18.009 Aussenpolitischer Bericht 2017 vom 21. Februar 2018

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit den Aussenpolitischen Bericht 2017 und ersuchen Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

21. Februar 2018

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Alain Berset Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-2427

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Zusammenfassung Der Aussenpolitische Bericht 2017 gibt einen Überblick über die Aussenpolitik der Schweiz im Berichtsjahr. Gestützt auf Artikel 148 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes und den Bundesratsentscheid vom 11. Mai 2011 legt der Bundesrat Rechenschaft ab über die aussenpolitischen Aktivitäten der Schweiz und geht vertieft auf ein Schwerpunktthema ein.

In Ziffer 1 werden aktuelle weltpolitische Entwicklungslinien dargelegt. Dazu zählen die anhaltenden Machtverschiebungen, wobei die multipolare Welt im Berichtsjahr insbesondere im Zeichen der neuen US-Administration und des verstärkten Anspruchs Chinas auf eine globale Führungsrolle stand. Die internationale Lage bleibt durch viele Krisen geprägt. Neben neuen Bruchstellen liessen sich 2017 aber auch Stabilisierungsfortschritte erkennen. Der Trend einer stärkeren Gewichtung der Prävention in der internationalen Friedens- wie auch der Entwicklungsagenda spiegelt eine traditionelle Priorität der Schweizer Aussenpolitik.

Als Schwerpunktthema des Berichts werden in Ziffer 2 die Beiträge der Schweizer Aussenpolitik an die Sicherheit in Europa erläutert. Dabei wird dargelegt, wie sich die Schweiz für die Überwindung der europäischen Ordnungskrise zwischen Russland und dem Westen engagiert. Ebenfalls fördert sie im Rahmen von Sicherheitsinstitutionen die Kooperation in Bereichen wie Cyber und Terrorismusabwehr.

Schliesslich wird am Beispiel des Westbalkans gezeigt, wie sie sich mit den Instrumenten der internationalen Zusammenarbeit subregional für Stabilität engagiert.

Die Ziffern 3­6 erläutern den Stand der Umsetzung der vier Achsen der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 des Bundesrates. Die Bilanz fällt uneinheitlich aus. In der Europapolitik liegt sie insgesamt unter den Erwartungen des Bundesrates; das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU bleibt fragil und klärungsbedürftig.

Fortschritte gab es in verschiedenen wichtigen bilateralen Dossiers mit Nachbarstaaten, wobei insbesondere mit Italien wichtige Punkte weiterhin einer Klärung harren. In Bezug auf die anderen drei Achsen ­ globale Partner, Frieden und Sicherheit sowie nachhaltige Entwicklung und Wohlstand ­ fällt die Bilanz positiv aus. Entsprechende Fortschritte manifestierten sich unter anderem in der Vertiefung der Beziehungen mit China und Indien im Rahmen von Staats- respektive
Präsidialbesuchen, in den neuen Schutzmachtmandaten mit dem Iran und Saudi-Arabien, in der wichtigen Rolle der Schweiz in Friedensprozessen wie in Mosambik und Kolumbien oder in den Friedensgesprächen in der Schweiz zu Syrien und Zypern. Weitere Beispiele sind die Wahl eines Schweizers zum Generalsekretär der OSZE, der Vorsitz der «Nuclear Suppliers Group», der neue Beobachterstatus beim Arktischen Rat, die Eröffnung eines humanitären Büros in Damaskus oder die Ergebnisse der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit, die in diesem Bericht ausgewiesen werden.

Während Ziffer 7 einen kurzen Überblick über die Dienstleistungen des EDA und verschiedene Ressourcenaspekte bietet, identifiziert das Schlusskapitel 8 aussenpolitische Ziele für das Jahr 2018. Dazu zählen die Stärkung der Beziehungen der Schweiz zu Europa, ein umfassendes Engagement für mehr Sicherheit sowie eine fundierte Abstützung der Aussenpolitik in der Innenpolitik.

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Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung

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Weltpolitische Entwicklungslinien

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Schwerpunkt: Aussenpolitische Beiträge an die europäische Sicherheit

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Die Europafrage im Zentrum der Aussenpolitik 3.1 Die Beziehungen zur EU zwischen Normalisierung und anhaltenden Divergenzen 3.2 Brexit und die Schweiz 3.3 Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Migration 3.4 Steuer- und Handelsfragen 3.5 Enge Beziehungen zu den Nachbarstaaten 3.6 EU-/EFTA-Staaten als wichtige Partner

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4

Fortschreitende globale Abstützung der Schweizer Aussenpolitik 4.1 Amerikanischer Kontinent 4.2 Asien und Pazifik 4.3 Naher und Mittlerer Osten, Nordafrika 4.4 Osteuropa und Zentralasien 4.5 Subsahara-Afrika

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Gefragte Beiträge an Frieden und Sicherheit 5.1 Gute Dienste und zivile Friedensförderung im Brennpunkt 5.2 Menschenrechte und Schutz von Minderheiten 5.3 Völkerrecht und internationale Strafgerichtsbarkeit 5.4 Wachsende Bedeutung der Aussensicherheitspolitik 5.5 Engagement für eine handlungsfähige UNO 5.6 Stärkung des internationalen Genf 5.7 Der Europarat als Werteorganisation unter Druck

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6

Neue Akzente in der internationalen Zusammenarbeit und den sektoriellen Aussenpolitiken 6.1 Umsetzung der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit 2017­2020 6.2 Umsetzung politischer Vorgaben 6.3 Strategische Verknüpfung mit der Migrationsaussenpolitik 6.4 Steigender Bedarf an humanitärer Hilfe 6.5 Aktuelle Entwicklungen bei den sektoriellen Aussenpolitiken

1807 1810 1810 1812 1812 1814

1833 1834 1835 1836 1838 1839

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Konsularische Dienstleistungen, Information und Ressourcen

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Würdigung und Ausblick

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Bericht 1

Weltpolitische Entwicklungslinien

Der beschleunigte, globale Wandel hat sich im Berichtsjahr akzentuiert. Alte Gewissheiten erodieren, zahlreiche Unwägbarkeiten und eine Vielzahl von Krisen prägen die internationale Lage. Neben diesen unbestreitbar grossen Herausforderungen für die internationale Diplomatie haben sich im Berichtsjahr aber auch neue Chancen eröffnet. Beispielsweise erlebt die Weltwirtschaft einen Aufschwung, der sowohl Industrienationen als auch Schwellenländer erfasst hat.1 Diese Opportunitäten gilt es für die Schweiz zu nutzen.

Multipolare Welt unter neuen Vorzeichen Die globalen Machtverschiebungen von Nord nach Süd und von West nach Ost verändern die Welt tiefgreifend. Seit dem ersten Treffen der G20-Staaten 1999 ist der Anteil der führenden Industriestaaten (G7) an der weltweiten Wirtschaftskraft von über 44 auf 30,8 Prozent gesunken. Demgegenüber ist der Anteil der wichtigsten Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika von 18,3 auf 31,3 Prozent gestiegen. Den grössten Sprung, von 7,1 auf 17,8 Prozent, hat China gemacht.2 Die Globalisierung hat viel zur weltweiten Reduktion der Armut und der globalen Ungleichheit beigetragen. In verschiedenen Ländern, darunter auch Industrienationen, hat sie aber auch Ungleichheiten verschärft. Solche Ungleichheiten werden teilweise vergrössert durch die weltweit beobachtbare Zunahme von Korruption.3 Zudem hat die breitere Verteilung von wirtschaftlicher und politischer Macht mehr zwischenstaatliche Konkurrenz hervorgerufen. Die letzten Jahre waren auch gekennzeichnet durch eine Rückwendung zur Machtpolitik, einen Bedeutungsanstieg autoritär regierter Staaten und vielerorts wachsende Militärausgaben.4 Gleichzeitig erodierten staatliche Institutionen weiter. Die Unübersichtlichkeit durch den Einfluss nichtstaatlicher Gruppierungen nahm zu. Die liberale internationale Ordnung, die der multilateralen Zusammenarbeit, dem Völkerrecht, den Menschenrechten und der Demokratie verpflichtet ist, wird vermehrt herausgefordert.

Das Berichtsjahr war diesbezüglich durch drei Entwicklungen gekennzeichnet: Erstens haben die Vereinigten Staaten von Amerika unter der neuen Administration ihre Rolle als Garant dieser ­ massgeblich von ihnen geprägten ­ liberalen Ordnung noch stärker als in den letzten Jahren relativiert. Was «America first» für die USAussenpolitik bedeutet,
lässt sich zwar noch nicht abschliessend beurteilen. Neben Dossiers mit gewichtigen Kurskorrekturen ­ wie zum Iran, zum Nahostkonflikt, zu Klima oder Migration ­ gibt es auch solche mit bisher überwiegender Kontinuität, 1 2 3 4

Quelle: Weltbank, Global Economic Prospects 2018.

Die Zahlen basieren auf dem kaufkraftbereinigten BIP zum Dollarkurs von 2011.

Quelle: Weltbank, World Development Indicators, 2017.

Quelle: Transparency International, Corruption Perceptions Index 2016.

Quelle: Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Arms Industry Database.

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etwa zu Afghanistan, Syrien oder Russland. Deutlich erkennbar ist ein schrittweiser Rückzug aus multilateralen Engagements. Im wirtschaftlichen Bereich sind die Vereinigten Staaten aus dem Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP) ausgestiegen und fordern eine Nachbesserung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA). Der abnehmende Wille zur Ordnungsmacht geht einher mit einem Verlust an politischem Einfluss der USA in verschiedenen Regionen und Brennpunkten wie etwa im Nahen Osten oder in Ostasien.

Zweitens lassen sich auch in europäischen Demokratien polit-tektonische Verschiebungen erkennen. Wie in den Vereinigten Staaten ist dies auf wachsende Skepsis gegenüber der Globalisierung und einen Vertrauensverlust in die politischen Eliten zurückzuführen. Wie tiefgreifend die Umwälzungen des Parteiensystems sein werden, bleibt abzuwarten. Erkennbar ist, dass der Aufstieg von Protestparteien mit einer oftmals illiberalen und nationalistisch ausgerichteten Agenda auch aussenpolitische Folgen hat und die Tragfähigkeit der liberalen internationalen Ordnung weiter zu schwächen droht.

Drittens machten im Berichtsjahr verschiedene nichtwestliche Mächte ihre wachsenden Gestaltungsansprüche deutlich. Das hat auch mit den Leerstellen zu tun, die sich im Zuge der sich wandelnden amerikanischen Aussenpolitik auftun. China fordert stärker als bisher eine globale Führungsrolle ein und präsentiert sich dabei als verantwortungsbewusste Grossmacht, die für die wirtschaftliche Globalisierung und den Multilateralismus einsteht. Im Kontext eines der historisch bedeutsamsten Staatsbesuche in unserem Land zu Beginn des Berichtsjahres hielt der chinesische Präsident hierzu eine Grundsatzrede, die weltweit Beachtung fand. Mit der «Neuen Seidenstrasseninitiative» (Belt and Road Initiative) verfolgt Peking eine ambitionierte geostrategische Vision. Im Rahmen der Initiative sollen Infrastrukturnetzwerke entstehen, um den Handel zu fördern und China besser an Zentralasien, Afrika, Europa, den Nahen Osten sowie Süd- und Südostasien anzubinden. Dieses global orientierte Entwicklungsmodell bietet vielen Beteiligten wirtschaftliche Chancen. Es ermöglicht China gleichzeitig, zentrale Versorgungsrouten auf dem Seeweg zu sichern, seinen Zugriff auf Rohstoffe und kritische Infrastruktur zu verbessern und seinen geopolitischen
Einfluss auszubauen.

Auch Russland präsentiert sich verstärkt als überregionale Ordnungsmacht und baut seinen Einfluss insbesondere im Nahen und Mittleren Osten aus. In dieser Region manifestiert sich die entstehende multipolare Welt besonders ausgeprägt, verfolgen doch auch verschiedene Regionalmächte eine ambitioniertere Aussenpolitik, so etwa Saudi-Arabien, der Iran und die Türkei.

Wirksames multilaterales Handeln erweist sich in der multipolaren Welt als schwierig, insbesondere wenn Interessen der Grossmächte tangiert sind. Syrien, die Ukraine und der Jemen zählen zu denjenigen Dossiers, in denen der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen 2017 weitgehend handlungsunfähig blieb. Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass gemeinsames Handeln möglich bleibt. In Gambia und Kolumbien etwa vermochte der Sicherheitsrat wichtige Akzente für den Frieden zu setzen. Betreffend Nordkorea konnte er sich immerhin darauf einigen, das Sanktionsregime bedeutend zu verschärfen.

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Krisen, neue Bruchlinien, aber auch Stabilisierungsfortschritte Die Häufung von Krisen bleibt für die globale Lage charakteristisch. Im Berichtsjahr haben sich verschiedene Konflikte akzentuiert. Auch haben sich neue Bruchlinien aufgetan, etwa in Nahost. Ein klarer Trend hin zu immer mehr und gravierenderen Krisen ist allerdings nicht auszumachen. In verschiedenen Regionen lassen sich durchaus auch Entwicklungen hin zu mehr Stabilität und Zusammenarbeit erkennen.

An dieser Stelle werden einige wichtige Brennpunkte beleuchtet. Weiterführende Darlegungen zu Trends in den verschiedenen Regionen finden sich in Ziffer 4.

Die seit Jahren hohe Anzahl ungelöster Krisen lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass die heutigen Konflikte in der Regel sehr komplex und schwer zu lösen sind und entsprechend lange dauern. Das hat mit der steigenden Zahl von bewaffneten Gruppen in Konflikten zu tun, aber auch mit einer oftmals diffusen Gemengelage von lokalen, regionalen und globalen Interessenkonflikten, wie sie für die multipolare Welt typisch ist. Die Folgen für die betroffenen Menschen sind weitreichend. 66 Millionen Menschen bleiben gewaltsam vertrieben. Die weltweiten Bedürfnisse an humanitärer Hilfe können nur noch knapp zur Hälfte gedeckt werden. Dieser Bericht wird zeigen, dass sich die Schweiz auch 2017 umfassend engagiert hat für die Prävention und Bearbeitung von Konflikten und die Hilfe für betroffene Menschen. Sie tat dies unter anderem mit ihrem friedenspolitischen Engagement in mehr als einem Dutzend Mediationskontexten, mit einem Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Kontexten und als Co-Fazilitatorin des «Global Compact for Migration», dem weltweit wichtigsten Prozess zur Gouvernanz der Migration. Stark engagiert blieb die Schweiz auch mit ihrer humanitären Hilfe, etwa im Kontext der Hungerkrise im Südsudan, in Somalia, Nigeria und im Jemen oder in Myanmar, wo die Gewalt im Gliedstaat Rakhine humanitäre Not von aussergewöhnlichem Ausmass erzeugt hat.

Weit oben auf der internationalen Sicherheitsagenda standen 2017 die wachsenden Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Nordkorea hat sein Nuklearprogramm und sein ballistisches Raketenprogramm entgegen seinen internationalen Verpflichtungen fortgesetzt und gar beschleunigt. Eine politische Lösung der Krise setzt einen
amerikanisch-chinesischen Schulterschluss voraus. Generell erscheint der seit bald vier Jahrzehnten anhaltende Friede im ostasiatischen Staatengefüge heute zunehmend fragil. Unbewältigte historische Konflikte, wachsender Nationalismus und ein rekordhohes Wachstum der Rüstungsausgaben prägen das Bild. In den Verhandlungen um einen Verhaltenskodex im Südchinesischen Meer sind zwar Fortschritte erzielt worden. Die Parteien beharren jedoch gleichzeitig auf ihren territorialen Ansprüchen.

Wirtschaftlich entwickelt sich der asiatisch-pazifische Raum allerdings weiterhin stabil. Welche Gestalt die regionale Integration nach dem Ausstieg Washingtons aus dem (ohne China konzipierten) TPP annehmen wird, ist noch unklar. Nicht unbedingt zu erwarten war, dass sich die elf übriggebliebenen TPP-Staaten darauf einigen, ein modifiziertes Freihandelsabkommen ohne Washington zu verhandeln. Die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Dynamik der Region wird auch davon abhängen, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und China entwickeln.

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Im Nahen und Mittleren Osten prägen die hohe Instabilität und eine seit Jahren zu beobachtende Polarisierung und Fragmentierung das Bild. Die Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Iran lähmen die Region zunehmend. Mit der Sanktionierung Katars hat sich eine neue Bruchlinie innerhalb der sunnitischen Golfmonarchien aufgetan. Bürgerkriege, Fragilität und ein verbreiteter Mangel an guter Regierungsführung stehen einem regionalen Aufschwung im Weg. Im Nahostkonflikt sind im Kontext der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA, der fortgesetzten Siedlungstätigkeit Israels und der anhaltenden Spaltung der Palästinenser derzeit keine Fortschritte zu erwarten.

Es gibt aber durchaus auch positive Elemente. Dazu zählen der von Ägypten wieder angestossene Versöhnungsprozess zwischen Fatah und Hamas, eine gewisse militärische Deeskalation in Libyen sowie die Einigung des Iran und Saudi-Arabiens betreffend die Wahrung ihrer jeweiligen konsularischen Interessen durch die Schweiz. Auch wenn die Umsetzung dieser Schutzmachtmandate noch aussteht, sind sie ein konkretes Element einer dringend notwendigen Entspannung in der Region.

Im Auge zu behalten ist auch das ambitionierte saudische Reformvorhaben einer wirtschaftlichen Diversifizierung und gesellschaftlichen Modernisierung des Landes.

Ein Gelingen dieser Reformen könnte positive Auswirkungen über Saudi-Arabien hinaus haben. Von strategischer Bedeutung ist schliesslich die Zerschlagung des Kalifats, das die Gruppierung «Islamischer Staat» (IS) 2014 ausgerufen hat. Auch wenn die Zahl der Dschihadreisenden seit 2016 deutlich abgenommen hat, bleibt die Gefahr dschihadistisch motivierter Terroranschläge in Europa erhöht oder gar hoch.

Demgegenüber liess sich im Berichtsjahr in der Migrations- und Flüchtlingskrise in Europa, die ebenfalls viel mit den anhaltenden Krisenlagen südlich des Mittelmeers zu tun hat, eine gewisse Entspannung verzeichnen. Im Jahr 2017 sind noch rund 170 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa gekommen, gegenüber 360 000 im Vorjahr. Dieser Rückgang lässt sich weitgehend auf Massnahmen südlich des Mittelmeers zurückführen, zu denen auch die Schweiz beiträgt, die im November Gastgeberin des dritten Treffens der Kontaktgruppe zentrales Mittelmeer war. Der hohe Migrationsdruck Richtung Europa bleibt aber bestehen. Die
grosse Mehrheit der Migrantinnen und Migranten stammt aktuell aus Westafrika, wobei wirtschaftliche Beweggründe im Vordergrund stehen. Eine nachhaltige Lösung der Migrationsproblematik erfordert ein langfristiges Engagement für nachhaltiges Wachstum in Afrika mit Investitionen in die Grund- und Berufsbildung wie auch eine kohärente europäische Migrationsaussenpolitik. Die Einigung auf Letzteres bleibt eine der schwierigsten Aufgaben der Europäischen Union.

Im Vergleich zu den Krisenregionen von Syrien bis Sahel bleibt das europäische Umfeld der Schweiz durch relative Stabilität geprägt. Europa ist zwar ebenfalls mit mehreren Krisenlagen gleichzeitig konfrontiert.5 Die EU präsentiert sich heute aber wieder gefestigter als vor einem Jahr. Auch wenn die Schuldenkrise nicht ausgestanden ist, hat sich der Euro von seiner Schwäche erholt. Die Wirtschaft im Euroraum wächst so stark wie seit dem Ausbruch der Eurokrise nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Politisch zeichnet sich nicht ab, dass nach dem Vereinigten 5

Vgl. dazu auch Ziff. 2, Schwerpunkt: Aussenpolitische Beiträge an die europäische Sicherheit.

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Königreich weitere Staaten die EU verlassen möchten. Im Gegenteil: Nach Jahren des quasi-permanenten Krisenmanagements vermochte sich die EU Ende 2017 wieder einem strategischen Vorhaben zuzuwenden. Mit der «Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit» einigten sich 25 der 28 EU-Staaten auf einen markanten Vertiefungsschritt im Bereich der sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit.

In welche Richtung sich die EU entwickelt und wie viel Gestaltungskraft sie in der multipolaren Welt aufbringen wird, bleibt vorderhand offen. Aus Schweizer Sicht ist am Weissbuch zur Zukunft Europas, das die Kommission im März vorlegte, vor allem etwas bemerkenswert: In keinem der fünf Szenarien werden die Einheit und die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes infrage gestellt. Diese Grundhaltung dürfte auch die Brexit-Verhandlungen prägen, die sich ab 2018 in ihrer zweiten Phase um die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU drehen. Sollte das Vereinigte Königreich einen Marktzugang anstreben, der über ein Freihandelsabkommen hinausgeht, dürften die Gewährung der Binnenmarktfreiheiten und institutionelle Fragen zentrale Themen der Verhandlungen sein.

Friedens- und Entwicklungsagenda im Zeichen der Prävention Als dritte globale Entwicklungslinie hat sich die Prävention von Konflikten zunehmend als ein konzeptioneller Leitgedanke etabliert, sowohl in der internationalen Friedensagenda wie auch in der Entwicklungsagenda. Dieser Trend lässt sich darauf zurückführen, dass die vielen und oftmals lange dauernden Konflikte das internationale Friedenssicherungssystem zu überfordern drohen und die Entwicklung vieler Länder behindern. Der neue UNO-Generalsekretär Antonio Guterres hat denn auch die Konfliktprävention zu seiner Priorität erklärt. Er bekräftigt dabei das Primat des Politischen, wie es bereits 1945 in der Charta der Vereinten Nationen festgeschrieben wurde.

Eine wichtige Leitlinie des UNO-Engagements für Frieden und Sicherheit ist die im April 2016 verabschiedete «Sustaining Peace»-Resolution.6 Ihr zufolge ist Prävention als Daueraufgabe über den ganzen Verlauf des Konfliktzyklus zu konzipieren, wobei die drei Pfeiler des UNO-Systems, nämlich Frieden und Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte, zusammenspielen. Den vielgestaltigen Ursachen und Treibern von Krisen soll
mit einem multidimensionalen Ansatz begegnet werden, wobei die verschiedenen Instrumente komplementär und kohärent einzusetzen sind.

Die Agenda 20307 unterstreicht mit ihren siebzehn Zielen für nachhaltige Entwicklung, ihrer Verknüpfung von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung mit Umwelt und Klimaschutz und ihrem Versprechen, niemanden zurückzulassen, dass auch die Entwicklungszusammenarbeit wichtige Beiträge an die Prävention von Konflikten und Fragilität leistet. Mit Ziel 16 bezeichnet die internationale Staatengemeinschaft Frieden erstmals als ein offizielles Entwicklungsziel. Dabei wird aufgezeigt, wie aus einer Entwicklungsperspektive zu friedlicheren Gesellschaften beigetragen werden kann, die alle Bürgerinnen und Bürger einbeziehen. Es geht bei diesem Ziel um die 6 7

Resolution 2282 (2016) über die Überprüfung der Architektur der Friedenskonsolidierung der Vereinten Nationen, www.un.org/depts/german/sr/sr_16/sr2282.pdf.

Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, https://sustainabledevelopment.un.org/ depts/german/gv-70/a70-l1.pdf.

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Verringerung von Gewalt, die Verhinderung von Folter sowie die Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Korruption. Rechtsstaatlichkeit und partizipative Institutionen sollen gefördert werden. Die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 sind dabei für alle Staaten gültig. Grosse Bedeutung in der Umsetzung dieser Agenda kommt der Mobilisierung innovativer Partnerschaften mit der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft zu.

Der UNO-Generalsekretär hat im Berichtsjahr einen Reformprozess angestossen, um das Engagement der UNO für Frieden und Sicherheit sowie Entwicklung und Menschenrechte noch wirksamer zu gestalten. Die Schweiz unterstützt diese Reformbemühungen, deren Erfolgschancen allerdings ungewiss sind. Nachfolgende Ausführungen werden zeigen, dass der Prävention in der Schweizer Aussenpolitik bereits heute ein hoher Stellenwert zukommt und die entsprechenden konzeptionellen Entwicklungen auf internationaler Ebene in ihrem Sinne sind.

2

Schwerpunkt: Aussenpolitische Beiträge an die europäische Sicherheit

Regionale Stabilität in Europa gehört zu den Kerninteressen der Schweiz, ähnlich wie der Zugang der Schweizer Wirtschaft zum EU-Binnenmarkt. Auch wenn das unmittelbare Umfeld der Schweiz von relativer Stabilität geprägt bleibt, beeinträchtigen verschiedene Entwicklungen unsere Sicherheit, so etwa die Konfliktlage mit Russland, die erhöhte Terrorgefahr oder staatlich gesteuerte Cyberangriffe. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist auch in Europa wieder in den Vordergrund gerückt.

Die Wahrung der Sicherheit der Schweiz ist eine Kernaufgabe des Bundes. Der Sicherheitspolitische Bericht 2016 bezeichnet dabei die Aussenpolitik als eines von acht sicherheitspolitischen Instrumenten.8 Umgekehrt hat Sicherheit als Arbeitsfeld der Aussenpolitik an Bedeutung gewonnen. In seiner Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 bezeichnet der Bundesrat das Engagement für Frieden und Sicherheit als einen von vier Schwerpunkten der Schweizer Aussenpolitik.9 Die Schweizer Aussenpolitik agiert dabei auf der Basis eines umfassenden Sicherheitsbegriffs und hat ein entsprechend breites Instrumentarium hierfür entwickelt.

Dazu gehören die aussensicherheitspolitischen Instrumente im engeren Sinne, wie etwa die Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nonproliferation, die Cybersicherheit oder die Terrorismusbekämpfung. Diese Instrumente gewinnen im aktuellen Umfeld an Bedeutung. Das Augenmerk liegt dabei auf der Einhaltung internationaler Normen und deren Weiterentwicklung.

Auch mit ihrer Friedensförderung und generell den Instrumenten der internationalen Zusammenarbeit leistet die Aussenpolitik wichtige Beiträge an die Sicherheit. Zu erwähnen sind die guten Dienste der Schweiz als Vermittlerin, als Fazilitatorin von Dialog und als Schutzmacht sowie die innovativen Programme der zivilen Friedens8

9

Aussenpolitische Strategie 2016­2019, www.eda.admin.ch > Das EDA > Strategie und Umsetzung der Aussenpolitik. Die weiteren Instrumente sind: Armee, Bevölkerungsschutz, Nachrichtendienst, Polizei, Wirtschaftspolitik, Zollverwaltung, Zivildienst.

Vgl. dazu Ziff. 5, Frieden und Sicherheit.

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förderung, im Rahmen derer sie ihre Expertise in Themen wie Machtteilung und Föderalismus einbringt. Dazu kommt das entwicklungspolitische Engagement in fragilen Kontexten, das in den letzten Jahren stark ausgebaut wurde. Sämtliche dreizehn Kooperationsstrategien, die 2017 verabschiedet wurden, setzen einen Akzent beim Thema Fragilität und der Bekämpfung der Ursachen von Konflikten. Sicherheitsrelevante Instrumente sind zudem die Förderung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der guten Regierungsführung und der Demokratie, der Schutz der Zivilbevölkerung sowie das Engagement für das Völkerrecht und eine regelbasierte und gerechte internationale Ordnung.

Um eine kohärente und komplementäre Verwendung dieser Instrumente sicherzustellen, wurden verschiedene Massnahmen ergriffen. Dazu zählen die strategischen Ziele, die in der Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2017­2020 festgehalten sind.10 Die Kohärenz und Komplementarität wird auch durch zahlreiche Länder-, Regional- und Themenstrategien sowie durch die Integration im Aussennetz der Schweiz gefördert.

In diesem Schwerpunktkapitel werden die aussenpolitischen Beiträge an die Stärkung der europäischen Sicherheit erläutert. Geografisch geht es dabei um den Raum der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der die euro-atlantische und die eurasische Region umfasst.

Aktuelle Herausforderungen der europäischen Sicherheit Die sinkende Sicherheit im OSZE-Raum ist die Folge einer zunehmend konfrontativen Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen über die europäische Ordnung. Die Grundlagen dieser Ordnung wurden nach dem Ende des Kalten Krieges von den KSZE-Staaten11 in der Charta von Paris für ein neues Europa gelegt. Im «ungeteilten und freien Europa» sollte jeder Staat das Recht auf freie Bündniswahl haben. Die Demokratie wurde als eine Grundlage europäischer Sicherheit bezeichnet. Mit der Transformation des KSZE-Prozesses in die OSZE sollten der Sicherheitsdialog intensiviert und die Teilnehmerstaaten bezüglich Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit unterstützt werden. Diese Ziele und die damit verbundene Stärkung der OSZE wurden 1999 in der Europäischen Sicherheitscharta bestätigt.

Seither ist der Konsens über diese liberale europäische Ordnung jedoch erodiert. Die Narrative, wer
die Verantwortung dafür trägt, gehen auseinander. Moskau macht geltend, dass die Osterweiterung der Organisation des Nordatlantikvertrags (NATO) und der EU das Vorhaben eines gemeinsamen Sicherheitsraums zunichtegemacht habe. Russische Interessen seien nicht gebührend berücksichtigt worden. Westliche Staaten unterstreichen ihrerseits, dass jeder Staat das Recht habe, seine Aussen- und Bündnispolitik frei zu bestimmen. Sie werfen Russland vor, von den liberalen Werten der Pariser Charta abgerückt zu sein und die Souveränität und territoriale Integrität seiner Nachbarstaaten nicht zu respektieren. Sie verweisen zudem auf zahlreiche

10 11

Botschaft vom 17. Febr. 2016 über die internationale Zusammenarbeit 2017­2020, BBl 2016 2333.

Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

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Bemühungen, komplementär zur Osterweiterung die Partnerschaft mit Russland zu vertiefen.

Mit dem Ausbruch des Ukrainekonflikts 2014 und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim wurde aus der schleichenden Entfremdung eine offene Konfrontation.

Russland verschärfte seine antiwestliche Rhetorik, verstärkte sein militärisches Potenzial an der Westgrenze und operiert vermehrt mit Propaganda, Cyberkriegsführung sowie militärischen Drohungen. Die NATO ihrerseits ist daran, ihr Dispositiv zur kollektiven Verteidigung in Europa wieder auszubauen. Dieser Ausbau wurde vor allem als eine politische Rückversicherung für die osteuropäischen Bündnispartner konzipiert. Dennoch ist unverkennbar, dass die NATO die Abschreckung Russlands wieder als eine Kernaufgabe versteht. Zu beobachten ist eine dreifache Trendwende hin zu mehr US-Soldaten in Europa, zu steigenden Verteidigungsausgaben bei europäischen Bündnispartnern und, im nordeuropäischen Kontext, zu einer Wiedereinführung oder einem Ausbau der Wehrpflicht.12 Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen sind heute geprägt von grossem Misstrauen, geringerer Vorhersehbarkeit militärischer Aktivitäten und gegenseitigen Sanktionen. Eine Entschärfung dieser Konfliktlage zeichnet sich nicht ab, zumal in der Grundsatzfrage nach der künftigen gesamteuropäischen Sicherheitsordnung kein Konsens herrscht. Während westliche Staaten die Respektierung der etablierten Ordnung einfordern, scheinen Russland, aber auch andere Staaten, die europäische Sicherheitsordnung neu aushandeln zu wollen. In diesem Kontext erweist sich eine Lösung der Konflikte in der Ukraine und im Südkaukasus als sehr schwierig. Die Rivalität zwischen Russland und dem Westen droht zudem die weitere Stabilisierung des Balkans zu unterminieren.

Neben dieser Ordnungskrise sind auch die erhöhte Bedrohung durch Terrorismus und Cyberangriffe hervorzuheben. Dschihadistisch motivierte Anschläge in Städten wie Ankara, Berlin, Brüssel, London, Manchester, Nizza, Paris oder Sankt Petersburg haben wesentlich zu einem Gefühl der Unsicherheit beigetragen. Ein ernstes Sicherheitsproblem kann die Rückkehr von Dschihadreisenden nach Europa darstellen. Im Cyberraum nehmen Spionage, Cyberkriminalität und Angriffe auf kritische Infrastrukturen zu. Desinformation und Propaganda, im Kalten Krieg erprobte Instrumente
der Einflussnahme, werden den neuen technischen Möglichkeiten angepasst und wieder vermehrt eingesetzt. Für Staaten sind Cyberangriffe zu einer zentralen Bedrohung geworden. Gleichzeitig setzen immer mehr Staaten selber auf offensive Cyberkapazitäten.

Anlass zu Besorgnis gibt schliesslich die Abnahme von Demokratie und Freiheit in einer beträchtlichen Anzahl von Staaten im OSZE-Raum. In den vergangenen zehn Jahren hat sich bei 29 von 50 untersuchten europäischen OSZE-Staaten das Niveau der Demokratie verschlechtert und nur in 9 Fällen verbessert. Die Verschlechterung betrifft 11 der 15 alten EU-Staaten, wobei das regionale Demokratieniveau in Westeuropa nach wie vor das weltweit höchste ist. Bei den 13 Staaten, die seit 2004 der EU beigetreten sind und die in globalen Demokratierankings jeweils im Mittelfeld liegen, hat sich das Niveau in 6 Fällen verschlechtert. Bei den 19 osteuropäischen 12

Litauen und das allianzfreie Schweden haben die Wehrpflicht wieder eingeführt, in Norwegen sind seit 2016 auch Frauen wehrpflichtig.

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und zentralasiatischen Nicht-EU-Staaten hat das Niveau in 11 Fällen abgenommen.13 Brückenbauerin in der europäischen Ordnungskrise Die sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa sind vielgestaltig. Entsprechend vielfältig sind auch die aussenpolitischen Beiträge der Schweiz zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Im Folgenden werden drei Schwerpunkte des Schweizer Engagements beleuchtet: Beiträge zur Überwindung der europäischen Ordnungskrise, Beiträge zur Förderung der Sicherheitskooperation in Europa sowie das regionalspezifische Engagement für Frieden und Entwicklung mit den Instrumenten der internationalen Zusammenarbeit.

Die Überwindung der europäischen Ordnungskrise zwischen Russland und dem Westen stellt seit dem OSZE-Vorsitz der Schweiz 2014 eine aussenpolitische Priorität dar. Die Schweiz engagiert sich dabei sowohl in lokalen Konfliktkontexten als auch für eine Klärung gesamteuropäischer Sicherheitsfragen. In Bezug auf Ersteres ist sie besonders stark im Ukrainekonflikt engagiert. Sie unterstützt das OSZEKrisenmanagement und begleitet die schwierigen Gespräche zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen mit ergänzenden Dialogprozessen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wurde auf Anfrage der OSZE die Internationale humanitäre Ermittlungskommission (IHEK) tätig, welche mit Schweizer Hilfe einen tödlichen Vorfall in der Ostukraine untersuchte. Die Entwicklungszusammenarbeit, die seit über fünfzehn Jahren in der Ukraine präsent ist, unterstützt vermehrt den Reformprozess in der Ukraine. Zudem leistet die Schweiz als einziges Land auf beiden Seiten der Kontaktlinie humanitäre Hilfe. Schliesslich beteiligt sie sich mit 200 Millionen US-Dollar am internationalen Hilfspaket zur finanziellen Stabilisierung des Landes.

Auch im Südkaukasus ist das Engagement der Schweiz breit gefächert. So fungiert sie als Schutzmacht für Georgien in Russland und für Russland in Georgien. Seit 2014 stellt die Schweiz den Sondergesandten des OSZE-Vorsitzes für den Südkaukasus. Im Rahmen ihrer Politik der guten Dienste war die Schweiz zudem mehrfach Gastland für Treffen der Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans zum Konflikt um Nagorno-Karabach. Programme im Rahmen der Schweizer Regionalkooperationsstrategie 2017­2020 für den Südkaukasus (Georgien, Armenien, Aserbaidschan) setzen die Schwerpunkte in den
Bereichen Friedensförderung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Auf der gesamteuropäischen Ebene war die Schweiz einer der ersten Fürsprecher eines Dialogs zu Kernfragen der europäischen Sicherheit. Diesem Engagement liegt die Überzeugung zugrunde, dass eine Lösung der lokalen Konflikte in der gemeinsamen Nachbarschaft von Russland und EU/NATO sowie eine Überwindung der europaweiten Ordnungskrise nur im Gleichschritt erfolgen können. Ein Konsens über die Lancierung eines «strukturierten Dialogs» zur europäischen Sicherheit der OSZE-Staaten konnte allerdings erst Ende 2016 erzielt werden.

Im Rahmen dieses Dialogs setzt sich die Schweiz unter anderem für Gespräche über eine Neulancierung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa ein. Insbesondere in den Spannungszonen zwischen der NATO und Russland fehlen stabilisie13

Die Berechnung basiert auf dem «Democracy Index» des «Economist Intelligence Unit».

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rende Rüstungsbegrenzungen und griffige Transparenz- und Verifikationsmassnahmen. Die Schweiz beteiligt sich deshalb an einer Initiative des deutschen Auswärtigen Amtes, mit der eine Diskussion über Bedrohungswahrnehmung, aber auch über Ziele, Prinzipien, Geltungsbereich und Charakter eines neuen Regimes angeregt wird. Ohne eine amerikanisch-russische Einigung dürften substanzielle Fortschritte allerdings nur schwer zu erzielen sein. Darüber hinaus setzt sich die Schweiz für eine Stärkung und Modernisierung von vertrauens- und sicherheitsbildenden Massnahmen ein, welche im Wiener Dokument 2011 der OSZE vereinbart worden sind und etwa dem Austausch von Informationen über Streitkräfte, Verteidigungsplanung und -ausgaben, die Meldung grösserer militärischer Aktivitäten sowie die entsprechende Verifikation beinhalten. Auch dieses Regime entspricht nicht mehr den militärischen Realitäten des 21. Jahrhunderts. Der erwünschte Grad an Transparenz ist vor allem in Krisenzeiten nicht gegeben. Die Verhandlungen zur entsprechenden Aktualisierung des Wiener Dokuments bleiben aufgrund der geopolitischen Spannungen allerdings blockiert.

Förderung der Sicherheitskooperation in Europa Sicherheitsinstitutionen sind ein wichtiger Bestandteil der europäischen Sicherheitsordnung. Mit ihrem inklusiven, paneuropäisch ausgerichteten Charakter gewinnen die OSZE und der Europarat weiter an Bedeutung. Sie sind aber gleichzeitig durch starke interne Spannungen gekennzeichnet. Die NATO und die EU wiederum, die viel zum Frieden im Umfeld der Schweiz beigetragen haben, sind beide einem beträchtlichen Wandel unterworfen.

Die Förderung der sicherheitspolitischen Kooperation ist seit den 1990er-Jahren ein Leitthema der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik. Die Zusammenarbeit mit anderen Staaten in der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen stärkt die Sicherheit der Schweiz und ist in ihrem Interesse. Im Folgenden werden aktuelle Schwerpunkte der Schweiz in der Zusammenarbeit mit den europäischen Sicherheitsinstitutionen dargelegt.

Eine handlungsfähige OSZE zählt seit Langem zu den Prioritäten der Schweizer Aussenpolitik. Mit ihrem Ansatz einer kooperativen und umfassenden Sicherheit und ihrem Engagement für inklusiven Dialog widerspiegelt die OSZE wesentliche Elemente der Aussenpolitischen Strategie des Bundesrates. Die
Wahl von Botschafter Thomas Greminger zum Generalsekretär der OSZE ist dabei ein Zeichen von Wertschätzung für die brückenbauende Rolle der Schweiz in dieser weltweit grössten regionalen Sicherheitsorganisation mit 57 Teilnehmerstaaten, in der unter anderem Russland, die USA und ihre europäischen NATO-Partner an einem Tisch sitzen.

Zu den Kernanliegen der Schweiz zählen neben dem bereits erwähnten strukturierten Dialog über Sicherheitsfragen der Ausbau der OSZE-Fähigkeiten für Konfliktprävention und die Aufwertung der Wirtschafts- und Umweltdimension der Organisation. Ebenfalls fokussiert die Schweiz auf die bessere Umsetzung der Verpflichtungen im Bereich der Menschenrechte in der OSZE, wobei sich in dieser menschlichen Dimension die Krise der regelbasierten Sicherheitsordnung besonders stark bemerkbar macht.

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Auch die Förderung der Cyberkooperation ist ein wichtiger Aspekt der Schweizer OSZE-Politik. Die Schweiz hat massgeblich zu einem Paket von OSZE-Massnahmen zur Vertrauensbildung im Cyberbereich beigetragen. Durch Transparenz und Kooperation zwischen Staaten sollen die Konfliktrisiken beim Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien verringert werden. In Umsetzung einer dieser Massnahmen hat die Schweiz zusammen mit Deutschland die Schaffung eines zwischenstaatlichen Konsultationsmechanismus für schwerwiegende Cyberzwischenfälle vorgeschlagen. Diese Idee ist bisher nicht konsensfähig. Im europäischen wie im globalen Rahmen tun sich die Staaten nach wie vor schwer, sich auf gemeinsame Normen und Regeln in der Cybersicherheit zu einigen.

Der Europarat als Werteorganisation wird von der Krise der liberalen Sicherheitsordnung im Mark getroffen. Im Berichtsjahr manifestierten sich die wachsenden Differenzen innerhalb der Organisation etwa in der Aussetzung der Beitragszahlungen durch Russland und die Türkei. Als inklusive Dialogplattform bleibt der Europarat mit seinen 47 Mitgliedstaaten eminent wichtig. Die Schweiz setzt sich schwerpunktmässig für eine Refokussierung der Organisation auf ihr Kernmandat ein, also die Förderung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und Demokratieentwicklung in den Mitgliedstaaten. Dieses Engagement wird in Ziffer 5.7 vertieft dargestellt.

Die NATO mit ihren 29 Mitgliedern legt den Fokus aufgrund der aktuellen Herausforderungen wieder vermehrt auf die kollektive Verteidigung. Demgegenüber verliert die Dimension der kooperativen Sicherheit an Gewicht, was auch Auswirkungen auf die NATO-Partnerschaftspolitik und damit die Partnerschaft für den Frieden (PfP) hat. Die NATO bleibt aber ein wichtiger Referenzrahmen für alle europäischen Staaten, auch wegen ihrer Operationen in Afghanistan, im Kosovo und im Mittelmeer (mit derzeit insgesamt 18 000 Soldaten). Hier ist die Schweiz mit einem Kontingent der Armee im Kosovo beteiligt. Die Schweiz setzt sich aktiv für die Aufrechterhaltung der PfP ein. Sie engagiert sich insbesondere in den Bereichen Sicherheitssektorreform, Ausbildung in der Minenräumung, sichere und gesicherte Verwaltung und Entsorgung von Kleinwaffen- und Munitionsbeständen sowie zivile Notfallplanung. Sie ist zudem ein aktiver Partner in
PfP-Trust-Fund-Projekten in Osteuropa, Zentralasien, dem Nahen Osten und Nordafrika, welche die Demilitarisierung und die Transformation von Streitkräften unterstützen. Im Cyberbereich hat die Schweiz ihre Zusammenarbeit auch mit der NATO vertieft. Sie beteiligt sich etwa an Übungen und beabsichtigt, Partnerstaat des «Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence» in Tallinn zu werden.

Die Europäische Union droht in Teilen ihrer Nachbarschaft an transformativer Kraft zu verlieren. Der Umbau von Nachbarstaaten zu Demokratien und Marktwirtschaften gestaltet sich schwierig, unter anderem weil die aktuellen Beitrittskandidaten auf tieferem Niveau in den Prozess starten als Länder in früheren Runden. Die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) bleibt ein anspruchsvolles Unterfangen, wobei die EU etwa mit ihren Sanktionen gegen Russland durchaus Handlungsfähigkeit bewiesen hat. Nicht zuletzt aufgrund der beschlossenen Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) durch die «Ständige Strukturierte Zusammenarbeit» und die Verknüpfung der GSVP mit der entstehenden EU-Migrationsaussenpolitik bleibt die GASP ein wichtiger Referenzrahmen 1804

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für die Schweiz. Mit ihrem umfassenden Sicherheitsverständnis und ihren Werten sind die EU und ihre Mitgliedstaaten naheliegende Partner der Schweiz für mehr Sicherheit.

Die Zusammenarbeit zwischen der EU und der Schweiz in der GASP ist bisher bescheiden. Die Beteiligung der Schweiz an verschiedenen zivilen und militärischen EU-Missionen wird jedoch geschätzt. Intensiv ist die Zusammenarbeit in der inneren Sicherheit. Die angestrebte Stärkung der Schengen-Architektur zur Terrorismusbekämpfung ist im Interesse der Schweiz. Das Schengener Informationssystem wird für die tägliche Arbeit der Polizei-, Grenz- und Migrationsbehörden immer wichtiger. Über die Schengen-Kooperation hinaus prüft die Schweiz von Fall zu Fall ihr Interesse an der Beteiligung an neuen Instrumenten zur Verstärkung der Zusammenarbeit. Ein Beispiel ist die Prümer Zusammenarbeit, die den Austausch von DNAProfilen, Fingerabdrücken sowie Fahrzeug- und Fahrzeughalterdaten ermöglicht. Als Drittstaat von Europol profitiert die Schweiz auch von deren Unterstützungsleistungen und beteiligt sich an länderübergreifenden Ermittlungen. Die Schweiz ist zudem Mitglied einer informellen Gruppe von europäischen Staaten (G15), die von den Themen Terrorismus und Dschihadreisende betroffen sind.

Neben der Zusammenarbeit mit Sicherheitsinstitutionen fördert die Schweiz die Sicherheitskooperation in plurilateralen Dialogformaten. Ein Beispiel ist das DACHLI-Format14, in dem die Aussenminister der deutschsprachigen Länder zum Beispiel OSZE-Fragen vertiefen. Erstmals 2017 hat sich auch die Verteidigungsministerin Deutschlands mit ihren Amtskollegen aus Österreich und der Schweiz im DACH-Rahmen getroffen. Zudem hat die Schweiz zahlreiche bilaterale Dialoge mit europäischen Staaten institutionalisiert. Dazu zählen auch Russland und die Türkei.

Es gehört zum eigenständigen aussenpolitischen Profil der Schweiz, dass sie gerade in Krisenkontexten an einem substanziellen und vertraulichen Dialog festhält. Bilaterale Dialoge sind für die Schweiz auch ein geeigneter Rahmen, sich für ihre Werte einzusetzen. So führt die Schweiz zum Beispiel mit Russland jährlich Menschenrechtskonsultationen durch. Sie thematisiert die Menschenrechte zudem systematisch in politischen Konsultationen und Treffen auf hoher Ebene, 2017 etwa mit Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien,
Russland, der Ukraine und Tadschikistan.

Subregionales Engagement für europäische Sicherheit: Beispiel Westbalkan Ein dritter aussenpolitischer Schwerpunkt zur Stärkung der europäischen Sicherheit betrifft das Engagement für subregionale Stabilität mit den Instrumenten der internationalen Zusammenarbeit. Dies soll an dieser Stelle am Beispiel des Westbalkans illustriert werden.15 Die Kriege der 1990er-Jahre führten vor Augen, wie wichtig der Westbalkan für die Sicherheit Europas und der Schweiz ist. Zwei Jahrzehnte nach den Abkommen von Dayton und dem Kriegsende im Kosovo hat sich die Situation zwar generell verbessert. Ein nachhaltiger Friede ist aber noch nicht gesichert. Trotz beachtlichen Fortschritten ­ auch in der regionalen Zusammenarbeit ­ bleiben grosse Herausforderungen: Nationalismus, ungelöste Grenzfragen, teilweise bewusst 14 15

Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg.

Die IZA-Aktivitäten der Schweiz in der Ukraine und im Südkaukasus wurden bereits in Zusammenhang mit den Beiträgen zur Überwindung der europäischen Ordnungskrise thematisiert.

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geschürte ethnische Spannungen, Korruption und organisierte Kriminalität. Hinzu kommen ein nur geringes Wirtschaftswachstum, hohe Jugendarbeitslosigkeit und der ins Stocken geratene Aufbau inklusiver Institutionen und des Rechtsstaates. Zu beobachten ist zudem eine verstärkte Konkurrenzsituation zwischen der EU, Russland und der Türkei in der Region, was die weitere Stabilisierung erschweren kann.

Die Schweiz ist seit den 1990er-Jahren im Westbalkan tätig und setzt die bundesverwaltungsweit abgestimmten Kooperationsstrategien für Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Serbien um. Sie zählt zu den wenigen Akteuren in der Region, denen von allen Seiten Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit attestiert werden. Zu den Zielen ihrer Strategien zählen die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Dezentralisierung, um politische Entscheide näher an Bürgerinnen und Bürger zu bringen. Als Resultat ist beispielsweise der Anteil von Frauen in der albanischen Politik zu nennen: Er ist 2017 in allen Gemeindeparlamenten auf über einen Drittel gestiegen. Weitere Prioritäten sind die Schaffung von Arbeitsplätzen, eine marktorientierte Berufsbildung sowie die Reform des Gesundheitssystems und der Wasserversorgung. Mit Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo und Serbien unterhält die Schweiz zudem wirksame Migrationspartnerschaften. Im Kosovo unterstützt die Schweiz im Rahmen der zivilen Friedensförderung den EU-Dialog zwischen Belgrad und Pristina. Seit 2010 unterhält sie hierzu eine Dialogplattform. Diese ermöglicht serbischen und kosovarischen Vertretern aus Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft einen Austausch über Fragen des Normalisierungsprozesses. Zudem engagiert sie sich in der Vergangenheitsbewältigung und für den Schutz der Menschenrechte.

Gemäss Beschluss des Bundesrates soll der Maximalbestand der Swisscoy ab April 2018 von 235 auf 190 Armeeangehörige reduziert werden. Im Oktober 2019 ist eine weitere Reduktion auf 165 Armeeangehörige vorgesehen. Damit werden die Ausgaben von heute 44,2 Millionen auf geschätzte 33,2 Millionen Franken sinken. Der Bundesrat hat das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) beauftragt, zusammen mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) bis Ende 2018 zu berichten,
welche Möglichkeiten es gibt, um Mittel aus dem militärischen Einsatz zugunsten der zivilen Friedensförderung zu verschieben. Der Beitrag der Schweizer Armee in Bosnien und Herzegowina zugunsten der EUFOR ALTHEA wird mit bis zu 27 Armeeangehörigen weitergeführt. Auch hier gilt: Das militärische und zivile Engagement für mehr Stabilität im Westbalkan kommt auch der Sicherheit der Schweiz zugute. Dabei werden die Schweiz und die internationale Staatengemeinschaft ihr Engagement vor dem Hintergrund der Lageentwicklung in der Region immer wieder neu überprüfen müssen.

3

Die Europafrage im Zentrum der Aussenpolitik

In den folgenden vier Kapiteln wird der Stand der Umsetzung der Schwerpunkte der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 erörtert. An dieser Stelle geht es zunächst um die Beziehungen zur EU. Der Frage, wie die Schweiz diese Beziehungen gestaltet, kommt strategische Bedeutung zu. Die EU ist der mit Abstand wichtigste Wirt-

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schaftspartner der Schweiz: 2017 gingen rund 53 Prozent der Schweizer Exporte in die EU, während die Schweiz rund 71 Prozent ihrer Importe aus dem EU-Raum bezog. Gleichzeitig waren Tochterfirmen von Schweizer Unternehmen im Jahr 2016 verantwortlich für rund 800 000 Arbeitsplätze in der EU.

Wie in der ersten Ziffer dargelegt wurde, wirkt die EU zum Ende des Berichtsjahrs im Vergleich zu den Vorjahren wieder gefestigter. Die Wirtschaft in der EU und namentlich in der Eurozone präsentierte sich in so guter Form wie seit 2011 nicht mehr. Ins positive Bild passt auch die allmähliche Entspannung der Schuldenkrise, welche noch bis Mitte 2017 die Treffen der Eurogruppe dominiert hatte. Die wirtschaftliche Erholung in ihrem bedeutendsten Exportmarkt war auch für die Schweiz eine gute Nachricht. Zugleich wurde der Euro im Vergleich zum Franken wieder stärker, was eine Erleichterung für die Schweizer Exportwirtschaft darstellt. Auch die Situation im Bereich der Migration hat sich im Berichtsjahr im Vergleich zum Vorjahr etwas beruhigt. Gleichzeitig dauert das Ringen um eine kohärente EUMigrationspolitik an.

Die angestrebte Normalisierung in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU konnte im Berichtsjahr nicht realisiert werden. Nach der angespannten Lage der letzten Jahre aufgrund der Blockierung mehrerer bilateraler Dossiers durch die EU im Nachgang zur Abstimmung über Artikel 121a der Bundesverfassung (BV)16 konnte die Arbeit in vielen offenen Dossiers zwar wieder aufgenommen werden.

Allerdings konnten in jenen Dossiers, welche die EU mit Marktzugang und somit mit der Frage einer institutionellen Lösung in Verbindung bringt, keine Fortschritte erzielt werden. Eine neue Divergenz ergab sich in der Frage der Äquivalenzanerkennung der Schweizer Regulierung im Börsenbereich. Zwar anerkannte die EUKommission kurz vor Jahresende die Gleichwertigkeit dieser Regulierung. Sie tat dies aber auf ein Jahr befristet und machte eine Verlängerung von Fortschritten in den Verhandlungen über die institutionellen Fragen abhängig. Dies hat vor Augen geführt, dass die Normalisierung der Beziehungen mit der EU ein fragiler und störungsanfälliger Prozess bleibt und das in der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 festgehaltene Vorhaben, ein geregeltes, partnerschaftliches und ausbaufähiges Verhältnis zur EU zu sichern, noch nicht erreicht ist.

3.1

Die Beziehungen zur EU zwischen Normalisierung und anhaltenden Divergenzen

Durch die noch im Dezember 2016 vom Parlament beschlossene, mit dem Freizügigkeitsabkommen kompatible Revision des Ausländergesetzes17 zur Umsetzung von Artikel 121a der Bundesverfassung wurde die Voraussetzung für eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU geschaffen.

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SR 101 BBl 2016 8917

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Im Januar 2017 traten als erste Schritte die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien18 sowie die vollständige Assoziierung der Schweiz an das EU-Forschungsrahmenprogramm «Horizon 2020» in Kraft. Zudem wurden im Frühjahr in vormals blockierten Dossiers wieder Gespräche aufgenommen. Im April beschlossen Bundespräsidentin Doris Leuthard und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker anlässlich eines Treffens eine Agenda für die Wiederaufnahme der Arbeiten in weiteren offenen Dossiers.

Im November, anlässlich des zweiten Treffens zwischen der Bundespräsidentin und dem EU-Kommissionspräsidenten in Bern, konnte eine Bilanz zu den erzielten Fortschritten gezogen werden. Sie fiel zu diesem Zeitpunkt insgesamt positiv aus.

Festzuhalten ist insbesondere die im Juli erfolgte Aktualisierung des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen19 (Mutual Recognition Agreement, MRA). In sieben Produktbereichen, in denen sich die Vorschriften in der EU und in der Schweiz geändert haben, konnte damit der Marktzugang aufrechterhalten werden. Ende Dezember wurde das Abkommen in vier weiteren Produktbereichen aktualisiert.

Anlässlich des Treffens wurde auch ein Abkommen zur Verknüpfung der Emissionshandelssysteme der Schweiz und der EU unterzeichnet. Diese Verknüpfung ist weltweit die erste auf zwischenstaatlicher Ebene und stärkt den Emissionshandel als wichtiges klimapolitisches Instrument. Zudem legte ein im Dezember erfolgter Briefwechsel die Grundlage für eine vertiefte Zusammenarbeit im wissenschaftlichtechnischen Bereich mit der Europäischen Chemikalienagentur. Auch die ehemals blockierte Aufnahme von Verhandlungen über die Zusammenarbeit der Schweiz mit der Europäischen Eisenbahnagentur und über die Mitwirkung der Schweiz in der Agentur für das europäische globale Satellitennavigationssystem konnte angekündigt werden. Der bevorstehende Beschluss zur Aktualisierung des Versicherungsabkommens Schweiz-EU wurde als konkretes Resultat verzeichnet. Bereits im April hatten die Schweiz und die EU eine Verwaltungsvereinbarung unterzeichnet, die eine intensivere Zusammenarbeit bei der humanitären Hilfe und beim Bevölkerungsschutz in der Schweiz und im Ausland ermöglicht. Mit dem erfolgreichen Abschluss des sogenannten «Pillar Assessments» im Oktober wurde die Grundlage für die
Projekteingabe von Schweizer Projekten für eine Finanzierung durch EU-Finanzinstrumente geschaffen.

Diesen Erfolgen stand nach wie vor eine Reihe von offenen Dossiers gegenüber, in denen im Verlauf des Jahres keine Fortschritte erzielt werden konnten. Diese werden von der EU an eine Lösung der institutionellen Fragen geknüpft, etwa in den Politikbereichen Gesundheit, Medien und Kultur oder auch bei der Äquivalenzanerkennung im Börsenbereich.

18

19

Unabhängig von der Umsetzung von Art. 121a BV lief die Anwendung des Freizügigkeitsabkommens Schweiz­EU im üblichen Rahmen. Am 10. Mai 2017 beschloss der Bundesrat zudem, die im FZA vorgesehene Ventilklausel gegenüber Staatsangehörigen von Bulgarien und Rumänien anzurufen. Da die im Abkommen vorgesehenen quantitativen Voraussetzungen erfüllt waren, wurden per 1. Juni 2017 überjährige Aufenthaltsbewilligungen für die nächsten zwölf Monate kontingentiert und quartalsweise freigegeben.

SR 0.946.526.81

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Im Lichte der Dynamik der Gesamtbeziehungen Schweiz-EU seit Beginn des Jahres entschied der Bundesrat im November, die Weichen für einen weiteren Schweizer Beitrag für ausgewählte EU-Staaten zu stellen. Die zuvor mit möglichen Partnerstaaten geführten Sondierungsgespräche erlaubten es, deren Bedürfnisse und Interessen zu ermitteln, namentlich in den vom Bundesrat definierten Schwerpunktbereichen Berufsbildung und Migration. Der Bundesrat beauftragte das EDA, in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) bis März 2018 eine Vorlage zur Umsetzung dieses neuen Beitrags für die Vernehmlassung vorzubereiten. Die Schweiz unterstützt die Länder Osteuropas seit dem Ende des Kalten Krieges im Rahmen der Ostzusammenarbeit. Das Engagement fördert tragfähige bilaterale und wachsende wirtschaftliche Beziehungen mit den Partnerstaaten.

Ab 2007 leistete die Schweiz einen autonomen Beitrag zur Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU und unterstützte in diesem Rahmen Projekte in dreizehn EU-Mitgliedstaaten. Im Berichtsjahr wurden sämtliche 210 Projekte in den zehn im Jahr 2004 der EU beigetretenen Mitgliedstaaten abgeschlossen.

Per Ende 2017 lässt sich festhalten, dass das Ziel einer Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU noch nicht erreicht werden konnte. Dies insbesondere deshalb, weil die EU-Kommission im Dezember ihren Entscheid über die bereits angesprochene Äquivalenzanerkennung der Schweizer Börsenregulierung nach Artikel 23 der «Markets in Financial Instruments Regulation» auf ein Jahr befristete. Damit bleibt offen, ob EU-Händler Schweizer Aktien, die auch an einer Börse in der EU zum Handel zugelassen sind, nach 2018 weiterhin an einer Schweizer Börse handeln können. Die Kommission knüpfte die Weiterführung der Äquivalenzanerkennung an Fortschritte in den Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen. Der Bundesrat kritisierte diese Verknüpfung als sachfremd und diskriminierend. Er taxierte den Entscheid der EU als Versuch, den Schweizer Finanzplatz zu schwächen. Deshalb beauftragte der Bundesrat das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), bis Ende Januar 2018 Vorschläge zu unterbreiten, damit diese
versuchte Schwächung ausgeglichen werden kann, etwa durch die Abschaffung der Stempelsteuer. Gleichzeitig hat sich der Bundesrat vorbehalten, die Arbeiten an der Vernehmlassungsvorlage für einen weiteren Schweizer Beitrag für ausgewählte EU-Staaten neu zu beurteilen. Der Bundesrat unterstrich, dass es zur Überwindung der bestehenden Differenzen einer sachlichen Diskussion in vertrauensvollem Klima bedarf.

Seit einigen Jahren stösst die Weiterentwicklung des bilateralen Wegs dort an Grenzen, wo eine sektorielle Einigung die institutionellen Fragen im Zusammenhang des gegenseitigen Marktzugangs berührt. Seit 2008 konnten deshalb keine neuen Marktzugangsabkommen Schweiz­EU abgeschlossen werden. Die Verhandlungen mit der EU über institutionelle Fragen wurden 2017 weitergeführt. In mittlerweile neunzehn Verhandlungsrunden seit 2014 wurden in verschiedenen Aspekten Fortschritte erzielt; von einer Lösung ist man aber weit entfernt. Der Bundesrat ist gewillt, diese Verhandlungen weiterzuführen und abzuschliessen, wenn eine Lösung im Interesse der Schweiz gefunden werden kann.

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3.2

Brexit und die Schweiz

Am 29. März 2017 notifizierte das Vereinigte Königreich (UK) der EU formell seine Austrittsabsicht. Im Juni starteten die Austrittsverhandlungen. Auf Bestreben der EU werden diese Verhandlungen in zwei Phasen geführt: Verhandlungen über das Verhältnis nach erfolgtem Austritt wurden seitens der EU von ausreichenden Fortschritten in den Austrittsverhandlungen abhängig gemacht. Im Zentrum der Austrittsverhandlungen standen der Status der EU-Bürgerinnen und -Bürger im Vereinigten Königreich und der UK-Bürgerinnen und -Bürger in der EU, der Status der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland sowie die finanziellen Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs gegenüber der EU. Der Europäische Rat hielt im Dezember fest, dass die gestellte Bedingung erfüllt ist ­ in den Austrittsverhandlungen wurden ausreichende Fortschritte erzielt ­ und die zweite Phase der Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich aufgenommen werden kann. Die Aufnahme dieser Verhandlungen sollte im Frühjahr 2018 erfolgen. Beide Seiten streben eine Übergangsphase an, die vom Zeitpunkt des Austritts des UK aus der EU bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des zukünftigen Verhältnisses Gültigkeit haben soll. Momentan scheint das Vereinigte Königreich ein Verhältnis basierend auf einem umfassenden Freihandelsabkommen anzustreben. Damit würde sich eine allfällige Lösung des Verhältnisses des Vereinigten Königreichs zur EU vom Verhältnis Schweiz­EU, das auf einem selektiven Binnenmarktzugang basiert, unterscheiden.

Der Austrittsentscheid des Vereinigten Königreichs hat auch Auswirkungen auf die zukünftigen bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich. Diese beruhen massgeblich auf den bilateralen Verträgen Schweiz­EU.

Um den gegenwärtigen Stand der bilateralen Beziehungen Schweiz­UK zu erhalten und gegebenenfalls zu vertiefen, verfolgt der Bundesrat die im Oktober 2016 verabschiedete Strategie zum zukünftigen Verhältnis der Schweiz zum Vereinigten Königreich. Primäres Ziel der Strategie ist es, den Status quo hinsichtlich der bestehenden Rechte und Pflichten zum Zeitpunkt des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs und darüber hinaus sicherzustellen. Im Berichtsjahr wurden dazu zahlreiche exploratorische Gespräche zwischen schweizerischen und britischen Amtsstellen geführt sowie politische Kontakte intensiviert.

3.3

Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Migration

Im Bereich der inneren Sicherheit hat sich die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU in den letzten Jahren vertieft und weiterentwickelt. Im November wurde der Text eines Protokolls paraphiert, das den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden den Zugriff auf die Eurodac-Datenbank ermöglicht. Zudem konnten die Verhandlungen über die Teilnahme der Schweiz an der Prümer Zusammenarbeit abgeschlossen werden, die es den teilnehmenden Staaten erlaubt, DNA-Profile, Fingerabdrücke sowie Fahrzeug- und Fahrzeughalterdaten untereinander auszutauschen. Der Zugang zu diesen Instrumenten ermöglicht der Schweiz die selektive Vertiefung der Zusammenarbeit mit anderen EU-Mitgliedstaaten über ihre Schen1810

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gen-/Dublin-Assoziierung hinaus. In diesem Sinne strebt sie auch einen direkten Zugriff auf das Europol-Informationssystem an. Damit soll verhindert werden, dass aufgrund von Verzögerungen im Informationsaustausch Sicherheitslücken entstehen.

Der Schengen-Besitzstand entwickelte sich 2017 namentlich im Lichte der Terrorgefahr auf dem europäischen Kontinent weiter. Neu unterstehen auch Personen, die Anspruch auf freien Personenverkehr haben, einer Übertrittskontrolle an SchengenAussengrenzen. Ebenfalls verlangt die Einführung eines «Entry/Exit»-Systems die biometrische Registrierung von Drittstaatsangehörigen, die für einen Kurzaufenthalt einreisen. Zudem beschlossen die Schengen-Staaten eine Anpassung der EU-Waffenrichtlinie, um den Zugang zu den gefährlichsten Waffenkategorien zu erschweren. Die Schweiz hat sich im Rahmen ihrer Mitspracherechte für verhältnismässige Regeln und spezifische Bestimmungen eingesetzt, welche die Abgabe der Ordonnanzwaffe als Schweizer Tradition weiterhin ermöglicht. Die Schweiz beteiligt sich auch an gemeinsamen Massnahmen zum Schutz der Schengen-Aussengrenzen, welche für die Migrations- und Sicherheitspolitik der Schweiz eine wichtige Rolle spielen. Im Berichtsjahr genehmigte das Parlament die Übernahme und Umsetzung der Verordnung über die neue Europäische Grenz- und Küstenwache. Dieser Nachfolgeagentur von Frontex, an der sich die Eidgenössische Zollverwaltung mit ihrem Grenzwachtkorps seit 2011 beteiligte, stellt die Schweiz zusätzlich zu ordentlichen Einsätzen sechzehn Grenzbeamte für den neuen Soforteinsatzpool zur Verfügung.

Die Beratungen zur Neufassung der Dublin-Verordnung kamen 2017 nur stockend voran. Eine Verständigung über den vorgeschlagenen Verteilmechanismus, der die Prüfung von Asylgesuchen in Krisensituationen gerecht unter den Dublin-Staaten aufteilen soll, gelang nicht. Im Rahmen ihrer freiwilligen Beteiligung am «Relocation»-Programm nimmt die Schweiz zwischen 2015 und 2018 rund 900 Schutzsuchende aus Italien und 600 aus Griechenland auf und kann ihre Zusage somit erfüllen. Sie erhöhte im Berichtszeitraum zudem ihre Unterstützung für die Arbeit des Europäischen Büros für Asylfragen und entsandte bis zu vierzehn Expertinnen und Experten in italienische und griechische Registrierungszentren. 2017 präsentierte sich die Migrationslage in Europa im
Vergleich zu den Vorjahren weniger akut, was massgeblich auf die Schliessung der Balkanroute, die Umsetzung der EU-Türkei-Erklärung vom März 2016 sowie Bemühungen zur Eindämmung der Migration entlang der Mittelmeerroute zurückzuführen ist. Nebst dem verstärkten Grenzschutz richtete die EU-Kommission ihren Fokus auf die Entwicklung einer umfassenden Migrationsaussenpolitik und auf die Kooperation mit Transit- und Herkunftsländern. Die Schweiz unterstrich im Erfahrungsaustausch mit den EU-Mitgliedstaaten die Vorteile des umfassenden und partnerschaftlichen Ansatzes, der ihre eigene Zusammenarbeit mit Transit- und Herkunftsländern prägt.

Die Schweiz beteiligte sich zudem weiterhin an den Bemühungen der EU für eine stabile und friedliche europäische Nachbarschaft im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Die Entsendung von rund dreissig zivilen Expertinnen und Experten und Armeeangehörigen in friedensfördernde EU-Missionen in der Ukraine, im Sahel und im Westbalkan wurde fortgesetzt. Ebenfalls der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit ist die erstmalige Beteiligung der Schweiz an einem Kooperationsprojekt der Europäischen Verteidigungsagentur zuzurechnen.

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3.4

Steuer- und Handelsfragen

Die EU hat 2017 ihre Massnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidung und Gewinnverlagerungen von Unternehmen weiter ausgebaut, teilweise über die Referenzempfehlungen des OECD-Projekts «Base Erosion and Profit Shifting» hinaus.

Einige der Massnahmen dürften je nach Umsetzung Auswirkungen auf die Attraktivität des Steuerstandorts Schweiz haben. Die mit dem Bereich Unternehmensbesteuerung betraute «Code of Conduct Group» des Rats der EU hat im Januar 92 Staaten über die anstehende Evaluation ihrer Fiskalpolitiken informiert. Die Schweiz legte im Juni dar, wie sie mit der Steuervorlage 17 ihr international kritisiertes Steuerregime im Rahmen des laufenden Gesetzgebungsprozesses anzupassen gedenkt. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom 5. Dezember wurde die Schweiz erwartungsgemäss nicht auf der «schwarzen Liste» nicht-kooperativer Staaten der EU aufgeführt. Sie wurde aber in einem Annex als einer derjenigen Staaten und Jurisdiktionen erwähnt, die im Prozess sind, ihre Steuerregeln an internationale Standards anzupassen. Der Rat begrüsste dabei den Einsatz der Schweiz bei der Abschaffung ihrer kritisierten Steuerregimes und drückte die Erwartung aus, dass die entsprechenden Verpflichtungen umgesetzt werden. Tatsächlich befindet sich die Schweiz im Zuge der Steuervorlage 17 in einem solchen Prozess.

Auch die bilaterale Handelspolitik der Schweiz bleibt von Entwicklungen auf europäischer Ebene nicht unberührt. Das «Comprehensive Economic and Trade Agreement» zwischen der EU und Kanada wurde im Februar vom Europäischen Parlament genehmigt und wird seit September zu weiten Teilen vorläufig angewandt.

Zudem wurden die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen der EU mit Japan im Dezember abgeschlossen und die Aufnahme entsprechender Verhandlungen mit Australien und Neuseeland vorgeschlagen. Vor diesem Hintergrund prüfen die Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) eine Aktualisierung ihres Freihandelsabkommens mit Kanada. Mit Japan verfügt auch die Schweiz über ein bilaterales Freihandelsabkommen, weshalb sie die Auswirkungen von dessen Vereinbarung mit der EU aufmerksam beobachten wird.

3.5

Enge Beziehungen zu den Nachbarstaaten

Die Gestaltung enger und vertrauensvoller Beziehungen zu Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein und Österreich bleibt eine aussenpolitische Priorität. Ein Drittel des gesamten Aussenhandels der Schweiz und knapp zwei Drittel des Aussenhandels mit Europa betrifft unsere Nachbarstaaten. Sie bilden denn auch den traditionellen Schwerpunkt der Schweizer Besuchsdiplomatie. Im Berichtsjahr betraf ein Drittel aller hochrangigen Kontakte diese fünf Staaten. Inhaltlich standen neben der Europapolitik und der Personenfreizügigkeit häufig Fragen der Verkehrsinfrastruktur im Vordergrund, aber auch Umwelt-, Energie- und Sicherheitsfragen.

Im Mittelpunkt der Beziehungen zu Deutschland standen die Feierlichkeiten zum 150-Jahr-Jubiläum der Errichtung einer Gesandtschaft in Berlin. Der Austausch war intensiv ­ vor allem in den Bereichen Europa, Migration, G20/Finanzen, Sicherheit und Verkehr. Im Berichtsjahr fanden dreizehn Bundesratsbesuche statt. Seit Sommer 2017 wird erstmals ein deutscher Diplomat im EDA eingesetzt, nachdem das Aus1812

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wärtige Amt schon zuvor EDA-Mitarbeitende beschäftigt hatte. Die friedenspolitische Zusammenarbeit mit Deutschland konnte 2017 durch die Umsetzung von gemeinsamen Projekten insbesondere im Bereich der Mediation vertieft werden.

Dennoch gibt es im Verhältnis mit Deutschland unbefriedigende Aspekte: Die Regelung der Anflugverfahren auf den Flughafen Zürich ist zwar stabil, Verbesserungen bei der Sicherheit sind jedoch aus politischen Gründen blockiert. Weil die Ratifizierung des Staatsvertrags von 2012 in Deutschland auf Eis liegt, fehlt der Schweiz die Rechts- und damit die Planungssicherheit. Der Unterbruch des Rhein-AlpenSchienenkorridors durch die Havarie in Rastatt während mehr als sieben Wochen hat Schwächen im europäischen Schienenverkehr offengelegt und den mit Deutschland bereits 1996 vereinbarten Ausbau der Strecke zwischen Karlsruhe und Basel weiter verzögert. Deshalb hat die Schweiz eine bessere internationale Koordination über die Gremien der europäischen Schienenkorridore vorgeschlagen. Zudem kam die Schweiz mit Deutschland auf höchster politischer Ebene überein, das Ereignis zu analysieren und entsprechende Lehren daraus zu ziehen.

Zu den zahlreichen Kontakten mit Frankreich zählten der Besuch der Bundespräsidentin bei Präsident Emmanuel Macron in Paris kurz nach dessen Amtsübernahme im Mai sowie der Besuch des neuen EDA-Vorstehers bei Aussenminister Jean-Yves Le Drian im Dezember. In verschiedenen Themenbereichen konnte der institutionelle Rahmen mit Frankreich weiterentwickelt werden. Das Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich bezüglich des Steuerregimes am Flughafen Basel-Mülhausen trat Ende 2017 in Kraft. Es schafft günstige Rahmenbedingungen für den Ausbau der Flughafen-Infrastruktur in den kommenden Jahren. Die Arbeiten im Zusammenhang mit der Auflösung des Abkommens über die Fürsorge für Unbemittelte, das 1931 mit Frankreich abgeschlossen und 2016 von diesem gekündigt wurde, wurden abgeschlossen. Die Gültigkeit der Ausstände Frankreichs namentlich bei den Kantonen wurde bestätigt und die verhandelte Zahlung von 41,5 Millionen Schweizerfranken durch Frankreich im Jahr 2019 durch einen Briefwechsel zwischen den beiden Aussenministern festgehalten. Darüber hinaus fanden technische Gespräche in Bezug auf das Projekt Bahnanschluss an den Flughafen Basel-Mülhausen statt.
Zudem haben Frankreich und die Schweiz den Dialog über Steuerfragen und über den Zugang zu den Finanzmärkten wieder aufgenommen. Auch beim Kulturgüterschutz konnte die Zusammenarbeit vertieft werden. Die ALIPH-Stiftung für den Schutz gefährdeter Kulturgüter, eine Initiative Frankreichs und der Vereinigten Arabischen Emirate, wurde in Genf angesiedelt. Darüber hinaus konnten Fortschritte beim grenzüberschreitenden Schienenverkehr erzielt werden.

Mit Italien wurden im Berichtsjahr ebenfalls enge Kontakte gepflegt. Anlässlich des Besuchs der Bundespräsidentin vom Mai in Rom und verschiedener Treffen auf Stufe Aussenminister, darunter der erste Auslandbesuch von Bundesrat Ignazio Cassis, wurden insbesondere die Europapolitik, Steuerfragen und die Migrationsproblematik thematisiert. Die Zusammenarbeit im Schengen/Dublin-Bereich an der schweizerisch-italienischen Grenze funktioniert gut. An der Regierungskommission «Consulta» vom September in Lugano wurde vereinbart, Massnahmen zur Förderung der italienischen Sprache, den Schutz von Kulturgütern und gemeinsame Projekte insbesondere im Filmbereich besser zu koordinieren. Darüber hinaus hat sich die «Regio Insubrica» im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit 1813

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Italien zu einem wichtigen Forum zwischen dem Kanton Tessin, der Lombardei und dem Piemont entwickelt. Im Verkehrsbereich wurde die Bahnverbindung zwischen Mendrisio und Varese in Betrieb genommen.

Andere Baustellen blieben hingegen auch 2017 offen: Die Gespräche zu Fiskalfragen und anderen Themen betreffend Marktzugang für grenzüberschreitende Finanzdienstleister und die italienische Exklave Campione d'Italia wurden auch im Berichtsjahr ohne nennenswerte Fortschritte weitergeführt. Das Abkommen über die Grenzgängerbesteuerung, das 2015 paraphiert wurde, konnte trotz intensiver Überzeugungsarbeit durch die Schweiz noch nicht unterzeichnet werden.

Die engen und stabilen Beziehungen mit Liechtenstein wurden im Berichtsjahr auf allen Stufen intensiv gepflegt. So wurde Regierungschef Adrian Hasler von Bundespräsidentin Leuthard im Mai in Bern zu einem Antrittsbesuch empfangen. Ebenso wurden die neuen Regierungsmitglieder, Regierungschef-Stellvertreter Daniel Risch und Regierungsrätin Dominique Gantenbein, im August in Bern empfangen. Bundesrat Cassis empfing Aussenministerin Frick im Dezember. Ein neues Doppelbesteuerungsabkommen trat Mitte Jahr in Kraft.

Die rege Besuchsdiplomatie mit Österreich war unter anderem durch den Besuch des neuen österreichischen Präsidenten Alexander Van der Bellen Mitte Februar in Bern gekennzeichnet. Bundesrat Cassis traf seinen damaligen Amtskollegen Sebastian Kurz im Dezember in Wien. Zentrale Themen waren Europa und die Migration.

Der damalige Bundesminister für Inneres Wolfgang Sobotka besuchte im Mai das Asylverfahrenszentrum in Zürich und tauschte sich mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga über Migrationsfragen aus. Im Jahr 2017 entwickelte sich auch die Zusammenarbeit im Bereich Polizei und Militär positiv. Im Juli trat ein revidiertes Polizeiabkommen zwischen der Schweiz, Österreich und Liechtenstein über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Zoll- und Sicherheitsbehörden in Kraft20, das eine wirksamere Zusammenarbeit zum Ziel hat. Darüber hinaus wurde am 28. September ein revidiertes Luftpolizeiabkommen unterzeichnet.21 Als Gaststaat der OSZE ist Österreich ein wichtiger Partner der Schweiz in Sicherheitsfragen. 2017 war die Zusammenarbeit in diesem Bereich aufgrund des österreichischen OSZE-Vorsitzes besonders eng.

3.6

EU-/EFTA-Staaten als wichtige Partner

Über die Nachbarstaaten hinaus haben gute Beziehungen zu EU- und EFTA-Staaten für die Schweiz eine besondere Bedeutung. Dabei geht es neben bilateralen und multilateralen Fragen stets auch darum, die Gesprächspartner für den bilateralen Weg und für die Anliegen der Schweiz im Hinblick auf den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU zu sensibilisieren.

So reiste Bundespräsidentin Leuthard im April vor Beginn der EU-Präsidentschaft Estlands zu Gesprächen nach Tallinn und im November nach Bulgarien, das im ersten Halbjahr 2018 die EU-Präsidentschaft übernimmt. Im Juni empfing sie den 20 21

SR 0.360.163.1 BBl 2017 6071

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König der Belgier in der Schweiz. Für ein Arbeitstreffen mit dem dänischen Ministerpräsidenten Lars Løkke Rasmussen weilte sie Anfang August in Kopenhagen und besuchte anschliessend Grönland. Ende November begab sie sich auf Einladung des portugiesischen Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa für einen Präsidialbesuch nach Lissabon. Zu Treffen des vormaligen respektive des aktuellen EDA-Vorstehers kam es mit ihren Amtskollegen aus Finnland, Kroatien, Lettland, Malta, den Niederlanden, der Slowakei und Zypern. Die Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Luxemburg wurden im Oktober mit einem Treffen auf Stufe Aussenminister in Bern begangen. Die erfolgreiche Kampagne für den Beobachterstatus der Schweiz beim Arktischen Rat führte ausserdem zu einem intensiveren Kontakt mit den nordischen Staaten.

Beurteilung und Ausblick Die Normalisierung der Beziehungen mit der EU ist im Berichtsjahr Stückwerk geblieben. Die Europafrage wird auch 2018 im Zentrum der Aussenpolitik stehen. Es bleibt das strategische Ziel des Bundesrates, den bilateralen Weg zu konsolidieren und langfristig tragfähig zu machen. Das ist im Interesse sowohl der Schweiz und ihrer Wirtschaft als auch der EU, deren drittwichtigster Handelspartner die Schweiz ist.

Der Bundesrat strebt dabei eine Lösung an, die Zugang zum Binnenmarkt der EU und Rechtssicherheit bietet und innen- wie aussenpolitisch nachhaltig ist.

Dies setzt jedoch voraus, dass sich die Schweiz und die EU über die Grundzüge der Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen einigen. Dazu ist einerseits eine sachliche europapolitische Diskussion in der Schweiz notwendig. Andererseits hängt eine Lösung auch davon ab, ob die EU dem in der Schweiz innenpolitisch Machbaren Rechnung trägt.

Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten und den übrigen europäischen Hauptstädten haben sich unterschiedlich entwickelt. Sie sollen weiter gestärkt werden, nicht zuletzt mit Blick auf die EU-Politik der Schweiz. In den Beziehungen mit den Nachbarstaaten gilt es zudem, einige offene Punkte einer Lösung zuzuführen. Dies gilt insbesondere für Italien, wobei die Unterzeichnung des bilateralen Abkommens über die Grenzgängerbesteuerung für die Schweiz prioritär ist. Mit Deutschland wird eine Einigung über die Anflugverfahren am Flughafen Zürich
angestrebt. Besonderes Augenmerk wird der Bundesrat 2018 schliesslich dem Vereinigten Königreich zukommen lassen ­ dies im Lichte der Brexit-Verhandlungen und mit Blick auf die damit verbundene Neugestaltung der bilateralen Beziehungen.

4

Fortschreitende globale Abstützung der Schweizer Aussenpolitik

In einer multipolaren Welt bleibt Europa zwar der zentrale Referenzpunkt für die Schweizer Aussenpolitik. Die weltweiten Machtverschiebungen, die in Ziffer 1 dargelegt wurden, erfordern aber auch eine verstärkt globale Ausrichtung der Schweizer 1815

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Aussenpolitik. Die Nichtmitgliedschaft der Schweiz in der EU und ihr Wille zu einer eigenständigen Aussenpolitik gebieten besondere bilaterale und multilaterale Anstrengungen, damit die Schweiz ihre Interessen und Werte in der globalisierten Welt wirksam vertreten kann. Verstärkte Beziehungen zu aussereuropäischen Staaten sind eine immer wichtigere Ergänzung zur Europapolitik der Schweiz.

Die Globalisierung der Schweizer Aussenpolitik hat in den letzten Jahren zugenommen. Bereits Mitte des letzten Jahrzehnts hatte der Bundesrat mit Brasilien, China, Indien, Japan, Russland, Südafrika, der Türkei und den USA eine Reihe von aussereuropäischen Schwerpunktländern identifiziert, mit denen die Schweiz einen institutionalisierten Dialog und engere wirtschaftliche Beziehungen anstrebt. In der Aussenpolitischen Strategie des Bundesrates 2016­2019 stellt die Vertiefung der Beziehungen zu globalen Partnern und zu aussereuropäischen Regionalorganisationen einen von vier strategischen Schwerpunkten dar. Auf dieser Basis hat die Schweiz ihre Beziehungen mit zahlreichen Staaten und Akteuren ausserhalb Europas intensiviert.

Im Folgenden werden ausgewählte Schweizer Aktivitäten im Berichtsjahr nach der jeweiligen Region dargestellt. Dabei werden jeweils zu Beginn zentrale regionalpolitische Entwicklungslinien erläutert, in Ergänzung zu den Ausführungen in Ziffer 1.

4.1

Amerikanischer Kontinent

Die Aussen- und Sicherheitspolitik der Administration Trump verfolgt zwar weiterhin das Ziel, den Status der Vereinigten Staaten als wichtigste Weltmacht aufrechtzuerhalten. Der Ausstieg aus dem TPP und dem Pariser Klimaabkommen, die Passivität gegenüber den Bretton-Woods-Institutionen und die Verringerung des Engagements in der UNO bieten jedoch Herausforderern wie China eine Chance, eine gewichtigere Rolle in der Gestaltung der internationalen Ordnung zu übernehmen.

Die Entschlossenheit von Präsident Trump, Wahlversprechen wie die Neuverhandlung von NAFTA oder den Bau der Mauer entlang der mexikanischen Grenze umzusetzen, hat zu einer Verschlechterung der Beziehungen der USA zu seinen Nachbarstaaten geführt. Währenddessen gewinnen in Südamerika der «Mercado Común del Sur» (MERCOSUR) unter dem Einfluss Argentiniens, das auf den Wachstumspfad zurückgefunden hat, aber auch die Pazifik-Allianz wieder etwas an Schwung. Auch Brasilien zeigt unter der neuen Übergangsregierung Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung. Das Land steht jedoch wegen der Korruptionsaffären rund um den Petrobras-Skandal weiterhin unter Druck. Die Skandale um hochrangige politische Persönlichkeiten erschütterten dabei den ganzen Kontinent, was zu Gerichtsverfahren in verschiedenen Staaten geführt hat. Die Gewalt in Zentralamerika treibt die Migration aus Guatemala, Honduras und El Salvador in Richtung Norden weiter an und verursacht eine bisher wenig beachtete Flüchtlingskrise vor allem in Mexiko.

Schliesslich rutscht Venezuela immer tiefer in eine politische, wirtschaftliche und humanitäre Krise, die zunehmend von blutigen Auseinandersetzungen mit der Opposition begleitet ist.

1816

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In diesem sich rasch wandelnden Umfeld setzt die Schweiz auf den Ausbau ihres guten Beziehungsnetzes zur Wahrung ihrer Interessen. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten, dem zweitgrössten Handelspartner und wichtigsten Empfänger für Direktinvestitionen aus der Schweiz, bleiben gut, vielfältig und auf die konkrete Zusammenarbeit fokussiert. Prioritäten aus Sicht der Schweiz sind die Erhaltung und Stärkung der Rahmenbedingungen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen sowie die Zusammenarbeit im Bereich Frieden und Sicherheit. Eine besondere Rolle spielt die Schweiz als Schutzmacht der USA im Iran. Eng ist die Kooperation auch in den Bereichen Handels- und Investitionsförderung, marktorientierte Bildung und Berufsbildung, Prävention von gewalttätigem Extremismus, Terrorismusbekämpfung, «Asset Recovery» und Gesundheit. Im Sinne einer konstruktiven Partnerschaft hat die Schweiz im Dialog mit US-Regierungsvertretern aber auch ihre Sorge gegenüber gewissen Massnahmen geäussert.

Dies betrifft etwa die unilaterale Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels.

Ausserdem hat die Schweiz ihre Beziehungen zu weiteren Ländern in Nord- und Südamerika auf präsidialer Ebene (Argentinien, Bolivien, Peru) und auf Ministerebene (Kanada) verstärkt. Im Bereich der Friedensförderung leistet die Schweiz weiterhin Unterstützung für Kolumbien, insbesondere bei der Umsetzung des Friedensabkommens mit den «Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia ­ Ejército del Pueblo» (FARC) beziehungsweise bei den Verhandlungen der kolumbianischen Regierung mit der Nationalen Befreiungsarmee (ELN). Darüber hinaus engagiert sich die Schweiz im Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit in Zentralamerika sowie im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit mit Brasilien. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit fördert die Schweiz Projekte in Bolivien, Haiti, Kolumbien, Kuba, Peru und Zentralamerika. Sie unterstützt die Gemeindereform und die Dezentralisierung, um Bürgerinnen und Bürger besser in die politischen Entscheide einzubeziehen. In Zentralamerika engagiert sich die Schweiz in der Justizreform und der Vergangenheitsbewältigung, um Konfliktursachen gezielt abzubauen. Ebenso werden die Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen gefördert sowie Massnahmen unterstützt, um die ärmste Bevölkerungsschicht
vor den Auswirkungen des Klimawandels und der Wasserverknappung zu schützen. Auch der Förderung der Menschenrechte räumt die Schweiz in ihren Kontakten mit den Ländern Amerikas einen hohen Stellenwert ein und nimmt wenn nötig öffentlich Stellung, wie im Fall der Gewalteskalation in Venezuela.

Um ihre Interessen zu stärken, hat die Schweiz Partnerschaften geschlossen, so zum Beispiel mit Mexiko im Bereich der globalen Migration. Ihre Interessen wahrt sie auch durch ihre Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der Pazifik-Allianz und der «Caribbean Community and Common Market» (CARICOM).

1817

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4.2

Asien und Pazifik

Auch im Jahr 2017 haben die Mächte China und Indien die regionalen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Raum Asien-Pazifik entscheidend geprägt.

China bringt sich nicht nur verstärkt in die globale Politik ein, sondern strebt zunehmend eine internationale Ordnung an, die den eigenen Bedürfnissen verstärkt Rechnung trägt. Wie in Ziffer 1 erwähnt, hat China mit der «Belt and Road Initiative» ein wichtiges Projekt weiter konkretisiert. Indessen kann auch Indien durch sein langjähriges Wirtschaftswachstum einen Machtzuwachs verzeichnen, zumal der Subkontinent die regionale Ordnung vermehrt mitgestaltet. Als Folge davon haben die Rivalitäten zwischen Indien und China zugenommen, während die ungelösten Konflikte, etwa in Afghanistan und Kaschmir, und die schwierige politische Transition in Ländern wie Nepal oder Sri Lanka die Sicherheitslage in der Region beherrschen.

Demgegenüber haben die USA durch ihren Rückzug aus dem TPP ein Vakuum hinterlassen. Dennoch bleiben die USA ein wichtiger Akteur in Asien und vor allem ein zentraler Bündnispartner für Länder wie Südkorea und Japan.

In Ostasien konnte die Schweiz mit China vor allem anlässlich des Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten im Januar, aber auch im Rahmen weiterer hochrangiger Kontakte und etablierter sektorieller Dialoge die bilateralen Beziehungen weiter festigen. Dies trifft etwa auf die Bereiche Freihandel, Finanzfragen, Menschenrechte, Sicherheitspolitik, internationale Zusammenarbeit, Wissenschaft und Energie zu. Darüber hinaus konnte die 2016 vereinbarte «Innovative Strategische Partnerschaft» bekräftigt und durch einen jährlichen strategischen Dialog auf Aussenministerebene weiter konkretisiert werden. Die präsidialen beziehungsweise ministeriellen Kontakte erlaubten es zudem, einen kritischen Meinungsaustausch über Menschenrechte zu führen. Schliesslich hatte die Schweiz mehrfach Gelegenheit, auf höchster Ebene ihr Interesse an der «Belt and Road Initiative» gerade auch für die Schweizer Wirtschaft zu bekunden. Vor dem Hintergrund der vielfältigen und engen bilateralen Beziehungen mit China macht es für die Schweiz Sinn, sich an der Initiative zu beteiligen, aber gleichzeitig konsequent ihre Anliegen bezüglich Einhaltung des Völkerrechts und internationaler Standards ­ Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, nachhaltige
Projektfinanzierung und Transparenz ­ zu vertreten. Der Finanzplatz Hongkong spielt beim Anschluss der chinesischen an die globale Wirtschaft eine zentrale Rolle, weshalb die entsprechenden Kontakte zu den regionalen Behörden verstärkt wurden.

Die bilaterale Zusammenarbeit mit Japan beruht auf einem soliden Rechtsrahmen von bilateralen Abkommen, insbesondere in den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft. Im Verlaufe des Jahres konnten die Beziehungen hinsichtlich Finanzfragen, Forschung und Innovation und im Bereich des parlamentarischen Austauschs verstärkt werden. Wie in Ziffer 1 dargelegt, sind die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel enorm gestiegen, da Nordkorea sein Nuklear- und Raketenprogramm unentwegt weitergeführt hat. Die internationale Gemeinschaft hat als Folge davon die Sanktionen verschärft. Die Schweiz hat sämtliche das Land betreffenden UNOSanktionen umgesetzt und strikt eingehalten. Sie hat die völkerrechtswidrigen Atomtests Nordkoreas verurteilt. Sie ist überzeugt, dass eine Lösung für die nukleare und sicherheitspolitische Problematik auf der koreanischen Halbinsel nur durch Verhandlungen und einen diplomatischen Prozess gefunden werden kann. Sie hat 1818

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sich bereit erklärt, auf alle Anfragen einzugehen, die den Bemühungen zur Förderung von Stabilität und Frieden in der Region förderlich sein können.

In Südasien hat die Schweiz die bilateralen Beziehungen mit Indien intensiviert. Sie führt mittlerweile zahlreiche regelmässige thematische Dialoge, etwa über marktorientierte Berufsbildung und Finanzmarkt. Ein wichtiges Ziel beim Präsidialbesuch von Bundespräsidentin Leuthard in New Delhi Ende August bestand darin, die langwierigen Verhandlungen über das Freihandelsabkommen zwischen Indien und der EFTA voranzubringen. Mit weiteren Staaten Südasiens wurden im Rahmen politischer Konsultationen oder bilateraler Treffen auf hoher Beamtenebene die Beziehungen weiter vertieft, etwa mit Bangladesch und Sri Lanka, mit dem auf eine Migrationspartnerschaft hingearbeitet wird. Auch in Südostasien setzt die Schweiz ihre Strategie zur Vertiefung der Beziehungen mit den Staaten der Region fort. Für 2017 standen insbesondere Singapur, die Philippinen, Myanmar und Indonesien im Mittelpunkt bilateraler Besuche. Im Rahmen hochrangiger Kontakte wurden die Beziehungen zum Finanzzentrum Singapur vertieft und die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kontakte mit dem G20-Land Indonesien verstärkt, während mit der neuen philippinischen Regierung der Austausch in den Bereichen gewalttätiger Extremismus und Wirtschaftsentwicklung intensiviert werden konnte.

Mit Myanmar wurden das mehrjährige friedenspolitische Engagement fortgesetzt und hochrangige Gespräche zum Friedensprozess, der demokratischen Transition und dem Schutz von Minderheiten geführt. Als Folge der sich verschärfenden Krise im Gliedstaat Rakhine hat die Schweiz ihre humanitäre Hilfe ausgebaut. Im pazifischen Raum wurden die Beziehungen mit Australien im Rahmen des jährlich stattfindenden politischen Dialogs weiter gefördert. Im Mittelpunkt der Zusammenarbeit stehen die Bereiche Wirtschaft, Bildung und Forschung sowie die multilaterale Zusammenarbeit.

Auch der Ausbau der Beziehungen zu regionalen Organisationen im Raum AsienPazifik ist ein wichtiges Ziel der Schweiz. Im Rahmen der sektoriellen Dialogpartnerschaft mit dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) war sie erstmals an einem ASEAN-Aussenministertreffen vertreten. Darüber hinaus haben die Schweiz und die ASEAN einen gemeinsamen Arbeitsplan für
die Periode 2017­ 2021 vereinbart, unter anderem in den Bereichen menschliche Sicherheit und Verminderung von Katastrophenrisiken. Neben der ASEAN nutzt die Schweiz das «Asia-Europe Meeting» (ASEM), um die Beziehungen mit europäischen und asiatischen Partnern zu vertiefen und konkrete Anliegen einzubringen.

4.3

Naher und Mittlerer Osten, Nordafrika

Im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika verlief das Jahr turbulent und war von Konfrontation und einer angespannten humanitären Lage in den Krisengebieten mit grossen Fluchtbewegungen geprägt. Die Situation in Libyen ist nach wie vor fragil. In Syrien wird weiterhin gekämpft, obschon die Organisation «Islamischer Staat» dort stark geschwächt werden konnte. Im Irak lassen die Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften und das kurdische Unabhängigkeitsreferendum eine gefährliche Zersplitterung des Landes 1819

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befürchten. Im Jemen sind die UNO-geführten Friedensgespräche blockiert, und gleichzeitig verstärken politisch motivierte Zugangsbeschränkungen für Hilfslieferungen die humanitäre Krise. In anderen Staaten werden die Regierungen zunehmend autoritärer und gehen gegen diejenigen vor, die eine offenere Gesellschaft fordern. Die erheblichen Kursänderungen in der US-Politik in der Region, vor allem mit der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die Vereinigten Staaten, tragen ebenfalls zur Polarisierung der Region bei. Saudi-Arabien und die Vereinigen Arabischen Emirate verfolgen eine zunehmend ambitionierte Aussenpolitik und scheuen eine Konfrontation mit dem Iran nicht mehr. Es entstehen neue Allianzen, aber auch neue Fronten und Konfliktlinien. Im israelisch-palästinensischen Konflikt gab es seit Anfang 2017 keine Fortschritte.

Die Schweiz stand auch 2017 häufig und regelmässig in Kontakt mit den Ländern der Region. Anlässlich hochrangiger Arbeitsbesuche auf Ministerebene wurden zahlreiche Dialoge meist zu politischen, wirtschaftlichen und migrationspolitischen Themen geführt. Im Schweizer Engagement für Frieden und Sicherheit bleibt der Nahe und Mittlere Osten eine Schlüsselregion. Zu den Schwerpunkten gehören die Unterstützung der UNO im syrischen Friedensprozess, friedenspolitische Programme im Libanon und in Libyen, die neuen Schutzmachtmandate mit dem Iran und SaudiArabien sowie das Engagement für eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt. Die Schweiz engagiert sich für die Schaffung eines lebensfähigen, zusammenhängenden und souveränen Staates Palästina auf der Grundlage der Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt, der Seite an Seite in Frieden und Sicherheit mit dem Staat Israel besteht. Sie wird eine Änderung der Grenzen von 1967, einschliesslich Jerusalems, nicht anerkennen, es sei denn, diese sei das Ergebnis eines zwischen den Parteien ausgehandelten Abkommens.

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit wurde ein neues Programm mit Jordanien und dem Libanon lanciert, das sich auf einen Beitrag an die Deckung der Grundbedürfnisse der Syrienflüchtlinge fokussiert. Das Programm zielt zudem darauf ab, die Spannungen zwischen Flüchtlingen und der Bevölkerung in den Gastländern zu reduzieren. Mit migrationspolitischen Projekten werden zudem die Aufnahme- und Schutzkapazitäten
verstärkt. Betreffend Nordafrika sieht die neue Kooperationsstrategie der internationalen Zusammenarbeit vor, das Engagement im Migrationsbereich und für die Prävention von gewalttätigem Extremismus zu verstärken.22 Stark präsent in der Region ist die Schweiz auch mit der humanitären Hilfe. Das Engagement in der Syrienkrise ist die grösste humanitäre Operation ihrer Geschichte. Seit Beginn des Krieges hat sie Hilfe in Höhe von rund 316 Millionen Franken geleistet, davon 66 Millionen Franken im Berichtsjahr. Von 2012 bis 2017 hat die Schweiz beispielsweise 87 000 betroffenen Kindern den Schulbesuch ermöglicht, und sie trägt zur dringenden Versorgung von 30 000 unterernährten Frauen pro Monat bei. Zur Krise im Jemen, wo die Bevölkerung von der schwersten Hungersnot in der Geschichte des Landes betroffen ist, organisierte die Schweiz im April zusammen mit Schweden und der UNO eine erfolgreiche Geberkonferenz in Genf, die 1,1 Milliarden US-Dollar für Bedürftige mobilisieren konnte.

22

Vgl. dazu auch Ziff. 6.3, Strategische Verknüpfung mit der Migrationsaussenpolitik.

1820

BBl 2018

Die Förderung der Finanz- und Wirtschaftsinteressen bleibt ein wichtiges Anliegen.

Beispielsweise besuchte Bundesrat Johann Schneider-Ammann mit Wirtschaftsdelegationen Saudi-Arabien sowie Israel und das besetzte palästinensische Gebiet.

Anlässlich eines Besuchs von Bundesrat Ueli Maurer vereinbarten die Schweiz und Israel, verstärkt im Bereich Finanzen zusammenzuarbeiten. Bundesrat Didier Burkhalter engagierte sich im Rahmen einer WEF-Veranstaltung in Jordanien mit über 100 arabischen Jungunternehmern für die Förderung von Start-ups in der Region. Im Rahmen der 2016 mit dem Iran vereinbarten «Road Map» zur Intensivierung der bilateralen Beziehungen wurden Dialoge im Wirtschafts- und Finanzbereich geführt.

Nach der parlamentarischen Genehmigung des Bundesbeschlusses über die Teilnahme der Schweiz an der Weltausstellung 2020 in Dubai im Dezember 201723 hat Präsenz Schweiz die entsprechenden Umsetzungsarbeiten an die Hand genommen.

Mit ihrer Teilnahme kann die Schweiz sich und ihre Stärken in der ganzen Region besser bekannt machen. Der Auftritt eröffnet vor allem in den Bereichen Forschung, Innovation und Wirtschaft interessante Perspektiven.

4.4

Osteuropa und Zentralasien

Russland bleibt aufgrund seines politischen Gewichts, seines Einflusses auf die europäische und die globale Sicherheit sowie der traditionell engen bilateralen Beziehungen ein wichtiger, aber auch schwieriger Partner für die Schweiz. Die Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen wird dabei seit einigen Jahren durch die anhaltende Konfliktlage zwischen Russland und dem Westen und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim beeinflusst. Die Schweiz setzt auf einen regelmässigen, konstruktiv-kritischen Dialog zu diesen Fragen. Sie hat die EU-Sanktionen gegenüber Russland nicht übernommen. Der Bundesrat hat aber Massnahmen ergriffen, damit diese Sanktionen nicht über das schweizerische Staatsgebiet umgangen werden können.24 Die Zusammenarbeit mit zahlreichen Themendialogen, die sich auf der Basis einer 2007 abgeschlossenen Vereinbarung entwickelt hat, wird fortgesetzt.

Im Berichtsjahr kam es zu Treffen des vormaligen und des aktuellen EDA-Vorstehers mit dem russischen Aussenminister Sergei Lawrow am Rande der UNOGeneralversammlung respektive des OSZE-Ministerrats. Ebenfalls weilte Bundesrat Schneider-Ammann zu einem Arbeitsbesuch in Moskau.

Auch mit der Türkei setzt die Schweiz im Sinne ihrer eigenständigen Aussenpolitik auf konstruktiv-kritischen Dialog, um eine Verbesserung der aktuellen Situation zu erreichen. Sie äussert dabei ihre Besorgnis über das Ausmass der Massnahmen und die Einschränkungen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten seit dem vereitelten Staatsstreich von 2016 und fordert die türkischen Behörden auf, ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten. Dazu gehört auch der Verzicht auf Ausspähung und Drangsalierung der türkischen Diaspora in der Schweiz. Die Türkei ist aufgrund ihrer geopolitisch bedeutenden Lage und des wirtschaftlichen Gewichts ein 23 24

BBl 2018 29 Verordnung vom 27. Aug. 2014 über Massnahmen zur Vermeidung der Umgehung internationaler Sanktionen im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine, SR 946.231.176.72.

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wichtiger Akteur mit zahlreichen und vielfältigen Beziehungen zu unserem Land, weshalb der Bundesrat die Zusammenarbeit fortsetzen will. Ebenfalls zu würdigen sind die erheblichen Anstrengungen, die die Türkei unternimmt, um die mehr als 3 Millionen Flüchtlinge aus Nachbarländern zu beherbergen.

Wie in Ziffer 2 eingehender beschrieben, bleibt der ungelöste Konflikt im Donbass eines der Hauptthemen in den bilateralen Beziehungen mit der Ukraine. Die Schweiz hat ihr Engagement in der Ukraine im Rahmen eines Besuchs des EDA-Vorstehers im Konfliktgebiet erneut bekräftigt. Im Südkaukasus fokussiert die Schweiz ihr Engagement weiterhin auf die Friedensförderung und auf die Entwicklungszusammenarbeit. Ein besonderes Schwergewicht der 2017 erneuerten regionalen Kooperationsstrategie liegt darin, die konstruktive nachbarschaftliche Zusammenarbeit der Republiken im Südkaukasus zu fördern. Im Dezember 2017 besuchte die Bundespräsidentin Georgien.

Mit den zentralasiatischen Staaten und dem wichtigen Wirtschaftspartner Aserbaidschan pflegt die Schweiz eine enge Zusammenarbeit in den Bretton-Woods-Institutionen. Im Rahmen der Weltausstellung in Astana präsentierte die Schweiz ihre Innovationskraft im Bereich Energie und unterstrich ihre Unterstützung der «Blue Peace»-Initiative für eine zwischenstaatliche Bewirtschaftung der knapper werdenden Wasserressourcen in Zentralasien. Die Initiative leistet auch einen gezielten Beitrag an die Reduktion von Konfliktursachen. Die Fortsetzung dieses Engagements steht ebenfalls im Zentrum der 2017 erneuerten regionalen Kooperationsstrategie 2017­2021.

4.5

Subsahara-Afrika

Subsahara-Afrika zeigte 2017 ein uneinheitliches Bild. Einerseits sind die meisten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen relativ friedlich abgelaufen, etwa in Angola, Ghana, Liberia, Ruanda oder im Senegal. In Kenia gab das höchste Gericht einer Beschwerde der Opposition statt, wonach es bei den Wahlen zu Unregelmässigkeiten und Rechtsverstössen gekommen sei, worauf die Präsidentschaftswahlen Ende Oktober wiederholt wurden. Politische Krisen konnten oft gewaltlos gelöst werden, wie das Beispiel Gambia zeigt. Geordnet verlaufen ist auch der Machtwechsel in Simbabwe, wo Präsident Mugabe nach 37 Jahren an der Spitze des Staates zurücktreten musste. Andererseits entsprechen Wahlprozesse in manchen Ländern nach wie vor nicht vollumfänglich demokratischen Massstäben. Die Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo wurden erneut verschoben, Demonstrationen begegnete die Regierung mit Gewalt. Auch in Burundi ist die politische Lage, nicht zuletzt aufgrund einer geplanten Verfassungsrevision, immer noch prekär.

Zusätzlich ist der Kontinent weiterhin mit globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Naturkatastrophen, Terrorismus, ungelösten Konflikten und Armut konfrontiert. Teilweise sind die Bevölkerungsbewegungen auf extreme Klimaereignisse zurückzuführen, wie die Dürre am Horn von Afrika oder die Überschwemmungen in Westafrika. Die Sicherheitslage um den Tschadsee, im Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik und in der Region der Grossen Seen bleibt kritisch. Der Terrorismus ist vor allem in Somalia, in Burkina Faso, in Mali und am Tschadsee 1822

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weit verbreitet und gibt Anlass zu Besorgnis. Manche Länder Afrikas leiden ausserdem unter schlechter Regierungsführung und Korruption. Eine grosse Zahl von Migrantinnen und Migranten und Menschen auf der Flucht stammt aus afrikanischen Ländern, zugleich gibt es zahlreiche Flüchtlinge und Binnenvertriebene in Afrika: Uganda, Äthiopien, die Demokratische Republik Kongo und Kenia sind die Länder mit den grössten Flüchtlingszahlen in Afrika, ebenfalls sind die Demokratische Republik Kongo und auch der Sudan, Nigeria und der Südsudan die Länder mit den meisten Binnenvertriebenen.

Im wirtschaftlichen Bereich verdichten sich Anzeichen einer dynamischeren Entwicklung. So dürften die Wachstumsraten dank steigender Rohstoffpreise bei gleichzeitiger Diversifizierung der Produktion wieder anziehen. Neben den traditionellen westlichen Investoren drängen verstärkt Konkurrenten aus China oder den Golfstaaten auf den afrikanischen Markt, die vor allem am Rohstoffsektor und an grossen Infrastrukturprojekten interessiert sind. Schweizer Unternehmen interessieren sich ebenfalls vermehrt für die aufstrebenden Märkte in Afrika, wobei das Investitionsklima teilweise schwierig bleibt.

Es liegt im Interesse der Schweiz, ihre Beziehungen zu Subsahara-Afrika auszubauen und zu diversifizieren. Angesichts des Wirtschaftsaufschwungs in Teilen des Kontinents treibt die Schweiz den Abschluss von sektoriellen Abkommen voran, beispielsweise in den Bereichen Luftverkehr und Doppelbesteuerung. Die Zusammenarbeit mit Nigeria ist dynamisch und verläuft im Rahmen institutionalisierter Dialoge, beispielsweise zu Migrations- und Menschenrechtsfragen. Das Horn von Afrika bleibt aufgrund der kritischen sicherheitspolitischen und humanitären Lage ein Schwerpunkt des Schweizer Engagements. Bei verschiedenen hochrangigen Treffen mit Vertretern der Region standen Themen wie Migration, Menschenrechte, die wirtschaftliche Entwicklung sowie die Korruptionsbekämpfung im Mittelpunkt der Gespräche. Besondere Aufmerksamkeit kam dabei Eritrea zu. Die Schweiz beabsichtigt, ihre diplomatische Präsenz im Land zu verstärken.25 Die Region der Grossen Seen ist nach wie vor instabil. Die Schweiz engagiert sich deshalb dort vornehmlich in den Bereichen Friedenspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, etwa in Burundi und in der Demokratischen Republik
Kongo. Südafrika und Ghana bleiben wichtige Partner der Schweiz in Afrika, insbesondere für die wirtschaftliche, wissenschaftliche und die multilaterale Zusammenarbeit. In Mosambik hat die Schweiz entscheidend zum Abschluss eines seit Weihnachten 2016 eingehaltenen Waffenstillstandsabkommens beigetragen. Die Schweiz wurde von der Regierung ersucht, mit guten Diensten den Friedensprozess zu unterstützen, ihr Einbezug wurde auch von der bewaffneten Opposition gutgeheissen. Dieses Engagement beruht auch auf der langjährigen Verankerung der Schweiz, die seit bald vierzig Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit in Mosambik aktiv ist.

Auf der multilateralen Ebene hat die Schweiz die Zusammenarbeit in Bezug auf Afrika mit der EU und im Rahmen des «Global Compact with Africa» der G20 verstärkt. Des Weiteren hat die Schweiz die Zusammenarbeit mit Regionalorganisationen weiter formalisiert. Mit der Afrikanischen Union und mit der Zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung wird die Zusammenarbeit auf Programmebene 25

Vgl. zu Eritrea auch Ziff. 6.3, Strategische Verknüpfung mit der Migrationsaussenpolitik.

1823

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fortgesetzt, während mit der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Kooperation insbesondere in den Bereichen Migration, Frieden und Sicherheit vereinbart wurde. Die Internationale Organisation der Frankophonie (OIF) bleibt für die Schweiz gerade aufgrund zahlreicher afrikanischer Mitgliedsländer eine wichtige Plattform zur Wahrung ihrer aussenpolitischen Interessen. Konkret arbeitet die Schweiz mit der OIF in den Bereichen Menschenrechte, Prävention von gewalttätigem Extremismus und bei der Umsetzung der Wirtschafts- und Jugendstrategie der OIF zusammen.

Beurteilung und Ausblick In der Umsetzung des zweiten Ziels der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019, das Beziehungsnetz der Schweiz zu globalen Partnern zu vertiefen, ist der Bundesrat auf Kurs. In der Praxis hat sich dabei ein Schwerpunkt in Asien entwickelt. Mit keiner anderen Region ausserhalb Europas ist die hochrangige Besuchsdiplomatie so intensiv, wobei insbesondere die Beziehungen mit China hervorstechen. Die Globalisierung der Schweizer Aussenpolitik schreitet aber in allen Regionen voran. Zu den Staaten, mit denen in jüngster Zeit neue politische Konsultationen oder andere Formen der Vertiefung der politischen Beziehungen vereinbart wurden, zählen beispielsweise Afghanistan, Algerien, Angola, Argentinien, Äthiopien, Bangladesch, Ghana, Indien, Jordanien, Kambodscha, Kuwait, Mexiko, Oman, Peru und Senegal. Eine ähnliche Dynamik ist auf wirtschaftlicher Ebene zu beobachten, wie der Bundesrat im Aussenwirtschaftsbericht26 dargelegt hat. Die entsprechenden Bemühungen werden 2018 fortgesetzt.

Die Themenfelder, in denen die Schweiz eine verstärkte Zusammenarbeit anstrebt, sind dabei von Land zu Land individuell festzulegen. Ganz grundsätzlich geht es um die Wahrung der Schweizer Interessen. Dazu gehört auch die Förderung der Werte, die der liberalen internationalen Ordnung zugrunde liegen. Wie in den nächsten Kapiteln ausgeführt wird, ist es dem Bundesrat ein Anliegen, die Globalisierung der Aussenpolitik so zu gestalten, dass Schweizer Interessen und Schweizer Werte in Einklang miteinander stehen.

5

Gefragte Beiträge an Frieden und Sicherheit

Den Vorgaben der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 des Bundesrates entsprechend baut die Schweiz ihr Engagement für Frieden und Sicherheit aus. Wie in Ziffer 2 ausgeführt, operiert sie dabei mit einem umfassenden Sicherheitsbegriff und setzt einen Akzent bei Prävention und Mediation. In der Förderung von Frieden und Sicherheit setzt sie ein breites Instrumentarium ein, das auch die nachhaltige Entwicklung einschliesst. Ohne nachhaltige Entwicklung wird Frieden nicht beständig sein. Umgekehrt ist ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung möglich.

26

Bericht vom 10. Jan. 2018 zur Aussenwirtschaftspolitik 2017 und Bericht über zolltarifarische Massnahmen im Jahr 2017, BBl 2018 821.

1824

BBl 2018

5.1

Gute Dienste und zivile Friedensförderung im Brennpunkt

Die Nachfrage nach Beiträgen der Schweiz an Frieden und Sicherheit bleibt hoch.

Dies betrifft insbesondere die guten Dienste. Im Berichtsjahr übernahm die Schweiz zwei neue Schutzmachtmandate zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Die Mandate sind politisch bedeutsam und stellen in einer von Bruchlinien geprägten Region unter Beweis, dass Massnahmen der Deeskalation weiterhin möglich sind. Auch als Fazilitatorin von Dialog und Verhandlungen bleibt die Schweiz gefragt. So trat die Schweiz auch 2017 als Gastgeberland von Friedensprozessen auf, etwa zu Syrien und zu Zypern.

Betreffend Mediation ist die Schweiz derzeit in fünfzehn verschiedenen Kontexten in ganz unterschiedlichen Rollen aktiv. Beispielsweise unterstützt sie im Syrienkonflikt die UNO unter anderem mit Expertinnen und Experten für Verfassungsfragen und für den Austausch von Gefangenen. Zudem ermöglicht sie auf Wunsch der UNO informelle Dialogprozesse als Ergänzung zum nach wie vor sehr schwierigen offiziellen innersyrischen Verhandlungsprozess. Ein Beispiel ist der «Civil Society Support Room», der 2016 auf Schweizer Initiative im Palais des Nations in Genf gegründet wurde. 2017 nahmen 250 Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus allen syrischen Regionen an diesem politischen Dialog teil.

Bedeutende Rollen in der Mediation und Mediationsunterstützung spielt die Schweiz aktuell auch in Mosambik und in Kolumbien. Ein weiteres Beispiel betrifft ihre Bemühungen zur Überwindung der seit über einem Jahrzehnt anhaltenden Spaltung zwischen der palästinensischen Behörde und der Hamas. Der von Ägypten wieder in Schwung gebrachte Versöhnungsprozess zeitigte 2017 Fortschritte, resultierte aber noch nicht in einer funktionierenden palästinensischen Einheitsregierung, wie sie für die Perspektive einer Zweistaatenlösung unabdingbar ist. In all diesen Beispielen agiert die Schweiz heute nicht alleine, sondern zusammen mit Partnerstaaten.

Mit der Lancierung eines «Master of Advanced Studies» (MAS) in Friedensmediation an der ETH Zürich hat die Schweiz neue Wege zur Professionalisierung der Mediation beschritten. Dieser weltweit einzigartige Ausbildungsgang soll dazu beitragen, dass künftig mehr professionelle Mediatoren zur Verfügung stehen. Am ersten Lehrgang nehmen Vertreterinnen und Vertreter aus der Schweiz, einem Dutzend weiterer
Staaten, der UNO und afrikanischer Organisationen teil.

Im Bereich der zivilen Friedensförderung hat die Schweiz in den letzten Jahren Expertise in Themen aufgebaut, die für die Lösung der heutigen Konflikte von grosser Bedeutung sind. Dazu zählen etwa Machtteilung, Wahlen und Demokratieprozesse. So moderiert die Schweiz in Simbabwe einen Dialog, damit dort die Wahlen 2018 gewaltfrei stattfinden können. Darüber hinaus stärkte die Schweiz die Kapazitäten der Wahlbehörden in Tunesien, Burkina Faso und Kirgisistan. Auch hat sie in Sri Lanka und Myanmar, wo Verfassungsreformen im Gang sind, die Debatten über mögliche Modelle der Machtverteilung unterstützt und eine Serie von Studienbesuchen in der Schweiz durchgeführt. Weitere wichtige Themen der zivilen Friedensförderung sind die Vergangenheitsarbeit und die Prävention von Gräueltaten sowie die Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt und die Partizipation von Frauen in Friedensprozessen. Auch der Einsatz von zivilem Personal in internationalen 1825

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Organisationen und Friedensoperationen ist ein bewährtes Instrument der schweizerischen Friedenspolitik. 2017 wurden 160 Expertinnen und Experten in 197 Missionen in 37 Ländern eingesetzt. In der Ukraine zum Beispiel hat die Schweiz bis zu sechzehn Expertinnen und Experten in der Sonderbeobachtermission der OSZE im Einsatz.27 Im Schnitt waren 99 Personen, davon 43 Prozent Frauen, gleichzeitig im Einsatz, darunter 27 Beraterinnen und Berater für menschliche Sicherheit in den Schwerpunktländern der Schweizer Friedenspolitik. Die Beteiligung an Wahlbeobachtungen der OSZE, der EU und der OAS ist ein weiterer traditioneller Schwerpunkt des Schweizer Engagements.

5.2

Menschenrechte und Schutz von Minderheiten

Die Menschenrechte geraten im aktuellen Umfeld zunehmend unter Druck. Für die Schweiz gilt: Menschenrechte ­ und Werte generell ­ sind die Grundlage ihres eigenen demokratischen Staatsaufbaus und fester Bestandteil ihrer Interessenwahrung im Sinne des aussenpolitischen Zweckartikels (Art. 54 Abs. 2) der Bundesverfassung28. Der Dialog über Menschenrechte gehört zu lebendigen und vertrauensvollen bilateralen Beziehungen. Im Berichtsjahr hat ein vertiefter Austausch über Menschenrechte mit Brasilien, dem Senegal, Nigeria, Südafrika, Russland, dem Iran, Bahrain, Indien, China, Vietnam und Indonesien stattgefunden. Auch in multilateralen und regionalen Organisationen setzt sich die Schweiz für die Stärkung der Menschenrechte ein.

Ein wichtiges Thema für die Schweiz ist die Abschaffung der Todesstrafe, die sie als menschenrechtswidrig verurteilt. Während der weltweite Trend zu deren Abschaffung anhält, beabsichtigen mehrere Länder die Wiedereinführung. Mit einem Aktionsplan für die Jahre 2017­2019 sucht die Schweiz diesen Tendenzen entgegenzuwirken. Weitere Kernthemen des bilateralen und multilateralen Engagements sind die Folterprävention, die Nichtdiskriminierung, der Schutz von Menschenrechtsverteidigern und -verteidigerinnen und die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte mit einem besonderen Fokus auf Sportgrossanlässe.

Auch hat die Schweiz ihr multilaterales Engagement für Geschlechtergleichstellung, Frauenrechte und Befähigung der Frauen zur Selbstbestimmung weiter ausgebaut.

Mit der «Strategie zu Geschlechtergleichstellung und Frauenrechten» fördert das EDA diese als Transversalthema in der gesamten Schweizer Aussenpolitik.

Der Schutz der Rechte von Minderheiten ist im Völkerrecht verankert. Der Bundesrat hat im Februar den vierten Bericht der Schweiz zur Umsetzung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten verabschiedet.29 In der 27 28

29

Vgl. dazu auch Ziff. 2, Schwerpunkt: Aussenpolitische Beiträge an die europäische Sicherheit.

«Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und für ihre Wohlfahrt; er trägt namentlich bei zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.» www.eda.admin.ch > Aussenpolitik > Völkerrecht > Internationale Menschenrechtsübereinkommen > Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten

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Aussenpolitik unterstützt die Schweiz insbesondere Projekte, welche die Menschenrechte der Angehörigen verletzlicher Bevölkerungsgruppen fördern. Deshalb hat sie in Syrien ihre Unterstützung für ein Projekt mit der syrisch-orthodoxen Kirche weitergeführt, das vom Krieg traumatisierten Kindern aller Glaubensgemeinschaften zugutekommt. Ebenso hat sie im Irak ein Projekt der Organisationen «Ceasefire Centre for Civilian Rights», «Minority Rights Group» und der jesidischen «Sinjar Foundation for Human Development» weiter unterstützt. Zum Engagement der Schweiz im Bereich von religiösen Minderheiten zählt auch die Mitgliedschaft in der «International Holocaust Remembrance Alliance», deren Vorsitz sie im Jahr 2017 innehatte. Die Schweiz engagiert sich zudem, um Rassismus und Xenophobie entgegenzuwirken.

Insgesamt blieb 2017 die Situation für zahlreiche Angehörige religiöser und anderer Minderheiten in mehreren Weltregionen angespannt, beispielsweise für die Christen in verschiedenen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, für die Jesiden insbesondere in Syrien und im Irak und für die Menschen in Rakhine in Myanmar. Die Schweiz nutzt die bilateralen politischen Konsultationen sowie die Menschenrechtsdialoge, um Minderheitenrechte und Anti-Diskriminierungsmassnahmen zu thematisieren. Zudem unterstützt sie auf multilateraler Ebene die massgebenden Resolutionen im UNO-Menschenrechtsrat und in der UNO-Generalversammlung sowie die Bemühungen des Europarats und der OSZE zu diesen Themen. So unterzeichnete die Schweiz 2017 erneut die UNO-Resolution über die Religions- und Glaubensfreiheit sowie jene über die Rechte von Personen ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten. Bezüglich der Situation in Rakhine hat die Schweiz die Behörden in Myanmar sowohl im UNO-Menschenrechtsrat als auch in bilateralen Gesprächen dazu aufgefordert, ihren internationalen Verpflichtungen im Menschenrechtsbereich nachzukommen und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und aufzuklären.

5.3

Völkerrecht und internationale Strafgerichtsbarkeit

Die Achtung und Stärkung des humanitären Völkerrechts ist ein traditionelles Anliegen der Schweizer Aussenpolitik. Die aktuellen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, die Spannungen zwischen Russland und dem Westen sowie der Kampf gegen den Terrorismus stellen das humanitäre Völkerrecht auf die Probe. Gefordert sind unter anderem Massnahmen zum besseren Schutz von medizinischen Einrichtungen und Schulen. Jedoch muss auch die Achtung der Genfer Konventionen selbst gestärkt werden. Die Schweiz rief auch Nichtvertragsstaaten dazu auf, die beiden Zusatzprotokolle zu ratifizieren. Gemeinsam mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) führte sie zudem die mehrjährigen Konsultationen für ein Forum der Vertragsstaaten fort. Dies in der Überzeugung, dass ein Dialog über die Umsetzung des humanitären Völkerrechts unerlässlich ist.

Ein weiteres Engagement der Schweiz richtet sich gegen die Straflosigkeit für schwerste Völkerrechtsverbrechen. Sie setzt sich deshalb für die Stärkung des Internationalen Strafgerichthofs (IStGH) ein. Unter anderem unterstützte sie erfolgreich den Beschluss der Vertragsstaaten vom Dezember, dass der IStGH das Verbrechen der Aggression verfolgen kann. Auch begrüsst sie, dass der Einsatz dreier neuer

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Kategorien von Waffen inskünftig als Kriegsverbrechen unter die Gerichtsbarkeit des IStGH fällt. Schliesslich begrüsste die Schweiz den von der UNO-Generalversammlung geschaffenen Mechanismus zur Bekämpfung der Straflosigkeit in Syrien.

Als Gaststaat trug sie zu dessen Finanzierung bei. Ebenso setzte sie 2017 ihr Engagement für die Stärkung nationaler Strafinstitutionen fort, beispielsweise durch Ausbildung von Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in der Verfolgung von Kriegsverbrechen.

Die Rückerstattung von Potentatengeldern nimmt aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit der Korruptionsbekämpfung, den Menschenrechten und der nachhaltigen Entwicklung einen wichtigen Platz auf der internationalen Bühne ein. Die proaktive Politik der Schweiz stösst nach wie vor auf grosses Interesse, namentlich in der Arbeitsgruppe der G20-Staaten zur Korruptionsbekämpfung. Ende 2017 nahm die Schweiz an der Konferenz der Vertragsstaaten des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption und am ersten Globalen Forum über die Rückführung von Vermögenswerten teil. Ebenso führte die Schweiz in Addis Abeba zusammen mit Äthiopien und dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung eine Fachtagung zur Rückführung von unrechtmässig erworbenen Vermögenswerten illegaler Herkunft im Dienste der Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung durch.

Die Schweiz unterzeichnete zudem ein wegweisendes trilaterales Abkommen mit Nigeria und der Weltbank betreffend die Rückgabe der Abacha-II-Gelder von rund 321 Millionen US-Dollar zugunsten der nigerianischen Bevölkerung. Sie nahm Verhandlungen über ein Abkommen mit Kenia, Jersey und dem Vereinigten Königreich auf, um den rechtlichen und politischen Rahmen für zukünftige Rückerstattungen zu schaffen. Ausserdem wurde die Sperrung der Vermögenswerte der gestürzten Präsidenten Ben Ali (Tunesien) und Janukowitsch (Ukraine) sowie von politisch exponierten Personen in deren Umfeld bis 2019 verlängert.

5.4

Wachsende Bedeutung der Aussensicherheitspolitik

Das aussenpolitische Engagement zur Stärkung der europäischen Sicherheit wird dieses Jahr im Schwerpunktkapitel dargestellt. Im Bereich der internationalen Sicherheit und der transnationalen Bedrohungen setzt die Schweizer Aussenpolitik drei globale Schwerpunkte: konventionelle Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nonproliferation, Terrorbekämpfung und Prävention von gewalttätigem Extremismus sowie Vertrauensbildung zwischen Staaten im Cyberraum. Dieses aussensicherheitspolitische Engagement gewinnt im aktuellen weltpolitischen Umfeld an Bedeutung.

Die Rüstungskontroll-, Abrüstungs- und Nonproliferationspolitik ist eine sicherheitspolitische Priorität der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019. Ziel ist es, die internationale Stabilität und Sicherheit durch handlungsfähige internationale Organisationen, einen funktionierenden Multilateralismus sowie durch Transparenz und Vertrauen zu verbessern. Eine wichtige Entwicklung im Berichtsjahr war die Aushandlung des Kernwaffenverbotsvertrags in der UNO-Generalversammlung. Erstmals liegt nun eine ausdrückliche Verbotsnorm für Nuklearwaffen vor, wie sie bereits für chemische und biologische Waffen existiert. Dass die Kernwaffenstaaten 1828

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und fast alle Mitgliedstaaten der NATO nicht an diesem Prozess teilgenommen haben, beeinträchtigt allerdings die Wirksamkeit des Verbotes. Der Vertrag birgt zudem die Gefahr, die politische Spaltung zwischen Atom- und Nichtatomwaffenstaaten zu verstärken. Die Schweiz prüft deshalb sorgfältig, ob sie dem Abkommen beitreten soll oder nicht. Ein weiterer Schwerpunkt im Berichtsjahr betraf die Umsetzung des 2015 in Kraft getretenen Vertrags über den Waffenhandel, dessen Sekretariat in Genf angesiedelt ist. In Bezug auf autonome Waffensysteme bekräftigt die Schweiz die zentrale Bedeutung des existierenden Völkerrechts für deren Entwicklung und Einsatz, spricht sich aber zum jetzigen Zeitpunkt gegen ein präventives völkerrechtliches Verbot aus. Die Schweiz engagiert sich ausserdem stark für die sichere und gesicherte Verwaltung und Entsorgung von Waffen- und Munitionsbeständen und die Eindämmung der Verbreitung von Kleinwaffen. Zudem unterstützt die Schweiz Minenräumprogramme der UNO in Afrika mit personeller Expertise.

In der Bekämpfung des Terrorismus setzt sich die Schweiz einerseits dafür ein, dass die entsprechenden Massnahmen kompatibel mit dem internationalen Recht und rechtsstaatlich abgestützt sind. Andererseits engagiert sie sich stark für die Prävention von gewalttätigem Extremismus (PVE). Sie tut dies auf der Basis der 2015 vom Bundesrat verabschiedeten Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung30 und eines EDA-Aktionsplans. Dabei geht es darum, die vielfältigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ursachen des Terrorismus zu bearbeiten. In Westafrika beispielsweise leistet die Schweiz mit spezifischen Projekten für Jugendliche einen Beitrag an die Prävention. In Tunesien und Libanon unterstützt die Schweiz die Behörden bei der Entwicklung nationaler PVE-Strategien, die gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern erarbeitet werden. Die Schweiz engagiert sich aber auch für die Prävention im Bereich strategische Kommunikation, Internet und soziale Medien. Zusammen mit dem Vereinigten Königreich lancierte sie im Rahmen des «Global Counterterrorism Forum» eine Initiative, die zuhanden von Regierungen Empfehlungen für Massnahmen ausgearbeitet hat. Die «Zurich-London Recommendations on Preventing and Countering Violent Extremism and Terrorism Online» wurden im September 2017 auf
Ministerstufe verabschiedet. Die Schweiz und das Vereinigte Königreich wollen nun die Anwendung dieser Empfehlungen mit einer «Toolbox» und regionalen Expertentreffen unterstützen.

Das Thema Cybersicherheit gewinnt in der Aussenpolitik zunehmend an Bedeutung.

Gestützt auf die Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyberrisiken wahrt das EDA die Interessen der Schweiz gegenüber anderen Staaten und internationalen Organisationen im Bereich der Cybersicherheit. Das strategische Ziel der Schweiz ist ein freier, offener und sicherer Cyberraum, der auf gegenseitigem Vertrauen und einem gemeinsamen internationalen Regelwerk basiert. In der Realität bietet sich allerdings ein anderes Bild: Die Netzneutralität ist gefährdet, und staatlich geführte Cyberangriffe sind wieder an der Tagesordnung. Die Schweiz setzt sich auch in diesem Themenfeld, wo möglich und nützlich, für den Ausgleich ein, positioniert sich in zentralen Wertefragen aber gleichzeitig im westlichen Lager.

30

Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung vom 18. Sept. 2015, BBl 2015 7487.

1829

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Die Schweiz engagierte sich in den letzten zwei Jahren vor allem in der Expertengruppe «UN Group of Governmental Experts on Developments in the Field of Information and Telecommunications in the Context of International Security», die sich mit der Erarbeitung globaler Verhaltensnormen für Staaten und mit der Anwendbarkeit des Völkerrechts im Cyberraum befasst. Diese Gruppe konnte sich nicht auf einen Konsensbericht einigen. Grund dafür waren Interessenskonflikte betreffend die Anwendbarkeit des Völkerrechts auf die Nutzung des Cyberraums generell und die Anwendung spezifischer Völkerrechtsprinzipien der UNO-Charta im Konkreten.

Dies verdeutlicht, dass die Etablierung klarer Spielregeln für Staatenverhalten im Cyberraum als langfristiges Unterfangen zu verstehen ist, zumal in diesem Themenfeld die Interessen der Grossmächte stark divergieren. Noch ist unklar, in welchen Foren und mit welchen Zielen und Instrumenten auf globaler Ebene die zukünftige Diskussion zu Cybersicherheit fortgeführt wird. Die Schweiz wird bestrebt sein, bei der Entwicklung und Stärkung des normativen Rahmens im Cyberraum weiterhin aktiv mitzuwirken. Dabei wird es auch darum gehen, das internationale Genf als Standort für Cyberdialog zu stärken.

5.5

Engagement für eine handlungsfähige UNO

Die Schweiz misst der Handlungsfähigkeit von internationalen Organisationen grosse Bedeutung bei. Im Zentrum steht dabei das Anliegen einer handlungsfähigen UNO.

Die UNO ist für die Schweiz in den 15 Jahren ihrer Mitgliedschaft zu einem wichtigen und wirksamen aussenpolitischen Instrument geworden.

Die Schweiz unterstützt den UNO-Generalsekretär in dessen Bemühungen, die Konfliktprävention ins Zentrum zu stellen und die UNO im Sinne des Konzepts von «Sustaining Peace»31 zu reformieren. Dass die Prävention von Gewalt mit weniger Ressourcen zu bewerkstelligen ist als die häufig langwierige militärische Friedenssicherung, liegt auf der Hand. Bisher haben sich die Staaten aber schwer damit getan, die Prävention institutionell zu konkretisieren und in der Praxis umzusetzen.

In den laufenden Reformdiskussionen bringt sich die Schweiz auf verschiedenen Handlungsachsen der UNO ein. In den Pfeilern Frieden und Entwicklung engagiert sie sich für eine Stärkung der Kapazitäten zur Konfliktprävention. Auf dem Gebiet der Menschenrechte liegt der Fokus auf der Stärkung der Arbeitsweise der UNOMenschenrechtsorgane. Der Einbezug der Zivilgesellschaft ist bei der Berichterstattung an die Vertragsorgane eine Priorität der Schweiz. Im Rahmen der Managementreform hat sich die Schweiz für eine moderne und effiziente Verwaltung stark gemacht, insbesondere im Personal- und Finanzbereich.

Mit ihrem «Appell vom 13. Juni» leistet die Schweiz zudem einen Beitrag dazu, die Kohärenz und Zusammenarbeit zwischen den drei Hauptpfeilern Sicherheit, Entwicklung und Menschenrechte zu stärken. Der von etwa 70 Staaten mitgetragene Appell fordert dazu auf, die Menschenrechte besser in der Sicherheitspolitik zu verankern, namentlich durch einen engeren Austausch zwischen dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf und dem UNO-Sicherheitsrat in New York.

31

Vgl. dazu auch Ziff. 1, Weltpolitische Entwicklungslinien.

1830

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Von 2016 bis 2018 ist die Schweiz erneut Mitglied des UNO-Menschenrechtsrats.

Im Rahmen ihrer Vizepräsidentschaft 2017 setzte sie sich für die verbesserte Finanzierung des Rates ein. Die Schweiz war bei der Behandlung zahlreicher Ländersituationen im Rahmen der «Universal Periodic Review» (UPR) aktiv und forderte dabei konsequent die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Die Schweiz nutzt den UPR im Politikdialog mit allen Staaten, um ihre menschenrechts-, friedens- und entwicklungspolitischen Ziele voranzubringen. Sie selbst wurde im November 2017 ihrer dritten UPR unterzogen.

Die Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat im Zeitraum 2023­2024 bleibt eine Priorität der Schweizer UNO-Politik. Die Wahlen stehen im Juni 2022 an. Der Schwerpunkt der Arbeit lag im Berichtsjahr auf dem Erfahrungsaustausch mit ehemaligen sowie aktuellen Sicherheitsratsmitgliedern und Sicherheitsratskandidaten wie Neuseeland, Schweden und Spanien. Ausserdem werden die verwaltungsinternen Vorbereitungsarbeiten vorangetrieben.

5.6

Stärkung des internationalen Genf

Das internationale Genf ist für die Schweiz eine aussergewöhnliche Chance. Als Hauptsitz der UNO in Europa, Heimat des IKRK und Sitz von über dreissig weiteren internationalen Organisationen und 250 Nichtregierungsorganisationen (NGO) ist Genf eines der wichtigsten Zentren zur Stärkung der globalen Gouvernanz. Das bietet der Schweiz die Möglichkeit, auf internationaler Ebene mehr Einfluss zu gewinnen und ihre Positionen wirkungsvoller einzubringen.

Auf Basis der Botschaft zur Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat32 werden verschiedene Massnahmen umgesetzt. Die internationalen Organisationen sollen in Genf einen sicheren, zweckmässigen und modernen Immobilienpark zur Verfügung haben. Die Schweiz unterstützt deshalb die Arbeiten zur Instandsetzung von Sitzgebäuden mit Bundesdarlehen. Zur Weiterentwicklung der Genfer Netzwerke wurden eine Reihe neuer Plattformen ins Leben gerufen sowie Konferenzen durchgeführt, unter anderem in den Bereichen Abrüstung, Geschlechtergleichstellung, Drogen, Gesundheit, Digitalisierung, Wissenschaftsdiplomatie und Umwelt.

Zur internationalen Ausstrahlung Genfs im Bereich Frieden und Sicherheit tragen die Genfer Zentren für Sicherheitspolitik (GCSP), humanitäre Minenräumung (GICHD) und demokratische Kontrolle der Streitkräfte (DCAF) massgeblich bei.

Sie leisten mit ihrer Beratung und Politikarbeit einen wichtigen Beitrag an die Reform der Gouvernanz und der multilateralen Architektur im Bereich der Friedensförderung, der Sicherheit und der Konflikttransformation. Das Berichtsjahr stand dabei im Zeichen der Vertiefung der Zusammenarbeit in der «Maison de la Paix».

32

Botschaft vom 19. November 2014 zu den Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat, BBl 2014 9229.

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5.7

Der Europarat als Werteorganisation unter Druck

Auch die Handlungsfähigkeit des Europarats ist ein wichtiges Anliegen der Schweiz.

Wie im Schwerpunktkapitel dargelegt, leistet der Europarat mit seinem Mandat zur Förderung der Menschenrechte, der Rechtstaatlichkeit und der Demokratieentwicklung in den 47 Mitgliedstaaten einen wichtigen Beitrag an die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent. Im Berichtsjahr standen der mehrmals verlängerte Ausnahmezustand in gleich drei Mitgliedstaaten (Türkei, Ukraine und Frankreich) und die Vereinbarkeit der getroffenen Massnahmen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)33 im Fokus.

In seinem Bericht über den Stand der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit warnte Generalsekretär Thorbjørn Jagland vor Tendenzen in mehreren Mitgliedstaaten, die Gewaltenteilung aufzuweichen, die Unabhängigkeit der Justiz zu beschneiden und den Handlungsspielraum von Zivilgesellschaft und Medien einzuschränken. Die Ankündigung Russlands, seine Beitragszahlungen einzustellen, bis die Stimm- und Repräsentationsrechte der russischen Parlamentarierdelegation wiederhergestellt seien, stellt eine zusätzliche Belastungsprobe dar. Zudem hat die Türkei im November mitgeteilt, dass sie ihre ordentlichen Beiträge auf ein Minimum reduzieren will.

Die Entwicklungen in der Türkei und der Ukraine sind ein Grund für den Anstieg der unerledigten Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Umso wichtiger ist es, die von der Schweiz initiierten und mitgetragenen Reformbemühungen fortzuführen. In Bezug auf die Schweiz fällte der EGMR zehn Urteile, wobei in vier Urteilen mindestens eine Verletzung der EMRK festgestellt wurde.

Die Schweizer Delegation arbeitete im Berichtsjahr unter anderem aktiv bei der Aufarbeitung des Bestechungsskandals mit, der zum Rücktritt des Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats führte. Weiter beteiligten sich Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier in der Wahlbeobachtung und Berichterstattung. Stark engagiert ist die Schweizer Delegation auch beim Kongress der Gemeinden und Regionen; der Delegation gehören Regierungsrätinnen und Regierungsräte sowie Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker aus der ganzen Schweiz an.

Beurteilung und Ausblick Die Schweiz ist gut positioniert, um sich wirksam für Frieden und Sicherheit zu engagieren. Dies
hat mit ihrer eigenständigen aussenpolitischen Stellung und ihrer damit verbundenen Glaubwürdigkeit als Vermittlerin und Förderin des Rechts zu tun, aber auch mit ihrer breiten Erfahrung und ihren innovativen Instrumenten in diesem Bereich. Beiträge der Schweiz an ein stabileres regionales und globales Umfeld sind im Interesse ihre eigenen Sicherheit und Prosperität. Die hohe Nachfrage nach guten Diensten der Schweiz im Berichtsjahr zeigt gleichzeitig, dass ihre friedenspolitischen Aktivitäten geschätzt werden. Die multipolare Welt braucht Brückenbauer.

33

SR 0.101

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Vor dem Hintergrund der krisenhaften weltpolitischen Entwicklungen erweist sich das strategische Ziel des Bundesrates, das Engagement für Frieden und Sicherheit auszubauen, als richtig. Die Schweiz wird dabei weiterhin auf ihre aussenpolitischen Stärken setzen. Dazu zählen ihr Fokus auf Prävention und Mediation und das umfassende Sicherheitsverständnis, das ihren Aktivitäten zugrunde liegt. In der Aussensicherheitspolitik soll das Engagement im Cyberbereich gestärkt werden. Allgemein stellt sich die Frage des Stellenwerts der Digitalisierung in der Aussenpolitik.

Zugleich wird die Schweiz weiterhin klare Prioritäten setzen. Sie wird sich insbesondere dort engagieren, wo sie konkreten Mehrwert leisten kann und die lokalen und internationalen Rahmenbedingungen einer solchen Rolle der Schweiz zuträglich sind. Wichtige Orientierungsrahmen hierfür stellen die Aussenpolitische Strategie 2016­2019 und die Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2017­2020 mit ihren geografischen und thematischen Schwerpunkten dar.

6

Neue Akzente in der internationalen Zusammenarbeit und den sektoriellen Aussenpolitiken

Der Schwerpunkt «Nachhaltige Entwicklung und Wohlstand» der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 umfasst sowohl die internationale Zusammenarbeit (IZA) als auch verschiedene Sektorpolitiken an der Schnittstelle von Innen- und Aussenpolitik. Zu diesen Sektorpolitiken gehören die internationale Finanz- und Wirtschaftspolitik, Umwelt, Gesundheit, Energie, Bildung, Forschung und Entwicklung, Kultur und Kommunikation. Ein verbindendes Element all dieser Bereiche ist der Leitgedanke der nachhaltigen Entwicklung, wie ihn die Agenda 2030 vorzeichnet, die in Ziffer 1 thematisiert wurde.

Nachhaltige Entwicklung setzt voraus, dass verschiedene Politikbereiche unter Berücksichtigung gewisser Grundsätze aufeinander abgestimmt werden. Dies bedingt einen Dialog über Politikfelder hinweg, im Sinne der Politikkohärenz für nachhaltige Entwicklung. Die ordentliche Geschäftsvorbereitung zwischen den Departementen und die Entscheidfindung im Bundesrat sorgen dafür, dass sektorielle Politiken unterschiedliche Interessen berücksichtigen, möglichst kohärent ausfallen und die aussenpolitischen Ziele nicht unterlaufen. Die nachhaltige Entwicklung stellt somit auch einen Rahmen für kohärente sektorielle Aussenpolitiken dar. Für die Schweiz wichtige Politikfelder in diesem Zusammenhang betreffen etwa Fragen rund um illegale Finanzflüsse, zur Transparenz im Rohstoffhandel, zur Ernährungssicherheit und zum Einbezug von Entwicklungsländern in internationale Steuerregime.

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6.1

Umsetzung der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit 2017­2020

Die internationalen Anstrengungen im Entwicklungsbereich zeitigen Ergebnisse. In den Entwicklungsländern ist die Zahl der extrem armen Menschen in den vergangenen fünfzehn Jahren zurückgegangen. Die globale Primarschulbesuchsquote ist deutlich angestiegen, die Kindersterblichkeit um mehr als die Hälfte gesunken. Die Schweiz hat mit ihrer Entwicklungszusammenarbeit zu diesen ermutigenden Ergebnissen beigetragen. Dank der Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz können den Menschen vor Ort Perspektiven geboten, Ungleichheiten abgebaut, der Einbezug benachteiligter Gruppen gestärkt sowie die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen verbessert werden. Damit werden auch Konfliktursachen verringert. Mit diesem Engagement bringt unser Land seine Mitverantwortung und Solidarität zum Ausdruck und leistet einen Beitrag an seine Sicherheit.

Mit der Agenda 2030 verfügt die Staatengemeinschaft erstmals über einen für alle verbindlichen Handlungsrahmen. Die Schweiz hatte sich bereits an der Verhandlung dieser Agenda umfassend beteiligt und engagiert sich jetzt auch stark für deren Umsetzung. Im Sommer 2018 wird sie an der UNO in New York ihren ersten umfassenden Umsetzungsbericht zur Agenda 2030 präsentieren. Darin wird sie ihre Schwerpunkte erläutern und Beispiele von Partnerschaften und Aktivitäten aus allen Gesellschaftsbereichen der Schweiz abbilden.

Das Berichtsjahr war das erste Umsetzungsjahr der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit (IZA) 2017­2020.34 Das friedens- und menschenrechtspolitische Engagement der Schweiz, das Teil dieser Botschaft ist, wurde bereits in Ziffer 5 näher beleuchtet. Der folgende Abschnitt konzentriert sich auf die Aktivitäten im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und der wirtschaftlichen Entwicklung.

Dabei geht es erstens um die Steigerung des Engagements der Schweiz im Bereich der Grund- und Berufsbildung. Kinder und Jugendliche sollen Zugang zu einer soliden Grundbildung und zu arbeitsmarktrelevanter Berufsbildung erhalten, die eine langfristige wirtschaftliche Integration ermöglichen. Ein geografischer Schwerpunkt liegt in Afrika, wo jährlich zwanzig Millionen Jugendliche neu auf den Arbeitsmarkt kommen.

Zweitens wird das Engagement in fragilen Kontexten verstärkt. Die Hälfte der Ressourcen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit fliesst in die Stabilisierung
von fragilen Staaten und Regionen, insbesondere im Nahen Osten und in SubsaharaAfrika. Ganz im Sinne des «Sustaining Peace»-Leitgedankens der UNO hat die Schweiz dabei Massnahmen getroffen, um die Verknüpfung zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu stärken sowie die kohärente Verwendung dieser Instrumente sicherzustellen.

Drittens wird die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor in der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe ausgebaut. Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung sind keine Gegensätze. Vielmehr wird Nachhaltigkeit immer mehr zur Grundlage erfolgreichen unternehmerischen Handelns. Die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 berücksichtigen explizit die wirtschaftliche Dimension der Nachhal34

BBl 2016 2333

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tigkeit. Die Schweiz sucht die Zusammenarbeit sowohl mit lokalen Firmen in Entwicklungsländern als auch mit multinationalen Unternehmen. Das Ziel ist, die Kernkompetenzen der Partner zur Erreichung gemeinsamer Entwicklungsziele zu nutzen.

Der Bund engagiert sich bereits in mehr als 100 solcher Partnerschaften, wie etwa mit Nestlé, Swiss Re, Coop, Mars und lokalen Firmen in Entwicklungsländern.

Ebenfalls fördert die Schweiz Jungunternehmerinnen und -unternehmer und Startups in Entwicklungsländern ­ dies als Beitrag an die wirtschaftliche Entwicklung, bisweilen aber auch als «demokratische Kräfte» in Ländern, in denen NGO immer mehr drangsaliert werden. Neben der operativen Zusammenarbeit mit privaten Firmen unterstützt die Schweiz auch die Entwicklung innovativer Finanzierungsmethoden, um private Gelder für die Entwicklungsfinanzierung und die Finanzierung von humanitärer Hilfe zu mobilisieren. Beispielsweise unterstützt sie das «Program for Humanitarian Impact Investment» des IKRK.

Viertens will die Schweiz eine Vorreiterrolle in der Lösung von Herausforderungen mit globaler Tragweite wie Ernährungssicherheit, Klimawandel und Umwelt, Gesundheit, Wasser und Migration einnehmen. Exemplarisch ist der Bericht, den das von der Schweiz initiierte «Globale Hochrangige Panel für Wasser und Frieden» im September in Genf und New York vorstellte. Dieser Bericht enthält Empfehlungen, wie wasserbezogene Konflikte verhindert oder beigelegt werden können und wie eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Wasserbereich einen Beitrag zum Frieden leisten kann.35 Dabei berücksichtigt der Bericht wichtige Anliegen der Schweiz, insbesondere die Stärkung der internationalen Mechanismen der Wasserdiplomatie, die Schaffung neuer Finanzierungsmechanismen sowie die Stärkung des humanitären Völkerrechts zum Schutz von Wasserressourcen und -infrastruktur in bewaffneten Konflikten.

6.2

Umsetzung politischer Vorgaben

Hohe Priorität kommt der Umsetzung verschiedener politischer Vorgaben an die internationale Zusammenarbeit zu. So wurden die Arbeiten in Zusammenhang mit einer vom Parlament angenommenen Motion von Nationalrat Imark an die Hand genommen, die vom Ständerat modifiziert und vom Bundesrat in der abgeänderten Form zur Annahme empfohlen worden war.36 Gemäss dem verabschiedeten Motionstext wird der Bundesrat beauftragt, «die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen, Verordnungen und Reglemente zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, damit öffentliche Gelder der Schweiz, welche direkt oder indirekt für die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden, nicht gesprochen werden dürfen, wenn die unterstützten Nichtregierungsorganisationen in rassistische, antisemitische und hetzerische Aktionen verwickelt sind».

Ein weiteres Anliegen des Parlaments betrifft das Ausweisen der Wirkung der IZA.

Die Berichterstattung zur IZA-Botschaft 2017­2020 wird mit Zielen und entspre35 36

A Matter of Survival. Report of the Global High-Level Panel on Water and Peace, www.genevawaterhub.org/resource/matter-survival.

Motion 16.3289: Die Verwendung von Steuergeldern für Rassismus, Antisemitismus und Hetze konsequent unterbinden.

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chenden Referenzindikatoren verstärkt. Ein wichtiges Instrument zur Messung der Wirkung sind zudem externe Evaluationen. Im Berichtsjahr wurden beispielsweise die institutionellen Partnerschaften der DEZA mit Schweizer Nichtregierungsorganisationen evaluiert. Gemäss der Evaluation stärken die Partnerschaften die Kompetenzen der Partnerorganisationen und erhöhen ihre personellen und finanziellen Ressourcen. Umgekehrt sind die Organisationen der Zivilgesellschaft aufgrund ihrer Expertise und ihrer langjährigen Erfahrung wichtige Partner des Bundes für die Umsetzung der IZA-Botschaft. Die Evaluation hat auch gezeigt, dass die Kohärenz der Partnerschaften mit der strategischen Ausrichtung der IZA der Schweiz noch verbessert werden kann. Eine ebenfalls 2017 publizierte Evaluation des Sitzstaatsbeitrags der Schweiz an das IKRK hat dessen grosse Relevanz und Wirkung aufgezeigt. Die Evaluation empfahl, den institutionellen Dialog zwischen DEZA und IKRK zu vertiefen und bei der Bewältigung von humanitären Krisen noch aktiver voneinander zu lernen.

Eine weitere politische Vorgabe betrifft den Finanzrahmen für die IZA. Im Rahmen des Stabilisierungsprogramms 2017­2019 wurden die Finanzmittel gegenüber dem Finanzplan 2017­2019 um gesamthaft 586,8 Millionen Franken reduziert.37 Deshalb muss die Schweiz bisherige Programme vorzeitig abbauen und kann das Engagement für die Stabilisierung und die Konfliktprävention in fragilen Kontexten nur langsamer als vorgesehen ausbauen. Abstriche wird es auch beim Bildungsportfolio geben. Der Rückzug aus Bhutan, Vietnam und Pakistan muss ebenfalls vorzeitig in die Wege geleitet werden. Das Parlament bestätigte im September die bisherige Praxis des Bundesrates, in den Voranschlägen und Rahmenkrediten zur IZA die Mittel für die öffentliche Entwicklungshilfe (APD) in Relation zum Bruttonationaleinkommen (BNE) auszuweisen. Der Gesamtanteil der APD der Schweiz am BNE stieg zwischen 2015 und 2016 von 0,51 Prozent auf 0,53 Prozent. Unter Abzug der anrechenbaren Asylkosten lag die APD-Quote 2016 der Schweiz bei 0,43 Prozent. Im Jahr 2015 waren es 0,44 Prozent. Im Rahmen des Voranschlages 2018 und des Finanzplans 2019­2021 hat der Bundesrat weitere Kürzungen im Umfang von 150 Millionen Franken pro Jahr beschlossen.

6.3

Strategische Verknüpfung mit der Migrationsaussenpolitik

Die strategische Verknüpfung der IZA mit der Migrationsaussenpolitik geht ebenfalls auf einen Parlamentsauftrag zurück. Angestrebt werden insbesondere eine Reduktion von Flucht- und Migrationsursachen und eine damit verbundene migrationsaussenpolitische Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Die Umsetzung dieser aussenpolitischen Priorität erfordert ein enges Zusammengehen verschiedener Bundesstellen. Hierfür wurde im Berichtsjahr die Struktur der interdepartementalen Migrationszusammenarbeit (IMZ) gestärkt.38

37 38

BBl 2016 4691 Der Bundesrat informiert in seinem jährlichen Bericht über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik jeweils ausführlich.

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Die strategische Verknüpfung von IZA und Migrationsaussenpolitik soll die wohlverstandenen Eigeninteressen der Schweiz wahren. Dabei können drei Ebenen der Verknüpfung unterschieden werden: Die politische Verknüpfung wird vor allem auf der Ebene der bilateralen Beziehungen mit wichtigen Herkunfts- und Transitländern angestrebt. Migrationspolitische Anliegen der Schweiz werden im Rahmen von Konsultationen oder politischen Kontakten ausführlich diskutiert, so etwa mit Marokko, Sri Lanka, Côte d'Ivoire, Nigeria, Tunesien oder Äthiopien.

Mit Eritrea hat die Schweiz weiter das Gespräch gesucht, sowohl bilateral als auch gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, die vor den gleichen Herausforderungen stehen. Dabei werden sämtliche migrationsrelevanten Aspekte aufgeworfen, so zum Beispiel die wirtschaftliche Entwicklung, die menschenrechtliche Situation und die regionale Sicherheit. Wie bereits erwähnt ist die Schweiz zudem daran, ihre diplomatische Präsenz in Eritrea zu stärken. Ebenfalls hat sie mit der Umsetzung von Pilotprojekten in den Bereichen Bildung, Berufsbildung und Soziales begonnen, um insbesondere Jugendlichen Perspektiven zu eröffnen.

Die geografische Verknüpfung strebt an, Migration besser in die bestehenden aussenpolitischen Strategien zu integrieren. Migration wurde im vergangenen Jahr als Schwerpunktthema in verschiedene regionale Strategien integriert, so etwa in Strategien zum Horn von Afrika, zum Sudan, zum Mittleren Osten, zu Nordafrika, zu Nepal und zu Bangladesch. Dabei wird der «Whole-of-Government Approach» konsequent umgesetzt, indem die relevanten Akteure in die Erarbeitung und Umsetzung der jeweiligen Kooperationsstrategien eingebunden werden.

Die thematische Verknüpfung wiederum besteht darin, Migration und Flucht in Sektorpolitiken der IZA zu integrieren mit dem Ziel, noch wirksamer in den drei komplementären Aktionsbereichen tätig zu sein: Prävention von Zwangsvertreibung, Sicherstellung des Schutzes vor Ort und Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Eigenständigkeit von Vertriebenen.39 Ein regionaler migrationsaussenpolitischer Brennpunkt ist derzeit die Situation in Libyen und entlang der Migrationsroute über das zentrale Mittelmeer. Die Schweiz unterstützt Projekte, um Migranten und Migrantinnen die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr in Sicherheit und Würde
in die Heimat zu verschaffen und ihre Reintegration zu unterstützen. Ebenso müssen Asyl- und Schutzstrukturen in Drittstaaten gestärkt werden. Namentlich engagiert sich die Schweiz für den Zugang internationaler Organisationen zu Haftzentren. Darüber hinaus beteiligt sich die Schweiz bei der Bekämpfung von Menschenhandel. Da all diese migrationsaussenpolitischen Herausforderungen nur im Verbund gelöst werden können, engagiert sie sich zudem im Rahmen der Kontaktgruppe zentrales Mittelmeer, deren drittes Treffen im November 2017 in Bern stattfand. Eine zwingende Voraussetzung für die Lösung dieser Probleme ist die Stabilisierung Libyens. Mit ihrem friedenspolitischen Engagement trägt die Schweiz auch hier aktiv zur Suche nach einer nachhaltigen Lösung unter der Führung der UNO bei.

39

Vgl. dazu auch Ziff. 6.4, Steigender Bedarf an humanitärer Hilfe.

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Auf der globalen Ebene fazilitiert der Botschafter der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York zusammen mit seinem mexikanischen Kollegen die Erarbeitung des «Global Compact for Migration». Dieses Regelwerk soll dazu beitragen, dass Migrationsbewegungen sicher und geregelt verlaufen und das Potenzial der Migration besser genutzt wird. Der Rückzug der USA aus diesem Prozess stellt für die Arbeiten am Pakt eine Herausforderung dar. Parallel dazu leitet das UNOFlüchtlingshilfswerk den Prozess zur Vorbereitung des «Global Compact on Refugees», der die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention stärken soll. Die Schweiz setzt sich zudem weiterhin für den verbesserten Schutz von Katastrophenund Binnenvertriebenen ein.

6.4

Steigender Bedarf an humanitärer Hilfe

Ein Blick auf die aktuellen Konflikte und humanitären Krisen zeigt, dass diese zunehmend von langer Dauer sind. Ursprünglich primär als kurzfristige Nothilfe konzipiert, wird die humanitäre Hilfe immer mehr eine längerfristige Notwendigkeit und muss mit friedensfördernden Instrumenten kombiniert werden. Eine zusätzliche Herausforderung für die humanitäre Hilfe stellt der Umstand dar, dass bewaffnete Konflikte vermehrt in Städten ausgetragen werden. Zudem stellt die Verletzung des humanitären Völkerrechts zunehmend die Regel statt die Ausnahme dar. Der Zugang zur notleidenden Bevölkerung erweist sich oft als sehr schwierig.

Die Bedürfnisse nach humanitärer Hilfe sind in die Höhe geschnellt. 2017 konnte kaum die Hälfte der benötigten 24 Milliarden US-Dollar durch Beiträge gedeckt werden. Diese Situation erfordert neben innovativen neuen Finanzierungsquellen auch Massnahmen zur Steigerung der Effizienz. So kommt die humanitäre Hilfe vermehrt von der Verteilung von Hilfsgütern ab und leistet wo dienlich mit Bargeld ungebundene Hilfe. Die Erfahrung zeigt, dass dies die lokalen Märkte stärkt und den Bedürfnissen der notleidenden Bevölkerung entgegenkommt.

Im Vordergrund der humanitären Aktivitäten der Schweiz im Jahr 2017 stand die Bekämpfung der Hungerkrise im Südsudan, in Somalia, Nigeria und im Jemen.

Auch die Hilfe der Schweiz für Syrien, wo 13,5 Millionen Menschen auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, bleibt äusserst wichtig. Um die Hilfe bestmöglich einzusetzen, hat die Schweiz in Damaskus ein humanitäres Büro eröffnet. Zudem hat sie im Flüchtlingslager Azraq in Jordanien durch den Bau einer Wasserversorgungsanlage rund 35 000 syrischen Flüchtlingen direkten Zugang zu Trinkwasser verschafft. In der Ukraine führte die Schweiz 2017 zwei weitere humanitäre Konvois für die Menschen auf beiden Seiten der Kontaktlinie durch. Mit diesen Konvois lieferte die Schweiz medizinische Hilfsgüter und Apparate an Spitäler sowie Chemikalien zur Trinkwasseraufbereitung für rund vier Millionen Menschen. Angesichts der enormen humanitären Bedürfnisse der Vertriebenen in Myanmar und Bangladesch hat die Schweiz ihr humanitäres Engagement in diesen Ländern verstärkt.

Schliesslich war die humanitäre Hilfe auch bei Naturkatastrophen im Einsatz, wie etwa bei Waldbränden in Montenegro, Portugal und Italien oder nach dem Erdbeben in Mexiko vom September.

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6.5

Aktuelle Entwicklungen bei den sektoriellen Aussenpolitiken

Mit ihrem Engagement in verschiedenen Sektoren wie dem Finanzmarkt, dem Gesundheitswesen, im Umweltschutz, im Energiebereich oder im Bildungsbereich trägt die Schweiz den Vorgaben der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 entsprechend zu wohlstandsfördernden internationalen Rahmenbedingungen bei. Im Folgenden soll lediglich auf einige wichtige Schwerpunktsektoren eingegangen werden.

Ein Thema von hoher Priorität für den Finanz- und Wirtschaftsstandort Schweiz ist die internationale Finanzpolitik, die im Kompetenzbereich des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) liegt. Wichtig war im Berichtsjahr wiederum die Sicherung der Steuerkonformität sowie der Transparenz in Steuerfragen. Seit dem 1. Januar 2017 setzt die Schweiz den automatischen Informationsaustausch (AIA) mit einer ersten Gruppe von Staaten und Territorien um, wozu namentlich die EU und ihre Mitgliedstaaten gehören. Die Schweiz bemüht sich, ihr AIA-Netzwerk weiterzuentwickeln und mit anderen wichtigen Finanzzentren gleichzuziehen. Darüber hinaus wird die Schweiz im Rahmen des «Base Erosion and Profit Shifting»Projekts zur Unternehmensbesteuerung mit anderen Staaten Informationen über die Tätigkeiten multinationaler Unternehmen austauschen, um gegen Gewinnverschiebungen und -verkürzungen vorzugehen. Im Rahmen der G20 (auf Einladung des G20-Gastgebers), des «Global Forum» oder der «Groupe d'action financière» (GAFI) beteiligt sich die Schweiz zudem an den Arbeiten zur Umsetzung und Weiterentwicklung der internationalen Normen im Finanz- und Steuerbereich, in der Bekämpfung der Geldwäscherei und Korruption sowie in der Terrorismusfinanzierung.

In der internationalen Umweltpolitik setzt sich die Schweiz für die verstärkte Nutzung der Synergien zwischen den verschiedenen internationalen Umweltabkommen ein. Im Berichtsjahr hat sie sich in der dritten Umweltversammlung der Vereinten Nationen und im «Hochrangigen politischen Forum für nachhaltige Entwicklung 2017» entsprechend engagiert. An der 23. Konferenz der Vertragsparteien der UNOKlima-Rahmenkonvention, die im November in Bonn stattfand, konnten die Arbeiten an der Ausgestaltung des Regelwerks unter dem Übereinkommen von Paris vorangetrieben werden. Obwohl noch viele Punkte offen sind, stimmt positiv, dass es gelungen ist, eine schriftliche Grundlage für die Erarbeitung
des Verhandlungstextes zu erarbeiten. Neben den Klimaverhandlungen engagierte sich die Schweiz auch 2017 aktiv in klimarelevanten Themen, darunter Wald, Landwirtschaft und Energie. Ein wichtiger Schwerpunkt sind auch Chemikalien und Abfälle. Die Minamata-Konvention zum sicheren Umgang mit Quecksilber40 ist im August in Kraft getreten. Ihr Sekretariat wird bis auf Weiteres in Genf angesiedelt.

Im Energiebereich, in dem das Bundesamt für Energie (BFE) federführend ist, engagiert sich die Schweiz im Rahmen der multilateralen Energieinstitutionen, darunter an der Ministerkonferenz der Internationalen Energieagentur im November. Des Weiteren beteiligte sie sich an den Treffen der Internationalen Atomenergie-Organisation der UNO und der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien.

40

Übereinkommen von Minamata vom 10. Okt. 2013 über Quecksilber, SR 0.814.82.

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2017­2018 hat die Schweiz den Vorsitz der «Nuclear Suppliers Group» inne und richtete im Juni deren Plenarversammlung in Bern aus.

Entsprechend der 2010 vom Bundesrat verabschiedeten internationalen Strategie im Bereich Bildung, Forschung und Entwicklung, welche das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) verantwortet, wurde auch 2017 die Zusammenarbeit mit wichtigen Partnerländern gestärkt. Darüber hinaus ist die Schweiz heute an einem Dutzend Forschungsorganisationen beteiligt, deren Forschungsgebiete sich von Astronomie über Kernfusion bis hin zur Biologie erstrecken, wie etwa dem CERN in Genf oder dem Röntgenlaser «European XFEL» in Hamburg. Mit der EUREKA-Assoziierung von Chile werden die Möglichkeiten zur aussereuropäischen Kooperation gefördert und Absatzmärkte für die Forschung und Entwicklung über den europäischen Raum hinaus erschlossen. An seinem Treffen vom 11. Mai in Fairbanks, Alaska, gewährte der Arktische Rat der Schweiz den Beobachterstatus.

Damit kann die Schweiz in verschiedenen Arbeitsgruppen des Rates mitarbeiten, insbesondere im Bereich der interdisziplinären Forschung zum Klimawandel. Die Strategie der Schweiz im Bereich der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit hat die Stärkung und die Förderung der Schweizer Berufsbildung auf internationaler Ebene zum Ziel. Die bilaterale Zusammenarbeit mit prioritären Ländern, insbesondere mit den USA und Indien, wird weitergeführt.

Gemäss ihrer Gesundheitsaussenpolitik setzt sich die Schweiz für die Stärkung von Gesundheitssystemen, für sektorübergreifende Ansätze der Gesundheitsförderung, für die nachhaltige Finanzierung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung sowie für die Stellung von Genf als internationale Gesundheitshauptstadt ein. So engagierte sich die Schweiz unter anderem in der Diskussion um den Zugang zu medizinischen Produkten und unterstützte die Entwicklung neuer Medikamente gegen vernachlässigte Krankheiten. Bei der für die exportorientierte Wirtschaft wichtigen Erarbeitung harmonisierter Qualitätsvorschriften für Arzneimittel engagiert sich die Schweiz seit Jahren und stellt derzeit den Vorsitz der auf der Ebene des Europarats agierenden Europäischen Pharmakopöe-Kommission. Die Schweizer Weiterentwicklung der Drogenpolitik in eine Nationale Strategie Sucht hat international Interesse
geweckt. Im April wurde die Schweiz für die Periode 2018­2021 in die Betäubungsmittelkommission der Vereinten Nationen gewählt.

Im Bereich der digitalen Gouvernanz setzt sich die Schweiz für die Entwicklung der Nutzung und Verwaltung des Internets gemäss freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien ein. 2017 engagierte sich die Schweiz als Gastgeberin des zwölften «UN Internet Governance Forum» (IGF), welches im Dezember im Palais des Nations in Genf stattfand und von Bundespräsidentin Leuthard eröffnet wurde. Das Potenzial von Genf als Zentrum globaler Digitalpolitik wurde durch das IGF konkret aufgezeigt. Zudem hatte die Schweiz als Vorsitzende des Regierungsbeirates der «Internet Corporation for Assigned Names and Numbers» (ICANN) eine Schlüsselrolle bei dessen Reformarbeiten im Nachgang zur Übertragung der Aufsicht über die Koordination des Domain-Name-Systems von der US-Regierung an die globale Internetcommunity. Der Schweizer Vorsitz, der von Oktober 2014 bis November 2017 dauerte, hat dazu beigetragen, das Funktionieren des Regierungsbeirates und dessen Zusammenarbeit mit der Internetwirtschaft und der Zivilgesellschaft im Rahmen der ICANN zu verbessern.

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Beurteilung und Ausblick Den Vorgaben der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 entsprechend hat sich die Schweiz auch im Berichtsjahr für eine Reduktion der Armut, für nachhaltige Entwicklung und für wohlstandsfördernde internationale Rahmenbedingungen eingesetzt. Mit diesem Engagement leistet sie einen Beitrag an ein stabileres internationales Umfeld. Die internationale Zusammenarbeit der Schweiz erzielt messbare Ergebnisse und wird international geschätzt. Die Schweiz wird ihr Engagement fortsetzen. Die Verknüpfung der Entwicklungszusammenarbeit mit migrationsaussenpolitischen Anliegen stellt dabei weiterhin eine Priorität dar.

Die Reduktion und Prävention der Ursachen von Flucht und Migration ist eine Langzeitaufgabe, zu der europäische Staaten wie die Schweiz wichtige Beiträge leisten können und sollen. Geografisch im Fokus steht dabei das Engagement in Afrika.

Eine weitere Priorität im Jahr 2018 wird der erste Umsetzungsbericht der Schweiz zur Agenda 2030 sein. Der Bundesrat wird im ersten Halbjahr über diesen Bericht befinden. Dieser wird unter anderem auf den Ergebnissen breiter Konsultationen mit der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Wissenschaft sowie einem Dialog mit den Kantonen und Gemeinden basieren. Eine wirksame Umsetzung der Agenda 2030 ist nur mit der Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte möglich. Ebenfalls 2018 werden die Vorbereitungen für die Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit 2021­2024 an die Hand genommen. Dabei wird darzulegen sein, wie die Schweiz in einem sich nach wie vor rasant wandelnden Umfeld nachhaltige Entwicklung, Stabilität und Frieden in ihren Partnerländern fördert und globale Risiken mindert, um zu mehr Sicherheit beizutragen. Zu jenen Risiken gehören wachsende wirtschaftliche und soziale Disparitäten, die Fragilität verschiedener Staaten und Regionen, bewaffnete Konflikte, Perspektivenlosigkeit von jungen Menschen, Klimawandel und Wasserknappheit.

7

Konsularische Dienstleistungen, Information und Ressourcen

Konsularische Dienstleistungen für Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Ausland sind eine zentrale Aufgabe des EDA und eine wichtige Säule der Schweizer Aussenpolitik. Die Reisetätigkeit der Schweizerinnen und Schweizer nimmt stetig zu, ebenso wächst die Auslandschweizergemeinschaft seit Jahren. Damit steigt auch der Bedarf an Unterstützungsleistungen durch das EDA. Aufgrund der volatilen Sicherheitslage in verschiedenen Weltregionen kommt insbesondere auch der Krisenprävention und -vorsorge sowie dem Krisenmanagement durch das KrisenmanagementZentrum (KMZ) zugunsten von Schweizer Staatsangehörigen im Ausland mehr denn je eine wichtige Rolle zu. Die im Rahmen des konsularischen Schutzes behandelten Fälle haben zwischen 2007 und 2017 um 80 Prozent (von 463 auf 832) zugenommen. Die Helpline des EDA konnte 2017 von mehr als 65 000 Anfragen im konsularischen Bereich 97 Prozent direkt erledigen. Online-Reisehinweise informieren über 1841

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die Sicherheitslage im Ausland. Mit der Applikation «itineris» kann das EDA Reisende, die sich registriert haben, im Krisenfall direkt kontaktieren. Und um Dienstleistungen für die Auslandschweizergemeinschaft möglichst bürgernah und effizient erbringen zu können, wurde 2017 der Onlineschalter des EDA weiterentwickelt.

Damit können Daten vermehrt direkt durch die Bürgerinnen und Bürger erfasst werden. Auch Reisen in die Schweiz nehmen zu. So wurden 2017 12 Prozent mehr Schengen-Visa als im Vorjahr beantragt (520 000 gegenüber 464 000). Die konsularischen Dienstleistungen, an der Zentrale getragen vom der Konsularischen Direktion, im Ausland von den Konsular-Abteilungen der Vertretungen, binden einen gewichtigen Teil der Personal-Ressourcen.

Eine weitere Dienstleistung des EDA betrifft die Information und Kommunikation, um die Aussenpolitik des Bundesrates angemessen zu erklären. Das EDA publiziert Medienmitteilungen, organisiert Informationsveranstaltungen und beantwortet Medienanfragen, im Berichtsjahr unter anderem zu den neuen Einreisebestimmungen der USA oder zur Festnahme eines Schweizers wegen Spionageverdachts in Deutschland. Der Landeskommunikation durch Präsenz Schweiz (PRS) kommt die Aufgabe zu, die Schweizer Aussenpolitik im Ausland zu vermitteln. Um die Interessenwahrung zu fördern, wird eine positive und differenzierte Wahrnehmung der Schweiz als innovatives, leistungsfähiges, verantwortungsbewusstes Land mit hoher Lebens- und Standortqualität angestrebt. Beispiele für Aktivitäten der Landeskommunikation sind die Zusammenarbeit mit dem Team des Solarflugzeugs «SolarStratos» oder die Wanderausstellung «Modern Direct Democracy».

Das Aussennetz mit seinen rund 170 Vertretungen und 200 Honorarvertretungen ist ein zentrales Instrument der eigenständigen Schweizer Aussenpolitik. Zur Verbesserung der Wirksamkeit sind die Vertretungen modular gemäss standortspezifischen Anforderungen aufgestellt. Wo verschiedene Akteure tätig sind, werden sie zur Förderung der Kohärenz unter einem Dach vereint. So sind jetzt an 40 Standorten IZA-Kooperationsbüros in die bestehenden Botschaften integriert. Die Neuausrichtung des Aussennetzes wird im Auftrag des Bundesrates und der Geschäftsprüfungskommissionen durch die Einführung eines neuen, harmonisierten Systems der Personalentwicklung unterstützt. Das
vereinheitlichte Karrieresystem für alle Kategorien von versetzungspflichtigen Mitarbeitenden soll 2019 eingeführt werden. Diese Reformen sind ein weiterer Schritt in der Entwicklung einer Arbeitskultur im Departement, die eine strukturierte Durchlässigkeit zwischen den Laufbahnen erlaubt und in noch vermehrtem Masse die Leistungen honoriert. Im Rahmen des Stabilisierungsprogramms 2017­2019 hat das EDA im Voranschlag 2017 sowie in den Finanzplänen 2018 und 2019 Sparmassnahmen von insgesamt 5,2 Millionen Franken im Personalaufwand umgesetzt. Davon betroffen sind das Aussennetz und die Zentrale. Zusätzlich hat das Parlament für den Voranschlag 2017 Querschnittskürzungen im Eigenaufwand beschlossen. Auf das EDA entfielen dabei 9,5 Millionen Franken (5,1 Mio. Personal- und 4,4 Mio. Sach- und Betriebsaufwand).

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Würdigung und Ausblick

Die Umsetzung der Aussenpolitischen Strategie 2016­2019 ist im Berichtsjahr insgesamt gut vorangekommen. Die Bilanz fällt allerdings uneinheitlich aus. In der Europapolitik liegt sie insgesamt unter den Erwartungen des Bundesrates, das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU bleibt fragil und klärungsbedürftig. Fortschritte gab es in verschiedenen wichtigen bilateralen Dossiers mit Nachbarstaaten.

Erwähnt sei das Abkommen mit Frankreich über das Steuerregime am Flughafen Basel-Mülhausen. Hingegen harren insbesondere mit Italien wichtige Punkte weiterhin einer Klärung.

In Bezug auf die anderen drei strategischen Schwerpunkte ­ globale Partner, Frieden und Sicherheit sowie nachhaltige Entwicklung und Wohlstand ­ fällt die Bilanz positiv aus. Entsprechende Fortschritte manifestierten sich unter anderem in der Vertiefung der Beziehungen mit China und Indien im Rahmen von Staats- respektive Präsidialbesuchen, den neuen Schutzmachtmandaten mit dem Iran und Saudi-Arabien, der wichtigen Rolle der Schweiz in Friedensprozessen wie in Mosambik und Kolumbien oder den Friedensgesprächen in der Schweiz zu Syrien und Zypern.

Weitere Beispiele sind die Wahl eines Schweizers zum Generalsekretär der OSZE, der Vorsitz der «Nuclear Suppliers Group», der neue Beobachterstatus beim Arktischen Rat, die Eröffnung eines humanitären Büros in Damaskus oder die konkreten Ergebnisse der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit, die in diesem Bericht ausgewiesen wurden.

Der Kompass, den die Aussenpolitische Strategie 2016­2019 vorgibt, hat sich im aktuellen weltpolitischen Umfeld bewährt. Die Arbeiten zur Umsetzung dieser Strategie werden 2018 fortgesetzt. Auf der Basis des aussenpolitischen Zweckartikels der Bundesverfassung41 bildet diese Strategie weiterhin den Referenzrahmen für die Ausgestaltung der Schweizer Aussenpolitik. Ein Schlüsselvorhaben für 2018 ist die Stärkung der Beziehungen der Schweiz zu Europa. Dazu gehören intensive und regelmässige Kontakte mit den europäischen Partnerstaaten der Schweiz, aber vor allem auch die Erarbeitung tragfähiger Lösungen mit der EU.

Der langfristigen Sicherung des bilateralen Wegs mit der EU misst der Bundesrat höchste Priorität zu. Stabile Grundlagen für die Gestaltung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind aufgrund der sehr engen Verflechtung unseres Landes mit
seiner näheren und weiteren Nachbarschaft unabdingbar. Der sektorielle Zugang zum Binnenmarkt, den der bilaterale Weg bietet, hat sich dabei für die Schweiz als beste und einzige mehrheitsfähige europapolitische Option bewährt. Es handelt sich um ein auf die gegenseitigen Interessen der Schweiz und der EU zugeschnittenes Modell. Die Schweiz unterscheidet sich damit sowohl von den 31 EUund EWR-Staaten, die vollständig am Binnenmarkt teilnehmen, als auch von denjenigen Drittstaaten, die einen weniger weitreichenden Marktzugang haben als unser Land und ihre Beziehungen mit der EU auf der Basis von Freihandelsabkommen gestalten.

41

Vgl. Ziff. 5.2, Menschenrechte und Schutz von Minderheiten.

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So wie der bilaterale Weg ein Modell sui generis darstellt, bedürfen auch die damit verbundenen institutionellen Fragen innovativer Antworten, die für beide Seiten akzeptabel und zweckmässig sind. Gelingt eine entsprechende Einigung, so wird das den bilateralen Weg stabilisieren und langfristig tragfähig machen. Ein institutioneller Rahmen sichert der Schweiz Marktzugang und schafft Rechtssicherheit für die Schweizer Wirtschaft. Er reduziert das Risiko politischer Blockaden und sachfremder Junktims. Eine solche Lösung wird aber auch Auswirkungen auf die Schweizer Souveränität haben. Die entsprechenden Einschränkungen fallen begrenzter aus als bei einer EU- oder EWR-Mitgliedschaft, dürfen aber nicht verschwiegen werden.

Gefordert ist eine nüchterne Diskussion von Nutzen und Kosten, die wirtschaftliche, aussenpolitische und staatspolitische Aspekte miteinbezieht. Es geht darum, den bestmöglichen Marktzugang bei grösstmöglicher Souveränität zu verhandeln. Der innenpolitischen Abstützung der Aussenpolitik kommt 2018 besondere Bedeutung zu. Es ist der Anspruch des Bundesrates, eine Aussenpolitik im Interesse von Bevölkerung und Wirtschaft zu führen.

Hohe Bedeutung misst der Bundesrat weiterhin dem Engagement für Frieden und Sicherheit bei. Das Engagement für mehr internationale Stabilität kommt auch der Sicherheit und dem Wohlstand der Menschen in der Schweiz zugute. Dieses Engagement wird dabei weiterhin durch einen Fokus auf Prävention und Mediation gekennzeichnet sein. Beibehalten wird auch das für die Schweizer Aussenpolitik charakteristische umfassende Verständnis von Sicherheit, das den Beiträgen der Entwicklungszusammenarbeit an die Reduktion von Konflikt- und Migrationsursachen Rechnung trägt.

Eine vertiefte Auseinandersetzung drängt sich schliesslich mit verschiedenen Megatrends auf, die die globale Gesellschaft prägen. Hierzu gehören beispielsweise die Urbanisierung, die Digitalisierung, die Technologisierung und Automatisierung, die demografische Entwicklung sowie die wachsende Konnektivität und Mobilität.

Solche Megatrends verändern die Welt grundlegend und langfristig. Auch für die Schweizer Bevölkerung und Wirtschaft sind sie zentrale Faktoren des Wandels. Es lohnt sich und drängt sich auf, auch über ihre Bedeutung für die Aussenpolitik unseres Landes noch mehr als bisher nachzudenken.

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