04.045 Botschaft zum Abkommen mit der Republik Österreich über die Nutzbarmachung des Inn und seiner Zuflüsse im Grenzgebiet vom 23. Juni 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen den Entwurf eines Bundesbeschlusses zum Abkommen vom 29. Oktober 2003 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Republik Österreich über die Nutzbarmachung des Inn und seiner Zuflüsse im Grenzgebiet mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

23. Juni 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2003-2120

4499

Botschaft 1

Ausgangslage

Am 30. September 1982 haben die Engadiner Kraftwerke AG (EKW) zuhanden einer noch zu gründenden Bau- und Betriebsgesellschaft dem Bundesrat ein Konzessionsgesuch für den schweizerischen Wasserkraftanteil an einem Grenzkraftwerk am Inn eingereicht.

Am 3. November 1982 wurde eine schweizerische Delegation ernannt mit dem Auftrag, die bereits auf Amtsebene begonnenen Verhandlungen mit Österreich über eine zweckmässige Nutzbarmachung der Wasserkraft der Grenzstrecken des Oberen Inn, des Schergenbachs und des Zandersbachs weiterzuführen.

Die Schweizerisch-Österreichische Kommission für die Wasserkraftnutzung der gemeinsamen Innstrecke hat mehrmals getagt und konnte im Mai 1989 einen ersten Abkommensentwurf paraphieren. Aus verschiedenen Gründen, unter anderem wegen des Beitritts von Österreich zur EU und der Auswirkungen der Elektrizitätsmarktliberalisierung, wurde das Verfahren vorübergehend sistiert.

Ende der Neunzigerjahre wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen und der erste Abkommensentwurf aktualisiert bzw. den neuen rechtlichen Gegebenheiten (u. a. WTO-Regeln, Beitritt Österreichs zur EU) angepasst. In ihrer letzten Sitzung vom 2. und 3. Juni 2003 konnte die Schweizerisch-Österreichische Kommission ein bereinigtes Abkommen paraphieren, das von den Bevollmächtigten beider Staaten am 29. Oktober 2003 unterzeichnet worden ist.

2

Besonderer Teil

2.1

Allgemeiner Kommentar zum Abkommen

Gegenstand des Abkommens ist die Nutzbarmachung der Wasserkraft des Inn und seiner Zuflüsse im Grenzgebiet zur Erzeugung elektrischer Energie. Das Abkommen regelt die Verfahren und Bedingungen, die bei der Nutzung der gemeinsamen Gewässer einzuhalten sind.

Neben dem Bau und Betrieb der vorgesehenen Anlagen regelt das Abkommen, wie die Energie unter den Vertragsstaaten aufgeteilt werden soll, ferner enthält es Bestimmungen über die zu bezeichnenden Berechtigten und die zu erteilenden Berechtigungen, über wirtschaftliche, fiskalische und zollrechtliche Fragen sowie über die Erledigung allfälliger Streitigkeiten.

Das Hauptinteresse an der Realisierung der vorgesehenen Anlagen liegt auf österreichischer Seite, weil Österreich von einem grösseren Wasserkraftanteil profitieren kann, und die Anlagen zudem eine Verbesserung der Abflussverhältnisse des Inn in Österreich zur Folge haben werden. Da aber die Anlagen das Gebiet beider Staaten berühren, können die Wasserkräfte dieser Grenzstrecken nur gemeinsam genutzt werden.

4500

Die baldige Ratifizierung des Abkommens ist für Österreich auch aus energiepolitischen Gründen wünschbar. Dasselbe gilt für die Schweiz, die im Rahmen des energiepolitischen Programms EnergieSchweiz bei der Wasserkraftnutzung das Ziel verfolgt, die mit Abstand wichtigste erneuerbare Energie mindestens auf dem heutigen Niveau zu halten.

2.2

Erläuterung der einzelnen Bestimmungen

Präambel In der Präambel wird unter anderem festgehalten, dass an der Nutzung der Wasserkräfte des Inn und seiner Zuflüsse im Grenzgebiet ein gemeinsames Interesse besteht und eine in ökologischer Hinsicht wünschbare Verbesserung des Wasserabflusses im Inn herbeigeführt werden soll. Die durch den Betrieb bestehender Kraftwerke entstehenden grossen Abflussschwankungen sollen gedämpft werden. Das neu verbleibende Restwasser soll grosszügig bemessen werden.

Definitionen (Kap. A) Artikel 1 definiert die wichtigsten Begriffe, die im Abkommen verwendet werden.

Als Grenzgewässer im Sinne des Abkommens gelten die Gewässer des Inn, des Schalklbachs, des Zandersbachs und des Malfragbachs jeweils im Bereich der gemeinsamen Staatsgrenze.

Gegenstand (Kap. B) Gegenstand des Abkommens ist gemäss Artikel 2 ausschliesslich die Nutzbarmachung der Wasserkraft der Grenzgewässer und ihrer Zuflüsse zur Erzeugung elektrischer Energie.

Bau, Betrieb und Instandhaltung der Anlagen (Kap. C) Die Artikel 3 und 4 nehmen Bezug auf die geplanten Anlagen: sie sehen vor, dass die Wasserkraft des Inn in einem Kraftwerk Ried/Prutz mit Ausgleichsbecken, Talsperre und Dotierturbine in Ovella genutzt werden soll.

Die Wasserkraft des Schalklbachs (in der Schweiz Schergenbach genannt) sowie allenfalls die des Sampoirbachs sollen in einer Zentrale Schalklbach im Raum der Schalklbachmündung genutzt werden, mit Speicher und Talsperre in Spissermühle.

Daneben ist vorgesehen, die Wasserkraft des Stillerbachs durch eine in Ovella zu errichtende Zentrale zu nutzen. Weitere gemeinsame Grenzgewässer sollen nach den gleichen Grundsätzen genutzt werden können.

Das Abkommen verpflichtet die Staaten nicht, dass die Anlagen auch wirklich gebaut werden, denn nach Artikel 6 Absatz 2 werden die Berechtigungen und Bewilligungen nur erteilt, wenn ein Projekt auch alle übrigen öffentlichen Interessen wahrt, die in Artikel 5 aufgeführt sind.

Gemäss Artikel 7 sind die Anlagen den Sicherheitsvorschriften desjenigen Vertragsstaates unterstellt, auf dessen Staatsgebiet sie errichtet werden. Für die gemeinsamen

4501

Bauwerke im Grenzbereich sollen die österreichischen Sicherheitsvorschriften gelten.

Artikel 8 regelt die Aufsicht über Bau, Betrieb und Instandhaltung der Anlagen und sieht vor, dass die Vertragsstaaten zur Sicherstellung der notwendigen Koordination eine gemeinsame Aufsichtskommission einsetzen.

Aufteilung der Energie unter den Vertragsstaaten (Kap. D) Die Artikel 9 und 10 bestimmen, dass die in den vorgesehenen Anlagen erzeugte Energie nach dem Grundsatz der Gewässerhoheit unter den Vertragsstaaten aufgeteilt wird, was für die Schweiz bei der Nutzbarmachung des Inn einen Anteil von ca. 14 Prozent bedeutet. Die einem Vertragsstaat zukommende elektrische Energie wird gebührenfrei an der gemeinsamen Staatsgrenze zur Verfügung gestellt.

Den Berechtigten betreffende Bestimmungen (Kap. E) Nach den Artikeln 11 und 12 bezeichnen die Behörden der Vertragsstaaten den Berechtigten unter Pflege des beiderseitigen Einvernehmens. Erwerb und Übertragung von Berechtigungen (Konzessionen) sind unter den gleichen Bedingungen möglich.

Die Berechtigungen betreffende Bestimmungen (Kap. F) Die Artikel 13­16 regeln die Zuständigkeit und die notwendige Koordination zwischen den Behörden der Vertragsstaaten bei der Verleihung der Wasserrechte, beim Erlöschen der Berechtigungen und bei einer allfälligen Fortsetzung oder Beendigung des Betriebes nach Ablauf der Berechtigungsdauer.

Bestimmungen wirtschaftlicher, versicherungstechnischer und fiskalischer Natur (Kap. G) Gemäss Artikel 17 werden Arbeitnehmer, die in einem Vertragsstaat arbeitstätig sind, für Arbeiten im Rahmen dieses Abkommens auf dem Staatsgebiet des anderen Vertragsstaat grundsätzlich zugelassen.

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung eines Berechtigten verweist Artikel 18 auf die Bestimmungen des entsprechenden Abkommens zwischen der Schweiz und der Republik Österreich.

Zoll- und passrechtliche Bestimmungen (Kap. H) Die Artikel 19­34 regeln ausführlich den Waren- und Personenverkehr beim Bau, bei der Instandhaltung, bei der Erneuerung und beim Betrieb der vorgesehenen Anlagen. Grundsätzlich muss das Personal einen gültigen Grenzübertrittausweis mitführen, wenn es auf fremdem Staatsgebiet arbeitet (Art. 30).

Erledigung von Streitigkeiten (Kap. I) Die Artikel 35­36 regeln das Verfahren im Falle von erheblichen Schwierigkeiten bei der Durchführung des Abkommens. Sollte eine Meinungsverschiedenheit auf

4502

andere Weise nicht beigelegt werden können, so kann sie auf Verlangen eines Vertragsstaates einem Schiedsgericht unterbreitet werden.

Schlussbestimmungen (Kap. J) In Artikel 37 wird auf die Zugehörigkeit der Republik Österreich zur Europäischen Union hingewiesen. Daraus sich für Österreich ergebende Verpflichtungen werden vorbehalten. Im Falle einer Unvereinbarkeit des Abkommens mit diesen Verpflichtungen nehmen die Vertragsstaaten entsprechende Gespräche gemäss Artikel 35 auf, um geeignete Massnahmen zu vereinbaren. Eine automatische Anpassung des Abkommens an zukünftiges Gemeinschaftsrecht ist somit nicht vorgesehen.

3

Auswirkungen

Auf Bundesebene hat das Abkommen keine finanziellen Auswirkungen und keinen zusätzlichen Personalbedarf zur Folge. Die wirtschaftlichen Auswirkungen (Bau eines Kraftwerks mit entsprechenden Investitionen und Arbeitsplätzen sowie Produktion von Energie etc.) werden erst nach einer Konzessionserteilung sichtbar.

Nach einem Bau der Anlagen wird der Kanton Graubünden zusätzliche Wasserzinseinnahmen erhalten.

4

Legislaturplanung

Die Vorlage ist im Bericht über die Legislaturplanung 2003­2007 nicht angekündigt, weil der Zeitpunkt des Verhandlungsabschlusses damals noch nicht bekannt war.

5

Verhältnis zum europäischem Recht

Das Abkommen ist mit den Verpflichtungen der Schweiz gegenüber der Europäischen Union (EU) und den EFTA-Staaten kompatibel und präjudiziert ihre künftigen Verhältnisse zu den europäischen Institutionen nicht.

6

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsgrundlage für den Abschluss des Abkommens bildet Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung, der dem Bund das Recht einräumt, Staatsverträge mit dem Ausland abzuschliessen. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung beruht auf Artikel 166 Absatz 2 der Bundesverfassung. Da das Abkommen unbefristet und unkündbar ist, untersteht der Bundesbeschluss über dessen Genehmigung dem fakultativen Staatsvertragsreferendum gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 1 der Bundesverfassung.

4503

Im Sinne von Artikel 76 Absatz 5 der Bundesverfassung wurde der Kanton Graubünden bei den Verhandlungen zugezogen. Er ist mit dem Text des Abkommens einverstanden.

4504