sowie zur Auslieferung verankert.

In Artikel 17 Absatz 2 ist nach dem völkerrechtlichen Grundsatz «pacta sunt servanda»104 festgehalten, dass die Vertragsparteien in Anwendung der zwischen ihnen bestehenden Verträge sowie nach ihrem innerstaatlichen Recht zusammenarbeiten.

In der Schweiz ist die Zusammenarbeit gestützt auf das IRSG105 bereits ohne Vertrag möglich, dies namentlich im Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen und der Auslieferung.

100 101 102 103

Art. 47 ff. IRSG und insb. BGE 111 IV 108.

Ziff. 183 EB Nach Art. 14 Abs. 1 oder 2.

Im Sinne des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.1) und, für die Schweiz, des entsprechenden Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (SR 0.351.12), des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (SR 0.353.1) und der entsprechenden vier Zusatzprotokolle (SR 0.353.11; SR 0.353.12; SR 0.353.13 und SR 0.353.14) sowie der multilateralen und bilateralen Abkommen zur Rechtshilfe in Strafsachen und zur Auslieferung zwischen den Vertragsparteien.

104 Verträge sind einzuhalten.

105 Art. 1 IRSG

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Artikel 17 Absatz 3 bezieht sich auf die Rechtshilfe auf dem Gebiet der Straftaten, für die nach Artikel 10 des Übereinkommens eine juristische Person verantwortlich gemacht werden kann. Die Schweiz kooperiert gemäss ständiger Rechtsprechung auch auf diesem Gebiet. Dies insbesondere dann, wenn die schweizerischen Vollzugsbehörden im Falle von Hausdurchsuchungen, Kontosperren, Beschlagnahmen von Unterlagen, Einziehungsbeschlagnahmen von Gegenständen oder Vermögenswerten und erhobenen Informationen über die Herausgabe an die ausländischen Behörden entscheiden müssen.106 Die Schweiz erfüllt demnach die im Übereinkommen statuierten Pflichten.

Gemäss Artikel 17 Absatz 4 des Übereinkommens können zusätzliche Mechanismen erwogen werden, um Informationen oder Beweismittel zu teilen. Die Schweiz verfügt auf Grundlage völkerrechtlicher Instrumente107 und gemäss innerstaatlichem Recht108 bereits über die Möglichkeit, Beweismittel und Informationen unter bestimmten Voraussetzungen unaufgefordert zu übermitteln. So kann eine schweizerische Strafverfolgungsbehörde Beweismittel, die sie für ihre eigene Strafuntersuchung erhoben hat, unaufgefordert an eine ausländische Strafverfolgungsbehörde übermitteln, wenn diese Übermittlung aus ihrer Sicht für die Einleitung eines Strafverfahrens oder die Erleichterung einer hängigen Strafuntersuchung geeignet ist.

Auch die neuen Artikel 80d bis E-IRSG zur vorzeitigen Übermittlung von Informationen und Beweismitteln sowie 80d ter­80d duodecies E-IRSG zur Errichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen begründen solche Mechanismen. Sie tragen zur Modernisierung der internationalen Strafrechtshilfe der Schweiz bei und steigern deren Effizienz.

Art. 18

Auslieferung oder Strafverfolgung

In Artikel 18 Absatz 1 wird auf Artikel 14 Absatz 3 verwiesen und der international gefestigte Grundsatz «aut dedere aut iudicare» verankert, wonach der ersuchte Staat entweder ein Auslieferungsverfahren einleiten109 oder die Strafverfolgung aufnehmen muss, wenn er die verdächtige Person nicht ausliefert. Wenn die Schweiz um Auslieferung ersucht wird, benötigt sie in beiden Fällen Informationen, ob sie nun ein Auslieferungsverfahren einleitet110 oder die Auslieferung ablehnt und die Strafverfolgung aufnimmt.111 106 107

108 109 110

111

Siehe namentlich BGE 137 IV 134; 133 IV 40; 129 II 269 E. 2; 116 Ib 456 E. 3b oder 107 Ib 260 E. 2c.

Z. B. Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 15. November 2000 gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (SR 0.311.54) oder Art. 49 des Übereinkommens vom 31. Oktober 2003 der Vereinten Nationen gegen Korruption (SR 0.311.56).

Art. 67a IRSG Art. 47 ff. IRSG Die Schweiz handelt in Einklang mit völkerrechtlichen Abkommen (z. B. Art. 12 ff.

des Europäischen Auslieferungsübereinkommens) und Art. 32 ff. IRSG, insbesondere Art. 28 Abs. 3 und 41 IRSG.

In diesem Fall muss die ausländische Behörde ein Strafverfolgungsersuchen einreichen und insbesondere die Strafakten und die vorhandenen Beweismittel dem Bundesamt für Justiz übermitteln. Dieses leitet das Ersuchen sowie die Akten zur Untersuchung des ersuchenden Staates an die zuständige Schweizer Behörde weiter. Die Strafverfolgung erfolgt gemäss den in der Schweiz geltenden Vorschriften.

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Eine Auslieferung ist nicht möglich, wenn die gesuchte Person Schweizer Bürgerin ist und der Auslieferung nicht zustimmt112 oder wenn nicht gewährleistet ist, dass die Mindeststandards zum Schutz der individuellen Rechte eingehalten werden, die nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gelten.113 Die Pflicht zur Strafverfolgung von verdächtigen Personen, die nicht ausgeliefert werden, ist für die Schweiz nicht neu. Auch ohne das Übereinkommen kann die Schweiz auf Ersuchen des Staates, in dem die Tat begangen worden ist, an dessen Stelle die Strafgewalt ausüben, wenn die Auslieferung nicht zulässig oder angezeigt ist.114 Artikel 18 Absatz 2 des Übereinkommens bezieht sich auf die Fälle, in denen die Vertragspartei eigene Staatsangehörige nach innerstaatlichem Recht nur unter der Bedingung ausliefert oder überstellt, «dass die betreffende Person ihr rücküberstellt wird, um die Strafe zu verbüssen, die als Ergebnis des Gerichts- oder anderen Verfahrens verhängt wird, dessentwegen um ihre Auslieferung oder Überstellung ersucht wurde». Diese Bestimmung gilt für die Schweiz nicht, da Artikel 7 IRSG die Auslieferung eigener Staatsangehöriger regelt. Diese müssen ihre schriftliche Zustimmung geben, die bis zur Anordnung der Übergabe widerrufen werden kann.

Ohne Zustimmung der Person wird in Einklang mit Artikel 18 Absatz 1 des Übereinkommens die Strafverfolgung aufgenommen.

Art. 19

Auslieferung

Artikel 19 Absatz 1 ist eine übliche Klausel, die in zahlreichen Instrumenten zur Bekämpfung des Terrorismus und der internationalen Kriminalität enthalten ist.

Nach dieser Bestimmung sind die Vertragsparteien verpflichtet, Straftaten im Sinne des Übereinkommens als Straftaten zu betrachten, die gemäss den bestehenden Auslieferungsverträgen der Auslieferung unterliegen.

Die Kann-Bestimmung nach Artikel 19 Absatz 2 ist für die Schweiz nicht relevant, da sie gestützt auf innerstaatliches Recht115 unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen bereits ohne Vertrag ausliefern kann.

Artikel 19 Absatz 3 fordert von den Vertragsparteien, die die Auslieferung nicht vom Bestehen eines Vertrags abhängig machen, die im Übereinkommen genannten Straftaten vorbehaltlich der im Recht der ersuchten Vertragspartei vorgesehenen Bedingungen unter sich als der Auslieferung unterliegende Straftaten anzuerkennen.

In der Schweiz regelt das IRSG das Auslieferungsverfahren und unterstellt dieses verschiedenen Bedingungen wie einer Mindeststrafe, der beidseitigen Strafbarkeit sowie der Einhaltung der durch die EMRK und den UNO-Pakt II gewährten Garantien.116

112 113 114 115 116

Art. 7 Abs. 1 IRSG Namentlich BGE 124 II 132 E. 3a.

Stellvertretende Strafverfolgung nach Art. 85 ff. IRSG.

Art. 32 ff. IRSG Art. 2 sowie 32 ff. IRSG.

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Artikel 19 Absatz 4 betrifft die Gerichtsbarkeit117 und stellt eine Formulierung dar, die auch in verschiedenen anderen völkerrechtlichen Instrumenten enthalten ist 118 und mit der die Zusammenarbeit erleichtert werden soll mit dem Ziel, dass der Täter oder die Täterin einer im Übereinkommen genannten Straftat sich nicht der Strafverfolgung entziehen kann.

Artikel 19 Absatz 5 steht in Verbindung mit Artikel 26 Absatz 2. Er entspricht der Praxis, die in verschiedenen völkerrechtlichen Vertragswerken zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit im Bereich der terroristischen Straftaten entwickelt worden ist. Folge dieser Regelung ist, dass Artikel 3 Absatz 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens sowie andere Verträge, die nicht mit dem vorliegenden Übereinkommen übereinstimmen, namentlich bilaterale Verträge, entsprechend ausgelegt werden. Die Schweiz nimmt diese Anpassungen seit vielen Jahren vor.

Art. 20

Ausschluss der Ausnahmeregelung für politische Straftaten

Artikel 20 regelt die «Entpolitisierung» der terroristischen Straftaten nach dem Übereinkommen in Bezug auf die Rechtshilfe und die Auslieferung. Diese Klausel folgt einem Trend, der mit der Verabschiedung des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977119 zur Bekämpfung des Terrorismus im Januar 1977 begonnen hat. Die Vereinten Nationen sind dieser Stossrichtung in späteren Übereinkünften zur Terrorismusbekämpfung gefolgt.120 Terroristische Straftaten wiegen derart schwer, dass die Auslieferung bzw. Rechtshilfe zwischen den Staaten nicht mit dem Argument einer «politischen Straftat» verhindert werden soll. Bei solchen Verbrechen müssen die Staaten stärker zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen, um durch eine rasche und wirksame Kooperation die terroristische Bedrohung gering zu halten.

Durch die vorliegende Bestimmung werden die geltenden Rechtshilfe- und Auslieferungsinstrumente in Bezug auf die Einstufung der vom Übereinkommen erfassten Straftaten geändert. Im innerstaatlichen Recht ist die «Entpolitisierung» bestimmter schwerer Straftaten bereits in Artikel 3 Absatz 2 IRSG verankert.121 Es finden ver-

117 118

Art. 14 des Übereinkommens.

Namentlich in Art. 11 Abs. 4 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus (SR 0.353.22) oder Art. 13 Abs. 4 des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung nuklearterroristischer Handlungen (SR 0.353.23).

119 SR 0.353.3 120 Namentlich das Internationale Übereinkommen gegen die Finanzierung des Terrorismus und das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge enthalten eine solche Regelung. Siehe ebenfalls Art. 3 Abs. 2 des Auslieferungsvertrags vom 14. November 1990 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika (SR 0.353.933.6).

121 Artikel 20 geht zwar über den Gehalt von Artikel 3 Absatz 2 IRSG hinaus, da er das auf Artikel 3 Absatz 1 IRSG gestützte Ermessen des Bundesgerichts namentlich im Bereich der Auslieferung einschränkt, wenn die Person, die ausgeliefert werden soll, geltend macht, dass sie aus politischen Gründen verfolgt wird.

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schiedene Grundsätze der Zusammenarbeit Anwendung; eine solche Regelung entspricht dem Schweizer Recht.122 In Artikel 20 Absätze 2­6 wird geregelt, unter welchen Bedingungen und wie Vorbehalte angebracht werden können. Die Schweiz macht von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch. Bei Handlungen, die in den von der Schweiz ratifizierten Übereinkünften der Vereinten Nationen «entpolitisiert» werden, beruft sich diese schon seit Längerem nicht auf die Ausnahmeregelung für politische Straftaten. Im Übrigen kann ein Staat, der einen Vorbehalt angebracht hat, nach Artikel 20 Absatz 4 nicht verlangen, dass die anderen Staaten die Ausnahmeregelung auf ihn nicht anwenden.

Art. 21

Diskriminierungsklausel

Artikel 21 ist eine obligatorische Klausel zum Diskriminierungsverbot. Damit soll vermieden werden, dass eine Person unter Vorgabe anderer Gründe wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Anschauungen verfolgt wird. Diese Bestimmung ist auch Teil anderer völkerrechtlicher Übereinkünfte123 und soll verhindern, dass der ersuchte Staat kooperiert, wenn einer der Diskriminierungsgründe nach Artikel 21 vorliegt. Es geht darum, der verfolgten Person einen Schutz in Einklang mit den rechtlichen Mindeststandards124 demokratischer Staaten zu gewährleisten und sich so vor missbräuchlichen Ersuchen zu schützen.

Das Besondere an Artikel 21 ist, dass das Ersuchen nicht hinsichtlich der Art der Tat geprüft wird, sondern hinsichtlich des Motivs des Ersuchens. So kann die betroffene Person gegenüber dem ersuchten Staat geltend machen, nicht mit dem ersuchenden Staat zusammenzuarbeiten, wenn dieser die eigentlichen Beweggründe für das Ersuchen verheimlicht. Dies ist häufig schwer nachzuweisen, wenn das Regime des ersuchenden Staates nicht die Merkmale einer Gewaltherrschaft aufweist.

Wenn die betreffende Person nicht ausgeliefert wird, nimmt die Schweiz in Anwendung von Artikel 18 des Übereinkommens allerdings die Strafverfolgung selber auf.

Andererseits beachtet die Schweiz in ihrer Rechtsordnung unter bestimmten Voraussetzungen verschiedene Grundsätze wie namentlich das Recht auf Asyl 125 und das Non-Refoulement-Gebot. Sie überprüft ferner, ob einer Person Folter oder die

122

Art. 1 IRSG, nach dem das Völkerrecht vorbehalten ist. Siehe ebenfalls BGE 122 II 485, in dem der Grundsatz des Vorrangs des Völkerrechts im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen statuiert wird (das Völkerrecht geht innerstaatlichem Recht vor, ausser wenn dieses für die Zusammenarbeit günstiger ist als der völkerrechtliche Vertrag), den Zusatzbericht des Bundesrats zu seinem Bericht vom 5. März 2010 über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht (BBl 2011 3613) sowie R. Zimmermann, «La coopération judiciaire internationale en matière pénale», vierte Auflage 2014, S. 233­234.

123 Namentlich Art. 3 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, Art. 5 des Europäischen Übereinkommens zur Bekämpfung des Terrorismus oder Art. 16 Abs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität.

124 Im Sinne des UNO-Pakts II und der EMRK.

125 Art. 55a IRSG regelt die Koordination zwischen dem Auslieferungs- und dem Asylverfahren.

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Todesstrafe droht ­ Gefahren, die im Übrigen auch im Rahmen des Europarats bekämpft werden.

Art. 22

Unaufgeforderte Übermittlung von Informationen

In Artikel 22 wird statuiert, dass die Vertragsparteien Informationen, die sie bei ihren Ermittlungen gewonnen haben, unaufgefordert übermitteln können, wenn diese der empfangenden Vertragspartei helfen können, das gemeinsame Ziel der Kriminalitätsbekämpfung besser zu erreichen. Die Bestimmung ist namentlich an Artikel 11 des Zweiten Zusatzprotokolls vom 8. November 2001126 zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen angelehnt und betrifft die Rechtshilfe allgemein.127 Dies entspricht der generellen Tendenz bei der Bekämpfung der Geldwäscherei, des organisierten Verbrechens, der Cyberkriminalität und der Korruption. Demnach können sich die Vertragsparteien ohne vorheriges Ersuchen Informationen über Ermittlungen oder Verfahren mitteilen. Das schweizerische Recht kennt bereits eine solche Bestimmung: Artikel 67a IRSG regelt die unaufgeforderte Übermittlung von Beweismitteln und Informationen sowie die dafür geltenden Bedingungen und Schranken.

Für die Schweiz ist wichtig, dass für die Übermittlung der Informationen Bedingungen gestellt werden können. Dies ist in Artikel 22 Absatz 2 denn auch festgehalten.

Nach Artikel 22 Absatz 3 ist der Staat, der die Informationen empfängt, an diese Bedingungen gebunden. Für die unaufgeforderte Übermittlung und die damit verbundenen Bedingungen gilt somit der Grundsatz «alles oder nichts»: Entweder hält sich der empfangende Staat an die Bedingungen oder er darf die übermittelten Informationen nicht verwenden. Es ist jedoch zu präzisieren, dass die Behörden in bestimmten Staaten aufgrund des innerstaatlichen Rechts zum Handeln verpflichtet sind, wenn sie Zugang zu Informationen haben. Diese Länder können sich auf Artikel 22 Absatz 4 berufen, wonach sie erklären können, dass es für die Übermittlung von Informationen ihrer Zustimmung bedarf. Die Schweiz muss folglich beachten, welche Staaten128 eine Erklärung nach Artikel 22 Absatz 4 des Übereinkommens abgeben.129 Wie bei Artikel 22 des Übereinkommens besteht der Zweck der neuen Artikel 80d bis E-IRSG zur vorzeitigen Übermittlung von Informationen und Beweismitteln sowie 80d ter­80d duodecies E-IRSG zur Errichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen darin, die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Staaten zu beschleunigen und effizienter zu gestalten.

126 127 128

SR 0.351.12 Siehe die Erläuterungen zu Artikel 17 des Übereinkommens.

Zum Zweiten Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen haben unter anderem Belgien, Deutschland, Norwegen, die Ukraine und das Vereinigte Königreich eine Erklärung abgegeben.

129 In einer allfälligen Erklärung behält sich der betreffende Staat vor, nicht an die Bedingungen der anderen Vertragsparteien gebunden zu sein (und nicht, dass die Informationen, die seine Behörden übermitteln, einer oder mehreren Bedingungen unterliegen, wie dies bei der Schweiz in Anwendung des Grundsatzes der Spezialität der Fall ist).

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Art. 23

Unterzeichnung und Inkrafttreten

Das Übereinkommen kann von Mitgliedstaaten des Europarats, von der Europäischen Union und von an der Ausarbeitung beteiligten Staaten unterzeichnet werden.130 Die Bestimmungen über das Inkrafttreten entsprechen dem üblichen Wortlaut von Übereinkommen des Europarats. Das Übereinkommen ist entsprechend nach Ratifikation durch den sechsten Staat am 1. Juni 2007 in Kraft getreten.131 Für die Schweiz wird das Übereinkommen am ersten Monatsanfang nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch unser Land in Kraft treten.

Art. 24

Beitritt zum Übereinkommen

Das Ministerkomitee des Europararats kann, unter einhelliger Zustimmung der Vertragsstaaten, weitere Staaten zum Beitritt zum Übereinkommen einladen. Von dieser Möglichkeit wurde bisher im vorliegenden Übereinkommen noch nicht Gebrauch gemacht; bei den Vertragsstaaten handelt es sich bisher ausschliesslich um Mitgliedstaaten des Europarats.

Weitere Schlussbestimmungen (Art. 25­32 sowie Anhang) Die Schlussbestimmungen entsprechen den üblichen Formulierungen in Übereinkommen des Europarats und betreffen den räumlichen Geltungsbereich, die Wirkungen des Übereinkommens, allfällige Änderungen des Übereinkommens 132, die Überarbeitung des Anhangs133, die Beilegung von Streitigkeiten 134, Konsultationen zwischen Vertragsparteien, die Kündigung des Vertrags sowie Notifikationen.

Die zuständige Expertengruppe des Europarats hat im Jahre 2010, unter Vorsitz der Schweiz, den Überprüfungsmechanismus für das Übereinkommen beschlossen. Der Mechanismus führt mit seinen jährlich zwei Sitzungen 135 der Mitgliedstaaten und einem System von schriftlichen, themenbezogenen Beiträgen der Staaten zu keinem nennenswerten Mehraufwand.

130 131 132 133

134 135

Als Nichtmitgliedstaaten des Europarats sind aufgeführt: Heiliger Stuhl, Kanada, Japan, Vereinigte Staaten und Mexiko; vgl. Ziff. 249 EB.

Siehe Ziff. 1.1.

Solche Änderungen wurden bisher nicht vorgenommen, und es sind auch keine entsprechenden Arbeiten im Hinblick auf eine Änderung absehbar.

Gemäss Art. 28 kann die im Anhang zur Konvention aufgeführte Liste von Anti-TerrorÜbereinkommen mittels Mehrheitsbeschluss (Möglichkeit des Widerspruchs durch einzelne Vertragsstaaten) abgeändert oder ergänzt werden. Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 1 des Übereinkommens.

Es wurde bisher kein Streitbeilegungsmechanismus aktiviert.

Die Sitzungen finden jeweils direkt im Vorfeld der Sitzungen der Expertengruppe CODEXTER (heute CDCT) statt.

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2.2

Die Bestimmungen des Zusatzprotokolls

Art. 1

Zweck

Der Zweckartikel orientiert sich massgeblich am zugrundeliegenden Übereinkommen und gibt punkto Umsetzungsbedarf ins innerstaatliche Recht nicht zu weiteren Bemerkungen Anlass.

Art. 2

Beteiligung an einer Vereinigung oder einer Gruppe für terroristische Zwecke

Diese Bestimmung verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, die Beteiligung an einer Vereinigung oder einer Gruppierung mit dem Ziel, an einer terroristischen Straftat dieser Vereinigung oder Gruppe mitzuwirken, zu bestrafen. Von der Strafbarerklärung des Versuchs, der Gehilfenschaft und der Anstiftung136 wurde angesichts der bereits bestehenden Vorverlagerung der Strafbarkeit und im Interesse einer genügenden Bestimmtheit der Normen und Beweisbarkeit eines Verhaltens abgesehen.

Im Rahmen der Verhandlungen wurde diskutiert, Artikel 6 des zugrundeliegenden Übereinkommens137 mittels Zusatzprotokoll auf passive Verhaltensweisen auszudehnen. Rasch wurde jedoch klar, dass die Mehrheit der Staaten den Vorgang des Angeworbenwerdens für Terrorismus als rein inneren Vorgang und damit nicht als genügend bestimmbar und strafwürdig erachtet. Entsprechend wurde entschieden, auf ein konkretes Verhalten abzustellen und die Mitwirkung in einer Vereinigung oder Gruppe als bestrafungswürdigen Sachverhalt zu definieren, womit den Kriterien der Bestimmbarkeit und Erkennbarkeit gegen aussen Genüge getan werden konnte.

Die vorliegend inkriminierte Verhaltensweise dürfte bereits unter dem geltenden innerstaatlichen Recht fast aller Mitgliedstaaten des Europarats strafbar sein, so auch in der Schweiz. Artikel 260ter StGB umfasst die Unterstützung sowie die Beteiligung an einer kriminellen Organisation, wobei gemäss Lehre und konstanter Rechtsprechung auch terroristische Organisationen unter den Anwendungsbereich des Straftatbestands fallen138. Abhängig vom konkreten Tatbeitrag ist jeweils auch eine strafbare Vorbereitung139 zu einer terroristischen Handlung oder eine entsprechende Haupttat, der Versuch140 hierzu oder eine strafbare Teilnahmehandlung141 zu prüfen.

Bezüglich der verbotenen Gruppierungen Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen findet die Strafbestimmung von Artikel 2 des entsprechenden Bundesgesetzes142 Anwendung.

Im Hinblick auf die Umsetzung von Artikel 2 des Zusatzprotokolls ergibt sich kein Anpassungsbedarf im geltenden schweizerischen Recht.

136 137 138 139 140 141 142

Vgl. Art. 9 des Zusatzprotokolls.

Anwerbung für terroristische Zwecke, siehe vorne.

Vgl. Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens.

Art. 260bis StGB Art. 22 StGB Art. 24 oder 25 StGB SR 122; vgl. auch die Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens.

6461

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Art. 3

Erhalt einer Ausbildung für terroristische Zwecke

Artikel 3 des Zusatzprotokolls verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, den Erhalt einer Ausbildung in der Herstellung oder im Gebrauch von Sprengstoffen, Waffen oder gefährlichen Stoffen sowie einer Ausbildung in anderen spezifischen Methoden oder Verfahren, jeweils mit dem Ziel, einen Terrorakt zu begehen oder zu einem solchen beizutragen, unter Strafe zu stellen.

Die Bestimmung stellt damit das passive Gegenstück zu Artikel 7 des zugrundliegenden Übereinkommens dar, der die aktive Ausbildung unter Strafe stellt. 143 Auch vorliegend wird, wie bei Artikel 2 des Zusatzprotokolls, auf die Erforderlichkeit der Strafbarkeit von Teilnahmehandlungen verzichtet.

Soweit der Bezug zu einer Gruppierung mit terroristischer Zielsetzung besteht, können der Tatbestand der kriminellen Organisation oder die Strafbestimmung von Artikel 2 des Bundesgesetzes gegen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen Anwendung finden. Geht es um die Instruktion für ein genügend spezifizierbares Gewaltverbrechen, ist das Vorliegen einer strafbaren Vorbereitungshandlung144 oder eine ebenfalls strafbare Anstiftung oder andere Teilnahme 145 zu prüfen. Geschieht der Erhalt der Ausbildung jedoch ohne Konnex zu einem geplanten Terrorakt oder zu einer Gruppierung oder Vereinigung, liegt grundsätzlich kein nach Schweizer Recht strafbares Verhalten vor.146 Daher wird, wie bereits im Rahmen der Ausführungen zu Artikel 7 des Übereinkommens ausgeführt, die Schaffung einer Strafbestimmung vorgeschlagen, die auch den Erhalt einer Ausbildung für terroristische Zwecke ausdrücklich unter Strafe stellt.147 Die Tathandlung besteht in einem von aussen erkennbaren Verhalten der betreffenden Person. Bei der konkreten Umsetzung ins schweizerische Recht kann der Tatbestand mit den Erfordernissen des zugrundeliegenden Übereinkommens abgestimmt und können die entsprechenden Regelungen bezüglich der Ausbildung und des Erhalts der Ausbildung in einer einzigen neuen Strafbestimmung wiedergegeben werden.148 Art. 4

Auslandsreisen für terroristische Zwecke

Artikel 4 bildet den eigentlichen Kern des Zusatzprotokolls und verpflichtet die Staaten in enger Anlehnung an die Erfordernisse von Ziffer 6 der Resolution 2178 (2014)149, terroristisch motivierte Reisen ins Ausland150 unter Strafe zu stellen. Vom Anwendungsbereich des Zusatzprotokolls und der Resolution ausgenommen bleiben aufgrund des einschränkenden Aspekts der Foreign Terrorist Fighters Reisen innerhalb eines Staates sowie Reisen in einen Staat, dessen Nationalität die betreffende 143 144 145 146 147

Vgl. die Ausführungen zu Art. 7 des Übereinkommens.

Art. 260bis StGB Art. 24 ff. StGB Siehe auch die Ausführungen zu Art. 7 des Übereinkommens.

Vgl. die Ausführungen unter Ziff. 2.1 sowie den Vorschlag für einen neuen Art. 260sexies E-StGB unter Ziff. 4.2.

148 Siehe Ziff. 4.2 zu Art. 260sexies E-StGB.

149 Vgl. Ziff. 1.3 zur Entstehung des Zusatzprotokolls.

150 Reisen zwecks Begehung oder Unterstützung einer terroristischen Straftat, zwecks Beteiligung an einer solchen oder zwecks Ausbildung für Terrorismus.

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Person besitzt oder in dem sie ansässig ist und in dem sie somit im Sinne der Resolution nicht «fremd» ist. Die Staaten sind jedoch frei, auf dieses die Strafbarkeit einschränkende Kriterium zu verzichten, soweit damit die Souveränität anderer Länder nicht eingeschränkt wird.151 Die Staaten können zusätzliche verfassungsrechtlich bedingte Voraussetzungen vorsehen, mittels welcher die Strafbarkeit beschränkt wird. Strafbar gemäss Zusatzprotokoll ist auch der Versuch, eine entsprechende Reise zu unternehmen. 152 Artikel 4 geht mit einer erheblichen Vorverlagerung der Strafbarkeit einher. Das Konfliktpotenzial zwischen der Strafbarkeit und den nationalen und völkerrechtlichen Grundsätzen der persönlichen Freiheit und der Bewegungs- und Reisefreiheit ist offensichtlich. Entsprechend sieht das Zusatzprotokoll Möglichkeiten vor, den Anwendungsbereich der Bestimmung einzuschränken und zu spezifizieren.

In der Schweiz laufen immer noch zahlreiche Strafverfahren im Bereich des radikalen Dschihadismus, unter anderem gegen sogenannte Dschihad-Reisende, wegen Zuwiderhandlung gegen Artikel 2 des Bundesgesetzes gegen die Gruppierungen AlQaïda und IS sowie verwandte Organisationen und wegen Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation.153 Es wurden sowohl Verhaftungen in der Schweiz, anlässlich der beabsichtigten Ausreise, wie auch im Ausland vorgenommen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang die am 22. Februar 2017 erfolgte rechtskräftige Verurteilung des Mannes, der am Flughafen Zürich bei der Ausreise in die Türkei angehalten werden konnte.154 Die erste Verurteilung eines DschihadRückkehrers erfolgte mittels Strafbefehl der Bundesanwaltschaft im Dezember 2014.155 Zurzeit kann aufgrund der geltenden Rechtslage und der Bestrebungen der zuständigen Strafverfolgungsbehörden, im Bereich von sogenannten Dschihad-Reisen eine rigorose Haltung an den Tag zu legen und entsprechendes Verhalten konsequent zu verfolgen, davon ausgegangen werden, dass die Schweiz den Verpflichtungen gemäss Artikel 4 des Zusatzprotokolls weitgehend nachkommt. Diese vorläufige Einschätzung basiert insbesondere auf dem Umstand, dass die Resolution des Sicherheitsrats in ihrer Präambel die Bedeutung der Grundfreiheiten herausstreicht und das Zusatzprotokoll des Europarats dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, der
Bestimmtheit von Strafnormen und dem national und international verankerten Prinzip der Reise- und Bewegungsfreiheit grosse Bedeutung einräumt. Die Reisetätigkeit soll nur unter bestimmten Umständen156 und bei Vorliegen eines terroristischen Vorsatzes der betreffenden Person als strafbar erklärt werden.

151 152 153 154 155

156

Vgl. in diesem Zusammenhang auch Art. 94 MStG, der den fremden Militärdienst unter Strafe stellt.

Art. 4 Abs. 3 des Zusatzprotokolls.

Art. 260ter StGB Urteil des Bundesgerichts vom 22. Februar 2017 (6B_948/2016).

Der Betreffende wurde angesichts seiner persönlichen Situation sowie des nicht schweren Unrechtsgehalts seiner Tat zu 600 Stunden gemeinnütziger Arbeit bedingt verurteilt. Weiter wurde eine ambulante therapeutische Massnahme angeordnet.

«... very particular conditions ...», Ziff. 47 des erläuternden Berichts zum Zusatzprotokoll, im Internet abrufbar unter www.coe.int/fr > Explorer > Bureau des Traités > Liste complète > STCE no 217, im Folgenden EB ZP.

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Bei der Beurteilung der Frage der Einführung einer spezifischen Strafbestimmung gegen das Reisen für terroristische Zwecke ist zwar der Umstand zu berücksichtigen, dass das befristete Bundesgesetz gegen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen durch den zu revidierenden Artikel 74 des Nachrichtendienstgesetzes abgelöst werden soll157. Für die Einführung einer spezifischen Strafnorm spricht jedoch insbesondere der Umstand, dass eine solche Norm unabhängig von der Nennung einer national oder international definierten Organisation ausgestaltet werden kann und damit über generelle Gültigkeit verfügt, was die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit von Strafbarkeiten erhöht.

In vier158 der fünf untersuchten Länder ist es strafbar, eine terroristisch motivierte Reise zu unternehmen. Lediglich in Dänemark gibt es kein solches generelles Verbot. Jedoch ist es dänischen Bürgern und Bürgerinnen und Personen mit Domizil in Dänemark verboten, ohne besondere Erlaubnis in bestimmte Gebiete, in welchen terroristische Gruppierungen in Konflikte involviert sind, einzureisen oder sich dort aufzuhalten.159 Deutschland und Italien haben das Verbot von Terror-Reisen explizit in ihren Strafgesetzbüchern geregelt. In Österreich gibt es zwar keine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung gegen terroristisch motivierte Reisen, jedoch sieht die Rechtsprechung solche Reisen als Form der strafbaren Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung an.

In Anbetracht der nach wie vor erheblichen Fallzahlen, des Vergleichs mit ausländischen Rechtsordnungen sowie insbesondere angesichts der Anforderungen von internationalen Organisationen an ihre Mitgliedstaaten wird die Einführung einer spezifischen Strafbestimmung vorgeschlagen, die das Reisen im Hinblick auf eine terroristische Handlung unter Strafe stellt. Es spricht nichts gegen eine redaktionelle Vereinigung dieses Tatbestands mit demjenigen, der die Ausbildung und Anwerbung für Terrorismus unter Strafe stellt, im Gegenteil: Systematisch sowie inhaltlich vermag eine solche Zusammenlegung der Strafbestimmungen die Übersichtlichkeit der Strafgesetzgebung sowie deren Lesbarkeit zu erhöhen.

Art. 5

Finanzierung von Auslandsreisen für terroristische Zwecke

Artikel 5 des Zusatzprotokolls dient ebenfalls der Umsetzung der aus Ziffer 6 der Resolution 2178 (2014) herrührenden Verpflichtung und hält die Staaten dazu an, die Finanzierung (als Sammeln oder Zurverfügungstellen von Vermögenswerten) von Reisen im Sinne von Artikel 4 unter Strafe zu stellen. Die Täterin oder der Täter muss dabei wissen und nicht bloss in Kauf nehmen, dass die Vermögenswerte im Hinblick auf terroristisch motivierte Reisen verwendet werden sollen.

Der erläuternde Bericht zum Zusatzprotokoll sieht vor, dass Staaten nicht zwingend separate Strafnormen gegen die Finanzierung von terroristisch motivierten Reisen vorsehen müssen. Sie können stattdessen strafbare Vorbereitungshandlungen oder die Strafbarkeit aufgrund von Gehilfenschaft vorsehen.160 Es bleibt den Staaten jedoch unbenommen, separate Normen einzuführen.

157 158 159 160

Vgl. dazu nachfolgend Ziff. 4.3.

Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich.

Art. 114j des dänischen Strafgesetzbuchs.

Ziff. 58 EB ZP

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Deutschland und Italien haben, analog zur Strafbarkeit der Reisen für terroristische Zwecke, auch deren Finanzierung ausdrücklich unter Strafe gestellt. Österreich, Dänemark und Frankreich bestrafen die Terrorismusfinanzierung als solche, ohne auf den Aspekt des Reisens separat einzugehen. In Dänemark wird davon auch die Finanzierung der Reise erfasst.161 In Österreich und Frankreich ist die Strafbarkeit also gegeben, solange die Reisetätigkeit als solche im jeweiligen nationalen Recht bereits als terroristische Aktivität eingestuft werden kann.

Der Bundesrat schlägt in Anlehnung an die Umsetzung des Hauptdelikts gemäss Artikel 4 des Zusatzprotokolls vor, eine spezifische Regelung bezüglich der Finanzierung von terroristisch motivierten Reisen einzuführen. Die neue Regelung kann ebenfalls in die neue Bestimmung aufgenommen werden, die bereits die Ausbildung, Anwerbung und das Reisen unter Strafe stellt.162 Durch die Einführung dieser Strafbestimmung könnte zudem eine Schwachstelle beseitigt werden, die von der GAFI im Rahmen der Länderprüfung der Schweiz im Jahr 2016 identifiziert worden ist. Denn in ihrem Bericht ist die GAFI zum Schluss gelangt, dass die Finanzierung terroristisch motivierter Reisen im Fall, dass die Reise ohne Verbindung zu einer Organisation oder einer terroristischen Handlung unternommen wird, nicht unter Strafe steht.163 Diese Bedenken gehen darauf zurück, dass immer wieder sogenannte Lone Actors auftreten, das heisst Personen, die terroristische Aktivitäten entwickeln, ohne Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein oder ohne vorher ein Mitglied einer solchen Organisation kontaktiert zu haben.

Art. 6

Organisation oder sonstige Erleichterung von Auslandsreisen für terroristische Zwecke

Artikel 6 des Zusatzprotokolls verpflichtet die Vertragsstaaten, wiederum in Anlehnung an die Resolution 2178 (2014)164, das Organisieren und anderweitige Erleichtern von Reisen zu terroristischen Zwecken unter Strafe zu stellen. Auch hier hält der erläuternde Bericht zum Zusatzprotokoll fest, dass die Staaten die Strafbarkeit mittels Gehilfenschaft oder strafbarer Vorbereitungshandlungen gewährleisten und von der Einführung spezifischer Strafbestimmungen absehen können.

Es wird, wie bei der Finanzierung von Reisen zu terroristischen Zwecken und unter Berücksichtigung der Anforderungen gemäss der Resolution 2178 (2014), eine spezifische Regelung bezüglich des strafbaren Organisierens und Rekrutierens in der Strafnorm gegen terroristisch motivierte Reisen vorgeschlagen.165 Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen könnten die Unterstützungshandlungen auch unter den

161

162 163

164 165

Artikel 114b Ziffer 3 des dänischen Strafgesetzbuchs; vgl. dazu Criterion 5.2 bis in FATF, Anti-money laundering and counter-terrorist financing measures, Mutual Evaluation Report, Denmark, 7 August 2017, S. 150, im Internet abrufbar unter: www.fatf-gafi.org > Publications > Mutual Evaluations > Country > Denmark.

Vgl. dazu die Ausführungen zu Art. 260sexies Abs. 2 E-StGB unter Ziff. 4.2.

GAFI, Mesures de lutte contre le blanchiment de capitaux et le financement du terrorisme, Rapport d'évaluation mutuelle de la Suisse, 7 décembre 2016, Annexe 2, Critère 5.2bis, S. 180, im Internet abrufbar unter www.fatf-gafi.org > Publications > Evaluations mutuelles > Pays > Suisse.

Siehe auch Ausführungen zu Art. 5 des Zusatzprotokolls.

Vgl. Ziff. 4.2.

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Tatbestand der kriminellen oder terroristischen Organisation166 subsumiert oder als Zuwiderhandlung gegen die Gesetzgebung betreffend Al-Qaïda, den Islamischen Staat sowie verwandte Organisationen eingestuft werden. Wie bei der Finanzierung von terroristischen Auslandreisen ergeben sich jedoch Strafbarkeitslücken, wenn sich kein Bezug zu einer Terrororganisation herstellen lässt.

Art. 7

Informationsaustausch

Gemäss Artikel 7 des Zusatzprotokolls verpflichten sich die Vertragsstaaten, in Übereinstimmung mit ihrem nationalen Recht das Notwendige vorzukehren, damit einschlägige Informationen über Terror-Reisende unter den betreffenden Ländern rechtszeitig ausgetauscht werden. Zu diesem Zweck bezeichnen die Staaten eine 24/7-Kontaktstelle.

Vorliegend geht es, gemäss dem eindeutigen Willen der Staaten anlässlich der Verhandlungen sowie dem Wortlaut des erläuternden Berichts, nicht um den Austausch von Informationen aus dem Bereich der Internationalen Strafrechtshilfe.167 Vielmehr sollen polizeilich relevante Erkenntnisse möglichst rasch übermittelt werden können.

Eine entsprechende Kontaktstelle für den internationalen Austausch polizeilicher Erkenntnisse besteht in der Schweiz bereits. Die Einsatzzentrale des Bundesamts für Polizei (EZ fedpol) ist für in- und ausländische Partnerorganisationen rund um die Uhr erreichbar. Bei Bedarf stellt die EZ fedpol auch den unmittelbaren Kontakt mit den zuständigen schweizerischen Behörden sicher. Die in Artikel 7 vorgesehenen Aufgaben werden somit unter Verzicht auf die Schaffung einer separaten Kontaktstelle durch die bestehende EZ fedpol wahrgenommen.

Art. 8

Bedingungen und Garantien

Die Bestimmung von Artikel 8 verpflichtet die Vertragsstaaten zur Wahrung der Menschenrechte und statuiert die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit bei der Umsetzung des Zusatzprotokolls. Obwohl die entsprechende Bestimmung des zugrundeliegenden Übereinkommens168 auch ohne explizite Erwähnung für das Zusatzprotokoll gelten würde, wurde im Rahmen der Verhandlungen entschieden, die genannten Aspekte und Prinzipien auch an dieser Stelle ausdrücklich als Kernelemente des Zusatzprotokolls zu wiederholen.

Art. 9­14

Verhältnis zwischen diesem Protokoll und dem Übereinkommen, Unterzeichnung und Inkrafttreten, Beitritt zum Protokoll, Räumlicher Geltungsbereich, Kündigung, Notifikation

Zu diesen abschliessenden Bestimmungen, die sich in jedem Strafrechts-Instrument des Europarats finden, sind kaum weitere spezifische Bemerkungen anzubringen.

166 167

Art. 260ter E-StGB Hier besteht ein konzeptioneller Unterschied zur entsprechenden 24/7-Stelle gemäss dem Übereinkommen [des Europarats] vom 23. November 2001 über die Cyberkriminalität, (Art. 35, SR 0.311.43), in Kraft für die Schweiz seit 1. Januar 2012, in dem es in bedeutsamen Masse auch um den Austausch von Rechtshilfeinformationen geht.

168 Art. 12 des Übereinkommens in Verbindung mit Art. 9 zweiter Satz des Zusatzprotokolls.

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Die für das Inkrafttreten des Zusatzprotokolls notwendige Anzahl Ratifikationen wurde, analog zum zugrundeliegenden Übereinkommen, auf sechs festgesetzt. 169 Das Zusatzprotokoll kann von Mitgliedstaaten des Europarats, von der Europäischen Union und von an der Ausarbeitung beteiligten Staaten unterzeichnet werden. 170 Ein Staat kann das Zusatzprotokoll nur ratifizieren, wenn er gleichzeitig oder vorgängig das Übereinkommen ratifiziert.

Die Bestimmungen über das Inkrafttreten entsprechen dem üblichen Wortlaut von Übereinkommen des Europarats.171 Das Zusatzprotokoll ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten.172 Für die Schweiz wird es am ersten Monatsanfang nach Ablauf einer Frist von drei Monaten nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch unser Land in Kraft treten.

Der Bundesrat macht dem Europarat, gestützt auf Artikel 7 des Zusatzprotokolls, die Mitteilung, wonach das Bundesamt für Polizei die zuständige 7/24-Kontaktstelle ist.

3

Das Vernehmlassungsverfahren

Das Vernehmlassungsverfahren zum Vorentwurf über die Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität dauerte vom 21. Juni 2017 bis zum 20. Oktober 2017. Zur Teilnahme eingeladen 173 wurden die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte, der Berggebiete und der Wirtschaft, das Bundesstrafgericht sowie weitere interessierte Organisationen.

Stellung genommen haben 25 Kantone, 6 politische Parteien, das Bundesstrafgericht174 sowie 28 Organisationen und weitere Teilnehmende. Insgesamt gingen 60 Stellungnahmen ein.175 Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden begrüsst die vorliegende Gesetzgebungsvorlage. Ihre Bedeutung und Notwendigkeit im Rahmen der Prävention und Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität wird verbreitet betont. Ein wichtiges Anliegen vieler Teilnehmer besteht aber auch darin, dass der angestrebte Sicherheitsgewinn und die verstärkten Grundlagen zur Prävention und Bekämpfung von Verbrechen nicht mit einer unverhältnismässigen Einschränkung von Grundrechten einhergehen dürfen. Auch könne das Strafrecht in diesem Kontext, neben präventiven Massnahmen und einer verbesserten Koordination, nur einen 169 170 171 172 173

Art. 10 Abs. 1 und 2.

Unter Vorbehalt der Unterzeichnung des zugrundeliegenden Übereinkommens.

Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 23 des Übereinkommens.

Siehe auch Ziff. 1.3.

Der Kreis der Vernehmlassungsteilnehmenden war jedoch nicht auf die Eingeladenen beschränkt.

174 Das Bundesstrafgericht hat im Rahmen einer Nachkonsultation seine Stellungnahme am 2. März 2018 eingereicht.

175 www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2017 > EJPD.

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Teil des Instrumentariums im Kampf gegen den Terror und die organisierte Kriminalität darstellen.

Die durch die Teilnehmer angebrachte Kritik und die dabei geltend gemachten Punkte beziehen sich in der Regel auf einzelne, klar bestimmbare Teilbereiche und Einzelpunkte der Vorlage. Sie wurden bei der Erarbeitung von Entwurf und Botschaft geprüft und teilweise berücksichtigt. Auf Einzelheiten wird im Rahmen der folgenden Erläuterungen eingegangen.

4

Die neuen Bestimmungen im schweizerischen Recht

4.1

Artikel 260ter E-Strafgesetzbuch: Kriminelle und terroristische Organisationen

4.1.1

Ausgangslage

Am 10. Dezember 2010176 hat der Bundesrat in seinem Bericht über allfällige Änderungen oder Ausweitungen der Strafnormen gegen das organisierte Verbrechen festgehalten, dass sich die Strafnorm gegen die organisierte Kriminalität (Art. 260ter StGB) grundsätzlich bewährt hat. Schwierigkeiten bei der Bekämpfung verschiedener Formen organisierter Kriminalität, die nur teilweise die gesetzlichen Merkmale einer kriminellen Organisation gemäss Artikel 260ter StGB aufweisen, seien nicht primär darauf zurückzuführen, dass sie durch bestehende Strafbestimmungen nicht erfasst würden. Das Problem sei vielmehr darin zu sehen, dass eine umfassende und nachhaltige Bekämpfung solcher Kriminalitätsformen auf lokaler und kantonaler Ebene teilweise auf Schwierigkeiten stosse oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich sei. Der Bundesrat hielt fest, dass sich in diesem Zusammenhang insbesondere auch die bisherige Arbeit und die Erfahrungen der Kantone bei der Strafverfolgung als für den Fortgang der weiteren Arbeiten als wesentlich erwiesen.

In den darauf folgenden Jahren wurde die innerstaatliche Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung komplexer Kriminalitätsformen, unter anderem organisierter Kriminalität, effizienter ausgestaltet und entsprechend optimiert. Zu erwähnen ist die am 14./15. November 2013 abgeschlossene Rahmenvereinbarung zwischen dem EJPD und der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und Direktoren (KKJPD) betreffend die Polizeikooperation zwischen der Bundeskriminalpolizei und den kantonalen sowie städtischen Polizeikorps.177 Die Vereinbarung regelt die Zusammenarbeit zwischen der Bundeskriminalpolizei und den Kantonen, insbesondere im Bereich der kriminalpolizeilichen Tätigkeiten. Sie präzisiert, mit welchen Massnahmen eine Steigerung der Effizienz und Effektivität der Polizeikooperation zwischen Bund und Kantonen im Bereich der Verfolgung aller Formen von komplexer Kriminalität erreicht werden kann. Die Rahmenvereinbarung stützt sich auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere auf die in der eidgenössischen Strafprozessordnung178 gesetzlich geregelten Zuständigkeiten der Strafver176

Im Internet abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Aktuell > News > 10.12.2010 > Strafnorm gegen die organisierte Kriminalität hat sich bewährt.

177 Im Internet abrufbar unter www.kkjpd.ch > News > 2014.

178 SR 312.0

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folgungsbehörden und der Gerichte. Die Rahmenvereinbarung wird begleitet von einem Leistungskatalog, der diejenigen Leistungen enthält (z. B. Ermittlungsunterstützung), welche die Bundeskriminalpolizei (BKP) zugunsten kantonaler Polizeikorps erbringen kann.

Mit demselben Ziel verabschiedete die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz179 am 21. November 2013180 die Empfehlung über die Zusammenarbeit im Bereich der Verfolgung von komplexer Kriminalität, insbesondere von Menschenhandel. Die Empfehlung ergänzt die Vereinbarung zwischen der KKJPD und dem EJPD durch den Einbezug der Perspektive der Strafverfolgung bzw. der Staatsanwaltschaften. Sie führt zu einer Steigerung der Effizienz und Optimierung der Zusammenarbeit zwischen den kantonalen Staatsanwaltschaften und der Bundesanwaltschaft im Bereich der Verfolgung von komplexer Kriminalität, insbesondere von Menschenhandel, ohne eine Zusammenarbeit in anderen Bereichen der organisierten Kriminalität auszuschliessen.

Am 10. Februar 2015 reichte die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates, nachdem aktuelle Fälle von Strafuntersuchungen wegen des Verdachts auf Unterstützung und Beteiligung an kriminellen Organisationengrosse Beachtung und ein erhebliches Echo in den Medien ausgelöst hatten,181 eine Motion (15.3008) ein, mit welcher der Bundesrat beauftragt wurde, eine Änderung der Strafnorm von Artikel 260ter StGB vorzuschlagen. Damit soll den in den letzten Jahren geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens Rechnung getragen werden. Zu prüfen sei namentlich, ob Anpassungen der Definition der kriminellen Organisation, der Tathandlungen sowie der Strafdrohung angezeigt sind.

Die Motion wurde vom Parlament angenommen.

An ihrer Sitzung vom 3. September 2015 beschloss die Strafrechtskommission der KKJPD, eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesanwalts einzusetzen mit dem Auftrag, einen Gesetzesvorschlag zur Frage des künftigen Inhalts der Strafbestimmung von Artikel 260ter StGB auszuarbeiten. Gestützt auf die Erfahrungen aus der Praxis wurde eine materiell-rechtliche Anpassung des Tatbestands vorgeschlagen.

Die Arbeiten wurden unabhängig von Parlament und Verwaltung durchgeführt. Der Präsident der KKJPD liess mit Schreiben vom 8. September 2016 die Vorschläge der Arbeitsgruppe der Vorsteherin
des zuständigen EJPD zukommen, verbunden mit dem Ersuchen, diese im Rahmen der Anpassungen der Strafgesetzgebung zu berücksichtigen.

Der Vorschlag der Arbeitsgruppe sieht insbesondere vor, dass die blosse Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Organisation, ohne erkennbaren Beitrag zu den Aktivitäten der Organisation, bereits unter Strafe gestellt wird. Des Weiteren wird ein qualifizierter Tatbestand vorgeschlagen, der es erlauben soll, zentrale Figuren des organisierten Verbrechens härter zu bestrafen. Damit verbindet sich eine Verschär179 180

KSBS, heute Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz SSK.

Im Internet abrufbar unter www.ssk-cps.ch > Empfehlungen > Empfehlungen zu komplexer Kriminalität, insbesondere Menschenhandel.

181 Vgl. hierzu z. B. die Medienmitteilung des Bundesamts für Justiz betreffend die Anordnung von Auslieferungshaft im Falle von 15 mutmasslichen Mitgliedern einer mafiösen Organisation, im Internet abrufbar unter: www.bj.admin.ch > Aktuell > News > 8.3.2016 > Suche: 15 mutmassliche Mitglieder der 'Ndrangheta in Auslieferungshaft.

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fung des oberen Strafrahmens von heute fünf Jahren Freiheitsstrafe auf zehn (Grundtatbestand) respektive 20 (qualifizierter Tatbestand) Jahre. Weiter werden neu Mindeststrafen von sechs Monaten respektive drei Jahren vorgeschlagen. Angeregt werden sodann eine gesetzliche Definition der einzelnen Elemente der kriminellen Organisation sowie die explizite Regelung der strafrechtlichen Konkurrenzen: Für den Tatbestand der kriminellen Organisation soll nicht länger der Grundsatz der Subsidiarität gelten, das heisst der Täter soll immer zusätzlich bestraft werden, wenn er zugunsten einer kriminellen Organisation eine Straftat begeht.

Daneben schlägt die Strafrechtskommission einen neuen Straftatbestand gegen terroristische Organisationen vor mit einem ähnlichen Aufbau wie der Tatbestand gegen kriminelle Organisationen. Zusätzlich regt sie an, nachfolgend an die Definition im Gesetz eine beispielhafte Aufzählung von terroristischen Organisationen182 vorzunehmen. Die Mindeststrafandrohung für die terroristische Organisation wird sodann auf ein Jahr festgesetzt.

4.1.2

Erläuterungen zur revidierten Strafbestimmung

4.1.2.1

Allgemeines

Die Strafnorm gegen die organisierte Kriminalität hat sich grundsätzlich bewährt und stellt ein effizientes Mittel im Kampf gegen diese besondere Art der Kriminalität dar. Gleichzeitig wurde aber der Ruf von Seiten der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Bundesanwaltschaft, gehört. Im Rahmen der Arbeiten an dieser Vorlage wurde auf diese Anliegen und Vorschläge entsprechend eingegangen. Der Bundesrat schlägt daher eine revidierte Fassung des Tatbestands vor. Zu berücksichtigen ist dabei aber auch der Umstand, dass es sich bereits bei der geltenden Strafbestimmung von Artikel 260ter StGB um einen sogenannten Vorfeld-Tatbestand handelt, mit welchem eine ausgeweitete Strafbarkeit geschaffen worden ist. Strafbar ist schon die blosse Beteiligung des Täters oder der Täterin an einer Organisation oder eine Unterstützung derselben, ohne dass irgendein Zusammenhang mit einer innerhalb der Organisation begangenen Straftat besteht. Bestraft wird mithin auch ein, isoliert betrachtet, an sich legales Verhalten. Den Kriterien der Verhältnismässigkeit und der sprachlichen Bestimmtheit ist deshalb bei einer Ausweitung der Strafnorm, nicht zuletzt im Interesse der Rechtssicherheit, besonderes Augenmerk zu schenken.

Unverhältnismässige oder ungenügend trennscharfe Eingriffe in Grundrechte sind zu vermeiden.

Der vorliegende Entwurf für eine revidierte Strafbestimmung gegen kriminelle Organisationen orientiert sich im Aufbau an der bestehenden Strafnorm. Die systematische Einordnung unter den Delikten gegen den öffentlichen Frieden wird beibehalten.183 Das geltende Recht umschreibt die kriminelle Organisation mit Hilfe der Elemente der Geheimhaltung sowie des verbrecherischen Zwecks. Lehre und Rechtsprechung sowie die damalige Botschaft zur Einführung von Artikel 260 ter StGB ins schweize182 183

Al-Qaïda, Islamischer Staat und verwandte Organisationen.

Art. 258 ff. StGB

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rische Recht184 haben weitere Kriterien und Elemente entwickelt, die aber nicht kumulativ gegeben sein müssen. Sie sollen jedoch qualitativ und quantitativ in einem Ausmass vorliegen, das das ausserordentliche Gefährdungspotenzial der Organisation belegt und das auch eine Ursache darstellen kann für auftretende Schwierigkeiten im Rahmen der Strafverfolgung gegen kriminelle Organisationen.

4.1.2.2

Kriterien der Geheimhaltung sowie der Unterstützung der verbrecherischen Tätigkeit

Das Kriterium der Geheimhaltung bezieht sich nicht zwingend auf die Existenz der Organisation als solche. Es kann sich auf die interne Geheimhaltung185 bezüglich Aufbau und Zusammensetzung richten, wobei jedoch eine systematische Verschleierung als erforderlich erachtet wird. Massgeblich für die Einführung des Kriteriums war die Überlegung, dass durch qualifizierte Geheimhaltung die Macht gegen innen und aussen und das Gefährdungspotenzial der Organisation erhöht sowie gleichzeitig die Arbeit von Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden erheblich erschwert werden kann. Es ist indessen nicht zu bestreiten, dass dieses gesetzliche Erfordernis der Geheimhaltung in der Lehre und Praxis zuweilen als nicht praktikabel bezeichnet worden ist.186 Der Bundesrat schlägt daher vor, auf dieses im geltenden Recht statuierte und damit grundsätzlich zwingende Typisierungsmerkmal zu verzichten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Element der Geheimhaltung im Rahmen der Bestimmung einer kriminellen Organisation bedeutungslos wird. Es soll im Rahmen der Gesamtbeurteilung des deliktischen Potenzials der Organisation weiterhin Berücksichtigung finden und neben Merkmalen wie Hierarchie, Arbeitsteilung, Dauer, Professionalität und interne Durchsetzungsmacht als typisches Kriterium gelten, das auf die Existenz einer solchen gefährlichen Organisation hinweist (die genannten Merkmale müssen übrigens nicht kumulativ vorliegen; bereits das Vorliegen von einzelnen Kriterien kann auf eine entsprechende Organisation schliessen lassen).

Die Streichung des gesetzlichen Kriteriums der Geheimhaltung unter Absatz 1 der Bestimmung wird von der Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich dazu geäussert haben, begrüsst.187 Die Anpassung soll die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden in einem wesentlichen Punkt erleichtern und die Bedeutung der Strafbestimmung auch im Bereich der internationalen Strafrechtshilfe weiter ausbauen, ohne dass deshalb der Anwendungsbereich der Strafnorm unverhältnismässig ausgeweitet oder die Bestimmtheit der Norm eingeschränkt würde. Artikel 260 ter E-StGB ist weiterhin nur auf Personenzusammenschlüsse anwendbar, denen ein ausserordentliches Gefährdungspotenzial zukommt und denen mit den herkömmlichen 184

Vgl. hierzu Engler, in Basler Kommentar, 2013, N 5 ff. zu Art. 260 ter und BBl 1993 III 277, insb. 295 ff.

185 Nicht aber nur Verschwiegenheit, z. B. gegenüber aussenstehenden Personen oder Vertretern von Strafverfolgungsbehörden.

186 Vgl. Engler, Basler Kommentar, 2013, N 8 zu Art. 260ter, mit weiteren Hinweisen.

187 Vgl. Ziff. 4.1.2 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens.

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Mitteln des Strafrechts, die an die Begehung einzelner Taten anknüpfen, angesichts ihrer Ausgestaltung, Bedeutung oder Macht nur schwerlich beizukommen ist.

Auch wer sich nicht an einer kriminellen Organisation beteiligt, kann sich gleichwohl strafbar machen, wenn er oder sie, quasi als Aussenstehender oder Aussenstehende, die Organisation unterstützt. Als Unterstützung gilt jeder massgebliche Beitrag zur Stärkung der Organisation, jedoch muss auch hier kein Tatbeitrag zu einem konkreten Delikt nachgewiesen werden. Die Unterstützung kann auch in einer für sich betrachtet legalen Tätigkeit bestehen.188 Demgegenüber muss die Organisation gemäss geltendem Wortlaut in ihrer verbrecherischen Tätigkeit unterstützt werden. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung verlangt die Tatvariante der Unterstützung einen bewussten Beitrag zur Förderung der verbrecherischen Aktivitäten der kriminellen Organisation. Darunter können das Liefern von Waffen an eine terroristische oder mafiaähnliche Organisation, das Verwalten von Vermögenswerten oder andere logistische Hilfeleistungen fallen. Der subjektive Tatbestand verlangt, dass die unterstützende Person weiss oder zumindest in Kauf nimmt, dass ihr Beitrag der verbrecherischen Zweckverfolgung der kriminellen Organisation dienen könnte.189 Es ist hingegen nicht erforderlich, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Unterstützungshandlung und einem konkreten Delikt nachzuweisen. Allerdings birgt der geltende Wortlaut die Gefahr einer diesbezüglichen Fehlinterpretation, wie das Länderexamen der GAFI gezeigt hat. In Anwendung dieses Tatbestandselements befand das Bundesgericht in jüngerer Zeit, dass das Bereitstellen von Websites zur Unterstützung der Propaganda einer terroristischen Organisation190 oder die Bewirtschaftung von Internetforen im Zusammenhang mit Dschihadistennetzwerken als Unterstützungshandlungen im Sinne von Artikel 260ter StGB einzustufen sind. Aus dieser Auslegung des Unterstützungsbegriffs kann abgeleitet werden, dass Artikel 260ter StGB auf jegliche Handlung anwendbar ist, mit der das Gefährdungspotenzial der Organisation erhöht werden kann. Dessen ungeachtet folgerte die GAFI, dass das schweizerische Recht eine kleine Lücke aufweise, da ein (zumindest indirekter) Zusammenhang zwischen der Finanzierung und dem kriminellen oder terroristischen
Akt beziehungsweise der Aktivität der Organisation bestehen müsse. 191 Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Unterstützungsbegriff in der Praxis bereits heute so ausgelegt wird, dass kein direkter Zusammenhang mit dem kriminellen Zweck der Organisation erforderlich ist, schlägt der Bundesrat vor, auf die Voraussetzung der «verbrecherischen» Tätigkeit der Organisation zu verzichten. So werden die Strafverfolgungsbehörden neu lediglich bestimmen müssen, ob die Unterstützungshandlung geeignet ist, die Organisation als solche zu stärken und ihr Gefährdungspotenzial entsprechend zu erhöhen. Die Streichung dieses gesetzlichen Merkmals wurde von einer beachtlichen Anzahl Vernehmlassungsadressaten aus-

188

Vermietung von Räumlichkeiten, Verschaffen von legal erwerblichen Substanzen zwecks Weiterverarbeitung usw.

189 BGE 133 IV 58 E. 5.3.1; BGE 132 IV 132 E. 4.1.4; BGE 128 II 355.

190 Urteil 6B_645/2007 des Bundesgerichts vom 2. Mai 2008 E. 7.3.3.2.

191 GAFI, Mesures de lutte contre le blanchiment de capitaux et le financement du terrorisme, Rapport d'évaluation mutuelle de la Suisse, 7 décembre 2016, S. 255.

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drücklich begrüsst.192 Andere Teilnehmer äusserten jedoch Bedenken, wonach dadurch eine zu starke Ausweitung der Strafbarkeit vorgenommen werde. Hierzu ist jedoch festzuhalten, dass die vorgeschlagene Anpassung ­ gerade auch im Vergleich mit dem geltenden Recht ­ kaum zu einer massgeblichen Erweiterung führt, sondern im Wesentlichen die bereits bestehende Praxis nachzeichnet. Die Abgrenzung zwischen straflosem Verhalten und deliktischer Unterstützung einer kriminellen Organisation kann weiterhin, abhängig vom bestehenden Wissen und Willen des Handelnden, anhand der qualitativen und quantitativen Bedeutung der Unterstützung sowie des Charakters seiner konkreten Handlung vorgenommen werden. Dabei ist weiterhin erforderlich, dass die Unterstützungshandlung geeignet sein muss, das Gefährdungspotenzial der Organisation relevant zu erhöhen. Der Unterstützung von Einzelpersonen aus humanitären Motiven kommt diese Eignung nicht zu. Nach wie vor straflos bleiben auch die Unterstützung einer Organisation in Unkenntnis ihrer verbrecherischen Ausrichtung oder eine Aktivität zugunsten einer an der Organisation beteiligten Person ohne Bezug zur Tätigkeit der Organisation.193

4.1.2.3

Strafandrohung der Regelung gegen kriminelle Organisationen

Das geltende Recht bedroht die Beteiligung an einer kriminellen Organisation oder deren Unterstützung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe und stuft die Straftat damit als Verbrechen im Sinne des Strafgesetzes194 ein. Dieser Strafrahmen erweist sich, gerade auch im Vergleich mit anderen Tatbeständen aus dem Kern- und Nebenstrafrecht sowie mit ausländischen Rechtsordnungen, als grundsätzlich angemessen und gerechtfertigt, sofern es um die Beteiligung und Unterstützung einer kriminellen Organisation geht. Die Strafandrohung trägt dem Umstand Rechnung, dass es bei der Beteiligung an einer kriminellen Organisation und bei deren Unterstützung um Tathandlungen geht, die unabhängig von konkreten Delikten in deren Vorfeld begangen werden. Es muss kein Zusammenhang zu einer konkreten, durch die Mitglieder begangenen Straftat bestehen. Im Fall einer konkreten Straftat werden die Mitglieder als Täter oder Gehilfen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen und bestraft. Wenn der grundlegende Strafrahmen von bis zu fünf Jahren nach oben angepasst würde, so erschiene dies mit Blick auf den Unrechtsgehalt der Tat als kaum mehr verhältnismässig. An diesem dogmatischen Befund vermag auch der im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens verschiedentlich vorgebrachte Einwand195 nichts zu ändern, wonach ein starkes Zeichen gegen die organisierte Kriminalität zu setzen und eine Erhöhung der Strafandrohung auf zehn Jahre vorzunehmen sei.

192

Vgl. Ziff. 4.1.1 und 4.1.2 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens.

193 Z. B. die strafrechtliche Verteidigung einer der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation angeklagten Person.

194 Art. 10 StGB mit der damit einhergehenden Folge, dass die Straftat auch Vortat zum Delikt der Geldwäscherei sein kann (Art. 305 bis StGB).

195 Vgl. Ziff. 4.1.2 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens.

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Anders zu entscheiden ist hingegen, aufgrund des erhöhten Unrechtsgehalts, der besonderen Verwerflichkeit der Tat, der gesellschaftlichen Ächtung sowie wegen der mit Terrorakten einhergehenden massiven und durch die Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommenen Bedrohung von Leib und Leben von Menschen, bei der Strafandrohung gegen terroristische Organisationen.196 Von einem ungleich schwereren Verschulden ist in Fällen auszugehen, in denen Personen einen bestimmenden Einfluss innerhalb der Organisation ausüben, es sich also um führende Mitglieder handelt. In diesen Fällen beschränkt sich ihr Tatbeitrag nicht auf die blosse Unterstützung oder Beteiligung an der Organisation. Wer einen bestimmenden Einfluss innerhalb der Organisation besitzt, ist für die Existenz und die Aktivität der Organisation ausgeprägt verantwortlich. Er oder sie besitzt ein faktisches Mitbestimmungsrecht darüber, in welchem Umfang die Organisation deliktisch aktiv ist und entsprechend ihren Einfluss und ihre Macht auszubauen versucht. Der Mehrwert für die Organisation und das daraus resultierende Gefährdungspotenzial ist als erheblich erhöht einzustufen. Entsprechend höher ist auch der Unrechtsgehalt einer solchen Beteiligung. Daneben übt das führende Mitglied in aller Regel eine stark korrumpierende Wirkung auf andere Beteiligte sowie auf das Umfeld der Organisation aus. Der Bundesrat schlägt daher vor, gegenüber dem geltenden Recht und auch gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf eine Anhebung des Strafrahmens vorzunehmen und im neuen Absatz 3 eine qualifizierte Strafandrohung von drei Jahren bis zu 20 Jahren197 Freiheitsstrafe gegen Personen einzuführen, die sich an einer kriminellen Organisation beteiligen und dabei einen bestimmenden Einfluss in der Organisation ausüben.198 Dem Gericht wird damit ein Mittel in die Hand gegeben, um auch in schweren Fällen der Beteiligung an einer kriminellen Organisation Strafen aussprechen zu können, die dem Verschulden angemessen sind. Eine Mitwirkung des Täters oder der Täterin an einem konkreten Verbrechen muss dabei nicht nachgewiesen werden.

Es genügt für die qualifizierte Strafbarkeit, wenn dem oder der Betreffenden eine zumindest mitbestimmende Führungsrolle innerhalb der Organisation zukommt.

Eine absolute Kontrolle über die Organisation oder eine die anderen Führungspersonen
überragende Machtposition ist demgegenüber nicht gefordert.

Unverändert gegenüber dem geltenden Recht bleibt die Möglichkeit der Strafmilderung durch das Gericht bestehen, wenn der Täter oder die Täterin sich bemüht, die weitere Tätigkeit der Organisation zu verhindern.199

196

Für die Strafandrohung betreffend terroristische Organisationen siehe nachfolgend, Ziff.

4.1.2.6.

197 Gemäss Art. 40 StGB. Im Rahmen der Vernehmlassungsvorlage war die minimale Strafandrohung auf ein Jahr festgesetzt. Vorliegend wurde, auch im Lichte der Resultate des Vernehmlassungsverfahrens und im Vergleich mit anderen schwerwiegenden Straftaten, eine Anhebung der Mindeststrafe gemäss Gesetzesentwurf auf drei Jahre vorgenommen.

198 Art. 260ter Abs. 3 E-StGB, anwendbar sowohl auf Organisationen gemäss Abs. 1 wie auch gemäss Abs. 2.

199 Abs. 4 des Entwurfs. Es wird, entsprechend den Anpassungen in Abs. 1, auf das Kriterium der verbrecherischen Tätigkeit verzichtet. Die Bestimmung gilt auch im Hinblick auf terroristische Organisationen gemäss Abs. 2.

6474

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4.1.2.4

Strafbarkeit der blossen Zugehörigkeit?

Im Rahmen der Vorarbeiten zur vorliegenden Revision wurde die Forderung erhoben, dass auch die formelle Mitgliedschaft oder blosse Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation, ohne dass der betreffenden Person in diesem Kontext eine Aktivität nachgewiesen werden kann, im Gesetz explizit unter Strafe gestellt werden soll. Dieses Anliegen, obwohl aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden und in Anbetracht der teilweise sehr anspruchsvollen Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität nachvollziehbar, lässt zumindest zwei Aspekte ausser Acht: Zum einen ist in praktischer Hinsicht nicht erkennbar, inwieweit eine solche reine Zugehörigkeit ohne irgendeine Handlung im Zusammenhang mit der Organisation überhaupt relevant ist. Als Beteiligung an einer kriminellen Organisation im Sinne des Gesetzes ist die Eingliederung in diese, gefolgt von einem Tätigwerden, 200 zu verstehen. Diese Tätigkeit muss jedoch nicht in einer illegalen Aktion bestehen.

Auch legale Handlungen, zum Beispiel das Zurverfügungstellen von Material oder Räumlichkeiten oder andere Dienstleistungen, können als entsprechende Tätigkeiten eingestuft werden. An die Wesentlichkeit der Handlungen für die Organisation sind dabei angesichts der Absicht des Gesetzgebers und des ausserordentlichen Gefährdungspotenzials der Organisation keine hohen Anforderungen zu stellen. Dieses ausserordentliche Gefährdungspotenzial manifestiert sich beispielsweise darin, dass auch eine bloss «passive» Mitgliedschaft zu einer ausgeprägten Vernetzung führt und damit als asset oder Mehrwert für die Organisation gelten kann. Häufig besteht auch keine Möglichkeit des Austritts und der freien Kommunikation gegen aussen.

In jedem Fall muss die strafbare Beteiligung nicht wesentlich oder gar kausal sein im Hinblick auf die Begehung eines konkreten Delikts durch die Organisation.

Konkret kann eine Beteiligung an einer kriminellen Organisation 201 beweisrechtlich auch hergeleitet werden beispielsweise durch eine konstante aktive Mitwirkung an Treffen, durch die Akzeptanz von bestehenden Riten, Strukturen und Hierarchien oder dem wiederholt geäusserten und an den Tag gelegten Gehorsam gegenüber der Organisation und deren Vertretern und Vertreterinnen.

Es ergeben sich von Seiten der Rechtsprechung keine Hinweise darauf, dass der Begriff der strafbaren Beteiligung
oder Unterstützung eng ausgelegt würde, im Gegenteil: Das Bundesgericht hat bestätigt, dass der Begriff der Beteiligung an einer kriminellen Organisation weit zu fassen sei.202 Die strafbare Beteiligung bedinge keine massgebliche Funktion innerhalb der Organisation und könne auch informeller Natur sein. An einer kriminellen Organisation sei demnach nicht nur beteiligt, wer ihrem harten Kern angehöre. Auch wer zu ihrem erweiterten Kreis gehöre und längerfristig bereit sei, die ihm erteilten Befehle zu befolgen, sei beteiligt. Dies gelte unabhängig von seiner formellen Stellung in der Organisation. Ebenso hat das Bundesstrafgericht am 15. Juli 2016, bestätigt durch das Bundesgericht am 22. Februar 2017, im Fall eines verhinderten Dschihad-Reisenden, der am Flughafen Zürich vor seinem Abflug nach Istanbul verhaftet werden konnte, dessen Verhalten als unter200 201 202

Dieses Erfordernis ist nicht zuletzt aus beweisrechtlichen Gründen bedeutsam.

Z. B. eine mafiöse Organisation.

Urteil des Bundesgerichts vom 7. März 2017, 6B_1132/2016 (BGE 143 IV 45), E. 6.2.3 (diese Erwägung ist in der amtlichen Sammlung nicht publiziert).

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stützend respektive fördernd eingestuft, ihn wegen Verstosses gegen das Bundesgesetzes gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe, verbunden mit einer Bewährungshilfe, verurteilt. Auch wurde gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Bereitstellen oder Betreiben von Internetforen zugunsten einer kriminellen (terroristischen) Organisation als Unterstützung im Sinne von Artikel 260 ter StGB eingestuft.203 Zum anderen ist festzuhalten, dass es aus guten Gründen nie dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hat, die blosse Bekundung einer Sympathie oder einer ­ regelmässig schwer zu beweisenden ­ mentalen Verbundenheit mit einer Organisation bereits als Beteiligung im Sinne des Strafrechts genügen zu lassen. Die Devise «mitgehangen, mitgefangen» oder die blosse Zugehörigkeit zu einer Familie, wenn Teile derselben mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen, darf im Bereich der strafrechtlichen Bekämpfung der organisierten Kriminalität keine Bedeutung erlangen. Die ideologische Unterstützung einer kriminellen Organisation oder die blosse verbale Selbstdeklaration der Zugehörigkeit, obwohl verwerflich und damit abzulehnen, soll durch Staat und Gesellschaft mit anderen Mitteln als demjenigen des Strafrechts bekämpft werden.204 Ein Gesinnungsstrafrecht ist auch im Bereich der Bekämpfung von organisierter Kriminalität abzulehnen. Diese Auffassung wird durch die Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden, die sich zu dieser Frage spezifisch ausgesprochen haben, geteilt.205 Diese Zustimmung erfolgt zum Teil ausdrücklich vor dem Hintergrund der beschriebenen weiten Auslegung des Begriffs der Unterstützung und Beteiligung an einer Organisation. An dieser weiten Auslegung ist daher festzuhalten. Von einer mit den Geboten der Bestimmtheit und Verhältnismässigkeit kaum vereinbaren Ausweitung des Wortlautes der Strafbestimmung auf die bloss deklaratorische Zugehörigkeit oder reine Mitgliedschaft, die zudem in praktischer Hinsicht kaum eine eigenständige Bedeutung erhalten dürfte, ist hingegen abzusehen.

4.1.2.5

Einführung zusätzlicher gesetzlicher Merkmale?

Von der Einführung zusätzlicher gesetzlicher Merkmale für die Umschreibung einer kriminellen Organisation, wie zum Beispiel der Statuierung einer Mindestanzahl von beteiligten Personen, ist abzusehen. Solche zusätzlichen Elemente vermöchten zwar der Strafbestimmung zusätzliche Konturen und eine erhöhte Bestimmtheit bezüglich ihrer Auslegung und Anwendung zu verleihen. Jedoch ist festzuhalten, dass sich aus Sicht der Praxis bisher keine Notwendigkeit der Einführung solcher zusätzlicher 203 204

Urteil des Bundesgerichts vom 5. Mai 2008, 6B_645/2007.

Anders zu beurteilen ist unter Umständen die einmalige oder regelmässige Teilnahme an Treffen mit Exponenten und Exponentinnen der Organisation, an welchen die Zugehörigkeit zelebriert und ein inhaltlicher und persönlicher Austausch zwischen beteiligten Personen stattfindet.

205 Vgl. Ziff. 4.1.2 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens. Ein Teil der Vernehmlassungsteilnehmenden hält hingegen an ihrer Auffassung fest, wonach die blosse Zugehörigkeit, ohne Entwicklung einer Initiative oder Aktivität im Kontext der Organisation, bereits per se strafbar sein soll.

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Kriterien ergeben hat.206 Wichtiger scheint aber die Tatsache, dass die Aufnahme zusätzlicher Elemente die Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden in diesem ohnehin anspruchsvollen Bereich der Strafgesetzgebung zusätzlich erschweren würde, indem die Beweise auch bezüglich dieser zusätzlichen Einzelaspekte erfolgreich erbracht werden müssten. Solche zusätzlichen gesetzlichen Erfordernisse erweisen sich als kontraproduktiv und sind deshalb zu vermeiden.

In diesem Sinne ist auch davon abzusehen, eine abschliessende Legaldefinition der kriminellen Organisation im Gesetz zu verankern. Der praktizierte Ansatz mit einer beschränkten Anzahl von Typisierungsmerkmalen (diese Merkmale müssen nicht kumulativ vorliegen; bereits das Vorliegen von einzelnen Kriterien kann auf eine entsprechende Organisation schliessen lassen)207 mit der daraus einhergehenden notwendigen Flexibilität bezüglich neuer Organisationstypen hat sich bewährt. Die notwendige Rechtssicherheit und Bestimmtheit resultiert dabei auch aus der mittlerweile breiten Rechtsprechung zum Strafrecht und zur Rechtshilfepraxis. Die Resultate aus dem Vernehmlassungsverfahren legen ebenfalls keinen anderen Schluss nahe.208 Es ergibt sich somit weder aus Sicht der Rechtsprechung noch aus Sicht der Lehre oder Praxis das Bedürfnis, eine solche Definition einzuführen.

4.1.2.6

Ausdrückliche gesetzliche Regelung der terroristischen Organisation

Der Bundesrat hat hingegen ­ auch unter Berücksichtigung der klaren Zustimmung im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens ­ das Anliegen der KKJPD aufgenommen, wonach terroristische Organisationen durch Artikel 260 ter E-StGB gesondert ins Recht gefasst und diese im betreffenden Strafartikel ausdrücklich erwähnt werden sollen. Die bisherige Rechtsprechung209 hat die Anwendbarkeit des OK-Tatbestands auf Terrororganisationen konstant bestätigt. Es spricht nichts dagegen, diese zutreffende Auslegung durch die Lehre und Rechtsprechung nunmehr auch im Gesetzeswortlaut wiederzugeben und die Anwendbarkeit auf Terrororganisationen ausdrücklich zu statuieren. Für die Umschreibung des terroristischen Zwecks der Organisation kann auf die bewährte Formulierung im Rahmen der Strafnorm gegen die Terrorismusfinanzierung210 zurückgegriffen werden. Diese Definition von Terrorismus steht im Einklang mit den Definitionen im internationalen Kontext und gewährleistet, unter Wahrung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots, einen genügend weiten Anwendungsbereich der entsprechenden Strafbestimmung. Im Rahmen der Anwendung der revidierten Strafbestimmung können dabei auch Beschlüsse internationaler Gremien oder entsprechende aktualisierte Listen über terroristische Organisationen Berücksichtigung finden. Es steht dem Gericht jedoch weiterhin frei, zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen und weitere Erwägungen anzustellen bei der 206 207 208 209 210

Die Einführung zusätzlicher gesetzlicher Merkmale wurde auch im Rahmen der Rückmeldungen des Vernehmlassungsverfahrens nicht massgeblich thematisiert.

Vgl. Ziff. 4.1.2.2.

Vgl. Ziff. 4.1.2 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens.

Vgl. die Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens.

Art. 260quinquies StGB

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Beantwortung der Frage, ob eine Gruppierung als terroristische Organisation einzustufen ist.

Neben dieser generell-abstrakten Definition einer terroristischen Organisation, welche sich an der geltenden Formulierung der schweizerischen Gesetzgebung und den internationalen Vorgaben orientiert, wird darauf verzichtet, zusätzlich spezifische Organisationen wie Al-Qaïda, Islamischer Staat oder andere vergleichbare Gruppierungen explizit zu nennen und im Gesetzesentwurf aufzulisten. Es bestehen keine Zweifel daran, dass diese, die innere und äussere Sicherheit der internationalen Staatengemeinschaft aktuell massiv bedrohenden Terror-Organisationen unter den entsprechenden neuen Tatbestand von Artikel 260ter Absatz 2 fallen.211 Der Mehrwert einer expliziten Nennung ist kaum ersichtlich. Eine solche Aufzählung vermag vielmehr bloss zu erklären, was dem Rechtsanwender oder der Rechtsanwenderin von vornherein klar war. Rückschlüsse auf gänzlich andere, nicht namentlich erwähnte Organisationen lassen sich durch eine solche nicht abschliessende Aufzählung jedoch gerade nicht ziehen, im Gegenteil: Es besteht das Risiko, dass eine Organisation, die nicht als Anwendungsfall einer Bestimmung explizit genannt wird, eher als nicht unter die Strafnorm fallend betrachtet werden könnte.

Stattdessen ergäbe sich ein konstantes gesetzgeberisches Problem bezüglich der Aktualisierung einer solchen beispielhaften Liste. Während der Bundesrat auf Basis von Artikel 74 NDG212 mittels Verfügung innert kurzer Zeit spezifische Organisationen bezeichnen, ins Recht fassen und verbieten kann, erscheint das Strafgesetzbuch als zentraler Teil der schweizerischen Gesetzesordnung als kaum geeignet, um entsprechende Verbotslisten regelmässig nachzuführen, obsolet gewordene Gruppierungen zu streichen und auf neue Bedrohungen umgehend zu reagieren (z. B. durch Aufnahme von Nachfolge-Organisationen). Aus diesen Gründen hat der Strafgesetzgeber bisher stets entschieden, entsprechende Sachverhalte, Gruppierungen oder Merkmale generell-abstrakt zu definieren und von der Nennung spezifischer Sachverhalte und Organisationen im Kernstrafrecht abzusehen. An dieser bewährten Praxis ist festzuhalten.

Die angedrohte Freiheitsstrafe orientiert sich an der Bestimmung gegen kriminelle Organisationen gemäss Absatz 1 des Artikels. Als Mindeststrafe wird
auch hier Geldstrafe vorgesehen, dies unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Unrechtsgehalt einer Unterstützungshandlung ohne Bezug zu einem konkreten Delikt unter Umständen klein sein kann. Als Höchststrafe der qualifizierten Begehungsform wird in Absatz 3, anwendbar auf terroristische und kriminelle Organisationen im Sinne des Gesetzes, Freiheitsstrafe von drei bis zu 20 Jahren angedroht, wenn der Täter oder die Täterin einen bestimmenden Einfluss in der Organisation ausübt.213 Hingegen wird, im Vergleich zu Absatz 1, ein höherer oberer Strafrahmen von zehn Jahren214 für den Grundtatbestand der Unterstützung und Beteiligung an einer terro211

So wie sie, zusammen mit anderen terroristischen Organisationen, gemäss konstanter Rechtsprechung (vgl. Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens) bereits heute unter Art. 260ter StGB fallen.

212 Vgl. nachfolgend Ziff. 4.3.

213 Vgl. Ziff. 4.1.2.3 mit den Ausführungen zur Verschärfung der Strafandrohung und den Auswirkungen.

214 Gegenüber fünf Jahren bei der kriminellen Organisation.

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ristischen Organisation vorgesehen. Diese Erhöhung erfolgt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass das unmittelbare Schädigungspotenzial und die direkten Folgen für die betroffene Bevölkerung und den Staat mit seinen Strukturen im Falle von terroristischen Aktivitäten, unabhängig von dessen Stabilität und den herkömmlichen Kriminalitätsraten, grösser und einschneidender sein können, und dass von einer engeren Umschreibung des Zwecks der Organisation auszugehen ist. Die Verwerflichkeit einer den Terror unterstützenden strafbaren Handlung ist gross. Der entsprechende Unrechtsgehalt der Tat ist angesichts der gesellschaftlichen Ächtung sowie der mit Terrorakten einhergehenden massiven und durch die Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommenen existenziellen Bedrohung als erhöht einzustufen, was sich in der erhöhten gesetzlichen Strafandrohung entsprechend niederschlägt.

4.1.2.7

Beibehaltung der Zuständigkeitsregeln

Gegenüber dem geltenden Recht unverändert bleiben die Regelungen über die Zuständigkeit des schweizerischen Strafgerichts für die Beurteilung von Auslandtaten.215 Demnach fällt ebenfalls unter Schweizer Recht, wer die Tat im Ausland begeht, wenn die kriminelle oder terroristische Organisation ihre verbrecherische Tätigkeit ganz oder teilweise in der Schweiz ausübt oder auszuüben beabsichtigt. 216 Es bleibt darauf hinzuweisen, dass diese Zuständigkeitsregelung eine Erweiterung der Zuständigkeitsregelungen gemäss dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches darstellt217 und deren Anwendung nicht einschränkt. Strafbar ist folglich nach wir vor auch der Schweizer oder die Schweizerin, der oder die im Ausland eine solche Organisation unterstützt, auch wenn diese nicht beabsichtigt, eine Aktivität in der Schweiz zu entfalten.218

4.1.2.8

Gesetzlich statuierte Straflosigkeit der Tätigkeit von humanitären Organisationen?

Der umfassend geführte internationale Kampf gegen den Terror hat seine Spuren auch im Bereich der Tätigkeiten von humanitären und karitativen Organisationen und im Rahmen der Entwicklungshilfe hinterlassen. Die Staatengemeinschaft hat, häufig geleitet durch Beschlüsse von internationalen Organisationen,219 weitgehende Regelungen in ihren jeweiligen Gesetzgebungen erlassen, welche die Unterstützung und Finanzierung von Terrororganisationen verbieten und mit hohen Strafen belegen. Entsprechend finden sich Hilfswerke und andere Organisationen, die in Krisen215 216

Art. 260ter Abs. 5 E-StGB Im Unterschied zum geltenden Recht erfolgt hierbei der Verweis neu auf Art. 7 Abs. 4 und 5 StGB (und nicht mehr auf Art. 3), wo die Anrechnung eines allfällig im Ausland ergangenen Urteils geregelt wird.

217 Art. 3 ff. StGB; vgl. auch die weitgehend analoge Regelung von Art. 259 Abs. 1bis StGB.

218 Zu beachten sind dabei auch die gemäss Art. 7 Abs. 1 und 3 StGB statuierten Regelungen.

219 Vgl. die Ausführungen zur UNO unter Ziff. 4.3.2.

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gebieten im Einsatz stehen, mit der Herausforderung konfrontiert, dass ihre Aktivitäten nicht in einer durch die Staaten als strafbar erklärten Unterstützung von terroristischen oder anderer kriminellen Gruppen resultieren.

Es ist ein zentrales Anliegen des Bundesrates, dass humanitäre Organisationen und Hilfswerke ihre Dienste auch in Zukunft erbringen und damit die verwundbarsten und schwächsten Mitglieder der Gesellschaft in Konflikt- und Krisengebieten unterstützen und schützen können. Die vorliegenden gesetzgeberischen Vorschläge stehen diesem Anliegen nicht entgegen, im Gegenteil: Sowohl in internationalen wie auch in nicht internationalen Konfliktsituationen entspricht es der Tradition der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen, dass die Verminderung menschlicher Not oberste Priorität besitzt.

In diesem Sinne soll die neutrale, unvoreingenommene und von machtpolitischen Erwägungen unabhängige Hilfe an die Opfer von Konflikten auch nach Inkrafttreten der revidierten Bestimmungen gegen terroristische Organisationen und organisierte Kriminalität weiterhin möglich und nicht mit Strafe bedroht sein. Organisationen und ihre Vertreter und Vertreterinnen, zum Beispiel das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, die gemäss den erwähnten Grundsätzen und in Übereinstimmung mit den in bewaffneten Konflikten anwendbaren Regeln des Völkerrechts ihre Tätigkeit ausüben, sollen nicht unter die entsprechenden Straftatbestände fallen. Es handelt sich vielmehr um rechtmässige, durch die schweizerische Gesetzgebung erlaubte oder gebotene Handlungen. Diese Einschätzung gilt selbst dann, wenn ­ zumindest indirekt und im Endeffekt ­ eine mit der humanitären Tätigkeit einhergehende Stärkung einer verbotenen oder geächteten Organisation oder Gruppierung nicht ausgeschlossen werden kann.

Diese Position folgt der Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung vom 18. September 2015220, die besagt, dass die humanitäre Tätigkeit (Hilfe und Schutz) von der Terrorismusbekämpfung unangetastet bleibt. Die Grundsätze von Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sind zu beachten; eine erfolgreiche Friedenspolitik und die Entwicklungszusammenarbeit tragen zur Bekämpfung von Radikalisierung bei.

4.1.2.9

Konkurrenz zwischen Art. 260ter E-StGB und den Grundtatbeständen

Die Frage der Konkurrenz zwischen Artikel 260ter StGB und weiteren Straftatbeständen ­ insbesondere den von der kriminellen Organisation begangenen Taten ­ ist seit geraumer Zeit Gegenstand von Diskussionen. Diese Vorlage bietet die Gelegenheit, die Frage zu klären und insbesondere zu entscheiden, ob eine spezifische Konkurrenzregel vorgesehen werden muss. Die KKJPD schlägt in diesem Zusammenhang eine gesetzliche Regelung vor, gemäss der die Gerichtsbehörden Artikel 260ter

220

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StGB stets gleichzeitig mit etwaigen weiteren Strafbestimmungen anwenden sollen.221 Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts ist es der Wille des Gesetzgebers, mit Artikel 260ter StGB die Personen zu bestrafen, die sich an einer kriminellen Organisation beteiligen oder diese unterstützen, auch wenn es aufgrund der weit entwickelten Aufgabenteilung oder der Verschleierungsmassnahmen der Organisation nicht möglich ist, ihre Mitwirkung an konkreten Delikten nachzuweisen und sie folglich zu überführen.222 Im Falle einer zusätzlichen Straftat ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Artikel 260ter StGB in echter Konkurrenz zu anderen Strafbestimmungen stehen kann.223 In Frage kommen beispielsweise folgende Konstellationen: ­

Der Täter oder die Täterin versorgt eine kriminelle Organisation mit Geld im Wissen, dass dieses nur zum Teil für einen bestimmten Anschlag verwendet wird, und dass der Rest für weitere Delikte dienen wird, hinsichtlich derer dem Täter oder der Täterin keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden kann.

­

Die Unterstützungshandlung des Täters oder der Täterin geht über die konkreten Einzeldelikte, die der Organisation nachgewiesen werden konnten, hinaus (der Täter oder die Täterin versorgt z. B. die Organisation mit finanziellen Mitteln, die er oder sie selbst mittels Straftaten224 beschafft hat).

Wenn sich die Beteiligung an der Organisation oder die Unterstützung derselben hingegen in einer nachweisbaren Einzeltat erschöpft, so wird der Täter ausschliesslich für die Mitwirkung an dieser Straftat bestraft.225 Diese Rechtsprechung, obwohl von der herrschenden Lehre anerkannt226, wurde durch die Praxis wiederholt in Frage gestellt und kritisiert. Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens haben sich zahlreiche Kantone, die Konferenz der Schweizerischen Staatsanwälte, das Bundesstrafgericht und andere Teilnehmer gegen die weiterhin subsidiäre Anwendung von Artikel 260ter StGB ausgesprochen. Gefordert wird die stets parallele Anwendung der Bestimmung mit Delikten wie Drogenhandel, Raub oder Erpressung, was unter anderem auch zu einer Erhöhung der gesetzlichen Strafandrohung in Anwendung von Artikel 49 StGB führen würde.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine gleichzeitige Anwendung von Artikel 260ter StGB und anderen Straftatbeständen nicht immer angemessen wäre. Es sind auch weiterhin Fälle denkbar, in denen sich das Unrecht der Tathandlung in einer nachgewiesenen Einzeltat erschöpft, so beispielsweise bei der qualifizierten Geldwäscherei nach Artikel 305bis Ziffer 2 Buchstabe a StGB, die den Umstand der 221

222 223 224 225 226

Der von der Arbeitsgruppe der KKJPD vorgeschlagene Art. 260 ter Abs. 6 lautet wie folgt: «Begeht der Täter im Rahmen einer kriminellen Organisation weitere Straftaten, wird er dafür zusätzlich bestraft.» Urteil 6S.229/2005 des Bundesgerichts vom 20. Juli 2005 E. 1.2.3 mit weiteren Hinweisen.

Vgl. BBl 1993 III 277, 304; BGE 128 II 355 E. 2.4 S. 362; BGE 131 II 235 E. 2.12.2 S. 242; 133 IV 58 E. 5.3.1 S. 71; 142 IV 175 E. 5.4.2 S. 189.

Ungetreue Geschäftsbesorgung, Diebstähle usw.

Urteil 6S.229/2005 des Bundesgerichts vom 20. Juli 2005 E. 1.2.3 mit weiteren Hinweisen.

Engler, in: Niggli/Wiprächtiger (Hrsg.), Basler Kommentar, Strafrecht II, Art. 11­392 StGB, Basel 2013, N 20 zu Art. 260ter StGB mit weiteren Hinweisen.

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Tatbegehung als Mitglied einer Verbrechensorganisation bereits berücksichtigt und deshalb auch eine höhere Strafandrohung vorsieht als die einfache Geldwäscherei. 227 In diesem Fall besteht keine Notwendigkeit, den Täter zusätzlich nach Artikel 260 ter StGB zu bestrafen. Es ist somit nicht angezeigt, die ausnahmslos parallele Anwendung von Artikel 260ter StGB und weiteren Strafbestimmungen im entsprechenden Gesetzesartikel zu statuieren, wie es im Rahmen der Vernehmlassung angeregt wurde. Ausserdem sind Konkurrenzfragen Sache der Gerichtsbehörden, die nach der strafrechtlichen Konkurrenzlehre und gestützt auf den Einzelfall entscheiden, ob echte oder unechte Konkurrenz vorliegt. Daher enthält das Strafgesetzbuch im Allgemeinen keine Konkurrenzregeln. Eine spezifische gesetzliche Regelung der Konkurrenzfrage in Artikel 260ter StGB wäre somit auch aus Gründen der Kohärenz nicht sinnvoll.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass Konstellationen, in denen sich die Beteiligungs- oder Unterstützungshandlung auf ganz bestimmte Delikte beziehen und beschränken lässt, Spezialfälle darstellen und die subsidiäre Anwendung von Artikel 260ter StGB somit als Ausnahme zu verstehen ist. In der Regel ist vielmehr anzunehmen, dass mit der Beteiligung an einer Einzeltat das verbrecherische Potenzial einer kriminellen Organisation darüber hinaus gefördert wird, das heisst dass die Beteiligung als solche in der Regel zu einer Stärkung der Organisation führt. In diesen Fällen ist gestützt auf die allgemeinen Konkurrenzregeln von echter Konkurrenz auszugehen,228 was in Anwendung von Artikel 49 StGB zu einer Erhöhung der gesetzlichen Strafandrohung führt. Diese rechtfertigt sich insbesondere dadurch, dass die Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Organisation mit einem erhöhten Gefährdungspotenzial für den Staat und seine Bevölkerung sowie einem entsprechend gesteigerten Unrechtsgehalt einhergeht.

Die neu vorgeschlagenen qualifizierten Tatbestände der Unterstützung einer oder Beteiligung an einer terroristischen Organisation (Artikel 260 ter Absatz 2 E-StGB) beziehungsweise des Ausübens eines bestimmenden Einflusses in der kriminellen oder terroristischen Organisation (Artikel 260ter Absatz 3 E-StGB) machen zudem deutlich, dass Artikel 260ter E-StGB nicht als reiner Vorfeldtatbestand zu verstehen ist. In Situationen nach
Artikel 260ter Absatz 2 und 3 E-StGB ist kaum denkbar, dass alle Aspekte respektive der gesamte erhöhte Unrechtsgehalt 229 der Tat durch andere Strafbestimmungen abgegolten sind. Deshalb ist insbesondere bei diesen qualifizierten Tatbeständen davon auszugehen, dass sie grundsätzlich in echter Konkurrenz zu anderen Strafbestimmungen stehen. Dem im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens geäusserten Anliegen wird damit durch den vorliegenden Gesetzesentwurf Genüge getan.

227

Vgl. Urteil 6S.229/2005 des Bundesgerichts vom 20. Juli 2005 E. 1.2.2, 1.4 mit weiteren Hinweisen.

228 BBl 1993 III 277, 304 229 Vgl. hierzu die Ausführungen unter Ziff. 4.1.2.3.

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4.2

Artikel 260sexies E-Strafgesetzbuch: Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat

4.2.1

Ausgangslage

Die Analyse der Bestimmungen und Anforderungen des Übereinkommens und des Zusatzprotokolls, die im Rahmen dieser Vorlage umzusetzen sind, sowie die weiteren internationalen Standards230 lassen erkennen, dass das geltende schweizerische Recht den Erfordernissen gemäss diesen Standards bereits heute zu weiten Teilen genügt. Es fehlen jedoch in Teilbereichen spezifische strafrechtliche Regelungen, die den Kern der beiden Verträge vollständig und explizit umsetzen.231 Für eine solche umfassende Umsetzung der Artikel 6 und 7 des Übereinkommens sowie der Artikel 3­5 des Zusatzprotokolls wird daher vorgeschlagen, in den Bereichen der Ausbildung und der Rekrutierung für Terrorismus eine neue Strafbestimmung einzuführen. Ebenso wird die Einführung einer Bestimmung gegen das terroristisch motivierte Reisen, einschliesslich dessen Finanzierung, Organisation und Anwerbung hierfür, vorgeschlagen. Damit sollen bestehende Lücken des strafrechtlichen Dispositivs, das auch terroristische Vorbereitungshandlungen ohne Konnex zu Organisationen wie Al-Qaïda oder Islamischer Staat abdecken soll, geschlossen werden.

Dieses Vorgehen und die konkreten Vorschläge stehen denn auch in Einklang mit der Einschätzung und Mitteilung des Bundesrates vom 14. Oktober 2015 anlässlich der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls.232 Im internationalen Kontext und im Vergleich zur jüngeren Entwicklung der Gesetzgebungen in anderen europäischen Staaten233 ist es sachgerecht, im Sinne der Stärkung der strafrechtlichen Bekämpfung des Terrorismus, aber auch der Rechtssicherheit und des Bestimmtheitsgebots in diesem wichtigen Bereich des Strafrechts eine neue Strafnorm vorzuschlagen.

4.2.2

Erläuterungen zur neuen Strafbestimmung

Die Schaffung einer separaten Strafbestimmung gegen die Anwerbung, Ausbildung und das Reisen für eine terroristische Straftat führt gegenüber dem geltenden Recht in gewissen Teilbereichen zu einer Ausweitung der Strafbarkeit. Vor allem aber wird eine für die einzelne Rechtsunterworfene oder den einzelnen Rechtsunterworfenen und die Strafverfolgungsbehörden klare gesetzliche Grundlage geschaffen, womit den Geboten der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit von Strafbarkeiten Nachachtung verschafft wird. Die Gesetzgebung soll für den Einzelnen oder die Einzelne im Bereich von Handlungen im Vorfeld von terroristischen Akten klar erkennbar machen, welche Verhaltensweisen mit Strafe bedroht werden, sobald sie über das Potenzial verfügen, zu einer terroristischen Straftat zu führen.

230 231 232

Vgl. auch Ziff. 1.6.

Vgl. Ziff. 2.

Abrufbar unter www.bj.admin.ch > Aktuell > News > 14.10.2015 > Bundesrat will konsequenter gegen terroristisch motivierte Reisen vorgehen.

233 Vgl. die Resultate des in die Ziff. 2.1 und 2.2 einfliessenden Rechtsvergleichs, im Internet abrufbar unter www.isdc.ch > Publikationen > ISDC Letter > 2017 >

ISDC'S LETTER No 42.

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Die systematische Einordnung der neuen Strafbestimmung von Artikel 260 sexies E-StGB erfolgt unter dem Titel der Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden, wo sich bereits die Regelungen gegen kriminelle Organisationen und die Terrorismusfinanzierung234 finden. Die Bestimmung ist als Verbrechenstatbestand mit einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ausgestaltet, womit sie als Vortat zu Geldwäscherei 235 gilt. Die inkriminierten Handlungen erfolgen, und hier liegt ein grundlegender Unterschied zum Anwendungsbereich der Strafnormen gegen kriminelle oder terroristische Organisationen und zum Anwendungsbereich der spezifischen Gesetzgebung gegen Organisationen wie Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandte Organisationen, im Hinblick auf die Verübung eines terroristischen Akts. Artikel 260sexies E-StGB ist somit unabhängig vom Konnex zu einer entsprechend definierten Organisation oder Gruppierung anwendbar.

Absatz 1 Buchstabe a der neuen Bestimmung bestraft das Anwerben für die Begehung oder Teilnahme an einer terroristischen Straftat. Als Anwerben gilt 236 das aktive Vorgehen im Bestreben, eine oder mehrere bestimmbare Personen für eine Angelegenheit zu gewinnen und zu einer entsprechenden Tätigkeit zu bewegen.

Nicht notwendig für die Strafbarkeit ist, dass die Anwerbung in einem formalisierten oder hierfür strukturierten Rahmen vorgenommen wird. Ebenso wenig wird vorausgesetzt, dass die anwerbende Person selber an einer terroristischen Organisation oder an der Vorbereitung eines konkreten Terrorakts beteiligt ist237 oder dass ein mit der Rekrutierung im Zusammenhang stehender konkreter Terrorakt in seinen Konturen bereits erkennbar ist.

Das Anwerben kann direkt, im persönlichen Kontakt, oder auf andere Weise, beispielsweise via soziale Medien und Internet, geschehen. Für die Vollendung der Anwerbung ist es notwendig, dass die angeworbene Person oder die bestimmbare Personengruppe das Vorgehen und Bestreben des Täters zumindest zur Kenntnis nimmt.

Eine weitergehende Aktivität des Adressaten als Folge der erfolgten Anwerbung, zum Beispiel die Beteiligung an einer Gruppierung oder die Aufnahme von Vorbereitungshandlungen für einen terroristischen Akt, ist hingegen nicht notwendig. 238 In subjektiver Hinsicht muss die Anwerbung im Hinblick auf die
Verübung einer terroristischen Straftat geschehen. Artikel 260sexies ist ein Vorsatzdelikt. Der Täter muss zumindest mit dem entsprechenden Eventualvorsatz handeln, das heisst die Folge seines Handelns ernsthaft für möglich halten und sie zugleich billigend in Kauf nehmen.

Von der strafbaren Anwerbung zu unterscheiden ist die Rechtfertigung oder Glorifizierung von Terrororganisationen oder von terroristischen Handlungen. Obwohl verfehlt und abzulehnen, fallen solche Äusserungen nicht unter den Anwendungsbe-

234 235 236 237

Art. 260ter und Art. 260quinquies StGB.

Art. 305bis StGB Vgl. zum Begriff auch im geltenden Recht Art. 182, 197 oder 272 StGB.

Obwohl eine solche Beteiligung oder Unterstützung von Seiten des oder der Anwerbenden häufig gegeben sein wird.

238 Vgl. zum Ganzen Ziff. 106 ff. EB und die Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens.

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reich der neuen Strafbestimmung. Ihnen hat der Staat, wie später zu erörtern sein wird, mit anderen Mitteln ausserhalb des Strafrechts zu begegnen.239 Die Anwerbung zugunsten einer terroristischen Organisation kann, je nach Vorgehensweise des Täters oder der Täterin und Charakteristik der Organisation, auch unter Artikel 260ter E-StGB oder unter Artikel 74 Absatz 4 NDG fallen240.

Der Bundesrat sieht an dieser Stelle davon ab, auch die Kriminalisierung des Sichanwerben-Lassens vorzuschlagen.241 Eine solche Vorverlagerung der Strafbarkeit wird durch die beiden umzusetzenden Übereinkommen nicht gefordert. 242 Der blosse innere Entschluss des oder der Angeworbenen, sich auf eine entsprechende Tätigkeit einzulassen, ist kaum greifbar und entsprechend nur schwer nachzuweisen.

Unsicherheiten betreffend seines oder ihres Erkenntnisstands, worauf er oder sie sich überhaupt einlässt, stehen der erforderlichen Rechtssicherheit entgegen und lassen Zweifel an der Strafwürdigkeit aufkommen. Strafbarkeit tritt jedoch bereits unter geltendem Recht ein, sobald der oder die Angeworbene Vorkehrungen dazu trifft, eine Straftat vorzubereiten oder er oder sie sich an einer entsprechenden Organisation beteiligt oder diese unterstützt.

Absatz 1 Buchstabe b betrifft die terroristische Ausbildung und bestraft eine Person, die sich im Hinblick auf die Begehung eines Terrorakts anleiten lässt oder jemanden anleitet.243 Eine an sich vorgelagerte Teilnahmehandlung wird damit zugunsten der Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums im Kampf gegen Terrorismus und dessen Vorfeldtaten zu einem eigenständigen Delikt erhoben. Das Anleiten respektive das Sich-anleiten-Lassen muss sich gemäss Gesetzestext auf die Herstellung oder auf den Gebrauch von Waffen, Sprengstoffen, radioaktiven Materialien, giftigen Gasen oder von anderen Vorrichtungen oder gefährlichen Stoffen richten. 244 Auch hier muss die Tathandlung in subjektiver Hinsicht im Hinblick auf die Verübung einer terroristischen Straftat geschehen. Der Täter oder die Täterin muss zumindest mit dem entsprechenden Eventualvorsatz handeln, die erworbenen Fähigkeiten später für terroristische Zwecke einzusetzen. Der unter Umständen abweichende Unrechtsgehalt der beiden Tatvarianten (aktive und passive Ausbildung) ist im Rahmen der richterlichen Strafzumessung zu berücksichtigen.
Gemäss Buchstabe c wird bestraft, wer eine grenzüberschreitende Reise unternimmt, um eine terroristische Straftat zu begehen, sich daran zu beteiligen oder sich dafür ausbilden zu lassen. Diese Regelung setzt den eigentlichen Kern des Zusatzprotokolls und der zugrundeliegenden Resolution 2178 (2014) um. 245 Die vorliegende Norm soll, im Gegensatz zum befristeten Bundesgesetz gegen die Gruppierungen 239 240 241 242 243 244 245

Vgl. die Ausführungen unter Ziff. 4.6.4.

Vgl. die Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens sowie zu den strafrechtlichen Konkurrenzen.

Vgl. die Ausführungen zu Art. 6 des Übereinkommens und dem einschlägigen Rechtsvergleich.

Vgl. die Ausführungen zu Art. 2 des Zusatzprotokolls und zu den entsprechenden Verhandlungen.

Zum Begriff vgl. im geltenden Recht Art. 144bis, 179sexies und 226 StGB.

Zum Anwendungsbereich und den Begriffen kann auf die Ausführungen zu Art. 7 des Übereinkommens und Art. 3 des Zusatzprotokolls verwiesen werden.

Vgl. insb. die Ausführungen zu Art. 4, 5 und 6 des Zusatzprotokolls.

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Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen und zu Artikel 74 NDG246, unabhängig vom Zusammenhang mit einer bestimmten Organisation Anwendung finden.

Auch hier hängt die Strafbarkeit, in subjektiver Hinsicht, davon ab, ob der Täter oder die Täterin seine Handlung im Hinblick auf die Verübung einer terroristischen Straftat ausführt. Es ist in diesem Zusammenhang für die Vollendung des Delikts nicht notwendig, dass die betreffende Person an ihrem Bestimmungsort ankommt.

Der Antritt der Reise kann bereits genügen.

Strafbar gemäss Absatz 2 der neuen Bestimmung ist in Übereinstimmung mit den internationalen Verpflichtungen bei der Bekämpfung von Terrorismus247 auch, wer eine solche Reise ­ in Kenntnis oder unter Inkaufnahme der deliktischen Zielsetzung ­ vorsätzlich finanziert, organisiert oder dafür anwirbt. Nach Artikel 5 des Zusatzprotokolls muss durch die Strafbestimmung ausserdem nicht nur das Zurverfügungstellen von Vermögenswerten unter Strafe gestellt werden, sondern auch das Sammeln solcher Vermögenswerte.248 Dementsprechend deckt Artikel 260sexies Absatz 2 E-StGB in Anlehnung an Artikel 260quinquies StGB beide Konstellationen ab. Durch die Kriminalisierung des Sammelns von Vermögenswerten kann die Schweiz ihre Pflichten aufgrund der Resolution 2178 (2014) und der GAFI-Empfehlungen erfüllen.249

4.3

Anpassung von Artikel 74 NDG: Organisationsverbot

4.3.1

Ausgangslage

Der Bundesrat beauftragte das zuständige VBS im November 2009 mit der Ausarbeitung des neuen Nachrichtendienstgesetzes. Das Gesetz regelt alle nachrichtendienstlichen Tätigkeiten und formuliert den Auftrag zur umfassenden Lagebeurteilung durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB).

Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen wurde der Vorschlag des Bundesrates um eine neue Bestimmung ergänzt. Der neu geschaffene Artikel 74 NDG regelt das sogenannte Organisationsverbot. Dem Bundesrat wird die Kompetenz verliehen, unter den statuierten gesetzlichen Bedingungen einer konkreten Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit des Landes mittels Verfügung ein Organisationsverbot auszusprechen, ohne auf Notrecht gemäss Bundesverfassung zurückgreifen zu müssen. Ein solches Verbot stützt sich auf einen entsprechenden Beschluss der Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Der Bundesrat konsultiert vorgängig die für die Sicherheitspolitik zuständigen parlamentarischen Kommissionen. Das Verbot muss sich auf terroristische oder gewalt246 247 248

Vgl. nachfolgend Ziff. 4.3.

Vgl. Ziff. 1.

Die Terminologie lehnt sich an den geltenden Straftatbestand gegen die Finanzierung des Terrorismus (Art. 260quinquies StGB) an. Als «zur Verfügung stellen» gilt die Einräumung der Verfügungsmacht über einen Vermögenswert an eine Drittperson.

249 In der französischen Fassung der Resolution 2178 (2014) ist von «fourniture» und «collecte» die Rede, während in den GAFI-Empfehlungen von «fourniture» und «réunion» gesprochen wird.

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tätig-extremistische Gruppierungen beziehen und ist auf höchstens fünf Jahre zu befristen. Es kann verlängert werden.

Das Nachrichtendienstgesetz wurde in der Volksabstimmung vom 25. September 2016 gutgeheissen und ist am 1. September 2017 in Kraft getreten. 250 Mit der Einführung von Artikel 74 NDG hat das Parlament damit eine klare und dauerhafte gesetzliche Grundlage zur Statuierung von Verboten terroristischer oder gewalttätig-extremistischer Organisationen und Gruppierungen geschaffen. Zuvor stützten sich entsprechende Verbote auf verfassungsunmittelbare Verordnungen des Bundesrates respektive des Parlaments.251 Da eine Verlängerung der Verordnungen nicht mehr zulässig war, verabschiedete das Parlament Ende 2014 das dringliche Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen, das bis Ende 2018 befristet war und dessen Geltungsdauer bis 2022 verlängert wurde252.

Im Rahmen der Ausarbeitung dieser Vorlage ist der Bundesrat zum Schluss gekommen, dass die Regelung des Organisationsverbots nach Artikel 74 NDG mit der Regelung der terroristischen Organisationen im erwähnten befristeten Bundesgesetz sowie in Artikel 260ter StGB abzustimmen ist. Im Interesse der Kohärenz wird das Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen weiter gelten, bis die Anpassung von Artikel 74 NDG vollzogen ist. Entsprechend hat das Parlament in einer separaten Vorlage die Verlängerung des befristeten Bundesgesetzes beschlossen253, um einen nahtlosen Übergang zu dieser Vorlage im Allgemeinen und zum revidierten Artikel 74 NDG im Besonderen zu gewährleisten.

4.3.2

Erläuterungen zum revidierten Organisationsverbot

Die Umschreibung der strafbaren Verhaltensweisen bezüglich der verbotenen Organisation oder Gruppierung ist mit derjenigen in Artikel 2 des Bundesgesetzes gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen identisch und umfasst die Unterstützung, Beteiligung, Propaganda, Anwerbung oder anderweitige Förderung.

Im Vergleich zum erwähnten Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen bestehen hingegen zwei massgebliche Unterschiede. Zum einen findet sich in Artikel 74 NDG kein Hinweis auf die Bundeszuständigkeit für die Verfolgung und Beurteilung entsprechender Straftaten, womit die Kompetenz in Fällen eines Organisationsverbots gemäss Artikel 74 NDG grundsätzlich254 bei den Kantonen liegt. Zum anderen lautet die Strafandrohung, soweit keine 250 251

Siehe BBl 2015 7721; SR 121.

Vgl. hierzu die Übersicht zur Botschaft des Bundesrates zum erwähnten Bundesgesetz gegen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen, BBl 2014 8926.

252 Schlussabstimmung der beiden Räte vom 15. Juni 2018; das Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

253 Vgl. Ziff. 4.6.6.

254 In Fällen, in denen keine anderen Straftatbestände zu prüfen sind, die unter die Zuständigkeit der Bundesbehörden fallen, zum Beispiel Art. 260ter StGB (Kriminelle Organisationen).

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strengeren Strafbestimmungen zur Anwendung gelangen, auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, was einen tieferen Strafrahmen als in der genannten befristeten Gesetzgebung gegen Al-Qaïda und den Islamischen Staat sowie verwandte Organisationen darstellt, welche eine Höchststrafe von fünf Jahren vorsieht.

Es erscheint als angemessen und sachgerecht, in diesen beiden Punkten eine Anpassung von Artikel 74 NDG mit einer zumindest teilweisen Angleichung an die Vorläuferregelung im Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen vorzuschlagen, das heisst den Strafrahmen entsprechend zu erhöhen und die ausschliessliche Zuständigkeit für die Führung von Strafverfahren weiterhin den Behörden des Bundes zuzuweisen sowie die Beurteilung weiterhin der Bundesgerichtsbarkeit zu unterstellen. Die spezialisierten Behörden des Bundes haben im Rahmen der Strafverfolgung komplexer Kriminalitätsformen entsprechende Erfahrungen gesammelt und sind, gerade auch im Zusammenhang mit der Verfolgung von terroristischen Organisationen und Personen, die diese unterstützen, in der Lage, erfolgreich und effizient entsprechende Strafverfahren zu führen. Die Rechtsprechung der vergangenen Jahre lässt denselben Schluss zu. Es scheint in fachlicher Hinsicht und punkto Ressourcen durchaus sinnvoll und naheliegend, dass spezifische, im Zusammenhang mit terroristischen oder gewaltextremistischen Organisationen und Gruppierungen stehende Delinquenz nicht durch eine Vielzahl von Behörden, wie es bei kantonaler Zuständigkeit der Fall sein könnte, verfolgt und beurteilt wird. Stattdessen sollen, in bewährter Form und unter Konzentration der Kräfte, die Bundeskriminalpolizei und die Bundesanwaltschaft die entsprechenden Fälle verfolgen und das Bundesstrafgericht die Beurteilung vornehmen. 255 Diese Vorgehensweise hat sich in Anwendung des geltenden Bundesgesetzes gegen AlQaïda und IS sowie verwandte Organisationen bewährt.

Die Strafandrohung für einen Verstoss gegen Artikel 74 NDG lautet, soweit keine strengeren Strafbestimmungen zur Anwendung gelangen, auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Sie wurde damit im Rahmen der Einführung der Bestimmung durch das Parlament tiefer angesetzt als in der genannten befristeten Gesetzgebung gegen Al-Qaïda und den Islamischen Staat
sowie verwandte Organisationen, wo der Strafrahmen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht. Da im Rahmen dieser Vorlage vorgeschlagen wird, den oberen Strafrahmen im Bereich der Bekämpfung von kriminellen und terroristischen Organisationen in qualifizierten Fällen auf 20 Jahre anzuheben und die Unterstützung oder Beteiligung an einer terroristischen Organisation neu mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zu bestrafen,256 erscheint die Erhöhung der Strafandrohung in Artikel 74 E-NDG auch unter diesem Gesichtspunkt als angemessen. Sie entspricht damit auch den Strafandrohungen von Artikel 260quinquies StGB und dem neu vorgeschlagenen Artikel 260sexies E-StGB. Das strafbare Verhalten gemäss Artikel 74 NDG gilt damit als mögliche

255

Art. 74 Abs. 6 E-NDG, unter gleichzeitiger Anpassung der Mitteilungspflicht gemäss Abs. 7 der aktuellen Bestimmung. Die bewährte kantonale Zuständigkeit für die Strafverfolgung von Jugendlichen wird hingegen auch im Rahmen der Terrorismusbekämpfung beibehalten. Aspekte der Prozessökonomie haben in diesem Kontext, zugunsten eines auf die Situation des Täters oder der Täterin abgestimmten, nachhaltigen Strafverfahrens in den Hintergrund zu treten.

256 Vgl. die Ausführungen unter Ziff. 4.1.

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Vortat zu Geldwäscherei im Sinne von Artikel 305bis StGB, was namentlich bei der Tatvariante der finanziellen Unterstützung von Bedeutung ist.

Der bisherige gesetzliche Vorbehalt in Artikel 74 Absatz 4 NDG («sofern nicht strengere Strafbestimmungen zur Anwendung kommen») kann, wie bereits in der Botschaft zu Artikel 2 des geltenden, befristeten Bundesgesetzes gegen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen ausgeführt,257 unterbleiben. Wie bei den strafrechtlichen Konkurrenzen erörtert,258 kann beispielsweise die Strafbestimmung von Artikel 260ter StGB dem Artikel 74 NDG als strengere Strafbestimmung durchaus vorgehen. Es wäre jedoch nicht zutreffend, den Anschein einer generellen Subsidiarität von Artikel 74 aufrechtzuerhalten. Verübt jemand, zusätzlich zu seiner Mitwirkung in einer verbotenen Organisation oder Gruppierung, ein mit schwerer Strafe bedrohtes Delikt aus dem Kernstrafrecht (z. B. eine Entführung oder ein Tötungsdelikt), so finden die beiden Strafbestimmungen nebeneinander in echter Konkurrenz Anwendung. Die Anwendbarkeit weiterer Strafbestimmungen bleibt somit gemäss den allgemeinen Grundsätzen über die strafrechtlichen Konkurrenzen vorbehalten.

Angesichts der breit gefächerten, verschiedenartigen Tathandlungen von Artikel 74 NDG und der generellen Anhebung des Strafrahmens wird es umso wichtiger sein, dass die Gerichte im Rahmen der Strafzumessung eine angemessene, dem entsprechenden Unrechtsgehalt der jeweiligen strafbaren Handlung angepasste Strafe aussprechen:259 Die Anhebung der Strafandrohung soll sich insbesondere auf die Begehungsformen der Beteiligung, der personellen oder materiellen Unterstützung und der Anwerbung auswirken. Für die anderweitige Förderung oder die Organisation von Propagandaaktionen dürften in aller Regel Strafen im Rahmen der bisherigen Strafandrohung260 ausreichen. Eine notwendige Beschränkung des breit gefassten, mit Strafe bedrohten Verhaltens gemäss Artikel 74 NDG kann im Übrigen dadurch erreicht werden, dass eine gewisse Tatnähe der betreffenden Handlung zu den Aktivitäten der verbotenen Gruppierung oder Organisation ein Kriterium darstellt. 261 Dem Gericht wird damit die auch im Vergleich mit anderen Strafbestimmungen angemessene Möglichkeit gegeben, in schweren, besonders verwerflichen Fällen der Unterstützung, Beteiligung oder Förderung
einer verbotenen Gruppierung oder Organisation eine einschneidende und erhebliche Freiheitsstrafe auszusprechen, die den Unrechtsgehalt der Tat spiegelt und dem Bedürfnis der Bevölkerung und des Staates nach Sicherheit und Sicherung entsprechend nachkommt.

Gemäss Absatz 2 der geltenden Bestimmung stützt sich das bundesrätliche Verbot auf einen entsprechenden Beschluss der Vereinten Nationen oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Nicht nur im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens wurde nun verschiedentlich darauf hingewiesen, dass diese beiden Organisationen keine Verbote im engeren Sinne aussprechen. Der Bundesrat 257 258 259

BBl 2014 8934 Ziff. 4.6.1 Im Vernehmlassungsentwurf war noch eine abgestufte Strafandrohung vorgeschlagen worden. Diese wurde namentlich mit dem Argument der mangelnden Praktikabilität kritisiert.

260 Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

261 Vgl. hierzu das Urteil des Bundesgerichts vom 22. Februar 2017, 6B_948/2016.

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erachtet diesen Einwand als zutreffend. Der UNO-Sicherheitsrat verhängt vielmehr Sanktionen gegen terroristische Gruppierungen oder Organisationen. Solche internationale Beschlüsse können Staaten des Weiteren dazu verpflichten, gesetzgeberische und andere Massnahmen gegen terroristische Organisationen zu ergreifen.

Der Bundesrat schlägt daher eine klärende Anpassung der Formulierung von Absatz 2 des Artikels 74 NDG vor. Der neue Gesetzeswortlaut soll ausdrücken, dass nicht zwingend ein formelles Verbot gegen eine Organisation oder Gruppierung durch die UNO262 notwendig ist, damit der Bundesrat gemäss Artikel 74 NDG tätig werden kann. Es genügt, wenn ein dafür zuständiges, massgebliches Gremium der Vereinten Nationen die Staaten dazu verpflichtet, entsprechende Massnahmen gegen die Organisation zu ergreifen.263 Es versteht sich, dass der Bundesrat auch bei Vorliegen eines entsprechenden Beschlusses der Vereinten Nationen nach wie vor frei über die Verhängung eines entsprechenden Verbots befinden kann, dies nach Konsultation der Sicherheitspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte.

Der Gesetzesentwurf264 sieht des Weiteren in Anlehnung an die geltende Strafnorm gegen kriminelle Organisationen vor, dass das Gericht die Strafe mildern kann, wenn der Täter oder die Täterin sich bemüht, die weitere Tätigkeit der Gruppierung oder Organisation zu verhindern. Der Bundesrat hat diesen Handlungsbedarf bereits am 23. November 2016 in seiner Antwort auf die Motion Janiak vom 28. September 2016 «Einführung einer Kronzeugenregelung» (16.3735) bejaht. Er kommt seiner Ankündigung mit der nun vorgeschlagenen Ausweitung der sogenannten «kleinen Kronzeugenregelung» auf den Anwendungsbereich von Artikel 74 NDG somit nach.

Aufgehoben werden kann dagegen die geltende Bestimmung von Artikel 74 Absatz 6 NDG, wonach die allgemeinen Bestimmungen des StGB zur Anwendung gelangen.

Dieser gesetzliche Hinweis, der aufgrund seiner Fokussierung auf das Einziehungsrecht missverständlich sein kann, erübrigt sich, nachdem der geltende Artikel 333 StGB den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs generell als auf andere Bundesgesetze anwendbar erklärt. Die Pflicht zur Mitteilung von Urteilen und anderen Entscheiden beschränkt sich angesichts der neu statuierten Bundeszuständigkeit für die Strafverfolgung auf die Mitteilung an den NDB.265

262

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass z. B. der UNO-Sicherheitsrat zukünftig auch Verbote in einem engeren Sinn aussprechen könnte, wird der geltende Verweis auf Verbotsbeschlüsse beibehalten. Auf die Erwähnung der OSZE wird aufgrund der auch weiterhin absehbaren fehlenden Relevanz im Bereich von Sanktionierungen und Verboten verzichtet.

263 Als Beispiel für solche zugrundeliegende Beschlüsse sind die Resolutionen 2396 vom 21. Dezember 2017 oder 2178 vom 24. September 2014 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zu erwähnen (www.un.org/fr/sc > Documents > Résolutions > S/RES/2396 (2017) bzw. S/RES/2178 (2014), nicht offizielle deutsche Fassung unter www.un.org/depts/german/sr/sr_them/terrorismus.htm). In diesen Resolutionen gegen den Terrorismus wird auf bestimmte Terrororganisationen ausdrücklich Bezug genommen, ohne dass aber ein formelles Verbot ausgesprochen würde.

264 Abs. 4bis 265 Abs. 7. Der Bundesanwaltschaft sowie dem Bundesamt für Polizei werden die Entscheide ohnehin mitgeteilt.

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Schliesslich wird der Ingress des NDG durch die Nennung von Artikel 123 der Bundesverfassung, wonach die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des Strafprozessrechts Sache des Bundes ist, ergänzt.

4.4

Rechtshilfegesetz: Anpassungen im Bereich der dynamischen Strafrechtshilfe

4.4.1

Ziele der gesetzgeberischen Anpassungen

Die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen steht vor der Herausforderung, der Verbrechensprävention eine grössere Bedeutung einzuräumen und sie effizienter zu gestalten als bisher. Ziel der verstärkten Prävention ist es, rascher einschreiten zu können, um grosse Schäden durch Terroranschläge und andere schwere Straftaten, insbesondere Angriffe auf Leib und Leben oder materielle Zerstörung, zu vermeiden.

Der international vernetzte Terrorismus ist nur eine Facette der Kriminalität, die sich in den letzten Jahren wegen der Globalisierung und der stets zunehmenden Zusammenarbeit zwischen den Staaten stark entwickelt hat. Eine der effizientesten Antworten auf dieses Problem ist die sogenannte dynamische Rechtshilfe, die Gegenstand der neuen Artikel 80d bis E-IRSG zur vorzeitigen Übermittlung von Informationen und Beweismitteln und 80d ter­80d duodecies E-IRSG zur Errichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen ist.266 Mit den vorgeschlagenen Änderungen sollen im schweizerischen Recht Bestimmungen eingeführt werden, welche die Schweizer Staatsanwaltschaften und ihre ausländischen Partner in die Lage versetzen, schwere Kriminalität zu verhüten, die Zusammenarbeit zu beschleunigen und die Strafverfolgung zu verbessern. Durch die neuen Regelungen im IRSG kann sowohl die Terrorismusbekämpfung verbessert werden als auch die Bekämpfung jeglicher damit verbundenen Form von Kriminalität, beispielsweise dem organisierten Verbrechen. Die rasche und effiziente Zusammenarbeit richtet sich demnach auch gegen Straftaten, die mit dem geplanten Anschlag oder den geplanten Anschlägen direkt zusammenhängen oder im Vorfeld verübt werden. Andererseits besteht das Hauptziel der Revision nicht nur in der Terrorismusbekämpfung. Sie soll auch dazu dienen, die justizielle Zusammenarbeit bei der Bekämpfung anderer Formen schwerer Verbrechen zu stärken, so namentlich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der organisierten Geldwäscherei oder Korruption.

266

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens waren lediglich zwei Bestimmungen vorgesehen im Bereich der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, und zwar Artikel 80d bis und 80d ter VE-IRSG. Artikel 80d ter VE-IRSG regelte die gemeinsamen Ermittlungsgruppen und übernahm dabei den wesentlichen Inhalt von Artikel 20 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen. Dieser Inhalt wurde auf mehrere Gesetzesartikel verteilt und findet sich jetzt in den Artikeln 80d ter­80d duodecies E-IRSG.

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Die neue Form der Zusammenarbeit muss die Vorgaben von Artikel 2 IRSG und die von der Schweiz verlangten Minimalgarantien einhalten: Das Verfahren im Ausland hat insbesondere in Einklang mit der EMRK und dem UNO-Pakt II zu stehen und keine gravierenden Mängel aufzuweisen. 267 Mit Staaten, die keine glaubwürdigen Garantien abgeben, ist keine Zusammenarbeit möglich. Ausgeschlossen ist das Rechtshilfeverfahren im Übrigen auch, wenn es beispielsweise darum geht, durch diskriminierende Anwendung der neuen Bestimmungen einen politischen Gegner zu bekämpfen. Aufgrund ihres Gehalts sind die neu vorgeschlagenen Bestimmungen nur unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar. Sie tragen dem Anliegen der Strafverfolgungsbehörden, den Anforderungen an eine moderne und wirksame Zusammenarbeit zu genügen, Rechnung.268 In der Vernehmlassung wurde die Befürchtung geäussert, die neuen Bestimmungen könnten auch dann zur Anwendung gelangen, wenn die justizielle Zusammenarbeit mit einem bestimmten Staat problematisch sei und zu stark von der schweizerischen Auffassung abweiche, insbesondere was die Grundrechte anbelangt. In diesem Zusammenhang hält der Bundesrat fest, dass sowohl die vorzeitige Übermittlung von Informationen und Beweismitteln als auch die gemeinsamen Ermittlungsgruppen durch Kann-Vorschriften geregelt sind. Schweizerische Staatsanwaltschaften werden daher nicht dazu verpflichtet, diese Gesetzesbestimmungen anzuwenden.

Die Bestimmungen ermöglichen zwar eine justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit jedem Staat, bezwecken aber vornehmlich die Kooperation mit jenen Staaten, mit denen die Staatsanwaltschaften bereits seit Langem erfolgreich zusammenarbeiten. In der Regel wird den Rechtshilfemassnahmen, die in Anwendung der neuen Bestimmungen getroffen werden, ein spezielles Vertrauensverhältnis zugrunde liegen. Das Bundesamt für Justiz (BJ) als Aufsichtsbehörde für Internationale Rechtshilfe in Strafsachen steht den Staatsanwaltschaften dabei beratend zur Seite.

Dies gilt auch bei direkten Kontakten zwischen der Schweizer Staatsanwaltschaft und ihren ausländischen Partnern.

In seiner jüngsten Rechtsprechung anerkennt das Bundesgericht den Nutzen solcher moderner Rechtshilfemassnahmen, die eine gewisse Zeit geheim bleiben müssen, damit die ausländischen Ermittlungen nicht blockiert oder gefährdet werden. Das Bundesgericht macht aber darauf aufmerksam, dass eine Rechtsgrundlage notwendig ist, um solche Rechtshilfemassnahmen ergreifen zu können.269

267

Vgl. die Voraussetzungen in Art. 37, 38 und 80p IRSG, sowie das Dreiklassenmodell des Bundesgerichts, hierzu insb. BGE 134 IV 156 E. 1.3.3 und 6; BStGer RR 2015 318 E. 5.1 mit Hinweisen sowie BStGer 2010 56 E. 6.4.2, Verweigerung der Rechtshilfe aufgrund des rein «theoretischen» Risikos von Menschenrechts- und Garantieverletzungen. Ausgehend von diesem Modell verweigert die Schweiz die Zusammenarbeit mit Staaten der dritten Klasse.

268 Tätigkeitsbericht, Bericht der Bundesanwaltschaft über ihre Tätigkeit im Jahr 2016 an die Aufsichtsbehörde, S. 7, abrufbar im Internet unter: www.bundesanwaltschaft.ch > Tätigkeitsberichte.

269 BGE 143 IV 186

6492

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4.4.2

Artikel 80dbis E-IRSG: Vorzeitige Übermittlung von Informationen und Beweismitteln

4.4.2.1

Ausgangslage

Mit dieser Bestimmung soll in dringenden und begründeten Fällen (z. B. bei Geiselnahmen oder einem terroristischen Anschlag) eine wirksame Prävention ermöglicht werden. Die Bestimmung enthält die erforderlichen Garantien, damit sie nicht zu weit ausgelegt wird.

Im Rahmen der vom Übereinkommen angestrebten Prävention kann durch Artikel 80d bis vermieden werden, dass bei der Verfolgung geplanter schwerer Verbrechen zu spät reagiert wird. Die Bestimmung trägt dazu bei, dass Leben gerettet sowie die Gesundheit von potenziellen Opfern bewahrt werden können. Ferner kann die Zusammenarbeit zwischen den Behörden gefördert werden. Durch die in der Bestimmung statuierte Wahrung der Vertraulichkeit der Informationen wird die Effektivität der Ermittlungen im Bereich des Terrorismus, zum Beispiel zur Bekämpfung der Radikalisierung von Personen, sichergestellt. Die Bestimmung soll verhindern, dass frühzeitig Informationen über die betreffende Strafermittlung bekannt werden und diese so vereitelt wird. Das wird erreicht, indem gemäss den Erfordernissen der ausländischen Ermittlungen das Untersuchungsgeheimnis gewahrt wird. Die Bestimmung trägt ausserdem den Bedenken und Kritiken bestimmter Staaten (insbesondere Common-law-Staaten) sowie einem der acht Handlungsschwerpunkte Rechnung, den die GAFI nach der Länderprüfung des Jahres 2016 an die Schweiz gerichtet hat mit der Empfehlung, dass die Schweizer Behörden Massnahmen ergreifen, um die Vertraulichkeit von Rechtshilfeersuchen besser zu wahren.

Die Vertraulichkeit ist ein wichtiger Faktor: Sie verhindert unverhältnismässig erschwerte Ermittlungen, insbesondere auch im Hinblick auf mögliche Kollusionsgefahr (Art. 221 Abs. 1 Bst. b StPO) in Terrorismusfällen. Bei Telefonüberwachungen in diesem Bereich sind beispielsweise geheime Absprachen unter den Mitgliedern des Netzwerks zu verhindern. Eine solche Abhörmassnahme ist nur dann erfolgreich, wenn die Betroffenen nichts davon erfahren. Dasselbe gilt für die Anwendung von Artikel 18b IRSG auf die bewilligte Übermittlung elektronischer Verkehrsdaten.

Ein drittes Beispiel ist die Vorankündigung einer Durchsuchung durch eine gemeinsame Ermittlungsgruppe.270 Hier setzt eine erfolgreiche Durchsuchung voraus, dass die Betroffenen vorab keine Kenntnis von der Massnahme erhalten. Zu erwähnen ist auch der Fall, wo ohne
Wissen der betroffenen Person Dokumente beschlagnahmt wurden, beispielsweise wenn die Beschlagnahme bei einem Treuhänder oder einer Treuhänderin erfolgt ist, der oder die aufgrund von Artikel 80n IRSG zur Verschwiegenheit angehalten wurde. Artikel 80d bis E-IRSG stellt ein Rechtshilfe- und Untersuchungsinstrument dar, das in der Schweiz bislang nicht vorgesehen war, aber in mehreren europäischen Staaten bereits zum Einsatz gelangt. Wirksam ist eine solche Massnahme auch bei Fluchtgefahr der verdächtigen Person, bei drohender Manipulierung oder Vernichtung von Beweismitteln oder bei der Beeinflussung von Personen in der Absicht, die Wahrheit zu verschleiern. Verschiedene praktische 270

Art. 80d ter­80d duodecies E-IRSG

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Erfahrungen in Rechtshilfefällen zeigen, dass Artikel 80d bis E-IRSG eine bessere Zusammenarbeit ermöglichen wird, zum Beispiel durch den vertraulichen Austausch von Kontoauszügen oder Kreditkartenbewegungen. Es kann insbesondere rascher ersichtlich werden, wie verschiedene, nicht offenkundig zusammenhängende Sachverhalte in der Realität zum gleichen Fallkomplex gehören. Eine solche Information ermöglicht die Beschleunigung einer erfolgreichen Strafuntersuchung, was schlussendlich für eine effizientere Verbrechensbekämpfung des Terrorismus ausschlaggebend ist.

Artikel 80d bis E-IRSG ist nur in einem beschränkten Rahmen anzuwenden, bevor die Schlussverfügung erlassen wird, mit der über Gewährung und Umfang der Rechtshilfe entschieden wird. Mit verschiedenen Vorkehrungen in der Bestimmung wird sichergestellt, dass die betroffene Person durch deren Anwendung keinen massgeblichen Nachteil erleidet.271 Artikel 80d bis E-IRSG unterscheidet sich von Artikel 67a IRSG272 in Bezug auf die vorzeitige Übermittlung sowie in Bezug auf den Zweck: Der Zweck von Artikel 67a IRSG besteht darin, Informationen, die während einer in der Schweiz eröffneten Untersuchung erhoben worden sind, einer ausländischen Behörde zu übermitteln, damit diese ein Rechtshilfeersuchen stellen kann oder um ihr die Strafuntersuchung zu erleichtern (passiver Charakter). Die Übermittlung nach dem neuen Artikel 80d bis kann namentlich geschehen, um einen terroristischen Anschlag oder ein anderes Verbrechen zu verhindern (aktiver Charakter). Es gilt das Verhältnismässigkeitsprinzip.

4.4.2.2

Erläuterungen zur neuen Bestimmung

Art. 80dbis Abs. 1­4 Anlässlich des Vernehmlassungsverfahrens wurde der als zu weit erachtete Anwendungsbereich der Formulierung in Absatz 1 («Interesse des Verfahrens») bemängelt.

Die Bestimmung wurde nun in ihrem Wortlaut entsprechend präzisiert. Zum Tragen kommt sie entweder zwecks Abwendung einer terroristischen oder anderen schwerwiegenden Gefahr oder wenn das ausländische Verfahren ohne die vorzeitige Übermittlung unverhältnismässig erschwert würde.

Die Straftaten, auf die Artikel 80d bis E-IRSG anwendbar ist, sind schwerwiegend, da sie gemäss Absatz 2 Anlass zur Auslieferung geben können. Dies ist dann der Fall, wenn sie mit einer freiheitsbeschränkenden Sanktion im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren Sanktion bedroht sind.273 Gestützt auf die vorgeschlagene Bestimmung kann unmittelbar und rasch auf die angeforderten Informationen zugegriffen werden, ohne dass die betroffene Person vorgängig ihre Rechte geltend machen kann. Sie kann dies jedoch nachholen, spätestens durch Anfechten der Schlussverfügung im Rechtshilfeverfahren (davor durch 271

Zum Schutz der Rechte der betroffenen Person siehe die Ausführungen unten zu Art. 80d bis Abs. 4 E-IRSG.

272 Dieser regelt die unaufgeforderte Übermittlung von Beweismitteln und Informationen.

273 Art. 35 Abs. 1 Bst. a IRSG

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Stellungnahme bei der betreffenden Staatsanwaltschaft, sofern eine zeitigere Information möglich ist274).

Zur Förderung einer möglichst wirksamen Zusammenarbeit ist es wichtig, dass die Informationen sowohl unaufgefordert als auch auf Ersuchen übermittelt werden dürfen. Die Rechtsordnungen der verschiedenen Staaten unterscheiden sich. Oft kennt ein Staat die Rechtsordnung des anderen nicht im Detail; so sind auch die Besonderheiten des Schweizer Rechtssystems den zuständigen ausländischen Behörden häufig unbekannt. Für eine wirksame Zusammenarbeit ist diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem auch die unaufgeforderte Übermittlung von Informationen ermöglicht wird. Eine solche Übermittlung wird häufig an einen Staat erfolgen, der keine Kenntnis von dieser Möglichkeit hat. Die Schweizer Staatsanwaltschaft wird davon Gebrauch machen, wenn sie ein Rechtshilfeersuchen in einer Angelegenheit erhält, in der die ausländische Untersuchung durch die vorzeitige Übermittlung erleichtert würde. Primär macht die Schweizer Staatsanwaltschaft dabei die ausländische Behörde auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Übermittlung aufmerksam. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass die Bedingungen von Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstaben a­c vor der vorzeitigen Übermittlung, das heisst auch bei einer unaufgeforderten Übermittlung erfüllt sein müssen. Die Schweizer Staatsanwaltschaft, die eine erste Information liefert (z. B. Informationen über die Planung einer terroristischen Straftat), achtet dabei darauf, die Garantien nach Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstaben a­c umgehend via E-Mail, Fax oder auf anderem Wege einzuholen, bevor sie die entsprechenden Informationen und Beweismittel vorzeitig übermittelt. Im Falle terroristischer Handlungen, die es zu vereiteln gilt, sind die Garantien rasch zu liefern. Die neuen Bestimmungen werden hauptsächlich im Verkehr mit Staaten zur Anwendung gelangen, mit denen eine lange und vertrauensvolle Rechtshilfetradition besteht und die es gewohnt sind, ohne Verzögerung und auch unter Auflagen prompt zu kooperieren.

Die vorzeitige Übermittlung, auf Ersuchen oder unaufgefordert, kann die Wirksamkeit von Ermittlungen, die vorübergehend geheim bleiben müssen, massgeblich erhöhen. Die damit verbundene Einschränkung der Rechtsstellung der betroffenen Person wird durch eine Reihe von Garantien
kompensiert. Erstens kann die Person die Schlussverfügung anfechten, bevor der ausländische Staat die Unterlagen in seinem Strafverfahren als Beweismittel verwenden darf. Zweitens werden bis zur Rechtskraft der Schlussverfügung die vorzeitig übermittelten Unterlagen lediglich zu Ermittlungszwecken eingesetzt. Drittens bieten die Garantien nach Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstaben a­c der betroffenen Person einen erhöhten Rechtsschutz.

Dasselbe gilt für die Kontrolle durch das BJ als Aufsichtsbehörde, das die Schlussverfügung bei Bedarf ebenfalls anfechten kann und das bereits von der Zwischenverfügung über die vorzeitige Übermittlung vor deren Vollzug Kenntnis erhält (Art. 80d bis Abs. 6 E-IRSG). Auf diese Weise erfährt die betroffene Person einen umfassenden Rechtsschutz gegen die missbräuchliche Verwendung der Beweismittel durch den ausländischen Staat. Bei Annahme einer Beschwerde werden nach Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe c E-IRSG die Unterlagen aus den ausländischen Verfahrensakten entfernt. Die vorgeschlagene Regelung bringt damit die Erforder274

Vgl. die Ausführungen unten zu Art. 80d bis Abs. 4 Bst. b E-IRSG.

6495

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nisse der Strafverfolgung mit dem Schutz der berechtigten Interessen der betroffenen Person in Einklang.

Artikel 80d bis Absatz 4 E-IRSG bestimmt, unter welchen Bedingungen die vorzeitige Übermittlung von Informationen und Beweismitteln zulässig ist. Bereits gemäss der Rechtsprechung des Bundesstrafgerichts dürfen in der Schweiz erhobene Informationen von den ausländischen Behörden ausschliesslich zu Informationszwecken und nicht als Beweise verwendet werden, solange die Schlussverfügung der Schweiz im Rechtshilfeverfahren nicht in Rechtskraft erwachsen ist.275 Die Verwendung zu Ermittlungszwecken ist hingegen erlaubt.

Zu Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe a E-IRSG ist festzuhalten, dass ein Vergleich mit der beschuldigten Person einem Endentscheid gleichzusetzen ist. Ein solcher Vergleich darf erst vereinbart werden, nachdem das Rechtshilfeverfahren abgeschlossen und die Schlussverfügung in Rechtskraft erwachsen ist. Die vorzeitige Übermittlung darf somit nicht dazu dienen, der beschuldigten Person einen Vergleich abzunötigen. Sie ist lediglich zu Ermittlungszwecken einzusetzen.

Nur Unterlagen, die geheim bleiben müssen, werden der betroffenen Person nicht zur Kenntnis gebracht. Letztere wird jedoch vor Erlass der Schlussverfügung informiert und kann somit zu diesem Zeitpunkt Beschwerde einreichen. Die Zwischenverfügung über die vorzeitige Übermittlung ist nicht unmittelbar beschwerdefähig.276 Mit Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe a soll somit eine missbräuchliche Verwendung der übermittelten Informationen verhindert werden. Die von der Übermittlung betroffene Person soll die Möglichkeit erhalten, ihre Rechte im Rechtshilfeverfahren vor dem Erlass der Schlussverfügung wirksam geltend zu machen. Aus dem gleichen Grund ist die vorzeitige Übermittlung der betroffenen Person gemäss Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe b E-IRSG sobald als möglich zur Kenntnis zu bringen. Zur Vermeidung von Missverständnissen wird in Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe b auf den Grundsatz nach Artikel 80m verwiesen, nach welchem Verfügungen in einem Rechtsmittelverfahren ausschliesslich den in der Schweiz wohnhaften Berechtigten oder den Berechtigten mit Zustellungsdomizil in der Schweiz zugestellt werden.

Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe b ist in der Praxis durch die ersuchende Behörde strikt zu handhaben, damit
die vorzeitige Übermittlung der betroffenen Person so rasch als möglich zur Kenntnis gebracht werden kann und diese möglichst noch vor Erlass der Schlussverfügung dazu Stellung nehmen kann. Eine solche Stellungnahme der betroffenen Person zur vorzeitigen Übermittlung ist jedoch keine Beschwerde im Sinne des Gesetzes. Anfechtbar ist in Anwendung von Artikel 80d bis Absatz 5 E-IRSG einzig die Schlussverfügung und nicht die Zwischenverfügung zur vorzeitigen Übermittlung.

Nach Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstabe c E-IRSG sind die durch vorzeitige Übermittlung erlangten Informationen oder Beweismittel aus den Akten des ausländischen Verfahrens zu entfernen, wenn die Rechtshilfe verweigert wird.

275 276

Entscheide BStGer RR.2008.277 und RR.2015.10.

Vgl. Art. 80d bis Abs. 4 Bst. b und Abs. 5 E-IRSG.

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Durch diese Bedingungen, zu deren Einhaltung sich die ersuchende Behörde vorgängig verpflichten muss, kann einerseits sichergestellt werden, dass mit der vorzeitigen Übermittlung von Informationen und Beweismitteln nicht die Rechtshilfe umgangen wird. Andererseits wird Gewähr geboten, dass die betroffene Person, die sich der vorzeitigen Übermittlung nach Artikel 80d bis Absatz 5 nicht widersetzen konnte, ihre Rechte vor der Schlussverfügung betreffend Gewährung und Umfang der Rechtshilfe wirksam geltend machen kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör der betroffenen Person wird lediglich aufgeschoben. Die betroffene Person kann die vorzeitige Übermittlung mit Beschwerde gegen die Schlussverfügung anfechten.

Art. 80d bis Abs. 5 und 6 Die Übermittlung von Informationen und Beweismitteln vor Erlass der Schlussverfügung ist Sache der zuständigen Staatsanwaltschaft. Artikel 80d bis Absätze 5 und 6 E-IRSG ermöglichen es dem BJ, seine Kontrollfunktion als Aufsichtsbehörde wahrzunehmen und für die korrekte Anwendung des Gesetzes zu sorgen. Das BJ oder die berechtigte Person können gegen die Schlussverfügung Beschwerde erheben, damit die vorzeitig übermittelten Informationen und Beweismittel aus den Akten des ausländischen Verfahrens entfernt werden (vgl. Erläuterungen zu Abs. 4).

Die Bestimmung in Absatz 6 entspricht dem Beschleunigungsgebot, dem die zuständigen Schweizer Behörden unterliegen, und ist ­ wie im Fall der Artikel 20a, 78 und 79 IRSG, in denen das Beschwerderecht ebenfalls ausgeschlossen wird ­ das Ergebnis einer verhältnismässigen Abwägung der vorliegenden Interessen. Da die Schlussverfügung angefochten werden kann, entsteht kein massgeblicher Nachteil für die betreffende Person. Diese kann dabei auch geltend machen, dass die Auflagen von Artikel 80d bis Absatz 4 Buchstaben a­c E-IRSG nicht erfüllt seien. Nach Artikel 25 Absatz 1 und 80e Absatz 1 IRSG können vorangehende Zwischenverfügungen somit zusammen mit der Schlussverfügung angefochten werden.

4.4.3

Artikel 80dter­80dduodecies E-IRSG: Gemeinsame Ermittlungsgruppen

4.4.3.1

Ausgangslage

Der Zweck der in den neuen Artikeln 80d ter­80d duodecies E-IRSG geregelten gemeinsamen Ermittlungsgruppen besteht in einem raschen gemeinsamen Handeln und einer entsprechend wirksamen Zusammenarbeit. Namentlich im Bereich der Terrorismusprävention und -bekämpfung gilt es, die grenzüberschreitende Dimension der oft mit dem organisierten Verbrechen zusammenhängenden Straftaten aufzuklären. Dies geschieht unter Beteiligung anderer Staaten, in denen Verbindungen zur betreffenden Straftat bestehen oder mit denen die Koordination aus anderen Gründen erforderlich ist.

Als bereits bestehende Beispiele für die Regelung der Zusammenarbeit in gemeinsamen Ermittlungsgruppen können Artikel 20 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, die Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten infolge der Terroranschläge vom 11. September 6497

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2001277 sowie der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Juni 2002278 über gemeinsame Ermittlungsgruppen und die Empfehlung des Rates von 2017 zu einem Modell für eine Vereinbarung über die Bildung einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe angeführt werden.

4.4.3.2

Erläuterungen zu den neuen Bestimmungen

Art. 80dter­80dduodecies E-IRSG Wie der neue Artikel 80d bis E-IRSG bieten auch die neuen Artikel 80d ter­ 80d duodecies E-IRSG ein Instrument für die dynamische Rechtshilfe. Dieses kann aufgrund der Komplexität, der Schwierigkeit und des grenzübergreifenden Charakters eines Falls erforderlich sein oder aufgrund der Tatsache, dass mehrere Staaten gemeinsam agieren müssen. Die neuen Bestimmungen legen fest, unter welchen Voraussetzungen eine gemeinsame Ermittlungsgruppe (GEG) eingesetzt wird und auf welche Weise diese ihre Aufgaben wahrnimmt. Die Gründe für die Umwandlung von Artikel 80d ter VE-IRSG (gemäss Vernehmlassungsentwurf) in die Artikel 80d ter­80duodecies E-IRSG (gemäss vorliegendem Gesetzesentwurf) sind redaktioneller Natur: Durch einen prägnanteren und nicht zu detaillierten Wortlaut jeder einzelnen Bestimmung soll die Rechtsanwendung erleichtert werden.

Art. 80d ter Eine GEG geht nach Artikel 80d ter Absatz 3 E-IRSG immer auf ein oder mehrere Ersuchen im Bereich der internationalen Strafrechtshilfe sowie nach Artikel 80d ter Absatz 2 auf eine oder mehrere Strafuntersuchungen zurück. Das Rechtshilfeersuchen im betreffenden Strafverfahren ist für die Einsetzung einer GEG unabdingbar.

Die GEG ist eine Rechtshilfemassnahme, die von der zuständigen Staatsanwaltschaft und ihren ausländischen Partnern ergriffen wird. Im Einsetzungsakt ist der Zweck der GEG klar zu umreissen durch eine kurze Darstellung des Sachverhalts, mit dem die Justizbehörden der betroffenen Staaten befasst sind (Ort und Zeitpunkt der Tatbegehung und rechtliche Qualifikation). Dieser spezifische Zweck muss klar begrenzt und im IRSG statuiert werden.

Ein weiteres wesentliches Merkmal der GEG ist, dass sie nach Artikel 80d ter Absatz 4 E-IRSG für eine befristete Dauer errichtet wird, die bei Bedarf verlängert werden kann. Wie der Zweck, der als notwendige Angabe in Artikel 80d duodecies E-IRSG aufgeführt ist, hängt auch dieses zeitliche Element mit dem eigentlichen Ziel der GEG zusammen, nämlich der effizienteren Durchführung einer Strafuntersuchung

277

Vereinbarung vom 12. Juli 2006 zwischen dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und dem Justizdepartement der Vereinigten Staaten von Amerika, handelnd für die zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Vereinigten Staaten von Amerika über den Einsatz von gemeinsamen Ermittlungsgruppen zur Bekämpfung des Terrorismus und dessen Finanzierung; SR 0.360.336.1.

278 ABl. L 162 vom 20.6.2002, S. 1­3, http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ ?uri=celex%3A32002F0465.

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oder eines Teils hiervon279 in den betroffenen Ländern. Gleichzeitig durchgeführte Untersuchungen in mehreren Staaten können besser koordiniert werden. Die beiden wesentlichen Merkmale des bestimmten Zwecks und der befristeten Dauer bilden auch den Kern der internationalen Regelung zu GEG in Artikel 20 Absatz 1 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen.

Die Ernennung der verantwortlichen Person, der Mitglieder der GEG sowie der Beizug externer Experten und Expertinnen und Hilfspersonen ist in Artikel 80d ter Absatz 5 geregelt. Die GEG wird in der Regel in dem Staat eingesetzt, in dem die Strafuntersuchung zur Hauptsache durchgeführt wird. Der Einsetzungsakt der Schweizer Staatsanwaltschaft und ihrer ausländischen Partner bedarf der Schriftform und wird dem BJ als Aufsichtsbehörde zur Kenntnis gebracht (Art. 80d ter Abs. 6 E-IRSG).

Art. 80d quater­80d sexies E-IRSG Artikel 80d quater E-IRSG bestimmt das massgebliche Recht im Sinne von Artikel 20 Absatz 3 Buchstabe b des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen. Nach dieser Bestimmung führt eine GEG ihren Einsatz nach dem Recht des Staates durch, in dessen Hoheitsgebiet ihr Einsatz erfolgt. Die GEG hält sich an dieses massgebliche Recht. Artikel 80d quater E-IRSG greift diesen Inhalt auf, der den Bestimmungen in Artikel 80a Absatz 2 und 64 Absatz 1 IRSG entspricht (massgebendes schweizerisches Recht in der Schweiz).

Dadurch lassen sich Missverständnisse vermeiden in Situationen, wo das innerstaatliche Recht anderer Staaten stark vom schweizerischen abweicht und Besonderheiten aufweist, die im Falle von Ermittlungen in der Schweiz nicht erwünscht sind.

Vor diesem Hintergrund überträgt Artikel 80d quinquies E-IRSG die Verantwortung für die einzelnen Untersuchungshandlungen der Straf- oder Rechtshilfebehörde desjenigen Staates, auf dessen Territorium die jeweilige Untersuchungshandlung durchgeführt wird. In der Schweiz handelt es sich dabei um die zuständige Staatsanwaltschaft, während im Ausland durchgeführte Untersuchungshandlungen unter die Verantwortung der ausländischen Partner fallen.

Artikel 80d sexies E-IRSG regelt die straf- und haftungsrechtliche Stellung der Verantwortlichen und der Mitglieder der GEG. Diese Bestimmung übernimmt den
Inhalt von Artikel 21 und 22 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen. Der haftungsrechtliche Grundsatz lautet, dass ein Staat für den Schaden haftet, den seine Beamten und Beamtinnen in Ausübung ihrer Aufgaben verursachen. Der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet die ausländischen Mitglieder der GEG einen Schaden verursacht haben, ersetzt diesen Schaden und erwirkt danach beim anderen Staat dessen Rückerstattung.

279

Wie z. B. in der Schweiz die Eidgenössische Steuerverwaltung in Fällen, in welchen sie als Expertin beigezogen wird.

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Art. 80d septies E-IRSG Artikel 80d septies E-IRSG regelt den Zugang zu Unterlagen, wobei je nach Sachverhalt Beschränkungen möglich sind. Die ausländischen Mitglieder und Verantwortlichen der GEG haben Zugang zu den Unterlagen der Untersuchung, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen. Artikel 80d septies Absatz 2 E-IRSG ermöglicht es der Staatsanwaltschaft, den Zugang einzuschränken, beispielsweise wenn die innere Sicherheit tangiert ist oder eine andere laufende Strafuntersuchung es gebietet.

Desgleichen kann sie den Zugang zu Unterlagen auf eine andere Strafuntersuchung ausweiten, um die Arbeit der GEG zu erleichtern. Die Staatsanwaltschaft, die mit ihren ausländischen Partnern die GEG einsetzt, prüft diese Fragen noch vor der Einsetzung der GEG. Dabei kann sie auch Zugang zu älteren Akten gewähren, die mit der Sache zusammenhängen, für welche die GEG gebildet wird, oder den Zugang zu einer abgeschlossenen Untersuchung in Zusammenhang mit der GEG einschränken.

Artikel 80d septies E-IRSG knüpft an Artikel 80d duodecies Absatz 1 Buchstabe g E-IRSG an. Demnach sind Experten, Expertinnen und Hilfspersonen, die von den Mitgliedern der GEG nach Artikel 80d ter Absatz 5 E-IRSG beigezogen werden, den Mitgliedern und Verantwortlichen der GEG nicht gleichgestellt. Dies entspricht dem Inhalt von Artikel 20 Absatz 12 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen. Nach Artikel 80d septies Absatz 3 E-IRSG kommt diesen Personen eine unterstützende oder beratende Rolle zu, und sie dürfen weder Aufgaben wahrnehmen, die in die Zuständigkeit der Mitglieder oder Verantwortlichen der GEG fallen, noch die Informationen der GEG verwenden, es sei denn zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben. Experten, Expertinnen und Hilfspersonen bringen Unterstützung und zusätzliche Fachkenntnisse ein. Vorsicht ist allerdings beim Beizug ausländischer Experten und Expertinnen einer Steuerverwaltung angebracht, die rechtlich zur Strafverfolgung verpflichtet wären, wenn sie von einem Sachverhalt Kenntnis erhalten, der im ausländischen Staat als Fiskaldelikt gilt. In solchen Fällen besteht das Risiko einer Umgehung der Rechtshilfe.

Vor dem Hintergrund der besonderen Steuervorschriften in der Schweiz stellt Absatz 3 der vorliegenden Regelung sicher, dass die Rechtshilfe
nicht umgangen wird durch ausländische Experten, Expertinnen oder Hilfspersonen mit umfassendem Zugriff auf Akten, für die keine Rechtshilfe gewährt wird.

Artikel 80d septies Absatz 2 E-IRSG schützt Unterlagen, die ein Staatsgeheimnis beinhalten können, beziehungsweise ganz allgemein schweizerische Verfahrensakten (interne Berichte, Stellungnahmen, Beschwerdeschriften, Eintretens- und Schlussverfügungen, Briefwechsel, Aktennotizen), die interner Natur sind und weder dem ersuchenden Staat noch seinen Vertretern und Vertreterinnen in der GEG herausgegeben werden dürfen280 (vgl. dazu auch die Erläuterungen zu Art. 80d octies). Im Sinne der Ausführungen oben schreibt Artikel 80d septies Absatz 3 vor, dass die Experten, Expertinnen und Hilfspersonen Zugang zu den Informationen und Beweismitteln haben, die für die Erfüllung ihrer Aufgabe notwendig sind, wobei bestimmte Unterlagen der betreffenden Strafsache nicht für sie bestimmt sind.

280

Insb. BStGer RR.2011.143, E. 5 mit Hinweisen.

6500

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Art. 80d octies­80d novies E-IRSG Die Zusammenarbeit erleichtert die Ermittlungen in den betroffenen Ländern, und die Regelung in Artikel 80d octies E-IRSG stellt sicher, dass die Rechtshilfe nicht umgangen wird. Die vorzeitige Übermittlung ist in Artikel 80d bis E-IRSG geregelt.

Artikel 80d octies E-IRSG ist in Verbindung mit Artikel 80d novies E-IRSG zu lesen; dieser schreibt die Wahrung der Vertraulichkeit auch für Verfahren vor, die nicht im Einsetzungsakt der GEG aufgeführt sind und Verbindungen zur GEG aufweisen können. Die GEG ist gemäss Artikel 80d novies E-IRSG dazu verpflichtet, die Datenschutzbestimmungen desjenigen Staates, in dem sie tätig wird, anzuwenden und zu respektieren. Die in der Schweiz durchgeführten Ermittlungsmassnahmen, wie zum Beispiel der Einsatz von technischen Geräten zur Fernmeldeüberwachung, müssen damit den hiesigen datenschutzrechtlichen Vorgaben entsprechen.

Art. 80d decies­80d duodecies E-IRSG Artikel 80d decies E-IRSG regelt die allenfalls erforderlichen Medienkontakte im Rahmen einer GEG. Ein Beispiel stammt aus dem Jahre 2014, als es um drei irakische Staatsangehörige und mutmassliche Mitglieder des Islamischen Staats ging: Die Bundesanwaltschaft (BA)281 stand dabei mit dem US-amerikanischen Office of International Affairs in Kontakt. 2017 publizierte die BA weitere Medienmitteilungen in Sachen Terrorbekämpfung, wobei in einem Fall eine französisch-schweizerische GEG beteiligt war.282 Artikel 80d undecies E-IRSG zur Kostentragung richtet sich nach Artikel 5 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen.

Artikel 80d duodecies Absatz 1 Buchstaben a­k E-IRSG legt den Mindestinhalt des Einsetzungsakts detailliert fest. Zur Anwendung gelangt diese grundlegende Bestimmung in Verbindung mit den Artikeln 80d ter­80d undecies, welche die anderen Fragen zur GEG regeln. Der aufgeführte Inhalt kann von der jeweiligen eidgenössischen oder kantonalen Rechtshilfebehörde sowie ihren ausländischen Partnern noch ergänzt werden, beispielsweise mit einer Regelung der Voraussetzungen zur Benützung persönlicher Fahrzeuge oder zum allfälligen Mitführen von Waffen.

Artikel 80d duodecies Absatz 2 E-IRSG sieht die Möglichkeit vor, den Einsetzungsakt anzupassen, wenn die Ermittlungen dies erfordern. Dazu ermächtigt sind einzig die
Schweizer Justizbehörden (Staatsanwaltschaften), in Absprache mit den ausländischen Justizbehörden, welche die GEG miteingesetzt haben. Die übrigen Verantwortlichen oder Mitglieder der GEG sind dazu nicht befugt, da diese Anpassung einer Rechtshilfemassnahme in Strafsachen entspricht. Weil es sich bei der Einsetzung der GEG um eine Rechtshilfemassnahme in Strafsachen handelt, kann sie

281

www.bundesanwaltschaft.ch > Medien > Medienmitteilungen > 31.10.2014 > IS-Anschlagspläne in Europa vereitelt.

282 www.bundesanwaltschaft.ch > Medien > Medienmitteilungen > 21.9.2017 > Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen drei Vorstandsmitglieder des Islamischen Zentralrates Schweiz (IZRS) und www.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > 7.11.2017 > Terrorbekämpfung: Koordinierte Operationen in der Schweiz und Frankreich.

6501

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zusammen mit der Verfügung, die das Rechtshilfeverfahren abschliesst, angefochten werden, sofern eine Beschwerdelegitimation im Sinne von Artikel 25 IRSG vorliegt.

4.5

Geldwäschereigesetz: Geänderte Kompetenzen der Meldestelle für Geldwäscherei

4.5.1

Stärkere Kompetenzen der MROS

Bei der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung spielen die zentralen Meldestellen für Verdachtsmeldungen (Financial Intelligence Units, FIU) eine wichtige und zentrale Rolle. Der Schweizer Gesetzgeber passt die Kompetenzen der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) regelmässig an, um den Herausforderungen, mit denen diese konfrontiert ist, zu begegnen. So erhielt die MROS mit der Änderung vom 21. Juni 2013283 des Geldwäschereigesetzes vom 10. Oktober 1997284 (GwG) im Rahmen ihres Mandats zur Analyse von Verdachtsmeldungen, wie in der Empfehlung 29 der GAFI gefordert, die Kompetenz, auch mit Finanzintermediären in Verbindung zu treten, die keine Verdachtsmeldung erstattet haben.

Mit Artikel 11a GwG, der seit dem 1. November 2013 in Kraft ist, wurden die Analysekapazitäten der MROS verstärkt. Vor Einführung dieser Bestimmung und insbesondere von Absatz 2 war es der MROS nämlich nicht möglich, Finanzintermediäre zu kontaktieren, die keinen Verdacht gemeldet haben, und zwar auch dann nicht, wenn deren Name in der Verdachtsmeldung eines anderen Finanzintermediärs erschien. Die MROS beschränkte sich in ihren Analysen darauf, die Staatsanwälte über das Bestehen der ermittelten Transaktionen oder Geschäftsbeziehungen zu informieren. Weil die MROS mit Drittintermediären nicht Kontakt aufnehmen durfte, um gewisse Sachverhalte abzuklären, wurde eine hohe Zahl von Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt.

Gemäss den Statistiken der MROS nimmt die Zahl ihrer Anfragen an Finanzintermediäre, die keine Meldung nach Artikel 11a Absatz 2 GwG erstattet haben, stetig zu. Die Zahl der an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleiteten Meldungen hat seit Inkrafttreten dieses Artikels hingegen abgenommen. Der Nutzen und Effekt dieser Bestimmung ist offensichtlich. Sie trägt zur Abklärung verschiedener Sachverhalte bei und verhindert so, dass die Strafverfolgungsbehörden mit schwach begründeten Verdachtsmeldungen belastet werden.

Nach dem geltenden Artikel 11a GwG fordert die MROS nur dann zusätzliche Informationen ein, wenn sie eine Verdachtsmeldung erhalten hat, deren Analyse vertiefte Abklärungen erfordert. In seiner Botschaft von 2012 hält der Bundesrat fest: «Der Kreis der Drittintermediäre, den die Meldestelle gemäss Absatz 2 anfragen kann, steht also immer im Zusammenhang mit der von einem Finanzintermediär eingereichten Verdachtsmeldung und den Erkenntnissen aus der darauf basierenden Analyse.»

283 284

AS 2013 3493; BBl 2012 6941 SR 955.0

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Artikel 11a Absatz 2 GwG erlaubt es jedoch nicht, ausreichend wirksam auf die aktuellen Herausforderungen insbesondere im Bereich der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung zu reagieren. Das Bestehen einer Verdachtsmeldung als Voraussetzung dafür, dass bei einem Finanzintermediär Informationen eingeholt werden dürfen, hindert die MROS daran, alle vorhandenen Informationen zu verwerten, beispielsweise bei einer Anfrage oder einer unaufgefordert übermittelten Information einer ausländischen Partnerstelle. In einem solchen Fall prüft die MROS die Informationen in ihrer Datenbank. Nur bei Vorliegen einer Meldung kann sie ihre Analyse vertiefen, indem sie bei den Finanzintermediären Informationen einfordert und gegebenenfalls die zuständige Strafverfolgungsbehörde informiert. Das Problem stellt sich bei einer Anfrage oder einer unaufgefordert übermittelten Information aus dem Ausland, ohne dass die MROS eine inländische Verdachtsmeldung im Zusammenhang mit dieser Anfrage oder unaufgefordert übermittelten Information erhalten hat. In einer solchen Situation verfügt die Meldestelle über eine wichtige Information, die für den Schweizer Finanzplatz und seine Reputation heikel oder schädlich sein kann, die sie aber ohne vorgängige Zustimmung der ausländischen Partnerstelle nicht an eine Strafverfolgungsbehörde weiterleiten kann.285 Dies hat zur Folge, dass ohne eine solche Zustimmung die Information bei der MROS blockiert ist. Würde die MROS die Information ohne vorgängige Zustimmung an eine Strafverfolgungsbehörde in der Schweiz weiterleiten, würde sie sowohl die GAFI-Standards betreffend die Amtshilfe zwischen FIU286 als auch ihre Verpflichtungen innerhalb der Egmont-Gruppe verletzen. Wenn es sich um Auskünfte handelt, die zwischen FIU ausgetauscht werden, ist die ausländische Zustimmung zur Weiterleitung der Information an eine Staatsanwaltschaft nicht immer gegeben. Zudem wäre es für die Staatsanwaltschaft schwierig, einzig gestützt auf eine Kontonummer und eine von der MROS nicht bestätigte Information ein Verfahren zu eröffnen. Die systematische Weiterleitung der Information an eine Staatsanwaltschaft könnte zudem eine widersprüchliche Situation schaffen: Die MROS würde als Filter dienen für sämtliche Meldungen oder Informationen von Schweizer Finanzintermediären, die ausländischen Informationen würde sie aber ohne weitere Überprüfung an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten.

4.5.1.1

Bewertung der Kompetenzen der MROS durch die GAFI

Im Jahr 2016 wurde die Schweiz von ihren Partnerstellen innerhalb der GAFI bewertet. Im Hinblick auf die technische Konformität erachten die Bewerter und Bewerterinnen die Empfehlung 29 der GAFI bezüglich der FIU als vollumfänglich erfüllt. Der Bericht hebt jedoch hervor, dass die MROS nicht befugt ist, Anfragen 285

Vgl. Botschaft vom 27. Juni 2012 zur Änderung des Geldwäschereigesetzes, BBl 2012 6941.

286 Vgl. Ziff. 3 der Interpretativnote zur Empfehlung 40 der GAFI, wonach «die Informationen nur zu den Zwecken verwendet werden dürfen, für die sie verlangt und zur Verfügung gestellt worden sind. Die Weitergabe der Informationen an andere Behörden oder an Dritte sowie die Verwendung der Informationen zu administrativen, gerichtlichen, Untersuchungs- oder Strafverfolgungszwecken, die über die ursprünglich festgelegten Zwecke hinausgehen, sind vorgängig von der ersuchten zuständigen Behörde zu genehmigen.»

6503

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aus dem Ausland umfassend zu bearbeiten, weil sie ohne vorherige Verdachtsmeldung Finanzintermediäre nicht kontaktieren darf. Dass sich die MROS aufgrund der ausländischen Informationen an die Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden in der Schweiz wenden kann, damit diese entsprechende Massnahmen ergreifen, ist gemäss der GAFI nicht ausreichend. Nach Ansicht der Bewerter und Bewerterinnen gewährleistet diese Vorgehensweise nicht, dass die MROS Zugang zu den von einer ausländischen Meldestelle verlangten Informationen hat. Die Bewerter und Bewerterinnen stellen eine Ungleichbehandlung fest zwischen den auf nationaler Ebene über Verdachtsmeldungen eingehenden Informationen und den aufgrund der Amtshilfe von ausländischen FIU erhaltenen Informationen. In Bezug auf die wichtige GAFIEmpfehlung 40, die sich mit der internationalen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden auf nicht gerichtlicher Ebene befasst, wird die Schweiz nur als teilweise konform (also ungenügend) bewertet. Dies vor allem deshalb, weil der MROS bei der Zusammenarbeit Grenzen gesetzt sind.

Neben der fehlenden technischen Konformität mit der Empfehlung 40 der GAFI wurde festgestellt, dass auch die Effizienz der von der MROS gewährten internationalen Zusammenarbeit dadurch eingeschränkt wird, dass sie Finanzintermediäre ohne bestehende Verdachtsmeldung nicht kontaktieren darf. Angesichts der Rolle dieser Zusammenarbeit im Kontext der Schweiz, insbesondere aufgrund der Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes, erachten die Bewerter und Bewerterinnen dies als erheblichen Mangel. Sie haben festgehalten, dass die Schweiz in Bezug auf die internationale Zusammenarbeit nur eine mittelmässige Wirksamkeit erreicht hat.

Diese Beurteilung ist ebenfalls nicht genügend.

Die Bewerter und Bewerterinnen haben der Schweiz ausdrücklich empfohlen, die Einschränkungen, die sich auf den Informationsaustausch durch die MROS auswirken, aufzuheben. Sie haben die Behebung des Mangels bezüglich der Empfehlung 40 zur internationalen Zusammenarbeit der MROS zu einem der acht Handlungsschwerpunkte der Schweiz erklärt. Dies zeigt, wie viel Bedeutung sie der Zusammenarbeit der MROS beimessen. Deshalb sind die gesetzlichen Beschränkungen, die eine effiziente Zusammenarbeit der MROS mit ihren ausländischen Partnerstellen ­ insbesondere bei der Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung, aber auch anderer Formen der Wirtschaftskriminalität wie Geldwäscherei ­ verhindern, rasch aufzuheben.

4.5.1.2

Grundsätze der Egmont-Gruppe

Der Bundesrat hat sich bereits zur Wechselwirkung zwischen der GAFI und der Egmont-Gruppe287 geäussert. Die Egmont-Gruppe soll auf operativer Ebene den Informationsaustausch zwischen den FIU der verschiedenen Mitgliedländer erleichtern. Die MROS ist seit 1998 Mitglied der Egmont-Gruppe. Die Meldestelle nutzt den von der Egmont-Gruppe bereitgestellten gesicherten Kanal für den Informationsaustausch aktiv. Allein im Jahr 2016 wurden mit ausländischen Meldestellen Informationen zu über 7000 (natürlichen und juristischen) Personen ausgetauscht.

287

Vgl. Botschaft vom 27. Juni 2012 zur Änderung des Geldwäschereigesetzes, BBl 2012 6941, hier 6950.

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Dieser Austausch ist für die Analysen der MROS äusserst wichtig. Die meisten ihrer Verdachtsmeldungen weisen einen Auslandbezug auf, was sich mit der Bedeutung und dem internationalen Charakter des Schweizer Finanzplatzes erklären lässt.

Der Informationsaustausch in der Egmont-Gruppe stützt sich auf die Grundsätze der GAFI und konkretisiert diese. In Bezug auf die Kriterien der Empfehlung 40 ist in den Grundsätzen der Egmont-Gruppe festgehalten, dass «FIU in der Lage sein sollten, Anfragen im Namen von ausländischen FIU durchzuführen und mit diesen ausländischen FIU alle Informationen auszutauschen, die sie bei Anfragen im Inland erhalten würden». Dieser Grundsatz besagt, dass die MROS alle ausländischen Informationen gleich behandeln soll wie Verdachtsmeldungen, die sie von Finanzintermediären auf nationaler Ebene erhalten hat. Gemäss Artikel 11a Absatz 2 GwG kann die MROS gestützt auf eine Verdachtsmeldung eines Schweizer Finanzintermediärs mit einem Finanzintermediär in Verbindung treten, nicht aber gestützt auf eine ausländische Information. Die beiden Informationsquellen (die nationale und die internationale) werden somit nicht gleich behandelt, wie dies die Grundsätze der Egmont-Gruppe verlangen. Die Praxis der MROS zeigt auch, dass sich die Nichtanwendung dieses Grundsatzes stark auf den internationalen Austausch auswirkt, denn rund 60 Prozent der ausländischen Anfragen müssen von der Meldestelle ablehnend beantwortet werden.

4.5.1.3

Rechtsvergleich

Die Vierte Richtlinie des Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 20. Mai 2015 (2015/849288) zur Verhinderung der Geldwäsche sieht in Artikel 53 Absatz 2 vor, dass FIU bei der Beantwortung einer ausländischen Anfrage sämtliche verfügbaren Befugnisse nutzen müssen, die sie zur Beantwortung einer inländischen Anfrage nutzen würden. Hier findet sich der Grundsatz der GAFI und der Egmont-Gruppe wieder, wonach ausländische und inländische Anfragen gleich zu behandeln sind.

Verschiedene FIU, die mit der MROS vergleichbar, das heisst administrativer Natur sind, dürfen sich ohne die Voraussetzung einer bestehenden Verdachtsmeldung an die Verpflichteten wenden.

So verleiht in Frankreich Artikel L. 561­25289 des Code monétaire et financier (Gesetz über das Währungs- und Finanzwesen) der FIU (Tracfin) die Kompetenz, von den Personen, die einer meldepflichtigen Berufsgruppe angehören, alle von ihr benötigten Unterlagen und Akten einzufordern und eine entsprechende Frist anzu288

Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. L 141 vom 5.6.2015, S. 73­117.

289 Geändert durch Artikel 5 der Verordnung Nr. 2016-1635 vom 1. Dezember 2016 zur Stärkung des französischen Systems zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung.

6505

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setzen. Diese Kompetenz («droit de communication auprès des professionnels») 290 ist auch ausdrücklich in der oben genannten Bestimmung vorgesehen, damit die Anfragen ausländischer FIU beantwortet werden können.

Die italienische Gesetzgebung legt die Kompetenzen ihrer FIU (UIF) allgemeiner fest. So kann die FIU ­ nach Artikel 6 Absätze 5 und 6 der Gesetzesverordnung 231/2007 in der abgeänderten Fassung gemäss Gesetzesverordnung 90/2017 ­ auf Antrag oder durch Inspektionen bei Verpflichteten sämtliche Informationen und Daten erlangen, die sie zur Ausübung ihrer Funktion benötigt. Diese Bestimmung sieht keinerlei Voraussetzungen (wie eine vorgängig bestehende Verdachtsmeldung) vor. Somit kann die FIU diese sowohl für Anfragen, die sich auf ihre Analysen stützen, als auch für Anfragen von ausländischen Partnerstellen verwenden.

In Belgien legt das Gesetz vom 11. Januar 1993 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung in Artikel 22 Absatz 2 fest, dass die belgische FIU (CTIF) Informationen entgegennimmt und analysiert, die namentlich von ausländischen Organisationen übermittelt werden, die im Rahmen einer gegenseitigen Zusammenarbeit ähnliche Funktionen erfüllen wie sie. In diesem Zusammenhang kann die CTIF nach Artikel 33 Absatz 1 des genannten Gesetzes von den Finanzintermediären ergänzende Informationen verlangen, wenn sie diese für die Erfüllung ihres Auftrags als nützlich erachtet. Die internationale Zusammenarbeit ist gemäss Artikel 22 Absatz 2 ein integrierender Bestandteil ihrer Funktionen. Die von einer ausländischen FIU übermittelten Informationen werden von Amts wegen als Verdachtsmeldung behandelt, wodurch die CTIF alle zur Durchführung ihrer Analyse nötigen Befugnisse erhält.

Liechtenstein verleiht seiner FIU (Stabstelle FIU) ebenfalls eine allgemeine Kompetenz. Nach Artikel 5a Absatz 1 Buchstabe b des Gesetzes vom 14. März 2002 über die Stabstelle Financial Intelligence Unit (FIU) kann die Stabstelle FIU Auskünfte nach Artikel 19a Absatz 1 des Sorgfaltspflichtgesetzes vom 11. Dezember 2008 einholen. Diese Bestimmung hält fest, dass die Informationen namentlich für Analysen verwendet werden, was ein Haupttätigkeitsbereich der Stabstelle FIU ist. Die nationale oder internationale Herkunft der für die Analyse verwendeten
Informationen ist unerheblich. Das Bestehen einer Verdachtsmeldung ist keine Voraussetzung dafür, dass die Stabstelle FIU die für die Analyse benötigten Informationen einholen darf.

Das deutsche Geldwäschegesetz vom 23. Juni 2017291 sieht ausdrücklich vor, dass die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen unabhängig vom Vorliegen einer Meldung Informationen von Verpflichteten einholen kann, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist (§ 30 Abs. 3). Zudem wird sie ermächtigt, zur Beantwortung ausländischer Ersuchen inländische öffentliche Stellen um Auskunft anzugehen oder von Verpflichteten Auskunft zu verlangen (§ 35 Abs. 2).

290 291

Abrufbar unter www.economie.gouv.fr/tracfin > Missions > Pouvoirs de Tracfin.

Im Internet abrufbar unter: www.gesetze-im-internet.de > Titelsuche > GwG.

6506

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4.5.1.4

Ergänzung von Artikel 11a GWG durch einen neuen Absatz 2bis

Die beschriebenen eingeschränkten Möglichkeiten der MROS betreffen sowohl Terrorismusfinanzierung als auch Geldwäscherei und ihre Vortaten. Die Verwendung dieser Informationen ist wichtig, um zu vermeiden, dass der Schweizer Finanzplatz für die Anlage von Geldern verbrecherischer Herkunft genutzt wird. Im Fall der Terrorismusfinanzierung könnten diese Informationen die nationale und internationale Sicherheit betreffen. Vor diesem Hintergrund soll die MROS mit der vorliegenden Änderung die Kompetenz erhalten, Finanzintermediäre auch aufgrund einer Anfrage oder einer unaufgefordert übermittelten Information einer ausländischen Meldestelle zu kontaktieren. Diese Kompetenz ist erforderlich, damit die Schweizer MROS ihre Aufgabe optimal erfüllen und so wirksam zur internationalen Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung beitragen kann.

Die neue Bestimmung ist im 3. Abschnitt «Herausgabe von Informationen» des GwG aufzunehmen. Diese befasst sich ebenso wie Artikel 11a Absatz 2 mit einem Informationsersuchen, das die MROS an Finanzintermediäre richtet, die keine vorgängige Verdachtsmeldung im Zusammenhang mit der Anfrage der MROS vorgenommen haben. Die Kontaktaufnahme der MROS mit dem Finanzintermediär erfolgt jedoch auf einer anderen Grundlage. Hier geht es um eine ausländische Information, beispielsweise ein Amtshilfeersuchen einer Partnerstelle, und nicht um eine Verdachtsmeldung eines anderen Schweizer Finanzintermediärs. Angesichts dieser unterschiedlichen Ausgangslage, aber auch wegen der Klarheit des Wortlauts von Artikel 11a GwG ist die Einführung eines neuen Absatzes anstatt die Änderung von Absatz 2 angezeigt. Somit wird vorgeschlagen, Artikel 11a GwG um einen Absatz 2bis zu ergänzen, der die Kompetenzen der MROS erweitert, indem dieser die Kontaktaufnahme mit Finanzintermediären aufgrund einer ausländischen Information erlaubt wird. Die MROS behandelt also Informationen von Schweizer Finanzintermediären gleich wie solche einer ausländischen Meldestelle. Damit kann sie sich an die aktuellen Herausforderungen bei der Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung sowie an die internationalen Anforderungen in diesem Bereich anpassen.

Artikel 11a Absatz 3 GwG betreffend die von der MROS anzusetzende Frist für die Zustellung der Dokumente ist dahingehend zu ergänzen, dass der neue Absatz 2 bis darin genannt wird.

4.5.1.5

Erläuterungen zu Artikel 11a Absatz 2bis GWG

Diese neue Bestimmung ergänzt die Kompetenzen der MROS im Bereich der internationalen Amtshilfe. Sie bezieht sich auf ausländische Informationsersuchen, die die MROS gemäss den Artikeln 30­32 GwG behandelt.

Der neue Artikel 11a Absatz 2bis bezieht sich in erster Linie auf eine Analyse der MROS. Hier geht es nicht um die Analyse einer Verdachtsmeldung eines Finanzintermediärs. Dieser Fall ist bereits in Artikel 11a Absatz 1 geregelt, in dem es um zusätzliche Informationen für die Behandlung einer Verdachtsmeldung geht. Viel6507

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mehr geht es um Situationen, in denen die MROS ein ausländisches Ersuchen erhält, ohne dass ihr eine vorgängige Verdachtsmeldung eines Schweizer Finanzintermediärs vorliegt. In einem solchen Fall besteht die Analyse in erster Linie darin, die Namen zu überprüfen und diese im Informatiksystem nach Artikel 23 Absatz 3 GwG zu erfassen. Die MROS überprüft dann in allen verfügbaren Datenbanken, ob die natürlichen oder juristischen Personen, die von der Anfrage der ausländischen Meldestelle betroffen sind, den Schweizer Behörden bekannt sind. Am Schluss dieser Nachforschungen und Überprüfungen beurteilt die MROS in einem letzten Schritt ihrer Analyse die verfügbaren Informationen und erstellt den Antwortbericht an ihre ausländische Partnerstelle. Um diese Analyse geht es in Artikel 11a Absatz 2bis GwG. Ausländische Ersuchen und Verdachtsmeldungen an die MROS werden damit gleich behandelt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hält sich die MROS ferner direkt an die Grundsätze der Egmont-Gruppe.

Sodann bezieht sich diese Bestimmung auf die Informationen einer ausländischen Meldestelle. Dabei kann es sich um ein Informationsersuchen oder eine unaufgefordert übermittelte Information handeln. Informationsersuchen von ausländischen FIU können unterschiedliche Ausgangslagen haben. Diese Vielfalt ergibt sich aus den unterschiedlichen Meldesystemen292 und somit aus den Kompetenzen der FIU. So können die Anfragen insbesondere auf die Verdachtsmeldungen der Finanzintermediäre im jeweiligen Land zurückgehen oder auf die Analysen der ausländischen FIU aufgrund der Informationen, die sie auf nationaler oder internationaler Ebene erhält.

Unaufgefordert übermittelte Informationen unterscheiden sich insofern von den vorgenannten, als die ausländische FIU keine Antwort verlangt. Sie beschränkt sich darauf, der MROS eine Information (gleicher Herkunft wie die oben genannten Informationsersuchen) im Zusammenhang mit der Schweiz bereitzustellen. Die MROS analysiert die beiden Arten von Informationen auf die gleiche Weise. Nach dem neuen Artikel 11a Absatz 2bis beschränken sich die Nachforschungen der MROS zur Analyse und Beantwortung der ausländischen Anfragen im Zusammenhang mit diesen Informationen nicht mehr auf die Datenbanken oder auf die Amtshilfe anderer Schweizer Behörden. Die MROS kann neu auch bei den Finanzintermediären
Informationen einholen.

Die MROS richtet ihr Informationsersuchen direkt an den Finanzintermediär. Die erhaltenen Informationen werden ausschliesslich im Rahmen der Analysen bezüglich der Geldwäscherei und ihrer Vortaten sowie der Terrorismusfinanzierung verwendet. Die Anfrage löst nicht automatisch eine Verdachtsmeldung des Finanzintermediärs an die MROS aus. Wie vom Bundesrat festgehalten, 293 müssen Finanzintermediäre solche Anfragen beantworten. Sie können den Umstand, dass es sich um eine Anfrage einer Behörde handelt, die sich auf einen Verdacht der Geldwäscherei oder der Terrorismusfinanzierung stützt, nicht ignorieren. Der Finanzinter-

292

Das Schweizer Meldesystem, das sich auf eine Verdachtsanalyse stützt, unterscheidet sich von den meisten ausländischen Meldesystemen, die hauptsächlich auf verdächtigen Transaktionen (STR, «suspicious transaction report»), auf blossen Transaktionsgrenzbeträgen (CTR, «currency transaction report») oder auf ungewöhnlichen Transaktionen (UTR, «unusual transaction reports») basieren.

293 Vgl. Botschaft vom 27. Juni 2012 zur Änderung des Geldwäschereigesetzes, BBl 2012 6941.

6508

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mediär muss also weitere Abklärungen treffen und bei einem Verdacht den Fall der MROS melden.

Der Informationsaustausch ist in Artikel 30 ff. GwG geregelt. Bei der Beantwortung von ausländischen Anfragen überprüft die MROS zunächst die Voraussetzungen von Artikel 30 GwG. Hier geht es insbesondere um die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität, der Gegenseitigkeit und der Wahrung des Amtsgeheimnisses. Dann müssen die Anfragen der ausländischen Meldestellen den Anforderungen von Artikel 31 GwG entsprechen. Die MROS darf also nicht auf Anfragen eintreten, die offensichtlich keinen Zusammenhang mit der Schweiz aufweisen (Fishing Expeditions). Sie antwortet auch nicht auf Ersuchen, mit denen die Rechtshilfe in Strafsachen umgangen werden soll. Und schliesslich erteilt sie keine Auskünfte in Fällen, in denen die nationalen Interessen oder die Sicherheit und die öffentliche Ordnung in der Schweiz gefährdet sein könnten. Die MROS übermittelt Informationen nur in Berichtsform (intelligence), sie übermittelt keine Beweismittel. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass damit der Informationsaustausch der MROS ausreichend gesetzlich geregelt ist. Die von interessierten Kreisen in die Vernehmlassung eingebrachten Vorschläge, wonach die Anwendung von Artikel 11a Absatz 2bis auf bestimmte Delikte zu beschränken sei, sind nicht zu berücksichtigen. Diese Beschränkung würde im Übrigen auch den Grundsätzen der Egmont-Gruppe zuwiderlaufen, insbesondere dem Verfügbarkeitsprinzip, zu dem sich der Bundesrat in der Vergangenheit bereits geäussert hat.294 Der ersuchte Finanzintermediär stellt der MROS die ihm vorliegenden Informationen zur Verfügung. Der Bundesrat hat im Rahmen von Artikel 11a GwG Folgendes festgehalten:295 «Als verfügbar gelten alle Informationen, welche in den Entitäten eines Unternehmens vorhanden sind oder beschafft werden können, soweit diese Entitäten der schweizerischen Jurisdiktion unterliegen.» Nach Artikel 11a Absatz 3 beantworten die Finanzintermediäre Anfragen der MROS innerhalb der von dieser angesetzten Fristen. Die Meldestelle setzt diese Fristen neu auch für Anfragen nach Artikel 11a Absatz 2bis GwG fest. Der Bundesrat hat ausserdem bereits festgehalten, dass eine Verletzung von Artikel 11a die vom Finanzintermediär geforderte Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit in Frage stellen
kann. Aus diesem Grund vertrat er bei der Einführung von Artikel 11a die Ansicht, es bedürfe keiner zusätzlichen Sanktionsnorm für die Missachtung der Herausgabepflichten.296 Die damalige Begründung lässt sich auch auf Artikel 11a Absatz 2bis übertragen.

Im Übrigen gilt nach Artikel 11 GwG der Haftungsausschluss für Finanzintermediäre auch bei Informationen, die diese der MROS in Anwendung des neuen Artikels 11a Absatz 2bis herausgeben.

294

Vgl. Botschaft vom 27. Juni 2012 zur Änderung des Geldwäschereigesetzes, BBl 2012 6941, hier 6951.

295 Vgl. Botschaft, BBl 2012 6941, hier 6973.

296 Vgl. Botschaft, BBl 2012 6941, hier 6974­6975.

6509

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4.5.2

Meldepflicht der Händlerinnen und Händler bei Verdacht auf Terrorismusfinanzierung

4.5.2.1

Ergänzung zu den Änderungen des GwG betreffend die Händlerinnen und Händler

Mit der Änderung des Geldwäschereigesetzes vom 12. Dezember 2014297 (GwG) wurden Bestimmungen eingeführt für natürliche und juristische Personen, die gewerblich mit Gütern handeln und dabei Bargeld in Höhe von über 100 000 Franken entgegennehmen («Händlerinnen und Händler» im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Bst. b GwG). In solchen Fällen müssen die Händlerinnen und Händler die Sorgfaltspflichten nach Artikel 8a GwG erfüllen. So müssen sie die Kundin oder den Kunden identifizieren, die wirtschaftlich berechtigte Person feststellen und unter gewissen Umständen die Hintergründe und den Zweck eines Geschäfts abklären. Diese Pflichten gelten auch dann, wenn die Barzahlung in mehreren Tranchen erfolgt. Sie entfallen jedoch, wenn die Zahlung über einen Finanzintermediär abgewickelt wird.

Wenn die Händlerinnen und Händler nach diesen Abklärungen den begründeten Verdacht haben, dass die verwendeten Barzahlungsmittel von einer kriminellen Organisation stammen oder das Ergebnis von Geldwäscherei sind, dass sie aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen herrühren oder dass sie der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation unterliegen, sind sie nach Artikel 9 Absatz 1bis GwG verpflichtet, der MROS unverzüglich Meldung zu erstatten. Wie die Bewerter der GAFI festgehalten haben, erstreckt sich diese Pflicht jedoch nicht auf Fälle, in denen die Händlerinnen und Händler einen Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung vermuten. In einem solchen Fall müssen sich die Händlerinnen und Händler gegenwärtig an die Polizei wenden. Die Informationen gehen somit nicht direkt an die MROS, die diese überprüfen und ergänzen könnte, insbesondere indem sie mit ihren ausländischen Partnerstellen Informationen austauscht. Der Verdacht auf Terrorismusfinanzierung begründet bereits eine Meldepflicht für Finanzintermediäre (Art. 9 Abs. 1 Bst. a Ziff. 4 GwG). Daher besteht eine mangelnde Kohärenz zwischen Artikel 1 und Absatz 1 bis von Artikel 9 GwG. Die Unterscheidung zwischen Verdacht auf Geldwäscherei und Verdacht auf Terrorismusfinanzierung bei Händlerinnen und Händlern ist nicht gerechtfertigt und soll aufgehoben werden. Artikel 9 Absatz 1bis GWG ist deshalb mit einem neuen Buchstaben d zu ergänzen, der sich auf die Terrorismusfinanzierung bezieht. Weitere Bestimmungen betreffend die Händlerinnen und Händler wie die Artikel 8a und 15 GwG sind entsprechend zu ergänzen.

4.5.2.2

Erläuterung der neuen Bestimmungen

Artikel 9 Absatz 1bis Buchstabe d GwG verpflichtet die Händlerinnen und Händler neu, der MROS unverzüglich Meldung zu erstatten, wenn sie einen begründeten Verdacht auf Terrorismusfinanzierung haben. Dieser neue Buchstabe übernimmt den

297

AS 2015 1389, Ziff. 7; BBl 2014 605, hier 687.

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Wortlaut von Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer 4 GwG betreffend die Meldepflicht für Finanzintermediäre bei Verdacht auf Terrorismusfinanzierung.

Die neue Meldepflicht für Händlerinnen und Händler gilt nur für Bartransaktionen von mehr als 100 000 Franken gemäss Artikel 8a GwG. Folglich ist diese Bestimmung ebenfalls anzupassen, indem Absatz 2 Buchstabe b durch die Terrorismusfinanzierung ergänzt wird.

Die Meldepflicht von Händlerinnen und Händlern muss sich auch auf deren Revisionsstellen niederschlagen. Stellen diese fest, dass eine Händlerin oder ein Händler die Meldepflicht nach dem neuen Artikel 9 Absatz 1bis Buchstabe d nicht erfüllt hat, müssen sie unverzüglich die MROS informieren. Deshalb ist Artikel 15 Absatz 5 GwG durch einen neuen Buchstaben d zu ergänzen, der diese Fälle abdeckt.

4.6

Weitere geprüfte Fragen und gesetzliche Anpassungen

4.6.1

Strafrechtliche Konkurrenzen

Die im Rahmen dieser Vorlage neu vorgeschlagenen oder revidierten Strafbestimmungen und deren Anwendungsbereiche sind, je nach konkreter Fallkonstellation, zum Teil nicht leichthin voneinander abzugrenzen. Entsprechend wird es unter anderem Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sein, die entsprechende Einordnung von strafbaren Verhaltensweisen unter die anwendbaren Strafbestimmungen vorzunehmen.

Bei der Beurteilung der Anwendbarkeit der Strafbestimmungen und deren Verhältnis zueinander ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Inanspruchnahme des Organisationsverbotes nach Artikel 74 E-NDG unter anderem voraussetzt, dass eine konkrete innere oder äussere Bedrohung der Schweiz vorliegt. Wird eine solche Bedrohung festgestellt und erlässt der Bundesrat, nach Konsultation der parlamentarischen Kommissionen, ein entsprechendes Verbot, liegt ein starkes Indiz dafür vor, dass Artikel 74 E-NDG auf einen diese verbotene Organisation oder Gruppierung betreffenden Sachverhalt Anwendung findet. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Anwendung von Artikel 74 E-NDG grundsätzlich nicht beschränkt ist auf Organisationen, welche punkto Strukturierung und Organisationsgrad die Anforderungen des Straftatbestandes von Artikel 260ter E-StGB erfüllen. Angesichts des Gefährdungspotenzials von Organisationen oder Gruppierungen gemäss Artikel 74 NDG und angesichts der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch davon auszugehen, dass eine gemäss NDG verbotene Organisation häufig auch die gesetzlichen Anforderungen nach Art. 260ter E-StGB erfüllen wird. In diesem Fall geht Artikel 260ter E-StGB als strengere Strafbestimmung vor.

Der neue Straftatbestand gegen Anwerbung, Ausbildung und Reisen im Hinblick auf eine terroristische Straftat298 bestraft die aktive und passive Seite der Ausbildung, die (aktive) Anwerbung sowie das Reisen zwecks Terrorismus und entsprechende Unterstützungshandlungen. Trotz seiner spezifischen Ausgestaltung und Formulie298

Art. 260sexies E-StGB

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rung geht dieser Tatbestand den generelleren Bestimmungen der Beteiligung an oder Unterstützung einer kriminellen Organisation nicht in jedem Fall vor, dies insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die vorgeschlagene revidierte Bestimmung gegen terroristische Organisationen mit einer höheren Strafandrohung versehen ist. Zu berücksichtigen ist hingegen, dass die Anwendung des neuen Artikels 260sexies E-StGB den Bezug zu einer entsprechenden Organisation nicht erforderlich macht, sondern auch alleine handelnde Täter erfasst. Stellt die Anwerbung, Ausbildung oder das Reisen bloss einen Teilbereich der Unterstützung oder Beteiligung an einer Organisation dar und wird damit nicht der gesamte Unrechtsgehalt der Tat durch die Anwendung nur einer Bestimmung abgedeckt, sind beide Strafbestimmungen (d. h. Art. 260sexies und Art. 260ter E-StGB bzw. Art. 74 E-NDG) in echter Konkurrenz anwendbar.

4.6.2

Artikel 260quinquies StGB: Finanzierung des Terrorismus

Das Übereinkommen und das Zusatzprotokoll wirken sich nicht direkt auf Artikel 260quinquies StGB aus, der die Finanzierung des Terrorismus unter Strafe stellt.

Die vorliegende Vorlage bietet jedoch die Gelegenheit, diese Bestimmung zu thematisieren. Zunächst ist zu erwähnen, dass die Überprüfung von Artikel 260quinquies StGB durch die GAFI keine relevanten Lücken aufgezeigt hat. Auch wenn bisher noch kein Strafurteil gestützt auf diese Bestimmung ausgesprochen worden ist, spielt sie eine wichtige Rolle für die Rechtshilfe in Strafsachen ­ bei der für die Anwendung von Zwangsmassnahmen die beidseitige Strafbarkeit erforderlich ist 299 ­ und ist unter den Straftaten nach Artikel 9 GwG zur Meldepflicht der Finanzintermediäre aufgeführt. Schliesslich ist es nicht notwendig, Artikel 260quinquies StGB aufgrund der Kritik, die daran geäussert wird, zu ändern. Nach herrschender Lehre schliesst Artikel 260quinquies Absätze 1 und 2 StGB zwar nur den Eventualvorsatz aus und nicht auch den direkten Vorsatz zweiten Grades, einige Autoren und Autorinnen werfen jedoch die Frage auf, ob dieser Ausschluss namentlich angesichts anderer Straftaten, die die Herbeiführung einer gefährlichen Situation unter Strafe stellen, gerechtfertigt ist.300 Die vom Bundesrat 2002 angeführten Argumente sind in diesem Punkt allerdings weiterhin gültig: Durch den Straftatbestand der Finanzierung des Terrorismus wird der Geltungsbereich des Strafgesetzbuchs auf ein Verhalten im Vorfeld der eigentlichen Straftat ausgedehnt. Entsprechend müssen strengere Anforderungen an die subjektive Seite der Straftat gestellt werden.301 Die Absätze 3 und 4 hingegen sind inhaltlich nicht wirklich umstritten. Einige Autoren und Autorinnen sind höchstens der Meinung, dass sie überflüssig sind, da sie bereits durch die all299 300

Art. 64 IRSG Zur Problematik insgesamt siehe insbesondere Fiolka, in: Niggli/Wiprächtiger, Basler Kommentar, Strafrecht II, Basel 2013, N 21 zu Art. 260quinquies StGB mit weiteren Hinweisen; Jositsch, «Terrorismus oder Freiheitskampf?», ZStrR 2005, S. 462.

301 Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 2002 betreffend die Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus und zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung des Strafgesetzbuches und die Anpassung weiterer Bundesgesetze (BBl 2002 5390, hier 5442).

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gemeinen Bestimmungen zu den Rechtfertigungsgründen abgedeckt sind.302 Im Übrigen hat das Bundesgericht den politischen Charakter einer Tat bei schweren Gewaltverbrechen verneint und präzisiert, dass Absatz 3 nur in Ausnahmefällen anwendbar ist.303 Gleichzeitig hat es auch bestätigt, dass Absatz 3 nicht mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, namentlich jenen aufgrund des internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus, kollidiert. Wie oben erwähnt hat die GAFI Artikel 260quinquies StGB diesbezüglich ­ zurecht ­ nicht bemängelt.

4.6.3

Prüfung der Einführung einer spezifischen Terrorismus-Strafnorm

Das geltende schweizerische Strafrecht kennt keine generelle, spezifische Strafnorm gegen Terrorakte. Trotzdem umfassen seine Strafbestimmungen auch alle terroristisch motivierten Handlungen und bedrohen diese ausnahmslos mit schweren Strafen. Abgesehen von den Bestimmungen über gemeine Delikte 304, die nicht nur terroristische Haupttaten abdecken und für diese bis zu lebenslängliche Freiheitsstrafe vorsehen, sondern auch die Teilnahmen an solchen Taten beinhalten, werden auch Vorbereitungshandlungen305 zu Terrorakten sowie die Beteiligung und Unterstützung terroristischer Organisationen und die Finanzierung des Terrorismus durch das Gesetz unter Strafe gestellt und mit Strafe bedroht.

Entsprechend sind weder im Bereich der Strafverfolgung (mit Anwendung der erforderlichen Zwangsmassnahmen), der Rechtsprechung oder der internationalen Rechtshilfe Situationen oder Konstellationen festzustellen, in welchen sich das geltende schweizerische Recht aufgrund des Fehlens einer spezifischen Terrorismus-Strafnorm als lückenhaft für die strafrechtliche Bekämpfung des Terrors erwiesen hätte.

Auch im internationalen Vergleich und angesichts der anwendbaren internationalen Standards hat sich das geltende Recht als angemessene und effiziente Grundlage für die Tätigkeit der zuständigen Behörden erwiesen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Einführung einer spezifischen Terrorismus-Strafnorm, unabhängig vom Bezug zu einer entsprechenden Organisation, nicht als notwendig.

Die Vorteile der Einführung einer generellen Terrorismus-Strafnorm, wie sie im Übrigen im Rahmen der Umsetzung und Ratifikation der beiden Übereinkommen gegen die Finanzierung des Terrorismus und gegen den Bombenterrorismus 306 vorgeschlagen und im Jahre 2002 durch das Parlament abgelehnt wurde, wären vornehmlich symbolischer Natur. Der Gesetzgeber könnte ein (zusätzliches) Zeichen setzen gegen diese Kriminalitätsform sowie seine Entschlossenheit gegen innen und

302 303 304

305 306

Siehe namentlich Perrin/Gafner, Le droit de la lutte anti-terroriste, in: Rapports suisses présentés au XIXe Congrès international de droit comparé, Zürich 2014, S. 359.

BGE 131 II 235 E. 3.3 So z. B. Delikte gegen Leib und Leben, Delikte gegen die Freiheit, gemeingefährliche Delikte, Delikte gegen den öffentlichen Frieden, sowie Strafbestimmungen aus dem Nebenstrafrecht.

Art. 260bis StGB SR 0.353.22 und SR 0.353.21.

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aussen im Kampf gegen den Terrorismus erneut bekräftigen. Verschiedene Rückmeldungen im Rahmen der Vernehmlassung gehen in diese Richtung307.

Wichtiger als dieser Aspekt erscheinen jedoch die praktischen Implikationen, welche die Einführung einer Terrorismus-Strafnorm ins Kernstrafrecht mit sich bringen könnte: Eine eigene Terrorismusstrafnorm stellt, und hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den hier vorgeschlagenen neuen und revidierten Tatbeständen im Vorfeld von terroristischen Handlungen, keine Verhaltensweisen neu unter Strafe, die ansonsten straflos blieben oder deren Strafbarkeit nicht offensichtlich wäre. Eine neue Strafnorm würde vielmehr einer bereits bestehenden Strafbarkeit, beispielsweise eines Anschlags auf Leib und Leben einer Vielzahl von Menschen, weiteren Nachdruck verleihen, jedoch gleichzeitig auch entsprechende gesetzliche Doppelspurigkeiten begründen.

Neben die Strafbarkeit wegen den erwähnten gemeinen Delikten gemäss Strafgesetzbuch und Nebenstrafrecht, die Strafbarkeit wegen der Beteiligung an einer entsprechenden Organisation oder die Strafbarkeit aufgrund des Verstosses gegen die Gesetzgebung betreffend die Gruppierungen Al-Qaïda und Islamischer Staat sowie verwandte Organisationen, beziehungsweise Artikel 74 NDG, würde die Strafbarkeit aufgrund der neu geschaffenen separaten Terrorismus-Strafnorm treten. Die Anwendbarkeit einer Mehrzahl von Strafbestimmungen auf eine bestimmte Handlung oder auf eine beschränkte Anzahl von Verhaltensweisen stellt die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte vor die Aufgabe, die anwendbaren Bestimmungen mit Hilfe der strafrechtlichen Konkurrenzregeln vorerst zu bestimmen und anschliessend ein entsprechendes Verdikt auszusprechen. Eine neue separate Terrorismusstrafnorm jedoch im vorliegenden Fall kaum zu höheren Strafen und nicht zu einer einfacheren Rechtsanwendung führen. Bereits mit den bestehenden Strafrahmen lassen sich auch ohne allgemeine Terrorismusstrafnorm die Schwere der Verletzung des Rechtsguts, die Verwerflichkeit des Handelns sowie die Beweggründe und Ziele des Täters oder der Täterin entsprechend seinem Verschulden in einer angemessenen Weise berücksichtigen.

Die Einführung einer allgemeinen Strafnorm gegen Terrorismus führt somit nicht zu einem erweiterten oder verdichteten strafrechtlichen Schutz gegen solche
Verbrechen. Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden unterstützt diesen Ansatz. Auch im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit und der Rechtshilfe ist nicht von einer verbesserten Kooperation aufgrund der Einführung einer solchen Strafbestimmung auszugehen. Wichtiger ist die Einführung der in dieser Vorlage vorgeschlagenen Straftatbestände, die bereits im Vorfeld eines konkreten terroristischen Delikts wirksam werden und den Strafverfolgungsbehörden spezifischere Instrumente in die Hand geben, um bereits in einem frühen Stadium tätig zu werden und entsprechende Strafverfahren erfolgreich führen zu können.

Deshalb wird auf den Vorschlag der Einführung eines separaten Tatbestands gegen Terrorismus verzichtet.

307

Vgl. Ziff. 8 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens sowie die von der FDP am 4. März 2015 eingereichte parlamentarische Initiative (15.407), mit welcher das Strafgesetzbuch um einen spezifischen Terror-Tatbestand ergänzt werden soll. Die Initiative befindet sich in der parl. Vorprüfung. Der Nationalrat hat ihr am 1. März 2018 Folge gegeben.

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4.6.4

Prüfung der Einführung einer Strafnorm gegen die Rechtfertigung oder Verherrlichung von Terrorismus

In den beiden Europaratsübereinkommen findet sich keine Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Rechtfertigung oder Verherrlichung von Terrorismus unter Strafe zu stellen. Es wurde auch davon abgesehen, einen entsprechenden Prüfungsauftrag an die Staaten zu erteilen. Es bleibt den Ländern stattdessen unbenommen, in ihrem nationalen Recht entsprechende Strafnormen aufzustellen. In diesem Sinne kennen zum Beispiel Frankreich oder Italien entsprechende Strafbestimmungen, welche die Verherrlichung des Terrorismus unter Strafe stellen.

In Frankreich wird die Verherrlichung des Terrorismus seit der Revision des Strafgesetzbuchs vom 14. November 2014 hart bestraft. Nach Artikel 421-2-5 des Strafgesetzbuchs wird der direkte Aufruf zu terroristischen Handlungen oder die öffentliche Verherrlichung solcher Taten mit fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 75 000 Euro sanktioniert. Die Strafe wird auf sieben Jahre Gefängnis und 100 000 Euro Geldstrafe erhöht, wenn die Taten unter Benutzung eines Dienstes für die öffentliche Online-Kommunikation verübt worden sind. In Italien wird die Verherrlichung des Terrorismus gleich behandelt wie die Anstiftung. Sie wird folglich durch Artikel 414 des Strafgesetzbuchs unter Strafe gestellt, der Anstiftungshandlungen mit einer Freiheitsstrafe bis zu siebeneinhalb Jahren sanktioniert.

Deutschland kennt, und dies ist in erster Linie zu verstehen als Bestimmung von identitätsprägender Bedeutung und als Teil des erfolgreichen Gegenentwurfs zum Unrechtsregime der nationalsozialistischen Herrschaft, eine Strafbestimmung, welche die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung des NS-Regimes unter Strafe stellt.308 Die Verherrlichung von Terrorismus als solche wird nicht unter Strafe gestellt. In Belgien herrscht allgemein die Tendenz, die Meinungsäusserungsfreiheit so weit wie möglich zu wahren. Die Verherrlichung des Terrorismus ist demnach ebenfalls nicht strafbar. Die Anstiftung zu terroristischen Handlungen oder zu Reisen zu terroristischen Zwecken hingegen wird durch Artikel 140bis des Strafgesetzbuchs bestraft.

Strafnormen gegen die Rechtfertigung oder Verherrlichung von Terrorismus gehen unvermeidbar mit einer markanten Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäusserung einher. Häufig wurden solche Bestimmungen unter dem Eindruck von einschneidenden, tragischen
Gewalttaten erlassen. Die Beschreibung der tatbestandsmässigen Handlung erfolgt fast zwangsläufig vage, es entstehen regelmässig schwer lösbare Abgrenzungsfragen zwischen legalem Handeln und strafbarer Billigung oder Verherrlichung. Soll die Verherrlichung nur dann strafrechtlich relevant sein, wenn sie direkt und nachweislich dazu beiträgt, dass ein Gewaltakt hervorgerufen oder begangen wird, oder genügt es bereits, wenn durch die Äusserung ein allgemein vorhandenes, übereinstimmendes Empfinden bezüglich des Unrechts einer Verhaltensweise und des Mitgefühls mit den Opfern dieser Tat durchbrochen respektive verletzt wird?

308

§ 130 Abs. 4 des deutschen Strafgesetzbuchs.

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Von der Einführung einer vorgelagerten Strafbestimmung gegen die Gutheissung oder Verherrlichung von terroristischen Straftaten oder von schweren Straftaten allgemein ist aus folgenden Erwägungen abzusehen: Vom geltenden Recht werden bereits heute die Aufforderung zu Gewalt, die Anstiftung zu einer Straftat oder die Vorbereitungshandlungen zu spezifischen Delikten sowie die Unterstützung (im weiten Sinne309) einer terroristischen (kriminellen) Organisation erfasst. Weiter bestrafen die Gesetzgebung gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen sowie das Nachrichtendienstgesetz310 jede Unterstützung und Organisation von Propagandaaktionen zugunsten der erfassten Gruppierungen und Organisationen. Es besteht weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht die Notwendigkeit, weitergehende strafrechtliche Normen gegen solche Äusserungen zu erlassen, die nicht im Zusammenhang mit der künftigen Begehung eines konkreten Delikts stehen.

Den Terror verherrlichende Äusserungen, die ein allgemein vorhandenes, übereinstimmendes Empfinden bezüglich des Unrechts der Tat und des Mitgefühls mit den Opfern des Delikts durchbrechen und verletzen, sind ohne Zweifel verfehlt und inakzeptabel. Diesem Umstand und der damit einhergehenden Gefahr ist jedoch primär mit anderen Mitteln als dem Strafrecht zu begegnen. Präventive Arbeit mit durch Radikalisierung gefährdeten Jugendlichen und Erwachsenen sowie Aufklärungsarbeit und die Verbreitung von fundierten Gegendarstellungen 311 können ein effizientes Mittel darstellen, um die weitere Ausbreitung solcher schlussendlich gewaltverherrlichender Äusserungen einzuschränken und ihre Wirkung auf die Bevölkerung zu minimieren.

Der Verzicht auf die Einführung einer spezifischen Strafbestimmung gegen die Verherrlichung terroristischer Gewalt wird auch im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens unterstützt.312 Er rechtfertigt sich unter einem präventiven Aspekt. Erste Erfahrungen des Auslands mit der verbreiteten Anwendung von Strafnormen gegen solche Äusserungen und Bekundungen, in der Regel verbunden mit der Verhängung von kurzen bis mittleren Freiheitsstrafen, deuten auf die zumindest latente Gefahr hin, wonach orientierungslose Personen, häufig in jugendlichem Alter, durch die Kriminalisierung solcher Äusserungen in ihrer Auffassung bestärkt werden
und die Gefahr der Radikalisierung und des Fanatismus entsprechend erhöht wird. Dieser Gefahr ist mit Mitteln, die ausserhalb der Strafgesetzgebung und des Strafverfahrens liegen, zu begegnen.313

309 310 311 312

Vgl. Ziff. 4.1.2.4.

Auf Verfügung des Bundesrates gemäss Art. 74 dieses Gesetzes; vgl. Ziff. 4.3.

Vgl. auch die Ausführungen zu Art. 3 des Übereinkommens.

Vgl. Ziff. 8 des Berichts vom April 2018 über die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens.

313 In diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung ist der Nationale Aktionsplan vom 4. Dezember 2017 zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus, der mittels verstärkter Koordination, Kooperation und effizienten Strukturen ein essentielles Mittel bei der Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus darstellen wird; vgl. die Ausführungen zu Art. 3 des Übereinkommens unter Ziff. 2.1.

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4.6.5

Weitere gesetzliche Anpassungen

Die vorgeschlagenen Änderungen des Strafgesetzbuchs (Art. 260ter und Art. 260sexies) und von Artikel 74 NDG haben Ergänzungen von Deliktskatalogen sowie redaktionelle Anpassungen von anderen Bestimmungen zur Folge. So ist die Regelung im Strafgesetzbuch über den Quellenschutz314 anzupassen: Eine Verweigerung des Zeugnisses soll nicht zulässig sein in einem Anwendungsfall des neuen Artikels 260sexies StGB315. Daneben wird die Massnahme der obligatorischen Landesverweisung (Art. 66a Abs. 1 StGB) vorgesehen für Widerhandlungen gegen Artikel 260sexies StGB sowie gegen Artikel 74 NDG. Die Erwähnung der letztgenannten Bestimmung hat die redaktionelle Anpassung von Artikel 317 bis Absatz 1 StGB zur Folge.

Bezüglich der Einziehung von Vermögenswerten einer kriminellen oder terroristischen Organisation werden in Artikel 72 StGB die notwendigen redaktionellen Anpassungen vorgenommen, ebenso bezüglich des Wortlauts der Strafbestimmung gegen schwere Fälle von Geldwäscherei (Art. 305bis Ziff. 2 Abs. 2 Bst. a). Laut Lehre und Rechtsprechung316 ist der geltende Begriff der Verbrechensorganisation in dieser Geldwäschereibestimmung dem später eingeführten Begriff der kriminellen Organisation in Artikel 260ter StGB gleichzusetzen. Es spricht daher alles dafür, an dieser Stelle ­ neben der Ergänzung des terroristischen Aspekts ­ eine Angleichung der Terminologie vorzunehmen. Daneben sind die entsprechenden Deliktskataloge der Strafprozessordnung317 bezüglich Bundesgerichtsbarkeit (Art. 24 Abs. 1), Quellenschutz der Medienschaffenden (Art. 172 Abs. 2) und geheimer Überwachungsmassnahmen (Art. 269 Abs. 2 und Art. 286 Abs. 2) an die Änderungen des Kernstrafrechts sowie des Nachrichtendienstgesetzes anzupassen.

Artikel 27a des Militärstrafgesetzes vom 13. Juni 1927318 (MStG) entspricht Artikel 28a StGB zum Quellenschutz. Wie im Fall letzterer Bestimmung muss der Katalog der Delikte, die eine Aufhebung des Quellenschutzes rechtfertigen, um den neuen Artikel 260sexies E-StGB ergänzt werden. Die vorliegende Vorlage bietet auch die Gelegenheit, Artikel 260quinquies StGB in den Katalog unter Artikel 27a Absatz 2 Buchstabe b MStG aufzunehmen. Bei der Umsetzung der internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus 319 hat der Gesetzgeber Artikel 260quinquies StGB in die Liste von Artikel 28a Absatz 2 Buchstabe b StGB eingefügt, es jedoch unterlassen, auch Artikel 27a Absatz 2 Buchstabe b MStG zu 314 315

316

317 318 319

Art. 28a Abs. 2 Bst. b StGB Es wird hingegen angesichts der bisherigen gesetzgeberischen Zurückhaltung bei der Statuierung von Ausnahmen vom Quellenschutz (Art. 28a Abs. 2 Bst. B StGB) davon abgesehen, Verstösse gegen Art. 74 E-NDG in den entsprechenden Deliktskatalog aufzunehmen.

Vgl. dazu BGE 129 IV 271 E. 2.3.1 und Trechsel/Pieth, in Trechsel/Pieth (Hrsg.), StGB PK, 3. Auflage, Zürich/St. Gallen 2018, N 24 zu Art. 305 bis und M. Pieth, Basler Kommentar (2013), N 64 zu Art. 305bis.

SR 312.0 SR 321.0 Botschaft des Bundesrates vom 26. Juni 2002 betreffend die Internationalen Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus und zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge sowie die Änderung des Strafgesetzbuches und die Anpassung weiterer Bundesgesetze (BBl 2002 5390).

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vervollständigen. Dieser Umstand muss nun behoben werden. Daneben werden in Artikel 52 MStG, welcher die Einziehung von Vermögenswerten einer kriminellen Organisation regelt, die notwendigen redaktionellen Anpassungen vorgenommen.

Schliesslich sind im Geldwäschereigesetz neben der erwähnten materiellen Änderung320 die notwendigen redaktionellen Anpassungen vorzunehmen, die sich aus den vorliegend vorgeschlagenen Änderungen von Artikel 260ter StGB ergeben321.

4.6.6

Ablösung des befristeten Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen

Das am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen wurde als zeitlich befristetes Gesetz verabschiedet322 und gilt bis zum 31. Dezember 2018. Das neue Nachrichtendienstgesetz ist, wie unter Ziffer 4.3 dargestellt, am 1. September 2017 in Kraft getreten. Entsprechend ist der Bundesrat nun auf der Grundlage von Artikel 74 NDG schon heute in der Lage, entsprechende Organisationen oder Gruppierungen mittels Verfügung zu verbieten und damit für die entsprechende Beteiligung, Unterstützung, Anwerbung, Propaganda oder anderweitige Förderung Straffolgen auszulösen. Allerdings sieht Artikel 74 in der aktuellen Fassung, wie ausgeführt, keine Bundeszuständigkeit für die Strafverfolgung vor, und der entsprechende Strafrahmen liegt unter demjenigen des Bundesgesetzes gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen. Da dieser Umstand in denjenigen Strafverfahren, die erst nach 2018 eröffnet werden und in welchen das Verfahren nicht gleichzeitig wegen der Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation geführt wird, zu einer fehlenden Bundeszuständigkeit und zu einem niedrigeren Strafrahmen von drei Jahren Freiheitsstrafe (statt fünf Jahren) hätte führen können, haben die eidgenössischen Räte das Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen bis zum 21. Dezember 2022323 verlängert. Somit kann ein nahtloser Übergang zu dieser Vorlage und dem revidierten Artikel 74 NDG gewährleistet werden. Sobald die Vorlage in Kraft getreten sein wird und der Bundesrat gestützt auf den revidierten Artikel 74 NDG eine Verfügung erlassen haben wird, die in Rechtskraft erwächst, wird das Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen obsolet. Da dies erst einige Zeit nach Inkrafttreten der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen, jedoch sehr wahrscheinlich vor Ablauf seiner neuen Befristung der Fall sein wird, ist der Bundesrat in Artikel 3 Absatz 2 des vorliegenden Gesetzesentwurfs zu ermächtigen, das Bundesgesetz gegen die Gruppierungen Al-

320 321

Siehe Ziff. 4.5.

GWG: Art. 6 Abs. 2 Bst. b, Art. 8a Abs. 2 Bst. b, Art. 9 Abs. 1 und 1bis, Art. 15 Abs. 5, Art. 16 Abs. 1, Art. 23 Abs. 4, Art. 27 Abs. 4, Art. 29a Abs. 1.

322 Vgl. hierzu auch die vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 4.3.1.

323 Schlussabstimmung vom 15. Juni 2018; das Bundesgesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

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Qaïda und IS sowie verwandte Organisationen ­ zeitlich nach Inkrafttreten der Änderungen der Erlasse ­ vor seinem Ablauf aufzuheben.

5

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Es wird dem Parlament beantragt, die am 11. Dezember 2014 eingereichte und durch das Parlament angenommene Motion 14.4187 (Glanzmann-Hunkeler; Umgehende Ratifizierung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung des Terrorismus) sowie die am 10. Februar 2015 eingereichte und durch das Parlament angenommene Motion 15.3008 (Kommission für Rechtsfragen des Ständerates; Art. 260ter StGB: Änderung) abzuschreiben.

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund und die Kantone

Die Umsetzung und Ratifikation des Übereinkommens mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie die damit einhergehende Einführung oder Anpassung von Strafbestimmungen führen zu keiner erheblichen Ausweitung von Strafbarkeiten.

Bereits unter geltendem Recht können nicht nur terroristische Handlungen als solche, sondern auch Handlungen im Vorfeld wie zum Beispiel die Unterstützung einer Terrororganisation oder das Reisen in terroristischer Absicht verfolgt werden.

In Bezug auf die Strafrechtshilfe verhält es sich anders. Der Erfolg von Rechtshilfemassnahmen hängt insbesondere davon ab, ob sie rasch ausgesprochen und unmittelbar vollzogen werden. Gemäss dem Übereinkommen und dem Zusatzprotokoll gewähren die Vertragsparteien einander Hilfe und Unterstützung, was in praktischer Hinsicht zu einer Intensivierung der Strafrechtshilfe und des Auslieferungsverfahrens führt.

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sollen im Rechtshilfegesetz zwei neue Instrumente geschaffen werden: die dynamische Rechtshilfe (Paradigmawechsel hin zur vorzeitigen Übermittlung von Informationen und Beweismitteln) und die Errichtung gemeinsamer Ermittlungsgruppen. Beide Neuerungen stellen notwendige und effiziente Rechtshilfemassnahmen im Bereich der Terrorismusverhütung und -bekämpfung dar. Als Folge ihrer Einführung ist von einem Mehraufwand beim BJ auszugehen. Einerseits ist mit mehr Rechtshilfeersuchen und insgesamt komplexeren Fällen zu rechnen, andererseits wird das BJ neue Beratungsfunktionen wahrnehmen.

Zudem können die Möglichkeiten der dynamischen Rechtshilfe sowie von gemeinsamen Ermittlungsgruppen gegenüber allen Staaten (sofern die Rechtshilfevoraussetzungen erfüllt sind) eingesetzt werden und nicht nur gegenüber Staaten, welche die beiden Übereinkommen ratifiziert haben. Daneben kann das BJ, wenn Gefahr in Verzug ist, selber vorläufige Massnahmen anordnen, damit der Erfolg von Rechtshilfemassnahmen durch rasche Koordination und unmittelbaren Vollzug sichergestellt wird.

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Neben diesem sich abzeichnenden Mehraufwand für das BJ zeigen die Statistiken der letzten zehn Jahre im Bereich der internationalen Strafrechtshilfe einen generellen Anstieg der behandelten Fälle. Die Anzahl Rechtshilfeersuchen ist von rund 2850 (2007) auf rund 3450 (2017, +21 %) gestiegen, während Auslieferungsersuchen von 670 (2007) auf über 1000 (2017, +51 %) zugenommen haben. Dieser Anstieg wurde mit einer graduellen Erhöhung der personellen Ressourcen für die Rechtshilfe und Auslieferung von 30 auf 37,5 Vollzeitstellen (+20 %) bewältigt. Die zuständigen Stellen gehen davon aus, dass Rechtshilfefälle zukünftig in gleichem Mass zunehmen und inhaltlich komplexer und aufwendiger werden. Die Kapazitätsgrenze der Arbeitsbelastung ist heute vollumfänglich erreicht. Die zu erwartende Intensivierung der Arbeit kann mit den aktuellen personellen Ressourcen nicht mehr bewältigt und eine weitere Aufstockung nicht mehr intern im BJ oder innerhalb des EJPD kompensiert werden.

Das BJ hat die bisherigen Aufgaben und die zusätzliche Arbeitslast in der Vergangenheit weitgehend mit den bestehenden Mitteln aufzufangen versucht, dies im Gegensatz zu anderen Bundesstellen, die aufgrund der aktuellen Lage in der Terrorbekämpfung bereits mit massgeblichen zusätzlichen Ressourcen ausgestattet wurden. Ohne Verstärkung im Bereich der Strafrechtshilfe würde die internationale Zusammenarbeit unangemessen verzögert. Der entsprechende Mehrbedarf wird auf drei bis fünf Vollzeitstellen geschätzt. Der genaue Ressourcenbedarf und ein schrittweiser Aufbau werden bis zur Inkraftsetzung der neuen Gesetzesbestimmungen noch geprüft.

Die Anzahl der Anfragen von ausländischen Partnerstellen an die MROS nimmt stetig zu. In den Jahren 2016 und 2017 hat die MROS total 8284 Anfragen erhalten.

Da die MROS in ungefähr 60 Prozent der Anfragen eine Negativantwort erteilt, wurden in den zwei betreffenden Jahren rund 4970 Anfragen aus dem Ausland negativ beantwortet. Die neue Kompetenz, die in Artikel 11a Absatz 2bis GwG des vorliegenden Entwurfs vorgesehen ist, hat zum Ziel, künftig solche Negativantworten zu vermeiden.

Zum jetzigen Zeitpunkt werden durch die Analysten der MROS mit 21,6 Vollzeitstellen parallel sowohl die Verdachtsmeldungen der Finanzintermediäre als auch die Anfragen ausländischer Partnerstellen bearbeitet. Beide Aufgaben
werden jeweils gemäss ihrer Dringlichkeit an die Hand genommen. Ein Analyst oder eine Analystin der MROS bearbeitet momentan im Durchschnitt 190 ausländische Anfragen pro Jahr. Diese Anfragen sind eher einfach und rasch zu bearbeiten, da nur vorhandene Informationen gesucht und verwendet werden können: Der Analyst oder die Analystin muss die Datenbankabfragen tätigen und in Abhängigkeit vom Resultat der Analyse die Antwort an die ausländische Partnerstelle erstellen.

Die neue Kompetenz erfordert, dass die MROS sich nicht mehr auf Datenbankabfragen beschränkt sondern aktiv Informationen bei den Finanzintermediären anfragt. Dies bedeutet, dass der Analyst oder die Analystin Informationen, die nicht in den zur Verfügung stehenden Datenbanken vorhanden sind, mittels schriftlicher Anfragen bei verschiedenen Finanzintermediären einfordern muss, um so die aus dem Ausland angefragten Informationen zu erhalten.

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Nach dem Erhalt der Informationen gilt es, diese im Informatiksystem der MROS zu erfassen und im Detail zu analysieren, um feststellen zu können, ob die erhaltenen Informationen mit den angefragten übereinstimmen (bei Bedarf werden erneut Anfragen getätigt).

Zusätzlich ist ein Abgleich mit anderen Informationen zu machen, die entweder bereits verfügbar sind oder bei anderen Akteuren angefragt werden müssen (beispielsweise bei Strafverfolgungsbehörden, Aufsichtsbehörden oder bei der Polizei).

Falls sich die Informationen für die Schweizer Strafverfolgungsbehörden ebenfalls als nützlich erweisen, erstellt die MROS zusätzlich noch eine Analyse zu deren Händen.

Die Anfragen, die aufgrund der neuen Kompetenz zu bearbeiten sind, werden komplexer sein und mehr Zeit für die Bearbeitung benötigen als die jetzigen Anfragen.

Die Analysten werden also mehr Zeit für diese Anfragen aufwenden müssen, was bedeutet, dass zwischen 150 und 170 Anfragen pro Jahr und Analyst oder Analystin bearbeitet werden könnten.

Ziel ist es, die besten Resultate mit den kleinstmöglichen Ressourcen zu erreichen.

Daher muss die Umsetzung der neuen Kompetenz mit einer minimalen Erhöhung um zehn zusätzliche Vollzeitstellen einhergehen. Im Übrigen ist aufgrund des spezifischen Anforderungsprofils der MROS-Mitarbeitenden und deren interner Ausbildungszeit von ungefähr drei Monaten, eine Rekrutierung in zwei Etappen über zwei Jahre realisierbar.

Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Kompetenz werden die ausländischen Partnerstellen von der MROS umfassende Antworten erwarten. Ohne die zusätzlich beantragten Ressourcen kann die neue Kompetenz in der Praxis nicht zum Tragen kommen. Überdies würde die Rechtfertigung von negativen, unvollständigen oder verspäteten Antworten mit mangelnden Ressourcen als Hindernis angesehen, das die Schweiz bewusst geschaffen hat, um die Herausgabe von Informationen zu vermeiden. Der bereits bestehende internationale Druck (GAFI, Egmont-Gruppe) könnte verstärkt werden, da die neue Kompetenz ihres Sinnes entleert würde. Die Erhöhung der Ressourcen muss deshalb gleichzeitig mit der Inkraftsetzung der neuen Kompetenz der MROS beginnen.

Der zusätzlich geltend gemachte Stellenbedarf innerhalb des EJPD erwächst somit aus einer rechtlichen und tatsächlichen Veränderung in den Bereichen der Bekämpfung
des Terrorismus, der Geldwäscherei und anderer schwerer Verbrechen. Die beschriebene internationale Kooperation stellt ein unverzichtbares, von der internationalen Staatengemeinschaft eingefordertes und im grundlegenden Interesse der Schweiz liegendes Instrument bei der Bekämpfung dieser Delikte dar.

Die Vorlage hat angesichts der Beibehaltung der bestehenden Bundeszuständigkeit für die Strafverfolgung der betreffenden terroristischen Straftaten und der massvollen Ausweitung der heute bestehenden Strafbarkeiten keine massgeblichen Auswirkungen auf die Kantone.

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6.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Der erkennbare, glaubwürdige und effiziente Schutz des schweizerischen Territoriums vor schweren terroristischen Straftaten und vor den Auswirkungen des organisierten Verbrechens stellt eine Grundvoraussetzung für eine prosperierende und sich nachhaltig entwickelnde Volkswirtschaft dar. Die mittel- und langfristig positiven Auswirkungen der Vorlage auf die Volkswirtschaft sind daher erheblich. Darüber hinaus hat die Vorlage keine direkten Auswirkungen auf die Volkswirtschaft und ihren Verlauf.

6.3

Auswirkungen auf die Informatik

Die Umsetzung und Ratifikation des Übereinkommens mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie die vorgeschlagenen Strafrechtsänderungen lassen keine Auswirkungen auf die Informatik erwarten.

7

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 27. Januar 2016324 zur Legislaturplanung 2015­2019 sowie im Bundesbeschluss vom 14. Juni 2016 über die Legislaturplanung 2015­2019325 angekündigt.

8

Rechtliche Aspekte

8.1

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses zur Genehmigung der beiden Übereinkommen beruht auf Artikel 54 Absatz 1 BV, der den Bund ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, entsprechende Verträge zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung zuständig.

Internationale Verträge werden dem fakultativen Referendum unterstellt, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn ihre Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.326 Die beiden vorliegenden Übereinkommen werden auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, können aber gekündigt werden und sehen keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Jedoch bedingt die Ratifizierung Anpassungen des Strafgesetzbuchs. Der Genehmigungsbeschluss wird deshalb dem fakultativen Staatsvertragsreferendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterstellt. Nach Artikel 141a Absatz 2 BV 324 325 326

BBl 2016 1105 BBl 2016 5183; Ziel Nr. 15 Art. 141 Abs. 1 Bst. d BV

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können Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, der dem fakultativen Referendum untersteht, in den Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden. Die im Entwurf vorgeschlagenen Gesetzesbestimmungen dienen einerseits der Umsetzung des Übereinkommens mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll und andererseits der weiteren Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität. Eine Trennung wäre inhaltlich nicht sinnvoll. Die Gesetzesentwürfe stützen sich auf Artikel 54 Absatz 1 sowie Artikel 123 Absatz 1 BV.

8.2

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Die Vorlage untersteht nicht der Ausgabenbremse nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe b BV, da sie weder Subventionsbestimmungen noch die Grundlage für die Schaffung eines Verpflichtungskredits oder Zahlungsrahmens enthält.

8.3

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Beitritt zum Übereinkommen mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie die beantragten Anpassungen im schweizerischen Recht stehen im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz.327 Sie stellen im internationalen Kontext ein klares Bekenntnis unseres Landes zum wirkungsvollen Kampf gegen den Terrorismus und das organisierte Verbrechen sowie zur internationalen Zusammenarbeit unter Wahrung der menschenrechtlichen Verpflichtungen und der Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts dar.

327

Vgl. auch Ziff. 1.

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